Erschütternd

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Erschütternd
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Erschütternd
Das Atomkraftwerk von Bataan
Von Niklas Reese
D
as Atomkraftwerk von Bataan in den Philippinen ist
eine Ruine. Es wurde in
einem Erdbebengebiet errichtet
und ist daher nie ans Netz gegangen
Und doch haben die Philippinen
seit dem Planungsbeginn 1975 1, 2
Milliarden US-Dollar an Schuldendienst geleistet – Tag für Tag fließen über 100000 Dollar hauptsächlich auf die Konten von Gläubigern
aus dem globalen Norden, die besser in Krankenhäusern, Schulen,
Kleingewerbeförderung und Straßen angelegt wären. Die Zahlungen
für das Atomkraftwerk machen den
größten Einzelposten im Schuldendienst des Landes aus – insgesamt
240 Milliarden Pesos (4 Milliarden
Euro), mehr als ein Drittel des nicht
gerade üppigen Staatshaushaltes.
Die Ruine von Bataan gilt als eines
hervorstechendsten Beispiele für
Schulden, die als illegitim betrachtet werden – und daher nicht zurückgezahlt werden sollten.
Günstig
Begonnen hat alles im Juli 1973.
Ferdinand Marcos, der im Jahr zuvor die Philippinen unter Kriegsrecht gestellt hatte und damit den
Beginn seiner 14 Jahre währenden
Diktatur und Günstlingswirtschaft
markierte, entschied sich, sechs
Kernkraftwerke im Land bauen zu
lassen. Prestigeprojekte, denn seine
„neue Gesellschaft“ sollte auch mit
den Segnungen der Moderne ausgestattet sein.
Das erste der sechs (und das einzige,
das schließlich auch gebaut wurde):
PB-Ba 241105
Bataan. Das Angebot der US-Firma
General Electric war von der nationalen Elektrizitätsgesellschaft war
schon so gut wie angenommen, da
heuerte Westinghouse, ebenfalls
amerikanisch, Herminio Disini als
Lobbyisten an. Disini spiele regelmäßig mit Marcos Golf.
Marcos wies kurzerhand den zuständigen Ausschuss an, Westinghouse den Zuschlag zu geben, auch
wenn die Firma noch gar kein detailliertes Angebot abgegeben hatte.
Sie hatte Marcos bloß eine Broschüre geschickt, in der sie ihm 2
Kraftwerksanlagen für 500 Millionen Dollar angeboten hatte. Ein
Jahr später „passte“ Westinghouse
sein Angebot an, nun kostete eine
Anlage 1,2 Milliarden. Letztendlich
hat die Anlage dann 2,2 Milliarden
Dollar gekostet - drei mal so viel
wie ein vergleichbares Kraftwerksmodell, das Westinghouse in Südkorea errichtet hatte. (Die Philippinen haben also bis heute also bereits weit mehr zurückgezahlt als
das Kraftwerk üblicherweise kosten
sollte.)
Westinghouse gab später zu, anfänglich Disini und Marcos mit 17
Millionen Dollar bestochen zu haben, um den Vertrag zu bekommen
– und Marcos im Laufe der Zeit insgesamt 80 Millionen Dollar an
„Kommission“ gezahlt hatte.
Um das Kraftwerk zu finanzieren,
hatte Marcos zwischen 1976 und
1985 zahlreiche Kredite aufgenommen – von Privatbanken und
von verschiedenen Industriestaaten
(vornehmlich den USA, Japan und
auch Deutschland). Die bilateralen
Kredite werden 2007 zurückgezahlt
sein, die Schulden bei den Privatbanken, die Anfang der Neunziger
in Brady Bonds umgewandelt wurden, erst 2018.
Die bilateralen Kredite sind in der
Form von offizieller Entwicklungshilfe geflossen. Eine „Hilfe“, die an
die Bedingung geknüpft war, Produkte der notleidenden amerikanischen Nuklearindustrie und der
deutschen Maschinenindustrie zu
kaufen. Entwicklungshilfe für die
Industrie des Nordens.
Tanz auf dem Vulkan
Unter dem Kriegsrecht, das von
Korruption und Unterdrückung geprägt war, begannen 1977 die Bauarbeiten für das Bataan Nuclear
Power Plant (BNPP). In der Nähe
von vier aktiven Vulkanen, fünf Kilometer entfernt vom (schlafenden)
Vulkan Mt. Natib, sechzig Kilometer entfernt von der 13-MiliionenMetropole Manila – und mitten in
einem Erdbebengebiet zwischen
drei Erdbebenspalten.
„Herr Marcos und seine Atomberater dürften wohl noch lange dafür
in Erinnerung bleiben, dass sei das
teuerste und gefährlichste Atomkraftwerk der Welt bauen ließen
und damit heutige und künftigen
Generationen von Filipinos enorme
Auslandsschulden aufgebürdet haben“, so am 8.August 1983 der Senator Lorenzo Tanada.
