Wie machen wir`s uns selbst?

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Wie machen wir`s uns selbst?
Fo t o s : A r c h i v
monstergirls
Wie machen wir‘s uns selbst?
Wie fing es an mit der Selbstorganisation von Feministinnen im Pop? Sonja Eismann
über starke Damenkapellen und die Power informeller Netzwerke seit den 1970er Jahren.
Die Notwendigkeit war natürlich mit dem vehementen Erstarken des Feminismus zu Beginn der 1960er Jahre, vor allem
in den USA, auf einmal ganz
plastisch da. In der Musik tobten die ultramaskulinen Protagonisten des „Pig
Rock” sich als vermeintliche soziale Revoluzzer aus – auf Kosten von Frauen,
gerne gepaart mit exotistischen rassistischen Stereotypen: man denke nur
an die Rolling Stones mit frauenverachtenden Songs wie „Under My Thumb”
oder „Brown Sugar”. 1963 nahm Phil
Spector mit der Frauenband The
Crystals den Song „He hit me (and it felt
like a kiss)” auf, in dem männliches
Schläge-Austeilen mit Liebe geben
gleich gesetzt wird. Obwohl es erheblichen Protest gab gegen die masochistische, selbstverneinende Tendenz des
Songs, war er emblematisch für die Sorte von Musik, die damals von Frauen erwartet wurde.
Auszug aus dem Vortrag von
Sonja Eismann: „Wir machen
wir’s uns selbst“
im Rahmen der Veranstaltungsreihe Pop und Politik vom 14. 6.
16 an.schlägeseptember 2006
Trip zum Mars. In Reaktion auf diese leidenden, selbstzerfleischenden Lyrics
sang die Chicago Women’s Liberation
Band, eine der ersten explizit feministischen Frauenbands, Anfang der 1970er
Jahre die ironischen Zeilen „Punched
out my dog! Totalled my van! He beat
me up! I love my man!” – eine Parodie
des Bildes, dem Frauen in der Musik zu
entsprechen hatten. Naomi Weisstein,
damals Keyboarderin der Chicago Women’s Liberation Band, erinnert sich,
wie schwer es für Frauen war, in den
Musikbereich überhaupt vorzudringen:
„Hier ist ein kurzer geschichtlicher Abriss: Für Frauen war es schwieriger, in
den Rock’n’Roll-Bereich einzubrechen,
als einen Trip zum Mars zu gewinnen –
und genauso unabhängig von ihrem
Talent. Bei Festivaltouren wurden keine
Frauen gebucht, Labels nahmen keine
Frauen unter Vertrag, und bei den Radios war auf der gesamten Playlist höchstens eine Frau.”
Frauen mussten also selbst aktiv
werden, um in diesen Bereichen überhaupt stattzufinden, und so kam es zur
Bildung von feministischen oder bald
auch lesbischen Musikkollektiven, Plattenlabels und reinen Frauenmusikfestivals. 1973 wurde zum Beispiel das erste
Frauenplattenlabel überhaupt in den
USA gegründet, Olivia Records, das seine erste Platte erfolgreich per Mailorder
verkaufte. Im selben Jahr fand auch das
erste Frauenmusikfestival statt, und
zwar in Sacramento, Kalifornien an der
Universität. 1974 fand dann das erste
National Women’s Music Festival in Illinois statt (das es heute wieder gibt),
und das Michigan Womyn’s Music Festival, das aufgrund seiner restriktiven
„woman-born women”-Politik immer
wieder umstritten ist. Das Michigan
Womyn’s Festival wollte allerdings dort
wo „viele Besucherinnen an den ‘Mutter
Erde Folk’ glauben und wo auch ein entsprechendes Segment des feministischen Spektrums präsent ist”, besonders eine Anlaufstelle für Lesben sein,
nachdem die sehr bürgerlich geprägte
Betty Friedan, die Gründerin der National Organisation of Women, sich aus
Sorge um den „ernsthaften” Ruf ihrer
Vereinigung, zunächst von den Zielen
der Lesben distanziert hatte. Diese
frühen Festivals wie auch Auftritte von
deutschen Frauenfolkbands wie
Schneewittchen mit ihrem aus heutiger
Sicht überemotionalem, folkigen Stil
mit Geigen und hohem Gesang stehen
im Ruch, eine „gefühlige” Form von
Feminismus zu vertreten, mit der sich
heute gerade jüngere Frauen nicht
