Zum Konzert des Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR 1

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Zum Konzert des Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR 1
Zum Konzert des
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
1. Februar 2013, 20 Uhr
Stuttgarter Liederhalle, Beethovensaal
Alexander von Zemlinsky
„Die Seejungfrau“
Handreichung von Anna-Lena Müller
Pädagogische Hochschule
Heidelberg
1
Inhalt
1. Einleitung .................................................................................................................................. 3
2. Informationen für Lehrerinnen und Lehrer ............................................................................... 3
2.1 Alexander von Zemlinsky ................................................................................................... 3
2.2 Die Seejungfrau .................................................................................................................. 5
2.2.1 Sinfonische Dichtung, Fantasie oder Tondichtung? .................................................... 5
2.2.2 Entstehung.................................................................................................................... 6
2.2.3 Die kleine Seejungfrau – ein Märchen von Christian Andersen .................................. 7
2.2.4 Musikalische Analyse ................................................................................................ 17
3. Methodisch-didaktische Hinweise und Unterrichtsmaterialien .............................................. 22
3.1 Vorschläge zur Unterrichtsgestaltung ............................................................................... 22
3.1.1 Einführung in das Thema und eigene Komposition ................................................... 22
3.1.2 Die Seejungfrau, Teil 1 .............................................................................................. 23
3.1.3 Die Seejungfrau, Teil 2 .............................................................................................. 24
3.1.4 Die Seejungfrau, Teil 3 .............................................................................................. 25
3.1.6 Das Orchester kennenlernen ...................................................................................... 25
3.1.7 Nach dem Konzertbesuch .......................................................................................... 26
3.2 Materialien ........................................................................................................................ 27
3.2.1 Gruppenarbeit „Erlebnisse der sechs Schwestern“ .................................................... 27
3.2.2 Briefe Zemlinskys an Schönberg über die Entstehung der Seejungfrau .................... 29
3.2.3 Spielanweisungen....................................................................................................... 34
3.2.4 Gesichtsausdrücke...................................................................................................... 35
3.2.5 Noten für Klassenmusizieren – Filmmusik zu „H2O“ ............................................... 38
3.2.6 Lösungen zu den Aufgaben........................................................................................ 38
4. Literaturverzeichnis ................................................................................................................ 39
2
1. Einleitung
Diese Handreichung soll helfen, Schülerinnen und Schülern einen Zugang zu
Zemlinskys Musik zu ermöglichen. Neben Hintergrundinformationen zum
Komponisten und Werk, gibt sie Vorschläge und konkrete Aufgaben für den
Musikunterricht ab der 8. Klasse. Zemlinskys „Seejungfrau“ beinhaltet Themen, wie
Identität, Heimat, Sehnsucht und andere Gefühle, die Jugendliche auch heute
beschäftigen.
2. Informationen für Lehrerinnen und Lehrer
2.1 Alexander von Zemlinsky
Alexander von Zemlinsky (18711942) war ein erfolgreicher
Dirigent und Komponist, dessen
Karriere der Nationalsozialismus
leider beendete und dessen
Kompositionen in den 1970er
Jahren wieder neu entdeckt
wurden.
Zemlinsky bekam während seines
Studiums zunächst eine klassische
Ausbildung, zu der beispielsweise
motivische Arbeit, Formanalyse,
Generalbasslehre und Kontrapunkt gehörten. Zemlinskys frühe Werke, wie auch „Die
Seejungfrau“, sind von Stilelementen der Komponisten Beethoven, Schubert, Schumann
und Brahms beeinflusst. Auch Mahler war einer seiner Vorbilder. Traditionelle
motivische Arbeit verbindet Zemlinsky mit expressionistischem Ausdruck. In seinen
Opernwerken verwendet Zemlinsky eingängige Melodien und klangvolle
Instrumentation für positive Charaktere und Handlungen sowie Chromatik und scharfe,
dunkle Klänge für alles Negative. Die späteren Werke Zemlinskys haben erkennbare
Einflüsse durch Wagner. Zemlinsky spielt mit Alterierungen, nutzt die Emanzipation
des Septakkordes zur Konsonanz und eine erweiterte Harmonik. Er gibt präzise
Spielanweisungen an die Musikerinnen und Musiker, die eine ausdrucksvolle
Spielweise fordern. Einige harmonische Wendungen haben in Zemlinskys Werken ganz
bestimmte Bedeutungen. Er spielt ebenso mit Zahlen und Buchstaben, die in ihrer
speziellen Abfolge einen Sinn ergeben. Seine musikalischen Motive stehen für Ideen,
Gefühle und Stimmungen. In späteren Werken gibt es auch Leitmotive wie in Wagners
Musik.
3
Zemlinskys Musik ist ausdrucksstark und gehört zur „Hochexpressionistischen
Endphase der ‚traditionellen‘ Musik“.1 Er war Wegbereiter für die Musik des 20.
Jahrhunderts.
Alexander von Zemlinsky zählt – wie auch Franz Schreker - zur Vorkriegsgeneration,
die die historische Kontinuität der Musik erhielten und im Blick auf die Vergangenheit
komponierten. Seine Musik richtet sich mehr nach absolut-musikalischem Maßstäben
als nach der Programmmusik.2
In seiner Kindheit lernte Zemlinsky Klavier spielen und sang im Tempelchor der
jüdischen Gemeinde. Er besuchte ab dem 14. Lebensjahr das Konservatorium der
Musikfreunde in Wien und studierte Klavier, Musiktheorie und Komposition. Während
seines Studiums gewann er mehrere Preise, u. a. einen Konzertflügel beim
Klavierwettbewerb der Firma Bösendorfer. Zemlinsky wurde von Brahms in seiner
Komponisten-Laufbahn gefördert und dem Verleger Simrock vorgestellt. Später
unterstützte ihn Mahler mit der Uraufführung seiner Oper „Es war einmal...“.
Zemlinsky war offen für den neuen Kompositionsstil der Wiener Schule, komponierte
selbst jedoch nicht atonal.3
Er schrieb Werke für Chor mit Begleitung, ein Chorwerk a cappella, Werke für Gesang
mit Begleitung, zahlreiche Lieder für Gesang und Klavier, Opern, Ballette, ein
Mimodram, eine Bühnenmusik, Kammermusik mit und ohne Klavier, Klaviermusik und
Orchesterwerke, zu denen auch die Fantasie „Die Seejungfrau“ zählt.
Sein Schüler Arnold Schönberg heiratete Alexander Zemlinskys Schwester Mathilde.
Schönberg und Zemlinsky pflegten eine herzliche Freundschaft, die sich in ihrem
größtenteils erhaltenen Briefwechsel zeigt. Der Briefwechsel zeugt von ihren
unterschiedlichen Temperamenten, Schönbergs Optimismus und Zemlinskys
Melancholie. Gelegentlich tauschten sie sich auch über ihre Kompositionen aus.4 Auch
mit Webern, Berg und seinem Studienkollegen Schreker unterhielt er Briefkontakte.
Zemlinsky galt im Schönberg-Kreis als eine Autoritätsperson. Vor allem die Briefe von
Webern und Berg zeugen von Respekt gegenüber dem ehemaligen Lehrer Schönbergs.5
Als der Briefwechsel mit Schönberg nach Mathildes Tod abnahm, trat Berg als
Korrespondenz-Partner an Schönbergs Stelle.6
Zemlinsky widmete seiner Schülerin Alma Schindler Mahler, in die er sich verliebt
hatte, einige seiner Kompositionen. Obwohl sie ihn zuerst als eine „Carricatur – kinnlos,
klein, mit herausquellenden Augen und einem zu ‚verrückten‘ Dirigieren“7 bezeichnete
entwickelte sich nach privatem Kompositionsunterricht und gemeinsamen
1
MGG, S.1422
Vgl. Danuser
3
Vgl. Konzertführer (SWR), S.966
4
Vgl. Ertelt, S.XXIIIff
5
Ebd. S.XXVII
6
Ebd. S. XXVIII
7
Alma Mahler-Werfel. Tagebuch-Suiten, 11.Febr. 1900; Ausg. 1997, s. Dokumente
2
4
Konzertbesuchen eine Affäre zwischen den beiden, die mit Almas Verlobung mit
Mahler endete. Zemlinsky heiratete zunächst Ida Guttmann, mit der er in Wien wohnte
und lebte ab 1930 in zweiter Ehe mit der Prager Sängerin Luise Sachser in Berlin.
Er war ein begabter Pianist, Dirigent und Komponist, dirigierte und komponierte für
führende Theater- und Konzerthäuser seiner Zeit. So kam er nach Wien, Mannheim,
München, Prag, Rom, Barcelona, Berlin, Paris, Warschau, Leningrad und Zürich, teils
als Gastdirigent und teils fest angestellt. Als Operndirektor am Neuen Deutschen
Theater in Prag brachte er dessen Publikum die Neue Musik näher und blieb in Kontakt
mit dem Komponisten-Kreis um Schönberg.
Zemlinsky trat 1899 aus der Israelitischen Kultusgemeinde aus, trat den Freimaurern
und dem Protestantismus bei. Ab 1934 galt seine Musik dennoch durch den
Nationalsozialismus als verpönt und sogar schon unterschriebene Verträge mit
deutschen Bühnen wurden gekündigt. Aufgrund der jüdisch-muslimischen Wurzeln
seiner Mutter musste Zemlinsky nach Hitlers Machtergreifung in die USA emigrieren.
Aus Geldschwierigkeiten komponierte er dort populäre Songs und Schulstücke. Nach
drei Schlaganfällen starb Zemlinsky in Larchmont (New York) im Alter von 70 Jahren
an einer Lungenentzündung.
2.2 Die Seejungfrau
Zemlinsky hat „Die Seejungfrau“, eine Sinfonische Dichtung für Orchester, in den
Jahren 1902 / 1903 nach einem Märchen von Christian Andersen komponiert. „Die
Seejungfrau“ blieb nach ihrer Uraufführung bei einem Konzert des von Schönberg
gegründeten „Vereins schaffender Tonkünstler“ in Wien im Jahre 1905 ohne große
Resonanz. Erst in den 1970er Jahren wurde sie wiederentdeckt und seitdem wieder
aufgeführt.
2.2.1 Sinfonische Dichtung, Fantasie oder Tondichtung?
„Die Seejungfrau“ wird sowohl als eine Sinfonische Dichtung als auch eine Fantasie
bezeichnet. Beide Gattungen entstanden in der Romantik und sind Formen der
Programmmusik.
In der von Liszt definierten Sinfonischen Dichtung werden Werke aus der Literatur,
Themen oder Überschriften mithilfe von charakteristischen musikalischen Mitteln bzw.
Motiven dargestellt, in einem sinfonischen Gesamtwerk miteinander verbunden und
verarbeitet. Einer Sinfonischen Dichtung liegt also stets eine poetische Idee, ein Sujet
oder ein Programm zugrunde. Die Kompositionen haben sinfonischen Anspruch und
lassen in den Vorstellungen der Zuhörer Bilder entstehen. Die Idee der Synthese der
Künste in der Romantik und das Verständnis von Musik als Ausdrucksform des
Poetischen unterstützt den Gedanken, dass Sinfonische Dichtungen die inneren
Vorgänge, Gefühle und Stimmungen ausdrücken, die in Dichtung und Malerei nicht
dargestellt werden können. Musik wird zur Sprache. Selbst die Form ist nicht mehr
vorgegeben, sondern richtet sich nach dem Thema und dessen Ausdruck. So bekommt
die Formkonzeption eine Vielfalt von Möglichkeiten. Das Programm, das die
5
Komponisten für Aufführungen Sinfonischer Dichtungen verfassten oder verfassen
ließen, diente dazu die Verbindung zwischen Gefühl und Verstand wieder herzustellen.
Um 1900 wurde die Gattung Sinfonische Dichtung oft auch Tondichtung genannt. Die
Fantasie ist eine weitere Bezeichnung für die Sinfonische Dichtung. Sie distanziert sich
im Vergleich zum Begriff der Sinfonischen Dichtung wieder etwas von einer zugrunde
liegenden Dichtung und impliziert eine freiere Kompositionsweise, die nicht strikt an
die Textvorlage gebunden ist.
2.2.2 Entstehung
Zemlinsky verarbeitete in seiner „Seejungfrau“ Themen, die ihn zu dieser Zeit aufgrund
seiner persönlichen und beruflichen Situation beschäftigten. Hier spielten der Abbruch
seiner Affäre zu Alma Schindler und der Vorwurf der Musikkritiker, seine Musik wäre
wenig originell und modern eine Rolle. Das Märchen der kleinen Seejungfrau mit dem
Thema der unerfüllten Liebe und der Identitätsfindung hatte ihn wohl in der Zeit um
1902 / 1903 angesprochen.
Er begann im Februar 1902 mit der „Seejungfrau“ (kurz vor der Mahler-SchindlerHochzeit) und stellte seine Komposition im März 1903 fertig. Es entstand ein ca. 45minütiges Werk in drei Teilen. Vor der Uraufführung strich Zemlinsky einige Passagen
heraus, wie z. B. den Besuch der Seejungfrau bei der Meerhexe. Das Programm zur
„Seejungfrau“, das Zemlinsky selbst verfasste, ist leider verschwunden.
