Gebündelte Kompetenz[1]
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Gebündelte Kompetenz[1]
Ein Trio nutzt seine gebündelte Kompetenz In Hamburg haben die Wohnungsgenossenschaft von 1904 e.G., die Baugenossenschaft Hamburger Wohnen eG und die Baugenossenschaft Deutsches Heim-Union eG 2006 eine Kooperation gegründet. Sie folgen damit den Empfehlungen der „Expertenkommission Wohnungsgenossenschaften“. Die Erfahrungen nach über zwei Jahren: eine Zusammenarbeit mit herausragendem Erfolg. Demografischer Wandel, veränderte Gesetze, der wachsende Wettbewerb: Eine größere Gemeinschaft kann schneller und besser auf diese neue Marktsituation reagieren. Das machte die Expertenkommission in ihrem 2002 veröffentlichten Empfehlungen deutlich. Als eine der ersten machten sich die drei Hamburger Wohnungsgenossenschaften dhu, 1904 und Hamburger Wohnen sich dieses Wissen zunutze. Mitgetragen von allen drei Vertreterversammlungen und Aufsichtsräten haben sie zum 1. Januar 2006 einen Kooperationsvertrag geschlossen. Die Antwort auf das Warum ist einleuchtend: Die drei Unternehmen haben erkannt, dass sie durch die Nutzung von Größen- und Synergieeffekten ihre Wettbewerbsfähigkeit weiter stärken und den Member Value deutlich erhöhen können. Wer steckt hinter der Kooperation? Alle drei sind gestandene Unternehmen, die sich in den Jahrzehnten seit ihrer Gründung ihren festen Platz in der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft der Hansestadt erarbeitet haben. Die jüngste Genossenschaft ist die 2007 gegründete Baugenossenschaft Hamburger Wohnen eG, die aber aus der Wohnungsgenossenschaft Langenfelde eG und der Baugenossenschaft Hamburg-Nordost eG hervorgeht. Letztere wurde 1922 gegründet, die Langenfelder 1921. Als Baugenossenschaft Hamburger Wohnen haben sie 6.700 Mitglieder und verfügen über einen Bestand von 4.600 Wohnungen. Gut 5.800 Mitglieder gehören der Baugenossenschaft Deutsches Heim-Union eG an, die 1925 gegründet wurde und rund 4.200Wohnungen besitzt. Mit ihren knapp 104 Jahren ist die Wohnungsgenossenschaft von 1904 e.G. die Älteste im Bunde. Sie hat 3.500 Wohnungen und zählt fast 4.200 Mitglieder. Daraus ergibt sich ein Trio mit geballter Kraft: Zusammen bringen es die gestandenen Hamburger Unternehmen auf 16.700 Mitglieder und rund 12.300 Wohnungen. Ein Potenzial, das seine Wirkung nicht verfehlt. Die Liste der gemeinsamen Projekte zeugt von großem Erfolg und Innovationskraft – und das nach nur zwei Jahren Gemeinschaftsarbeit! Offener Wohnungsmarkt Diese Zahlen sprechen für sich: 16.700 Mitglieder, 12.300 Wohnungen. Hier steckt Potenzial drin und hier setzten die drei Genossenschaften auch als Erstes an. Sofort nach Inkrafttreten des Kooperationsvertrages öffneten sie ihren Wohnungsmarkt für die Mitglieder ihrer Partner. Sie stehen jetzt auf Platz zwei bei der Wohnungsvergabe. In der Praxis bedeutet das: Findet sich in den eigenen Reihen kein Interessent für eine gekündigte Wohnung, haben die Mitglieder der Kooperationspartner selbstredend dann den nächsten Zugriff. Erst im dritten Schritt geht sie auf den freien Markt. Daraus ergeben sich gleich mehrere Vorteile für die Mitglieder. Die Auswahl hat sich nicht nur verdreifacht. Konnte jede einzelne Genossenschaft bis dato nur in bestimmten Bezirken