Medialisierte Welten

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Medialisierte Welten
Wissen und Medien - „Mediatisierte Welten“
Wolfgang Sucharowski und Bastian Schwennigcke
1. Die Problemstellung
Friedrich Krotz benutzt den Term „mediatisierte Welten“, um die Kommunikation im medialen und gesellschaftlichen Wandel erklären zu können
(Krotz 2007, Krotz 2008). Dabei geht es um die Klärung von Fragen im
Feld der Handlungs- und der Interaktionsformen sowie der damit verbundenen Kommunikationsweisen, die Rolle von Netzwerken und ihre Nutzung im privaten und beruflichen Bereich und ihre Konsequenz in Formen
von Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung. Eine entscheidende
Rolle kommt den Kontexten zu (Sucharowski 2010), denn in diesen sind
diese mediatisierten Welten eingebettet. Sie sind so Teil von sozialen Feldern.
Die Problemstellung der Kommunikation in einer Informationsgesellschaft
besteht in der Multiplizierung von Informationen und der daraus folgenden
Verschärfung des Kontingenzproblems der Kommunikation. Kommunikation ist auf Basis der Perspektive der doppelten Kontingenz latent unattraktiv, weil nie ganz klar ist, wie jemand mit einer Kommunikation erreicht
werden kann und was dann thematisiert werden muss, um die gewählte
Kommunikation attraktiv für Rezipienten zu machen. Diese Problematik
verschärft sich bei Zunahme der Kommunikationsangebote noch. Damit
stellt sich die informationelle Differenzierung einer Gesellschaft als ein
Kommunikationsproblem dar, das mit der Motivierung zur Kommunikation
in einem Feld offener, nicht gesicherter Mechanismen der Auswahl von
Kommunikationen und den zu ihr passenden, epistemisch wirksamen Hintergründen konfrontiert ist (Sienholz; Baecker 2007, S. 179).
Uns interessieren die Ausdifferenzierungen der Formen am Beispiel des
Informationsbereichs. Nachrichten werden auf zum Teil hochgradig personalisierten Onlineportalen veröffentlicht und dort ausgetauscht. Das führt
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zu veränderten Anforderungen an die bisher weitgehend von Journalisten
geprägte Praxis der Nachrichtenverbreitung. Die Nachrichtenmeldungen
finden sich als Text-Bild und Videoclips auf Onlineportalen von Nutzern
mit
ganz
unterschiedlichen
Motivationen
und
lösen
Folge-
Kommunikationen in Emails, Chats, Blogs und Foren aus. Der Charakter
der Nachrichten verändert sich in diesen Kommunikationsformen hinsichtlich seiner pragmatischen Implikationen und damit verbunden möglicherweise auch in seinen semantischen Ansprüchen. Die Kommunikation wird
so systematisch ausgeweitet und verliert zugleich ihre Sicherheit, sie wird
Risiko behaftet (Donick 30.01.2009).
