kilar lutosławski smetana
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KILAR »Orawa« für Streichorchester LUTOSŁAWSKI Konzert für Orchester SMETANA »Vyšehrad«, »Vltava« (Die Moldau) und »Šárka« aus dem Zyklus »Má Vlast« (Mein Vaterland) URBAŃSKI, Dirigent Sonntag 14_02_2016 11 Uhr Dienstag 16_02_2016 20 Uhr Mittwoch 17_02_2016 20 Uhr BRILLANTE KOMPOSITION... Edler Brillantring für 7.980,– Euro 750/– Weißgold, 1 Brillant 0,70 ct. H-si und ca. 98 Brillanten zus. ca. 0,96 ct. H-si TRAURINGHAUS · SCHMUCK · JUWELEN · UHREN · MEISTERWERKSTÄTTEN J. B. FRIDRICH GMBH & CO.KG · SENDLINGER STRASSE 15 · 80331 MÜNCHEN TELEFON: 089 260 80 38 · WWW.FRIDRICH.DE WOJCIECH KILAR »Orawa« für Streichorchester WITOLD LUTOSŁAWSKI Konzert für Orchester 1. Intrada: Allegro maestoso 2. Capriccio notturno e Arioso: Vivace 3. Passacaglia, Toccata e Corale: Andante con moto – Allegro giusto BEDŘICH SMETANA Drei Tondichtungen aus dem symphonischen Zyklus »Má Vlast« (Mein Vaterland) 1. »Vyšehrad« 2. »Vltava« (Die Moldau) 3. »Šárka« KRZYSZTOF URBAŃSKI Dirigent Eine Aufzeichnung der Konzertserie durch den Bayerischen Rundfunk wird am Mittwoch, dem 24. Februar 2016, ab 20.03 Uhr auf BR KLASSIK gesendet. 118. Spielzeit seit der Gründung 1893 VALERY GERGIEV, Chefdirigent PAUL MÜLLER, Intendant 2 Hommage an die Karpaten MARTIN DEMMLER WOJCIECH KILAR (1932–2013) »Orawa« für Streichorchester LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN Geboren am 17. Juli 1932 in Lwiw (Lemberg)/ Ukraine; gestorben am 29. Dezember 2013 in Katowice (Kattowitz) / Polen. ENTSTEHUNG Wojciech Artur Kilar komponierte »Orawa« im Jahr 1986 und veröffentlichte das etwa 10-minütige Werk zunächst in einer Fassung für Streichorchester. Nach dem großen Erfolg der Uraufführung erstellte Kilar auch Versionen für zahlreiche andere instrumentale Besetzungen; »Orawa« zählt heute zu seinen beliebtesten und meist gespielten Schöpfungen. Die originelle Mischung aus energiegeladener volksmusikalischer Tradition und minimalistischen Strukturen nimmt unmittelbar gefangen. URAUFFÜHRUNG Am 10. März 1986 im südlich von Krakau in den Karpaten gelegenen Erholungsort Zakopane (Polska Orkiestra Kameralna – die heutige Sinfonia Varsovia – unter Leitung von Wojciech Michniewski). Wojciech Kilar: »Orawa« 3 Wojciech Kilar auf dem Gipfel des Szpiglasowym in den Karpaten (1975) EIN GRUSS AUS POLEN ANFÄNGE ALS AVANTGARDIST Polnische Komponisten haben in den Jahren nach Ende des Zweiten Weltkrieges einen entscheidenden Beitrag zur europäischen Avantgarde geleistet. Neben Witold Lutosławski, Witold Szalonek, Bogusław Schaeffer und Krzysztof Penderecki gehörte in jenen Jahren auch Wojciech Kilar zu den Vertretern der polnischen Moderne. Seine Werke wurden damals mit großem Erfolg bei dem renommierten Festival »Warschauer Herbst« aufgeführt, dem wichtigsten Zentrum für moderne Musik in Osteuropa. Doch später setzte er diesen Weg nicht fort, sondern wandte sich einer eher an der Volksmusik und einfachen melodischen Strukturen orientierten Musik zu. Heute sind es vor allem die Werke aus seiner späteren Schaffenszeit, die noch häufig in den Konzertsälen zu hören sind. Geboren 1932 im ukrainischen Lwiw, studierte Wojciech Kilar Klavier und Komposition an der Musikakademie in Katowice, wo Boresław Szabelski und Władysława Markiewiczówna zu seinen Lehrern zählten. Nach Abschluss seiner Studien führte ihn ein Stipendium des französischen Staats nach Paris, wo er seine Ausbildung bei Nadia Boulanger fortsetzte. Lange betrachtete er die französische Hauptstadt als seine zweite Heimat. Zurück in Polen, etablierte er sich bald als einer der führenden Komponisten seines Landes. Er erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen für sein Schaffen, darunter den Lili Boulanger Memorial Fund Award, den Preis des polnischen Komponistenverbandes und den A.S.C.A.P. Award in Los Angeles. Wojciech Kilar: »Orawa« 4 ZWISCHEN ERNSTER UND UNTERHALTSAMER MUSIK Nach seinen Anfängen als Vertreter der Avantgarde in den 1950er und 1960er Jahren kümmerte sich Kilar kaum noch um die Grenzen zwischen ernster und unterhaltsamer Musik. In seinen Arbeiten können ganz unterschiedliche Idiome zum Tragen kommen. Er kannte keine Berührungsängste, was den Umgang mit der Tradition betraf. Neben Werken im spätromantischen Tonfall und Experimenten mit minimalistischen Techniken oder Adaptionen osteuropäischer Folklore machte er sich vor allem auch als Filmkomponist einen Namen. Er schrieb die Musik zu zahlreichen Filmen wie Roman Polanskis »Der Tod und das Mädchen« und »Der Pianist«, wofür er auch den französischen Filmpreis César erhielt, Francis Ford Coppolas »Bram Stoker’s Dracula« oder zu Jane Campions »The Portrait of a Lady«, um nur einige der bekannteren zu nennen. Diese Arbeiten ermöglichten ihm ein relativ sorgenfreies Leben als freischaffender Komponist. Wojciech Kilar starb 2013 in Katowice. VERANKERUNG IN DER TRADITION Als sich Wojciech Kilar in den 1970er und 1980er Jahren einer deutlich einfacheren Tonsprache zuwandte, stand er damit keineswegs alleine. Im westlichen Europa machten die Komponisten der sogenannten »Neuen Einfachheit« auf sich aufmerksam. Expressivität und Subjektivität erlebten eine Art Renaissance, etwa in den Werken von Wolfgang Rihm, Manfred Trojahn oder Wilhelm Killmayer. Auch in Osteuropa war diese Tendenz spürbar. Neben Kilar waren es dort vor allem Henryk Gorecki oder der Este Arvo Pärt, die in archaisch anmutenden Werken Linien der Tradition wiederzubeleben versuchten. Doch anders als Gorecki, der etwa in seinen »Drei Stücken im alten Stil« den Rückgriff auf vergangene musikalische Epochen ausdrücklich thematisierte, war für Kilar die Verwendung eines einfacheren Idioms keine bewusste ästhetische Entscheidung, sondern eine Selbstverständlichkeit. Die Beschäftigung mit der Tradition bis hin zur Volksmusik hatte von jeher zu seinem kompositorischen Fundus gezählt. Daneben etablierte sich in jenen Jahren auch die »minimal music«, die die komplexen Modelle der seriellen Musik durch repetitive Strukturen und übereinander geschichtete Muster ablöste. In ihr fand Kilar einen Anknüpfungspunkt für sein eigenes Schaffen. FOLKLORISTISCHE ELEMENTE »Orawa« für Streichorchester entstand 1986 und bildet den Abschluss einer kleinen Werkserie, die auf Volksmusik aus Kilars Heimat basiert. Hier ist es die Musik aus der Region Orava an der polnisch-slowakischen Grenze, die im Zentrum steht. Diese Gebirgslandschaft der westlichen Karpaten mit ihren ausladenden Weiden und Wäldern, ihren Gipfeln und Tälern, diente ihm als Inspirationsquelle, wobei die Volksmusik dieser Region über weite Strecken das musikalische Fundament bildet. Kilar benutzt ganz handfeste musikalische Muster, um die Klangwelt Oravas lebendig werden zu lassen. Eingebettet wird diese in einen zunächst fast minimalistischen Tonsatz, der sich aus einfachsten melodischen Elementen zusammensetzt. Einzelne Streicher figuren beginnen fast zögernd, bevor sich das Geschehen zunehmend verdichtet. Wojciech Kilar: »Orawa« 5 Wojciech Kilar (3.v.r.) und Henryk Gorecki (2.v.l.) nach der Uraufführung von »Orawa« in Zakopane am 10. März 1986 Dass Kilar ein hervorragender Filmmusik- Komponist war, ist auch in dieser Partitur deutlich herauszuhören. Denn er versteht es wie wenige seiner Zunft, dramaturgische Entwicklungen spannungsreich und vielseitig zu gestalten: Zum zunächst eher flächigen Satz treten in »Orawa« immer neue Elemente der Folklore – einzelne melodische Wendungen, ein harmonisches Fundament, ein Bordun-Bass. Obwohl für klassisches Streichorchester komponiert, stellt sich der Klangeindruck einer ländlichen Blaskapelle ein. Dieser Volksmusikton gewinnt zunehmend an Kontur und bestimmt schließlich den musikalischen Satz weitgehend. Dabei hebt sich Kilar einen besonderen Gag bis zum Schluss auf. WELTWEITER HIT IM KONZERTSAAL Seit der Uraufführung 1986 in Zakopane hat sich »Orawa« zu einem regelrechten Hit in den Konzertsälen entwickelt. Die Vielzahl von Arrangements ist dafür ein eindrücklicher Beleg. Die Spontaneität, Energie und Lebendigkeit dieser Musik nehmen unmittelbar gefangen. Kilar selbst, der lange von einem Stück geträumt hatte, das von einer ländlichen Musikkapelle inspiriert sein sollte, hat »Orawa« außerordentlich geschätzt. In einem Interview bekannte der Komponist: »Dies ist ein Stück für eine erweiterte Volksmusikgruppe und eines der wenigen Beispiele, wo ich wirklich glücklich mit meiner Musik war.« Wojciech Kilar: »Orawa« 6 Solo für Alle SUSANNE STÄHR WITOLD LUTOSŁAWSKI (1913–1994) Konzert für Orchester 1. Intrada: Allegro maestoso 2. Capriccio notturno e Arioso: Vivace 3. Passacaglia, Toccata e Corale: Andante con moto – Allegro giusto LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN Geboren am 25. Januar 1913 in Warschau / Polen; gestorben am 7. Februar 1994 in Warschau. ENTSTEHUNG Ende der 1940er Jahre befand sich Witold Lutosławski in einer schwierigen Situation. Seine 1. Symphonie, die im April 1948 uraufgeführt worden war, wurde von den kommunistischen Machthabern in Polen als »formalistisch« abgeurteilt und im Folgejahr verboten. Als er 1950 den Auftrag des Dirigenten Witold Rowicki erhielt, ein an- spruchsvolles Orchesterwerk für die wiedergegründete Warschauer Philharmonie zu schreiben, erschien ihm dies wie ein Rettungsanker: »Dieser Vorschlag war für mich ein Ausweg«, urteilte Lutosławski. »Er half mir dabei, meine psychische Krise zu überwinden. Ich begann mit der Arbeit und brauchte vier Jahre, um das Konzert für Orchester zu vollenden.