Was macht den Franzosen Jean Baptiste Colbert, Finanzminister

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Was macht den Franzosen Jean Baptiste Colbert, Finanzminister
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Was macht den Franzosen Jean Baptiste Colbert,
Finanzminister unter Ludwig XIV, dem Sonnenkönig. heute noch so
interessant, dass ihn ein CDU-Mitglied des konservativen Berliner Kreises
benutzt, um die Kanzlerin zu schmähen?
Colbert war so bekannt für seine Finanzpolitik in Frankreich des 17. Jahrhundert, die er so
konsequent und energisch vertrat, dass man seinen Namen für eine Systembezeichnung
benutzte. So entstand die Bezeichnung Colbertismus. Seit Friedrich List, dem deutschen
Nationalökonomen, entspricht es dem Industriesystem, einem zusammenfassenden Namen
für die volkswirtschaftlichen Anschauungen und Ziele, die zwischen dem 16. und 18.
Jahrhundert in Theorie und Praxis vorherrschend waren. Eigentlich ist das Geschichte. Aber
in bestimmten Situationen greift man auf Jahrhunderte zurück, um sich einer Anekdote in der
Absicht zu bedienen, seine gute Allgemeinbildung zur Schau zu stellen und gleichzeitig
einem anderen einen Rufschaden zuzufügen. Diese Artikel sind immer en vogue und machen
Eindruck auf den Leser.
In bestimmten Situationen greift man gerne Jahrhunderte zurück, um sich z.B. einer Anekdote
zu bedienen, deren Ursprung man nicht kennt, in der Absicht, einem anderen einen
Rufschaden zu zufügen. Colbert hat zwar den Staatshaushalt mit seinen rigorosen Reformen
unter dem verschwenderischen Ludwig XIV gerettet, aber das Volk vergessen, das unter
diesen Reformen verarmte. Dazu aber später.
In einem Zeitungsartikel vor einigen Monaten in der Tageszeitung DIE WELT hat sich ein
Herr Gauland, CDU-Mitglied und Journalist, Mitglied des konservativen Berliner Kreises,
über die Bundeskanzlerin ausgelassen, indem er die Anekdote über den unbeliebten Colbert
im damaligen Frankreich erzählte. Dieser starb 1686. Als sein Sarg auf einer Lafette durch
Paris gefahren wurde, rissen wütende Bürger den Sarg auf die Straße. In abgeänderter Form
zitierte Herr Gauland in seinem Unmut über Angela Merkel als Kanzlerin folgende Episode:
Colbert wurde vom französischen König, Ludwig XIV, als Generalkontrolleur an die Spitze
der Verwaltung berufen. Als er laut Gauland in Paris aus seiner Kutsche ausstieg, empfing ihn
an der Schlagtür ein livrierter Beamter und sagte:
„Monsieur, ich freue mich nicht, Ihnen die Tür öffnen zu dürfen und Sie zu empfangen.
Ich hätte es bevorzugt, Ihnen die Tür zu öffnen und hinter Ihnen zu schließen, um Sie nie
wieder zu sehen“(sinngemäß).
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Anmerkung: Der Berliner Kreis ist mit der gegenwärtigen CDU-Politik nicht einverstanden
und beklagt ganz offen die Parteipolitik der Vorsitzenden, die diesen Konservativen zu
modern, vielleicht zu wechselhaft ist und vor allem nicht die Werte der alten CDU (West)
weiter führt und verfestigt. Zu diesem Thema hat ein mehrstündiges Gespräch mit einigen
Mitgliedern des genannten Kreises in Berlin mit dem Generalsekretär Herrn Hermann Gröhe
stattgefunden. Mitglied ist auch Herr Schönbohm aus dem Land Brandenburg, ehemaliger
Vorsitzender der CDU, sowie Frau Ludwig, die jetzige CDU- und Fraktionsvorsitzende. Die
Kritik an der Kanzlerin ist streckenweise gehässig, scheint aber aus einer Quelle zu stammen.
Diese Kritiker scheuen sich nicht, ihr die DDR-Vergangenheit vorzuwerfen und greifen sogar
ihren 2011 verstorbenen Vater, den protestantischen Pfarrer, an, der in den 50er Jahren mit
der kleinen Angela aus Hamburg in die DDR wechselte, um in der DDR als evangelischer
Pfarrer seinen Dienst zu versehen.