Die Idee, dass Rezipienten auch unter komplexen sozialen Bedingungen
wissen können, was gerade kommuniziert wird, führt zu der hier leitenden
Frage, ob es einen theoretischen Zugang zu diesen Prozessen gibt, der
nicht mehr klären muss, was bei den Rezipienten im Einzelnen abläuft,
sondern wie Kommunikationen sich selbst daraufhin beobachten, dass
gewusst werden kann, was kommuniziert wird. Werden also durch Kommunikation selbst die Bedingungen dafür geschaffen, dass Kommunikation als solche erkannt und verstanden wird? Und kann man im Rahmen
einer Kommunikationstheorie diejenigen Operationen beschreiben, die es
Rezipienten erlauben, auf Kommunikation reagieren zu können und diese
sinnvoll weiter zu betreiben? Die Perspektive der Mediatisierung erscheint
dann in einem neuen Licht, da nun nicht mehr allein von Interesse ist, welche technischen Neurungen es gibt und wie damit umgegangen wird,
sondern ob und inwieweit diese technischen Neuerungen einen Versuch
darstellen, (Un-)Sicherheit im obigen Sinne für Kommunikation zu schaffen. Der Begriff des Mediums ist dann keiner mehr, der allein die Erscheinungsform und Anordnung von Daten klärt. Das wäre die Frage, wie triviale Maschinen mit Daten umgehen. Der Begriff des Mediums geht im Rahmen menschlicher Kommunikation darüber hinaus. Die These lautet, dass
menschliche Kommunikation am Begriff des Mediums stets klärt, wie Daten als für die Kommunikation relevant erkannt und bewertet werden können, d.h. in Sinnhorizonten funktional werden und auf ihre Funktionalität
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hin auch beobachtet werden. Mediatisierung ist damit immer mit Prozessen des Erkennen Könnens und Verarbeiten Könnens von Kommunikation
verbunden und geht über die technische Algorithmik der Medialität hinaus,
ohne diese in ihrer Variabilität und Weiterentwicklung aus dem Blick zu
verlieren. (Ernst 17.08.2008)
2. Die Medienperspektive
Die Frage ist nun, wie lassen sich solche Prozesse beobachten und
beschreiben. In seinem Band „Form und Formen der Kommunikation“
schlägt Dirk Baecker vor, Medien nach Verbreitungs- und Erfolgsmedien
zu unterscheiden (Baecker 2007). Das erlaubt, sicher zwischen den
Formaten und Inhalten zu differenzieren. Fritz Heider (1926) hat in seinem
Beitrag „Ding und Medium“ darüber nachgedacht, wie wir über etwas
reden können, was wir an sich gar nicht mehr wahrnehmen (Heider 2005).
So nehmen wir Dinge der Außenwelt wahr, ohne uns ihrer bewusst zu
werden und doch ermöglichen sie uns Erkenntnisse. So geschieht es mit
Licht, Schall oder Luft. Vergleichbares ist feststellbar und darauf hat
erstmals
Harald
A.
Innis
(1951)
mit
der
Arbeit
„The
Bias
of
Communication“ aufmerksam gemacht, wenn wir mit Medien wie der
Schrift, dem Buchdruck oder der Elektrizität umgehen. Niklas Luhmann
(1997) hat daher ausgehend von Talcott Parson (1977) in seinem Band
„Die
Gesellschaft
der
Gesellschaft“
eine
Theorie
der
Kommunikationsmedien entworfen, in der er Sprache, Schrift, Buchdruck,
Fernsehen und Internet von Medien des Erfolgs wie Geld, Macht,
Wahrheit, Glauben, Recht, Liebe und Kunst abtrennt (Luhmann 2005, S.
212–240).
Diese Differenzierung erlaubt es, das Phänomen Nachricht zum einen
unter dem Aspekt seiner Verbreitung zu betrachten und den damit
verbundenen Risiken. Andererseits kann Nachricht als Teil eines
Mediums, das unter den Themen Geld, Recht oder Macht fassbar wird,
analysiert
3
und
mit
den
da
auftretenden
Eigenschaften
näher
charakterisiert und als stabil-instabiler, kommunikativer Gegenstand
erörtert werden.
3. Die Nachricht und das Medium
Dirk Baecker entwirft auf diesem Hintergrund eine differenztheoretische
Perspektive, die uns das Phänomen und die damit verbundenen Probleme
fassbarer machen hilft. Er schlägt in einem ersten Schritt vor, eine
Unterscheidungsleistung in der Medienkommunikation zugrunde zu legen,
die er, wie folgt, charakterisiert: „Medien motivieren, indem sie Bestimmtes
erwartbar machen und alles andere offen lassen.“ (Baecker 2007, S. 179)
Das so Bestimmte kann dann schrittweise ausdifferenziert werden. Jede
dieser Spezifizierungen ist zugleich der Ausschluss bisher offen
gebliebener Möglichkeiten. Eine Nachricht ist daher nie etwas, was für
sich
steht.
