Jubiläen 2008 - Universität Leipzig

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Jubiläen 2008 - Universität Leipzig
Jubiläen
Jubiläen 2008
ISBN 978-3-934178-99-1
2008
Personen | Ereignisse
Jubiläen 2008
Personen | Ereignisse
Impressum
Herausgeber: Rektor der Universität Leipzig
Redaktion: Tobias D. Höhn / Dr. Manuela Rutsatz
Satz: Randy Kühn
Druck: Druckerei zu Altenburg GmbH
ISBN 978-3-934178-99-1
Redaktionsschluss: 31. August 2008
Preis: 4,00 €
Kontakt
Universität Leipzig
Pressestelle
Ritterstraße 26, 04109 Leipzig
Telefon 0341 97-35020
E-Mail [email protected]
www.uni-leipzig.de/presse
Inhalt
Inhalt
Geleitwort
7
Richard Wagner
Zum 125. Todestag am 13. Februar 2008
9
Felix Krueger
Zum 60. Todestag am 25. Februar 2008
15
Ernst Sommerlath
Zum 25. Todestag am 4. März 2008
21
Carl Friedrich Hindenburg
Zum 200. Todestag am 17. März 2008
33
Hans Meyer
Zum 150. Geburtstag am 22. März 2008
39
Serban Titeica
Zum 100. Geburtstag am 27. März 2008
45
Walter Schlesinger
Zum 100. Geburtstag am 28. April 2008
49
Sprengung der Universitätskirche St. Pauli
Zum 40. Jahrestag am 30. Mai 2008
55
Franz Wieacker
Zum 100. Geburtstag am 5. August 2008
61
Victor Frederick Weisskopf
Zum 100. Geburtstag am 19. September 2008
67
Georg Merrem
Zum 100. Geburtstag am 21. September 2008
71
Wolfgang Natonek
Zum 60. Jahrestag seiner Verhaftung am 12. November 2008
77
Anton Ridiger
Zum 225. Todestag am 17. November 2008
83
Lüder Mencke
Zum 350. Geburtstag am 14. Dezember 2008
89
Arthur Golf
Zum 75. Jahrestag seines Rektorats am 30. Dezember 2008
93
Anton Wilhelm Plaz
Zum 300. Geburtstag
99
Friedrich von Schlegel
Vor 200 Jahren erschien die Monographie
„Über die Sprache und Weisheit der Indier“
105
Leipziger Burschenschaft
Zu ihrer Gründung vor 190 Jahren
111
Collegium Musicum
119
Zur Gründung des Musikwissenschaftlichen Instituts vor 100 Jahren
Ein Kurator für die Universität
Zur Einsetzung vor 60 Jahren
125
Gustav Hertz: Lehrbuch der Kernphysik
Zum Erscheinen vor 60 Jahren
131
Autorenverzeichnis
140
Bildnachweise
142
Geleitwort
Zum fünften Mal in Folge bringt die Universität Leipzig mit der vorliegender
Ausgabe einen Band voller Kalenderblätter heraus, der Persönlichkeiten,
Einrichtungen und Ereignisse aus der Geschichte der Alma mater Lipsiensis
vorstellt. Hintergrund war und ist nach wie vor die Absicht, an bestimmte
Jubiläen im Lauf eines Jahres zu erinnern und dies für eine interessierte
Öffentlichkeit nachlesbar zu dokumentieren. Im Lauf der Jahre ist die Reihe
für viele zu einer festen Institution und einem interessanten Nachschlagewerk
geworden.
In diesem Jahr widmen sich 145 Seiten „runden“ Jubiläen aus der
beinahe 600-jährigen Geschichte Deutschlands zweitältester Universität
mit durchgehendem Lehrbetrieb. Geschrieben sind diese Beiträge für
Mitglieder und Freunde unserer Universität und natürlich auch für jenen
größeren Kreis von Menschen, die sich für Themen aus der Universitätsund Wissenschaftsgeschichte interessieren. Ein Anspruch, dem wir mit Blick
auf die Historie gerecht werden, denn immerhin hat die Universität Leipzig
seit ihrer Gründung 1409 in vielen Disziplinen Geschichte geschrieben.
Vorliegender Band soll neben informativer Lektüre auch Lust machen auf
unser 600. Jubiläum, das wir 2009 mit zahlreichen Veranstaltungen
begehen werden.
Mein besonderer Dank gilt den Autorinnen und Autoren der Kalenderblätter,
die durch Auswahl, Recherche und Niederschrift wesentlich zum Gelingen
dieses Bandes beigetragen haben. Auch 2009 setzen wir wieder auf Ihre
Unterstützung, wenn diese Reihe ihren Abschluss finden soll.
Prof. Dr. iur. Franz Häuser
Rektor der Universität Leipzig
7
Richard Wagner
Zum 125. Todestag am 13. Februar 2008
Genies brauchen keinen Schulabschluss und kein Universitätsdiplom, sie
erzwingen den Erfolg dank ihrer Persönlichkeit; so lautet ein verbreitetes
Vorurteil. Als Richard Wagner am 13. Februar 1883 in Venedig starb,
konnte er auf ein erfülltes Leben und ein großes Werk zurückblicken, das
nicht nur die Kunstwelt erfüllte.
9
Zeitlebens hatte er keine geregelte Ausbildung durchlaufen, aber dennoch auf
vielen Gebieten Erstaunliches geleistet. Es war ein „mit äußerstem Willen ins
Monumentale getriebener Dilettantismus“, wie es Thomas Mann 1933 in seinem
Vortrag von „Leiden und Größe Richard Wagners“ ausdrückte.
Am 23. Februar 1831 immatrikulierte Wagner an der Universität Leipzig, zu
einem Studium aber scheint es erst gar nicht gekommen zu sein, vielmehr ergab
er sich einem ausschweifenden Studentenleben, dem ihn die Mutter bereits
im Herbst desselben Jahres entriss, indem sie ihn zum Privatstudium dem
Thomaskantor Theodor Weinlig übergab. Wagner machte in Leipzig überhaupt
keine guten Erfahrungen mit den Lehreinrichtungen. War er in Dresden an der
Kreuzschule noch der Lieblingsschüler seines Lehrers Magister Sillig gewesen
und hatte mit seinen Dichtungen Eindruck gemacht, so stand bereits der Wechsel
an das Nikolaigymnasium am 21. Januar 1828 nach dem Umzug der Familie
nach Leipzig unter einem unguten Stern, denn Wagner wurde in die Obertertia
zurückversetzt. Bis 1830 besuchte er die Nikolaischule, aber nun war er kein
Musterschüler mehr, dafür gibt uns seine Autobiographie die Bestätigung:
„Der Verfall meiner Studien und mein völliges Abweichen von den Pfaden einer
regelmäßigen Schulausbildung schreibt sich von meinem Eintritt in Leipzig her,
und vielleicht war der Hochmut des Schulpedantismus daran schuld.“ (Wer hätte
auch erwartet, dass Wagner die Schuld bei sich selbst gesucht hätte.) Wagner
vergleicht die beiden damaligen „Gelehrtenschulen“, „die ältere, Thomas-, und die
jüngere, Nikolaischule genannt: die Nikolaischule stand damals in vorzüglicherem
Rufe als ihre Schwester; dort musste ich demnach aufgenommen werden.“ Doch
bereits die Aufnahme entsprach nicht seinen Erwartungen, seinen „phantastischen
Neigungen“ entsprechend konzentrierte er sich nicht auf den Unterricht,
sondern dichtete er ein Drama „Leubald und Adelaide“. Seltene Einsicht in der
Autobiographie: „Meine Vernachlässigung der Schule erreichte den Grad, daß es
notwendig zu einem Bruche mit ihr führen musste.“
Die revolutionären Unruhen des Jahres 1830 und die zwiespältige Rolle, welche
die Studentenverbindungen darin spielten, faszinierten Wagner so sehr, dass
ihm an nichts mehr lag, „als so schnell wie möglich nun selbst endlich Student
zu werden“. An der Thomasschule, die damals „unter dem Rektorat eines
schwachen Greises stand“, glaubte er sich leicht „durch den bloßen Anschein
ihres Besuches mich bis zur Berechtigung zum Abitur-Examen durcharbeiten“
zu können. „Die Lehrer der Thomasschule waren jedoch nicht geneigt, meinen
Wünschen des Studentwerdens so gutwillig zu entsprechen; sie fanden am
Schlusse des Halbjahres, daß ich mich so gut wie gar nicht um ihre Lehranstalt
bekümmert hatte, und waren nicht davon zu überzeugen, daß ich ein Anrecht auf
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das akademische Bürgertum durch Zunahme an Gelehrsamkeit mir gewonnen
hätte.“ So überzeugte er seine Familie von seiner Absicht, Musiker zu werden,
und schrieb sich „ohne um die Pedantereien auch der Thomasschule mich zu
kümmern“, unmittelbar beim Rektor der Universität als Student der Musik ein,
was „ohne weiteren Anstand geschah“.
