Überschreiten der Überforderungsklausel bei Altersteilzeit
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Überschreiten der Überforderungsklausel bei Altersteilzeit
Rechtsprechung Überschreiten der Überforderungsklausel bei Altersteilzeit § 3 Abs. 1 Nr. 3 1. Alt. AltTZG; §§ 242, 315 BGB; Art. 3 Abs. 1 GG 1. Ist die Überlastquote von 5 % Altersteilzeitarbeitsverträge nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 1. Alt. AltTZG im Betrieb des Arbeitnehmers überschritten, hat dieser keinen Anspruch gem. § 2 Abs. 1 TV ATZ, dass der Arbeitgeber nach billigem Ermessen darüber entscheidet, ob er mit ihm einen Altersteilzeitarbeitsvertrag schließt. Es handelt sich um ein negatives Tatbestandsmerkmal, das bereits die Entstehung des Anspruchs hindert. 2. Schließt der Arbeitgeber mit Arbeitnehmern Altersteilzeitarbeitsverträge, obwohl er wegen Überschreitens der Überlastquote hierzu nicht verpflichtet ist, erbringt er eine freiwillige Leistung. Er muss deshalb den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz beachten. 3. Unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung ist es sachlich gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber einen Stichtag benennt, ab dem er weitere Altersteilzeitarbeitsverträge ablehnt. Er kann sich für die Wahl des Zeitpunkts darauf berufen, die Rücklagen, die er zur finanziellen Absicherung der Altersteilzeit gebildet hat, seien verbraucht. (Leitsätze des Bearbeiters) BAG, Urteil vom 15. November 2011 – 9 AZR 387/10 Problempunkt Damit Arbeitgeber Zuschüsse für die Altersteilzeit gem. § 4 Altersteilzeitgesetz (AltTZG) erhalten, muss nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 AltTZG sichergestellt sein, dass sie frei darüber entscheiden können, ob sie mit über 5 % der Arbeitnehmer eines Betriebs einen Altersteilzeitarbeitsvertrag abschließen (sog. Überlastquote). Ziel ist es, sie nicht durch eine übermäßige Inanspruchnahme der Altersteilzeit finanziell zu überfordern. Das BAG hatte sich nunmehr mit der Frage zu befassen, ob ein Anspruch auf ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis besteht, wenn die Überlastquote bereits überschritten ist. Auf die Arbeitsverhältnisse der beiden Kläger fand ein Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeit vom 5.5.1998 (TV ATZ) Anwendung. Gem. § 2 Abs. 1 TV ATZ kann der Arbeitgeber mit Arbeitnehmern, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, einen Altersteilzeitvertrag auf der 616 Grundlage des AltTZG schließen. Nach Abs. 2 steht Mitarbeitern, die das 60. Lebensjahr vollendet haben und die übrigen Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllen, ein Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrags zu. Die Beklagte vereinbarte in den Jahren 2002 bis 2008 Altersteilzeitarbeitsverhältnisse, obwohl in diesem Zeitraum bereits zwischen 7 % und 21 % der Beschäftigten in einem Altersteilzeitarbeitsverhältnis standen. Nachdem die Rückstellungen, die die zukünftigen Altersteilzeitansprüche absichern sollten, aufgezehrt waren, teilte die Beklagte der Belegschaft am 8.2.2008 mit, sie schließe ab sofort wegen Überschreitens der Überlastquote keine Altersteilzeitverträge mehr ab. Gleichwohl gewährte sie in der Folgezeit noch drei Arbeitnehmern Altersteilzeitverträge, die diese bereits vor dem 8.2.2008 beantragt hatten. Die Anträge der Kläger vom April 2008 lehnte sie hingegen ab. Die Klagen blieben vor dem Arbeitsgericht und dem LAG erfolglos. Entscheidung Das BAG schloss sich den Vorinstanzen an. Es entschied, dass die Kläger keinen Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses haben. Der Arbeitgeber hat das Überschreiten der Überlastquote gem. § 3 Abs. 1 Nr. 3 AltTZG nicht lediglich im Rahmen seines Ermessens zu berücksichtigen. Dieses stellt vielmehr