Patient kam mit der Diagnose BWS

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Patient kam mit der Diagnose BWS
Ärzte Zeitung, 28.04.2006
Patient kam mit der Diagnose BWS-Schmerz, hatte aber
Infarkt
Auswärtige Erstdiagnose führte in die Irre / EKG einen Tag später ergab
Vorderwand-Infarkt
Ein Kollege berichtet von einem ihm zuvor nicht bekannten etwa 60jährigen Patienten:
Was ist passiert?
Patient kommt zum ersten Mal. Schmerzen BWS und rechte Schulter,
seit 3 Wochen bestehend, seit dem Vortag vom Orthopäden
behandelt, jetzt, da Orthopäde nicht erreichbar, die Bitte um
"Entspannungsspritze" durch Hausarzt. Druckschmerzhafte Punkte
rechts paravertebral und rechte Schulter ventral werden mit
Scandicain® 1% infiltriert.
2 Stunden später Anruf: Beschwerden nicht besser, Patient hat
thorakale Beklemmungen, Hausbesuch erfolgt um 19 Uhr: Lunge
perkutorisch und auskultatorisch unauffällig, kein Pneu. Cor
regelmäßig 120/min. Thorakales Druckgefühl, schmerzhafte
Druckpunkte BWS und re. Schulter. Pat. erhält Tramal-Tabletten, und
die Empfehlung, bei fehlender Verbesserung der Symptome nach ca.
2 Stunden sich dem ärztlichen Notdienst vorzustellen.
Was war das Ergebnis?
Patient kommt am nächsten Tag gegen 9 Uhr in die Hausarztpraxis
mit anhaltenden Beschwerden, es wird ein EKG geschrieben:
R-Verlust V1 - V5, schulterförmige ST-Hebungen in aVL, I, V1 - V5,
sofortige Verlegung zur Akutintervention, Rekanalisierung des
verschlossenen proximalen RIVA, Stents. Ausgedehnte
Vorderwandnarbe, in der Folge Aneurysma und Thrombus. Patient
aktuell unter Medikamenten beschwerdefrei und bisher bis 75 Watt
gut belastbar, Reha läuft z. Zt. ambulant.
Mögliche Gründe?
Warnzeichen Brust- und
Bauchschmerz: Kollegen
empfehlen, bei solchen
Symptomen immer und
unbedingt einen Herzinfarkt
auszuschließen. Foto: imago
Keine vollständige Krankengeschichte, Pat. suggestiv: "Bitte Spritze
bei schon anbehandeltem orthopädischem Problem", primär kein EKG, obwohl Patient männlich, Alter
über 60 Jahre, Raucher. Hausarzt bei Hausbesuch besorgt bezüglich Pneumothorax, über das akute
Koronarsyndrom wird zwar kurz nachgedacht, aber um den Patienten nicht zu beunruhigen, wird auf
eine sofortige Überweisung an den ärztlichen Notdienst für ein EKG verzichtet, ein mobiles EKG ist
nicht vorhanden. Der Patient folgt der Empfehlung des Hausarztes, im Falle einer ausbleibenden
Besserung den ärztlichen Notdienst aufzusuchen, nicht.
Wie hätte man das Ereignis verhindern können?
Bei BWS-Syndrom und Risikopatienten: immer primär auch EKG, immer vollständige Anamnese
erheben, in jedem Zweifelsfall für die Diagnostik entscheiden (hier EKG), Beunruhigung des Patienten
ist zweitrangig. Erkennen, daß dieser Patient dissimulierte, die Tachykardie beim Hausbesuch war nicht
durch Angst, sondern das akute Koronarsyndrom erklärt.
Welche Faktoren trugen Ihrer Meinung nach zu dem Fehler bei?
Patient, Ausrüstung und Organisation.
Was Kollegen vorschlagen
Kollegen haben unter www.jeder-fehler-zaehlt.de kommentiert:
Bei Arm- und Thoraxschmerz EKG!
Grade, wenn ich den Patienten nicht kenne, ist für mich fast jeder Patient mit Arm- und Thoraxschmerz
ein Grund, zumindest ein EKG zu schreiben. (...)
G.D.
Genaue Anamnese ist zwingend
Es ist ein Fehler, vor dem kein Allgemeinarzt zu 100 Prozent gefeit ist; die Differentialdiagnose akutes
Koronarsyndrom und BWS-Syndrom bzw. Interkostalneuralgie stellt sich häufig in der Praxis. Ich
denke, hier ist eine genaue Anamnese wie immer zwingend und kann helfen, diesen Fehler zu
vermeiden. Beim akuten Coronarsyndrom ist die instabile Angina pectoris, d.h. die zeitlich immer
engere Stenokardie in Ruhe als Ausdruck einer Plaqueruptur das Leitsymptom. Beim NSTEMI-Infarkt
finden sich keine ST-Hebungen im EKG, hier ist der Troponin T-Anstieg beweisend. Ein Patient kann
durchaus eine Intercostalneuralgie und ein Coronarsyndrom gleichzeitig haben. Ich denke im
Zweifelsfall sollte der Patient immer sofort eingewiesen werden. Troponinkontrollen sollten dann im
Krankenhaus erfolgen, um auch die Zeitgrenze von 90 Minuten für eine Katheterintervention nicht zu
überschreiten.
W.Dörr
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