Es war höchste Eile geboten, denn das Semester neigte sich dem Ende zu und
nur während der Vorlesungszeit konnte sich Wagner noch vor den langen Ferien
in eine Studentenverbindung aufnehmen lassen. „Unmittelbar vom Rektor rannte
ich wie angeschossen auf den Fechtboden, um mich bei der Landsmannschaft
Saxonia, unter Vorzeigen meiner Inskriptionskarte, zu Aufnahme zu melden.
Mein Ziel war erreicht: ich durfte die Farben der Saxonia, welche damals ihrer
vielen gefälligen Mitglieder wegen besonders beliebt war und in Ansehen
stand, tragen.“ Ausführlich schildert Wagner sodann in seiner Autobiographie
die Ausschweifungen des Studentenlebens, die extensiven Kneipen und seine
verzweifelten Bemühungen, sich auf dem Paukboden einem Duell zu stellen.
Die wilden Leipziger Jahre waren aber für die Entwicklung Wagners anscheinend
keineswegs schädigend, vielmehr gewann seine Persönlichkeit erst jetzt das
letztendlich so entscheidende Profil. In Dresden war er von seinem Stiefvater
Ludwig Geyer, der Schauspieler von Beruf war, im Theater mit der Dichtkunst
aufgewachsen und sein Berufsziel war es, Dichter bzw. Dramatiker zu werden. Er
war so stark von einer emotionalen Theatralität erfüllt, dass ihn seine Geschwister
mit dem Spitznamen „Amtmann Rührei“ belegten. Als er Ende 1827 von Dresden
wieder nach Leipzig, seiner Geburtsstadt, übersiedelte war er 14 Jahre alt. Erst
in Leipzig trat die Musik in den Vordergrund seines Interesses. Die Konzerte des
Gewandhausorchesters begeisterten ihn mit den Instrumentalwerken Ludwig van
Beethovens. Wohl nirgends wurden in dieser Zeit die Beethovenschen Sinfonien
und Ouvertüren in dieser Menge und Qualität aufgeführt wie in Leipzig, es
war – wohl auch deswegen, weil Breitkopf & Härtel Beethovens wichtigster
Verleger war und in der Allgemeinen musikalischen Zeitung regelmäßig über
Neuerscheinungen und Aufführungen berichtete – damals eine regelrechte
Beethoven-Stadt. Beethovens Musik aber galt als revolutionär nicht nur in
musikalischem, sondern auch in übertragenem Sinne, sie war ein Identifikationsund Erkennungszeichen bürgerlicher revolutionärer Gesinnung. Genau dies war
der aufrührerische Geist, den Wagner an den Studentenverbindungen schätzte,
der ihm hier musikalisch entgegenzutreten schien.
Im Jahre 1829 begann er mit ersten Kompositionsversuchen, Klavierwerken, die
nicht erhalten sind. Im April 1829 hörte Wagner im Theater die Oper „Romeo und
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Julia“ von Vincenzo Bellini mit der berühmten Sängerin Wilhelmine SchröderDevrient, die ihn begeisterte. Nach seiner Schilderung in der Autobiographie
war es die Interpretation der Leonore in Beethovens „Fidelio“, die in ihm das
unabweisbare Bedürfnis auslöste, Musiker zu werden. Es ist nicht ganz klar,
wann Wagner Wilhelmine Schröder-Devrient in dieser Rolle erlebt hat, aber es
gehörte zu seiner Selbstinszenierung, auch hier das Beethoven-Erlebnis in den
Vordergrund zu rücken. Ganz real ist das Vorbild Beethovens aber an frühen
Kompositionen auszumachen. Die Klaviersonate B-Dur von 1831 folgt deutlich
dem Muster der Komponisten Ignaz Pleyel und Beethoven, letzterem noch stärker
die Fantasie fis-Moll und die Sonate A-Dur, hier spielt auch Franz Schubert
mit hinein. Die Ouvertüre d-Moll desselben Jahres hat Beethovens EgmontOuvertüre zum Vorbild, die zum Repertoire des Gewandhausorchesters gehörte,
Ouvertüre und Bühnenmusik zu „König Enzio“ von E. Raupach dem „Fidelio“.
Höhepunkt der Beethoven-Nachfolge aber war Wagners einzige Sinfonie (CDur), die er 1832 komponierte und die ihre Uraufführung in Prag erlebte. Es war
übrigens das letzte Werk, das er kurz vor seinem Tode am 25. Dezember 1882
im Theater La Fenice in Venedig noch einmal zur Aufführung brachte. Übrigens
fertigte Wagner zu Studienzwecken auch Abschriften von Beethovens Sinfonien
Nr. 5 und Nr. 9 an und verfasste 1830/31 einen vierhändigen Klavierauszug der
9. Sinfonie.
Ein eigenes Kapitel bilden Wagners Schriften zu Beethoven, mit denen er
seine eigene Musikerlaufbahn theoretisch fundierte. 1840 verfasste er in
Paris eine Novelle mit dem Titel „Eine Pilgerfahrt zu Beethoven“, in die er
autobiographische Züge einarbeitete. Ein Notleidender, schwärmerischer
Musiker aus „einer mittelmäßigen Stadt des mittleren Deutschland“ erhielt seine
Berufung zum Musiker dadurch, „daß ich zu erstenmal eine Beethovensche
Symphonie aufführen hörte, daß ich darauf Fieber bekam, krank wurde, und als
ich wieder genesen, Musiker geworden war. Aus diesem Grunde mag es wohl
auch kommen, daß, wenn ich mit der Zeit auch andre schöne Musik kennen
lernte, ich doch Beethoven vor allem liebte, verehrte und anbetete.“ Ein zweiter
wichtiger Zug des Wagnerschen Beethovenbildes kommt hier zum Ausdruck,
zum Revolutionär tritt die religiöse Autorität hinzu, die Göttlichkeit. Die Idee,
die Wagner dann in seinen Züricher Kunstschriften ausarbeitete, war eine
Geschichtsphilosophie zur eigenen Legimitation als einzig wahrer BeethovenNachfolger – einschließlich der religiösen Implikationen. In der Schrift „Das
Kunstwerk der Zukunft“ schrieb Wagner 1850 die berühmten Schlüsselsätze:
„Die letzte Symphonie Beethovens ist die Erlösung der Musik aus ihrem eigensten
Elemente heraus zur allgemeinsamen Kunst. Sie ist das menschliche Evangelium
der Zukunft. Auf sie ist kein Fortschritt möglich, denn auf sie unmittelbar kann
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nur das vollendete Kunstwerk der Zukunft, das allgemeinsame Drama, folgen, zu
dem Beethoven uns den künstlerischen Schlüssel geschmiedet hat.“
Zwei anerkannte Genies hatte Wagner sich in seiner Jugend zu Leitbildern
erkoren: in seiner Dresdner Zeit der Theaterbegeisterung Shakespeare als Dichter
und in Leipzig aufgrund seiner Musikerlebnisse Beethoven als Komponist.