Aus dem Briefwechsel Zemlinskys mit Schönberg sind einige Kommentare zur
Entstehung der Seejungfrau erhalten (siehe Unterrichtsmaterialien 3.2.2).
Am 25. Januar 1905 wurden Zemlinskys „Seejungfrau“ und Schönbergs „Pelleas und
Melisande“ uraufgeführt. Im Vergleich zu „Pelleas und Melisande“ beschrieben
Rezensenten Zemlinskys Werk als eklektizistisch. Während Schönbergs Sinfonische
Dichtung sowohl Empörung als auch Begeisterung unter dem Publikum hervorriefen,
enttäuschte „Die Seejungfrau“ die Erwartungen des Wiener Publikums an Zemlinsky,
der nach seinem erfolgreichen Studium als talentierter Hoffnungsträger der jungen
Musikszene in Wien galt. Nach diesen schlechten Kritiken brachte Zemlinsky seine
„Seejungfrau“ nicht mehr zur Aufführung.
„Die Seejungfrau“ und auch „Pelleas und Melisande“ von Schönberg weisen beide
sowohl „absolute“ als auch „ programmatische“ Züge auf. Dies mag eine Antwort auf
den damals aktuellen Streit zwischen Wagnerianern und Brahminen gewesen sein, die
die beiden Richtungen strikt trennten. Nach Ansicht der jungen Wiener Komponisten
konnte Zemlinskys Musik beide Strömungen miteinander vereinbaren.
Während der erste Teil der „Seejungfrau“ Andersens Vorlage noch sehr konsequent
folgt, wird die Komposition in der Fortführung abstrakter und scheint mehr nach den
Richtlinien „absoluter“ Musik komponiert. Zemlinsky weicht von seiner Vorlage ab,
um das Werk innermusikalisch stimmiger zu komponieren, wie z.B. mit der
Verwendung von Gegensätzen. Die Zuhörer können dann nicht mehr eindeutig die
6
Handlung der Geschichte auf die Musik beziehen, begegnen jedoch immer wieder
Stimmungen und Gefühlen, die die Seejungfrau durchlebt.
Heutigen musikwissenschaftlichen Forschungen zufolge bekamen Zemlinskys
Kompositionen durch seine persönliche Krise eine größere Sensibilität darin,
emotionale Intensität durch seine Musik auszudrücken und verschiedenste Nuancen des
Ausdrucks herauszuarbeiten. Diese Sensibilität, die vorher schon seine Lieder
bereicherte, fand sich nun auch in der Komposition seiner größeren Werke. Er
entwickelte in der Zeit der Komposition seiner „Seejungfrau“ durchaus einen eigenen
Stil, auch wenn er sich nicht der Neuen Wiener Schule und deren atonaler
Kompositionsweise anschloss. Somit nimmt die „Seejungfrau“ eine Schlüsselposition
unter den Kompositionen Zemlinskys ein.
2.2.3 Die kleine Seejungfrau – ein Märchen von Christian Andersen
Der folgende Text wurde gekürzt und an die aktuelle Rechtschreibung angepasst. Der
gesamte Text ist im Internet nachzulesen unter:
http://www.zeno.org/Literatur/M/Andersen,+Hans+Christian/M%C3%A4rchensammlu
ng/M%C3%A4rchen/Die+kleine+Seejungfrau
Die Meereswelt
Weit hinaus im Meer ist das Wasser so blau wie die Blätter der schönsten Kornblume
und so klar wie das reinste Glas, aber es ist sehr tief, tiefer als irgend ein Ankertau
reicht; viele Kirchtürme müssten auf einander gestellt werden, um vom Boden bis über
das Wasser zu reichen.
Nun muss man aber nicht glauben, dass da nur der weiße Sandboden sei; nein, da
wachsen die sonderbarsten Bäume und Pflanzen, die so geschmeidig im Stiel und in den
Blättern sind, dass sie sich bei der geringsten Bewegung des Wassers rühren, gerade als
ob sie lebten. Alle Fische, kleine und große, schlüpfen zwischen den Zweigen hindurch,
ebenso wie hier oben die Vögel in der Luft. An der allertiefsten Stelle liegt des
Meerkönigs Schloss, die Mauern sind von Korallen und die langen, spitzen Fenster vom
allerklarsten Bernstein; aber das Dach bilden Muschelschalen, die sich öffnen und
schließen, je nachdem das Wasser strömt. Das sieht herrlich aus, denn in jeder liegen
strahlende Perlen; eine einzige würde in der Krone einer Königin die größte Pracht
geben.
Der Meerkönig hatte sechs schöne Kinder, aber die jüngste war die schönste von allen,
ihre Haut war so klar und fein wie ein Rosenblatt, ihre Augen so blau wie die tiefste
See, aber wie all' die andern hatte sie keine Füße, ihr Körper endete in einen
Fischschwanz.
Es gab keine größere Freude für sie, als von der Menschenwelt zu hören; die alte
Großmutter musste alles, was sie von Schiffen und Städten, Menschen und Tieren
wusste, erzählen. Hauptsächlich erschien ihr ganz besonders schön, dass oben auf der
Erde die Blumen duften, das taten sie auf dem Grunde des Meeres nicht, und dass die
Wälder grün sind, und dass die Fische, die man dort zwischen den Bäumen erblickt, so
laut und herrlich singen können, dass es eine Lust ist.
7
»Wenn Ihr Euer fünfzehntes Jahr erreicht habt,« sagte die Großmutter, »dann sollt Ihr
die Erlaubnis erhalten, aus dem Wasser empor zu tauchen, im Mondschein auf der
Klippe zu sitzen und die großen Schiffe, die vorbei segeln, zu sehen, Wälder und Städte
werdet Ihr dann erblicken!«
Die Erlebnisse der Schwestern an der Wasseroberfläche
Nun war die älteste Prinzessin fünfzehn Jahre alt und durfte über die Meeresfläche
emporsteigen.
Als sie zurückkehrte, hatte sie hunderterlei zu erzählen, aber das Schönste, sagte sie,
war im Mondschein auf einer Sandbank in der ruhigen See zu liegen, und nahebei die
Küste mit der großen Stadt zu betrachten, wo die Lichter gleich hundert Sternen
blinkten, die Musik und den Lärm und das Toben von Wagen und Menschen zu hören,
die vielen Kirchtürme und Spitzen zu sehen, und das Läuten der Glocken zu hören.
Im folgenden Jahre erhielt die zweite Schwester die Erlaubnis, durch das Wasser empor
zu steigen und zu schwimmen, wohin sie wolle. Sie tauchte auf, eben als die Sonne
unterging, und dieser Anblick, fand sie, war das Schönste. Der ganze Himmel habe wie
Gold ausgesehen, sagte sie, und die Wolken, ja, deren Schönheit konnte sie nicht genug
beschreiben; rot und blau waren sie über ihr dahin gesegelt, aber weit schneller als
diese, flog, einem langen, weißen Schleier gleich, ein Schwarm wilder Schwäne über
das Wasser hin, wo die Sonne stand. Sie schwammen derselben entgegen, aber die
Sonne sank, und der Rosenschein erlosch auf der Meeresfläche und den Wolken.
Das Jahr darauf kam die dritte Schwester hinauf; sie war die mutigste von allen, deshalb
schwamm sie einen breiten Fluss aufwärts, der in das Meer ausmündete. Herrlich grüne
Hügel mit Weinranken erblickte sie, Schlösser und Gehöfte schimmerten durch
prächtige Wälder hervor; sie hörte, wie alle Vögel sangen, und die Sonne schien so
warm, dass sie oft unter das Wasser tauchen musste, um ihr brennendes Antlitz
abzukühlen. Nie konnte sie die prächtigen Wälder, die grünen Hügel und die niedlichen
Kinder vergessen, die im Wasser schwimmen konnten, obgleich sie keinen
Fischschwanz hatten.
Die vierte Schwester war nicht so kühn, sie blieb draußen mitten im wilden Meer, und
erzählte, dass es dort am schönsten sei; man sehe ringsumher, viele Meilen weit, und
der Himmel stehe wie eine Glasglocke darüber. Schiffe hatte sie gesehen, aber nur in
weiter Ferne, sie sahen wie Strandmöven aus, und die possierlichen Delphine hatten
Purzelbäume geschossen, und die großen Walfische aus ihren Nasenlöchern Wasser
empor gespritzt, sodass es ausgesehen hatte, wie hunderte von Springbrunnen
ringsumher.
Nun kam die Reihe an die fünfte Schwester; ihr Geburtstag fiel gerade im Winter, und
deshalb sah sie, was die andern das erste Mal nicht gesehen hatten. Die See nahm sich
ganz grün aus, und ringsumher schwammen große Eisberge, ein jeder sah wie eine Perle
aus, sagte sie, und war doch weit größer als die Kirchtürme, welche die Menschen
bauen. Sie zeigten sich in den sonderbarsten Gestalten und glänzten wie Diamanten. Sie
hatte sich auf einen der allergrößten gesetzt und alle Segler kreuzten erschrocken
draußen herum, wo sie saß und den Wind mit ihrem langen Haar spielen ließ; aber
gegen Abend hatte sich der Himmel mit Wolken überzogen, es blitzte und donnerte,
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während die schwarze See die großen Eisblöcke hoch emporhob und sie beim roten
Blitz erglänzen ließ. Auf allen Schiffen nahm man die Segel ein, da war eine Angst und
ein Grauen, aber sie saß ruhig auf ihrem schwimmenden Eisberge und sah die blauen
Blitzstrahlen im Zickzack in die schimmernde See fahren.
Endlich war die jüngste Schwester fünfzehn Jahre alt. Die Sonne war eben
untergegangen, als sie den Kopf über das Wasser erhob, aber alle Wolken glänzten noch
wie Rosen und Gold, und inmitten der blassroten Luft strahlte der Abendstern hell und
schön, die Luft war mild und frisch, und das Meer ganz ruhig. Da lag ein großes Schiff
mit drei Masten, ein einziges Segel war nur aufgezogen, denn es rührte sich kein
Lüftchen, und ringsumher im Tauwerk und auf den Stangen saßen Matrosen. Da war
Musik und Gesang, und wie der Abend dunkler ward, wurden Hunderte von bunten
Laternen angezündet; sie sahen aus als ob die Flaggen aller Völker in der Luft wehten.
Die kleine Seejungfrau schwamm bis zum Kajütenfenster hin, und jedes Mal, wenn das
Wasser sie emporhob, konnte sie durch die spiegelklaren Fensterscheiben blicken, wo
viele geputzte Menschen standen; aber der schönste war doch der junge Prinz mit den
großen, schwarzen Augen. Er war sicher nicht mehr als fünfzehn Jahre alt; heute war
sein Geburtstag und deshalb herrschte all' diese Pracht. Die Matrosen tanzten auf dem
Verdeck, und als der junge Prinz da hinaustrat, stiegen über hundert Raketen in die Luft,
die leuchteten wie der helle Tag, sodass die kleine Seejungfrau sehr erschrak und unter
das Wasser tauchte, aber sie steckte bald den Kopf wieder hervor, und da war es gerade,
als ob alle Sterne des Himmels zu ihr herunter fielen. Nie hatte sie solche Feuerkünste
gesehen. Große Sonnen sprühten herum, prächtige Feuerfische flogen in die blaue Luft,
und alles glänzte in der klaren, stillen See wieder. Auf dem Schiffe selbst war es so hell,
dass man jedes kleine Tau, wie viel mehr die Menschen sehen konnte. O, wie war doch
der junge Prinz hübsch, und er drückte den Leuten die Hände und lächelte, während die
Musik in der herrlichen Nacht erklang!
