Geschichte 1550 v.Chr.-100n.Chr.

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Geschichte 1550 v.Chr.-100n.Chr.
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Geschichte 1550 v.Chr.-100n.Chr.
In diesem Kapitel soll von der Geschichte der Diabetes-Forschung von der Frühzeit bis heute die Rede sein.
Hier soll es nicht um unbedingt erforderliches Wissen gehen, sondern um einen Tribut an das, was den
Menschen wirklich zu etwas besonderem macht: seinen Forschergeist! In ganzer Breite auf alle Umstände
einzugehen würde den Umfang dieser Seiten sprengen. Nutzen Sie bei Interesse die hier aufgezählten Fakten
und Namen, um sich selbst auf die Suche nach genaueren Hintergründen zu begeben. Im Einzelnen wird hier
die Rede sein von Namen wie Ebers, Susruta, Celsus, Aretaios, Galen, Paracelsus, Willis, Brunner, Dobson,
Home, Ambrosiani, Langerhans, Mering, Minkowski, Blumenthal, Starling, Bayliss, Zuelzer, Banting, Best,
MacLeod, Collip, Frank, Hagedorn, Sanger, Obermeier, Geiger, Goeddel, Creutzfeld und Eng.
1550 v. Chr.
In einer Schriftrolle aus dem alten Ägypten, dem "Papyrus Ebers", (So
benannt nach seinem Entdecker, der es 1862 bei Ausgrabungen in Theben
fand) finden sich erste schriftliche Aufzeichnungen von Symptomen, die an
Diabetes denken lassen. In diesem 3500 Jahre alten Dokument wird der
Diabetes jedoch nicht erwähnt, und so streiten Medizinhistoriker noch heute
darüber, ob damit tatsächlich der Diabetes mellitus gemeint ist. Immerhin gibt
es auch andere Erkrankungen, die mit vermehrter Harnausscheidung
einhergehen.
400 v. Chr.
Der Inder Susruta klassifiziert erstmals verschiedene Diabetes-Typen und beschreibt
klebrigen, süßlichen Urin.
Im Jahre 6 n. Chr. überarbeitet sein Landsmann, der indische Arzt Charaka in seinem
Werk "Charaka Samhita" diese Beschreibung und nennt die Erkrankung "Madhumeha",
was soviel bedeutet wie "Honig-Urin" ("Du hast einen Patienten, der Harn lässt wie ein
brünstiger Elefant, dessen Harn Honigharn oder Zuckerrohrharn heißt und dessen
Urin süß schmeckt und die Ameisen und Insekten anlockt.")
20 n. Chr.
Der Römer Aulus Cornelius Celsus (der auch die klassischen Entzündungszeichen
beschrieb) ist vermutlich der erste Arzt des abendländischen Kulturkreises, der die
Symptome eines Diabetes beschreibt.
"Vermutlich" deshalb, weil unter Medizinhistorikern bis heute keine Einigkeit
darüber besteht, ob die acht Bücher über Medizin des Celsus, die "De medicina libri
octo" tatsächlich von einem Arzt, oder nur von einem gute informierten Laien
geschrieben wurde. Celsus war nämlich auch der Verfasser von Büchern über
Ackerbau, Rhetorik und Kriegskunst.
Die Überreste der Celsus-Bibliothek (Foto) sind noch heute in Ephesus zu
besichtigen.
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100 n. Chr.
Der wohl bekannteste Name in der Geschichte des Diabetes dürfte nach Banting und
Best der des Aretaios von Kappadozien sein. Seine Beschreibung des Diabetes ist klar
und eindringlich und beschreibt die Symptome, so wie sie auch heute noch
vorkommen und sich insbesondere unbehandelt immer noch auswirken.
Aber nicht nur die erste ausführliche Beschreibung des Diabetes entstammt diesem
griechischen Arzt, der von 81 bis 138 nach Christus lebte. Auch das Asthma
bronchiale wird von ihm erstmals beschrieben.
Aretaios von Kappadozien
Eine rätselvolle Krankheit ist der Diabetes, und nicht sehr häufig bei den Menschen. Fleisch und Bein
schmilzt im Urin zusammen, Feuchtigkeit und Kälte ist die Veranlassung wie bei der Wassersucht, aber die
Flüssigkeit geht auf dem gewohnten Weg durch Nieren und die Blase ab.