1871 schrieb er in „Über die Bestimmung der Oper“: „Die musikalischen
Gestaltungen Beethovens tragen [...] Merkmale an sich. welche sie einerseits so
unerklärbar lassen, wie andererseits die Gestaltungen Shakespeares es für den
forschenden Dichter blieben. [...] Der Punkt, in welchem hier die Schwierigkeit
der Verschwendung der Beethovenschen Musik auf das Shakespearesche Drama
zu erkennen wäre, dürfte anderseits durch seine Ausgleichung gerade auch zur
höchsten Vollendung der musikalischen Form [...] führen.“
So sehr Wagner darum bemüht war, sich selbst als Originalgenie darzustellen,
das alles aus sich selbst heraus schafft, so stark fällt ins Auge, dass er zwar
in Schule und Universität keine Ausbildung erhielt und versagte, andererseits
aber die Anregungen seiner Umwelt wie ein Schwamm aufsaugte und in einer
wirklich schöpferischen Weise umzusetzen verstand. Dresden war in diesem
Sinne die Theaterstadt für ihn, seine Geburtsstadt Leipzig aber wurde dadurch
für ihn besonders wichtig, dass sie ihm nach der Rückkehr aus Dresden die
musikalische Umgebung bot, die ihn erst zum Musiker reifen ließ. Aus dieser
Mischung entstand das berühmte Gesamtkunstwerk Richard Wagners, das seinen
Ruf als Genie in der Welt verbreitete.
Helmut Loos
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Felix Krueger
Zum 60. Todestag am 25. Februar 2008
Zu Vita und Werk des Nachfolgers auf den Lehrstuhl von Wilhelm Wundt
(1917-1937) und zeitweiligen Rektors der Universität Leipzig (19351936) unter besonderer Berücksichtigung der ‚Entwicklungspsychologie’
Felix Kruegers.
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Felix Krueger hatte von 1917 bis 1937 den Lehrstuhl für Philosophie als
Nachfolger von Wilhelm Wundt an der Universität Leipzig – inklusive eines
Lehrverbotes ab 1936 – inne. Anlässlich des 60. Todestages von Krueger im
Jahr 2008 sollen hier Vita und Werk dargestellt und reflektiert werden. Bislang
existieren vergleichsweise wenig Publikationen zur Person und dem Werk Felix
Kruegers. Die Gründe hierfür sind nicht eindeutig, doch können die Brüche,
die in Biographie und Werk Kruegers erkennbar sind, hier eine Rolle spielen.
Besonders brisant sind hierbei auch die frühen politischen Verbindungen
Kruegers seit der Zeit des Ersten Weltkrieges bis in den Nationalsozialismus. Die
Differenzen und Tragweite von Kruegers Werk und Wirken sollen im Folgenden
abrissartig erörtert werden.
Krueger war in seinen Studienzeiten um die Jahrhundertwende bereits einige
Jahre als Schüler und Assistent Wilhelm Wundts in Leipzig gewesen. Die
experimentelle Psychologie, wie sie sein Lehrer Wilhelm Wundt in Leipzig
institutionalisiert hatte, bereicherte er durch Untersuchungen der phonetischen
Wahrnehmungsverarbeitung. Seit 1898 widmete Krueger sich der Untersuchung
phonetischer und akustischer Verarbeitungsprozesse. Auf „Beobachtungen an
Zweiklängen“ (1900) und Untersuchungen „Ueber Konsonanz und Dissonanz“
(1901) gründete er seine „Theorie der Combinationstöne“ (1901) und habilitierte
sich in Leipzig unter dieser Thematik 1903 unter Betreuung Wilhelm Wundts.
Seine „Theorie der Konsonanz“ untermauerte er zwischen 1905 und 1910.
Bis etwa 1910 verfolgte Krueger auch die erkenntnis- und moraltheoretische
Diskussion. Inwieweit die 1898 zweimal (als Dissertation und in erweiterter
Fassung) veröffentlichte Schrift „Der Begriff des absolut Wertvollen als
Grundbegriff der Moralphilosophie“ auf den Leipziger Wundt-Assistenten Felix
Krueger zurückgeht, ist nicht sicher, da sie nicht durchgängig von ihm selbst in
den Personalunterlagen angegeben wird (vgl. UAL, Film 1272, PA 664, Krueger,
Felix, Blatt 94 u. a.) und die Personalakte Doppelungen in der Paginierung
enthält. Das wissenschaftliche Profil des Wundt-Assistenten Felix Krueger
zeigt in der ersten Dekade seiner wissenschaftlichen Arbeiten eine entschieden
naturwissenschaftliche Prägung, die er auffallend auch zugunsten seines Lehrers
und Betreuers seiner Habilitation 1903, Wilhelm Wundt, öffentlich verteidigte,
wie dies besonders im Zusammenhang mit der „Theorie der Konsonanz“ in den
von Wilhelm Wundt herausgegebenen „Psychologischen Studien“ um 1906 zum
Tragen kam. Diese publizierte er kurz vor als auch während der Gastprofessur
Kruegers in Buenos Aires, wo er den Aufbau eines psychologischen Institutes für
zwei Jahre wahrnahm. In der Leipziger Dissertation von 1981 „Zur Geschichte
des Leipziger Psychologischen Instituts 1875-1945“ hat Werner Thiermann die
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weiteren Stationen Kruegers ausführlich untersucht und dargestellt (Thiermann,
1981: Universitätsbibliothek Leipzig, Signatur 81-2-370).
1912/1913 wurde der Hallenser Professor Felix Krueger auf die KaiserWilhelm-Professur an die Columbia University, New York, eingeladen, wo er
jedoch überwiegend durch Abwesenheit und unehrenhaftes Verhalten auffiel
(BArch B, R 901/38593, Blatt 29,102, 119). Ab 1911 jedoch lässt sich bei
Felix Krueger eine über die folgenden Jahrzehnte zunehmende Abkehr von
der naturwissenschaftlichen Haltung und Prägung beobachten: Bereits in dem
„Bericht über den IV. Kongress für experimentelle Psychologie“, herausgegeben
von Friedrich Schumann 1911, erschien unter dem Namen Felix Krueger ein
Beitrag „Die ethnologische Methode in der Psychologie“, welcher eine solche
Abkehr bereits andeutet. Diese als auch die 1915 erschienene Publikation
„Über Entwicklungspsychologie“, welche für die Reihe „Arbeiten zur
Entwicklungspsychologie“ den Anfang nahm und im Rahmen der von 1909-1917
bestehenden ordentlichen Professur Kruegers in Halle herausgegeben wurde,
zeigen Differenzen und Veränderungen hinsichtlich des Nachdenkens über die
Gleichheit von Menschen und stellen ethisch als auch wissenschaftlich einen
Bruch gegenüber seiner Prägung und der Völkerpsychologie Wundts (1904) dar:
Krueger negierte die Gleichheit der Menschen, die sich über Kulturverbundenheit
und der in ihr stattfindenden gemeinsamen Entwicklung äußert. Auf Basis einer
„genetischen Kulturpsychologie“, wie Krueger sie schuf, war Gleichheit im
kulturellen Sinne unter Menschen aus verschiedenen Volksgruppen nicht mehr
gegeben. Der Prozess der (kulturellen) Assimilation wurde ersetzt durch das
Konstrukt einer „sozialen Entwicklungspsychologie“, wonach sich (kulturelle)
Entwicklung stringent nur auf Basis eines gesetzesmäßigen kulturellen
Gewordenseins eines Volkes, der kulturellen Genese, vollziehen sollte.