Sie
braucht
eine
Motivation,
die
aus
vorhandenen
Möglichkeiten auswählt und diese Auswahl wird nur kommunikativ
verstanden werden, wenn sie als Selektion nachvollzogen werden kann.
Sie gewinnt an Attraktivität, wenn das, was offen bleibt, von möglichst
vielen mit wahrgenommen wird. Die Motivation bezieht sich auf das
ausgewählte Verbreitungsmedium einerseits und andererseits auf ein
intendiertes Erfolgsmedium. Aus beidem speisen sich dann mögliche
kommunikative Anschlusshandlungen.
3.1
Nachricht als Verbreitungsmedium
Verbreitungsmedien thematisieren die Erreichbarkeit der Rezipienten auf
dem
Hintergrund
ihrer
Nicht-Erreichbarkeit.
Entscheidend
für
die
Kommunikation ist hierbei nicht das technische Problem und seine
Lösungen,
sondern
die
Möglichkeit
eines
Empfängers,
ein
Kommunikationsangebot abzulehnen, aber auch des Senders, ein solches
anzubieten. Erst wenn diese Akte der Ablehnung bzw. des Angebotes
vollzogen werden, ist das Medium sozial und individuell konstituiert.
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Kommunikation setzt insofern immer Erreichbarkeit und Akzeptanz
voraus.
Eine Zeitung kann ich kaufen oder nicht. Die Nachricht darin kann ich
glauben oder ablehnen. Was eine Nachricht ist, kann ich aufgrund der
Alltagspraxis Zeitung von anderen Informationen unterscheiden und als
Teil
des
Verbreitungsmediums
Zeitung
verstehen.
Das
Verbreitungsmedium Blog stellt sich da bereits anders dar. Das beginnt
damit, dass es nicht allen vertraut ist und daher gruppenspezifisch
funktioniert. In diesen Gruppen scheint der Austausch von Texten
etabliert. Ob die Verbreitung von Nachrichten allerdings den Regeln wie in
einer Zeitung folgt, ist nicht sicher und eher unwahrscheinlich. Dieses
Verbreitungsmedium hat bisher keine bekannten und anerkannten Formen
dafür in der Kommunikationspraxis allgemein entwickelt und unterscheidet
sich in diesem Punkt vom Medium Zeitung, wo bereits die Orte der
Verbreitung
Hinweise
geben
können,
was
mit
dem
Geäußerten
geschehen soll. Denn welche Art von Text auf der jeweiligen Seite einer
Zeitung steht, ist bei etablierten Zeitungen nicht frei. Bei den Texten in
Blogs hängt es von der individuellen Leseerfahrung des Nutzers ab, mit
welchen Kommunikationspraktiken er die Texte rezipiert und hinreichend
Unterscheidungsleistungen erbringen kann, um das mit den Texten
Geäußerte zu verstehen. Erst systematische Forschung wird klären
können, nach welchen Regeln dieses bei den beteiligten Interakteuren
erfolgt und welche Konsequenzen sich daraus für diese Kommunikation
ableiten lassen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, die sich erstmals bei
der Mail-Kommunikation gestellt hat, inwieweit das alte Medium Brief bzw.
