PrüFUnGSanGSt Und LiEBESKUMMEr

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PrüFUnGSanGSt Und LiEBESKUMMEr
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Das Studentenwerk berät in psychischen Krisen
Prüfungsangst und Liebeskummer
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Ob bei existenzieller Krise oder schierem Gesprächsbedarf: Die
Psychotherapeutische und Psychosoziale Beratungsstelle des
Studentenwerks bietet professionelle Hilfe, wenn die Seele in
Schieflage gerät. Im Olympiadorf helfen acht Psychologinnen
und Psychologen anonym und kostenlos beim Bewältigen von
Problemen.
Eine Pappschachtel mit Taschentüchern wartet diskret auf dem
Tisch. Petra Holler sitzt in einem mohnroten Sessel zwischen
freundlich-abstrakten Bildern und riesigen, weiß verhängten Fensterfronten. Mit weicher Stimme spricht sie mit ihren Besuchern über
deren Prüfungsängste und Depressionen, über Liebeskummer oder
schwere Neurosen.
Prüfungszeit ist Krisenzeit
In einem jeweils einstündigen ersten Gespräch versucht Petra
Holler, sich ein „plastisches Bild von der Situation“ zu machen. „Man
muss geduldig explorieren, durch taktvolles Nachfragen dem Kern
des Problems auf die Spur kommen.“ Viele Nöte sind – natürlich –
im Unibereich angesiedelt: Prüfungsängste, Redeangst, Lernstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, aber auch Aufschiebeverhalten
etwa beim Verfassen einer Hausarbeit. „Viele Studierende haben
heute das Gefühl, mit dem Studium überfordert zu sein.“ Gerade
in Prüfungszeiten erwarten Petra Holler und ihre Kollegen „immer
einige Krisen mehr“.
Seit achteinhalb Jahren arbeitet die Diplom-Psychologin in der
Psychotherapeutischen und Psychosozialen Beratungsstelle des
Studentenwerks München, die sie heute auch leitet. „Mittlerweile
ist die Anzahl an Ratsuchenden enorm gestiegen: Vor zehn Jahren
hatten wir 400 Studierende jährlich, jetzt sind es 800.“ Das Beratungsangebot wurde daher ausgebaut. Wie ihre mittlerweile sieben
Kolleginnen und Kollegen arbeitet Petra Holler teils beim Studentenwerk, teils als niedergelassene Psychoanalytikerin in München.
Bei manchem stellt sich inmitten des Studientrubels das Gefühl
sozialer Isolation ein. Viele Studierende werden von Beziehungsproblemen umgetrieben, von Liebeskummer – oder auch von der
Schwierigkeit, überhaupt einen Partner zu finden. „Mancher sehnt
sich nach einer Liebesbeziehung, hat aber überhaupt keine Ahnung,
wie er das angehen soll.“ Bisweilen macht Petra Holler dabei auch
schwere soziale Phobien aus, häufig gekoppelt mit Internetsucht.
„Der größte Teil des Tages wird am oder mit dem Computer verbracht, aber nicht mit anderen Menschen – und darunter leiden auch
die sozialen Fertigkeiten.“
Die Probleme der studentischen Klienten unterscheiden sich von
denen in ihrer Praxis vor allem durch die Lebensphase, in der
sie stecken: „Sie sind kognitiv, emotional und intellektuell schon
erwachsen, sozial aber noch in einem Status der Abhängigkeit gefangen – zum Beispiel finanziell von den Eltern. Und in diesem Spannungsfeld entstehen ganz spezifische Probleme.“ Viele Studierende
tun sich erstmal schwer, so Petra Holler, überhaupt zur Beratung
zu kommen. „Wer möchte, kann sich aber auch anonym beraten
lassen, ohne seinen oder ihren Namen zu nennen.“ Zwei Drittel der
Anfragenden sind Frauen, doch der Anteil der Männer nimmt zu.
Schon aus Kapazitätsgründen können jedem Studierenden offiziell
höchstens drei Sitzungen eingeräumt werden.
Vereinzelt stellen sich Ratsuchende auch die Sinnfrage: Ist dieser
Studiengang, ein Studium generell überhaupt das Richtige für mich?
„Das geht dann in die Richtung Identitätsproblematik: Was will ich
eigentlich? Wo zieht es mich hin? Aber das ist zurückgegangen,
abgelöst durch eher studienbezogene Nöte und, ganz generell,
depressive Krisen, ,Überforderungssyndrome’, wie wir sie nennen.“
Diese könnten begleitet sein von körperlichen Beschwerden – von
Schlafstörungen, Essstörungen, Ängsten, Phobien bis hin zu massiven Persönlichkeitsstörungen, Selbstverletzungstendenzen und
immer wieder auch einmal einer Suchterkrankung. Nicht immer
müsse aber schon ein Störungsbild vorliegen: „Es kann auch sein,
dass jemand einfach mal über etwas reden will.“
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1 Mohnrote Sessel und Kleenex-Boxen: Hier empfängt
Petra Holler Ratsuchende.
Fürsorgliche Professoren
Besonders durch die neue Strukturierung der
Studiengänge hätten psychologische Probleme
bei Studierenden zugenommen, sagt Petra Holler.
„Während Studierende den Lebensabschnitt Uni
vor 20, 30 Jahren noch als Moratorium für die eigene Identitätsentwicklung nutzten, muten sie uns
heute viel leistungsorientierter an – auch aus Angst,
auf dem Arbeitsmarkt nicht unterzukommen. Es
gibt ein viel größeres Sicherheitsbedürfnis.“
Dabei versuchen Petra Holler und ihre Kollegen,
die Ratsuchenden für die tiefere Wurzel eines
Problems zu sensibilisieren, statt sich nur auf die
Schnelle – und möglichst bis zur nächsten Prüfung
– therapieren zu wollen. „Hinter einer Prüfungsangst am Ende des Studiums zum Beispiel kann
die unbewusste übermäßige Angst liegen, endgültig den Schritt in die Eigenverantwortung zu
tun.“ Letztendlich ergehe der Auftrag aber immer
vom Studierenden: „Wenn jemand lediglich einen
Tipp für ein Prüfungscoaching möchte, bekommt
er den natürlich von uns.“
Manchmal kommen auch Studierende auf Petra
Holler zu, die sich nicht um sich selbst, sondern
um Freunde und Kommilitonen sorgen. Und: Vermehrt rufen Professoren und Dozenten an. „Viele
scheinen die Fürsorgepflicht doch sehr ernst zu
nehmen – was in einer so riesigen Unilandschaft
wie München doch erstaunlich ist.“
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Psychologische Hilfe
Bis vor Kurzem hatte die Psychotherapeutische und Psychosoziale Beratungsstelle ihren Sitz neben dem „Schweinchenbau“ an
der Leopoldstraße, nun befindet sie sich im Beratungszentrum am
Helene-Mayer-Ring 9 im Olympischen Dorf. Neben Einzelgesprächen werden auch Paar- und Familiengespräche angeboten. Zudem
gibt es die Gruppenkurse „Arbeitseinteilung und Lerntechniken“,
„Entspannungstechniken“ sowie „Soziales Kompetenztraining“.
Infos: www.stwm.de/beratungsnetzwerk – Psychotherapeutische
und Psychosoziale Beratung. Studierende, die psychologischen
Rat suchen, melden sich von 9 bis 12 Uhr bei Sekretärin Christina Geisel an: Tel. 089/357135-40, E-Mail: psycho-beratung@
stwm.de.