Assimilation, wie sie zu Kruegers Lebenszeit besonders deutsche Juden leisteten
und lebten, entsprach nicht den Voraussetzungen, die Krueger für kulturelle
Entwicklung und damit für Teilhabe an einem gemeinsamen (Er-)Lebensfeld
setzte. Gleich waren nur jene, welche die gleiche Volksgenese hatten, während
vergleichbare Lebensumstände und Kulturbeiträge für die Gleichheit ungültig
waren, was Hannah Arendt viel später – ohne jedoch Kruegers Publikation zu
nennen- als Charakteristikum für den Totalitarismus und Nationalsozialismus
herausgearbeitet hat (Arendt, 2003, S. 140).
Auffallend ist, dass diese Publikation Kruegers – zwei Jahre später bei seiner
Berufung als „programmatisch“ (vgl. UAL, Film 1272, PA 664, Krueger, Felix,
Blatt 36) bezeichnet – hinsichtlich des Erscheinungsdatums eine Eigentümlichkeit
aufweist: Denn 1915 war Krueger bereits längst als Kriegsfreiwilliger im
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Ersten Weltkrieg und während der weiteren Kriegszeit unter anderem zur
besonderen Verwendung des Preußischen Kriegsministers von Stein tätig (vgl.
UAL, Film 1272, PA 664, Krueger, Felix, Blatt 151). Krueger hatte 1915 die
„völkercharakterologische Aufgabe“ der Völkerpsychologie mit dem Ziel
„einer unterscheidenden Charakteristik einzelner Völker und ihrer besonderen
Geistesart oder geistigen Erzeugnisse“ (Krueger, 1915, S. 207) gesetzt. Inhaltlich
kongruent gingen die entwicklungs- und völkerpsychologischen Setzungen
Kruegers auf die Postulationen Houston Stewart Chamberlains zurück, dessen
„Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts“ bereits 1903 den Begriff der
„differentiellen Völkerpsychologie“ nannten (vgl. Guski-Leinwand, 2007, S.
82ff.). Im Mittelpunkt der Betrachtung einer so verstandenen Völkerbetrachtung
als einer „differentiellen Völkerpsychologie“ steht die trennende Unterscheidung
der Bedingungen für Kulturentwicklung wie sie Krueger in seinem Verständnis
von „Entwicklungspsychologie“ ebenfalls gegeben hatte.
Weiter auffällig ist, dass die so verstandene „Entwicklungspsychologie“
Kruegers bei seinem Lehrer Wilhelm Wundt eine Reihe von Irritationen
hervorrief, die Wundt an manchen Stellen seinen Schüler und engen Assistenten
kaum wiedererkennen ließ: Wundt setzte sich 1916 in seiner Abhandlung
„Völkerpsychologie und Entwicklungspsychologie“ auf die Vernachlässigungen
der wissenschaftlichen Kenntnisse des ihm als „trefflich bewanderter Psychologe“
(Wundt, 1916, S. 211) bekannten Schülers Kruegers auseinander. Dabei zeigte
Wundt die Gefahren von Kruegers Denkweise auf, die er als „Trugbild“ (Wundt,
1916, S. 214) entlarvte und die einem Zweck entspräche, „der außerhalb der
Psychologie und außerhalb der Entstehung von Wertbegriffen liegenden Vorbilde
entlehnt“ sei (Wundt, 1916, S. 212).
Auf die von Wundt aufgezeigten Unzulässigkeiten und Gefahren gingen jedoch
weder die Fachkollegen der Fakultät, noch Krueger selbst ein. Letzterer erhielt
– nachdem er dem Königlich Sächsischen Ministerium abweichend vom
üblichen Dreiervorschlag als einziger geeigneter Nachfolger Wundts von der
Philosophischen Fakultät Leipzig genannt worden war – im Sommer 1917 den
Ruf als Nachfolger Wilhelm Wundts nach Leipzig.
Mit dem Ruf Kruegers nach Leipzig war die Anerkennung der
„Entwicklungspsychologie“ in den akademischen Reihen erfolgt und Gleichheit
– nach Krueger – zu jenem „weltlich organisierenden Prinzip“ möglich, das
Hannah Arendt als Charakteristikum für die Überbewertung einer Volksgruppe
unter totalitaristischer Herrschaft herausgearbeitet hatte (Arendt, 2003, S.
138ff.). Die Auffassung, dass „Gleichheit fordert, jedermann als meinesgleichen
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anzuerkennen“ (Arendt, 2003, S. 139f.), war nach Kruegers Prämissen
nicht mehr gegeben. Ab 1918 führte Krueger den Begriff der „Ganzheit“ für
seine Lehre ein, der unter diesen Vorzeichen verstehbar wird als kulturelle
Gleichheit auf „genetischer“, d. h. volksspezifischer Basis. Er ist unter diesem
Aspekt wissenschaftshistorisch kaum untersucht worden, sondern stets nur
wissenschaftsimmanent ausgelegt worden. Die politischen Verstrickungen
Kruegers zeigen sich somit bereits während der Zeit des Ersten Weltkrieges
– und nicht erst ab 1933: In den dazwischen liegenden Jahren veröffentlichte
Krueger ein Lehrsystem zur „Ganzheit“ und soll als ein „Vorkämpfer des
Nationalsozialismus“ seit 1925 gegolten haben (vgl. UAL, Film 1272, PA 664,
Felix Krueger, Blatt 23 hinten). Außerdem war er Mitglied des „Kampfbund
für deutsche Kultur“ seit dessen Gründung 1929. Dieser Kampfbund war die
Nachfolgerin der „Nationalsozialistischen Gesellschaft für deutsche Kultur“
(vgl. Guski-Leinwand, 2007, S. 151), was damals wie heute wenig bekannt ist.
Krueger erschien überdies in den dreißiger Jahren verschiedentlich in der NSPropagandapresse und hielt Reden für unterschiedliche NS-Verbände (UAL,
Film Nr. 1272, PA 664, Krueger, Felix, Blatt 151; vgl. auch Guski-Leinwand,
2007, S. 163). Trotz des Lehrverbotes Mitte der dreißiger Jahre reiste Krueger
davor und danach zu Vorträgen innerhalb und außerhalb Europas. Er wurde im
März 1935 vom Reichserziehungsminister zum Rektor der Universität Leipzig
ernannt, jedoch schon Anfang 1936 vom Reichswissenschaftsministerium
aus gesundheitlichen Gründen zur Übergabe des Rektorats an den Prorektor
aufgefordert. 1937 reichte Krueger mit gesundheitlicher Begründung den
Antrag auf Emeritierung ein, dem 1938 stattgegeben wurde (UAL, PA 664,
Felix Krueger, Film 1272, Blatt 68 und 77). Bereits seit 1935 war innerhalb der
NS-Behörden die so genannte arische Abstammung Kruegers in Frage gestellt
worden, deren Nachweis er zwischen Ende 1937 bis 1940 nachkam, wie es
Akten im Hauptstaatsarchiv in Dresden belegen. Während dieser Zeit siedelte
er nach Berlin und Potsdam über. Ihm wurden Ehrungen anlässlich seines 65.
und 70. Geburtstages als auch Ehrendoktorwürden im In- und Ausland zuteil.