Die Kranken hören nie auf Harn zu lassen, sondern wie aus geöffneten Schläuchen rinnt es unaufhörlich.
Über die Entstehung und Entwicklung der Krankheit dauert es einige Zeit, aber sind die Symptome erst
vollkommen ausgebildet, so befindet sich auch der Mensch am Ende seiner Tage, denn dann nimmt die
Abzehrung rasch überhand, und nach einem elenden und schmerzvollen Leben erfolgt der schnelle Tod.
Die Kranken haben einen unauslöschlichen Durst und trinken und harnen sehr viel. Indessen übersteigt die
Quantität des gelassenen Urins doch noch die des Getränks.
Versuche auch nicht, sie vom Harnen oder Trinken abzuhalten, denn wenn sie auch nur auf kurze Zeit sich
des Trinkens enthalten, so wird alsbald der Mund trocken, der Körper verdorrt und es ist ihnen, als wenn die
Gedärme verbrennen. Sie führen ein elendes, weinerliches Leben und sterben nach gar nicht langer Zeit,
denn der Durst quält sie wie loderndes Feuer. Im Beginn der Krankheit ist der Mund trocken, der Speichel
weiß und schaumig wie bei durstenden Menschen, aber noch ist kein Durst vorhanden. Nimmt das Übel zu,
so tritt eine zwar geringe, aber beißende Hitze in den Eingeweiden auf. Der ganze Körper magert ab, der
Urinabgang wird reichlicher, der Durst wird immer heftiger.
An dieser Stelle eine kurze Erläuterung des Begriffes "Diabetes mellitus":
"Diabetes" wurde vom griechischen "diabainein" abgeleitet, einem militärischen Wort für
"ausschreiten". Später dann, zu den Zeiten von Aretaios, wurde das Wort synonym für den Weinheber
oder auch "syphon", also ein Gerät, durch den der Wein aus dem Fass in den Krug floss verwandt.
Dieser "Durchfluss beschreibt das Verhalten des Wassers im Körper eines (unbehandelten) Diabetikers.
"Mellitus" ist die lateinische Schreibweise des griechischen "mellitos", was soviel wie "honigsüß"
bedeutet.
Und daher auch hat, wie ich glaube, die Krankheit den Namen Diabetes erhalten, als wenn sie ein
Weinheber wäre, weil nämlich die Flüssigkeit nicht im Körper bleibt, sondern den Menschen wie eine Röhre
benutzt, durch welche sie abfließen kann.
Der Diabetes wird dadurch hervorgebracht, dass irgendeine akute Krankheit sich auf diesen Teil (den
Magen) warf und bei der Krise unvermerkt einen schädlichen Stoff im Körper zurück ließ. Nicht
unwahrscheinlich ist auch, dass eine giftige Materie sich in der Blase und Niere festsetzt und dazu
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Veranlassung gibt. Und ferner entsteht die Krankheit durch den Biss jener Schlange, welch Dipsas, die
Durstnatter, genannt wird.“
Mit diesen Worten beschrieb Aretaios von Kappadozien vor fast 2000 Jahren die „Zuckerkrankheit“ und
erfasste damit sehr eindrucksvoll die Leitsymptome, die dem unbehandelten Diabetes eigen sind:
- Polydipsie (übermäßiger Durst)
- Polyurie (übermäßiger Harndrang)
Geschichte 150 n.Chr.-1673
150 n. Chr.
Der Römer Claudius Galenus (oder "Galen", wie er in den Annalen der
Medizinhistoriker immer genannt wird) lebte kurz nach Aretaios. (von 129-200 n.
Chr.) Er gilt als der Begründer der "Säftelehre" und vertrat die Ansicht, dass der
Diabetes wohl eine Erkrankung der Nieren sein müsse. (Vermutlich kam er darauf,
weil der übermäßige Harndrang und der zuckersüße Geschmack des Diabetikerurins
es zunächst vermuten lassen.) Diese Meinung blieb für die nächsten Jahrhunderte
erhalten.
