Leben im Biorhythmus Körperbedürfnisse wahrnehmen, empfinden

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Leben im Biorhythmus Körperbedürfnisse wahrnehmen, empfinden
Leben im Biorhythmus
Körperbedürfnisse wahrnehmen, empfinden und spüren
Alles, was ich tue oder nicht tue beeinflusst die Körperfunktionen
und somit den eigenen Biorhythmus. Die biologischen Funktionen
des Körpers arbeiten zu unterschiedlichen Zeiten mal mehr, mal
weniger. Jeder Mensch hat seinen eigenen Biorhythmus, seine
ganz individuellen Hoch- und Tiefphasen.
Dr. Gitte Nenning ist Ärztin für Allgemeinmedizin und seit 2006 als
niedergelassene Homöopathin in Dornbirn tätig. Bereist seit über
13 Jahren beschäftigt sie sich mit der klassischen Homöopathie
und ließ sich unter anderem bei der Ärztegesellschaft für
Klassische Homöopathie (ÄKH) und der Österreichischen
Gesellschaft für homöopathische Medizin (ÖGHM) ausbilden. 2004
schloss die gebürtige Bregenzerwälderin ihr Medizinstudium mit
der Prüfung zum „Arzt für Allgemeinmedizin“ ab, ein Jahr später
erhielt sie das „Österreichische Ärztekammerdiplom für
Klassische Homöopathie“.
Ein Interview über die tageszeitlichen Schwankungen der biologischen Körperfunktionen,
unnötige Berechnungstools und darüber, wie ernst man Biorhythmus nehmen sollte.
Frau Dr. Nenning, was genau ist der „Biorhythmus“?
Biorhythmus, auch Chronobiologie genannt, ist die Wissenschaft vom zirkadianen Rhythmus der
Körperfunktionen. Mit anderen Worten: Die tageszeitlichen Schwankungen von biologischen
Funktionen in unserem Körper – sprich die einzelnen Organsysteme – arbeiten zu unterschiedlichen
Zeiten mal mehr und mal weniger.
Was beeinflusst den Biorhythmus?
Alles! Alles, was ich tue oder nicht tue hat einen Einfluss auf die Körperfunktionen. Am deutlichsten
spürt man das bei Veränderungen des Schlaf-Wach-Rhythmus. Sei es nun durch Nachtarbeit, Reisen
in andere Zeitzonen oder durch die Umstellung auf die Sommer- bzw. Winterzeit. Unser Körper wird
durch die Veränderung von Schlaf- und Wachzeiten „aus dem Rhythmus gebracht“ bzw. passt er sich
den neu entstandenen Aktiv- und Ruhephasen nur allmählich an.
Aber vieles mehr beeinflusst unseren Biorhythmus, wie beispielsweise hell und dunkel, also die
jahreszeitlichen Schwankungen. Weiters ist unser Verdauungssystem je nach Essens- oder
Hungerphase unterschiedlich aktiv, das Herz-Kreislauf-System und somit der Blutdruck können durch
anhaltenden „Stress“ aus dem normalen Rhythmus kommen.
Und wie beeinflusst der Biorhythmus das Leben eines Menschen?
Unser Körper sagt uns, wann er müde ist, wann er Hunger hat, wann er Bewegung braucht, wann wir
zur Toilette müssen und so weiter. Biorhythmus ist nicht etwas, das nur um zwölf Uhr mittags passiert.
Es ist vielmehr ein fein abgestimmtes System von Körperfunktionen, das Tag ein Tag aus seinen
Dienst verrichtet. Das wird gewährleistet durch verschiedenste Nervenimpulse und Hormone, die dem
Körper ermöglichen, die einzelnen Funktionen aufeinander abzustimmen und auch an die aktuellen
Bedürfnisse anzupassen.
Aber wenn ich meinen eigenen Biorhythmus gar nicht kenne, kann er mich dann trotzdem
beeinflussen?
Natürlich. Er tut das ständig. Zum Beispiel, wenn wir morgens die Augen aufmachen, leiten unsere
Nerven die Information „Hell, Licht“ an unser Gehirn weiter. Dadurch beginnt der Körper sich auf den
Tag und die Aktivität einzustellen, während er sich am späteren Abend beispielsweise mehr um die
Verdauung kümmert und in der Nacht die Zellregeneration, wie Haarwachstum oder
Hautzellenerneuerung und so weiter, im Vordergrund steht. Man entkommt dem Einfluss also nicht.
Auf der Website von enjoyliving.at kann man „einfach“ sein Geburtsdatum eingeben und
schon wird einem sein ganz persönlicher Biorhythmus berechnet. Was halten Sie davon?
Mit solchen Berechnungen kann ich nichts anfangen. Das widerspricht meiner Definition von
Biorhythmus. Man kann diesen nicht auf gute oder schlechte Tage reduzieren. Dahinter steckt ein
sehr vielschichtiges System, dass wir wahrscheinlich erst im Ansatz verstehen.
Und wie findet man dann seinen eigenen Biorhythmus? Oder ist es vielleicht gar nicht so
wichtig, seinen Biorhythmus genau zu kennen – so wie das eben unter anderem auf dieser
Website geschieht?
