Teneriffa - Ferien mit meiner erweiterten weltweit verteilten Familie

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Teneriffa - Ferien mit meiner erweiterten weltweit verteilten Familie
Teneriffa - Ferien mit meiner erweiterten weltweit verteilten
Familie
Eingestellt am Montag, den 3. August 2015
Vor kurzem haben Thalidomider/Conterganggeschädigte aus
Deutschland Gruppenferien in Teneriffas komplett barrierefreien
Hotel Mar Y Sol organisiert. Simone Illger aus Großbritannien war
unter denen, die ihre Koffer gepackt hat und in einen Flieger
gehüpft ist.
Bei den vorhergegangenen internationalen Thalidomider/
Contergangeschädigten-Treffen (Niederlande 1992 und Schweden 1998)
war ich bei den Hauptorganisatoren. Doch dieses Mal musste ich vorher
nicht großartig nachdenken, ob ich am geplanten internationalen
Thalidomider/Contergangeschädigten-Treffen in Teneriffa vom 4. bis 11.
Juli 2015 teilnehmen würde.
Teneriffa ist eine Isel, die ich bereits ca. sieben Mal vorher besucht
hatte. Ich fühle mich dort wie zuhause und weiß, dass das Gebiet Los
Cristianos besonders gut für Rollstuhlnutzer geeignet ist, hervorzuheben
ist insbesondere der beste barrierefreie Strand, den ich je gesehen habe man kommt nicht nur problemlos auf den wunderbar sandigen Las Vistas
Strand, sondern es gibt auch spezielle Strandrollstühle, um ins Wasser zu
gelangen, und ausgebildete Rettungsschwimmer.
Ich wusste, dass dieser Urlaub für viele aus der Gruppe eine
Herausforderung sein würde. Wir sind mittlerweile alle fast 20 Jahre älter
als beim letzten Mal einer solchen Veranstaltung. Sowohl Komfort als auch
die zu überwindenden Gehstrecken sind nun viel wichtiger für uns als
früher. Die Auswahl der Örtlichkeit - das Mar y Sol Hotel in Los Cristianos
- trug zum Erfolg der Woche deutlich bei.
Behinderten-Ghetto oder barrierefreies Paradies?
Als ich das erste Mal vom Mar y Sol durch einen anderen
Thalidomider/Contergangeschädigten hörte, klang es für mich nach einem
Ferienalptraum: ein Hotel mit allen möglichen Einrichtungen, um es
behinderten Menschen zu ermöglichen, an allen Aspekten ihres Urlaubs
teilzuhaben; jedes Hotelzimmer rollstuhlgerecht, der Pool mit
verschiedenen Liften, alle Türen weit genug, und jeder Teil des Hotels ist
über Aufzüge und Rampen erreichbar; ein Hotel, was einen Pflegedienst
vor Ort hat, der für die persönliche Pflege beauftragt werden kann;
Physiotherapien und andere Anwendungen stehen zur Verfügung. Das
würde doch zu einem Behinderten-Ghetto führen, oder?
Mar Y Sol ist ein komplett barrierefreies Hotel mit der Möglichkeit,
Hilfsmittel direkt nebenan zu mieten: man kann Elektroscooter und
elektrische Rollstühle mieten, barrierefreie Minibusse für den
Flughafentransfer und Ausflüge zu den Inselsehenswürdigkeiten stehen
ebenfalls zur Verfügung.
Und dann macht das plötzlich Sinn, vor allem wenn man über 150 Leute
mit den verschiedenartigsten Schädigungen in unterschiedlichen
Schweregraden zusammenbringt, von denen viele unabhängig anreisen,
teilweise von so weit weg wie Australien und Amerika.
Ja, wie werden von einer MENGE anderer behinderter Menschen umringt
sein. Aber das sind andere Thalidomider/Contergangeschädigte. Meine
vergangenen Erfahrungen der gemeinsamen Woche waren wirklich eine
wertvolle Erinnerung und ein außerordentlicher Genuss. Diese Leute sind
alles Freunde - einige kenne ich über 20 Jahre und mit einigen muss ich
erst noch Bekanntschaft schließen.
Meine Tochter Lois und ich flogen los mit einem frühen Morgenflug ab
Gatwick. Wie vorab organisiert wurden wir am Flughafen Teneriffa von
LeRo abgeholt, der Gesellschaft, die mit dem Hotel in Bezug auf das
Thema Behinderung und Mobilität sowie barrierefreien Transport
zusammenarbeitet.