Zwischen 1940 und 1948 veröffentlichte er einzelne Publikationen zu seiner
Ganzheitslehre im Ausland. Er konnte Deutschland im April 1945 in die Schweiz
verlassen, wo er am 25. Februar 1948 nahe Basel verstarb (UAL, PA 664, Felix
Krueger, Film 1272, Blatt 116).
Zusammenfassend lässt sich unter der Frage „Wer war Felix Krueger?“
feststellen, dass unter diesem Namen und im Namen der Psychologie lange
vor dem Nationalsozialismus eine Ungleichheit der Menschen zum leitenden
Gegenstand gemacht wurde, der den Weg zu totalitaristischem Herrschaftsund Rassendenken im akademischen Kontext bahnen half. Wegen fehlender
19
Quellen (z. B. Tagebuchaufzeichnungen oder private Briefe Kruegers) kann
zur Motivation des Forschers Krueger für die veränderte wissenschaftliche
Haltung gegenwärtig keine Klärung erfolgen. Unter dem Namen Felix Krueger
jedenfalls findet sich keine Publikation mit kritischer Reflektion der Lehrinhalte
zur „Entwicklungspsychologie“. So ist es an den heutigen und nachfolgenden
Wissenschaftsgenerationen, die Gemeinschafts- als auch die Gefühlslehre
Kruegers vor dem Hintergrund hiesiger Informationen und Zeitgeschichte zu
reflektieren und sich weiter mit der Frage, wer Felix Krueger war und welche
schwerwiegende Bedeutung die Schriften dieses Autors trugen, zu beschäftigen.
Susanne Guski-Leinwand
Literatur:
Arendt, H. (2003). Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. 9. Auflage,
München, Piper.
Guski-Leinwand, S. (2007). Wissenschaftsforschung zur Genese der Psychologie
in Deutschland vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis Mitte des 20. Jahrhunderts.
Dissertation, Universität Heidelberg. www.ub.uni-heidelberg.de/archiv/7667.
Wundt,W. (1904).Völkerpsychologie. Eine Untersuchung der Entwicklungsgesetze
von Sprache, Mythus und Sitte. Erster Band, Die Sprache. (Zweite umgearbeitete
Auflage, erster Teil). Leipzig: Verlag von Wilhelm Engelmann.
Wundt, W. (1916). Völkerpsychologie und Entwicklungspsychologie.
Psychologische Studien, X. Band, 3. Heft, S. 189-238.
Archivalien:
Bundesarchiv Berlin
BArch B, R 901, Bestand 38593: Austausch von Lehrkräften und Schülern mit
dem Ausland
Universitätsarchiv Leipzig:
UAL, Film Nr. 1272, PA 664, Krueger, Felix (Personalakte).
20
Ernst Sommerlath
Zum 25. Todestag am 4. März 2008
Ernst Sommerlath (1889-1983) lehrte fast sechs Jahrzehnte Systematische
Theologie an der Universität Leipzig und bildete mehrere Generationen von
künftigen Pfarrern für sie Sächsische Landeskirche aus. Daneben gilt er als
einer der einflussreichsten Theologen des weltweiten Luthertums. Besondere
Verdienste erwarb er sich durch die Herausgabe der Theologischen
Literaturzeitung von 1958 bis 1983, die in Leipzig bereits seit 1876 ohne
Unterbrechung bis heute erscheint.
21
Der „erkannte Schwerpunkt der Theologie Sommerlaths – Vermittlung des
Heils – führt unmittelbar zu den theologischen bzw. ökumenischen Gesprächen
der Gegenwart, wobei sich häufig zeigt, dass Übereinstimmung bezüglich der
Inhalte des Heils (Gnade, Rechtfertigung, Christologie) leichter zu erreichen ist
als hinsichtlich der Vermittlung des Heils (Amt, Kirche, Abendmahl)“ (Amberg).
Was in dieser zusammenfassenden These abgekürzt formuliert ist, lässt in
gültiger Weise die bestimmenden theologischen Faktoren der Theologie Ernst
Sommerlaths aufleuchten, eines Theologen, der viele Generationen sächsischer
Pfarrer ausgebildet und geprägt hat und der darüber hinaus Kontinuität der
Theologischen Fakultät in Leipzig im 20. Jahrhundert verbürgte: Heil, Kirche,
Ökumene, stets reflektiert im Kontext lutherischer Theologie, immer verbunden
mit der Tendenz zur Verständlichkeit und zur Praxis theologischen und kirchlichen
Handelns.
Interessant ist seine Herkunft: Bei seiner väterlichen Familie in Hannover
handelte es sich um die Familie eines angesehenen Kaufmanns der Tabakbranche,
unter den Vorfahren gab es ebenfalls Kaufleute, aber auch Geistliche. Seinen
Eltern, Louis Carl Moritz Sommerlath (1860-1930) und Erna Sophie Christine,
geb. Waldau (1864-1944), wurde als erster Sohn am 23. Januar 1889 Karl
Friedrich Ernst Sommerlath geboren, der als Rufnamen den des Großvaters Ernst
erhielt. Ihm folgten drei Schwestern und zwei Brüder, deren jüngster Walther
Sommerlath (1901-1990) war, bekannt geworden als Vater der Königin Silvia
von Schweden.
Nur vier Jahre nach der Geburt des Sohnes Ernst übersiedelte die Familie
nach Heidelberg, was sich 1903 wieder in umgekehrter Richtung vollzog.
Einer seiner späteren langjährigen Fakultätskollegen in Leipzig, der ihm
befreundete Neutestamentler Albrecht Oepke (1881-1955), leitete als Dekan
in seiner Grußadresse zum 60. Geburtstag Sommerlaths aus dieser zweifachen
Beheimatung die persönliche Prägung Sommerlaths her: Bei ihm „verband
sich die bodenständige norddeutsche Art mit süddeutscher Beweglichkeit. In
kirchlicher Hinsicht verband sich angestammtes Luthertum mit der badischen
Consensus-Union“ (Oepke).
Während seines 1907 in Heidelberg begonnenen Theologie- und
Philosophiestudiums hält er sich vor allem zu zwei Lehrern, Ludwig Lemme
(1847-1927) und Hans von Schubert (1859-1931). Lemme, dem in Heidelberg
ein so genannter positiver Lehrstuhl errichtet wurde, war als ein eher
konservativer Theologe Antipode Troeltschs; in dogmatischen Themenbereichen
(Kirche, Gebet, Luther) prägte er Sommerlath. Dem Kirchenhistoriker von
22
Schubert verdankte er seine lebenslange Nähe zu geschichtstheologischem
Denken im positiven Sinne. Seine philosophischen Lehrer waren hier der
durch seine Geschichte der Philosophie bekannte Wilhelm Windelband (18481915) und der bedeutende Ernst Troeltsch (1865-1923), der in Heidelberg noch
als Theologe wirkte. Letzterer befähigte ihn zur Auseinandersetzung mit dem
Neukantianismus, die bei Sommerlath zwar zur Abkehr vom Idealismus führte,
nicht aber zur Abwendung von der Philosophie überhaupt. Vielmehr war ihm
die Nähe zur Philosophie immer wichtig; noch nach dem Zweiten Weltkrieg las
er als Leipziger Theologieprofessor mit großem Eigeninteresse Philosophie für
Theologen – und das gewiss nicht nur der Not der Zeit gehorchend, da unter den
Bedingungen marxistisch-ideologisierten Philosophieverständnisses sich solche
Angebote für Theologen nötig machten, wollte man deren Ausbildung nicht dem
totalitären Anspruch des Marxismus aussetzen.