Sturm und Rettung
Es wurde spät, aber die kleine Seejungfrau konnte ihre Augen nicht von dem Schiffe
und dem schönen Prinzen wegwenden. Die bunten Laternen wurden ausgelöscht,
Raketen stiegen nicht mehr in die Höhe, es ertönten auch keine Kanonenschüsse mehr,
aber tief unten im Meer summte und brummte es. Inzwischen saß sie auf dem Wasser
und schaukelte auf und nieder, sodass sie in die Kajüte hineinblicken konnte; aber das
Schiff bekam mehr Wind, ein Segel nach dem andern breitete sich aus, nun gingen die
Wogen stärker, große Wolken zogen auf, es blitzte in der Ferne. O, es wird ein
erschrecklich böses Wetter werden; deshalb nahmen die Matrosen die Segel ein. Das
große Schiff schaukelte in fliegender Fahrt auf der wilden See, das Wasser erhob sich,
gleich großen, schwarzen Bergen, die über die Maste wälzen wollten, aber das Schiff
tauchte einem Schwan gleich zwischen den hohen Wogen nieder, und ließ sich wieder
auf die aufgetürmten Wasser heben. Der kleinen Seejungfrau bedünkte es eine recht
lustige Fahrt zu sein, aber so erschien es den Seeleuten nicht. Das Schiff knackte und
krachte, die dicken Planken bogen sich bei den starken Stößen, die See drang in das
Schiff hinein, der Mast brach mitten durch, als ob er ein Rohr wäre und das Schiff legte
sich auf die Seite, während das Wasser in den Raum eindrang. Nun sah die kleine
Seejungfrau, dass sie in Gefahr waren, sie musste sich selbst vor Balken und Stücken
vom Schiff, die auf dem Wasser trieben, in acht nehmen. Einen Augenblick war es so
stockdunkel, dass sie nicht das mindeste wahrnehmen konnte, aber wenn es dann blitzte,
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wurde es wieder so hell, dass sie alle auf dem Schiff erkennen konnte; besonders suchte
sie den jungen Prinzen, und sie sah ihn, als das Schiff verschwand, in das tiefe Meer
versinken. Zuerst wurde sie ganz vergnügt, denn nun kam er zu ihr hinunter, aber da
gedachte sie, dass die Menschen nicht im Wasser leben können, und dass er nicht
anders als tot zum Schlosse ihres Vaters hinuntergelangen konnte. Nein, sterben, das
durfte er nicht; deshalb schwamm sie hin zwischen Balken und Planken, die auf der See
trieben, und vergaß völlig, dass diese sie hätten zerquetschen können; sie tauchte tief
unter das Wasser und stieg wieder hoch zwischen den Wogen empor, und gelangte am
Ende so zu dem jungen Prinzen hin, der fast nicht länger in der stürmenden See
schwimmen konnte; seine Arme und Beine begannen zu ermatten, die schönen Augen
schlossen sich, er hätte sterben müssen, wäre die kleine Seejungfrau nicht
hinzugekommen. Sie hielt seinen Kopf über dem Wasser empor, und ließ sich dann mit
ihm von den Wogen treiben, wohin sie wollten.
Am Morgen war das böse Wetter vorüber, von dem Schiffe war keine Spur zu
erblicken, die Sonne stieg rot und glänzend aus dem Wasser empor, es war, als ob des
Prinzen Wangen Leben dadurch erhielten, aber die Augen blieben geschlossen. Die
Seejungfrau küsste seine hohe, schöne Stirn und strich sein nasses Haar zurück.
Nun erblickte sie vor sich das feste Land, hohe, blaue Berge, auf deren Gipfel der weiße
Schnee erglänzte, als wären es Schwäne, die dort lägen; unten an der Küste waren
herrliche, grüne Wälder, und vorn lag eine Kirche oder ein Kloster, das wusste sie nicht
recht, aber ein Gebäude war es. Zitronen- und Apfelsinenbäume wuchsen im Garten,
und vor dem Tor standen hohe Palmbäume. Die See bildete hier eine kleine Bucht, da
war es ganz still, aber sehr tief; hierher bis zur Klippe, wo der weiße, feine Sand
aufgespült war, schwamm sie mit dem schönen Prinzen, legte ihn in den Sand, und
sorgte besonders dafür, dass der Kopf hoch im warmen Sonnenschein lag.
Nun läuteten die Glocken in dem großen, weißen Gebäude, und es kamen viele junge
Mädchen durch den Garten. Da schwamm die kleine Seejungfrau weiter hinaus, hinter
einige hohe Steine, die aus dem Wasser emporragten, legte Seeschaum auf ihr Haar und
ihre Brust, sodass niemand ihr kleines Antlitz sehen konnte, und dann passte sie auf,
wer zu dem armen Prinzen kommen würde.
Es währte nicht lange, bis ein junges Mädchen dorthin kam; sie schien sehr zu
erschrecken, aber nur einen Augenblick, dann holte sie mehrere Menschen, und die
Seejungfrau sah, dass der Prinz zum Leben zurückkehrte, und dass er alle ringsherum
anlächelte, aber zu ihr hinaus lächelte er nicht, er wusste ja auch nicht, dass sie ihn
gerettet hatte. Sie fühlte sich sehr betrübt, und als er in das große Gebäude hineingeführt
wurde, tauchte sie traurig unter das Wasser und kehrte zum Schlosse ihres Vaters
zurück.
Die Unsterblichkeit der Seele
Immer war sie still und nachdenkend gewesen, aber nun wurde sie es weit mehr. Die
Schwestern fragten sie, was sie das erste Mal dort oben gesehen habe, aber sie erzählte
erst als sie es nicht mehr länger aushalten konnte.
Eine der Seejungfrauen wusste, wer der Prinz war, sie hatte auch das Fest auf dem
Schiffe gesehen, und gab an, woher er war und wo sein Königsschloss lag.
Nun wusste sie, wo er wohnte, und dort war sie manchen Abend und manche Nacht auf
dem Wasser; sie schwamm dem Lande weit näher, als eine der andern es gewagt hatte.
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Mehr und mehr fing sie an die Menschen zu lieben, mehr und mehr wünschte sie, unter
ihnen umher wandeln zu können.
»Wenn die Menschen nicht ertrinken,« fragte die kleine Seejungfrau ihre Großmutter,
»können sie dann ewig leben, sterben sie nicht, wie wir unten im Meer?«
»Ja,« sagte die Alte, »sie müssen auch sterben, und ihre Lebenszeit ist sogar noch
kürzer, als die unsere. Wir können dreihundert Jahre alt werden, aber wenn wir dann
aufhören zu sein, so werden wir in Schaum auf dem Wasser verwandelt, haben nicht
einmal ein Grab hier unten unter unsern Lieben. Wir haben keine unsterbliche Seele,
wir erhalten nie wieder Leben, wir sind gleich dem grünen Schilf, ist das einmal
durchschnitten, so kann es nicht wieder grünen. Die Menschen dahingegen haben eine
Seele, die ewig lebt, lebt, nachdem der Körper zu Erde geworden ist; sie steigt durch die
klare Luft empor hinauf zu allen den glänzenden Sternen! So wie wir aus dem Wasser
auftauchen und die Länder der Menschen erblicken, so steigen sie zu unbekannten,
herrlichen Orten auf, die wir nie zu sehen bekommen.«
»Warum bekamen wir keine unsterbliche Seele?« fragte die kleine Seejungfrau betrübt.
»Ich möchte alle meine Hunderte von Jahren, die ich zu leben habe, dafür geben, um
nur einen Tag ein Mensch zu sein und dann Anteil an der himmlischen Welt zu haben.«
»Daran musst du nicht denken!« sagte die Alte. »Wir fühlen uns weit glücklicher und
besser, als die Menschen dort oben!«
»Ich werde also sterben und als Schaum auf dem Meer treiben, nicht die Musik der
Wogen hören, die schönen Blumen und die rote Sonne sehen? Kann ich denn gar nichts
tun, um eine unsterbliche Seele zu gewinnen?«
»Nein,« sagte die Alte, »nur wenn ein Mensch dich so lieben würde, dass du ihm mehr
als Vater und Mutter wärest; wenn er mit all' seinem Denken und all' seiner Liebe an dir
hinge, und dem Prediger seine rechte Hand in die Deinige, mit dem Versprechen der
Treue hier und in alle Ewigkeit, legen ließe, dann flösse seine Seele in deinen Körper
über, und auch du erhieltest Anteil an der Glückseligkeit der Menschen. Er gäbe dir
Seele und behielt doch seine eigene. Aber das kann nie geschehen! Was hier im Meer
gerade schön ist, dein Fischschwanz, finden sie dort auf der Erde hässlich, sie verstehen
es nun nicht besser, man muss dort zwei plumpe Stützen haben, die sie Beine nennen,
um schön zu sein!«
Da seufzte die kleine Seejungfrau und sah betrübt auf ihren Fischschwanz.
»Lass uns froh sein!« sagte die Alte. »Hüpfen und springen wollen wir in den
dreihundert Jahren, die wir zu leben haben. Das ist wahrlich lange Zeit genug, später
kann man umso besser ausruhen. Heute Abend werden wir Hofball haben!«
Der Ball auf dem Meeresschloss
Das war auch eine Pracht, wie man sie nie auf Erden erblickt. Die Wände und die Decke
des großen Tanzsaales waren von dickem, aber klarem Glase. Mehrere hundert
ungeheure Muschelschalen, rosenrote und grasgrüne, standen zu jeder Seite in Reihen
mit einem blau brennenden Feuer, welches den ganzen Saal beleuchtete und durch die
Wände hinaus schien, sodass die See draußen ganz beleuchtet war; man konnte alle die
unzähligen Fische sehen, große und kleine, die gegen die Glasmauern hinschwammen;
auf einigen glänzten die Schuppen purpurrot, auf andern erschienen sie wie Silber und
Gold. – Mitten durch den Saal floss ein breiter Strom, und auf diesem tanzten die
Meermänner und Meerweibchen zu ihrem eigenen lieblichen Gesang. So schöne
Stimmen haben die Menschen auf der Erde nicht. Die kleine Seejungfrau sang am
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schönsten von ihnen allen, sie wurde deshalb beklatscht, und einen Augenblick fühlte
sie eine Freude in ihrem Herzen, denn sie wusste, dass sie die schönste Stimme von
allen auf der Erde und im Meere hatte.
Aber bald gedachte sie wieder der Welt oben über sich; sie konnte den hübschen
Prinzen und ihren Kummer, dass sie keine unsterbliche Seele wie er besaß, nicht
vergessen. Deshalb schlich sie sich aus ihres Vaters Schloss hinaus, und während alles
drinnen Gesang und Frohsinn war, saß sie betrübt in ihrem kleinen Garten. Da hörte sie
das Waldhorn durch das Wasser ertönen, und sie dachte: »Nun segelt er sicher dort
oben, er, von dem ich mehr halte, als von Vater und Mutter, er, an dem meine Sinne
hängen und in dessen Hand ich meines Lebens Glück legen möchte. Alles will ich
wagen, um ihn und eine unsterbliche Seele zu gewinnen! Während meine Schwestern
dort in meines Vaters Schloss tanzen, will ich zur Meerhexe gehen, vor der ich mich
immer gefürchtet habe, aber sie kann mir vielleicht raten und helfen!«
Die Verwandlung der kleinen Seejungfrau
Nun ging die kleine Seejungfrau aus ihrem Garten hinaus nach den brausenden Strudeln
hin, hinter denen die Hexe wohnte. Den Weg hatte sie früher nie zurückgelegt; da
wuchsen keine Blumen, kein Seegras, nur der nackte, graue Sandboden erstreckte sich
gegen die Strudel hin, wo das Wasser gleich brausenden Mühlrädern herumwirbelte und
alles, was es erfasste, mit sich in die Tiefe riss. Mitten zwischen diesen zermalmenden
Wirbeln musste sie hindurch, um in den Bereich der Meerhexe zu gelangen, und hier
war ein langes Stück kein anderer Weg, als über warmen sprudelnden Schlamm,
welchen die Hexe ihren Torfmoor nannte. Dahinter lag ihr Haus mitten in einem
seltsamen Walde. Alle Bäume und Büsche waren Polypen, halb Tier, halb Pflanze, sie
sahen aus, wie hundertköpfige Schlangen, die aus der Erde hervor wuchsen; alle Zweige
waren lange, schleimige Arme, mit Fingern, wie geschmeidige Würmer, und Glied um
Glied bewegten sie sich, von der Wurzel bis zur äußersten Spitze. Alles, was sie im
Meer erfassen konnten, umschlangen sie fest und ließen es nie wieder fahren. Die kleine
Seejungfrau blieb ganz erschrocken stehen; ihr Herz pochte vor Furcht, fast wäre sie
umgekehrt, aber da dachte sie an den Prinzen und an die Seele des Menschen, und da
bekam sie Mut. Ihr langes, fliegendes Haar band sie fest um das Haupt, damit die
Polypen sie nicht daran ergreifen möchten, beide Hände legte sie über ihre Brust
zusammen, und schoss so davon, wie der Fisch durch das Wasser schießen kann,
zwischen den hässlichen Polypen hindurch, die ihre geschmeidigen Arme und Finger
hinter ihr her streckten. Sie sah, wie jeder von ihnen etwas, was er ergriffen hatte, mit
Hunderten von kleinen Armen, gleich starken Eisenbanden, hielt. Menschen, die auf der
See umgekommen und tief hinunter gesunken waren, sahen als weiße Gerippe aus den
Armen der Polypen hervor. Schiffsruder und Kisten hielten sie fest, Knochen von
Landtieren und ein kleines Meerweib, welches sie gefangen und erstickt hatten, das war
ihr fast das Schrecklichste.
Nun kam sie zu einem großen, sumpfigen Platz im Walde, wo große, fette
Wasserschlangen sich wälzten und ihren hässlichen weißgelben Bauch zeigten. Mitten
auf dem Platze war ein Haus, von weißen Knochen gestrandeter Menschen errichtet.