Unser Hotelzimmer war großräumig - ein großer Wohnbereich mit einer
Küchenzeile, einem barrierefreien Badezimmer mit Duschkopf von oben
UND einer zusätzlichen befahrbaren Dusche. Das separate Schlafzimmer
wies viel Stauraum und einen Balkon auf. Na gut, das Ganze war im Stil
der 80er, aber es war blitzsauber und super in Schuss.
Das Drumherum
Die deutschen Organisatoren der Woche hatten an alles gedacht. Mehrere
Ausflüge waren vorab organisiert wurden, zu denen wir uns anmelden
konnten. Außerdem hab es verschiedene Workshops - Herstellung von
Schmuck, Photographie, Salsa Tanzen, Singen und Joga. Es war schön zu
wissen, dass man so viel oder so wenig tun konnte, wie man wollte. Das
Wichtigste war, dass wir an einem Platz zusammengebracht worden
waren.
Lois und ich meldeten uns für den Wal- und Delphinbeobachtungstour per
Boot und den Spanischen Abend an. Der Bootsausflug war sehr
ereignisreich - ein großes Boot voller Thalidomider/Contergangeschädigter
und ziemlich starkem Seegang. Bald wankten schon die ersten Leute über
Deck, ziemlich grün um die Nasen. Ich hatte selbst Erfahrung mit
Seekrankheit gemacht, daher taten mir die Armen sehr leid, während wir
mehr als zwei Stunden durch das Meer fuhren auf der Suche nach Walen
und Delphinen. Bald fühlte ich mich auch komisch, aber das war wohl
mehr das Ergebnis daraus, dass ich Leute in verschiedenen Stadien der
Seekrankheit beobachten konnte.
Als wir dann endlich Anker warfen zum Mittagessen, wurde das Meer
ruhiger. Ein leckeres Essen aus gebratenem Hähnchen, Salat, Reis und
Fleischbällchen wurde uns serviert. Die zur Verfügung gestellten Tabletts
waren schon eine Herausforderung, insbesondere für uns Kurzarmer oder
ohne Schoß zum Abstellen!
Leider sahen wir keine Grindwale aber dafür jede Menge Delphine.
Am dritten Tag unseres Urlaubs fuhr ich mit anderen los, um das Zentrum
der Insel zu besuchen. Ich schäme mich zu sagen, dass ich in der
Vergangenheit noch nie außerhalb von Los Cristianos war aufgrund des
Rollstuhles - aber mit einem Mietwagen und jemand anderes als Fahrer
machten wir uns auf den Weg in den Nationalpark.
Der Ausblick änderte sich dramatisch mit jeder Kurve in der Straße Kiefernwälder, Mondlandschaften, erstarrte Lavaflüsse, farbenreiche
Felsschichten. Was mich am meisten beeindruckte, war die perfekte und
absolute Stille, sobald der Motor ausgeschaltet war.
Der spanische Abend war sehr heiß. Wir fuhren über enge Straßen und
Haarnadelkurven in die Berge, als die Sonne unterging, sehr spannend,
wenn man in einem 52-sitzigen Reisebus unterwegs ist! Steile Abhänge
auf der einen Seite mit atemberaubender Aussicht auf das Meer. Wir
waren vorgewarnt, es würde wesentlich wärmer sein und es gäbe viele
Mücken. Es war heiß! Wir saßen mit ca. 150 Leuten in einem großen Zelt,
wo wir mit Lokalspezialitäten wie Tortillas, Kichererbsen in Tomatensauce,
Suppe, Wurst und Käse uns Spanferkel verwöhnt wurden. Wein und
Sangria flossen reichlich - aber ehrlich gesagt, es war so warm, dass die
meisten eher große Mengen an nichtalkoholischen Getränken zu sich
nahmen. Der örtliche Kulturverein sorgte für die Unterhaltung - Tänze in
traditionellen Kostümen. Außerdem wurde gesungen, eine Traditionsband
trat auf und es wurde Flamenco getanzt.
Und die abendliche Aufregung war noch nicht vorbei. Glücklicherweise
entschieden Lois und ich, mit einem der kleineren barrierefreien Busse
zurückzufahren. Der größte Bus fuhr vor uns los. Als wir um eine der
Kurven fuhren blickte uns die Rückseite des großen Busses an. Er hatte
eine Panne! Die gesamte Elektrik war ausgefallen. Da begann das
spannende Manöver, die kleineren Busse an dem großen vorbei zu
schleusen, mit nur wenigen Zentimetern Luft zwischen den
Außenspiegel. Später hörten wir, dass die kleineren Busse zurückgekehrt
waren, um die gestrandeten Buspassagiere einzusammeln.