16. Jahrhundert
Erst in dieser Zeit räumt der berühmte Arzt Philippus Aureolus Theophrastus Bombastus von Hohenheim
(1493-1541) - besser noch bekannt unter dem Beinamen "Paracelsus" (Bei dem Namen hätte ich
mir vermutlich auch ein Pseudonym zugelegt...) - mit der These von der Nierenerkrankung auf und
klassifiziert den Diabetes als eine Stoffwechselerkrankung, indem er vermutet, dass es sich
um "Ablagerungen eines Salzes um die Nieren" handele. Den süßen Geschmack dieses
"Salzes" hat er jedoch niemals erwähnt. Paracelsus, der bekannteste Kritiker der damaligen
Schulmedizin, gleichwohl promovierter Arzt, behandelt den Diabetes vorwiegend mit
Hungerkuren. Noch für eine lange Zeit behält dieser Therapieansatz seine Gültigkeit.
Paracelsus sagte "Alle Ding' sind Gift und nichts ohn' Gift; allein die Dosis macht, dass ein
Ding kein Gift ist". Er sagte aber auch "Der Mensch ist, was er isst".
17. Jahrhundert
Der englische Anatom Thomas Willis (1621-1675) ist der erste abendländische Arzt, dem
aufgefallen ist, was Susruta schon 2000 Jahre vor ihm beschrieb: den honigsüßen
Geschmack des Urins von Diabetikern. Er unterscheidet daher den Diabetes von anderen
Erkrankungen die mit vermehrtem Wasserlassen einhergehen und stellt fest, er glaube "dass
der Diabetes mehr und unmittelbarer eine Erkrankung des Blutes als eine der Nieren sei".
Außerdem beschreibt Willis zwei Arten der Erkrankung: eine heilbare und eine unheilbare.
Möglicherweise hat er damals schon Typ 1 von Typ 2 unterschieden. (Obwohl der
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eigentliche Verdienst Willis' eher seine Zuordnung von Hirnfunktionen der Hirnsubstanz zu sehen ist. Willis
ordnete Wahrnehmung, Intelligenz und Gedächtnis den Großhirnhemisphären zu. Auch eine noch genauere
Beschreibung des Asthmas ist ihm zuzurechnen)
1673
War bisher immer nur von den Fortschritten auf dem Gebiet der Diabetologie
die Rede, so sind doch auch Rückschläge zu verzeichnen. Der Schweizer Arzt
Johann Conrad Brunner (1653-1727) geht der Frage nach, ob die
Bauchspeicheldrüse ein lebenswichtiges Organ sei. Dazu entfernt er Hunden
die Bauchspeicheldrüse und stellt fest, dass diese zwar zunächst großen Durst
entwickeln und viel Urin lassen, sich die Symptome jedoch zurückentwickeln.
Was war geschehen?
Offensichtlich hatte Brunner die anatomischen Besonderheiten der Bauchspeicheldrüse beim Hund übersehen
und zwar einen großen Teil entfernt, jedoch einen Rest stehen lassen, der sich erholen und die
Insulinproduktion wieder aufnehmen konnte. In der Folge ließ das Interesse an weiteren Forschungen bezüglich
der Bauchspeicheldrüse zunächst nach und sie wurde nicht länger als lebenswichtiges Organ angesehen.
Geschichte 1776-1908
1776
Der aus Manchester, England stammende Arzt Matthew Dobson (1745-1784)
experimentiert mit dem Urin von Diabetikern. Durch Verdampfung trennt er die
flüssigen von den festen Bestandteilen. Übrig bleibt laut Dobson eine weiße Masse
"...vom Geschmack dem braunen Zucker gleich. Ich glaube, dass beim Diabetes stets
eine zuckerähnliche Masse ausgeschieden wird. Diese, und dafür spricht der süße
Geschmack des Blutserums, ist schon im Blute präformiert." Die genaue Zuckerart
kennt er jedoch nicht, denn dass es sich aus physiologischen Gründen nur um Glucose
handeln kann ist damals noch nicht bekannt. Seine Ergebnisse geben jedoch anderen
Forschern die weitere Richtung vor: um welchen Zucker handelt es sich und wie
kommt er in den Urin von Diabetikern?