im
zitierten
Fall
die
Zeitung
als
Orientierung
stiftendes
Verbreitungsmedium gilt oder ob sich bereits eigene Regeln im „neuen“
Medium
selbst
etablieren
konnten,
wie
das
im
Fall
der
Mail-
Kommunikation zu sein scheint. An dieser Stelle können Diskussionen bei
den Online Zeitungen interessante Hinweise geben, in denen mit großer
Ernsthaftigkeit darüber gestritten wird, ob eine Nachricht in einer Online
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Zeitung in rotem Farbcode und mit anderen Fonts als bisher in der Zeitung
präsentiert werden sollte. Die Wahl einer farbigen und mit anderen Fonts
präsentierten Nachricht könnte nämlich nicht mehr als Nachricht
verstanden werden. Andererseits ist eine Online Zeitung kein Printmedium
und von daher möglicherweise ein anderes Verbreitungsmedium, in dem
die
Wahrnehmung
einer
Nachricht
als
Nachricht
bei
mögliche
Rezipientengruppen anderen Regeln folgt als im Printangebot. Um diese
Andersartigkeit des Verbreitungsmediums anzuzeigen, wäre es dann
geboten, von der Präsentation des Printmediums unterscheidbar zu sein
und genau das könnten dann die Farbe und andere Fonts leisten. Der
Streit basiert daher nicht auf Fragen des Geschmacks oder der Ästhetik,
sondern hat mit der Sicherheit von Kommunikation zu tun und entsteht
aufgrund der Unsicherheiten im neuen Verbreitungsmedium.
Nachricht und „Erfolgsmedium“
3.2
Nachrichten können sich die Unterscheidungsleistung der Erfolgsmedien
zunutze machen. Hier eröffnet sich ein Differenzraum, den Niklas
Luhmann (1994) als einen Unterscheidungsraum charakterisiert, wo durch
thematische
Zuschreibungen
unwahrscheinliche
in
wahrscheinliche
Kommunikation transformiert wird. Denn es wird im Akt einer Auswahl
etwas hervorgebracht, was anderes ausschließt und genau das löst die
Attraktivität aus. Im Vermeiden der einen „Kommunikation“ gewinnt also
die gewählte ihre besondere Bedeutung.
Übertragen auf die Nachricht heißt das, das Erfassen bzw. Ansprechen
dessen, was in der Nachricht nicht gesagt wird, macht die Nachricht
kommunikativ attraktiv und zugleich risikobehaftet. Wenn die Nachricht im
Kontext
eines
Erfolgsmediums
wahrgenommen
wird,
kann
die
beschriebene Wirkung eintreten. Es gibt dann Rezipienten, die über
entsprechende Selektionen verfügen, um die Differenzleistung im Sinne
eines
Erfolgsmediums
Erfolgsmedium,
6
das
erbringen
als
ein
zu
können.
symbolisch
Als
ein
solches
generalisiertes
Kommunikationsmedium von Niklas Luhmann (1994, S. 316) bezeichnet
wurde, wird beispielsweise das Themenfeld Macht angesehen (2007, S.
213–215).
Es
gibt
typische
Erwartungen
über
Handlungen
von
Herrschenden und den davon Betroffenen, die nur auf einem bestimmten
Hintergrund toleriert und akzeptiert werden. Das Geäußerte muss daher
so angelegt sein, dass das darin Angezeigte diesen Differenzraum stabil
hält, wenn es Erfolg haben will. Erzeugt das Geäußerte einen anderen, ist
die Wirkung gefährdet oder tritt erst gar nicht ein. Das setzt Kenntnisse
und Erfahrungen der Selektionspraktiken im Hinblick auf ein solches
Erfolgsmedium voraus.
Eine Nachricht, die einen Inhalt zum Gegenstand hat, der dieses Feld
berührt, motiviert zu einer entsprechenden Unterscheidungsleistung. Der
Wert der Nachricht ließe sich daran bemessen, ob es ihr gelingt,
Zustimmung aufgrund der Ablehnung eines dazu gehörenden Kontextes
auszulösen.
Die
Einführung
einer
Steuer
beispielsweise
dürfte
grundsätzlich abgelehnt werden. Dass für Reiche eine Steuer eingeführt
werden soll, fände aber wahrscheinlich Zustimmung, weil man selbst nicht
betroffen ist. Oder ein anderes Beispiel könnte sein, eine Regierung
beschließt eine neue Mehrwertsteuer, die Renten seien sonst nicht mehr
zahlbar. Als potentieller Rentenempfänger würde die Steuererhöhung
akzeptiert.
