Medialisierte Welten
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Medialisierte Welten
Wissen und Medien - „Mediatisierte Welten“ Wolfgang Sucharowski und Bastian Schwennigcke 1. Die Problemstellung Friedrich Krotz benutzt den Term „mediatisierte Welten“, um die Kommunikation im medialen und gesellschaftlichen Wandel erklären zu können (Krotz 2007, Krotz 2008). Dabei geht es um die Klärung von Fragen im Feld der Handlungs- und der Interaktionsformen sowie der damit verbundenen Kommunikationsweisen, die Rolle von Netzwerken und ihre Nutzung im privaten und beruflichen Bereich und ihre Konsequenz in Formen von Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung. Eine entscheidende Rolle kommt den Kontexten zu (Sucharowski 2010), denn in diesen sind diese mediatisierten Welten eingebettet. Sie sind so Teil von sozialen Feldern. Die Problemstellung der Kommunikation in einer Informationsgesellschaft besteht in der Multiplizierung von Informationen und der daraus folgenden Verschärfung des Kontingenzproblems der Kommunikation. Kommunikation ist auf Basis der Perspektive der doppelten Kontingenz latent unattraktiv, weil nie ganz klar ist, wie jemand mit einer Kommunikation erreicht werden kann und was dann thematisiert werden muss, um die gewählte Kommunikation attraktiv für Rezipienten zu machen. Diese Problematik verschärft sich bei Zunahme der Kommunikationsangebote noch. Damit stellt sich die informationelle Differenzierung einer Gesellschaft als ein Kommunikationsproblem dar, das mit der Motivierung zur Kommunikation in einem Feld offener, nicht gesicherter Mechanismen der Auswahl von Kommunikationen und den zu ihr passenden, epistemisch wirksamen Hintergründen konfrontiert ist (Sienholz; Baecker 2007, S. 179). Uns interessieren die Ausdifferenzierungen der Formen am Beispiel des Informationsbereichs. Nachrichten werden auf zum Teil hochgradig personalisierten Onlineportalen veröffentlicht und dort ausgetauscht. Das führt 1 zu veränderten Anforderungen an die bisher weitgehend von Journalisten geprägte Praxis der Nachrichtenverbreitung. Die Nachrichtenmeldungen finden sich als Text-Bild und Videoclips auf Onlineportalen von Nutzern mit ganz unterschiedlichen Motivationen und lösen Folge- Kommunikationen in Emails, Chats, Blogs und Foren aus. Der Charakter der Nachrichten verändert sich in diesen Kommunikationsformen hinsichtlich seiner pragmatischen Implikationen und damit verbunden möglicherweise auch in seinen semantischen Ansprüchen. Die Kommunikation wird so systematisch ausgeweitet und verliert zugleich ihre Sicherheit, sie wird Risiko behaftet (Donick 30.01.2009). Die Idee, dass Rezipienten auch unter komplexen sozialen Bedingungen wissen können, was gerade kommuniziert wird, führt zu der hier leitenden Frage, ob es einen theoretischen Zugang zu diesen Prozessen gibt, der nicht mehr klären muss, was bei den Rezipienten im Einzelnen abläuft, sondern wie Kommunikationen sich selbst daraufhin beobachten, dass gewusst werden kann, was kommuniziert wird. Werden also durch Kommunikation selbst die Bedingungen dafür geschaffen, dass Kommunikation als solche erkannt und verstanden wird? Und kann man im Rahmen einer Kommunikationstheorie diejenigen Operationen beschreiben, die es Rezipienten erlauben, auf Kommunikation reagieren zu können und diese sinnvoll weiter zu betreiben? Die Perspektive der Mediatisierung erscheint dann in einem neuen Licht, da nun nicht mehr allein von Interesse ist, welche technischen Neurungen es gibt und wie damit umgegangen wird, sondern ob und inwieweit diese technischen Neuerungen einen Versuch darstellen, (Un-)Sicherheit im obigen Sinne für Kommunikation zu schaffen. Der Begriff des Mediums ist dann keiner mehr, der allein die Erscheinungsform und Anordnung von Daten klärt. Das wäre die Frage, wie triviale Maschinen mit Daten umgehen. Der