1780 - 1838
Dem britischen Militärarzt Francis Home (1719-1813) gelingt 1780 der Nachweis von Zucker
im Urin von Diabetikern, indem er ihn Vergären lasst. Seinem Landsmann John Rollo (17491809), ebenfalls Militärarzt gelingt der Nachweis von Zucker im Blut. Er stellte nämlich fest,
dass das Blut von Gesunden nach ungefähr 4 Tagen Spuren von Fäulnis zeigt, das von
Diabetikern jedoch nicht. Versetzt man aber "gesundes" Blut mit Zucker, so stoppt auch das die
Fäulnis. Noch immer ist dieser geheimnisvolle Zucker nicht identifiziert.
Die Grundlagen hierzu legt 1835 der Italiener Felice Ambrosiani (1790-1843), dem es gelingt,
aus dem Blut und dem Urin von Diabetikern Zuckerkristalle zu isolieren. Aber erst drei Jahre später, 1838, wird
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von den Franzosen Peligot und Bouchardat unabhängig voneinander der Nachweis geführt, daß dieser Zucker
Glucose, also der einfachst denkbare Zucker ist.
1869
Der Durchbruch in der Diabetes-Forschung: der deutsche Paul Langerhans
(1847-1888) kann eine Inselförmige Zellstruktur durch Einfärbung darstellen,
die ungleichmäßig über die gesamte Bauchspeicheldrüse verteilt ist.
Im Rahmen seiner Dissertation, die er am 18 Februar 1869 vorlegt muss er aber
gestehen, daß deren Funktion ihm unbekannt sei. Dies ändert sich auch bis zu
seinem Tod nicht. (Langerhans stirbt am 20. Juli 1888 an der Tuberkulose)
Über die essentielle Funktion der Langerhans'schen Inselzellen und der darauf
vertretenen hormonproduzierenden Zellen wird später noch in den Abschnitten
zur Anatomie und zur Physiologie zu lesen sein.
1889
Der Straßburger Pharmakologe und Internist Joseph Freiherr von Mering (1849-1908)
und der Internist Oskar Minkowski (1858-1931) experimentieren mit
Fettstoffwechselstörungen und entfernen dazu einem Hund die Bauchspeicheldrüse.
Bei diesem Experiment zeigt Minkowski jedoch ein glücklicheres Händchen als über
200 Jahre zuvor noch Brunner: Er entfernt das Organ vollständig. Die Folgen bleiben
nicht aus: das Tier zeigt zunächst alle Anzeichen eines Diabetes wie übermäßigen
Durst, große Harnmengen, Abmagerung trotz reichlicher Nahrungszufuhr und
verstirbt dann recht bald.
Und erneut ist das Schicksal auf Minkowskis Seite: Anders als Brunner untersucht er
den Urin des Tieres auf Glucose und kann so den Nachweis eines Diabetes mellitus
führen. Die Bauchspeicheldrüse gilt wieder als lebenswichtiges Organ, die beiden
nennen die Erkrankung "Pankreas-Diabetes" und auf diesem Boden können später
weitere Forschungen zur inneren Sekretion der Hormone geführt werden. Die beiden
publizieren ihre Arbeit und stellen dabei unter anderem auch das Auftreten von
Aceton im Harn heraus, die Acetounurie.
Minkowski beginnt dann auch, diese neuen Erkenntnisse praktisch anzuwenden. Er stellt nämlich fest, daß die
diabetischen Symptome ausbleiben, wenn man den Versuchstieren Teile der entfernten Bauchspeicheldrüse
unter die Haut verpflanzt. Das Wettrennen um einen wirksamen Pankreas-Extrakt hat begonnen. Also injiziert
er den Hunden Extrakte aus "Pankreassaft" (Pankreas=Bauchspeicheldrüse), was aber zunächst nur zu
Gewebsuntergängen führt.
1898
Ferdinand Blumenthal(1870-1941) springt auf diesen Zug auf und versucht es mit einem "Pankreaspresssaft",
den er mit Alkohol reinigt. Damit inaktiviert er jedoch das Enzym "Trypsin", mit dem aus dem Grundeiweiß
das Insulinmolekül "herausgeschnitten" wird. In der Folge zeigt sich zwar bei Tieren und auch bei Menschen
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eine erwünschte Wirkung, trotzdem werden die Experimente alsbald eingestellt, als sich auch hier schwere
Gewebsschäden zeigen.