« Mit dem Titel folgte er Béla Bartóks gleichnamigem Werk aus dem Jahr 1943 und setzte analog zu diesem Vorbild alle Instrumente des Orchesters exponiert und quasi-solistisch ein. WIDMUNG Lutosławski widmete seine Partitur dem Auftraggeber der Komposition, dem polnischen Dirigenten Witold Rowicki (1914– 1989), damals Chefdirigent der wiedergegründeten Warschauer Philharmonie. URAUFFÜHRUNG Am 26. November 1954 in Warschau (Warschauer Philharmonie unter Leitung von Witold Rowicki). Witold Lutosławski: Konzert für Orchester 7 AM ABGRUND DER GESCHICHTE DIE NEUE ZEIT Als der Zweite Weltkrieg endlich vorüber war und Polen von der deutschen Besatzung befreit, da hoffte auch Witold Lutosławski für sich persönlich, für seine Arbeit als Komponist, auf bessere Zeiten. Turbulent genug war sein Leben bis dahin verlaufen – schon als Kind hatte er die Auswirkungen der Zeitläufte und der Politik am eigenen Leib zu spüren bekommen. Als er zwei Jahre alt war, im Kriegsjahr 1915, zog seine Familie, die aus altem Landadel stammte, auf der Flucht vor den Deutschen nach Moskau. Dort war sein Vater, ein Agrar ökonom, in der polnischen Unabhängigkeitsbewegung tätig, aber genau das weckte nach der Oktoberrevolution den Argwohn der Bolschewiki: Józef Lutosławski wurde inhaftiert und erschossen, noch ehe es überhaupt zu einem Gerichtsprozess gekommen war. Gut zwanzig Jahre später geriet Sohn Witold dann selbst in höchste Gefahr. Als die deutsche Wehrmacht 1939 sein Heimatland überfiel, wurde er zum Militärdienst eingezogen und gelangte schon nach drei Wochen in deutsche Kriegsgefangenschaft. Wie durch ein Wunder glückten ihm die Flucht und die Rückkehr nach Warschau, die er zu Fuß antrat, über lange 400 Kilometer. Freilich musste er in der von deutschen Truppen eingenommenen Haupt stadt fortan in der Halblegalität leben – sein Brot verdiente er sich als Pianist in Kaffeehäusern oder als Klavierbegleiter von Schlagersängern. Doch seinen Traum von einem Studium in Paris konnte Lutosławski nur noch begraben, und eine Möglichkeit, Werke von höherem kompositorischem Anspruch zu schreiben und zur Aufführung zu bringen, die gab es auch nicht. Die Freiheit, die sich Lutosławski für die Nachkriegszeit erhofft hatte, erwies sich indes als trügerisch, denn nun geriet er in die Schusslinie der neuen, der kommunistischen Machthaber. 1949 wurde seine Erste Symphonie, die ihn sieben Jahre Arbeit gekostet hatte, als »formalistisch« gebrandmarkt und verboten. »Nach der letzten Aufführung in der polnischen Staatsphilharmonie soll der damalige Minister für Kultur im Dirigentenzimmer gesagt haben, dass man einen solchen Komponisten wie mich unter die Straßenbahn werfen sollte«, erinnerte sich Lutosławski später. »Und das Interessante dabei ist, er meinte es nicht im Scherz, sondern er war ehrlich empört !« Allerdings stand Lutosławski vor dem Dilemma, dass er weder über eine feste Anstellung noch über einen Schülerkreis verfügte, der seinen Lebensunterhalt hätte gewährleisten können; seine Einnahmen bezog er allein aus der kompositorischen Arbeit. In dieser Situation suchte er Zuflucht bei verschiedenen Genres der Gebrauchsmusik: Er arrangierte Volks-, Weihnachtsund Kinderlieder, schrieb Soldatenchöre, pädagogische Werke für den Klavierunterricht oder polnische Tänze für Schulorchester. Die Regierung wertete diese Arbeiten als Ausweis seiner gewachsenen Reife und als Einsicht in die Maximen des sozialistischen Realismus. Lutosławski selbst sah es nüchterner. Er habe diese Stücke immerhin mit Vergnügen geschrieben, gab er 1988 der »New York Times« zu Protokoll: »Es bot mir Gelegenheit, einen charakteristischen Stil auszuprägen, der folkloristische Elemente mit atonalen Kontrapunkten und Harmonien verbindet.« Witold Lutosławski: Konzert für Orchester 8 Witold Lutosławski (Oktober 1946) Witold Lutosławski: Konzert für Orchester 9 LIEDER AUS MASOWIEN Als ihn 1950 der polnische Dirigent Witold Rowicki bat, ein großes Orchesterwerk für die gerade erst wiedergegründete Warschauer Philharmonie zu schreiben, mochte Lutosławski dieser Auftrag wie ein Geschenk des Himmels erschienen sein. Er setzte sich zum Ziel, als Hommage an diesen Klangkörper eine Partitur zu schaffen, die alle Instrumentengruppen mit ihren charakteristischen Klangfarben und vir tuosen Möglichkeiten ins beste Licht rücken sollte. Deshalb schrieb er sein Konzert für Orchester, das auf einen Solisten verzichtet, dafür aber sämtliche Musikerinnen und Musiker prägnant in Szene setzt. Das Vorbild dabei lag auf der Hand – denn wer denkt bei diesem Titel nicht an Béla Bartók und sein gleichnamiges Werk, das 1943 im amerikanischen Exil entstanden war, für das fabelhafte Boston Sym phony Orchestra. Tatsächlich haben Lutosławskis und Bartóks Konzert für Orchester einiges gemeinsam, voran ihren Rückbezug auf die traditionelle Volksmusik. Aber während Bartók nur bestimmte Melodiefloskeln, rhythmische Formeln oder harmonische Verläufe als Grundmuster nahm, um sie frei seiner eigenen Klangsprache anzuverwandeln, pflegte Lutos ławski durchaus die Praxis des wörtlichen Zitats: Er verwendete acht Themen aus einer von Oskar Kolberg im späten 19. Jahrhundert zusammengetragenen Sammlung mit Liedern aus Masowien, also der Region um Warschau, die er über das ganze Werk verteilte, kontrapunktisch auslotete, kraftvoll rhythmisierte und mit raffinierten, farbenreichen Harmonien unterlegte. Das erste dieser Themen erklingt gleich im zweiten Takt des Kopfsatzes, und zwar zunächst in den Violoncelli: Es ist eine Weise aus dem Dorf Czersk, die mehrfach wiederholt wird und dabei durch die verschiedenen Instrumente wandert. DER »SACRE« UND DAS ZDF Dass sich Lutosławski bei der Komposition seines Konzerts für Orchester ohnehin an der Tradition orientierte, belegen schon die Titel der drei Sätze, die auf barocke Formen zurückgreifen: »Intrada«, »Capriccio notturno e Arioso« und »Passacaglia, Toccata e Corale«. Aber auch andere Vorbilder geben sich zu erkennen. Die stampfenden Rhythmen und brillanten Holzbläsereinwürfe, die sich in der »Intrada« an das folkloristische Eingangsthema anschließen, verraten eine Nähe zu Igor Strawinsky und seinem »Sacre du printemps« (ältere Hörerinnen und Hörer erinnern sich vielleicht noch, dass diese Passage fast zwanzig Jahre lang, bis 1988, als »Erkennungsmelodie« des ZDF-Magazins diente). Doch Lutosławski überführt diese perkussive und bedrohliche Musik zu einer breit angelegten und pathetisch aufgeladenen Apotheose, die fast etwas broadwayhaft anmutet. Am Ende des Satzes aber steht wieder die Volksliedweise aus Czersk, nun silbrig hingetupft über zarten Tonrepetitionen der Celesta und gläsernen Flageoletts. VERSCHWIEGENE NAMEN Als surreales Nachtstück – darin folgt er wieder einer Vorliebe Béla Bartóks – legt Lutosławski den zweiten Satz an, das »Capriccio notturno«, das mit schwirrenden und flirrenden Motiven der mit Dämpfer spielenden Violinen und Bratschen anhebt, mit atemlos schnellen, abermals der Volksmusik entlehnten Figurationen, die einander zu jagen scheinen. Nur im Mittelstück, Witold Lutosławski: Konzert für Orchester 10 dem »Arioso«, gibt Lutosławski einem breiteren, liedhaften Thema Raum, das er auf einen dynamischen Höhepunkt im dreifachen Fortissimo treibt, ehe erneut das Gewisper des Anfangsteils die Oberhand gewinnt. An einen Mückenschwarm mag man da denken, besonders am Ende, wenn Lutosławski die rhythmische Grundstruktur der Motivik nur noch der Rührtrommel und der Großen Trommel überlässt, also zwei reinen Geräuschinstrumenten – vielleicht der avantgardistischste Moment des gesamten Konzerts. Zögerlich setzt darauf in der Harfe und den Kontrabässen das Thema der finalen Passacaglia ein, das Lutosławski durch fünfzehn Variationen führt und mit magisch beschwörenden Instrumentalsoli garniert. Danach erklingt erstmals das Thema des leuchtenden, verklärenden Chorals, das zwar zunächst noch einmal von einer aufgepeitschten Toccata vertrieben wird, schließlich aber die Oberhand gewinnt: abermals eine Reverenz an Bartók, der im zweiten Satz seines Konzerts für Orchester ebenfalls einen Choral anstimmt. Ganz am Ende aber lässt Lutosławski unüberhörbar und etliche Male das Monogramm des Komponisten Dmitrij Schostakowitsch ertönen, die in Noten übertragenen Initialen D-Es-C-H, und huldigt damit einem Musiker, den er, der genauso wie sein russischer Kollege von den Kulturwächtern des sozialistischen Realismus gegängelt worden war, als einen Leidensgenossen empfand. An diesem Punkt allerdings setzt sich Lutosławski von Bartók ab, der in seinem Orchesterkonzert ein Schostakowitsch-Zitat aus der »Leningrader Symphonie« ganz bewusst als Persiflage (und Kritik) verwendet hatte. DISTANZIERUNG Trotz aller Querbezüge: Als Witold Lutosławski in den sechziger Jahren gefragt wurde, welcher ältere Komponist ihn am meisten beeinflusst habe, fehlte zunächst der Name Bartók. Erst als der Gesprächspartner nachhakte und Lutosławski direkt auf den Ungarn ansprach, ließ er sich das Zugeständnis abringen, dass Bartók fraglos »eine Schlüsselfigur der Musik des zwanzigsten Jahrhunderts« sei. Zugleich betonte er: »Offen gesagt, ich interessiere mich nicht so sehr für die von der Folklore inspirierte Seite von Bartóks Schaffen, denn sie ist unter musikgeschichtlichem Aspekt weniger relevant. Vielleicht aber war Bartók unter seinen Zeitgenossen der einzige, der die Beethovenschen Höhen des menschlichen Denkens und Fühlens erklommen hat.