Nach dem Umfall im Atomkraftwerk von Harrisburg 1979 wurden
die Bautätigkeiten in Bataan unterbrochen. Eine Sicherheitsuntersu-
2
chung brachte über 4000 Mängel
zum Vorschein. Selbst die Internationale Atomenergiebehörde, die
sich eigentlich der Förderung der
Atomenergie verschrieben hat,
konnte ihre Skepsis nicht verbergen. Sie nannte die Lage des Kraftwerks “für die Atomindustrie einzigartig” und hielt das Risiko eines
Vulkanausbruchs für „glaubwürdig“. (1991 ist nur 50 Kilometer
Entfernung der Vulkan Mt. Pinatubo ausgebrochen - mit verheerenden Folgen für die unmittelbare
Umgebung.)
Auch die Philippinische Atomenergiebehörde hatte sich lange geweigert, eine endgültige Baugenehmigung zu erteilen. Doch dem fortgesetzten Druck durch Marcos’ Energieminister hat sie nicht standhalten können. Eine Woche nach dem
Unfall von Harrisburg noch hatte
Librado Ibe, der Vorsitzende der
Behörde, die Genehmigung erteilt
und war dann in die USA ausgewandert. Der Zeitschrift Fortune
gegenüber erklärte er: „Es ist gefährlich, den Handlangern von
Marcos zu lange zu widersprechen.“
Verpasste Chance
1985 wurde der Bau abgeschlossen.
Kurz danach - im Februar 1986 wurde Marcos gestürzt und musste
das Land verlassen. Corazon Aquino, Marcos’ Gegenkandidatin bei
den Wahlen, wurde zur Präsidentin
ausgerufen. Am 30 April – kurz
nach der Katastrophe von Tschernobyl - entscheidet sie, das Atomkraftwerk von Bataan „einzumotten“. Ein internationales Inspektorenteam hatte die Anlage besucht
und sie als „unausweichlich unsicher“ erklärt.
Die neue Regierung reagierte mit
ihrem Beschluss auch auf die Pro-
PB-Ba 241105
teste der Bewohner/innen der
Halbinsel Bataan und von AntiAtomkraftinitiativen im Land, die
sich im neu gewonnenen “demokratischen Raum” nun ohne Gefahr
für Leib und Leben öffentlich bemerkbar machen konnten.
Die historisch einmalige Chance,
die Schulden der Marcos-Diktatur –
u.a. die 2 Milliarden Dollar für das
BNPP – zurückzuweisen, hat Aquino allerdings ungenutzt verstreichen lassen. 27 Milliarden Dollar
Schulden hatte Marcos während
seiner 19 Jahren als Präsident aufgetürmt – über 10 Milliarden Dollar
hat alleine seine Familie auf
Schweizer Bankkonten transferiert;
die Kapitalflucht seiner zahlreichen
Günstlinge ist dabei nicht mitgerechnet.
Auch die Kredite für das Atomkraftwerk hat Aquino als rechtmäßig anerkannt. Folge davon: Wurden sie zuvor auf den Kreditmärkten nur noch zu einem Kurs von 10
Prozent ihres Nominalwertes gehandelt, da man von all den Unregelmäßigkeiten um das Atomkraftwerk wusste und ihre Rückzahlung
für fraglich hielt, so wurden sie danach zu 35 Prozent ihres Nominalwertes gehandelt.
1988 reichte die Regierung Aquino
zwei Klagen wegen Bestechung gegen Westinghouse ein, eine vor
dem Bezirksgericht von Newark
(USA), eine vor der internationalen
Handelskammer in Genf (Schweiz).
Beide gingen verloren.
Die Handelskammer war der Meinung, es gäbe keinen ausreichenden
Beweis für Bestechung und hielt die
Sicherheitsbedenken für unangebracht.
Das Gericht von Newark wiederum
nahm zwar zur Kenntnis, dass Bestechung mit im Spiel gewesen ist
(Westinghouse hatte es ja selbst zu-
gegeben). Das amerikanische AntiBestechungsgesetz US Foreign Corrupt Business Practices Act sei dennoch nicht anzuwenden, da Korruption zu den “normalen Geschäftsgebaren” in den Philippinen
gehöre.
Vorwürfe wurden laut, dass beide
Gerichte voreingenommen gewesen
seien. Das amerikanische Gericht
habe zugunsten einer amerikanischen Firma entschieden, das Genfer Gericht wiederum habe sich über die Bedenken gegenüber der
Atomenergie hinweggesetzt und zu
niedrige Sicherheitsnormen zugrunde gelegt.
Die philippinische Regierung hat
sich schließlich auf einen außergerichtlichen Vergleich mit Westinghouse eingelassen. Gegen Zahlung
von 100 Millionen Dollar wurde
Westinghouse von jeglicher zukünftiger Verantwortung für die
schadhafte Anlage befreit.
Folgen
Die Nicht-Inbetriebnahme von Bataan hat maßgeblich dazu beigetragen hat, die Philippinen in eine Energiekrise zu stürzen. Stromausfälle von 12 Stunden täglich waren
Ende der Achtziger keine Seltenheit. Aquinos Nachfolger Ramos
schloss darum überhastet Verträge
mit privaten Stromproduzenten ab,
in denen er ihnen überhöhte Abnahmepreise garantierte. Die philippinischen Strompreise sind daher
heute bei weitem die höchsten in
der ganzen Region Südostasien.
Dieser Artikel erschien erstmals im
„Handbuch Illegitime Schulden“,
das das philippinenbüro im Auftrag
von erlassjahr.de im November
2003 herausgegeben hat.