1902
Ernest Henry Starling und sein Kollege William Maddock Bayliss entdecken in der Schleimhaut des
Dünndarms einen Stoff, den sie "Sekretin" nennen. 3 Jahre später (als sie auch noch andere Stoffe entdeckt
hatten, die etwas antreiben) nennen sie diese Stoffklasse Hormone (nach dem griechischen Wort 'Hormao' für
'etwas antreiben'). Diese Forschung legt den Grundstein für die spätere Erforschung der Inkretine und damit
auch des GLP-1.
Außerdem beschreiben sie erstmals die Peristaltik des Verdauungstraktes.
1908
Bühne frei für den nächsten Versuch, diesmal durch Georg Ludwig Zuelzer (18701949). Er verwendet einen Pankreasextrakt von Kälbern, das einen geringeren
Enzymanteil hat (den man für die Gewebsschäden verantwortlich machte).
Tatsächlich scheint dieses Präparat zu wirken.
Wegen starker Nebenwirkungen wird dieses Präparat ("Acomatol") jedoch bald nicht
mehr verwendet. Zuelzer versucht eine Reinigung seines Präparates und wendet es im
Tierversuch weiter an. Die Folgen: Zittern, Schweißausbrüche und beschleunigter
Herzschlag. Möglicherweise hat Zuelzer "nur" eine Hypoglykämie beobachtet.
Geschichte 1921-1940
1921
Der endgültige Durchbruch in der Erforschung des Insulins steht unmittelbar bevor.
Aber zunächst heißt es ja nicht einmal Insulin, und daß der Stoff, nach dem hier
gefahndet wird "Hormon" genannt wird ist auch erst vor 16 Jahren so festgelegt
worden. (Ernest Starling führte diesen Begriff 1905 ein, der aus dem griechischen
stammt und soviel wie "etwas in Bewegung setzen"
bedeutet) Dem kanadischen Chirurg Banting war gerade ein
Jugendfreund an Diabetes verstorben. Für ihn Anlass, sich
intensiv mit dieser Erkrankung auseinanderzusetzen.
Banting kannte die Forschungen Minkowskis, Blumenthals
und Zuelzers. Er vermutete (zu Recht), daß die im
Pankreasextrakt vorhandenen Verdauungssäfte auch den
Glucose senkenden Stoff verdauen/zerstören.
Er wandte sich (da er über keine Gelder zur Forschung
verfügte) an den Physiologen John James Richard MacLeod
(1876-1935) (Foto) von der Universität Toronto. Der war zwar nicht sofort hellauf
begeistert, stellte Banting aber ein Labor und einen seiner Studenten, Charles Herbert
Best, als Assistenten zur Verfügung.
Banting war klar, daß er anders als Minkowski an den begehrten Saft kommen
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müsse. Der hatte einfach den Pankreas zerkleinert und daraus einen Extrakt abgepresst. Dann würden aber die
Verdauungssäfte auch hier alles zerstören. So banden Banting und Best kurzerhand den Ausführungsgang der
Bauchspeicheldrüse ab und das Organ verdaute sich selbst - mit Ausnahme der offenbar besonders geschützten
Inselzellen.
Mit dem so gewonnenen "Isletin" - wie Banting den Stoff zunächst nannte - behandelten sie schon kurz darauf
erfolgreich einen Hund. (Später erwirkte MacLeod, daß der neue Stoff den von Jean de Meyer 1909 kreierten
Namen "Insulin" bekam)
Um es beim Menschen einzusetzen fehlte aber noch ein wichtiger Schritt: Es müsste in größeren Mengen
verfügbar sein. Also beschafften die beiden Forscher sich Kälber-Pankreasgewebe vom Torontoer Schlachthof
und entwickelten ein neues Extraktionsverfahren. Als nächstes Kriterium sollte größtmögliche Reinheit gewährt
werden. Daher bezog man den Biochemiker James Bertrand Collip (1892-1965) in das Forscherteam ein.
Erste Behandlung am Menschen fand im Januar 1922 bei dem 13-jährigen Leonhard Thomas statt. Der Junge
war im Dezember zuvor wegen schwerer diabetischer Entgleisung ins Krankenhaus gebracht worden und stand
vor dem sicheren Tod. Nach der Behandlung sank sein Blutzuckerspiegel sofort, und nach einer verbesserten
Reinigung des Präparates erreichte er Normalspiegel.