Nach etwa zwei Jahren wechselte er von Heidelberg nach Greifswald, wo er
Anschluss an den Systematiker Carl Stange (1870-1959) suchte. In dieser Zeit
übernahm Stange gerade das Apologetische Seminar Wernigerode, das später
als „Luther-Akademie Sondershausen“ auch in Sommerlaths Wirken eine Rolle
spielen würde. Wie wichtig ihm der Schritt nach Greifswald war, zeigt die
Tatsache, dass er später bei Stange promovierte. In Greifswald hatte er bereits
Gelegenheit, den als Religionspsychologen hervorgetretenen Systematiker Karl
Girgensohn (1875-1925) kennen zu lernen, der dann 1922 Leipziger Ordinarius
der Systematischen Theologie wurde.
Nur ein Jahr später, 1910, kam Sommerlath nach Leipzig. Wichtig war ihm
hier die Förderung des Kirchenhistorikers Albert Hauck (1845-1918), des
Neutestamentlers Georg Heinrici (1844-1915) und des Alttestamentlers Rudolf
Kittel (1853-1929). Vor allem aber erfuhr er theologische Vertiefung seiner
Studien durch Ludwig Ihmels (1858-1933), der zu seinem eigentlichen Lehrer und
mehr und mehr auch zu seinem theologischen Freund wurde. Ihmels, einst von
Erlangen kommend und eine eigenständige Position im Neuluthertum des 19./20.
Jahrhunderts einnehmend, stand zu dieser Zeit auf der Höhe seiner Leipziger
Wirksamkeit, war Erster Universitätsprediger an der Leipziger Universitätskirche
St. Pauli und ehrenamtlich tätig in vielen kirchlichen Bereichen, ebenso als
Dekan der Fakultät; elf Jahre später würde er seine Leipziger Professur mit
dem Amt des Landesbischofs der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche
Sachsens vertauschen, eine Aufgabe, die nach Beendigung des landesherrlichen
Kirchenregiments 1918 und dem Tod des letzten Oberhofpredigers in Sachsen
erstmalig besetzt wurde. 1911 schloß Sommerlath zwei weitere Studiensemester
in Göttingen an, wo Paul Althaus d.Ä. (1861-1925) lehrte, der 1912 nach Leipzig
23
gehen und dessen Nachfolger Sommerlath 1926 werden würde. Dann meldete er
sich zum Ersten theologischen Examen in Hannover. Während seines einjährigen
freiwilligen Militärdienstes in Heidelberg saß er wieder in den Hörsälen der
dortigen Lehrer, Windelband und Troeltsch.
Der zweijährige Aufenthalt als Kandidat der Theologie von 1912 an auf
der Erichsburg – Kandidatenbildungsstätte für Predigtamtsanwärter der
Hannoverschen Lutherischen Landeskirche – festigte die Bindung zu seiner
Heimat und zur lutherischen Kirche überhaupt. Die Einberufung in den Krieg
1914, in dessen Verlauf er als Unteroffizier und Leutnant tätig war, muss ihn
aus seinen philosophischen Studien und kirchlich-theologischen Plänen jäh
herausgerissen haben. Wie manchem Kriegsteilnehmer erging es auch ihm:
schwer verwundet durch einen Brustschuss, bei Tannenberg in Ostpreußen – was
ihm lebenslang immer einmal wieder Beschwerden verursachte –, bescherte
ihm doch diese Beeinträchtigung die weitere Befreiung vom Fronteinsatz und
die Frage nach einer anderen Aufgabe. So fügte es sich gut, dass der damalige
Festungsgarnisonpfarrer von Königsberg in Ostpreußen, Pfarrer Bock, einen
jungen Feldgeistlichen zur Hilfe benötigte, und so ging die Anfrage an Ernst
Sommerlath. Als solcher ist er nicht nur in da, sondern auch in Bromberg, Köln
und Trier eingesetzt gewesen.
Aus den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges mochte ein tiefer Ernst seiner
Lebensauffassung begründet sein, die in der Mischung mit seinen theologischen
Überlegungen immer zu spüren war. Doch selbst schroffste Ablehnungen und
kritischste Äußerungen im theologisch-kirchlichen Gespräch erschienen nie
in rechthaberischer oder gar selbstgerechter Manier; wenn er merkte, dass die
um der Sache willen aufgerichtete Schwelle als lieblos empfunden zu werden
drohte, bezog er seine negative Entscheidung nicht auf die Uneinsichtigkeit
der Gesprächsteilnehmer, sondern regelmäßig auf sich und das bei sich selbst
unterstellte Unvermögen: „Ich kann nicht anders!“ Im übrigen prägte Dankbarkeit
sein Wesen hinsichtlich des erhaltenen Leben.
Eigentlich wollte Sommerlath nach eigener Aussage gern in der Philosophie
promovieren. Doch Carl Stange bot ihm an, dieses Vorhaben mit einem Thema
zu Kant bei ihm auch in der Theologie tun zu können. Und so kam es, dass
Sommerlath im Jahr 1917, also noch während des Krieges, in Göttingen bei Stange
über „Kants Lehre vom intelligiblen Charakter“ zum Licentiaten der Theologie
promovierte. Der Untertitel der Arbeit, „Ein Beitrag zu seiner Freiheitslehre“
zeigt die theologisch motivierte Richtung dieser Arbeit an. Sie erschien im
gleichen Jahr in Leipzig im Druck. Mit dem Ende des Krieges erfüllte sich
24
Sommerlaths Wunsch, Gemeindepfarrer zu werden; er erhielt 1918 das Pastorat
in der Kirchgemeinde Hannover-Kleefeld. Dort fand er als Kollegen Bernhard
Dörries (1865-1934 ) vor, einen Ritschlianer und frühen Kritiker der Theologie
Karl Barths, mit dem er trotz ganz anderer theologischer Einstellung zeitlebens
herzlich verbunden blieb. Die Herausforderung für den jungen Pastor bestand in
der Fähigkeit, in der Gemeinde – einer gemischt aus Arbeitern und Gebildeten
– integrierend zu wirken. Hier muss er zu lernen bereit gewesen sein, was bereits
anklang und was er später in vielen beruflichen Positionen und Verantwortungen
vorbildlich praktizierte, nämlich bei deutlicher eigener Sachbestimmtheit
andere Überzeugungen uneingeschränkt gelten lassen zu können, ja sich gar der
Versuchung zur Polarisierung zu enthalten. Besondere Aufmerksamkeit schenkte
er der Jugendarbeit, denn er wollte junge Menschen zum Ernst des Glaubens
bringen. Ebenso fühlte er sich zu seelsorgerlicher Tätigkeit berufen.
Bereits nach nur einem Jahr der Pfarramtstätigkeit verließ Sommerlath Hannover
und folgte einem Ruf als Dozent des „Christlichen Volksdienstes“ nach Leipzig,
einer 1919 als Stiftung aus dem Erbe des Geheimen Commerzienrates Ernst
Fritzsche († 1916) entstandenen Gründung. Deren erster Vorsitzender Pfarrer
D. Wilhelm Laible (1856-1943) zog Sommerlath später zur Mitherausgabe
des Theologischen Literaturblattes (ThLBl) heran. Innerhalb des Christlichen
Volksdienstes war ein Religionslehrerseminar eröffnet worden, das der nach
dem Ersten Weltkrieg entstandenen Situation des Religionsunterrichtes als
ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen Rechnung tragen sollte. Hier
beteiligten sich als Dozenten viele der Professoren der Theologischen Fakultät,
unteranderem auch Paul Althaus d. Ä. (1861-1925). Sommerlath wurde wenig
später sogar dessen Direktor.