Der Bezug auf Jean Baptist Colbert in der Kritik einiger Konservativer der CDU hat natürlich
einen Hintergrund, der die Kritik der Öffentlichkeit in Frankreich zur Zeit des Colbertismus
übertragbar auf die Politik der Bundeskanzlerin macht, die einige konservative CDUMitglieder für kritikwürdig halten. Ihre Beliebtheit bei Umfragen ist unstrittig, aber in der
Partei, überwiegend in der alten Bundesrepublik regt sich Ablehnung, weil der bisherige
parteipolitische Pfad nicht mehr lückenlos ihre alten Wurzeln erfasst. Dadurch fühlen sich
viele Parteimitglieder, überwiegend die katholischen, heimatlos. Allerdings sollte man nicht
vergessen, dass sich auch ostdeutsche Bürger an ihre gewohnte Vergangenheit, die nicht nur
aus Terror bestand, erinnern. Auch deren Wurzeln sind gekappt, und eine gewisse
Entfremdung, besonders durch die langanhaltende Arbeitslosigkeit, ist immer noch nicht einer
breiten Zustimmung sowohl in den Parteien als auch in der Bevölkerung gewichen. Besonders
die Abwicklung (bereits im III. Reich verwendet!) der wissenschaftlichen Intelligenz der
DDR ist nicht vergessen und hat für Unmut gesorgt.
Der Colbertismus geht von der Frage aus, was der Staat tun kann, um den Wohlstand der
Nationen zu heben. Dazu gehören auch die späteren wissenschaftlichen Versuche, den
Quellen des Nationalreichtums unabhängig von der Tätigkeit des Staates nachzugehen.
Colbert bzw. das nach ihm benannte System hatte den Zweck, die Staatsfinanzen zu
verbessern. Ihre Zerrüttung beruhte vor allem auf dem Erlöschen der alten Nationalwirtschaft.
Es war tatsächlich eine neue Zeit angebrochen, so wie wir in Europa die Globalisierung im
21. Jahrhundert akzeptieren müssen. Die alte Nationalwirtschaft in Frankreich des 17.
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Jahrhunderts hatte auch deshalb abgewirtschaftet, weil das Heer Soldtruppen brauchte, für die
Bargeld beschafft werden musste. Woher das Geld nehmen? Zu dieser Zeit begann die
Erschließung der Neuen Welt mit der Vermehrung von Edelmetallen und legte den
Herrschenden den Gedanken an den Erwerb von Kolonien zur Ausbeutung nahe. Die neuen
Seewege machten zudem den auswärtigen Handel zu einem wirtschaftlich attraktiven Faktor.
Es entstanden Wetteifer und Eifersucht zwischen den Staaten und erweckten den Wunsch,
eine wirtschaftlich begründete Herrschaft über andere Völker auszuüben. Der Colbertismus,
auch Merkantilismus genannt, betrachtet Geld als das wichtigste Mittel, um zum Reichtum zu
gelangen. Theoretische Untersuchungen befassten sich mit dem Begriff des Geldes und des
Münzwesens, also mit Fragen der Handelsbilanz.
Colbert entwickelte ein Schutzsystem, um Industrie, Handel und Schifffahrt durch Prämien
(Subventionen?) zu heben und durch strenge Beaufsichtigung der Industrie die Qualität und
den Ruf der französischen Waren im Ausland zu erhöhen. Deutschland macht es im 19.
Jahrhundert ähnlich, indem es den Ausdruck made in Germany für Qualitätsarbeit prägte.
Damit wurde der Export angeregt. Colbert erließ aber gleichzeitig Getreideausfuhrverbote,
um der Industrie niedrige Löhne zu sichern und die Produktionskosten niedrig zu halten. Man
nennt das heute Ausbeutung, aber es ist immer noch üblich; denn jeder Betrieb muss Gewinn
erwirtschaften.. Diese Maßnahmen, besonders das Getreideausfuhrverbot, das in erster Linie
die Produzenten auf dem Lande, also die Bauern schädigte, und wegen der zunehmenden
Verarmung Familiengründungen verhinderte, hatte dramatische Folgen die Zahl der Geburten
auf dem Lande mit Folgen für die Zukunft Frankreichs. Colbert tat das, was unsere
Familienministern auch tun: Sie vergeben Prämien zum Kinderkriegen! Colbert nannte das
Heiratsprämien. Diese Familienpolitik kommt mir bekannt vor. Vor einem Jahr begann in
Tunesien
die
Jasminrevolution.
