Floristik

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FLORISTIK
international Blumeneinzelhandel
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Tec hn ik
Mit Abstand am besten!
Mit kompakten Füllformen und verzweigten
Spreizformen werden
Blumen auf Abstand
gehalten. Außerdem erhöht man den optischen
Wert eines Straußes.
E
in etwa 50-jähriger männlicher Kunde kaufte im
letzten Jahr in einem guten Meisterbetrieb einen
Blumenstrauß für 15 A
mit für die Jahreszeit typischen Blumen. Die pingelige Nachbarin der Familie stellte einen Durchmesser von
22 cm fest und behauptete, sie könne
aus den vorhandenen Blumen zwei
Sträuße binden! Jeweils mit einem
Durchmesser von 22 cm und einem
vergleichbaren optischen Wert, mindestens aber zum Verkaufspreis von je
12 A. Bedingung: Das vorhandene Grün
(12 Stiele Populus und Salal) wollte sie
durch anderes Grün in vergleichbarem
Wert ersetzen.
Stimmt diese Geschichte? Lieber nicht,
denken Sie vielleicht, das wäre ja ein
peinliches Beispiel dafür, dass vorhandener Werkstoff und optische Wirkung
in unserem Alltag nicht zusammenpassen. Doch leider ist die Geschichte
wahr, und es gibt dafür viele Zeugen,
denn knapp 50 Berater der Landwirtschaftskammern haben den Ausgangsstrauß gesehen und die wundersame
Verdopplung erlebt. Auch gestalterisch
konnten die Sträuße überzeugen.
Die Ursache war so einfach wie typisch
für unsere Praxis: Wir wissen zu wenig
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Einen jahreszeitlich inspirierten Eindruck vermittelt dieser Strauß, der mit relativ wenig
Blumen eine großzügige Wirkung hat. Basis
sind zwei quer gelegte Euphorbien, hier in
Kombination mit ein paar grünen Abstandhalterformen. Je nach Blumen und Farben
wird die optische Wirkung trotz ähnlicher
Grundform ziemlich unterschiedlich.
über eine gestaltungstechnisch wesentliche Aufgabe des grünen Werkstoffs im
Strauß.
Sträuße sind in der Floristik nach wie
vor die wichtigsten Werkstücke, zugleich technisch und gestalterisch die
anspruchsvollsten. Sozusagen aus dem
„Nichts“, also ohne Hilfsmittel wie
Steckmasse oder Unterlage, entstehen
Eine luftige Variante ist diese florale
Grundform, die wenig kostet und gut
in Serie vorbereitet und später individualisiert werden kann. Drähte an
der Unterseite sind Stielersatz.
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Gebilde mit klarer Form und Fülle. Sie
entstehen in reiner Hand-Arbeit! Diese Tatsachen sollten in der Aus- und
Fortbildung noch stärker berücksichtigt werden durch konkrete technische
Hinweise und längere Übungszeiten.
Ein Problem ist, dass eine „richtige“
Farb- und Formauswahl im Sinne der
Gestaltungsregeln immer mehr auch
von branchenfremden Anbietern angeboten wird.Wir sollten uns deshalb neu
und zeitgerecht um die wesentlichen
Merkmale der Blumen kümmern, um
einen typischen Ausdruck, eine Stimmung zu erzeugen. Lebendige und
emotionale Floristik, das will gelernt
sein! Das braucht geschulte und genaue
„Mit Freiraum
können sich
Blumen entfalten“
Anemonen fühlen sich wohl, wenn sie nicht
zu dicht aneinander stehen, sondern sich frei
entfalten können. Das Platzieren der Blumen
in eine vorhandene Grundform führt schneller
zu guten Gestaltungsergebnissen. Ein entscheidender Vorteil: Sieht man die Größe des
Straußes in seiner Gesamtheit, kann man
viel besser feststellen, wo und mit welchen
Abständen noch Blumen benötigt werden.
Ob Stroh, Heu, Gras, Moos oder Büschel mit
Naturbast – solche Abstandhalter können
dann, wenn Zeit ist, von einer weniger qualifizierten Fachkraft angefertigt werden.
Wahrnehmung und differenzierteres
Wissen über unseren Werkstoff. Und
genau daraus resultiert Qualität, Individualität und Vitalität.
Kreative, individuelle Sträuße in hoher
Ausführungsqualität und mit geringem
Zeitaufwand zu binden
aber ist so etwas wie
Hochleistungssport. Doch
es gibt eine gute Möglichkeit der Entlastung, damit
auch die Unsicheren zu einer guten und kontinuierlichen Leistung finden.
Machen wir uns einmal
den Arbeitsprozess bewusst. Am Anfang sind die
Hände und der Werkstoff
da, nach einigen Minuten
haben wir ein Werkstück
mit einer konkreten Umrissform und einer optimalen Platzierung der
Blüten. Dazwischen liegt
vor allem Kopfarbeit, denn
wir müssen uns vorstellen,
wo im noch unfertigen Gebilde die jeweilige Blüte am besten passt. Ich hätte große Lust, hierzu noch ganz viel zu
sagen, doch im Rahmen dieses Fachbeitrags reicht Folgendes: Bei anderen
Werkstücken wie Kranz oder Gesteck
gibt es immer eine Formvorgabe, nämlich den Kranzkörper oder das Gefäß.