Begriff des Mediums geht im Rahmen menschlicher Kommunikation darüber hinaus. Die These lautet, dass menschliche Kommunikation am Begriff des Mediums stets klärt, wie Daten als für die Kommunikation relevant erkannt und bewertet werden können, d.h. in Sinnhorizonten funktional werden und auf ihre Funktionalität 2 hin auch beobachtet werden. Mediatisierung ist damit immer mit Prozessen des Erkennen Könnens und Verarbeiten Könnens von Kommunikation verbunden und geht über die technische Algorithmik der Medialität hinaus, ohne diese in ihrer Variabilität und Weiterentwicklung aus dem Blick zu verlieren. (Ernst 17.08.2008) 2. Die Medienperspektive Die Frage ist nun, wie lassen sich solche Prozesse beobachten und beschreiben. In seinem Band „Form und Formen der Kommunikation“ schlägt Dirk Baecker vor, Medien nach Verbreitungs- und Erfolgsmedien zu unterscheiden (Baecker 2007). Das erlaubt, sicher zwischen den Formaten und Inhalten zu differenzieren. Fritz Heider (1926) hat in seinem Beitrag „Ding und Medium“ darüber nachgedacht, wie wir über etwas reden können, was wir an sich gar nicht mehr wahrnehmen (Heider 2005). So nehmen wir Dinge der Außenwelt wahr, ohne uns ihrer bewusst zu werden und doch ermöglichen sie uns Erkenntnisse. So geschieht es mit Licht, Schall oder Luft. Vergleichbares ist feststellbar und darauf hat erstmals Harald A. Innis (1951) mit der Arbeit „The Bias of Communication“ aufmerksam gemacht, wenn wir mit Medien wie der Schrift, dem Buchdruck oder der Elektrizität umgehen. Niklas Luhmann (1997) hat daher ausgehend von Talcott Parson (1977) in seinem Band „Die Gesellschaft der Gesellschaft“ eine Theorie der Kommunikationsmedien entworfen, in der er Sprache, Schrift, Buchdruck, Fernsehen und Internet von Medien des Erfolgs wie Geld, Macht, Wahrheit, Glauben, Recht, Liebe und Kunst abtrennt (Luhmann 2005, S. 212–240). Diese Differenzierung erlaubt es, das Phänomen Nachricht zum einen unter dem Aspekt seiner Verbreitung zu betrachten und den damit verbundenen Risiken. Andererseits kann Nachricht als Teil eines Mediums, das unter den Themen Geld, Recht oder Macht fassbar wird, analysiert 3 und mit den da auftretenden Eigenschaften näher charakterisiert und als stabil-instabiler, kommunikativer Gegenstand erörtert werden. 3. Die Nachricht und das Medium Dirk Baecker entwirft auf diesem Hintergrund eine differenztheoretische Perspektive, die uns das Phänomen und die damit verbundenen Probleme fassbarer machen hilft. Er schlägt in einem ersten Schritt vor, eine Unterscheidungsleistung in der Medienkommunikation zugrunde zu legen, die er, wie folgt, charakterisiert: „Medien motivieren, indem sie Bestimmtes erwartbar machen und alles andere offen lassen.“ (Baecker 2007, S. 179) Das so Bestimmte kann dann schrittweise ausdifferenziert werden. Jede dieser Spezifizierungen ist zugleich der Ausschluss bisher offen gebliebener Möglichkeiten. Eine Nachricht ist daher nie etwas, was für sich steht. Sie braucht eine Motivation, die aus vorhandenen Möglichkeiten auswählt und diese Auswahl wird nur kommunikativ verstanden werden, wenn sie als Selektion nachvollzogen werden kann. Sie gewinnt an Attraktivität, wenn das, was offen bleibt, von möglichst vielen mit wahrgenommen wird. Die Motivation bezieht sich auf das ausgewählte Verbreitungsmedium einerseits und andererseits auf ein intendiertes Erfolgsmedium. Aus beidem speisen sich dann mögliche kommunikative Anschlusshandlungen. 3.1 Nachricht als Verbreitungsmedium Verbreitungsmedien thematisieren die Erreichbarkeit der Rezipienten auf dem Hintergrund ihrer Nicht-Erreichbarkeit. Entscheidend für die Kommunikation ist hierbei nicht das technische Problem und seine Lösungen, sondern die Möglichkeit eines Empfängers, ein Kommunikationsangebot abzulehnen, aber auch des Senders, ein solches anzubieten. Erst wenn diese Akte der Ablehnung bzw. des Angebotes vollzogen werden, ist das Medium sozial und individuell konstituiert. 