Das Erkennen der Dinge durch eine Nachricht findet sich also nicht bloß
im in der Nachricht selbst Geäußerten. Die Nachricht erzeugt darüber
hinaus eine Differenzwahrnehmung zu dem nicht Gesagten, wenn ein
Bezug zu einem Erfolgsmedium herstellbar ist. Deswegen wird ein
entsprechender Hintergrund auch gesellschaftlich präsent gehalten. So
verwundert es nicht, wenn Zeitungen mit Nachrichten sehr unterschiedlich
umgehen, obwohl der ihr zugrunde liegende Tatbestand derselbe ist.
Bildzeitung und FAZ profilieren sich eben unter dem Aspekt möglicher
Erfolgsmedien anders, wenn mit dem Geäußerten Differenzräume
unterschiedlich intensiv aktiviert werden. Je stärker das geschieht, umso
stabiler sind der Hintergrund und die Erwartung auf einen kommunikativen
7
Erfolg. Möglich ist auch, ganz unterschiedliche Differenzräume zu
etablieren.
3.3
Ein Beispiel aus der Werbung
Erfolgsmedien spielen in der Werbung eine wichtige Rolle. Sie müssen
zum ersten kommunizierbar sein und zum zweiten sollen sie alternative
Kommunikation
ausschließen,
da
ein
Objekt
oder
eine
Handlungsobligation ins Zentrum gerückt werden soll, die eine andere
zugleich ausschließt. Dafür ist eine aktuelle Werbekampagne eines
Hörgeräte-Akustikers ein interessantes Beispiel.
Quelle: http://www.hoeren-macht-schoen.de/ (18.03.2010)
In einem Werbespot sitzt der Werbeträger Mario Adorf in einem Lokal, ist
dem Zuschauer zugewandt positioniert und spricht darüber, dass er zum
Glück keine Brille brauche, sich dafür aber umso mehr gesträubt habe,
wegen
seines
schlechter
gewordenen
Hörvermögens
zum
Hörgeräteakustiker zu gehen. Dabei sei gutes Hören doch so wichtig. Und
man sähe die Geräte heute gar nicht mehr. Adorf wendet seinen Kopf und
zeigt sein linkes Ohr in die Kamera, während er mit dem linken Zeigefinger
zusätzlich auf das Ohr zeigt. Inzwischen fällt am Nachbartisch kaum
hörbar ein Gegenstand zu Boden. Adorf wendet sich daraufhin elegant um
und lächelt entspannt der an diesem Nachbartisch sitzenden jungen Dame
zu, die ungezwungen und ebenso entspannt zurücklächelt. Der Spot endet
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mit Adorfs Rat, die Scheu vor einem Besuch beim Hörgeräteakustiker
abzulegen und diesen aufzusuchen. Er wiederholt, lächelnd seinen Rat
etwas lauter sprechend. Danach spricht eine warme, jung klingende
Frauenstimme den Leitsatz der Kampagne „Denn Hören macht schön“.
Die Werbung operiert hier mit dem bekannten und verbreiteten Motiv des
Körpers in seiner Unversehrtheit. Der heile Körper findet Zustimmung auf
dem Hintergrund des Kranken, Verunstalteten und Hässlichen. Im Begriff
des Erfolgsmediums ist die Darstellung im Werbespot gewissermaßen
eine Wette darauf, ob es in der Perspektive der Rezipienten gelingt, das
beworbene Produkt als Aspekt des gesunden Körpers vor dem
Hintergrund des versehrten und den damit verbundenen Makeln zu
etablieren. Die Körperlichkeit wird hier ganz allgemein zur Adresse einer
Klärung, über was kommuniziert werden soll und welche Aspekte vor
diesem Vordergrund in den Hintergrund treten, bzw. diesen als
kontextuelle Ressource der Kommunikation erst konstituieren. Die
Kommunikation „Gehen Sie zum Hörgeräteakustiker!“ kann demnach nur
attraktiv sein, wenn sie sich für den Rezipienten plausibel von den „guten
Gründen ihrer Ablehnung“ (Baecker 2007, S. 212) abhebt.