»Ich weiß schon was Du willst!« sagte die Meerhexe; »es ist zwar dumm von dir, doch
sollst du deinen Willen haben, denn er wird dich ins Unglück stürzen, meine schöne
Prinzessin. Du willst gern deinen Fischschwanz los sein und statt dessen zwei Stützen
gleich wie die Menschen zum Gehen haben, damit der junge Prinz verliebt in dich
12
werden möge, und du ihn und eine unsterbliche Seele erhalten kannst!« Dabei lachte die
Hexe widerlich. »Ich werde dir einen Trank bereiten, mit dem musst du, bevor die
Sonne aufgeht, nach dem Lande schwimmen, dich dort an das Ufer setzen und ihn
trinken, dann schwindet dein Schweif und schrumpft zu dem, was die Menschen
niedliche Beine nennen, ein; aber das tut wehe, es ist, als ob ein scharfes Schwert dich
durchdränge. Alle, die dich sehen, werden sagen, du seiest das schönste Menschenkind,
was sie gesehen haben! Du behältst deinen schwebenden Gang, keine Tänzerin kann
schweben wie du, aber bei jedem Schritt, den du machst, ist dir, als ob du auf scharfe
Messer trätest, als ob dein Blut fließen müsste. Willst du alles dies leiden, so werde ich
dir helfen!«
»Ja!« sagte die kleine Seejungfrau mit bebender Stimme, und gedachte des Prinzen und
der unsterblichen Seele.
»Aber bedenke,« sagte die Hexe, »hast du erst menschliche Gestalt bekommen, so
kannst du nie wieder eine Seejungfrau werden! Und gewinnst du des Prinzen Liebe
nicht, so bekommst du keine unsterbliche Seele! Am ersten Morgen, nachdem er mit
einer andern verheiratet ist, da wird dein Herz brechen, und du wirst zu Schaum auf
dem Wasser.«
»Ich will es!« sagte die kleine Seejungfrau und ward bleich wie der Tod.
»Aber du musst mich auch bezahlen!« sagte die Hexe, »und es ist nicht wenig, was ich
verlange. Du hast die schönste Stimme von allen hier auf dem Grunde des Meeres,
damit glaubst du wohl, ihn bezaubern zu können, aber diese Stimme musst du mir
geben. Das Beste, was du besitzest, will ich für meinen köstlichen Trank haben! Mein
eigen Blut muss ich dir ja darin geben, damit der Trank scharf werde, wie ein
zweischneidig Schwert!«
»Aber wenn du meine Stimme nimmst,« sagte die kleine Seejungfrau, »was bleibt mir
dann übrig?«
»Deine schöne Gestalt,« sagte die Hexe, »Dein schwebender Gang und deine
sprechenden Augen, damit kannst du schon ein Menschenherz betören. Nun, hast du
den Mut verloren? – Strecke deine kleine Zunge hervor, dann schneide ich sie an
Zahlungs Statt ab, und du erhältst den kräftigen Trank!«
»Es geschehe!« sagte die kleine Seejungfrau und die Hexe setzte ihren Kessel auf, um
den Zaubertrank zu kochen.
»Da hast du ihn!« sagte die Hexe und schnitt der kleinen Seejungfrau die Zunge ab, die
nun stumm war, weder singen noch sprechen konnte.
Bevor die kleine Seejungfrau an die Wasseroberfläche schwamm, kam sie am Schloss
ihres Vaters vorbei. Sie schlich in den Garten, nahm eine Blume von jedem Blumenbeet
ihrer Schwestern, warf tausende von Kussfingern dem Schlosse zu und stieg durch die
dunkelblaue See hinauf.
13
Auf dem Schloss des Prinzen
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als sie des Prinzen Schloss erblickte und die
prächtige Marmortreppe hinan stieg. Der Mond schien herrlich klar. Die kleine
Seejungfrau trank den brennenden, scharfen Trank, und es war, als ginge ein
zweischneidig Schwert durch ihren feinen Körper, sie fiel dabei in Ohnmacht und lag
wie tot da. Als die Sonne über die See schien, erwachte sie und fühlte einen schneiden
den Schmerz, aber vor ihr stand der schöne junge Prinz und heftete seine kohlschwarzen
Augen auf sie, sodass sie die ihrigen niederschlug. Da sah sie, dass ihr Fischschwanz
fort war, und dass sie die niedlichsten, kleinen weißen Beine hatte, die nur ein Mädchen
haben kann; aber sie war ganz nackt, deshalb hüllte sie sich in ihr großes, langes Haar
ein. Der Prinz fragte, wer sie sei, und wie sie dahin gekommen sei, und sie sah ihn
milde und doch betrübt mit ihren dunkelblauen Augen an, sprechen konnte sie ja nicht.
Da nahm er sie bei der Hand und führte sie in das Schloss hinein. Bei jedem Schritt, den
sie tat, war ihr, wie die Hexe vorausgesagt hatte, als träte sie auf spitze Nadeln und
scharfe Messer, aber das ertrug sie gern; an des Prinzen Hand stieg sie so leicht wie eine
Seifenblase, und er sowie alle wunderten sich über ihren lieblichen, schwebenden Gang.
Köstliche Kleider von Seide und Musselin bekam sie nun anzuziehen, im Schlosse war
sie die Schönste von allen, aber sie war stumm, konnte weder singen, noch sprechen.
Nun tanzten die Sklavinnen niedliche, schwebende Tänze zur herrlichsten Musik; da
erhob die kleine Seejungfrau ihre schönen, weißen Arme, richtete sich auf den
Zehenspitzen empor und schwebte tanzend über den Fußboden hin, wie noch keine
getanzt hatte; bei jeder Bewegung wurde ihre Schönheit noch sichtbarer, und ihre
Augen sprachen tiefer zum Herzen, als der Gesang der Sklavinnen.
Alle waren entzückt davon, besonders der Prinz, der sie sein kleines Findelkind nannte,
und sie tanzte immer fort, obwohl es jedes Mal, wenn ihr Fuß die Erde berührte, war,
als ob sie auf scharfe Messer träte. Der Prinz sagte, dass sie immer bei ihm sein solle,
und sie erhielt die Erlaubnis, vor seiner Tür auf einem Samtkissen zu schlafen.
Er ließ ihr eine Männertracht machen, damit sie ihn zu Pferde begleiten könne. Sie ritten
durch die duftenden Wälder, wo die grünen Zweige ihre Schultern berührten, und die
kleinen Vögel hinter den frischen Blättern sangen. Sie kletterte mit dem Prinzen auf die
hohen Berge hinauf, und obgleich ihre zarten Füße bluteten, sodass die andern es sehen
konnten, lachte sie doch darüber und folgte ihm, bis sie die Wolken unter sich segeln
sahen, als wäre es ein Schwarm Vögel, die nach fremden Ländern zögen.
Aber nun sollte der Prinz sich verheiraten und des Nachbarkönigs schöne Tochter
haben, erzählte man, deswegen rüstete er ein prächtiges Schiff aus. Der Prinz reist, um
des Nachbarkönigs Länder zu besichtigen, heißt es wohl, aber es geschieht, um des
Nachbarkönigs Tochter zu sehen, ein großes Gefolge soll ihn begleiten; aber die kleine
Seejungfrau schüttelte das Haupt und lächelte; sie kannte des Prinzen Gedanken weit
besser, als die andern. »Ich muss reisen!« hatte er zu ihr gesagt. »Ich muss die schöne
Prinzessin sehen, meine Eltern verlangen es, aber sie wollen mich nicht zwingen, sie als
meine Braut heimzuführen. Ich kann sie nicht lieben, sie gleichet nicht dem schönen
Mädchen im Tempel, der du ähnlich bist; sollte ich einst eine Braut wählen, so würdest
du es eher sein, mein liebes, gutes Findelkind mit den sprechenden Augen!« Und er
küsste sie auf ihren roten Mund, spielte mit ihren schönen, langen Haaren und legte sein
Haupt an ihr Herz, sodass dieses von Menschenglück und einer unsterblichen Seele
träumte.
14
Die Vermählung des Prinzen
Am nächsten Morgen segelte das Schiff in den Hafen von des Nachbarkönigs prächtiger
Stadt. Alle Kirchenglocken läuteten und von den hohen Türmen wurden die Posaunen
geblasen, während die Soldaten mit fliegenden Fahnen und blitzenden Bajonetten in
Reihe und Glied dastanden. Jeder Tag führte ein neues Fest mit sich. Bälle und
Gesellschaften folgten einander, aber die Prinzessin war noch nicht da, sie werde weit
davon entfernt in einem Tempel erzogen, sagten sie, dort lerne sie alle königlichen
Tugenden. Endlich traf sie ein.
Die kleine Seejungfrau war begierig, ihre Schönheit zu sehen, und sie musste
anerkennen, dass sie eine lieblichere Erscheinung noch nie gesehen habe. Die Haut war
fein und klar und hinter den langen, dunklen Augenwimpern lächelten ein paar
schwarzblaue, treue Augen.
»Du bist es,« sagte der Prinz, »Du, die mich gerettet hat, als ich einer Leiche gleich an
der Küste lag!« Und er drückte seine errötende Braut in seine Arme. »O, ich bin allzu
glücklich!« sagte er zur kleinen Seejungfrau. »Das Beste, was ich je hoffen durfte, ist
mir in Erfüllung gegangen. Du wirst dich über mein Glück freuen, denn du meinst es
am besten mit mir von ihnen allen!« Die kleine Seejungfrau küsste seine Hand, und es
kam ihr schon vor, als fühle sie ihr Herz brechen. Sein Hochzeitsmorgen sollte ihr ja
den Tod geben und sie in Schaum auf dem Meere verwandeln.
Noch an demselben Abend gingen die Braut und der Bräutigam an Bord des Schiffes;
die Kanonen donnerten, alle Flaggen wehten und mitten auf dem Schiffe war ein
köstliches Zelt von Gold und Purpur und mit den schönsten Kissen errichtet, da sollte
das Brautpaar in der stillen, kühlen Nacht schlafen.
Die Segel schwollen im Winde, und das Schiff glitt leicht und ohne große Bewegung
über die klare See dahin.
Als es dunkelte, wurden bunte Lampen angezündet und die Seeleute tanzten lustige
Tänze auf dem Verdeck. Die kleine Seejungfrau musste ihres ersten Auftauchens aus
dem Meere gedenken, wo sie dieselbe Pracht und Freude erblickt hatte, und sie drehte
sich mit im Tanze, schwebte, wie die Schwalbe schwebt, wenn sie verfolgt wird, und
alle jubelten ihr Bewunderung zu, nie hatte sie so herrlich getanzt; es schnitt wie scharfe
Messer in die zarten Füße, aber sie fühlte es nicht; es schnitt ihr noch schmerzlicher
durch das Herz. Sie wusste, es sei der letzte Abend, an dem sie ihn erblickte, für den sie
ihre Verwandten und ihre Heimat verlassen, ihre schöne Stimme dahingegeben und
täglich unendliche Qualen ertragen, ohne dass er eine Ahnung davon hatte. Es war die
letzte Nacht, dass sie dieselbe Luft mit ihm einatmete, das tiefe Meer und den
sternklaren Himmel erblickte, eine ewige Nacht ohne Gedanken und Traum harrte ihrer,
die keine Seele hatte, keine Seele gewinnen konnte. Alles war Freude und Heiterkeit auf
dem Schiffe bis weit über Mitternacht hinaus, sie lachte und tanzte mit Todesgedanken
im Herzen. Der Prinz küsste seine schöne Braut, und sie spielte mit seinen schwarzen
Haaren, und Arm in Arm gingen sie zur Ruhe in das prächtige Zelt.
15
Die Töchter der Luft
Es wurde tot und stille auf dem Schiffe, nur der Steuermann stand am Ruder, die kleine
Seejungfrau legte ihre weißen Arme auf den Schiffsrand und blickte gegen Osten nach
der Morgenröte, der erste Sonnenstrahl, wusste sie, würde sie töten. Da sah sie ihre
Schwestern aus dem Meere aufsteigen, sie waren bleich, wie sie; ihre langen, schönen
Haare wehten nicht mehr im Winde, sie waren abgeschnitten.
»Wir haben sie der Hexe gegeben, um dir Hilfe bringen zu können, damit du diese
Nacht nicht sterben musst! Sie hat uns ein Messer gegeben, hier ist es! Siehst du, wie
scharf? Bevor die Sonne aufgeht, musst du in das Herz des Prinzen stechen, und wenn
dann das warme Blut auf deine Füße spritzt, so wachsen diese in einen Fischschwanz
zusammen und du wirst wieder eine Seejungfrau, kannst zu uns herabsteigen und lebst
deine dreihundert Jahre, bevor du der tote, salzige Seeschaum wirst. Beeile dich! Er
oder du musst sterben, bevor die Sonne aufgeht! Unsere alte Großmutter trauert so, dass
ihr weißes Haar gefallen ist wie das unsrige, von der Schere der Hexe. Töte den Prinzen
und komm' zurück! Beeile dich, siehst du den roten Streifen am Himmel? In wenigen
Minuten steigt die Sonne auf und dann musst du sterben!« Und sie stießen einen tiefen
Seufzer aus und versanken in die Wogen.