mehr identifizieren können. In der Zeitschrift Malmoe schrieb Dominika Krejs:
„Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass es sich bei diesen unterschiedlichen Haltungen um einen generationsspezifischen Habitus handelt,
der zwar nicht auf reine Oberfläche reduziert, sondern auch verhandelt werden sollte, aber nicht als grundlegend
spaltendes Element wahrgenommen
werden sollte. Wie die Chicago Women’s Liberation Band zu Beginn der
1970er Jahre ihre Bühnenperformance
als Dekonstruktion von Cock-Rock-Ritualen genutzt hat, ist gar nicht so weit
von dem entfernt, was Künstlerinnen
wie Peaches heute mit ihren wackelnden Dildos erreicht.“ Naomi Weisstein
erinnert sich: „We did the Kinks ‘You
Really Got Me’ but with a whole new
set of lyrics that started with ‘Man,’ instead of ‘Girl,’and we pranced holding
our ‘cocks’ like Mick Jagger, or whatever
rock star we found really annoying, and
it would just look ridiculous. And the
audience was totally into the guerilla
theater of it. They’d shriek and grab at
our legs like groupies. It was so much
Fo t o s : A r c h i v
girlmonster
fun, laughing at a culture that had kept
us down.”
Und ein weiteres Bandmitglied, Susan Abod, erinnert sich an ihre Role Model-Funktion, die sie damals schon hatten: „A lot of women came up to me after our shows and said,‘I want to do
that,’ and we tried to make them understand that they could. Any of them
could. And I think a lot of them did.” Damit stehen sie in einer historischen Linie – bzw. ganz am Anfang dieser Linie
– mit den Frauen im (Post)Punk, den
Riot Grrrls und den Organisatorinnen
der Ladyfeste, die versuchen, genau diese Message auszusenden.
Sisterhood in Rock. In Deutschland fand
1981 ein weiteres Frauenfestival statt,
das, im Zuge der rotzigen Attitüde von
Punk, schon ganz andere Töne spuckte.
Hier beim Festival Venus Weltklang in
Westberlin, bei dem Bands wie Malaria,
die Au-Pairs, The Bloods und Liliput auftraten, wurde nicht mehr die harmonische Sisterhood betont. Bei dem selbstbetitelt ersten internationalen Frauenrockfestival, First International Women’s
Rock Festival, hieß es absichtlich nicht:
„Frauen können auch Rockmusik machen“. Das dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben, obwohl die meisten Frauen erst durch Punk und die
neue deutsche Welle ermutigt wurden,
sich in die bislang männliche Domäne
des Rockbiz vorzuwagen. Und von Nina
Hagen, die von Anhängerinnen von
Folkfrauenbands wie Schneewittchen
ob ihrer Miniröcke und Schminke etwas
misstrauisch beäugt wurde, hatte man
sich folgendes Statement geliehen: „ (...)
anstatt am Strickstrumpf zu zappeln,
sollten die Mädchen sich lieber ‘n paar
Instrumente greifen und einfach loslegen, ne Damenkapelle aufmachen oder
sowas!”
Interessant ist es, hierbei eine Reaktion zu sehen, die sich wie ein roter Faden durchzieht und auch jetzt immer
noch zu beobachten ist: trotz der oft offen oder manchmal auch nur als Sub-
text mitfließenden feministischen Motivationen der VeranstalterInnen hat jede Generation oder auch Welle auf ‘s
Neue das Gefühl, etwas dringend Notwendiges und dabei ganz Neues auf die
Beine zu stellen. Da Frauenfestivals am
Rande der Gesellschaft und Aufmerksamkeit stattfinden und im kollektiven
Bewusstsein daher nicht so präsent
sind wie Megaereignisse wie Woodstock, gibt es hier nur so etwas wie eine
geheime Geschichte, die jedes Mal
staunend neu ausgegraben werden
muss. Sarah McLachlan, die Veranstalterin des fahrenden Festivals Lilith Fair,
das von 1997-99 stattfand und oft für
seine Mainstreamlastigkeit gescholten
wurde, startete ihr Unternehmen aus
Frust über die Weigerung, zwei weibliche Artists hintereinander im Radio zu
spielen – sicherlich nichts Neues.