Insofern verwundert es nicht, dass der Spot mit einem Hinweis des
Werbeträgers beginnt, er habe sich lange gegen den Weg zum
Hörgeräteakustiker
gesträubt.
Damit
wird
zunächst
ein
Ablehnungspotential für die Attraktivität dieses Weges ins Spiel gebracht.
Die durch den „Knopf im Ohr“ möglichen Themen der Kommunikation, die
beispielsweise in der möglichen bzw. als unbegründete Befürchtung
nahegelegte Sichtbarkeit des Gerätes, dem gestörten Körpergefühl, der
Abhängigkeit von einer technischen Prothese oder in der negativen
sozialen Fremdkonnotation bestehen können, werden dabei nicht explizit
gemacht, aber durch die Rede von der Vermeidung zumindest in
Reichweite gerückt. Dieser Hintergrund erlaubt es nun erst, die positiven
Seiten des Besuchs beim Hörgeräteakustiker zu inszenieren und zu
klären, worin die Attraktivität der Kommunikation „Sie brauchen ein
Hörgerät!“ besteht.
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Auf dem Hintergrund der Vermeidung der durch den Werbespot avisierten
Kommunikation lassen sich Themen etablieren und in den Vordergrund
rücken, die eine Beschäftigung mit der Wahrung und Wiederherstellung
körperlicher Ästhetik und ihrer Folgen im sozialen Raum erlauben. Die in
der weiteren Folge des Spots dargestellte gute Hör-Raum-Orientierung,
auf die in dem beiläufigen Flirtkontakt eine positive soziale Erfahrung folgt,
steht dem Kalkül der Werbeschaffenden nur deshalb zur Verfügung, weil
die thematische Alternative des unansehnlichen, von medizinischtechnischen Hilfsmitteln abhängigen Körpers gleichsam im Raum steht,
wenn auch verdeckt, wie das unsichtbare Hörgerät am Ohr des
Protagonisten „zeigt“.
3.4
Ausgeschlossenes macht Eingeschlossenes
kommunizierbar
Die Funktion des Erfolgsmediums besteht in der Inszenierung eines
paradoxen sowohl-als-auch-Motivs, das es dem Rezipienten erlauben soll,
sich
für
eine
Seite
zu
entscheiden
bzw.
sich
dieser
Entscheidungsmöglichkeit im Kontext vertrauter Kommunikationspraktiken
bewusst zu werden. Diese Möglichkeit zur Entscheidung ist das
Erfolgsmedium (Baecker 2007, S. 210–212). Damit basiert die Konsistenz
der Kommunikation im Erfolgsmedium und mit ihr die Kohärenz
kommunikativer Datensegmente auf der Möglichkeit, dass – wie im Fall
des Werbespots – jeder Inszenierungsschritt die Paradoxie der Annahme
einer Kommunikation unter der Bedingung ihrer möglichen Ablehnung reaktualisieren kann. Der Hintergrund des versehrten und kranken Körpers
erlaubt es darüber zu sprechen, wie das Tragen eines Hörgerätes zur
Unversehrtheit des Körpers und den damit verbundenen positiven
Erwartungen beitragen kann. Die Paradoxie des Erfolgsmediums bedingt
über das Ausgeschlossene die Themen des in die Kommunikation
Eingeschlossenen
zu
sichern.
Im
latenten
Offenhalten
dieses
Wechselspiels ist dann zugleich neben dem Ausschluss weiter reichender
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Themen auch eine Neubewertung im Sinne einer Weiterentwicklung
möglich.