Wohnungen anbieten, deckt die Kooperation jetzt nahezu jeden Stadtteil Hamburgs ab. Wer früher in seinem Wunschquartier keine Wohnung finden konnte und die Genossenschaft deshalb verließ, hat jetzt gute Chancen, beim Partner etwas Adäquates zu mieten. Formale Hürden sind ebenfalls auf ein Minimum geschrumpft: Bei einem Genossenschaftswechsel innerhalb der Kooperation werden Geschäftsguthaben einfach an den Partner abgetreten. Wie bisher wird zwar die Mitgliedschaft gekündigt, jedoch zahlen die Mitglieder zunächst nur die Differenz der benötigten Anteile für die neue Wohnung. Hier ergibt sich das zweite große Plus: Wer die Genossenschaft wechselte, musste bis dato teilweise bis zu eineinhalb Jahre auf die Auszahlung seiner Anteile warten. Für die neue Wohnung waren die Einlagen aber sofort fällig. Für viele Mitglieder ein Kraftakt, den sie nur schwer bewältigen können. Die Abtretung der Geschäftsguthaben schafft dieses Problem aus der Welt. Sozialmanagement im Dreierpack Nicht nur auf dem Wohnungsmarkt sind die Genossenschaften näher gerückt. Auch das Sozialmanagement organisieren sie jetzt verstärkt im Trio. Jede Genossenschaft unterhält einen eigenen Nachbartreff. Hier werden Spiele- und Bastelnachmittage geboten, Kaffee- und Klönschnack, genauso wie Computerkurse, Lesungen oder Basare. Geleitet werden die Treffs von diplomierten Sozialpädagoginnen, die parallel dazu in festen Sprechstunden Mitglieder in sozialen und wirtschaftlichen Fragen beraten und Hilfestellung geben. Selbstredend, dass auch die Nachbartreffs jetzt allen Mitgliedern der Partnergenossenschaften offen stehen. Eigens dafür haben die Leiterinnen auch das Angebot erweitert. Jetzt stehen noch mehr Tagesausflüge, Konzerte, Museums- oder Werksbesichtigungen auf dem Programm, was besonders die ältere Generation begeistert. Die Aktivitäten beschränken sich allerdings nicht nur auf die Nachbartreffs. Die Kooperationsgemeinschaft stellt noch weitaus mehr Aktionen auf die Beine: Der Frühling startet mit einer großen Pflanzaktion, für die die Kooperation zuletzt 20.000 Stiefmütterchen geordert hat. Dazu kommen Straßen- und Nachbarschaftsfeste. Werden diese von den Mitgliedern selbst organisiert, steht ihnen sogar kostenlos ein Ausschankwagen zur Verfügung, den die Kooperation gemeinsam angeschafft hat. Im Winter dann das Highlight für die jungen Mitglieder: Sie dürfen sich kostenlos das Weihnachtsmärchen im Theater ansehen und sich im Anschluss auf den Weihnachtsmann freuen. Die Nachfrage nach den Tickets ist inzwischen so groß, dass in diesem Jahr vier Vorstellungen mit fast 3.000 Plätzen gebucht sind. Ob nun Weihnachtsmärchen oder Werksbesichtigung - alle Aktionen verfolgen die gleichen Ziele: Die sozialen Netzwerke, die hier geknüpft werden, fördern Toleranz und wirken Vereinsamung entgegen. Vor allem aber sind sie beste Auslöser, um Nachbarschaften wieder neu entstehen zu lassen, die auch auf Dauer gepflegt und gelebt werden. Eine Arbeit, die Kontinuität, großes Engagement und finanzielle Investitionen erfordert. Wie sich zeigt, sind diese Aufgaben in der Gemeinschaft nicht nur leichter zu bewältigen. Die Kooperation führt auch zu besseren Ergebnissen: Die Angebote werden so gut angenommen, dass die nächsten drei Nachbartreffs in Planung sind