ein negatives Tatbestandsmerkmal dar: Hat er bereits mit mehr als 5 % der betriebsangehörigen Arbeitnehmer einen Altersteilzeitvertrag abgeschlossen, besteht kein Anspruch mehr. Die Kläger konnten einen Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz geltend machen. Schließt der Arbeitgeber trotz Überschreitens der Überlastquote Altersteilzeitarbeitsverhältnisse ab, handelt es sich zwar um eine freiwillige Leistung, auf die der Gleichbehandlungsgrundsatz Anwendung findet. Eine Ungleichbehandlung lag hier aber nicht vor. Die Beklagte hatte ermessensfehlerfrei einen Stichtag festgelegt, ab dem sie keine Altersteilzeitanträge mehr bewilligte. Dieser war aus Kostengründen wegen der aufgebrauchten Rücklagen für Altersteilzeitarbeitsverhältnisse gerechtfertigt. Konsequenzen Mit der Entscheidung stellte der 9. Senat – abweichend von seiner früheren Rechtsprechung (Urt. v. 14.10.2008 – 9 AZR 511/07, NZA 2009, S. 456) – klar, dass das Erreichen der Überlastquote bereits das Entstehen des Anspruchs auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrags ausschließt. Es ist nicht lediglich im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtig- ten. Soweit Arbeitgeber aufgrund eines Tarifvertrags oder einer Betriebsvereinbarung überhaupt noch Altersteilzeitverträge vergeben, stärkt diese Entscheidung ihre unternehmerische Freiheit. Entscheiden sie sich, ab einem bestimmten Stichtag keine Altersteilzeitverträge mehr abzuschließen, wenn sie bereits mit mehr als 5 % der betriebsangehörigen Mitarbeiter einen solchen Vertrag eingegangen sind, ist diese Entscheidung bindend und nicht mehr durch die Arbeitsgerichte überprüfbar. Sie ist gegenüber den Mitarbeitern aber in geeigneter Form bekannt zu machen (BAG, Urt. v. 15.4.2008 – 9 AZR 111/07, AuA 2/09, S. 118). Schließt der Arbeitgeber gleichwohl Altersteilzeitverträge ab, ist der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten. In einem gerichtlichen Verfahren ist er dann im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast verpflichtet, sowohl die Gründe für den Abschluss des Altersteilzeitvertrags als auch die begünstigten Mitarbeiter zu benennen (BAG, Urt. v. 23.2.2011 – 5 AZR 84/10, NZA 2011, S. 693). Praxistipp Sehen Tarifverträge – wie hier § 2 Abs. 1 TV ATZ – oder Betriebsvereinbarungen zur Altersteilzeit einen Ermessensspielraum bei der Entscheidung über den Abschluss eines Altersteilzeitvertrags vor, unterliegt dessen Ausübung gem. § 315 Abs. 1 BGB der gerichtlichen Kontrolle. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber bei seiner Entscheidung die wesentlichen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und die beiderseitigen Interessen angemessen zu wahren hat. Zu seinen Interessen gehören auch finanzielle Erwägungen, so dass es sachlich gerechtfertigt ist, Altersteilzeitverträge nur mit Arbeitnehmern aus Abteilungen abzuschließen, in denen ein Arbeitskräfteüberhang besteht (BAG, Urt. v. 12.12.2000 – 9 AZR 706/99, NZA 2001, S. 1209). Die Entscheidung ist zu dokumentieren. Letztlich ist zu beachten, dass mit Auslaufen der staatlichen Förderung der Altersteilzeit Ende 2009 diese weitgehend an Attraktivität verloren hat. Die Praxis sucht daher zunehmend nach Alternativen, z. B. Zeitwertkontenmodelle, die über wertguthabenfinanzierte Freistellungen den Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand ermöglichen sollen. Hierbei sind die mit Wirkung zum 1.1.2009 in Kraft getretenen Maßgaben des Gesetzes zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Absicherung flexibler Arbeitszeiten und zur Änderung anderer Gesetze („Flexi II“) zu beachten (vgl. hierzu Maiß, ArbRAktuell 2010, S. 9 ff.). RA und FA Arbeitsrecht Dr. Sebastian Maiß, Röhrborn Biester Juli Arbeitsrecht, Düsseldorf Arbeit und Arbeitsrecht · 10/12