4 Kommunikation setzt insofern immer Erreichbarkeit und Akzeptanz voraus. Eine Zeitung kann ich kaufen oder nicht. Die Nachricht darin kann ich glauben oder ablehnen. Was eine Nachricht ist, kann ich aufgrund der Alltagspraxis Zeitung von anderen Informationen unterscheiden und als Teil des Verbreitungsmediums Zeitung verstehen. Das Verbreitungsmedium Blog stellt sich da bereits anders dar. Das beginnt damit, dass es nicht allen vertraut ist und daher gruppenspezifisch funktioniert. In diesen Gruppen scheint der Austausch von Texten etabliert. Ob die Verbreitung von Nachrichten allerdings den Regeln wie in einer Zeitung folgt, ist nicht sicher und eher unwahrscheinlich. Dieses Verbreitungsmedium hat bisher keine bekannten und anerkannten Formen dafür in der Kommunikationspraxis allgemein entwickelt und unterscheidet sich in diesem Punkt vom Medium Zeitung, wo bereits die Orte der Verbreitung Hinweise geben können, was mit dem Geäußerten geschehen soll. Denn welche Art von Text auf der jeweiligen Seite einer Zeitung steht, ist bei etablierten Zeitungen nicht frei. Bei den Texten in Blogs hängt es von der individuellen Leseerfahrung des Nutzers ab, mit welchen Kommunikationspraktiken er die Texte rezipiert und hinreichend Unterscheidungsleistungen erbringen kann, um das mit den Texten Geäußerte zu verstehen. Erst systematische Forschung wird klären können, nach welchen Regeln dieses bei den beteiligten Interakteuren erfolgt und welche Konsequenzen sich daraus für diese Kommunikation ableiten lassen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, die sich erstmals bei der Mail-Kommunikation gestellt hat, inwieweit das alte Medium Brief bzw. im zitierten Fall die Zeitung als Orientierung stiftendes Verbreitungsmedium gilt oder ob sich bereits eigene Regeln im „neuen“ Medium selbst etablieren konnten, wie das im Fall der Mail- Kommunikation zu sein scheint. An dieser Stelle können Diskussionen bei den Online Zeitungen interessante Hinweise geben, in denen mit großer Ernsthaftigkeit darüber gestritten wird, ob eine Nachricht in einer Online 5 Zeitung in rotem Farbcode und mit anderen Fonts als bisher in der Zeitung präsentiert werden sollte. Die Wahl einer farbigen und mit anderen Fonts präsentierten Nachricht könnte nämlich nicht mehr als Nachricht verstanden werden. Andererseits ist eine Online Zeitung kein Printmedium und von daher möglicherweise ein anderes Verbreitungsmedium, in dem die Wahrnehmung einer Nachricht als Nachricht bei mögliche Rezipientengruppen anderen Regeln folgt als im Printangebot. Um diese Andersartigkeit des Verbreitungsmediums anzuzeigen, wäre es dann geboten, von der Präsentation des Printmediums unterscheidbar zu sein und genau das könnten dann die Farbe und andere Fonts leisten. Der Streit basiert daher nicht auf Fragen des Geschmacks oder der Ästhetik, sondern hat mit der Sicherheit von Kommunikation zu tun und entsteht aufgrund der Unsicherheiten im neuen Verbreitungsmedium. Nachricht und „Erfolgsmedium“ 3.2 Nachrichten können sich die Unterscheidungsleistung der Erfolgsmedien zunutze machen. Hier eröffnet sich ein Differenzraum, den Niklas Luhmann (1994) als einen Unterscheidungsraum charakterisiert, wo durch thematische Zuschreibungen unwahrscheinliche in wahrscheinliche Kommunikation transformiert wird. Denn es wird im Akt einer Auswahl etwas hervorgebracht, was anderes ausschließt und genau das löst die Attraktivität aus. Im Vermeiden der einen „Kommunikation“ gewinnt also die gewählte ihre besondere Bedeutung. Übertragen auf die Nachricht heißt das, das Erfassen bzw. Ansprechen dessen, was in der Nachricht nicht gesagt wird, macht die Nachricht kommunikativ attraktiv und zugleich risikobehaftet. Wenn die Nachricht im Kontext eines