Mit seiner Habilitation im Jahr 1921 eröffnete sich ihm der Weg eines
akademischen Lehrers. Er habilitierte sich im Neuen Testament mit dem Thema
„Der Ursprung des neuen Lebens nach Paulus“. Das entsprach seinen Neigungen,
denn neutestamentliche Theologie gehörte neben der Philosophie später noch zu
seinen besonderen und bleibenden Interessen. Freilich behandelt er sein Thema
systematisch-theologisch, wenn er methodisch Georg Wobbermin und vor allem
Karl Girgensohn folgt.
Im Jahr 1923 erhielt er die Ernennung zum Leiter des Missionsseminars, einer
Ausbildungsstätte des Leipziger Vereins für Äußere Mission, also für Missionare
in überseeischen Missionsgebieten, die nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer
kirchlichen Ausbildungsstätte für Pfarrer entwickelt wurde. Im August des
gleichen Jahres nahm er am Lutherischen Weltconvent in Eisenach teil, der
25
Vorgängerinstitution des Lutherischen Weltbundes, was ihm einen großen
und nachhaltigen Eindruck verschaffte. Schon seit diesem Jahr lehrte Ernst
Sommerlath als Privatdozent für Systematische Theologie an der Theologischen
Fakultät der Universität Leipzig, was anlässlich seines Heimgangs im Jahr 1983
zu der Feststellung führte, mit ihm eine prägende Persönlichkeit als lehrendes
Mitglied über sechs Jahrzehnte im Kollegium an der Leipziger Fakultät gehabt
zu haben.
1924 heiratete er die Pfarrerstochter Magdalene geb. Bock (1890-1978) aus
Königsberg, die ihm zur treuen und verständnisvollen sowie gütigen wie auch
durchaus resoluten Lebensgefährtin wurde. Sein Schwiegervater war der frühere
Pfarrer und Festungsgarnisonpfarrer in Königsberg gewesen und muss sich als
ein ausgesprochen bekenntnisbewusster Lutheraner verstanden haben. Aus dieser
Ehe gingen zwei Kinder hervor: Maria Sommerlath, geboren 1926, und Ludwig
Sommerlath, geboren 1929.
Am Gründonnerstag des Jahres 1925 starb Paul Althaus d. Ä.; Sommerlaths
Ernennung zum außerordentlichen Professor am 1. April scheint auf die durch
bereits länger andauernde Herzkrankheit Althaus’ entstandene Situation in
der Systematischen Theologie erfolgt zu sein. Als aber sechs Monate später
plötzlich auch der nach nur kurzer Lehrtätigkeit in Leipzig lehrende Karl
Girgensohn heimgerufen worden war, sah man seitens der Fakultät in der
Berufung Sommerlaths zum ordentlichen Professor die erhoffte Lösung der in
der Systematischen Theologie entstandenen Personallage.
Überhaupt war das Jahr 1926 von Ereignissen und Wendungen ausgefüllt, die
für den Lebensweg Ernst Sommerlaths sich als entscheidend erweisen sollten.
Gleichzeitig mit der Übernahme der ordentlichen Professur wurde er Zweiter
Universitätsprediger, eine Aufgabe, die ihm immer sehr am Herzen lag und die
er mit großer innerer Beteiligung wahrnahm, da er mit anderen Kollegen gern
einfach als Liturg tätig war. Zunächst tat er das zusammen mit Franz Rendtorff
(1860-1937) als Erstem Universitätsprediger, dessen Nachfolger 1930 Alfred
Dedo Müller wurde (1890-1971). Die Leipziger Fakultät verlieh ihm beim
Eintritt in ihre Reihen den theologischen Ehrendoktor.
Seit Ihmels 1922 die Leipziger Professur verlassen und das Amt des
Landesbischofs übernommen hatte, war die Frage immer stärker geworden, wer
das in dem Verlag Dörffling & Franke erscheinende ThLBl als verantwortlicher
Herausgeber betreuen sollte. Diese einstige konfessionelle Gegengründung zur
Theologische Literaturzeitung (ThLZ) war 1880 ins Leben gerufen worden.
26
Damals konnte es sofort einen unerwarteten Aufschwung nehmen, weil die
Wegberufung der ThLZ-Herausgeber nach Gießen eine stärkere Beteiligung
der Leipziger Fakultätskollegen beim ThLBl zur Folge hatte. Seit 1927 schon
nahm Ihmels Sommerlath mit in die Redaktion des ThLBl hinein. Nachdem
Ihmels Anfang Juni 1933 überraschend gestorben war, zeichnete Sommerlath
von 1932 bis 1943 als alleiniger Herausgeber des ThLBl. Dann kam es wegen
kriegsbedingter Einsparungsmaßnahmen zur Einstellung des ThLBl, weshalb
Sommerlath die Zusammenlegung von ThLBl und ThLZ zu erwirken suchte,
was ihm auch gelang. Deshalb trat er als Mitherausgeber der ThLZ bei. Doch mit
dem Heft 11/12 1944 widerfuhr auch der ThLZ das Schicksal ihrer Beendigung.
Ernst Sommerlath widmete sich nach seiner Berufung 1926 zügig der Erstellung
der Hauptvorlesungen der Dogmatik und der Ethik, die er beide vierstündig
pro Woche anbot. Mit ihm zusammen wirkte in der Systematischen Theologie
der liberalere Horst Stephan (1873-1954). Näher standen ihm insbesondere der
Alttestamentler Albrecht Alt (1883-1956) und der Neutestamentler Albrecht
Oepke, aber auch der Missionswissenschaftler Carl Ihmels (1888-1967) –
Sohn des einstigen Landesbischofs. Mit Alfred Dedo Müller verband ihn die
Verantwortung für den Universitätsgottesdienst. Als 1943 durch das DezemberBombardement die römisch-katholische Propsteigemeinde in Leipzig ihr
Gotteshaus verlor, öffnete er zusammen mit Alfred Dedo Müller bereitwillig
die Pforten der Universitätskirche und gewährte der heimatlosen Gemeinde
Gastrecht, was diese auch bis zur böswilligen Zerstörung dieser Kirche durch
die kommunistische Staatsmacht am 30. Mai 1968 gern wahrnahm. Gewachsen
war diese Bereitschaft bei ihm durch die frühe Beteiligung an einer Leipziger
ökumenischen Gesprächsgruppe mit Namen „Una-Sancta-Kreis“, den
Universitätstheologen mit Mitgliedern des Oratoriums des hl. Philipp Neri seit
Anfang der dreißiger Jahre bildeten.
Unbedingt erwähnenswert ist Sommerlaths Bemühung um ein eigenes
Lutherverständnis, das sich in nicht wenigen seiner Veröffentlichungen
niederschlug und das ihm vor allem die Übernahme der Vorlesung „Theologie
Luthers“ bescherte, die an der Leipziger Fakultät bereits seit dem 19. Jahrhundert
neben der seit Theodor Brieger (1842-1915) in der Kirchengeschichte etablierten
Lutherforschung traditionell von Systematischen Theologen angeboten wird.
Dass er dennoch nicht mit der beinahe gleichzeitigen Luther-Renaissance Karl
Holls (1866-1926) und anderer übereinstimmte, hatte seinen Grund vor allem in
seinem Geschichtsverständnis.