« Auch zu seinem frühen Konzert für Orchester hegte Lutosławski, nachdem er sich ab 1960 dem Serialismus und der Aleatorik zugewandt hatte, ein eher distanziertes Verhältnis. Immerhin räumte er ein, dass er nicht umhin könne, das Werk unter seine »wichtigsten Kompositionen einzureihen«. Die Trennlinie zwischen Klassik und Avantgarde verlaufe »zwischen Werken mit bleibendem, autonomem, zeitlosem Wert und solchen, die für die Entwicklung der Sprache, des Stils, der Ästhetik zum jeweiligen kunsthistorischen Zeitpunkt Bedeutung haben«, erklärte er außerdem. Folgt man dieser Definition, hat Witold Lutosławski mit seinem Konzert für Orchester zweifellos einen Klassiker geschaffen. Witold Lutosławski: Konzert für Orchester 11 »Gedanken und Gefühle beim Anblick der böhmischen Heimat« PETER ANDRASCHKE LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN BEDŘICH SMETANA (1824–1884) Drei Tondichtungen aus dem symphonischen Zyklus »Má Vlast« (Mein Vaterland) 1. »Vyšehrad« 2. »Vltava« (Die Moldau) 3. »Šárka« Geboren am 2. März 1824 in Lytomyšl (Böhmen); gestorben am 12. Mai 1884 in Prag. ENTSTEHUNG Smetana hat »Má Vlast« (Mein Vaterland) vermutlich von Beginn an als Zyklus konzipiert, denn er komponierte die sechs Teile nacheinander in der endgültigen Reihenfolge in den Jahren 1874 bis 1879. Die Idee zu dem Projekt reicht möglicherweise bis 1867 zurück. Wie Moric Anger, der damals Geiger unter Smetana am Interimstheater in Prag war, berichtet, soll Smetana durch den Anblick der beiden Moldau-Quellen dazu angeregt worden sein. Die Abschlussdaten der einzelnen Kompositionen lauten für »Vyšehrad« 18. November 1874, für »Die Moldau« 8. Dezember 1874, für »Šárka« 20. Februar 1875, für »Aus Böhmens Hain und Flur« 18. Oktober 1875, für »Tábor« 13. Dezember 1878 und für »Blaník« 9. März 1879. Eine größere Unterbrechung von drei Jahren findet sich nach 1875. In dieser Zeit sind u. a. die Opern »Der Kuss«, »Das Geheimnis« Bedřich Smetana: »Má Vlast« 12 und das Streichquartett e-Moll »Aus meinem Leben« entstanden. Vielleicht sind die beiden letzten Kompositionen erst danach geplant worden, denn sie bilden musikalisch und gedanklich eine thematische Einheit, und in seinem privaten Werkverzeichnis von 1875 hatte Smetana neben die Titel der bereits fertiggestellten vier Stücke die Bemerkung »Geschaffen als Ganzes« notiert. Smetana war im Oktober 1874 bereits völlig ertaubt und hat »Má Vlast« folglich ohne jedes Gehör komponiert. URAUFFÜHRUNG Gesamter Zyklus: Am 5. November 1882 in Prag (Orchester des Königlich-Tschechischen Landestheaters unter Leitung von Adolf Čech); das Orchester war verstärkt durch Laienmusiker und Mitglieder der sog. »Philharmonie«, die sich aus Musikern des tschechischen und deutschen Theaters in Prag zusammensetzte. Einzelne Teile des Zyklus hatte Čech bereits vorher in Prag zur Aufführung gebracht: »Vyšehrad« und »Die Moldau« am 4. April 1876, »Tábor« und »Blaník« in einem Festkonzert am 4. Januar 1880 zu Ehren Smetanas in Erinnerung an sein erstes öffentliches Auftreten in Prag vor 50 Jahren. Über die erste Aufführung des Gesamtzyklus berichtet Václav Vladimír Zelený voll patriotischer Begeisterung: »Die grandiosen Tonbilder, aus denen sich ›Mein Vaterland‹ zusammensetzt, sind seit sieben Jahren, seit der Uraufführung des ›Vyšehrad‹ und seit Smetanas Konzert im Jahre 1875, die größte Zierde unserer Konzertprogramme. Aber nun lernten wir sie erst als gewaltiges Ganzes, als ein einheitliches Werk verstehen, als die größte dichterische Schöpfung Smetanas, als die stolzeste Huldigung, die je ein schöpferischer Geist seinem Vaterlande dargebracht hat.« SMETANA, LISZT UND DIE »SYMPHONISCHE DICHTUNG« Mozart, Beethoven, Schumann und Chopin waren für Smetana zunächst wichtige Vorbilder, doch am stärksten wirkten auf ihn Richard Wagner und Franz Liszt. Insbesondere Liszt war ihm »mein Meister, mein Muster, und für alle wohl ein unerreichbares Vorbild.« Dies gilt vor allem für das Orchesterschaffen Smetanas, in dem die symphonischen Dichtungen zentral sind. Doch bei aller Verehrung urteilte er selbstbewusst über sein Verhältnis zur sogenannten »Neudeutschen Schule« unter Führung von Liszt: Er gehöre ihr an, soweit sie »den Fortschritt predigt [...], im Übrigen mir selbst.« Liszt hat die »Symphonische Dichtung« als eine Gattung der Programmmusik begründet. Es sind in der Regel einsätzige Orchesterwerke, deren außermusikalische Bedeutung durch Überschriften bzw. ergänzende Texte angedeutet sind. Nach Liszts Auffassung handelt es sich um eine neue Gattung mit symphonischem Anspruch und zugleich um Werke, die Dichtung in Tönen sein wollen. »In der Programm-Musik«, so Liszt, »ist Wiederkehr, Wechsel, Veränderung und Modulation der Motive durch ihre Beziehung zu einem poetischen Gedanken bedingt.« Die Musik übernimmt mit den ihr eigenen Möglichkeiten den Versuch, das in dichterischen oder bildnerischen Werken nicht Darstellbare, etwa Momente des Religiösen oder Metaphysischen, die Schilderung innerer Vorgänge und konkreter Gefühlsgehalte, das heißt neue Erlebnis- und Ausdrucksqualitäten zu erschließen und klanglich zu vermitteln. Am offenkundigsten ist der Einfluss Liszts auf Smetana in den in Göteborg entstande- Bedřich Smetana: »Má Vlast« 13 Bedřich Smetana zur Entstehungszeit von »Má Vlast« (1875) Bedřich Smetana: »Má Vlast« 14 nen symphonischen Dichtungen, die sich auf internationale Literatur gründen: »Richard III.« (nach William Shakespeare, 1858), »Wallensteins Lager« (nach Friedrich Schiller, 1859) und »Hakon Jarl« (nach Adam Gottlob Oehlenschläger, 1861): »Ich schrieb sie in Schweden eben unter dem Eindruck, den auf mich in Weimar Liszts symphonische Dichtungen gemacht haben. Sie haben ganz die Form Liszts. Meine Gegner werden dies vielleicht auch gegen die symphonischen Dichtungen ›Má Vlast‹ verwenden, aber mit denen verhält es sich gänzlich anders: in diesen erlaubte ich mir eine besondere, ganz neue Form zu bestimmen. Sie tragen eigentlich nur noch den Namen ›Symphonische Dichtungen‹. Deshalb sind sie allerdings ein Schrecken für diejenigen, welche nichts vom Fortschritt in der Musik hören wollen und denen nur das gefällt, was immerfort nach dem alten Schuh gemacht ist.« Und an anderer Stelle bekennt er: »Meine Werke werden zwar oft gespielt, aber nicht selten ganz falsch. Meine Kompositionen gehören nicht in das Gebiet der ›absoluten Musik‹, in welcher man schließlich gut mit musikalischen Zeichen und mit dem Metronom auskommt. Ausschließlich diese Mittel jedoch reichen für meine Werke nicht aus. Alle meine Arbeiten kristallisierten sich aus bestimmten inneren Stimmungen meiner Seele heraus. Dies muss der ausführende Musiker, der meine Werke werkgetreu spielen soll, kennen, um die Zuhörer in die gleiche seelische Stimmung zu bringen.« Auf die Neuheit der Zyklusform weist schon der bekannte tschechische Komponist Alois Hába hin. Für ihn ist »Má Vlast« vom »musikalischen Standpunkte jener Zeit betrachtet der erste neue Typus einer Symphonie, die sich nicht an die traditionellen klassischen Formtypen der einzelnen Sät- ze, auch nicht an deren Anzahl bindet. Bedenken wir, dass in Deutschland und anderswo noch lange Zeit die klassische formale Tradition herrschte, so begreifen wir die fortschrittliche Bedeutung des symphonischen Schaffens Smetanas. Auch vom klanglichen Standpunkte blieb Smetana den europäischen Bestrebungen seiner Zeit nichts schuldig. Er war Mitkämpfer um neue, klangliche Errungenschaften.« Von Smetana existieren knappe Programme zu den Stücken, die er als »kurzen Abriss des Inhalts der symphonischen Dichtungen« im Mai an seinen Verleger František Augustin Urbánek schickte. Der mit ihm befreundete Schriftsteller Václav Vladimír Zelený hat sie in Absprache mit dem Komponisten weiter ausgeführt; sie sind den vierhändigen Klavierauszügen vorangestellt. Auf dieser Grundlage hat Jan (Spáčil-) Žeranovský für die Uraufführung des gesamten Zyklus neue und noch stärker ins Detail gehende Programmeinführungen formuliert. Im Folgenden werden zu den einzelnen Stücken Smetanas Kommentare nach der Übertragung durch František Bartoš zitiert (»Smetana in Erinnerungen und Briefen«, Prag 1954). Nur bei »Vyšehrad« wird zusätzlich die Version Zelenýs zitiert, damit die Unterschiede zwischen Smetanas Interpretation und der seiner Exegeten deutlich werden. »VYŠEHRAD« »Die Harfen der Wahrsager beginnen; ein prophetischer Gesang (Bardengesang) über die Ereignisse in Vyšehrad, über den Ruhm und die Herrlichkeit, Turniere und Schlachten, bis zum endgültigen Verfall und Untergang. Das Werk endet mit einem elegischen Ton (Nachgesang der Barden).