und schon in wenigen Monaten ihre Türen öffnen sollen. Flurgespräche am Telefon Was extern funktioniert, ist auch intern von Vorteil: Längst hat sich auch innerhalb der Genossenschaften ein Netzwerk gebildet. Die Vertreter und Aufsichtsräte tauschen sich bei gemeinsamen Versammlungen und Ausfahrten aus, die Mitarbeiter bei regelmäßigen Meetings – oder auch ganz spontan am Telefon. Welchen Gewinn diese Bündelung von Kompetenz und Erfahrung bringt, wird in der alltäglichen Arbeit sichtbar. Tauchen beispielsweise Fragen zum Jahresabschluss auf, ist jederzeit ein Kollege von den Partnergenossenschaften erreichbar, mit dem das Problem besprochen werden kann. In großen Unternehmen geschieht das häufig über Flurgespräche, bei der Kooperation über einen Anruf. Diese Gespräche in kleinen und großen Runden führten auch schon zu konkreten Ergebnissen: Inzwischen wurden die Nutzungsverträge angeglichen, Verträge und Anträge werden nur noch von einem Unternehmen im Namen aller bearbeitet. Besonders hilfreich dabei: Die drei Genossenschaften nutzen das gleiche EDV-System und die gleiche elektronische Archivierung. Darüber hinaus ließen die Genossenschaften die Grundrisse für alle ihre Wohnungen digitalisieren lassen , die Liegenschaften neu vermessen und ein Baumkataster erstellen lassen. Alle drei Projekte waren durch die gemeinsame Vergabe der Aufträge sehr viel kostengünstiger als für jedes Unternehmen allein. Die Ergebnisse aus diesen Projekten dienen nun als Grundlage für diverse Ausschreibungen. Die Erste hat inzwischen begonnen: Die Genossenschaften wollen die Gartenpflege für 2009 gemeinsam neu vergeben. Die Ausschreibung des Winterdienstes soll folgen. Hierbei wurden Wohnanlagen sinnvoll zusammengefasst, um einen einheitlichen Standard zu gewährleisten und schließlich die „zweite Miete“ zu senken. Fazit: Als Kooperation können sie bei allen Ausschreibungen ein größeres Auftragsvolumen bieten und damit günstigere Konditionen erzielen. Diese erste Ausschreibung gilt quasi als Prototyp für viele andere Verträge, die die Genossenschaften jetzt genau auf ihre Kosten und Nutzen prüft. Langfristig tragen die gemeinsamen Ausschreibungen zu einer umfangreichen Reduzierung der Betriebs- und Instandhaltungskosten bei. Einheit auch in der Öffentlichkeit Ein immer wiederkehrender Rat der Experten lautet: Tut Gutes und redet darüber. Mit einer professionellen Öffentlichkeitsarbeit tun sich viele Genossenschaften allerdings heute noch immer schwer. Die 1904, dhu und Hamburger Wohnen bilden hier erneut eine Ausnahme – in Eigenregie, aber auch in Kooperation. Innerhalb des Arbeitskreises Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften, dem sich der Großteil der Genossenschaften in der Hansestadt angeschlossen hat, wird ein eigenes Mitgliedermagazin, die „bei uns“, herausgegeben. Die Zeitung besteht aus einem Mantelteil, den alle Hamburger Genossenschaften für ihre Mitglieder veröffentlichen, und einem jeweils genossenschaftsbezogenen individuellen Teil. Hier veröffentlichen die Kooperationspartner nicht mehr nur unternehmenseigene Informationen. Auf durchschnittlich sechs Seiten erfahren die Mitglieder jetzt regelmäßig die neuesten Pläne und Aktivitäten der Kooperationsgemeinschaft. Mitte des Jahres startete die Kooperation