Schnell und preiswert sind Grundformen
aus Wickeldraht, die ich das erste Mal bei
Annette Kamping gesehen habe. Sie sind
Formgeber und Abstandhalter zugleich
und körperhaft und individuell zu arbeiten.
Schon mit zwei, drei Zweigen Asparagus kann man imposante Sträuße
gestalten. Die damit erstellte Grundform darf durchaus unregelmäßig sein.
Ganz anders und je nach Gestaltungsziel genauso gut ist das simple Verwenden von Maschendraht als Abstandhalter. Gute und selbstverständliche Verarbeitung überzeugt auch die Kunden.
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Genau das führt auf effiziente Art zu
guten Ergebnissen. Bei Sträußen müssen wir uns anders behelfen.
Den optischen Wert eines Straußes
kann man ganz einfach mit einer uralten Methode erhöhen. Was hat man
in der Zeit getan, in der formal-lineare
und rhythmisch-gestaffelte Sträuße gebunden wurden? Man ordnete in der
Basis kompakte Formen an. Ich erinnere bloß mal an die so genannten Moosbobbel. Flächige, feste Formen oder lineare, die sich verzweigen und spreizen. Letztere werden gerne und sinnvollerweise für florale Grundformen
(Gerüste) als Formgeber und Abstandhalter eingesetzt.
Mit ein bisschen Abstand und Freiraum
können sich Blumen entfalten und wirken. Dazu braucht man kompakte Füllformen und/oder verzweigte Spreizformen (siehe auch Seite 20). Am bes-
Freesien sind am schönsten, wenn sie Stiel zeigen
können. Außerdem haben wir im Handel zurzeit
sehr viele becherförmige Gefäße. Da bietet es
sich an, schmale Sträuße zu arbeiten, die den
traditionellen Buschen entsprechen. Blumen wie
Freesien, Tazetten, Liatris, Iris wirken in kurzen,
kompakten, runden Sträußen krampfig. Dieser
Straußtyp geht ganz besonders ihnen gegen die
Natur. Warum dann nicht zu selbstverständlichen
Straußformen zurückgreifen? Hier wurde in der
Basis lediglich ein bisschen Euphorbia benötigt.
Zweige sind gerade im Winter und Frühjahr
günstige Formgeber und Abstandhalter, um
mit wenig Werkstoffen viel Wirkung zu erzielen. Hier sind Tulpen mit gebogenen Stielen zu einem gewiss einfachen Strauß gebunden. Wenn die meisten Sträuße kompakt sind und viele verschiedene Blumen
enthalten, dann kann es gerade anspruchsvoll sein, etwas ganz Einfaches zu arbeiten.
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Der Klassiker unter den Grundformen ist
der Grünstrauß. Hiebei kommt es ganz entscheidend darauf an, als Abstandhalter nur
kompakte, flächige Formen einzusetzen,
weil man sonst zu viel Material braucht. Mahonia, Efeu und Ähnliches ist optimal. Gut
und preiswert, aber unbeliebt ist Statice.
Hier sieht man ganz gut, wie Heidelbeere mit ihren Verzweigungen
den Blüten Raum verschafft. Ich
halte viel davon, viele verschiedene
Möglichkeiten zu kennen und einzusetzen, um den individuellen und
manchmal auch den jahreszeitlichen Charakter der Sträuße zu betonen. Wieviel Salal, Populus und
ähnliche Formen würde man für
den gleichen Effekt benötigen?
Am bequemsten sind Abstandhalter am Stiel aus der Natur. Hier
sieht man sehr deutlich, wie stark
man mit einer einzigen Form Freiräume erzielen kann. Je näher
sie an der Bindestelle platziert
wird, desto größer wird der Abstand. Kompakte Formen in
der Höhe der Blüten führen zu
eher kompakten Sträußen, tiefer
sorgen sie für Auflockerungen.
ten ist die allgemein verpönte Statice,
gut ist aber auch Mahonie, bestens geeignet sind trockene Werkstoffe wie
Muehlenbeckia. Das war auch der Trick
bei der Werteverdopplung im anfangs
beschriebenen Beispiel. Mahonie und
die Altersform vom Efeu einerseits, gebleichte Muehlenbeckia und HedgeZweige als optischen Kick andererseits.
In meinen Seminaren habe ich festgestellt, dass Sträuße mit diesen Methoden besser und ausdrucksvoller werden
und man gleichzeitig weniger Zeit benötigt. Für unseren Berufsalltag sind
dann ganz wichtige Ziele erreicht. ■
Anne Effelsberg, Bornheim
Fotos: Effelsberg, Kissels
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