Lady(Pop) Mission. Und die Ladyfeste, momentan eindeutig die prominenteste
und sich am schnellsten ausbreitende
Version von Frauenfestivals, greifen mit
ihrer Anbindung an Riot Grrrl zwar auch
auf die „Girls Night” im Rahmen der International Pop Underground Convention 1991 in Olympia zurück, entstanden
aber auch aus dem Gefühl, für die Öffentlichkeit fast wieder bei Null beginnen zu müssen. Das Mission Statement,
das man auf fast allen Websites ähnlich
wie auf der „Ur”-Website lesen kann,
lautet im Grunde immer, mehr oder weniger elaboriert: „Ladyfest is a non-profit, community-based event designed by
and for women to showcase, celebrate
and encourage the artistic, organizational and political work and talents of
women.” Die Notwendigkeit, auf diese
Kreativität von Frauen hinzuweisen, ist
scheinbar ungebrochen und jedes Mal
wieder wie von vorne gegeben. Die Ladyfeste sind auf jeden Fall ein faszinierendes Beispiel dafür, wie feministische
Selbstorganisation funktionieren kann
und welche Power informelle Netzwerke und Mund-zu-Mund-Propaganda
entwickeln können: Der Gedanke des er-
sten Ladyfestes im August 2000 in
Olympia, der Heimstätte der Riot Grrrl
Bewegung, war unter anderem: „Wenn
euch dieses Festival gefällt, nehmt es
mit nach Hause und macht selbst eines
– nach eurem Gutdünken, mit euren lokalen Strukturen.” Tatsächlich hat sich
diese Idee ohne allzu große Medienpräsenz in feministischen Kreisen international wie ein Lauffeuer ausgebreitet –
mittlerweile gibt es fast jeden Monat irgendwo auf der Erde ein Ladyfest, und
zwar nicht nur im (anglophonen) Westen, sondern auch in kleinen Städten
wie Timisoara in Rumänien oder in Vilnius in Litauen.
Hierbei ist aber auch eine Entwicklung zu beobachten, die typisch für alle feministischen Anstrengungen
scheint: mehr und mehr Ladyfeste
werden nicht unbedingt aus einem
Grassroots-Kollektiv entwickelt, sondern werden von „offiziellen” Gruppen
wie Universitätsgruppen oder NGOs
initiiert. Einige dieser Festivals haben
auch nur ein sehr dünnes Programm,
das notdürftig vom Begriff Ladyfest
ummantelt wird. Während es zu begrüßen ist, dass Ladyfest als Begriff so
eine Publikumswirksamkeit zugeschrieben wird, dass man sich gerne
damit schmückt, ist es fraglich, ob das
Aufsaugen durch Institutionen dem
aktivistischen und antihierarchischen
Aspekt einer solchen Veranstaltung
gerecht werden kann. Doch wie gesagt
zeichnet sich hier auch der klassische
Verlauf feministischer Bestrebungen
ab: Während feministische Kräfte und
aggressive, fordernde Stimmen aus der
protestierenden Basis öffentlich immer seltener zu vernehmen sind, wird
häufig damit argumentiert, dass viele
der Ex- oder potenziellen Aktivistinnen
sich heute direkt in Institutionen wie
Universitäten oder auch politischen
Ämtern befinden und von dort aus
gemäßigt, aber auf breiterem Level
agieren – es bleibt zu beobachten, ob
Ähnliches auch bei den Ladyfesten zu
erwarten sein wird.
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september 2006an.schläge 17

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