zudem eine eigene gemeinsame Internetseite. Unter www.wohnplus3.de finden dort Wohnungssuchende alle aktuellen Angebote der drei Genossenschaften gebündelt und dazu alles Wissenswerte über die Kooperation. Als dritten Baustein nutzen die Partner Feste und Veranstaltungen: Auf kleinen Straßenfesten und der Großveranstaltung zum Internationalen Genossenschaftstag „Unser Tag“ sind sie mit einem Gemeinschaftsstand vertreten und bieten auch gemeinsame Spiel- und Unterhaltungsaktionen an. Jetzt wird gemeinsam gebaut Nachbartreffs, Gartenpflege, Mitgliederfeste: Auf dieser Liste fehlt noch ein wichtiger Punkt – der Wohnungsbau. Selbstverständlich ist die Kooperationsgemeinschaft auch in diesem Bereich sehr aktiv, liegt doch darin ebenso großes Potenzial wie in allen anderen Aktivitäten. Neben den drei neuen Nachbartreffs arbeiten die Partner an zwei weiteren Projekten: Die 1904 und die dhu planen in Hamburg-Farmsen eine gemeinsame Seniorenwohnanlage mit 80 Wohnungen, als Trio wollen sie ein Projekt in Hamburg-Barmbek Nord, direkt am Stadtpark mit 140 Wohnungen, einschließlich 40 Wohnungen für Baugemeinschaften, realisieren. Dieses Projekt zeigt auch deutlich, welche Außenwirkung eine Partnerschaft mit sich bringt: Im Rahmen der zweiten Wohnungsbauoffensive ließ der Hamburger Senat das Grundstück ausschreiben. Die dhu und die 1904 erhielten den Zuschlag. Sie dürfen einen dritten Partner ins Boot holen, der in diesem Fall selbstredend Hamburger Wohnen sein wird. Vertrauen und Gleichheit Es ist nicht zu übersehen: Die Gemeinschaftsaktivitäten nehmen einen immer größeren Raum ein. Bleibt da aber nicht irgendwann die Eigenständigkeit auf der Strecke? Die Antwort lautet ganz klar: Nein! Denn dafür haben die Genossenschaften schon im Vorfeld gesorgt. „Es soll und muss die Individualität, die Geschichte und die Tradition eines jeden Einzelnen bewahrt bleiben, aber dennoch die Kraft und die Stärke der Gemeinschaft genutzt werden.“ So steht es in der Präambel des Kooperationsvertrags. Dass die Zusammenarbeit reibungslos funktioniert, liegt an mehreren Faktoren: Vertrauen, Kritikfähigkeit, Kompromissbereitschaft und klare Regeln – kurzum partnerschaftliches Verhalten. Das besondere an der Kooperation der drei Genossenschaft ist die Tiefe der Zusammenarbeit. Die Vorstandsmitglieder Monika Böhm und Klaus Weise (1904), Joachim Haseloff und Torsten Götsch (dhu) sowie Dr. Hardy Heymann und Sönke Selk (Hamburger Wohnen) bilden den Kopf der Kooperation. In diesem Vorstandsteam gibt es und sollte es auch in Zukunft keine Hierarchien geben. Alle sind gleich und nur gemeinsam werden Projekte und Ideen angenommen oder abgelehnt. Ein eingespieltes Team, dem jahrelange Kommunikation und Vertrauensbildung vorangehen, was auch von den Abteilungsleitern und Mitarbeitern mitgetragen wird. Wer eine Kooperation eingehen möchte, sollte diese Punkte nicht unterschätzen. Nicht zuletzt spricht auch die einschlägige Literatur von einer Planungsphase von rund zwei Jahren, auf die eine weitere Phase von rund fünf Jahren folgt, bevor mit ersten Erfolgen gerechnet werden kann. Die Vorteile einer Kooperation sind aber nicht von der Hand zu weisen. Das zeigen auch die Erfahrungen der Hamburger Wohnungsgenossenschaften 1904, dhu und Hamburger Wohnen.