Erfolgsmediums wahrgenommen wird, kann die beschriebene Wirkung eintreten. Es gibt dann Rezipienten, die über entsprechende Selektionen verfügen, um die Differenzleistung im Sinne eines Erfolgsmediums Erfolgsmedium, 6 das erbringen als ein zu können. symbolisch Als ein solches generalisiertes Kommunikationsmedium von Niklas Luhmann (1994, S. 316) bezeichnet wurde, wird beispielsweise das Themenfeld Macht angesehen (2007, S. 213–215). Es gibt typische Erwartungen über Handlungen von Herrschenden und den davon Betroffenen, die nur auf einem bestimmten Hintergrund toleriert und akzeptiert werden. Das Geäußerte muss daher so angelegt sein, dass das darin Angezeigte diesen Differenzraum stabil hält, wenn es Erfolg haben will. Erzeugt das Geäußerte einen anderen, ist die Wirkung gefährdet oder tritt erst gar nicht ein. Das setzt Kenntnisse und Erfahrungen der Selektionspraktiken im Hinblick auf ein solches Erfolgsmedium voraus. Eine Nachricht, die einen Inhalt zum Gegenstand hat, der dieses Feld berührt, motiviert zu einer entsprechenden Unterscheidungsleistung. Der Wert der Nachricht ließe sich daran bemessen, ob es ihr gelingt, Zustimmung aufgrund der Ablehnung eines dazu gehörenden Kontextes auszulösen. Die Einführung einer Steuer beispielsweise dürfte grundsätzlich abgelehnt werden. Dass für Reiche eine Steuer eingeführt werden soll, fände aber wahrscheinlich Zustimmung, weil man selbst nicht betroffen ist. Oder ein anderes Beispiel könnte sein, eine Regierung beschließt eine neue Mehrwertsteuer, die Renten seien sonst nicht mehr zahlbar. Als potentieller Rentenempfänger würde die Steuererhöhung akzeptiert. Das Erkennen der Dinge durch eine Nachricht findet sich also nicht bloß im in der Nachricht selbst Geäußerten. Die Nachricht erzeugt darüber hinaus eine Differenzwahrnehmung zu dem nicht Gesagten, wenn ein Bezug zu einem Erfolgsmedium herstellbar ist. Deswegen wird ein entsprechender Hintergrund auch gesellschaftlich präsent gehalten. So verwundert es nicht, wenn Zeitungen mit Nachrichten sehr unterschiedlich umgehen, obwohl der ihr zugrunde liegende Tatbestand derselbe ist. Bildzeitung und FAZ profilieren sich eben unter dem Aspekt möglicher Erfolgsmedien anders, wenn mit dem Geäußerten Differenzräume unterschiedlich intensiv aktiviert werden. Je stärker das geschieht, umso stabiler sind der Hintergrund und die Erwartung auf einen kommunikativen 7 Erfolg. Möglich ist auch, ganz unterschiedliche Differenzräume zu etablieren. 3.3 Ein Beispiel aus der Werbung Erfolgsmedien spielen in der Werbung eine wichtige Rolle. Sie müssen zum ersten kommunizierbar sein und zum zweiten sollen sie alternative Kommunikation ausschließen, da ein Objekt oder eine Handlungsobligation ins Zentrum gerückt werden soll, die eine andere zugleich ausschließt. Dafür ist eine aktuelle Werbekampagne eines Hörgeräte-Akustikers ein interessantes Beispiel. Quelle: http://www.hoeren-macht-schoen.de/ (18.03.2010) In einem Werbespot sitzt der Werbeträger Mario Adorf in einem Lokal, ist dem Zuschauer zugewandt positioniert und spricht darüber, dass er zum Glück keine Brille brauche, sich dafür aber umso mehr gesträubt habe, wegen seines schlechter gewordenen Hörvermögens zum Hörgeräteakustiker zu gehen. Dabei sei gutes Hören doch so wichtig. Und man sähe die Geräte heute gar nicht mehr. Adorf wendet seinen Kopf und zeigt sein linkes Ohr in die Kamera, während er mit dem linken Zeigefinger zusätzlich auf das Ohr zeigt. Inzwischen fällt am Nachbartisch kaum hörbar ein Gegenstand zu Boden. Adorf wendet sich daraufhin elegant um und lächelt entspannt der an diesem Nachbartisch sitzenden jungen Dame zu, die ungezwungen und ebenso entspannt zurücklächelt. Der Spot endet 8 mit Adorfs Rat, die Scheu vor einem Besuch beim Hörgeräteakustiker abzulegen und diesen aufzusuchen. Er wiederholt, lächelnd seinen Rat etwas lauter