Bei der "Association of American Physicans" 1922 war diese Meldung natürlich DIE Sensation. Banting, Best
und Collip ließen ihr Extraktionsverfahren patentieren und vermachten dieses Patent der Universität von
Toronto mit der Auflage, daß die Universität die Produktion von Insulin standardisieren, überwachen und dazu
ein eigenes "Insulinkommittee" einrichten sollte.
1923 wurde schließlich der Nobelpreis für Medizin und Physiologie dem Gespann Banting und MacLeod
zuerkannt. Banting war empört, daß Best einfach übergangen wurde und beschloss, sein Preisgeld mit ihm zu
teilen. Ebenso hielt es MacLeod mit Collip.
Frederick Grant Banting kam 1941 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Charles Herbert Best wurde danach
Leiter des "Banting- und Best-Forschungsinstituts", an dem er selbst noch zahlreiche Entdeckungen machte.
Er verstarb hochgeehrt und im Alter selbst an Diabetes erkrankt am 31. März 1978 in Toronto.
1923
Der Physiologe John James Richard MacLeod (1876-1935) entdeckt gemeinsam mit
John R. Murlin (1874-1960) im Pankreasextrakt einen Stoff, der den Blutzucker in die
Höhe zu treiben vermag: das Glucagon, einen der Gegenspieler des Insulins.
Im selben Jahr beginnt die industrielle Herstellung von Insulin, in Deutschland unter
der Aufsicht des Insulinkomittees, dem Prof. Minkowski vorsteht.
1926
Alfred Erich Frank (1884-1957) entwickelt die Diguanide Synthalin A und B. Beide sind sehr leberschädigend
und werden daher nicht lange angewendet. Aber aus ihnen entwickeln sich die Biguanide Phenformin,
Buformin und Metformin, von denen heute nur noch letzteres angewendet wird.
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1936
Hans Christian Hagedorn (1888-1971) entwickelt ein Verfahren, mit dem man die
mehrmals täglichen Insulininjektionen auf Eine bis Zwei reduzieren kann. Insulin
wird, wenn es an das aus dem Sperma bestimmter Fischarten gewonnene Eiweiß
Protamin angelagert wird vom Körper verzögert aufgenommen. Damit ist das erste
Depot-Insulin geschaffen worden. Auch heute noch wird dieser Mechanismus genutzt
(NPH-Insulin; Neutrales-Protamin-Hagedorn)
Später verfeinert die Gruppe um Hagedorn dieses Verfahren, indem sie Zinkionen
hinzufügen. Damit machen sie sich einen Mechanismus zunutze, den auch die
gesunde Bauchspeicheldrüse anwendet, wenn sie produziertes Insulin
zwischenspeichert.
Während des dritten Reiches werden in Deutschland alle Selbsthilfeorganisationen von den
Nazis verboten!
1940
Die Firma Hoechst bringt nach langen Forschungen eine neue Form von Depot-Insulinen heraus, die SurfenInsuline.
Schwierigkeit bei allen Depotinsulinen ist, daß sie als Suspension vorliegen, also feste Bestandteile in einer
flüssigen Lösung. Hieraus ergeben sich aber Dosierungsungenauigkeiten, wenn man die Lösung nicht gut
durchschüttelt/-rollt.
Hier bringen die Surfen-Insuline eine Verbesserung: sie liegen als klare Lösung vor. Durch den Stoff
Aminoquinurid in Verbindung mit Insulin entsteht eine salzartige Verbindung, die in den Insulinpräparaten bei
sauren pH-Werten um 3,5 als klare Lösung vorliegt. Nach der Injektion ist das Surfen-Insulin nicht mehr
ausreichend löslich, wodurch es subkutan ausflockt und so seinen Verzögerungseffekt erreicht.
Geschichte 1941-2006
1941
Die Firma Bayer bringt den Clinitest® auf den Markt. Tabletten, auf die man
mit einer Pipette etwas Urin träufelt und so den ungefähren Urinzucker messen
kann.