Ausgelöst
wurde
sie
von
einem
jungen
Hochschulabdolventen, der sich aus Verzweiflung über seine Perspektivlosigkeit verbrannte:
Er konnte mit seiner Freundin, die er liebte, keine Familie gründen und war verpflichtet für
seine fünf Geschwister und seine kranke Mutter zu sorgen.
Im Jahr 1667 erließ Colbert
einen schutzöllnerischen Tarif, der die Holländer zu
Repressalien gegen Frankreich veranlasste, die wiederum die französische Wirtschaft schwer
schädigten und den Wohlstand in Frankreich verminderten. Diese Konstellation führte zu
einem verheerenden Krieg, der vor allem in Holland durch die Zerstörung der Deiche und der
Überflutung dieses flachen Landes existenzbedrohend war. Der junge König Ludwig XIV
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wollte sich in diesem Krieg als Feldherr auszeichnen und in die Geschichte als siegreicher
Herrscher eingehen. Sieger eines kriegerischen Geschehens genießen in der Regel Ansehen,
das sich aus der Furcht vor einer Niederlage begründet. Daran hat sich nicht viel geändert.
Der Weg nach oben war für Jean Baptiste Colbert zunächst nicht vorgezeichnet. Er wurde am
29. August 1619 in Reims geboren und bildete sich zunächst durch Reisen.. Später arbeitete er
in dem Büro des Staatssekretärs Letellier. Er war so gut, dass Letellier ihn dem ersten
Minister Mazarin empfahl.. Dieser beförderte ihn 1654 vom Finanzintendanten zum Staatsrat
und Sekretär der Königin. Von Ludwig XIV wurde er 1660 als Generalkontrolleur an die
Spitze der Verwaltung mit allen Vollmachten gestellt.
Auf die Zerrüttung des Steuer- und Abgabensystems ist zu Beginn des Artikels hingewiesen
wurde. Drakonische Maßnahmen waren also erforderlich. Irgendwie erinnert mich die
Situation an das heutige Griechenland. Auch hier helfen nur drakonische Maßnahmen, die das
Volk bezahlen muss. Griechenland ist rückständig und hat noch nicht einmal ein Katasteramt,
so dass Investoren sich bei der angestrebten Privatisierung, die Geld in die Staatskasse spülen
würde, sehr zurückhalten. Frankreich scheint Griechenland in vielerlei Hinsicht vor 300
Jahren besser entwickelt gewesen zu sein. Allerdings war Griechenland zu dieser Zeit noch
unter türkischer Herrschaft, die die Rückständigkeit erklärt. Colbert mit der Macht des
Generalbevollmächtigten der gesamten französischen Verwaltung schuf zunächst einen
Finanzrat, der dem König jährlich ein Verzeichnis der Ausgaben und Einnahmen vorlegen
musste. Eine Justizkammer überwachte die Pächter und Beamten. Er sorgte für eine
gleichmäßige Besteuerung und eine einfache Erhebung von Steuern.
Einen Ausfall an
Steuern als Folge seiner steuersenkenden Maßnahmen deckte er, indem er die Renten
absenkte und die Zahl der Beamten und Pensionäre verminderte. Bei diesen Maßnahmen
denke ich wieder an Griechenland, das dazu nicht in der Lage ist, weil wahrscheinlich die
Strukturen fehlen, die Colbert im 17. Jahrhundert schuf und Frankreich wieder zu Wohlstand
führte. Die Staatseinnahmen stiegen tatsächlich von 32 auf 116 Millionen Franken. Aber das
Wohl der niederen Klassen vor allem des Bauernstandes wurde vernachlässigt. Bei allen
Fehlern und Ungerechtigkeiten verschaffte Colbert der Regierungsperiode Ludwig XIV den
Namen des goldenen Zeitalters. Colbert verstarb 1683.
Literarturhinweise in „Memoire pour son fils sur ce qu’il doit observer pendant le voyage
qu’il va faire à Rochefort“.
Die Geschichte des französischen Finanzministers Colbert unter Ludwig XIV ist Meyer’s Lexikon von 1875
entnommen. Man erlaube mir trotz der 300 Jahre Distanz zu Colbert und Ludwig XIV Vergleiche zur
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Gegenwart. Diese machen aber die Geschichte und vor allem die Politik interessant und die Bemühungen um
eine funktionierende Europäische Union auch der Bundesregierung verständlich.
Dr. Else Ackermann
Neuenhagen, den 22. Februar 2012