sprechend. Danach spricht eine warme, jung klingende Frauenstimme den Leitsatz der Kampagne „Denn Hören macht schön“. Die Werbung operiert hier mit dem bekannten und verbreiteten Motiv des Körpers in seiner Unversehrtheit. Der heile Körper findet Zustimmung auf dem Hintergrund des Kranken, Verunstalteten und Hässlichen. Im Begriff des Erfolgsmediums ist die Darstellung im Werbespot gewissermaßen eine Wette darauf, ob es in der Perspektive der Rezipienten gelingt, das beworbene Produkt als Aspekt des gesunden Körpers vor dem Hintergrund des versehrten und den damit verbundenen Makeln zu etablieren. Die Körperlichkeit wird hier ganz allgemein zur Adresse einer Klärung, über was kommuniziert werden soll und welche Aspekte vor diesem Vordergrund in den Hintergrund treten, bzw. diesen als kontextuelle Ressource der Kommunikation erst konstituieren. Die Kommunikation „Gehen Sie zum Hörgeräteakustiker!“ kann demnach nur attraktiv sein, wenn sie sich für den Rezipienten plausibel von den „guten Gründen ihrer Ablehnung“ (Baecker 2007, S. 212) abhebt. Insofern verwundert es nicht, dass der Spot mit einem Hinweis des Werbeträgers beginnt, er habe sich lange gegen den Weg zum Hörgeräteakustiker gesträubt. Damit wird zunächst ein Ablehnungspotential für die Attraktivität dieses Weges ins Spiel gebracht. Die durch den „Knopf im Ohr“ möglichen Themen der Kommunikation, die beispielsweise in der möglichen bzw. als unbegründete Befürchtung nahegelegte Sichtbarkeit des Gerätes, dem gestörten Körpergefühl, der Abhängigkeit von einer technischen Prothese oder in der negativen sozialen Fremdkonnotation bestehen können, werden dabei nicht explizit gemacht, aber durch die Rede von der Vermeidung zumindest in Reichweite gerückt. Dieser Hintergrund erlaubt es nun erst, die positiven Seiten des Besuchs beim Hörgeräteakustiker zu inszenieren und zu klären, worin die Attraktivität der Kommunikation „Sie brauchen ein Hörgerät!“ besteht. 9 Auf dem Hintergrund der Vermeidung der durch den Werbespot avisierten Kommunikation lassen sich Themen etablieren und in den Vordergrund rücken, die eine Beschäftigung mit der Wahrung und Wiederherstellung körperlicher Ästhetik und ihrer Folgen im sozialen Raum erlauben. Die in der weiteren Folge des Spots dargestellte gute Hör-Raum-Orientierung, auf die in dem beiläufigen Flirtkontakt eine positive soziale Erfahrung folgt, steht dem Kalkül der Werbeschaffenden nur deshalb zur Verfügung, weil die thematische Alternative des unansehnlichen, von medizinischtechnischen Hilfsmitteln abhängigen Körpers gleichsam im Raum steht, wenn auch verdeckt, wie das unsichtbare Hörgerät am Ohr des Protagonisten „zeigt“. 3.4 Ausgeschlossenes macht Eingeschlossenes kommunizierbar Die Funktion des Erfolgsmediums besteht in der Inszenierung eines paradoxen sowohl-als-auch-Motivs, das es dem Rezipienten erlauben soll, sich für eine Seite zu entscheiden bzw. sich dieser Entscheidungsmöglichkeit im Kontext vertrauter Kommunikationspraktiken bewusst zu werden. Diese Möglichkeit zur Entscheidung ist das Erfolgsmedium (Baecker 2007, S. 210–212). Damit basiert die Konsistenz der Kommunikation im Erfolgsmedium und mit ihr die Kohärenz kommunikativer Datensegmente auf der Möglichkeit, dass – wie im Fall des Werbespots – jeder Inszenierungsschritt die Paradoxie der Annahme einer Kommunikation unter der Bedingung ihrer möglichen Ablehnung reaktualisieren kann. Der Hintergrund des versehrten und kranken Körpers erlaubt es darüber zu sprechen, wie das Tragen eines Hörgerätes zur Unversehrtheit des Körpers und den damit verbundenen positiven Erwartungen beitragen kann. Die Paradoxie des Erfolgsmediums bedingt über das Ausgeschlossene die Themen des in die Kommunikation Eingeschlossenen zu sichern. Im latenten Offenhalten dieses Wechselspiels ist dann zugleich neben dem Ausschluss weiter reichender 10 