« Bedřich Smetana: »Má Vlast« 15 Im tschechischen Text finden sich zwei deutsche Formulierungen zur Verdeutlichung des Inhalts: »Bardengesang« und »Nachgesang der Barden«. Die charakteristischen Unterstreichungen im Autograph kennzeichnen die emotionale Haltung Smetanas und setzen thematische Gewichtungen. Ausführlicher beschreibt Smetana das Werk in einem nachfolgenden Brief an Urbánek. Breit ausgeschmückt ist die spätere Schilderung von Zelený, die in Absprache mit dem Komponisten entstanden ist: »In Sicht des majestätischen Felsens von Vyšehrad, werden die Erinnerungen des Dichters aus der tiefen Vergangenheit, begleitet vom Klang der Harfe Lumirs, vermittelt. Inmitten dieser Klänge steigt Vyšehrad in seiner früheren Prächtigkeit auf, gekrönt vom glänzenden goldenen Allerheiligsten und dem stolzen Sitz der Fürsten und Könige von Přemysl, voller kriegerischer Herrlichkeit. Hier in der Burg, beim fröhlichen Fanfarenklang der Trommeln und Trompeten, steigt kühnes Rittertum prunkend zu Pferde. Hier begeben sich die Truppen lärmend hinunter zu ihren siegreichen Schlachten, und ihre Rüstungen strahlen im blendenden Sonnenlicht. Vyšehrad erzittert unter erhabenen Hymnen und Siegesfeiern. Während sich der Dichter nach dem längst vergangenen Ruhm Vyšehrads sehnt, wohnt er seiner Zerstörung bei. Entfesselte Leidenschaften führen in grausamen Schlachten dazu, dass die hohen Türme fallen, das Heiligtum verbrennt und der fürstliche Sitz zerstört wird. Anstatt unter den erhabenen Hymnen und Siegesfeiern, erzittert Vyšehrad nun unter dem wilden Tumult des Krieges. Der fürchterliche Sturm legt sich. Vyšehrad bleibt als ein verlassener Überrest seines einstigen Ruhms bestehen. Das klagende Echo des langen stillen Gesangs von Lumir hört auf in den Ruinen widerzuhallen.« Zwar wird in der Literatur oft genug betont, dass die Formgebung in »Má Vlast« im Prinzip einfach sei, doch beweisen die Ergebnisse der Analysen das Gegenteil. Das Neue der formalen Gestaltung sperrt sich herkömmlichen Darstellungen in einem Maße, dass es keinen Konsens gibt. Das ist auch bei »Vyšehrad« der Fall. Zudem erstaunt die zum Teil verschiedene, auch unterschiedlich detaillierte Zuordnung des außermusikalischen Geschehens auf die Musik. Smetana hat eben nicht nach einer ausführlichen und im einzelnen ausgearbeiteten Grundlage eines Programms komponiert und diese quasi abhakend musikalisch illustriert, sondern vielmehr kommentierte er eine »poetische Idee«, die z. B. in »Vyšeh rad« einen Entwicklungsverlauf (Aufstieg, Blüte, Verfall) hat, als Ausdrucksmusik in vielfältigen Gefühlslagen und Empfindungen. Dabei ergibt sich ein beständiger Wechsel zwischen die Handlung andeutenden Partien und solchen, an denen der Komponist verweilt, um über das Geschehen zu reflektieren. Gerade diese Folge von erzählenden Strukturen und verweilenden Momenten bildet die eigentliche Grundlage der neuen Formgestaltung und scheint sich der herkömmlichen Analyse zu versperren. Den Entwicklungsbogen, den die Musik im Großen beschreibt, kann der Hörer in dieser primär auf sein Empfinden abzielenden Musik durchaus nachvollziehen; doch wird er das Detail mit aus der eigenen Phantasie herrührenden auch bildhaften Vorstellungen individuell ausfüllen. Thema von »Vyšehrad« ist Aufstieg und Fall der Fürstenburg, einem Symbol der Hoffnung in der bewegten nationalen Geschichte, das in der tschechischen Literatur verschiedentlich aufgegriffen worden ist. Der musikalische Verlauf ist damit im Groben festgelegt. Eine Einleitung mit dem Gesang Bedřich Smetana: »Má Vlast« 16 des Barden Lumir zur Harfenbegleitung und die das Werk abschließende Rückbesinnung voller Schmerz, Wehmut und Hoffnung rahmen den Hauptteil ein. Die thematische Arbeit ist vor allem auf das sogenannte Vyšehrad-Motiv konzentriert, das zuerst von Lumir vorgetragen und später in der »Moldau« und in »Blaník« zitiert wird, wenn Bezug auf diese Burg genommen wird. Es entstammt Smetanas nationaler Oper »Libuše« und erklingt dort bei der Erwähnung von Vyšehrad. Auch der zweite zentrale Gedanke in diesem Werk stammt aus dieser Oper: Es ist in seiner Grundform ein gebrochener Dur-Sextakkord. Die beiden weiteren Themen, die im Werk eigenständige Entwicklungen erlangen, sind Varianten des Vyšehrad- Motivs. Das eine verwandelt seine diatonische Grundgestalt in eine chromatische Formulierung und bestimmt als »negative« Geste den dramatischsten Abschnitt des Werkes, den Kampf, der um die Burg geführt wird. »VLTAVA« »Diese Komposition schildert den Lauf der Vltava [Moldau]. Sie belauscht ihre ersten zwei Quellen, die warme und die kalte Vltava, verfolgt dann die Vereinigung beider Bäche und den Lauf des Vltava-Stromes über die weiten Wiesen und Haine, durch Gegenden, wo die Bewohner gerade fröhliche Feste feiern. Im silbernen Mondlicht führen Wassernymphen ihre Reigen auf, stolze Burgen, Schlösser und ehrwürdige Ruinen, mit den wilden Felsen verwachsen, ziehen vorbei. Die Vltava schäumt und wirbelt in den Stromschnellen zu St. Johanni, strömt in breitem Flusse weiter Prag zu, die Burg Vyšehrad taucht an ihrem Ufer auf. Majestätisch strebt die Vltava weiter, entschwindet den Blicken und ergießt sich schließlich in die Elbe.« Smetana hat in die Partitur der »Moldau« programmatische Wegweiser eingetragen, was eine Ausnahme in diesem Zyklus ist. Zum Beginn steht bei den Flöten: »Die erste Quelle der Moldau«, zum Einsetzen der Klarinetten im Takt 16: »Die zweite Quelle der Moldau«, das eigentliche Moldau- Thema am Zusammenfluss der beiden Quellflüsse hat er nicht eigens bezeichnet. Der darauf folgende Abschnitt mit den Hörnerfanfaren heißt »Waldjagd«, die »Bauernhochzeit« fällt durch ihre tänzerische Rhythmik auf, »Mondschein, Nymphenreigen« ist ein zartes Stimmungsbild. Es folgt wieder das bekannte Moldau-Thema, und bald erreicht der Fluss die gefährlichen »St. Johannis-Stromschnellen«; heute sind sie einem Stausee gewichen. »Die Moldau strömt breit dahin« heißt es am Beginn des letzten Teils, in dem das Moldau-Thema in E-Dur erstrahlt. Als der Fluss Prag erreicht und an der ehrwürdigen Burg vorbei fließt, erklingt in den Bläsern fortissimo das Vyšehrad-Motiv, was ausdrücklich gekennzeichnet ist. In der Ferne entschwindet die Moldau, die Musik wird immer leiser. Sehr deutlich und überzeugend ist der gesamte Ablauf musikalisch gegliedert. Die Form des Satzes wird als dreiteilige Liedform mit Einleitung und Coda erklärt, zuweilen auch, aufgrund der mehrfachen Wiederkehr des Hauptthemas, als Rondo bestimmt. Die »Moldau« wurde das populärste Werk des Zyklus. Gefördert hat dies die eingängige melodische Gestaltung. Das Haupt thema gehört zu einem weit verbreiteten Melodietypus der Folklore, bei dem die Linie der Haupttöne vom Grundton stufenweise zur Sexte und wieder zurückführt. Als mit Smetanas Thema eng verwandt werden immer wieder kulturell so weit entfernte Beispiele angeführt wie die israelische Nationalhymne »Hatikwa«, die auf ein (rumä- Bedřich Smetana: »Má Vlast« 17 nisch-) moldawisches Volkslied zurückgeht, und sogar das deutsche Kinderlied »Alle meine Entchen«. Gerade die letzte Beziehung ist recht weit hergeholt, da es eine Dur-Variante ist und zudem ein ganz anderer Rhythmus vorliegt. Smetana zitiert hier keineswegs Folklore, und er bezieht sich auch nicht allgemein auf derartige Belege, sondern schafft sein eigenes volkstümlich gefärbtes Thema. Übrigens schrieb Bertolt Brecht für sein Stück »Schweyk im zweiten Weltkrieg« den Text »Es wechseln die Zeiten«, der die Verse enthält »Am Grunde der Moldau wandern die Steine. / Es liegen drei Kaiser begraben in Prag«. Hanns Eisler vertonte ihn unter dem Titel »Das Lied von der Moldau« und zitierte dabei einen Teil des Moldau-Themas. Brecht notierte während der Arbeit an dem Moldau-Lied: »Nach einer Sage, welche die armen Leute der Stadt wissen, ist das Wasser der Moldau nichts als die Tränen, die das Volk geweint und gelacht hat.« »ŠÁRKA« Ohne den Titel und die Erläuterungen Smetanas würde man die Musik zu dieser symphonischen Dichtung mit ihrem Wechsel von hochdramatischen und lyrischen Partien, zwischen groß besetztem Klang und den einstimmigen Linien mit ihrem erzählenden Ton sicher anders deuten, jeder Hörer für sich individuell. Nach Smetanas Äußerungen liegt der Komposition ein geradezu männerfeindliches und männermordendes Sujet zu Grunde: »In dieser Komposition ist nicht die Gegend [das Tal der Šárka liegt in der nördlichen Umgebung von Prag] festgehalten, sondern die Handlung, die Sage von der Maid Šárka, die in leidenschaftlichem Zorn über die Untreue des Geliebten dem ganzen männlichen Geschlecht bittere Ra- che schwört. Aus der Ferne dringt Waffenlärm. Ctirad ist mit seinen Knappen im Anmarsch, um die streitbaren Mädchen zu bezwingen und zu bestrafen. Er vernimmt schon von weitem das (nur listig vorgeschützte) Klagen einer Maid, erblickt Šárka an einen Baum gebunden und ist von ihrer Schönheit bezaubert. Er entbrennt in heißer Leidenschaft zu ihr und befreit sie. Šárka versetzt mit einem bereit gehaltenen Trunke Ctirad und seine Knappen in Rausch und zuletzt in tiefen Schlaf. Auf ein gegebenes Hornsignal, das die Gefährtinnen Šárkas in der Ferne erwidern, stürzen diese aus dem Wald und richten ein Blutbad an. Ein schauerliches Gemetzel, blindes Wüten der ihre Rache stillenden Šárka beschließt die Dichtung.