Die Wirkung der Kommunikation im Erfolgsmedium klärt sich mit der
Frage, inwieweit treffen Rezipienten im Zuge der Herausbildung einer
Lesart des kommunikativen Angebotes Entscheidungen im angebahnten
Bezugsfeld und von welcher Art sind diese. Die differentielle Perspektive
erlaubt dabei die These binärer Konsistenz zu überschreiten, welche die
kommunikativen Anschlüsse nur auf Passung bzw. Nicht-Passung zum
kommunikativen Angebot hin beobachtet (Schneider 2009, S. 323–325).
Denn neben der Relation eines „entweder-oder“ erlaubt das paradoxe,
epistemische Motiv des Erfolgsmediums darüber hinaus „sowohl-alsauch“-Verbindungen zuzulassen (Simon 2008, S. 107), die besonders bei
der Neubewertung von Kommunikationspraktiken zum Tragen kommen,
aber darüber hinaus über Formen von Ironie oder Metaphorik bei der
Einsetzung von Erfolgsmedien grundsätzlich eine Rolle spielen.
Der Auswahlbereich der Wahrnehmung körperlicher Ästhetik kann hier im
Anschluss an Dirk Baecker als ein kommunikatives „Design“ beschrieben
werden, „an dem [eine Gesellschaft] überprüft, welche Abstimmung
zwischen Bewusstsein, Wahrnehmung und Kommunikation ihr jeweils
gelingt“ (2007, S. 244). Das Kommunikationsangebot der Werbung
versucht
demnach,
am
thematischen
Auswahlbereich
der
„Körperwahrnehmung“ sicherzustellen, womit über die Verbreitung hinaus
Aufmerksamkeit für eine Kommunikation über ein Objekt oder eine
Handlungsobligation erreicht werden kann und wie wahrscheinlich bzw.
unkalkulierbar rezeptive Effekte dabei sein werden. Immer dann, wenn
Rezipienten nicht dazu animiert werden können, eine Entscheidung im
Rahmen des genannten Bezugsfeldes zu treffen, d.h. einen Anschluss in
Form einer „weder-noch“- Relation zum differentiellen Auswahlbereich zu
wählen (Simon 2008, S. 107), ist das Erfolgsmedium als Strategie nicht
zum Tragen gekommen. Darunter leidet dann Kommunikation, die
trotzdem aufgrund des Verbreitungsaspekts möglich ist, sie ist für den
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Rezipienten aber nicht attraktiv und erzeugt nicht den mit dem
Erfolgmedium wirksamen Differenzraum.
4.
Mediatisierte Welten
Die gegenwärtige Gesellschaft ist weniger dadurch herausgefordert, dass
technische Entwicklungen in einem sehr hohen Tempo vonstatten gehen.
Solange diese im Rahmen der bekannten Medien verbleiben, sind sie im
Sinne von Verbesserungen des Bestehenden assimilierbar. Technische
Veränderungen bedeuten indes in der Regel auch mediale Neuerungen.
Das gilt meist zuerst für die Verbreitungsmedien. Sie erzeugen Varietäten
in der Kommunikationspraxis, die hinsichtlich ihrer Kommunizierbarkeit
dann noch nicht abgesichert sind und offene Kommunikationsräume initiieren, deren Nutzung ungewiss ist und insofern positive wie negative Auswirkungen auf die Kommunikation haben können. Positiv bzw. negativ
meint, dass die Sicherheit, was kommuniziert wird, verbessert wird oder
gefährdet ist. Das besondere Problem liegt im Fehlen eines Bewusstseins
dafür, weil die Rezipienten gewohnt sind, solche Varietäten im Kontext
bestehender Kommunikation zu sehen. Für die Erfolgsmedien entsteht
durch eine weitere Individualisierung der Kommunikation eine besondere
Situation, wie sie durch das Web 2.0 eingeleitet worden ist. Bestehende
Erfolgsmedien müssen sich in diesen veränderten Situationen erst neuerlich bewähren und das Entstehen neuer Medien wird schwerer abschätzbar, weil die gegenwärtig bestehenden und bekannten Kontrollmechanismen dafür nicht ausreichen.
5.
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12
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