Die kleine Seejungfrau zog den Purpurteppich vom Zelte fort, und sie sah die schöne
Braut mit ihrem Haupte an des Prinzen Brust ruhen, und sie bog sich nieder, küsste ihn
auf seine schöne Stirn, blickte gen Himmel auf, wo die Morgenröte mehr und mehr
leuchtete, betrachtete das scharfe Messer und heftete die Augen wieder auf den Prinzen,
der im Traum seine Braut beim Namen nannte; nur sie war in seinen Gedanken, und das
Messer zitterte in der Seejungfrau Hand, – aber da warf sie es weit hinaus in die Wogen,
die glänzten rot; wo es hinfiel, sah es aus, als keimten Blutstropfen aus dem Wasser auf.
Noch einmal sah sie mit halbgebrochenem Blicke auf den Prinzen, stürzte sich vom
Schiffe in das Meer hinab und fühlte, wie ihr Körper sich in Schaum auflöste.
Nun stieg die Sonne aus dem Meere auf, die Strahlen fielen mild und warm auf den
todkalten Meeresschaum und die kleine Seejungfrau fühlte nichts vom Tode; sie sah die
klare Sonne, und oben über ihr schwebten Hunderte von durchsichtigen, herrlichen
Geschöpfen, sie konnte durch dieselben des Schiffes weiße Segel und des Himmels rote
Wolken erblicken. Die Sprache derselben war melodisch, aber so geistig, dass kein
menschliches Ohr es vernehmen, ebenso wie kein menschliches Auge sie erblicken
konnte; ohne Schwingen schwebten sie vermittelst ihrer eigenen Leichtigkeit durch die
Luft. Die kleine Seejungfrau sah, dass sie einen Körper hatte, wie diese, der sich mehr
und mehr aus dem Schaume erhob.
»Zu wem komme ich?« fragte sie, und ihre Stimme klang wie die der andern Wesen, so
geistig, dass keine irdische Musik sie wiederzugeben vermag.
»Zu den Töchtern der Luft!« erwiderten die andern. »Die Seejungfrau hat keine
unsterbliche Seele, kann sie nie erhalten, wenn sie nicht eines Menschen Liebe gewinnt;
von einer fremden Macht hängt ihr ewiges Dasein ab. Die Töchter der Luft haben auch
keine ewige Seele, aber sie können durch gute Handlungen sich selbst eine schaffen.
Wir fliegen nach den warmen Ländern, wo die schwüle Pestluft den Menschen tötet;
dort fächeln wir Kühlung. Wir breiten den Duft der Blumen durch die Luft aus und
senden Erquickung und Heilung. Wenn wir dreihundert Jahre lang gestrebt haben, alles
Gute, was wir vermögen, zu vollbringen, so erhalten wir eine unsterbliche Seele und
nehmen teil an dem ewigen Glücke der Menschen. Du arme, kleine Seejungfrau hast
mit ganzem Herzen nach demselben, wie wir gestrebt, du hast gelitten und geduldet,
16
dich zur Luftgeisterwelt erhoben, nun kannst du dir selbst, durch gute Werke nach drei
Jahrhunderten eine unsterbliche Seele schaffen.«
Die kleine Seejungfrau erhob ihre verklärten Arme gegen Gottes Sonne, und zum ersten
Mal fühlte sie Tränen in ihren Augen. – Auf dem Schiffe war wieder Lärm und Leben,
sie sah den Prinzen mit seiner schönen Braut nach ihr suchen; wehmütig starrten sie den
perlenden Schaum an, als ob sie wüssten, dass sie sich in die Fluten gestürzt habe.
Unsichtbar küsste sie die Stirn der Braut, lächelte ihn an, und stieg mit den übrigen
Kindern der Luft auf die rosenrote Wolke hinauf, welche den Äther durchschiffte.
»Nach dreihundert Jahren schweben wir so in das Reich Gottes hinein!«
Quelle: Aus: Andersen, H[ans] C[hristian]: Sämmtliche Märchen. Leipzig [um 1900], S.
319-347.
2.2.4 Musikalische Analyse
2.2.4.1 Besetzung und Steigerungen
Zemlinsky komponierte „Die Seejungfrau“ für ein romantisches Sinfonieorchester. Er
legte viel Wert auf differenzierte Instrumentierung und kreierte dadurch verschiedene
Klangfarben. In der Komposition erklingen vier Flöten (3. und 4. auch kleine Flöte),
zwei Oboen, ein Englisch Horn, eine Klarinette in Es, je zwei Klarinetten in B und in A,
je eine Bassklarinette in B und in A, drei Fagotte, sechs Hörner in F, drei Trompeten in
F, vier Posaunen (1.-3. Tenorposaunen, 4. Bassposaune), eine Basstuba, zwei Harfen,
Pauken, Schlagwerk für zwei Spieler mit Glockenspiel, Triangel, Hängebecken und
zwei Röhrenglocken sowie Streicher. Die Dynamik reicht von ppp (T. I, 1) bis fff (T. I,
164). Im dritten Teil verlangt Zemlinsky von Streichern und Harfe sogar ein ppppp (T.
III, 215ff). Er bevorzugt reine Instrumentalfarben, die oft nur dezent von anderen
Instrumentengruppen begleitet werden.
Im ersten Teil kommen alle Instrumente vor, wobei die hohen Blechbläser nur teilweise
spielen. Sie kommen in Abschnitten zur Geltung, in denen die Harfe pausiert und
umgekehrt. So entstehen schon durch die Wahl der Klangfarbe Kontraste zwischen
dramatischer und träumerischer Wirkung.
Im zweiten Teil führt die Instrumentierung zu noch stärkeren Kontrasten. Ab T. II, 166
spielen nur noch die Bassklarinette und Streicher. Langsam kommen die anderen
Instrumente dazu. Es ergibt sich eine Steigerung in der Instrumentation (und der
Dynamik), die in den T. II, 202-203 ihren Höhepunkt erfährt und wieder eine Abnahme
der Instrumente (und der Dynamik) zur Folge hat. Steigerung und Abklang wiederholen
sich noch zweimal und haben in T. II, 229 und den T. II, 314-317 ihrer größte
Besetzung und Intensität. Ein gemeinsamer Abschluss, der unerwartet auf einen
scheinbar im Nichts endenden Abschnitt folgt, fordert nochmals das ganze Orchester.
17
Den dritten Teil beginnen allein die Streicher. Erst im T. III, 111 ist das Orchester
wieder komplett und geht ab T. II, 120 in Instrumentation (und Dynamik) auch schon
wieder zurück. Steigerungen und Abklingen wechseln sich wieder ab. So kommt es in
T. III, 154, T. III, 186-191 und T. III, 240-243 zu drei weiteren Höhepunkten. Nach
diesem letzten dramatischen Höhepunkt bleibt die Besetzung weiterhin komplett, spielt
aber im ppp – p bis zum Schluss.
2.2.4.2 Motivische Arbeit und Wirkung
Zemlinsky entwickelt in der Komposition der „Seejungfrau“ gesangliche,
charakteristische Motive, die er miteinander vernetzt und nutzt meist eine tonale, also
für diese Zeit eher konservative Harmonik. „Die Seejungfrau“ wurde schon nach ihrer
Uraufführung als technisch perfekt komponiert und als traditionalistisch beschrieben. In
ihrer Form und Wirkung ist sie mehrdeutig. Dies liegt unter anderem daran, dass
Zemlinskys Musik nicht die Handlung des Märchens chronologisch nacherzählt,
sondern vielmehr die inneren emotionalen und seelischen Motive der Seejungfrau
darstellt. Der Ausdruck von Stimmungen und Gefühlen steht im Vordergrund. Für die
Umsetzung dieser Stimmungen sind die detaillierten Spielanweisungen unabdingbar.
Der Komponist arbeitet innerhalb aller drei Teile mit Steigerungen und Kontrasten. Die
Teile sind durch Pausen klar voneinander getrennt. Die Übergänge werden jeweils
durch eine Einleitung und eine Coda vorbereitet. Die Coda endet stets in einer
ungewöhnlichen Tonart und kreiert somit eine Erwartungshaltung, die wiederum eine
Verbindung zum folgenden Teil herstellt. In ihrer Wirkung unterscheiden sich die Teile
nicht wesentlich voneinander.
2.2.4.3 Gliederung8
Teil I:
Im ersten Teil werden die wichtigsten Themen vorgestellt. Sie werden in den weiteren
Teilen dann wieder aufgenommen und verarbeitet. Die Themen sind teilweise zunächst
durch andere Stimmen verschleiert und entpuppen sich erst später als tragende
Elemente, die dann wieder vernetzt werden. Das Hauptthema der „Meereswelt“ und die
Verarbeitung der „Meerestiefe“ (s. u.) sind im ersten Teil vorherrschend.
Abschnitt
1. Abschnitt: T. I, 1-52, Themenaufstellung:
Hauptthema und aus diesem abgeleitete synkopische
Pendelfigur, Thema der Seejungfrau, Zäsuren
2. Abschnitt: T. I, 53-98, Fortspinnungsthema:
Verarbeitung mit assoziativer Neukombination
bisherigen thematischen Materials, zahlreiche
Modulationen
8
Abschnitte in: Wessel, S.214
18
Inhalt, Motive, Bilder,
mögliches Programm
Meereswelt, Heimat,
Seejungfrau
Menschenwelt
3. Anschnitt T. I, 99-172, Sehnsuchtsthema und
dessen Verarbeitung, unter Aufnahme vorheriger
Gedanken
4. Abschnitt T. I, 173-322, dramatische Verarbeitung
des thematischen Materials mit Bildung neuer
Varianten
5. Abschnitt T. I, 323-350, Epilog mit neuem
melodischen Gedanken, an den Rhythmus des
Hauptthemas anklingend
Sehnsucht
Sturm, scheiterndes Schiff
Epilog: Rettung, stille
Seligkeit, volksliedhafte
Innigkeit
Zemlinsky wollte bei der Komposition des Sturmes allzu eindeutige Tonmalerei
umgehen (siehe Brief Nr. 9).
Aufgrund rechtlicher Bestimmungen können die Notenbeispiele der Themen hier leider
nicht kostenlos abgedruckt werden.
Teil II:
Abschnitt
Inhalt, Motive, Bilder,
mögliches Programm
1. Abschnitt T. II, 1-70, Eröffnung mit Rückgriff auf
Material aus Teil I
2. Abschnitt T. II, 71-165, „Reigen“ mit zwei neuen
Themen
3. Abschnitt T. II, 166-210, Wiederaufnahme des
Haupt- und des Seejungfrau-Themas
4. Abschnitt T. II, 211-234, weiteres neues Thema und
Verarbeitung des Seejungfrau-Themas
5. Abschnitt T. II, 235-361, Wiederaufnahme des
„Reigens“
Reigen, Ball beim Meerkönig
Meereswelt, Seejungfrau
Fest auf dem Schiff?, Reigen,
Sehnsuchtsthema
Teil III:
Der dritte Teil könnte, dem Märchen zufolge, das Leben der Seejungfrau an Land, die
Hochzeit des Prinzen und den Tod der Seejungfrau widerspiegeln.
Gülke interpretiert den dritten Teil folgendermaßen: die Verzweiflung der Seejungfrau,
der Klagegesang der Schwestern, ein Requiem, die Darstellung der schlafenden
Brautleute, der folgende innere Konflikt der Seejungfrau und ihre Wandlung zu einer
der Töchtern der Luft.9
Zemlinsky äußert sich allerdings nicht zum Inhalt des dritten Abschnitts. So wäre eine
andere Deutung, dass nun die Musik über das Märchen hinaus geht und wiederum die
innere Verfassung der Seejungfrau sowie Stimmungen darstellt. Dafür spräche auch,
dass das Thema der Seejungfrau in diesem Teil dominiert.
9
Vgl. Gülke, S.64 f
19
Abschnitt
1. Abschnitt T. III, 1-30, Lamento-Thema und Seejungfrau-Thema im Wechsel
2. Abschnitt T. III, 31-137, lebhaftes Finale-Thema: Seejungfrau-Thema und
Sehnsuchts-Thema verbunden in neuer Variante, gemeinsame Verarbeitung mit
Hauptthema und Lamento-Thema
3. Abschnitt T. III, 138-154, ruhiger Abschnitt mit dichter Überlagerung verschiedener
Themen aus Teil I bis III
4. Abschnitt T. III, 155-197, ähnlich wie der vorige Abschnitt, jedoch ausgedehnter
und dramatisch sich steigernd
5. Abschnitt T. III, 198-223, Wiederaufgriff der Einleitung von Teil I
6. Abschnitt T. III, 224-253, kaum veränderte Wiederaufnahme des 4. Abschnitts von
Teil II mit abschließender Coda, Ende in Es-Dur (sehr entfernte Tonart zum sonst
vorherrschenden a-Moll)
2.2.4.4 Themen und Motive
Die Motive der Themen wiederholen sich in einer Phrase selten und variieren ständig.
Eine solche Variantenbildung führt zur Vernetzung der Themen. Zudem passen sich die
Themen jeweils ihrer Umgebung an. Dennoch führen sie die Zuhörenden durch alle drei
Teile. Im ersten Teil ist es am einfachsten, die Themen herauszuhören. Mit der
Verknüpfung der zuerst eigenständigen Themen zu einer Einheit wird es schwieriger,
die Themen auszumachen. Wie die einzelnen Themen miteinander in Beziehung stehen,
ist bei Peter Wessel(s. Literaturverzeichnis) nachzulesen. Hier wird die Komplexität der
Themen in allen musikalischen Parametern ausführlich beschrieben.