« Durch diesen Kommentar wird die semantische Bedeutung der Musik in eine bestimmte Richtung gelenkt, denn klangliche Darstellungen allein können nichts Definitives aussagen, sondern öffnen Erlebnis- und Empfindungswelten und vermitteln Eindrücke, die im Rahmen des vorgegebenen Ausdrucksbereichs unterschiedlich gedeutet werden können. Ein Beispiel ist der Anfang. Der dramatisch-feurige Gestus verweist nach Smetana auf die leidenschaftlich auf Rache sinnende Amazone Šárka. Zelený, im Einverständnis mit Smetana, beschreibt die Musik anders: »Zu Beginn bleibt die Phantasie am Šárka-Felsen hängen. Der Blick schweift über die wilden Schönheiten des romantischen Tales bis nach Prag, wo einst Devin, die Burg der tschechischen Amazonen, dem Vyšehrad gegenüberstand. Und schon zerfließt vor den Blicken das zauberhafte Tal in den Nebeln altertümlicher Sagen. Aus den Nebeln steigt eine majestätische und doch schmachtende, eine stolze und doch reizende Mädchengestalt auf. Bedřich Smetana: »Má Vlast« 18 Eine glänzende Brünne, ein kühner Helm, ein goldenes Horn, Armbrust und Schwert – Šárka ist’s.« Heinrich Kretzschmar deutet in seinem verbreiteten »Führer durch den Konzertsaal« dagegen den Anfang als »Amazonenmusik« und hört in der Thematik des Beginns bereits »Krieg und Kämpfe«, und zur nachfolgenden Kantilene bemerkt er: »Soll in ihr des Weibes eigentliches Wesen die Amazonenmaske durchbrechen ?« Alle drei Interpretationen entsprechen durchaus dem Gestus der Musik, die somit im Detail differenziert empfunden werden kann. Der Hörer ist nicht sklavisch an die programmatischen Vorgaben des Komponisten gebunden, der, wie die Ausführungen seines Freundes Zelený zeigen, für differenzierende Deutungen seiner Musik offen war. Immer wieder finden wir bei außermusikalisch motivierten Kompositionen, etwa von Liszt oder von Mahler, unterschiedliche programmatische Erläuterungen. Cello auf Ctirad, der von dem Anblick des gefesselten Mädchens gerührt ist. Es folgt ein Abschnitt mit ausgeprägter Liebesthematik und danach ein volksmusikalisch tänzerischer Teil, der auf ein Fest verweist. An seinem Ende wird die Musik leiser, die trunkenen Männer schlafen ein. Mit einem Ruf des Solohorns, der von den anderen Hörnern erwidert wird, setzt eine leise von Tremoli der Streicher und Pauken grundierte klagende Klarinettenmelodie (zuvor das In strument der Šárka) ein, die »doloroso quasi recitando« und »piagendo« (weinend) vorgetragen wird. Weint hier die Amazone um den nahen Tod eines Geliebten, da sie die geplante Tat nicht mehr verhindern kann ? Die Musik steigert sich zu einem turbulenten Schlussteil, in dem lediglich die Vortragsanweisung »frenetico« das allgemeine Gemetzel andeutet, das den Gang der Handlung beschließt: Smetanas Musik, auch wenn sie noch so lautstark klingt, kann nie so blutrünstig wirken, wie sie gemeint ist. Man kann die Musik aufgrund des von Smetana bzw. Zelený verbalisierten Geschehens gut verfolgen. Wie bei den anderen Kompositionen in diesem Zyklus liegt keine traditionelle Form zugrunde, die aufgrund des Sujets variiert wurde, den Verlauf bestimmt vielmehr a priori das zielgerichtete Programm. Der dramatische Anfang wird kurz unterbrochen durch einen lieblichen Streichersatz von wenigen Takten, der die frauliche Seite Šárkas anspricht. Der nächste Abschnitt ist ein Marsch, der allerdings nicht kriegerisch, sondern freundlich wirkt. Ahnungslos nähern sich die Knappen des Ctirad dem Schauplatz des Geschehens. Aus dem Orchestersatz heraus lösen sich zwei unbegleitete Soli von anmutiger Melodiegebung. Das erste in den Klarinetten verweist auf Šárka, das zweite im tieferen Bedřich Smetana: »Má Vlast« 19 Der Stolz der Tschechen WOLFGANG STÄHR VOLK DER »FIEDLER« UND MUSIKANTEN ? Eine demütigende Kränkung stieß Bedřich Smetana auf den Weg, der ihm vorgezeichnet war. Anfang September des Jahres 1857 kam der tschechische Musiker in das festlich geschmückte Weimar, das ganz im Zeichen der Feiern zum 100. Geburtstag Carl Augusts stand, des allseits verehrten Herzogs und Goethe-Freundes. Die Grundsteinlegung für ein Denkmal des kunstsinnigen Regenten, die umjubelte Enthüllung des Goethe- und Schiller-Monuments vor dem Hoftheater, die Uraufführung der epochalen »Faust-Symphonie« des Großherzoglichen Hofkapellmeisters Franz Liszt – es waren aufregende, unvergessliche Tage, die Smetana in Weimar verbrachte, zumal er als Gast seines Förderers Liszt auf der Altenburg logieren durfte. Und doch wurde seine Hochstimmung durch eine beschämende Begebenheit am Rande getrübt. Bei einer musikalischen Soirée ließ sich der Wiener Dirigent Johann Herbeck, der spätere Hofoperndirektor, zu der abschätzigen Äußerung hinreißen, die Böhmen seien zwar brauchbare Musikanten und »Fiedler«, aber große Komponisten suche man bei ihnen vergebens. Franz Liszt, der Gastgeber des Abends, antwortete auf seine Weise. Mit großer Geste setzte er sich an den Flügel und spielte die »Six morceaux caractéristiques«, das Opus 1 seines tschechischen Schützlings. »Hier haben Sie den Komponisten mit dem echt böhmischen Herzen, den von Gott begnadeten Künstler«, sprach er und lenkte die Blicke der Gesellschaft auf den verlegenen Smetana. Noch in derselben Nacht legte Bedřich Smetana den Schwur ab, sich fortan ganz seinem Volk zu widmen und seine schöpferische Kraft in den Dienst der tschechischen Musik zu stellen: ein feierlicher Augenblick. VON BÖHMEN HINAUS IN DIE WELT Mögen sich in der Überlieferung dieser Weimarer Episode auch die Tatsachen zur Legende verklärt haben, der Vorfall erhellt doch schlagartig den Konflikt, aus dem die Nationalmusik der Tschechen im 19. Jahrhundert gewaltig hervorbrach. Generationen von Musikern waren aus Böhmen, dem »Konservatorium Europas«, fortgegangen in die weite Welt, Jan Dismas Zelenka, die Familien Benda und Stamitz, die Gebrüder Wranitzky, Florian Leopold Gassmann, Jo- Bedřich Smetana: »Má Vlast« 20 sef Mysliveček, Adalbert Gyrowetz, Antoine (Antonín) Reicha und wie sie alle hießen: bedeutende, ja sogar wegweisende Komponisten, und keineswegs bloß bodenständige »Fiedler«. An jedem Ort, auf jedem Gebiet hatten sie reüssiert – was wäre die Mannheimer Schule, die italienische Oper, das Pariser »Concert spirituel«, was wären Wien, Dresden oder Berlin gewesen ohne sie ? Das nationale Kriterium spielte für diese böhmischen Musiker deutscher oder tschechischer Provenienz noch keine Rolle, und so bereisten und bereicherten sie die europäischen Länder, verschenkten ihre überreichen Gaben, komponierten, brillierten, unterrichteten, ohne dass sich ihr verstreutes Wirken je zu einer tschechischen Musikgeschichte verknüpft hätte. Dieses Manko in einen Vorwurf umzumünzen, wie der Wiener Herbeck es tat, kam einer subtilen Bosheit gleich. Wer den Tschechen ankreidete, dass sie ihre Talente in den Dienst anderer Nationen stellten, verschloss die Augen vor den Verhältnissen, die in Smetanas böhmischer Heimat herrschten. DIE NATIONALE WIEDERGEBURT In zwei Jahrhunderten war die tschechische Kultur nahezu ausgelöscht worden. Die Schlacht am Weißen Berg, der Sieg der kaiserlichen Truppen über das böhmische Heer hatte 1620 mit der staatsrechtlichen Selbstständigkeit auch die nationale Eigenart der Tschechen zerstört. Der habsburgische Zentralismus und die katholische Gegenreformation zwangen das Land brutal in die Knie, unterdrückten das protestantische Bekenntnis und beraubten die Menschen ihrer kulturellen Identität. Das Tschechische, die Sprache des Reformators Jan Hus, sank ab zum Dialekt der Unterprivilegierten. Die Gebildeten und Besitzenden, das städtische Patriziat und der Adel sprachen deutsch. Bedřich Smetana bildete da keine Ausnahme, weder in der Familie noch in der Schule hatte er tschechisch gesprochen, und sogar sein Tagebuch führte er auf deutsch. In einem seiner frühesten tschechischen Briefe entschuldigt sich Smetana für die orthographischen und grammatikalischen Fehler: »Es war mir bis zum heutigen Tage nicht gegönnt, mich in meiner Muttersprache zu vervollkommnen.« Doch die Zeiten änderten sich. Die tschechischen Gelehrten besannen sich auf ihr verschüttetes Erbe; Wörterbücher, Literaturgeschichten, Volksliedsammlungen erzielten eine ungeahnte Breitenwirkung, vaterländische Gesänge, Epen und Balladen trafen auf ein gleichgesinntes Publikum. Überall im Land wurden Chöre und Gesangsvereine gegründet, die Tschechen begeisterten sich für ihre heimatlichen Lieder und Tänze, für ihre Sagen, Märchen und Mythen, und mit der Erinnerung an die legendäre Vergangenheit der Přemysliden und Hussiten wuchs das nationale Selbstbewusstsein. »Ich bin mit Leib und Seele Tscheche«, bekannte Smetana, »und stolz darauf, mich einen Sohn unserer ruhmreichen Nation nennen zu dürfen.