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1942
Bei Forschungen um eine antimikrobielle Substanz wird von Hans Franke und Joachim Fuchs zufällig die
Blutzuckersenkende Wirkung der Sulfonylharnstoffe erkannt.
Sulfonylharnstoffe der ersten Generation waren Carbutamid, Tolbutamid (Rastinon®) und Chlorpropamid.
Sulfonylharnstoffe der zweiten Generation kamen in den 70er Jahren auf den Markt und sind/waren
Glibenclamid (Euglucon®), Gliclazid (Diamicron®) und andere.
Heute wird hauptsächlich ein Sulfonylharnstoff der dritten Generation eingesetzt, das Glimepirid (Amaryl®)
1951
Hoechst führt das Komb-Insulin ein, das zu einem Drittel aus Normalinsulin und zu zwei Dritteln aus DepotInsulin besteht.
1955
Dem Biochemiker Frederick Sanger (1918-heute) gelingt es, die chemische Struktur
des Insulins zu entschlüsseln, wofür man ihm 1958 den Nobelpreis für Chemie
zuerkennt. Aufgrund seiner Forschungsarbeit wird es möglich, Insulin auch künstlich
herzustellen.
1964
Forschergruppen um Elrick und McIntyre beschreiben erstmals etwas, was sie den Inkretin-Effekt nennen:
verabreicht man Glucose oral, so ist der nachfolgende Insulinspiegel deutlich höher, als wenn man die gleiche
Menge intravenös appliziert. Ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zu den Inkretin-Mimetika.
1965
Dextrosit, der erste Teststreifen zur Blutzuckerselbstbestimmung steht vor seiner Markteinführung und löst
unter Diabetologen weltweit recht kontroverse Diskussionen darüber aus, ob der Diabetiker wirklich seinen BZ
selber testen soll.
1967
Waren Insuline bisher ein Gemisch aus Rinder- und Schweineinsulin, so werden sie jetzt auf MonospeziesInsuline (also reines Schweine- und reines Rinderinsulin) umgestellt. Jüngste Forschungen haben nämlich
ergeben, daß Schweineinsulin sich nur in einer Aminosäure vom Humaninsulin unterscheidet und besser
verträglich ist als Rinderinsulin, das sich in drei Aminosäuren unterscheidet.
Die daraus folgende Therapieempfehlung ist, daß frisch entdeckte Diabetiker zunächst auf Rinderinsulin
eingestellt werden und beim Auftreten von Allergien und Resistenzen zum Schweineinsulin übergegangen
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wird.
Des Weiteren konnte man in diesem Jahr die Reinigung der Präparate von Fremdeiweißen aus dem
Verdauungssaft verbessern. Die Zahl der Resistenzen und Allergien sank daraufhin rapide.
1976
Rainer Obermeier und Rolf Geiger von der Firma Hoechst entwickeln eine Methode zur Semisynthese von
Humaninsulin aus Schweineinsulin. Das heißt sie können die falsche Aminosäure abtrennen und gegen die
ersetzen, die an dieser Stelle beim Humaninsulin vorkommt. (Die endständige AS Alanin an B30 wird dabei
gegen Threonin ausgetauscht)
1979
David Goeddel und seine Forschergruppe entwickeln ein Verfahren zur gentechnischen Vollsynthese von
Humaninsulin aus Escherichia-Coli Bakterien. Die werden quasi so "umprogrammiert", daß sie Humaninsulin
produzieren, das anschließend in einem komplizierten Verfahren aufbereitet wird.
Dadurch wird die Insulinproduktion unabhängig von tierischen Bauchspeicheldrüsen. Dieser Schritt erscheint
mehr als sinnvoll, denn Studien sagen voraus, daß bis zum Jahr 2000 der weltweite Insulinbedarf auf dem
bisherigen Weg nicht mehr zu decken sein wird.