Einleitung „Meerestiefe“
In der Einleitung erklingen Posaune, Tuba, Pauke, 1. Harfe, Fagott und die tiefen
Streicher zu Beginn des 1. Teils, deren weicher, tiefer Klang die Meerestiefe darstellt.
Sie spielen in Quarten, Quinten oder Tonleitern.
T. I, 3-6
6/4, keine Vorzeichen
(Aus oben genannten Gründen sind die Notenbeispiele hier herausgenommen.)
Hauptthema „Heimat“ / „Meereswelt“
Die Bassklarinette und das Horn stellen das Hauptthema vor. Die Wellenbewegung des
Themas steht für die Wellen des Meeres.
„Pendelfigur“
Die Violinen 1 und 2 spielen eine Pendelfigur in stark chromatisiertem a-Moll.
T. I, 18+19
„Seejungfrau-Thema“
20
Aus der Chromatik der Pendelfigur und den Aufwärtsbewegungen des MeeresweltThemas stellt sich nun das „Seejungfrau-Thema“ neu zusammen, das zunächst die SoloVioline präsentiert. Das „Seejungfrau-Thema“ ist das einzige Thema, das periodisch
aufgebaut ist. Während die Einleitung, das Hauptthema und die Pendelfigur in Moll
stehen, bildet das „Seejungfrau-Thema“ ihnen gegenüber einen Kontrast in Dur. Auch
in Tempo, Taktart und Instrumentation bildet das „Seejungfrau-Thema“ einen
Gegensatz zu den vorhergehenden Themen.
T. I, 21-25
„Fortspinnungsthema“
Das „Fortspinnungsthema“ weist zahlreiche Parallelen, aber auch Unterschiede zum
Thema der „Seejungfrau“ und dem Hauptthema auf.
T. I, 57-66
Motiv „Schaum auf den Wellen“
1. Oboe, 1. Klarinette
T. I, 9+10
Die Flöten spielen das Motiv während des Reigens in veränderter Form (T. II, 71-74).
„Sehnsuchts-Thema“
Es spielen 1./2. Flöten (3#), 2./3. Föten (3#), Oboe (3#), Englisch Horn (4#), EsKlarinette (6#), 1./2. Klarinette in B (5#), Bassklarinette in B (5#), 1./2. Fagott (3#) und
3. Fagott (3#). Die Streicher (ausgenommen Kontrabass) spielen an dieser Stelle die
gleichen Stimmen wie die hohen Bläser, unterstützen also das Sehnsuchts-Thema im ff.
T. I, 164-167
„Sehnsucht der Seejungfrau von der Menschenwelt“
Besetzung: Solovioline (2#)
T. I, 100-103
Das Thema wird später auch von den Bläsern gespielt.
„Lamento-Thema“
T. III, 1-8
Das „Lamento-Thema“ wird von den ersten und zweiten Violinen vorgestellt und von
den Klarinetten wiederholt.
21
3. Methodisch-didaktische Hinweise und Unterrichtsmaterialien
Die Unterrichtsmaterialien sind für Schülerinnen und Schüler ab der 8. Klasse
konzipiert. Sicherlich können einige Aufgaben auch schon in niedrigeren Klassen
durchgeführt bzw. so verändert werden, dass auch jüngere Schülerinnen und Schüler
davon profitieren und auf ein Konzert vorbereitet werden können.
Da zur Seejungfrau kein Programm erhalten und die Komposition teilweise mehrdeutig
ist, sind viele Interpretationen der Musik denkbar. Dies lässt den Schülerinnen und
Schülern in ihrem Umgang mit dem Werk eine gewisse Freiheit und es bieten sich
kreative Umsetzungen, wie z. B. Tanz, Kunst oder Lichttechnik an. Da Zemlinsky auf
den Ausdruck seiner Komposition sehr viel Wert legte, sollten die Wirkung der Musik
und die Gefühlswelt, die sie darstellt, im Mittelpunkt des Musikunterrichts stehen, um
einen authentischen Zugang zur Komposition zu schaffen.
Es ist sinnvoll, die Motive bzw. Themen den Schülerinnen und Schülern vorzustellen,
da diese im ganzen Werk wiederkehren. So ereignen sich Wiedererkennungseffekte
während des Konzertbesuches. Zur Vorstellung der Themen eignet sich am besten der
erste Teil, da gegen Ende des Werkes die Themen immer dichter miteinander verknüpft
werden.
Die folgenden Aufgaben bauen aufeinander auf, können aber beliebig – je nach zur
Verfügung stehender Zeit – gekürzt oder gestrichen werden.
3.1 Vorschläge zur Unterrichtsgestaltung
3.1.1 Einführung in das Thema und eigene Komposition
Umfang: 2 Unterrichtsstunden
Phase I: Die Schülerinnen und Schüler bringen Bilder von Meeresgestalten oder
Meerjungfrauen mit. Diese können selbstgemalt, aus Büchern oder aus dem Internet
ausgedruckt sein.
Welche Tiere, Gestalten und Pflanzen gibt es im Meer? Welche Sagenfiguren stammen
aus dem Meer?
Phase II: Eine Schülerin / ein Schüler erzählt das Märchen der Seejungfrau. Die
Lehrerin / der Lehrer ergänzt gegebenenfalls (s. 2.2.3 Märchentext „Die kleine
Seejungfrau“). Wie unterscheidet sich die Originalversion Christian Andersens von der
bekannteren Version von Disney?
Phase III: Die Schülerinnen und Schüler sammeln Gefühle, die die kleine Seejungfrau
im Verlauf der Geschichte empfindet, z. B. Sehnsucht, Hoffnung, Vorfreude, Schmerz,
Liebe, Enttäuschung, ...
Phase IV: Die Lehrperson legt eine Folie mit dem folgenden Zitat aus Christian
Andersens Märchen auf. Eine Schülerin / ein Schüler liest den Abschnitt vor.
22
»Wenn Ihr Euer fünfzehntes Jahr erreicht habt,« sagte die Großmutter, »dann sollt Ihr
die Erlaubnis erhalten, aus dem Wasser empor zu tauchen, im Mondschein auf der
Klippe zu sitzen und die großen Schiffe, die vorbei segeln, zu sehen, Wälder und
Städte werdet Ihr dann erblicken!«
Aufgabe: Gibt es in „unserer Welt“ auch Altersbeschränkungen / Rituale, die an ein
Alter gebunden sind? Die Schülerinnen und Schüler tauschen sich kurz zu zweit aus,
welche Regeln und Privilegien in ihrer Familie / ihrer Kultur gelten. Sie teilen ihre
Erfahrungen dann im Klassengespräch mit.
Phase V: Die Schülerinnen und Schüler vertonen die Erlebnisse der sechs Schwestern
in Gruppenarbeit (s. Unterrichtsmaterialien 3.2.1). Sie werden in sechs Gruppen
aufgeteilt. Jede Gruppe entwirft ein Konzept für die Vertonung eines Erlebnisses, z. B.
anhand einer grafischen Notation. Immer zwei Gruppen kommen zusammen und
entscheiden sich für ein Konzept, das sie dann vertonen. So entstehen drei
Kompositionen, die geprobt und der Klasse vorgeführt werden. Die Gruppen
entscheiden sich dann für zwei Motive, die den Übergang zwischen zwei
Kompositionen darstellen. Die drei Teile werden zusammengefügt. Es entsteht ein
Stück von den Erlebnissen der Meerjungfrauen.
3.1.2 Die Seejungfrau, Teil 1
Umfang: 2 Unterrichtsstunden
Phase I: Hörbeispiel: Die Erlebnisse der kleinen Seejungfrau an der Wasseroberfläche,
T. I, 99-179
Das Hörbeispiel findet sich auf Youtube:
http://www.youtube.com/watch?v=9hiJOp7gxjM
Der Abschnitt zu den Erlebnissen der kleinen Seejungfrau an der Wasseroberfläche geht
von 5‘27‘‘- 8‘13‘‘.
Höraufgaben:
1. Überprüfe die Liste der Gefühle der kleinen Seejungfrau (siehe 3.1.1). Welche
Gefühle kommen vor? Welche Gefühle kannst du ergänzen?
2. Welche Instrumente spielen mit? Welche Wirkung hat die Wahl der Instrumente?
Gibt es unterschiedliche Klangfarben?
Gleich nach dem Hören schildern die Schülerinnen und Schüler zunächst ihren ersten
Höreindruck. Gefällt euch das Stück? Warum (nicht)? Dann werden die Aufgaben 1 und
2 im Plenum besprochen.
Gibt es Ähnlichkeiten zwischen euren Kompositionen und dem Hörbeispiel aus dem
ersten Teil von Zemlinskys „Seejungfrau“?
Phase II: Die Lehrperson stellt die zwei der Motive „Seejungfrau“ und
„Menschenwelt“ vor (Youtube-Link bei 1‘58‘‘ und 5‘30‘‘). Gegebenenfalls können die
23
Schülerinnen und Schüler diese musizieren. Wenn nun das Hörbeispiel vom Anfang der
Stunde ein zweites Mal erklingt, sollen die Schülerinnen und Schüler bewusst auf die
Motive achten. Sie können z. B. die Hand heben, wenn sie die Motive hören oder
zählen, wie oft sie erklingen.
Phase III: Die Schülerinnen und Schüler bearbeiten die Aufgaben zu Zemlinskys
Briefen an Schönberg zur Entstehung der „Seejungfrau“ (s. Unterrichtsmaterialien
3.2.2). Bei kleineren Klassen oder Zeitmangel können die Briefe Nr.19, 22, 24 und 37
weggelassen werden. Die Lehrperson gibt Informationen zum Zeitgeschehen um 1900.
Die Aufgabe Nr. 8 kann z. B. als eine Internetrecherche gelöst werden.
Phase IV: Gattung Sinfonische Dichtung / Fantasie: Die Schülerinnen und Schüler
schreiben in Partnerarbeit einen Lexikoneintrag für ein Jugendlexikon. Folgende
Internetseiten geben Informationen zur Gattung Sinfonische Dichtung.
http://www.theatergemeinde-bonn.de/kultur/kultur-Archiv/musikalischebegriffe/sinfonische-dichtung/
http://de.wikipedia.org/wiki/Sinfonische_Dichtung
Auch der Text aus 2.2.1, der auf Informationen aus dem MGG basiert, kann dazu
verwendet werden.
3.1.3 Die Seejungfrau, Teil 2
Umfang: 1 Unterrichtsstunde
Phase I: Hörbeispiel, Teil 2. Den 2. Teil gibt es ebenfalls auf Youtube:
http://www.youtube.com/watch?v=-K-34IvkpoI
und http://www.youtube.com/watch?v=jZze_2uawNk
Während des Hörens machen sich die Schülerinnen und Schüler Notizen zu den
Aufgaben 1 und 2, die im Anschluss gemeinsam besprochen werden.
1. Zeichne eine „Dramatikkurve“ und ordne ihr passende Adjektive zu. (Beispiel s.
3.2.6 Lösungen )
2. Wie wird diese Wirkung erzeugt?
Phase II: Die Schülerinnen und Schüler ordnen die durcheinandergeratenen
Spielanweisungen der Reihe nach. Das Ergebnis kann ein Anhaltspunkt für die dritte
Phase sein.
Bemerkung: Unter den Unterrichtsmaterialien 3.2.3 finden Sie die Spielanweisungen in
ihrer richtigen Reihenfolge. Diese können z. B. in Abschnitten auseinander geschnitten
und dann im Unterricht in Partnerarbeit zusammengesetzt werden.
Phase III: Die Schülerinnen und Schüler gestalten die Lichttechnik für eine
Inszenierung, z. B. eine Tanzaufführung. Welche Farben und Effekte würden passen?
ODER
24
Die Schülerinnen und Schüler entwerfen in Gruppen einen eigenen Tanz zu Teil 2 mit
weißen Handschuhen und Schwarzlicht.
3.1.4 Die Seejungfrau, Teil 3
Umfang: 1 Unterrichtsstunde
Möglichkeit I: Die Schülerinnen und Schüler malen abstrakte oder konkrete Bilder mit
Wasserfarben, während sie den gesamten dritten Teil (14‘) der „Seejungfrau“ hören.
Youtube: http://www.youtube.com/watch?v=i_axxxYiVIs
und http://www.youtube.com/watch?v=tpjNMn7cTgc
Sie gestalten anschließend eine Bilderausstellung im Schulhaus oder im
Klassenzimmer.
ODER
Möglichkeit II: Die Schülerinnen und Schüler schreiben Emotionen und Stimmungen
auf, die ihrer Meinung nach zur Musik des dritten Teils passen. Die Lehrerin / der
Lehrer zeigt Bilder mit verschiedenen Gesichtsausdrücken (s. Unterrichtsmaterialien
3.2.4) in unterschiedlichen Emotionen. Daraufhin stellen die Schülerinnen und Schüler
ihre notierten Emotionen und Stimmungen durch Gesichtsausdrücke dar und
fotografieren sich gegenseitig.