« Es gärte gewaltig in den habsburgischen Kronländern Böhmen und Mähren. Die schweigende Mehrheit hatte ihre Sprache wiedergefunden, ihre Geschichte und ihren Mut. Die machtvolle Bewegung der »tschechisch nationalen Wiedergeburt« war nicht mehr aufzuhalten. FREIWILLIGE EMIGRATION NACH GÖTEBORG Den jungen Smetana hatten die Unruhen des politischen Vormärz noch wenig berührt. Der Sohn eines musizierfreudigen Brauereipächters aus dem böhmischen Litomyšl – dort wurde er am 2. März 1824 Bedřich Smetana: »Má Vlast« 21 geboren – lebte ganz in seiner schöngeistigen Welt, schuf poetische Salonstücke für Klavier und gefühlvolle Lieder und träumte davon, »in der Mechanik ein Liszt, in dem Componieren ein Mozart« zu werden. Aber die Realität holte ihn grausam ein, als der junge Pianist 1848 die blutige Niederschlagung des Prager Pfingstaufstandes durch die Soldaten des Fürsten Windischgraetz mitansehen musste. Smetana, von dem Vorbild seiner patriotischen Freunde beeindruckt, hatte selbst als Wache schiebender Nationalgardist die Volkserhebung unterstützt, einen Marsch für die Prager Studenten-Legion komponiert und ein martialisches »Lied der Freiheit« geschrieben: »Wer da Tscheche ist, ergreife das Schwert !« Im selben Jahr der gescheiterten Revolution eröffnete er in Prag eine private Musikschule, ein »Lehr-Institut im Pianoforte-Spiele«. Vom bedrängenden Konkurrenzkampf zermürbt und deprimiert über die Perspektivlosigkeit im heimischen Musikleben, resignierte Smetana schon bald, packte die Koffer und folgte 1856 einer Empfehlung nach Göteborg. Als Klavierlehrer höherer Töchter ließ es sich auskömmlich leben in der schwedischen Hafenstadt. Dem böhmischen Gast wurde sogar die Chorleitung der »Harmonischen Gesellschaft« übertragen, und er nutzte die angesehene Position, um Oratorien vom »Messias« bis zum »Elias« einzustudieren und wagemutig auch Chöre aus Wagners »Tannhäuser« und »Lohengrin« zu Gehör zu bringen. Trotz aller Erfolge und materiellen Wohltaten hielt es ihn aber auf Dauer nicht in der Fremde, schon gar nicht, als er von den Plänen zur Gründung eines tschechischen Theaters in Prag erfuhr, ein elektrisierendes Vorhaben. Bis dahin wurden lediglich am Sonntagnachmittag im deutschen Ständetheater Aufführungen in tschechischer Sprache geboten, Schau- spiele und Opern in Übersetzungen, selten auch Originalwerke wie die tschechischen Singspiele von František Škroup. Das deutsche Bildungsbürgertum zeigte wenig Verständnis für die nationale Theaterbegeisterung der tschechischen Mehrheit, ja es kursierte sogar der hässliche Spottvers: »Schuster, Schneider, Handwerksleut’ / haben nur am Sonntag Zeit.« Was sollte denn eine tschechische Bühne ihren Zuhörern zu bieten haben ? DER VATER DER TSCHECHISCHEN NATIONALOPER Diese Vorurteile schienen sich auch zu bestätigen, als das Nationaltheater 1862 in sein provisorisches Gebäude, das »Königlich- Böhmische Landes-Interimstheater«, einzog und mit einer französischen Comédie lyrique, Cherubinis »Les deux journées«, seine Pforten öffnete. Diesen Missstand zu beheben und der Prager Bühne ein authentisches Repertoire tschechischer Musikdramen zu schaffen, darin bestand die historische Mission und die Berufung Bedřich Smetanas, sein Lebenswerk. War er auch nicht der einzige und nicht einmal der erste, der diesen Weg beschritt, so gebührt ihm doch mit vollem Recht der Ehrentitel des »Schöpfers« oder »Vaters« der tschechischen Nationaloper. Gleich die erste seiner insgesamt acht (vollendeten) Opern, »Die Brandenburger in Böhmen«, wurde 1866 im Interimstheater uraufgeführt und gewann überdies den Ersten Preis in einem Wettbewerb, den der Fürst Jan Harrach veranstaltete, um die beste Oper über einen Stoff »aus der Geschichte der böhmischen Krone« oder dem »tschechisch-slawischen Volksleben« auszuzeichnen. Wenige Monate nach den »Brandenburgern«, am 30. Mai 1866, ging die Urfassung der »Verkauften Braut« in Szene, der Beginn eines Welter- Bedřich Smetana: »Má Vlast« 22 folgs, den der Komponist selbst freilich nicht mehr erleben sollte. Immerhin durfte er 1882 noch die Festivitäten zur 100. Aufführung seiner »Prodaná nevĕsta« genießen, doch war seine Freude an diesem Jubiläum nicht frei von Bitterkeit: »Wenn ich die ›Verkaufte Braut‹ übermäßig loben höre, habe ich den Eindruck, als ob die Leute meine übrigen Opern schmähen würden.« Das böhmische Dorfidyll, die heitere Intrigenhandlung um die schöne Bauerntochter Mařenka, ihren Geliebten Jeník und den Heiratsvermittler Kecal, dieser frühlingshafte Bilderreigen mit Kirchweihfest, Wanderzirkus und Volkstanz hat die Herzen der Opernfreunde erobert, gleich welcher Nationalität sie angehören. Smetana selbst jedoch hielt seine anderen Musikdramen für die besseren Werke. Welche kennt man außerhalb des tschechischen Kulturkreises ? Die »Zwei Witwen«, »Der Kuss« oder »Das Geheimnis«, komische Opern alle drei, haben nur in Smetanas Heimat ihr Publikum gefunden; die schaurig-romantische »Teufelswand« rangiert selbst dort nur als Rarität. »MEIN TEURES BÖHMENVOLK WIRD NICHT VERGEH’N« Bedřich Smetana blieb in den letzten zwei Jahrzehnten seines Lebens der National theaterbewegung aufs engste verbunden. Am Interims-Haus wirkte er für acht Spielzeiten als Kapellmeister, dirigierte ein Orchester aus 35 Musikern, leitete philharmonische Konzerte und förderte das aufblühende Schaffen seiner Landsleute, namentlich Antonín Dvořák (der als Bratschist am Theater engagiert war), Zdeněk Fibich und Vilém Blodek. Am 16. Mai 1868, dem großen Tag der Grundsteinlegung für das definitive, nicht länger nur provisorische Gebäude des tschechischen Nationaltheaters, erklang in Prag Smetanas tragische Oper »Dalibor« zum ersten Mal, ein Sagenstoff aus der böhmischen Historie, die Geschichte vom Tod des aufständischen Ritters Dalibor, den das Volk zum Helden und zur nationalen Identifikationsfigur erhob. Der patriotische Überschwang dieses Werkes wurde noch weit übertroffen von Smetanas Oper »Libuše«, mit dem am 11. Juni 1881 der Neorenaissance-Bau an der Moldau eingeweiht wurde, das ersehnte, aus Spenden bezahlte, zum Heiligtum der Tschechen erklärte Nationaltheater. Nach nur zwei Monaten brannte es ab, wurde mit dem Geld der Bürger sogleich wieder aufgebaut und 1883 zum zweiten Mal eröffnet, abermals mit der »Libuše«. Diese Oper war und blieb das Glanzstück tschechischer Weihestunden und Staatsakte, der Inbegriff nationaler Kunst: Smetana hielt es für sein »gelungenstes Werk auf dem Gebiete des höheren Dramas«. Da geht es nicht um Handlung oder Psychologie, sondern um Symbol und Legende: um die sagenhafte Gründerin der Stadt Prag, Libuše, die Ahnherrin der Přemysliden, des mittelalterlichen Herrschergeschlechts der böhmischen Herzöge und Könige. Im letzten Akt erstehen vor Libušes geistigem Auge die Bilder künftiger nationaler Glorie, eine Folge prachtvoller Tableaux vivants, gekrönt von Libušes Weissagung: »Mein teures Böhmenvolk wird nicht vergeh’n, / Aus Grabesnächten herrlich aufersteh’n !« Ein solches nationales Pathos war Balsam für die gedemütigte tschechische Seele, deren Traum von staatlicher Unabhängigkeit noch Jahrzehnte auf seine Verwirklichung warten musste. AUF DEM WEG ZU »MÁ VLAST« Im Rückblick könnte man leicht zu dem Eindruck gelangen, Bedřich Smetana sei schon zu seinen Lebzeiten der unumstrittene Na- Bedřich Smetana: »Má Vlast« 23 tionalkomponist der Tschechen gewesen. Aber die Realität sah anders aus. Umjubelte Premieren wechselten mit deprimierenden Reinfällen – dem von Gustav Mahler hochgeschätzten »Dalibor« etwa war durchaus kein Erfolg beschieden –, Bewunderung und Anfeindung hielten sich bestenfalls die Waage. In der aufgeheizten nationalistischen Atmosphäre warfen Smetanas Gegner ihm »lebensunfähige Ausländerei« vor und geißelten ihn als »Wagnerianer« und »Germanisator«. Und wenngleich auch die Intrigen und Kampagnen gegen den Kapellmeister in Wirklichkeit von ganz banalen Motiven, Eifersüchteleien und Eitelkeiten genährt wurden, so rührten sie doch an einen ernsten Streitpunkt. Schon der Wettbewerb des Fürsten Harrach, der Opern »nationalen Charakters« anregen wollte, verlangte Partituren, die auf »Tschecho-Slawischen Volksliedern und der zu diesen gehörenden Musik« basieren sollten. Smetana widerstrebte diese Forderung von Anfang an, mit »zahmen Nachahmungen« schaffe man keinen nationalen Stil, »von dramatischer Echtheit ganz zu schweigen«. Das änderte natürlich nichts daran, dass manche seiner Arien zu wahren Volkliedern wurden und die mitreißenden Rhythmen der Polka, des Furiant oder der Sousedská sich allenthalben in Smetanas Musik finden. Für die »städtische Folklore« zeigte er sich durchaus empfänglich, auch für solche aus zweiter Hand; sein künstlerisches Bekenntnis jedoch gründete auf den Ideen der »neudeutschen Schule«, des Wagner’schen Gesamtkunstwerks und der Liszt’schen Programmmusik. So wie er nach Konstanz pilgerte, an die Hinrichtungsstätte des als Ketzer verbrannten Jan Hus, reiste er auch nach München, um Wagners Dramen am Hoftheater hören zu können. Und seinem Mentor Franz Liszt versicherte er: »Betrachten Sie mich als einen der eifrigsten Jünger unserer Kunstrichtung, der mit Wort und That für deren heilige Wahrheit einsteht und wirkt.