Nach dem Biorhythmus leben, heißt für mich: Lernen, meine Körperbedürfnisse wieder
wahrzunehmen und meinem Körper das zu geben, was er von mir braucht. Dazu brauche ich keine
Rechenmaschine, sondern das läuft über Wahrnehmung, Empfinden, Erleben. Wenn ich Hunger
habe, dann muss ich etwas essen. Wenn ich müde bin und es Abend oder Nacht, sollte ich ins Bett
gehen. Ab und zu bin ich aber auch untertags müde, dann macht es eventuell mehr Sinn, an die
frische Luft zu gehen, um etwa den Kopf frei zu bekommen. Wenn ich unruhig bin, sollte ich mich
beispielsweise mit Musik entspannen. Andere wiederum müssen sich bewegen, wenn sie Unruhe
verspüren – das ist, so wie auch der Biorhythmus, von Mensch zu Mensch verschieden.
Man muss also lernen, auf sich und somit auf seinen ganz eigenen Körper zu hören?
Ja, aber man muss auch lernen, die Signale, die der Körper gibt, richtig zu deuten. Außerdem ist es
wichtig, dass man weiß, warum der Körper bestimmte Bedürfnisse zu einem bestimmten Zeitpunkt
hat. So kann Hunger tatsächlich davon kommen, dass man zu lange nichts mehr gegessen hat. Er
kann aber auch aus Langeweile heraus entstehen, so dass man mehr aus Gewohnheit isst als aus
wirklichem Hunger. Auch Unruhe kann man aus verschiedenen Gründen verspüren: Manchmal ist
man aufgrund von Bewegungsmangel unruhig, manchmal entsteht Unruhe aus Nervosität, manchmal
auch aus Angst.
Ebenso ist nicht jede Müdigkeit gleich. Nicht immer ist man körperlich müde. Hin und wieder rührt
Müdigkeit auch von einem überfüllten Kopfes her. Dann wieder ist man einfach emotional ausgelaugt.
Je nachdem, muss man anders reagieren. Das geht abernatürlich nur, wenn man die Signale richtig
deuten kann.
Wie bleibt man „im Biorhythmus“?
Indem man mit allen Sinnen und vor allem mit dem Gespür für die eigenen Bedürfnisse lebt.
Was ist aber, wenn ich mitten am Tag, ein „Tief“ habe, aber genau in diesem Moment,
beispielsweise ein wichtiges Meeting ansteht, ich mit den Kindern spielen sollte oder eine
Tennispartie vereinbart habe? Was passiert also, wenn man einmal „aus dem Takt kommt“?
Nun, das passiert wohl andauernd. Aufgrund äußerer Umstände kann man nicht durchgehend gemäß
seinem Biorhythmus leben. Doch der Körper kann Systeme auch auf Befehl aktivieren. Und zwar
selbst dann, wenn die normalerweise in der Ruhephase wären.
Ein Beispiel dafür: Bei einem wichtigen Meeting wird sicherlich Adrenalin produziert, somit wird mein
Körper in einen aktiveren, wacheren Zustand gebracht. Und schon habe ich den Rhythmus verändert.
Ich sage absichtlich „verändert“ und nicht „gestört“. Ich glaube nämlich, dass der Biorhythmus ein
dynamisches System ist und kein starres Etwas, das stur seinem Tagesverlauf folgt. Daher halte ich ja
auch nichts von solchen Berechnungen, wie sie beispielsweise auf der von Ihnen angesprochenen
Website möglich sind.
Der Biorhythmus pendelt sich dann also wieder ein?
Ja. Allerdings ist es meiner Meinung nach wichtig, dass man dem Körper die entspannende Phase,
um die man ihn etwa wegen des Meetings gebracht hat, obwohl er genau zu diesem Zeitpunkt eine
solche verlangt hätte, irgendwann später gönnt. Also quasi nachholt. Man kann den normalen
Regelmechanismus nicht auf Dauer umgehen. Man kann Müdigkeit, Unruhe oder andere körperliche
Signale nicht ständig ignorieren. Wenn man das tut, dann gerät man mit der Zeit aus dem Rhythmus,
aus dem Gleichgewicht und wird krank. Die vielen sogenannten Zivilisationserkrankungen, wie
Bluthochdruck, Fettleibigkeit und so weiter, zeigen nur zu deutlich, dass es nicht funktioniert.
Viele stehen dem Biorhythmus skeptisch gegenüber und glauben nicht daran. Wie ernst kann
und soll man ihn nehmen?
Als Homöopathische Ärztin sehe ich sehr wohl, dass jeder Mensch seinen persönlichen Rhythmus
hat, in dem er lebt, in dem es ihm gut geht. Ob ich in dem Fall vom Biorhythmus spreche oder, wie wir
Homöopathen, von der Dynamis – der Lebensenergie –, ist im Endeffekt egal. Klar ist, dass jeder
Mensch seine ganz individuellen Hoch- und Tiefphasen hat, sein ganz persönliches Schlafverhalten,
Essverhalten und vieles mehr. Jeder Mensch hat seine eigenen Mechanismen, wie er sich erholt,
entspannt, unterhält. Für mich wird in der täglichen Praxis auch ganz klar, wer versucht seine
persönlichen Bedürfnisse dauerhaft zu ignorieren, wer verlernt hat auf seinen Körper zu hören, der
wird krank.
Insofern muss man den Biorhythmus sehr ernst nehmen, allerdings nicht als Rechenaufgabe oder
starres Schema, sondern als Grundbedürfnis, damit ich in meinem inneren Gleichgewicht bleibe. Das
fängt beim ganz banalen Empfinden an – spüren, was mein Körper braucht und es ihm dann auch
geben. Wenn es mich friert, brauche ich Wärme, also Kleidung, eine Decke, Heizung oder eine gute
Tasse Tee. Wenn ich einsam bin, dann suche ich Gesellschaft, indem ich Freunde besuche oder sie
einlade oder schlichtweg zum Hörer greife, um einen guten Bekannten anzurufen.