Treffen des Mobility Cube
Ich hatte die Möglichkeit, ein 'Mobility Cube' auszuprobieren. Dabei
handelt es sich um einen Segway-basierenden Rollstuhl, der dem
deutschen Thalidomider/Contergangeschädigten Stefan Stoffel Keekamm
gehörte. Der Entwickler dieser erstaunlichen Fahrzeuge war
passenderweise gerade auf Teneriffa in Urlaub und kam zum Hotel, so
dass verschiedene von uns das Mobility Cube ausprobieren konnten unter
entsprechendem Versicherungsschutz.
Ich hatte Stefan auf seinem Mobility Cube im Hotel gesehen und war wie
viele andere fasziniert und daran interessiert, wie es funktioniert! Es
handelt sich um eine stabile und solide gearbeitete Maschine, mit deren
Hilfe man aufgrund der beiden massiven Räder auch gut im Gelände
fahren kann.
Es ist keine Kraft notwendig, sich aufrecht zu halten, und die
Geschwindigkeit wird durch leichte Vorwärts- und
Rückwärtskörperbewegungen geregelt. Gesteuert wird über den Tförmigen Lenker, der nach rechts und links bewegt wird.
Es war fantastisch, so etwas ausprobieren zu können, was sonst nur mit
erheblichem Reiseaufwand möglich gewesen wäre. Die Kosten liegen bei
ungefähr £2.950 (für das Basismodels), aber es scheint leider so, dass
man es derzeit nicht auf dem Bürgersteig oder der Straße in
Großbritannien nutzen kann. Ich bin mir allerdings sicher, dass ein solcher
Segway-basierender Rollstuhl in Kürze die Norm sein wird.
Es ist gut, miteinander zu reden
Der Höhepunkt des Urlaubes war für mich, die Zeit mit anderen
Thalidomidern/Contergangeschädigten um den Pool oder an der Bar zu
verbringen, während des Abendessens zu sprechen - Erinnerungen von
vergangenen Veranstaltungen auszutauschen und zu erfahren, was in den
anderen Ländern in Bezug auf Thalidomid passierte.
An einem Abend hatten wir die Ehre, einer Aufführung von "50 Años de
Vergũenza" (Fifty years of Thalidomide) beizuwohnen. Das war ein
preisgekrönter Dokumentarfilm der spanischen Regisseure Javier Almela,
Fernando Rodríguez und Ana Salar.
Es war sowohl ein gewaltiger als auch zum Nachdenken anregender Film er enthält Interviews mit ca. 50 Personen aus den ganzen Welt,
einschließlich Martin Johnson (ex-Direktor des Thalidomide Trust), Fred
Dove (deutscher Contergangeschädigter, der in Großbritannien lebt) und
Craig Millward (britischer Thalidomider).
Liebevoller Abschied
Unser letzter Abend kam viel zu schnell. Die ganze Gruppe traf sich zu
einem Cabaret-Abend mit Vorführungen der Hotelmitarbeiter,
Workshopleiter, Deutschen, Schweden sowie englischsprechenden
Vertretern. Obwohl einiges durch die Übersetzungen verloren ging, gab es
viel Gelächter und Applaus. Der Workshop „Singen“ führte seine Version
des Beatles-Song "Yesterday" vor.
Im Rezeptionsbereich gab es eine ruhige Ecke, die in Rot, Gelb und
Orange geschmückt war. Hier brannten viele Kerzen neben Papierzetteln,
die die Namen der Thalidomider/Contergangeschädigten, die nicht mehr
unter uns weilen, aufwiesen. Ich fügte einige der britischen Thalidomider
hinzu, die ich zu meinen Freunden zählen durfte - Janette Cooke, Rob
Moreton, Tina Gallagher, Veronica Packham, David Loughran ...
Hier in Großbritannien halten wir Thalidomider es manchmal für
selbstverständlich, regelmäßigen Kontakt untereinander zu genießen; dass
wir Zugang haben zum immer größeren Erfahrungsschatz und Wissen,
was den Thalidomide Trust ausmacht. Reisen ist einfach innerhalb unserer
kleinen Inselgruppe. Die Möglichkeit, Thalidomider/Contergangeschädigte
aus anderen Ländern und Kontinenten zu treffen ist eine ungleubliche
Gelegenheit, an der ich froh bin, teilgehabt zu haben.