« Noch in späten Jahren nannte er Liszt seinen »Meister« – »und für alle wohl ein unerreichbares Vorbild«. Unter dem Eindruck des Weimar-Besuches im Herbst 1857 hatte Smetana seine ersten Tondichtungen komponiert: »Richard III.« (nach Shakespeare), »Wallensteins Lager« (nach Schiller) und »Hakon Jarl« (über einen norwegischen Despoten). 1872 begann er jene sechs programmatischen Orchesterwerke zu schreiben, die er schließlich als Zyklus unter dem Titel »Má Vlast« (Mein Vaterland) zusammenfassen sollte, symphonische Dichtungen auf der Höhe der Zeit und des »musikalischen Fortschritts«, die den Ruhm der tschechischen Nation besingen: den Vyšehrad, den alten Prager Burgfelsen; Tábor, die Festung der radikalen Hussiten; den Blaník, den tschechischen Kyffhäuser; die mythische Gestalt der Šárka und ihres wilden Amazonenheeres; aber auch die friedliche Schönheit von »Böhmens Hain und Flur« und den Lauf der Moldau von der Quelle bis zur Hauptstadt Prag. EIN GRAB AUF DEM VYŠEHRAD Die absolute Musik der »tönend bewegten Formen« lag Smetana dagegen fern. Zwar komponierte er 1855 ein g-Moll-Klaviertrio, aber es war ein autobiographisches Werk, die Klage über den Tod der ältesten Tochter. Sein e-Moll-Streichquartett, das er nach 21-jähriger Enthaltsamkeit auf dem Gebiet der Kammermusik schuf, überschrieb er mit dem bekenntnishaften Titel: »Aus meinem Leben«. Der letzte Satz scheint mit lauter Jubel und überschwänglicher Freude zu enden, bevor nach einer jähen Generalpause die erste Violine über dem Tremolo der Unterstimmen einen stechenden Ton anstimmt, ein viergestrichenes »e«, mit dem Smetana das »schicksalsschwere Pfeifen in Bedřich Smetana: »Má Vlast« 24 den höchsten Tönen« darzustellen versuchte, »das im Jahre 1874 in meinen Ohren entstand und meine beginnende Taubheit anmeldete«. Diese Krankheit schritt mit schonungsloser Gewalt voran: Binnen weniger Wochen war Smetana völlig ertaubt, musste sein Kapellmeisteramt aufgeben, die pianistischen Auftritte, den Klavierunterricht. Die unvermittelt hereinbrechende materielle Not zwang ihn, sein geliebtes Prag zu verlassen und bei Žofie, seiner Tochter aus erster Ehe, und ihrem Mann in einem abgelegenen Forsthaus Asyl zu erbitten. Schon die Uraufführungen des »Vyšeh rad« und der »Moldau« im Frühjahr 1875 konnte Smetana nicht mehr hören. Und bei der Galavorstellung der »Libuše« im wiedererrichteten Nationaltheater musste er sich um eine Freikarte bemühen, da er das Geld für ein Billett nicht mehr aufzubringen vermochte ! So ging es zu Ende mit dem Komponisten, der den Tschechen eine neue, eigenständige Nationalmusik geschenkt hatte. Das Prager Opernhaus, das ihm so viel verdankte, speiste ihn mit einem kümmerlichen Gnadengehalt ab. Vereinsamt und verbittert kämpfte Smetana den aussichtslosen Kampf gegen die schleichende Zerstörung seiner Physis und die fortschreitende Zerrüttung seiner Geisteskräfte. Nachdem er in einem Wahnsinnsanfall das Mobiliar zertrümmert und bedrohlich mit einem Revolver hantiert hatte, wurde er im April 1884 in die Landesirrenanstalt nach Prag verbracht. Dort starb Bedřich Smetana am 12. Mai im Alter von sechzig Jahren. Als »Stolz des tschechischen Volkes« und »Opfer der tschechischen Verhältnisse«, wie es in der Trauerrede hieß, wurde er begraben, der »Komponist des Vaterlands«: auf dem Ehrenfriedhof des Vyšehrad, hoch über der Moldau... VATERLÄNDISCHE GESINNUNG UND WELTRUHM Die Überbetonung des Nationalen, wie sie uns in Smetanas Werk begegnet, nimmt in der abendländischen Musikgeschichte eine Außenseiterstellung ein. In einem kurzen historischen Augenblick vereinten sich vaterländische Gesinnung und künstlerische Inspiration. Ob es auch ein glücklicher Moment war, steht auf einem anderen Blatt. Der Anspruch auf nationale Kultur, so befand Albert Schweitzer in den Jahren des Ersten Weltkrieges, sei eine krankhafte Erscheinung. »Auf allen Gebieten wird in steigendem Maße darauf hingearbeitet, dass an den Erzeugnissen das Empfinden, Auffassen und Denken des Volkstums, aus dem sie hervorgegangen sind, möglichst stark sichtbar werde. Diese mit Absicht gewahrte und gepflegte Eigenart zeigt an, dass die natürliche verloren gegangen ist. Die Besonderheit der Persönlichkeit des Volkes spielt nicht mehr als etwas Unbewusstes und Halbbewusstes mit wechselnden Lichtern in das Allgemeine des geistigen Lebens hinein. Sie wird Manie, Künstelei, Mode, Mache.« In Bedřich Smetanas Schaffen liegt das Zeitlose und Zeitgebundene, liegen Weitsicht und Ideologie, warmherzige Heimatliebe und aggressiver Nationalismus in einem teils fruchtbaren, teils lähmenden Wettstreit. Die Größe seines Werkes leuchtet dort auf, wo er die Grenzen der tschechischen Musik zu einem offenen Horizont weitet. Die Moldau fließt heute durch alle Welt, und der Vyšehrad prangt auch über New York und München. Bedřich Smetana: »Má Vlast« 25 Krzysztof Urbański DIRIGENT Der polnische Dirigent Krzysztof Urbański schloss 2007 seine Studien an der Fryderyk- Chopin-Musikuniversität in Warschau ab. Im selben Jahr gewann er mit einstimmigem Juryvotum den ersten Preis des Internationalen Dirigentenwettbewerbs »Prager Frühling«. 2013 konzertierte Krzysztof Urbań ski mit der Sinfonia Varsovia zum Anlass des 80. Geburtstags seines Landsmanns Krzysztof Penderecki und teilte dabei das Podium mit Charles Dutoit und Valery Gergiev. Seine Debüts bei den Berliner Philharmonikern und beim Chicago Symphony Orches tra folgten in der Saison 2013/14. Mit Beginn der aktuellen Spielzeit trat Krzysztof Ur- bański die fünfte Saison seines von der Kritik hoch gelobten Amtes als Musikdirektor des Indianapolis Symphony Orchestra an. Außerdem setzt er seine Tätigkeit als Chefdirigent und künstlerischer Leiter des Trondheim Symfoniorkester fort und ist darüber hinaus Erster Gastdirigent des Tokyo Symphony Orchestra. Ebenfalls als Erster Gastdirigent vertieft er seit dieser Saison seine Zusammenarbeit mit dem NDR Sinfonieorchester Hamburg und wird in dieser Funktion auch an den Eröffnungskonzerten der Hamburger Elbphilharmonie mitwirken. Im Sommer 2015 erhielt Krzysztof Urbański den Leonard-Bernstein-Award des Schleswig- Holstein Musik Festival, der erstmals an einen Dirigenten vergeben wurde. Zu zukünftigen Projekten zählen Auftritte mit dem London Symphony Orchestra, dem Philharmonia Orchestra, dem Orchestre Philharmonique de Radio France und dem Tonhalle-Orchester Zürich. In Nordamerika wird er am Pult des Pittsburgh Symphony Orchestra, des San Francisco Symphony, des New York Philharmonic, des National Symphony Orchestra und des Toronto Symphony Orchestra stehen. Der Künstler 26 Die Philharmoniker als Botschafter tschechischer und polnischer Musik GABRIELE E. MEYER Am 14. Oktober 1893 begann die philharmonische Orchestergeschichte in München mit der Wiedergabe von Smetanas Ouvertüre zu »Die verkaufte Braut«. Dieses Stück sowie die Tondichtungen »Die Moldau« und »Vyšehrad« aus »Má Vlast« gehörten über viele Jahre ebenso zum Standardrepertoire wie Antonín Dvořáks Cellokonzert op. 104. Gerne wurden auch die beiden Klavierkonzerte von Frédéric Chopin aufs Programm gesetzt, ergänzt durch das Konzert-Allegro A-Dur in einer Bearbeitung von Jean Louis Nicodé für Klavier und Orchester. Andere polnische und tschechische Komponisten wurden meist nur einmal vorgestellt. Zu ihnen zählten Mieczysław Karłowicz, Emil Młynarski, Ignacy Paderewski, Karol Szymanowski und Henri Wieniawski sowie Josef Suk und Jaromír Weinberger. Eine Ausnahme bildete Leoš Janáček, von dem innerhalb kurzer Zeit gleich drei Werke zu hören waren. Sehr viel später setzte man aus politisch- ideologischen Gründen fast ausschließlich auf kroatische Komponisten wie Krešimir Baranović, Jakov Gotovac, Boris Papandopulo und Josip Slavenski. Wie unterschiedlich heute zum klassischen Kanon zählende Werke erstmals aufgenommen wurden, zeigen zwei Beispiele. Kaum zu glauben: Am 16. April 1904 wurde Ignacy Paderewskis in München noch unbekanntes Klavierkonzert op. 17 mit wesentlich größerem Beifall bedacht als Schumanns »selten gehörtes« Konzert op. 54; andererseits aber stieß Dvořáks Symphonie »Aus der Neuen Welt« bei ihrer ersten Aufführung am 5. Januar 1898 zunächst auf indignierte Ablehnung. So ließ die »Münchner Post« verlauten, dass man anstelle der »neuen amerikanischen, bei den Yankees patentirten Unterhaltungs- und Plantagen-Symphonie des vielstrebenden Herrn Dvorak« lieber einen zeitgenössischen deutschen Tondichter wie Richard Strauss gehört hätte. Die »Münchner Neuesten Nachrichten« bekrittelten die »dummpfiffige Lustigkeit« des zweiten, national gefärbten Themas (Kopfsatz), die motivische Kleinteiligkeit »und alle möglichen, mit äußerster Finesse in Szene gesetzten Instrumentaleffekte des langsamen Satzes, der durch seine Länge allerdings doch sehr ermüdend wirkt«. Das verhältnismäßig origi- Slawische Musik in München 27 