Sie gestalten anschließend eine Fotoausstellung oder eine Präsentation mit Beamer.
Vielleicht ist sogar eine Installation im Schulgebäude mit der Musik und den Fotos
umsetzbar.
3.1.6 Das Orchester kennenlernen
Umfang: 1 Unterrichtsstunde
Gruppenarbeit:
Die Schülerinnen und Schüler bearbeiten drei Themen. Bei insgesamt sechs Gruppen
bearbeiten jeweils zwei Gruppen ein Thema.
Hierzu sollen die Schülerinnen und Schüler selbst im Internet recherchieren.
Gruppe 1: Radiosinfonieorchester Stuttgart des SWR
Die Schülerinnen und Schüler gestalten ein Plakat zum Radiosinfonieorchester
Stuttgart. Fragen zur Anregung: Welche Instrumentengruppen kommen vor? Wie sitzen
sie im Orchester? Seit wann gibt es das Orchester? Spielt das Orchester nur in Stuttgart
oder auch an anderen Orten?
Welche Fragen könnten wir bei einem Interview stellen?
Folgende Homepage ist hilfreich:
http://www.swr.de/orchester-und-ensembles/rso/ueberuns//id=788422/di0lyb/index.html
Gruppe 2: Dirigentin Xian Zhang
Die Schülerinnen und Schüler gestalten eine Seite für das Programmheft über die
Dirigentin.
25
Folgende Internetseiten sind hilfreich:
http://www.klassik-heute.com/kh/6kuenstler/bio_i_30549.shtml
http://www.pressefoyer.com/amc4/p_archivbeitrag_detail01_prt.php?lng=de&filter_pat
=808
Gruppe 3: Beethovensaal
Die Schülerinnen und Schüler gestalten ein Plakat zum Beethovensaal mit einer Skizze
des Saals und erkundigen sich über die Anfahrt zur Liederhalle Stuttgart.
Folgende Internetseiten sind hilfreich:
Über den Beethovensaal: http://www.liederhallestuttgart.de/index.php?tacoma=webpart.pages.TacomaDynamicPage&navid=4069&coi
d=4069&&cid=0
Raumplan: http://www.liederhallestuttgart.de/filerepository/uxTyYanEM3V93brwzEcz.pdf
Anfahrtsplan: http://www.liederhallestuttgart.de/filerepository/vBpBstRfqcFXG7atR5vh.pdf
3.1.7 Nach dem Konzertbesuch
Umfang: 1 Unterrichtsstunde
Phase I: Die Schülerinnen und Schüler verfassen eine Kritik zum Konzert. War die
Musik ausdrucksstark, wie es Zemlinsky beabsichtigte?
Bemerkung: Diese Aufgabe bietet sich auch als Hausaufgabe nach dem Konzertbesuch
an.
Phase II: Die Schülerinnen und Schüler vergleichen die Musik der „Seejungfrau“ mit
der Filmmusik zu „Fluch der Karibik“, Arielle, der Meerjungfrau und / oder H2O.
Youtube Meerjungfrauen in Fluch der Karibik:
http://www.youtube.com/watch?v=8gxJhs-LnVE&feature=fvwp&NR=1
Youtube Arielle, die Meerjungfrau, 2‘15‘‘-3‘10‘‘: http://www.youtube.com/watch?v=li52Z3ycj4
Youtube H2O, 7‘43‘‘-8‘55‘‘: http://www.youtube.com/watch?v=6OZaTHEDoVY
Die Glockenspielstimme der H2O -Filmmusik kann in der Klasse zusammen musiziert
werden (s. Unterrichtsmaterialien 3.2.5).
Phase III: Die Schülerinnen und Schüler bekommen das Programm „Young Classix“.
Wählt einen Workshop oder ein Projekt aus, das euch interessiert und stellt dieses in
der Klasse vor.
Für Fragen stehe ich gerne zur Verfügung: [email protected]. Ich freue
mich auch über Kritik oder Anregungen, da die Handreichung Teil meiner
Zulassungsarbeit ist.
26
3.2 Materialien
3.2.1 Gruppenarbeit „Erlebnisse der sechs Schwestern“
Die Erlebnisse der Schwestern an der Wasseroberfläche
Nun war die älteste Prinzessin fünfzehn Jahre alt und durfte über die Meeresfläche
emporsteigen.
Als sie zurückkehrte, hatte sie hunderterlei zu erzählen, aber das Schönste, sagte sie,
war im Mondschein auf einer Sandbank in der ruhigen See zu liegen, und nahebei die
Küste mit der großen Stadt zu betrachten, wo die Lichter gleich hundert Sternen
blinkten, die Musik und den Lärm und das Toben von Wagen und Menschen zu hören,
die vielen Kirchtürme und Spitzen zu sehen, und das Läuten der Glocken zu hören.
Im folgenden Jahre erhielt die zweite Schwester die Erlaubnis, durch das Wasser empor
zu steigen und zu schwimmen, wohin sie wolle. Sie tauchte auf, eben als die Sonne
unterging, und dieser Anblick, fand sie, war das Schönste. Der ganze Himmel habe wie
Gold ausgesehen, sagte sie, und die Wolken, ja, deren Schönheit konnte sie nicht genug
beschreiben; rot und blau waren sie über ihr dahin gesegelt, aber weit schneller als
diese, flog, einem langen, weißen Schleier gleich, ein Schwarm wilder Schwäne über
das Wasser hin, wo die Sonne stand. Sie schwammen derselben entgegen, aber die
Sonne sank, und der Rosenschein erlosch auf der Meeresfläche und den Wolken.
Das Jahr darauf kam die dritte Schwester hinauf; sie war die mutigste von allen, deshalb
schwamm sie einen breiten Fluss aufwärts, der in das Meer ausmündete. Herrlich grüne
Hügel mit Weinranken erblickte sie, Schlösser und Gehöfte schimmerten durch
prächtige Wälder hervor; sie hörte, wie alle Vögel sangen, und die Sonne schien so
warm, dass sie oft unter das Wasser tauchen musste, um ihr brennendes Antlitz
abzukühlen. Nie konnte sie die prächtigen Wälder, die grünen Hügel und die niedlichen
Kinder vergessen, die im Wasser schwimmen konnten, obgleich sie keinen
Fischschwanz hatten.
Die vierte Schwester war nicht so kühn, sie blieb draußen mitten im wilden Meer, und
erzählte, dass es dort am schönsten sei; man sehe ringsumher, viele Meilen weit, und
der Himmel stehe wie eine Glasglocke darüber. Schiffe hatte sie gesehen, aber nur in
weiter Ferne, sie sahen wie Strandmöven aus, und die possierlichen Delphine hatten
Purzelbäume geschossen, und die großen Walfische aus ihren Nasenlöchern Wasser
empor gespritzt, sodass es ausgesehen hatte, wie hunderte von Springbrunnen
ringsumher.
Nun kam die Reihe an die fünfte Schwester; ihr Geburtstag fiel gerade im Winter, und
deshalb sah sie, was die andern das erste Mal nicht gesehen hatten. Die See nahm sich
ganz grün aus, und ringsumher schwammen große Eisberge, ein jeder sah wie eine Perle
aus, sagte sie, und war doch weit größer als die Kirchtürme, welche die Menschen
bauen. Sie zeigten sich in den sonderbarsten Gestalten und glänzten wie Diamanten. Sie
hatte sich auf einen der allergrößten gesetzt und alle Segler kreuzten erschrocken
draußen herum, wo sie saß und den Wind mit ihrem langen Haar spielen ließ; aber
gegen Abend hatte sich der Himmel mit Wolken überzogen, es blitzte und donnerte,
während die schwarze See die großen Eisblöcke hoch emporhob und sie beim roten
27
Blitz erglänzen ließ. Auf allen Schiffen nahm man die Segel ein, da war eine Angst und
ein Grauen, aber sie saß ruhig auf ihrem schwimmenden Eisberge und sah die blauen
Blitzstrahlen im Zickzack in die schimmernde See fahren.
Endlich war die jüngste Schwester fünfzehn Jahre alt. Die Sonne war eben
untergegangen, als sie den Kopf über das Wasser erhob, aber alle Wolken glänzten noch
wie Rosen und Gold, und inmitten der blassroten Luft strahlte der Abendstern hell und
schön, die Luft war mild und frisch, und das Meer ganz ruhig. Da lag ein großes Schiff
mit drei Masten, ein einziges Segel war nur aufgezogen, denn es rührte sich kein
Lüftchen, und ringsumher im Tauwerk und auf den Stangen saßen Matrosen. Da war
Musik und Gesang, und wie der Abend dunkler ward, wurden Hunderte von bunten
Laternen angezündet; sie sahen aus als ob die Flaggen aller Völker in der Luft wehten.
Die kleine Seejungfrau schwamm bis zum Kajütenfenster hin, und jedes Mal, wenn das
Wasser sie emporhob, konnte sie durch die spiegelklaren Fensterscheiben blicken, wo
viele geputzte Menschen standen; aber der schönste war doch der junge Prinz mit den
großen, schwarzen Augen. Er war sicher nicht mehr als fünfzehn Jahre alt; heute war
sein Geburtstag und deshalb herrschte all' diese Pracht. Die Matrosen tanzten auf dem
Verdeck, und als der junge Prinz da hinaustrat, stiegen über hundert Raketen in die Luft,
die leuchteten wie der helle Tag, sodass die kleine Seejungfrau sehr erschrak und unter
das Wasser tauchte, aber sie steckte bald den Kopf wieder hervor, und da war es gerade,
als ob alle Sterne des Himmels zu ihr herunter fielen. Nie hatte sie solche Feuerkünste
gesehen. Große Sonnen sprühten herum, prächtige Feuerfische flogen in die blaue Luft,
und alles glänzte in der klaren, stillen See wieder. Auf dem Schiffe selbst war es so hell,
dass man jedes kleine Tau, wie viel mehr die Menschen sehen konnte. O, wie war doch
der junge Prinz hübsch, und er drückte den Leuten die Hände und lächelte, während die
Musik in der herrlichen Nacht erklang!
28
3.2.2 Briefe Zemlinskys an Schönberg über die Entstehung der Seejungfrau
[Poststempel: Wien, 18.II.[?]1902]
Lieber Freund, [...]
Ich arbeite fest an einer symphonischen Dichtung: „Das Meerfräulein“ v. Andersen, es
soll eine Vorarbeit für meine Symfonie „Vom Tode“ werden. Ich habe große Freude
damit. Mir sind fast alle Themen dafür schon eingefallen u. gute vor allem. Ich bin auch
schon mitten drinnen. Lies das Märchen. Die Eintheilung so:
I. Theil a: Am Meeresgrund (ganze Explosion) b: des Meerfräulein auf der MenschenWelt, der Sturm, des Prinzen Errettung,
II. Theil a das Meerfr:[äuleins] Sehnsucht; bei der Hexe. b: des Prinzen Vermählung,
des Meerfr. Ende. Also II Theile aber 4 Abschnitte.
Gruß von allen an Dich und Mathilde
Herzlichst Alex
Quelle: Weber, Nr. 4, S. 7ff
Bemerkung: Zemlinsky hat keine Sinfonie „Vom Tode“ komponiert.
[Wien], 27. März [190]2
„am Tage der Auferstehung unseres Herrn u Heiland!“
L. Fr. [...]
Ich halte am Ende des 1. Theiles meiner symph. Dichtung, u.z.comp. ich gerade den
Sturm am Meer: eine Sauarbeit, wenn man nicht billig und gemein sein will. [...]
Alex.
Quelle: Weber, Nr.9, S.13f
Bemerkung: u.z.comp. = und zwar komponiere
[Poststempel: Wien, 18.VII.1902]
Lieber Freund, [...]
Meine symf. Dichtung wächst mir allmählich über den Kopf. Sie wird immer grösser,
aber auch tiefer durchdacht u. ich hoffe nicht ganz schlecht: Zufrieden – das werden wir
beide – hoffentlich nie sein. Bei dieser Gelegenheit empfehle ich Dir dringen[d]st einen
Roman von Zola – „das Kunstwerk“ (auf deutsch), da stehn tiefsinnige Dinge über den
schaffenden, revolutionären Künstler darin. Lies ihn unbedingt! [...]
Herzlichste Grüsse für Dich u. Alle
Quelle: Weber, Nr.16, S.20ff
29
[Poststempel: 9.VIII.1902]
Altmünster
Lieber Freund, [...]
Ich bin wüthend, dass du deine Sache fertig componirt hast – ich bin noch nicht fertig.
Wie lang ist deine Sache. Mein Stück dauert doch ¾ Stunde Aufführungszeit. Ich
instrumentire jetzt daran und componir erst in Wien den Schluss. Ich werde
wahrscheinlich eine grosse Mission für Dich haben. Nämlich Strauss zu fragen, ob es
ihm genügt, wenn ich ihm einen Theil der Partitur schicke – das Ganze erst wenn ich
fertig bin. Vielleicht wirst du so gut sein? [...]