Themen auch eine Neubewertung im Sinne einer Weiterentwicklung möglich. Die Wirkung der Kommunikation im Erfolgsmedium klärt sich mit der Frage, inwieweit treffen Rezipienten im Zuge der Herausbildung einer Lesart des kommunikativen Angebotes Entscheidungen im angebahnten Bezugsfeld und von welcher Art sind diese. Die differentielle Perspektive erlaubt dabei die These binärer Konsistenz zu überschreiten, welche die kommunikativen Anschlüsse nur auf Passung bzw. Nicht-Passung zum kommunikativen Angebot hin beobachtet (Schneider 2009, S. 323–325). Denn neben der Relation eines „entweder-oder“ erlaubt das paradoxe, epistemische Motiv des Erfolgsmediums darüber hinaus „sowohl-alsauch“-Verbindungen zuzulassen (Simon 2008, S. 107), die besonders bei der Neubewertung von Kommunikationspraktiken zum Tragen kommen, aber darüber hinaus über Formen von Ironie oder Metaphorik bei der Einsetzung von Erfolgsmedien grundsätzlich eine Rolle spielen. Der Auswahlbereich der Wahrnehmung körperlicher Ästhetik kann hier im Anschluss an Dirk Baecker als ein kommunikatives „Design“ beschrieben werden, „an dem [eine Gesellschaft] überprüft, welche Abstimmung zwischen Bewusstsein, Wahrnehmung und Kommunikation ihr jeweils gelingt“ (2007, S. 244). Das Kommunikationsangebot der Werbung versucht demnach, am thematischen Auswahlbereich der „Körperwahrnehmung“ sicherzustellen, womit über die Verbreitung hinaus Aufmerksamkeit für eine Kommunikation über ein Objekt oder eine Handlungsobligation erreicht werden kann und wie wahrscheinlich bzw. unkalkulierbar rezeptive Effekte dabei sein werden. Immer dann, wenn Rezipienten nicht dazu animiert werden können, eine Entscheidung im Rahmen des genannten Bezugsfeldes zu treffen, d.h. einen Anschluss in Form einer „weder-noch“- Relation zum differentiellen Auswahlbereich zu wählen (Simon 2008, S. 107), ist das Erfolgsmedium als Strategie nicht zum Tragen gekommen. Darunter leidet dann Kommunikation, die trotzdem aufgrund des Verbreitungsaspekts möglich ist, sie ist für den 11 Rezipienten aber nicht attraktiv und erzeugt nicht den mit dem Erfolgmedium wirksamen Differenzraum. 4. Mediatisierte Welten Die gegenwärtige Gesellschaft ist weniger dadurch herausgefordert, dass technische Entwicklungen in einem sehr hohen Tempo vonstatten gehen. Solange diese im Rahmen der bekannten Medien verbleiben, sind sie im Sinne von Verbesserungen des Bestehenden assimilierbar. Technische Veränderungen bedeuten indes in der Regel auch mediale Neuerungen. Das gilt meist zuerst für die Verbreitungsmedien. Sie erzeugen Varietäten in der Kommunikationspraxis, die hinsichtlich ihrer Kommunizierbarkeit dann noch nicht abgesichert sind und offene Kommunikationsräume initiieren, deren Nutzung ungewiss ist und insofern positive wie negative Auswirkungen auf die Kommunikation haben können. Positiv bzw. negativ meint, dass die Sicherheit, was kommuniziert wird, verbessert wird oder gefährdet ist. Das besondere Problem liegt im Fehlen eines Bewusstseins dafür, weil die Rezipienten gewohnt sind, solche Varietäten im Kontext bestehender Kommunikation zu sehen. Für die Erfolgsmedien entsteht durch eine weitere Individualisierung der Kommunikation eine besondere Situation, wie sie durch das Web 2.0 eingeleitet worden ist. Bestehende Erfolgsmedien müssen sich in diesen veränderten Situationen erst neuerlich bewähren und das Entstehen neuer Medien wird schwerer abschätzbar, weil die gegenwärtig bestehenden und bekannten Kontrollmechanismen dafür nicht ausreichen. 5. Literatur Baecker, Dirk (2007): Form und Formen der Kommunikation. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 1828). Donick, Mario (30.01.2009): Musik als Verstehenskontext. last.fm und die Wirkung des "Scrobbelns". Vortrag im Rahmen der Tagung "Von 12 der Klasse zum Cluster". 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