Konzertankündigung für den 6. März 1930 mit der Münchner Erstaufführung der »Glagolitischen Messe« von Leoš Janáček durch die Münchner Philharmoniker Slawische Musik in München 28 nelle Scherzo lehnte sich ihrer Meinung nach zu sehr an den gleichartigen Satz aus der »Harold«-Symphonie von Berlioz an. Und auch dem effektvoll aufgebauten Finale sprach der Kritiker keine besondere Originalität zu. Als Bereicherung der symphonischen Literatur, so sein Fazit, könne man das Werk jedenfalls nicht bezeichnen. Janáčeks 1926 entstandene »Sinfonietta« erklang in München zum ersten Male am 1. März 1929. Nur ein knappes Jahr später folgte unter der Leitung von Adolf Mennerich die Orchester-Rhapsodie »Taras Bulba«, schließlich, am 6. März 1930, im Rahmen der »Woche Neuer Musik«, die »Glagolitische Messe«. Vier Tage vor der Aufführung ver öffentlichten die »Münchner Neuesten Nachrichten« eine ausführliche Einführung, erstaunlich in ihrer detaillierten Beschreibung der einzelnen Teile, gepaart mit viel Einfühlungsvermögen in die stilistischen Besonderheiten des Werks. Gleichwohl rea gierten Konzertbesucher und Pressevertreter ob der Auslegung des Messetextes teilweise irritiert, ungeachtet der Tatsache, dass sie das satztechnisch geniale Können, die phänomenal temperamentvolle Schaffenskraft, die den 72-jährigen Komponisten diese großartige Schöpfung vollbringen ließ, durchaus anerkannten. Der stürmische Beifall in der ausverkauften Tonhalle galt zuvörderst der ausgezeichneten Leistung aller Ausführenden, dem Chor, »der die enormen Schwierigkeiten schon hinsichtlich Treffsicherheit und Intonation hervorragend bewältigte«, den Philharmonikern, »die alles gaben, was der Dirigent an Klang und Ausdruck von ihnen forderte« und dem ausgezeichneten Organisten. Einhelliges Lob gab es auch für die Solisten, vor allem für Julius Patzak. Auch für das Konzert am 5. Januar 1938, das im Rahmen des deutsch-polnischen Kulturaustausches stattfand, gab es einen Vorbericht, der Bezug nimmt auf ein vorausgegangenes, äußerst erfolgreiches Konzert in Polen. Der Dirigent Adolf Mennerich war Anfang Dezember 1937 in Begleitung des philharmonischen Solocellisten Hermann von Beckerath nach Posen gereist und hatte mit dem dortigen Symphonieorchester musiziert. »Die Hauptstadt der Bewegung«, so hieß es, »hält es nun für eine Ehrenpflicht, auch den polnischen Gästen einen würdigen Empfang zu ihrem Konzert zu bereiten und dabei ihrem Dank für die außerordentliche herzliche Aufnahme der deutschen Künstler in Polen Ausdruck zu geben«. Neben Wagners »Holländer«-Ouvertüre und Dvořáks »Neunter« stellte Zygmunt Latoszewski zwei in München noch unbekannte Komponisten vor: Von Mieczysław Karłowicz erklang die romantische Legende »Stanislaw und Anna Oswiecimowie«, von Karol Szymanowski dessen Violinkonzert Nr. 1 op. 35, gespielt von Zdzislaw Jahnke. Dirigent und Solist wurden nicht nur »hinsichtlich der glänzenden Wiedergabe der von ihnen gebrachten Stücke« bejubelt, sondern auch dafür, dass sie zwei neue Werke ihrer Landsleute mitgebracht hatten. – Der deutsche Überfall auf Polen am 1. September 1939 beendete die »friedliche Verständigung zwischen den beiden Nationen« abrupt. In der Folge wurde der Anteil an ausländischer Musik je nach Kriegsverlauf auf ein Mindestmaß reduziert. Von den slawischen Komponisten blieben am Ende nur noch die kroatischen übrig. Slawische Musik in München 29 Montag 22_02_2016 20 Uhr e4 Dienstag 23_02_2016 19 Uhr 2. Jugendkonzert Montag 22_02_2016 10 Uhr Öffentliche Generalprobe FRANCISCO COLL »Hidd’n Blue« für Orchester ROBERT SCHUMANN Konzert für Violoncello und Orchester a-Moll op. 129 LUDWIG VAN BEETHOVEN Symphonie Nr. 6 F-Dur op. 68 »Pastorale« GUSTAVO GIMENO Dirigent JULIAN STECKEL Violoncello Dienstag 01_03_2016 20 Uhr f Mittwoch 02_03_2016 20 Uhr h4 Donnerstag 03_03_2016 20 Uhr b ANTON BRUCKNER »Ave Maria« für 7-stimmigen Chor a cappella KAROL SZYMANOWSKI »Stabat Mater« für Sopran, Alt, Bariton, Chor und Orchester ANTON BRUCKNER Symphonie Nr. 2 c-Moll (Fassung 1877) THOMAS DAUSGAARD Dirigent TATIANA MONOGAROVA Sopran OLESYA PETROVA Mezzosopran ADAM PALKA Bariton PHILHARMONISCHER CHOR MÜNCHEN Einstudierung: Andreas Herrmann Vorschau 30 Die Münchner Philharmoniker 1. VIOLINEN Sreten Krstič, Konzertmeister Lorenz Nasturica-Herschcowici, Konzertmeister Julian Shevlin, Konzertmeister Odette Couch, stv. Konzertmeisterin Lucja Madziar, stv. Konzertmeisterin Claudia Sutil Philip Middleman Nenad Daleore Peter Becher Regina Matthes Wolfram Lohschütz Martin Manz Céline Vaudé Yusi Chen Iason Keramidis Florentine Lenz 2. VIOLINEN Simon Fordham, Stimmführer Alexander Möck, Stimmführer IIona Cudek, stv. Stimmführerin Matthias Löhlein, Vorspieler Katharina Reichstaller Nils Schad Clara Bergius-Bühl Esther Merz Katharina Triendl Ana Vladanovic-Lebedinski Bernhard Metz Namiko Fuse Qi Zhou Clément Courtin Traudel Reich BRATSCHEN Jano Lisboa, Solo Burkhard Sigl, stv. Solo Julia Rebekka Adler, stv. Solo Max Spenger Herbert Stoiber Wolfgang Stingl Gunter Pretzel Wolfgang Berg Beate Springorum Konstantin Sellheim Julio López Valentin Eichler Yushan Li VIOLONCELLI Michael Hell, Konzertmeister Floris Mijnders, Solo Stephan Haack, stv. Solo Thomas Ruge, stv. Solo Herbert Heim Veit Wenk-Wolff Sissy Schmidhuber Elke Funk-Hoever Manuel von der Nahmer Isolde Hayer Sven Faulian David Hausdorf Joachim Wohlgemuth Das Orchester 31 KONTRABÄSSE Sławomir Grenda, Solo Fora Baltacigil, Solo Alexander Preuß, stv. Solo Holger Herrmann Stepan Kratochvil Shengni Guo Emilio Yepes Martinez Ulrich Zeller Thomas Hille Alois Schlemer Hubert Pilstl Mia Aselmeyer TROMPETEN Guido Segers, Solo Bernhard Peschl, stv. Solo Franz Unterrainer Markus Rainer Florian Klingler FLÖTEN POSAUNEN Michael Martin Kofler, Solo Herman van Kogelenberg, Solo Burkhard Jäckle, stv. Solo Martin Belič Gabriele Krötz, Piccoloflöte Dany Bonvin, Solo David Rejano Cantero, Solo Matthias Fischer, stv. Solo Quirin Willert Benjamin Appel, Bassposaune OBOEN PAUKEN Ulrich Becker, Solo Marie-Luise Modersohn, Solo Lisa Outred Bernhard Berwanger Kai Rapsch, Englischhorn Stefan Gagelmann, Solo Guido Rückel, Solo Walter Schwarz, stv. Solo KLARINETTEN Alexandra Gruber, Solo László Kuti, Solo Annette Maucher, stv. Solo Matthias Ambrosius Albert Osterhammer, Bassklarinette FAGOTTE Lyndon Watts, Solo Jürgen Popp Johannes Hofbauer Jörg Urbach, Kontrafagott HÖRNER Jörg Brückner, Solo ~eira, Solo Matias Pin Ulrich Haider, stv. Solo Maria Teiwes, stv. Solo Robert Ross SCHLAGZEUG Sebastian Förschl, 1. Schlagzeuger Jörg Hannabach HARFE Teresa Zimmermann CHEFDIRIGENT Valery Gergiev EHRENDIRIGENT Zubin Mehta INTENDANT Paul Müller ORCHESTERVORSTAND Stephan Haack Matthias Ambrosius Konstantin Sellheim Das Orchester 32 IMPRESSUM BILDNACHWEISE DER KÜNSTLER Herausgeber: Direktion der Münchner Philharmoniker Paul Müller, Intendant Kellerstraße 4 81667 München Lektorat: Christine Möller Corporate Design: HEYE GmbH, München Graphik: dm druckmedien gmbh München Druck: Gebr. Geiselberger GmbH Martin-Moser-Straße 23 84503 Altötting Abbildungen zu Wojciech Kilar: Leszek Polony, Kilar – Żywioł i modlitwa, Krakau 2005. Abbildung zu Witold Lutosławski: Jadwiga Paja-Stach, Witold Lutosławski, Krakau 1996. Abbildung zu Bedřich Smetana: Ratibor Budiš, Bedřich Smetana, Prag 1996. Münchner Stadtbibliothek / Musikbibliothek. Kü n s t l e r p h o t o g r a p h i e: Agenturmaterial (Urbański) Mojé Assefjah, 1970 geboren in Teheran, siedelte 1986 nach München um. Studium der Malerei an der Akademie der Bildenden Künste München. 1999 erhielt sie einen Förderpreis für Malerei sowie ein Jahresstipendium des DAAD in Rom. 2013 arbeitete sie im Rahmen des ISCP in New York. Ihre Werke befinden sich unter anderem in den Sammlungen des Lenbachhauses, der Pinakothek der Moderne und der Graphischen Sammlung. In München/Beirut vertritt sie Galerie Tanit. TEXTNACHWEISE Martin Demmler, Susanne Stähr, Peter Andraschke, Wolfgang Stähr und Gabriele E. Meyer schrieben ihre Texte als Originalbeträge für die Programmhefte der Münchner Philharmoniker. Stephan Kohler verfasste die lexikalischen Werkangaben und Kurzkommentare zu den aufgeführten Werken. Künstlerbiographie: nach Agenturvorlage. Alle Rechte bei den Autorinnen und Autoren; jeder Nachdruck ist seitens der Urheber genehmigungsund kostenpflichtig. TITELGESTALTUNG »Das Fließende im Pinselduktus, Innen und Außen, Distanz und Nähe, der Blick aus einem Fenster in eine ersehnte Landschaft sind Themen meiner Arbeiten. In dem Motiv umschlingt die blaue Schlaufe den in der Ferne angedeuteten ›paesaggio‹, wie die Windung eines Flusses. Smetanas ›Moldau‹ birgt in sich Mythen, Landschaft und Geschichte seines Heimatlandes, die hier durch Gegensätze – hell und dunkel, nah und fern, abstrakt und gegenständlich – malerisch interpretiert sind.« (Mojé Assefjah, 2015) Gedruckt auf holzfreiem und FSC-Mix zertifiziertem Papier der Sorte LuxoArt Samt Impressum Konzertkarte 25 | 50 DIE NEUE ERMÄSSIGUNGSKARTE DER MÜNCHNER PHILHARMONIKER Erleben Sie große Konzerte zum kleinen Preis. 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