Herzlichst Alex
Quelle: Weber, Nr.19, S.23ff
[Poststempel: Altmünster, 19.VIII.1902]
Lieber Freund, [...]
Ich habe heute deinen Brief bekommen, freue mich, dass du auch nicht fertig wirst mit
deiner Arbeit. Meine wird mindestens doppelt so lang! [...]
Quelle: Weber, Nr.22, S.25f
[Postkarte
Poststempel: Altmünster, 28.VIII.1902]
L. Fr. [...]
Mein 1. Theil ist fertig instrumentirt – ck 60 Partitur Seiten. Was ist mit Dir? Schreib‘
wieder einmal!
Herzl. Gr. Alex. [...]
Quelle: Weber, Nr.24, S.27
[Postkarte
Poststempel: Wien, 4.IX.1902]
L. Fr. [...]
Ich möchte dir dieser Tage den fertigen 1. Theil meiner s.D. schicken, damit du so gut
seist u. ihn R.Str[auss] bringst – Es ist wohl der schwächste von den drei Theilen – ich
glaube aber, noch immer so, um nicht das Interesse für die andern schwinden zu lassen
– ich denke sogar besser. Ich werde dazu einen Brief für R.Str[auss] schicken ich
beende dieser Tage die Composition, instrumentire dabei am 2. Theil. [...]
Ich dürfte meine 3 Stücke oder die s.D. den Phylharmonikern geben, die andern können
doch zu wenig dafür. Beides aber ist sehr schwer. Gruss Alex [...]
Quelle: Weber, Nr.25, S.27
30
[Poststempel: Wien, 11.IX.1902]
Lieber Freund,
du erhäl[t]st wahrscheinlich gleichzeitig mit diesem Brief, meinen I. Theil der symf..D.
[...] in ck 3-4 Wochen bin ich ganz fertig; die Sache hat 3 Theile, dauert höchstens30
Min., eher weniger. Auch, dass ich den 1.Theil nicht für den bestgelungenen halte. [...]
Herzliche Grüsse
Alex
Quelle: Weber, Nr.27, S.28
[Poststempel: Wien, 16.IX.1902]
Lieber Freund, vielen, vielen Dank für deinen Brief. Ich brauche dir nicht zu sagen, wie
wohl solche Worte einem von wahrem u. verständigem Munde thun. Weiss ich auch,
dass in deinem so freundlichen, warmen Lobe, ein grosser Theil Sehnsucht nach Wien u
deinen Freunden enthalten ist, bin ich noch immer froh über den Rest, der für mich
allein u. meine Arbeit bleibt. Und gerade, dass du lieber doppelt so viel Gutes findest u.
auch sagst: wie freundlich u. selbstlos von Dir! Wie anders als die, die nur halb so viel
finden als da ist u. – nichts sagen! Also nochmals: vielen Dank. [...]
Jetzt will ich zur Arbeit, schliesse deshalb.
Herzlichste Grüsse für euch alle
Alex. [...]
Quelle: Weber: Nr.28, S.29
[Poststempel: Wien, 30.X.1902]
Lieber Freund, [...]
Der Anfang des II. Theiles ist ein Ball am Meeresgrunde, se[e]lische Motive sind
natürlich verflochten, aber ich brauchte diese äusserliche Stimmung zu musikalischen
Gegensätzen. Auch möchte ich – so weit wie wir das können, - das Märchenhafte
irgendwie fixieren. Später dann das Motiv ¾ langsam: von der unsterblichen Seele des
Menschen, - dann der Gang zur Meerhexe, die zauberhafte Verwandlung des
Meerfräuleins zum Menschen etc. Das nur zur oberflächlichen Orientierung. [...]
Alex.
Quelle: Weber: Nr.31, S.31ff
31
[Poststempel: Wien, 19.II.1903]
Lieber Freund, [...]
Ich mache jetzt meine „Seejungfrau“ zu Ende. Die Sache ist ziemlich umfangreich
geworden. [...]
Grüsse Mathilde u. die Kleine
u. sei auch herzlich gegrüsst von
Alex.
Quelle: Weber: Nr.37, S.39f
[Poststempel: Wien, 17.III.1903]
L. Fr. [...]
Heute mache ich die letzten Takte meiner „Seejungfrau“. Der 3. Theil ist der
„innerlichste“ – so glaube ich. [...]
Herzlichen Gruss
Alex
Quelle: Weber: Nr.38, S.40f
[Poststempel: Wien, 29.V.1903]
Lieber Freund, heute ein paar „Hoffnungen“ – vielleicht ohne Erfüllung! Ich habe
wegen Pelleas etwas unternommen, welches das Resultat haben soll: ein Concert in
Wien mit „Pelleas“ u. „Meerfräulein“ von mir selbst studirt. Ich habe jemanden
interessirt, der sich mit Nachdruck bei einem Musik- u. Geld-Fexen einsetzen will. [...]
Herzlich Alex. [...]
Quelle: Weber: Nr.42, S.44
Bemerkung: „Pelleas und Melisande“ ist eine sinfonische Dichtung von Arnold
Schönberg und wurde zusammen mit der „Seejungfrau“ am 25.1.1905 in Wien
uraufgeführt.
32
Aufgaben
1. Damals war die Rechtschreibung nach Duden noch nicht im gesamten
deutschsprachigen Raum etabliert. Wie wird denn nun S... D... geschrieben? (Bitte
ankreuzen.)
 Sinfonische Dichtung
 Sinphonische Dichtung
 Symphonische Dichtung
 Symfonische Dichtung
2. Wie stehen Alexander von Zemlinsky und Arnold Schönberg zueinander?
3. Wie hatte Alex den Aufbau der „Seejungfrau“ ursprünglich geplant und wie hat er
ihn schließlich umgesetzt? (Briefe Nr. 4 und 25/27)
4. Was hält Arnold Schönberg von Alexander von Zemlinskys „Seejungfrau“? (Brief
Nr. 28)
5. Im Brief vom 30.10.1903 schreibt Alex von musikalischen Motiven in seiner
Komposition und von dem Märchenhaften. (Brief Nr. 31) Wirkt die Musik
märchenhaft? Wenn ja, welche Elemente lassen sie märchenhaft wirken?
6. Welche „musikalischen Gegensätze“ gibt es in der „Seejungfrau“? (Brief Nr. 31)
7. Wann beendete Alex die Komposition der „Seejungfrau“? (Brief Nr. 38)
8. Finde heraus, ob bzw. wann „Die Seejungfrau“ wirklich zum ersten Mal aufgeführt
wurde. (Brief Nr. 42)
9. Fiel es Alex leicht, die „Seejungfrau“ zu komponieren? Wie erging es ihm dabei?
(Briefe Nr. 4, 9, 16, 19, 22)
33
3.2.3 Spielanweisungen
Die Spielanweisungen, die Alexander von Zemlinsky den Orchestermusikern als
Orientierung aufgeschrieben hat, sind durcheinander geraten. Versuche sie zu ordnen,
während du den zweiten Teil der „Seejungfrau“ hörst.
6/8 Sehr bewegt, rauschend
Noch bewegter
Noch schneller
Diminuendo (leiser werden)
Sehr langsam und leise
Fortwährend abnehmend
1. Zeitmaß
Lange Pause
diminuendo (leiser werden)
¾ Sehr gedehnt
Immer ruhiger
6/8 früheres Zeitmaß, nur mäßiger
Ruhig wiegend wie im Reigen
Steigern
Noch bewegter
Früheres Zeitmaß
Nach und nach ruhiger
Steigern
Breit
Steigern
4/4 sehr ruhig
Steigern
Mit großer Wärme
Allmählich aber stark steigern
Mit großer Wärme
5/4 ritardando ¾ sehr breit
6/8 1.Zeitmaß
Steigern
Fortwährend steigern
34
3.2.4 Gesichtsausdrücke
Verliebt sein
Sehnsucht
35
Hoffnung
Freude
36
Traurigkeit
Verzweiflung
37
3.2.5 Noten für Klassenmusizieren – Filmmusik zu „H2O“
3.2.6 Lösungen zu den Aufgaben
Zu 3.1.3 Phase I:
Aufgabe 1: Beispiel für eine „Dramatikkurve“
Dramatik
Zeit
Aufgabe 2: Die Wirkung wird erzeugt durch Veränderung des Rhythmus, Dynamik,
Instrumentation, Harmonik, Chromatik, Spielweise, …
38
4. Literaturverzeichnis
Altenburg, Detlef: Symphonische Dichtung. In: Blume, Friedrich (Hrsg.): Die Musik in
Geschichte und Gegenwart. Band 2. Kassel: Bärenreiter, 1965. S. 153-162.
Beaumont, Antony: Zemlinsky. London: Faber and Faber, 2000. S.125-129.
Dahlhaus, Carl & Danuser, Hermann (Hrsg.): Neues Handbuch der Musikwissenschaft.
Die Musik des 20. Jahrhunderts. Laaber Verlag, 1984. S. 85.
Gülke, Peter: Zemlinskys „Seejungfrau“. In: Krones, Hartmut (Hrsg.): Alexander
Zemlinsky. Ästhetik, Stil und Umfeld. Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verlag Ges.m.b.H.
& CoKG, 1995. S.57-65.
Krones, Hartmut: Zemlinsky. In: Blume, Friedrich (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und
Gegenwart. Band 14. Kassel: Bärenreiter, 1968. S. 1413-1422.
Mauser, Siegfried & Schmidt, Matthias (Hrsg.): Geschichte der Musik im 20.
Jahrhundert: 1900-1925. Band 1. Laaber: Laaber-Verlag, 2005. S.169.
Nebehay, Christian M.: Musik um 1900. Wo finde ich...? Wien speziell. Wien: Verlag
Christian Brandstätter, 1984. S. VI/6.
Weber, Horst (Hrsg.): Alexander Zemlinsky: Briefwechsel mit Arnold Schönberg, Anton
Werbern, Alban Berg und Franz Schreker. In: Ertelt, Thomas (Hrsg.): Briefwechsel der
Wiener Schule. Band 1. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1995.
Wessel, Peter: Im Schatten Schönbergs. Rezeptionshistorische und analytische Studien
zum Problem der Originalität und Modernität bei Alexander Zemlinsky. Band 5. Aus
der Reihe: Krones, Hartmut (Hrsg.): Schriften des Wissenschaftszentrums Arnold
Schönberg. Wien, Köln, Weimar: Böhlau Verlag Ges.m.b.H. und Co.KG, 2009.
Onlinequellen:
Märchen der kleinen Seejungfrau:
http://www.zeno.org/Literatur/M/Andersen,+Hans+Christian/M%C3%A4rchensammlu
ng/M%C3%A4rchen/Die+kleine+Seejungfrau
[10.8.2012]
Bild Alexander von Zemlinsky: Deutsche Welle:
http://www.dw.de/dw/article/0,,15361654,00.html [03.10.2012]
Bild Freude: http://www.bistum-augsburg.de/index.php/bistum/HauptabteilungIII/Spirituelle-Dienste/Geistlicher-Impuls/Jahreskreis/Fussball-Freude [03.10.2012]
Bild Hoffnung:
http://imaginevienna.at/Portfolio.9.0.html?ref=gal&imageId=2151&username=Kletterm
ayer&format=650 [03.10.2012]
39
Bild Seejungfrau Deckblatt: http://de.wikipedia.org/wiki/Meerjungfrau [14.09.2012]
Bild Sehnsucht:
http://www.grenzlandtheater.de/de/theater/ensemble/name/Peter%20Anders.html
[03.10.2012]
Bild Traurigkeit: http://www.cvjm-eg-ehringshausen.de/denkanstoss/denkanstoss.htm
[03.10.2012]
Bild Verliebt sein: http://www.amicella.de/body-soul/psychologie/heute-mehrselbsbewusstsein/ [03.10.2012]
Bild Verzweiflung: http://medienelite.de/2009/06/14/traurige-menschen/ [03.10.2012]
Musik „Die Seejungfrau“:
http://www.youtube.com/results?search_query=die+seejungfrau+zemlinsky&oq=die+se
ejungfrau+zemlinsky&gs_l=youtube.3..35i39l2.11078.12188.0.12828.6.6.0.0.0.0.109.5
31.5j1.6.0...0.0...1ac.1.EzRhKHqq574 [29.10.2012]
Sinfonische Dichtung: http://www.theatergemeinde-bonn.de/kultur/kulturArchiv/musikalische-begriffe/sinfonische-dichtung/ [25.10.2012]
Noten:
Alexander Zemlinsky: Die Seejungfrau. Fantasie für Orchester (1903). Partitur
UE31754. Korr. IX/2003. 2/2009. Universal Edition: Vienna, London, New York.
Tonträger:
Alexander Zemlinsky (1871-1942): Die Seejungfrau. Sinfonische Dichtung für
Orchester (1902/1903): Universal Edition, Wien, 1984. Aufnahmen des Südwestfunks,
Baden-Baden. Leitung: Zoltán Peskó. Wergo.
40

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