Im selben Jahr entwickelt Prof. Werner Creutzfeld (1924 - 2006) das 'Inkretinkonzept': Inkretine führen nach
Nahrungsaufnahme glucoseabhängig zu einer vermehrten Freisetzung von Insulin. Leider ließ sich diese
Entdeckung noch nicht nutzen, da die Plasmahalbwertzeit viel zu kurz war. Zu schnell wurden die Inkretine
(vor allem GLP-1) wieder inaktiviert. Aber der Anreiz für weitere Forschung auf diesem Gebiet war geschaffen
1980
Die ersten Insulinpumpen, anfangs noch einfache Geräte, die bisher zur Schmerztherapie eingesetzt wurden
kommen auf den Markt. Der "Mill-Hill Infusor" oder die "Auto Syringe 6C" haben nur eine feste Förderrate
und den Bolus muss man von Hand durch drehen an einer Schraube abrufen. Die erste "richtige" Insulinpumpe
wurde dann in Deutschland vorgestellt: die Siemens Promedos E1 (Bin ich der einzige, der da an Prometheus
denken muss?)
1983
Einführung des Humaninsulins. Ist es in der Verträglichkeit den beiden anderen Insulinen (CR= Rinderinsulin,
CS=Schweineinsulin, HM=Humaninsulin) auch deutlich überlegen, so ergeben sich doch Schwierigkeiten bei
denen, die von Tierinsulin umsteigen wollen. Viele davon bemerken ihre Hypoglykämien nicht mehr
rechtzeitig.
1985
Einführung des Insulinpens (Auf dieser Seite ist unten einer der ersten und schönsten Pens zu sehen.
Der Novo-Pen 1 hatte zwar keine Dosisvorwahl, war aber der eleganteste Pen, den es je gegeben hat)
1992
Der New Yorker Endokrinologe Dr. John Eng entdeckt ein Enzym im Speichel der Gila-Krustenechse, daß die
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gleichen Auswirkungen wie körpereigenes GLP-1 hat, im Organismus aber nicht so schnell inaktiviert wird.
Zur Nutzung als Medikament muss jetzt noch erforscht werden, wie man Exendin-4 künstlich synthetisieren
kann.
1996
Eine neue Klasse von "Kunstinsulinen" kommt erstmals auf den Markt, die sogenannten Analoga. Der Name
bedeutet, daß dieser Stoff analog zum herkömmlichen Insulin wirkt. Den Anfang macht das kurz- und schnell
wirkende Insulin Lispro (Humalog®).
2000
Nach den kurzwirkenden Analoga Humalog und NovoRapid gibt es nun auch ein langwirkendes Analogon: Das
Insulin Glargin (Lantus®).
Auch auf dem Sektor der oralen Therapie tut sich einiges: die Gruppe der Glinide Repaglinide = Novonorm®)
wird um die Nateglinide (Starlix®) ergänzt.
Die Thiazolidindione (Glitazone), bereits 1997 entwickelt aber durch das Präparat "Troglitazone" schwer unter
Beschuss geraten (es kam zu fatalen, tödlich verlaufenden Zwischenfällen mit der Lebertoxizität) erleben einen
neuen Aufschwung durch die Präparate Rosiglitazon (Avandia®) und Pioglitazon (Actos®)
Damit stehen jetzt Präparate zur Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 zur Verfügung, die direkt an den
Ursachen ansetzen, indem sie die Insulinresistenz vermindern.
2005
Von der amerikanischen FDA wird das GLP-1 Analogon 'Exenatide' zugelassen, daß auf Basis der Forschung
um Exendin-4 entwickelt wurde. Exenatide erhöht Glucoseabhängig den Insulinspiegel und muss zweimal
täglich gespritzt werden. 2006 wurde es auch von der europäischen EMEA zugelassen und kam 2007 nach
Deutschland.
2006
Ein neues orales Inkretinmimetikum, das 'Sitagliptin', wird von der FDA zugelassen. Es setzt auch auf den
Inkretin-Effekt, aber von der anderen Seite: es blockiert das körpereigene Enzym DPP-4 (Dipeptidylpeptidase4), das für die schnelle Inaktivierung des körpereigenen GLP-1 verantwortlich ist. Der Inkretineffekt kann so
auch mit einem oralen Antidiabetikum genutzt werden. Die europäische Zulassung und der Vertrieb in
Deutschland kamen ein Jahr später. 2008 folgte ein zweiter Wirkstoff, das 'Vildagliptin'.
Ich hoffe dieser kurze Exkurs in die Welt der diabetologischen Forschung hat ihnen beim Lesen
ebenso viel Freude gemacht wie mir beim Schreiben!
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