27
Eng verbunden und durch Carl Stange hinzuberufen, widmete sich Sommerlath
der Arbeit der im Jahr 1932 begründeten Lutherakademie Sondershausen, der
die verwitwete Fürstin Anna Luise (1871-1951) den leerstehenden Westflügel
des Schwarzburger Schlosses zu Sondershausen öffnete. Hier entfaltete die
Lutherakademie als wissenschaftliches Forum des deutschen Protestantismus
ein internationales Renommee, das durch Vorträge bedeutender Wissenschaftler
Bereicherung erfuhr, unteranderem auch durch Max Planck (1858-1947)
und Emil Abderhalden (1877-1950). Sommerlath wurde später Senator der
Lutherakademie.
Nicht unbedeutsam waren seine Erkenntnisse um Luther und um das
Verständnis der Geschichte für seine Stellung im Kirchenkampf. Gewiss war
er nicht Angehöriger der Bekennenden Kirche, wie er überhaupt sich von
kirchenpolitischen Parteiungen fernhielt, jenseits einer gleichgültigen Haltung.
Zur Bekennenden Kirche, die besonders stark in theologisch-reformiert
dominierten Milieus Deutschlands zu Hause war, fühlte er sich aus konfessioneller
Sicht nicht hingezogen. Unter den Kollegen der Leipziger Fakultät bestand keine
Einigkeit in der Beurteilung der nationalsozialistischen Ideologie. Da dieses
Kapitel unbedingt noch einer sachkundigen Bearbeitung harrt, sei dem auch
nicht vorgegriffen. Einige wenige erste Erkenntnisse sind erst in neuerer Zeit ans
Licht gefördert worden. So viel kann aber gesagt werden: Ernst Sommerlath hielt
sich – wie auch unter dem späteren Regime – politisch bedeckt, um so intensiver
die ihm aufgetragene theologische Thematik zu bearbeiteten. Womöglich mochte
ihm eine frühe Ahnung der kommenden Katastrophe diese Zurückhaltung
auferlegt haben, die sich nicht erst nachträglich als richtig erwies. Im familiären
Kreise war es Sommerlaths Frau, die ihre Kinder während des Heranwachsens
aufmerksam machte und sensibilisierte für die Ungeheuerlichkeiten des NSRegimes; Tochter und Sohn im Gedächtnis geblieben sind wesentliche Termine
wie die Reichskristallnacht und natürlich Stalingrad, die ihnen die Mutter kritisch
erläuterte. Sommerlath selbst ließ seine Frau selbstverständlich gewähren
und richtete sein eigenes Verhalten nach Erkenntnissen aus, die er bei Luther
fand; danach sei es nicht Aufgabe des Christen, eine widergöttliche und böse
Obrigkeit zu bekämpfen oder gar zu stürzen, sondern sie in dem Bemühen um
Durchsetzung eines letzten Restes von Ordnung unter Menschen – aus dem
Bedürfnis eigener Machtsicherung motiviert – durchaus ernst zu nehmen, als
Christ aber die auferlegte Ungerechtigkeit zu erdulden. Dass eine solche Haltung
freilich viel zu wenig oder gar nicht die reale Situation Verfolgter und Bedrohter
in den Blick bekam, ist zur damaligen Zeit nicht allen wirklich bewusst
geworden und hat später auch in der lutherisch-theologischen Ethik zu radikalen
Veränderungen des Denkens geführt. Sommerlaths eigene Erkenntnis führte ihn
28
im Rückblick auf das Dritte Reich zu der kritischen Bemerkung, die ebenso dem
inzwischen herrschenden kommunistischen Regime galt, dass „die menschlichen
Rechts- und Verfassungsformen sowie andere Ordnungen auf die Erfüllung der
Dauerordnungen Christi ausgerichtet sein müssen und je nach der größeren
oder geringeren Nähe zu ihnen größere oder geringere Autorität besitzen“.
Indes verstärkte Sommerlath seine seelsorgerlichen Bemühungen um ehemalige
Schüler und Studenten, die in immer größerer Zahl in den Krieg ziehen mussten,
indem er durch unendlich viele Briefe ihnen Ermutigung zukommen ließ und sie
zum christlichen Erleiden ihrer Situation ermahnte. Zwischen 1939 und 1945
diente er als Standortpfarrer der Wehrmacht in Leipzig.
Nach dem Ende des Krieges gehörte Sommerlath zu den aktiven Hochschullehrern
beim Wiederaufbau der Universität Leipzig und ihrer Theologischen Fakultät,
die durch die Zerstörung der Hauptgebäude zwischen Universitätsstraße und
Augustusplatz ihre angestammte Lokalität im Universitätsgefüge verloren und
inzwischen im ehemaligen Leipziger Amtsgericht am Petersteinweg Unterkunft
gefunden hatte. Von 1949-1951 war Sommerlath Dekan der Fakultät. Theologisch
bestimmend wurden für die nächsten Jahrzehnte für ihn zwei Schwerpunkte: der
eine betraf ihn zunächst nur am Rande, indem Kurt Aland unter Sommerlaths
Mitwirkung mit dem Juliheft 1947 die Theologische Literaturzeitung wieder
herauszugeben begann.
Die andere Herausforderung lag in seiner Mitgliedschaft der
Abendmahlskommission, die auf der Konferenz der „Evangelischen Kirche
in Deutschland“ (EKD) von Treysa 1947 beschlossen und eingesetzt worden
ist. Diese sollte sich um einen Lehrkonsens bemühen. Die nach dem letzten
Tagungsort beschlossenen so genannten Arnoldshainer Abendmahlsthesen aus
dem Jahr 1957 wollen das sagen, „was Theologen lutherischen, reformierten
und unierten Bekenntnisses innerhalb der EKD, bestimmt durch den Ertrag der
neueren exegetischen Arbeit am NT, heute auf die Frage nach Wesen, Gabe und
Empfang des Heiligen Abendmahls gemeinsam antworten können“ (Proeomium).
Von 20 Theologen verweigerte allein Ernst Sommerlath die Unterschrift unter
dieses Dokument, und auch der ihm nahestehende Peter Brunner (1900-1981)
aus Heidelberg vermochte ihn in keiner Weise zu einer Unterschrift zu bewegen.
Der Grund für seine Ablehnung lag in der Tatsache, mit dem neuen Dokument
keineswegs zur Einheit in der Lehre auf der Grundlage ein und desselben
Bekenntnisses beizutragen, zumal ihm die Betonung des eschatologischen
Bezuges zu stark die Beziehung des Abendmahls auf den Tod Jesu und die
Gegenwart des Heils zurücktreten ließ.
29
Zu einer gewissen Wiederholung seiner Ablehnung kam es im Zusammenhang
mit der Erarbeitung und Veröffentlichung der „Leuenberger Konkordie“ 1972/73.
Dazu verfasste er – bereits im Alter von 84 Jahren – einen ausführlichen kritischen
Beitrag, den er als „Anfragen zum Leuenberger Konkordienentwurf“ deklarierte
und der zugleich so etwas ist wie ein Testament seines theologischen Denkens
und Arbeitens.
Seit 1947 hatte Sommerlath an der Herausgabe der ThLZ mitgewirkt, die
von J. C. Hinrichs in die 1946 gegründete Evangelische Verlagsanstalt Berlin
übergegangen war. Die Herausgeberarbeiten besorgte Kurt Aland (1915-1994)
von Halle und Berlin aus. Im laufenden Jahrgang kam es 1958 zu einer
folgenschweren Veränderung; doch gibt es wegen der politischen Brisanz
dazu keine Erklärung: auffällig war nur, dass ab Heft 6 Ernst Sommerlath als
alleiniger Herausgeber in Vertretung fungiert. Der Grund dafür lag in Kurt Alands
Flucht nach Westdeutschland, die ihm nach immer stärkeren Behinderungen
seiner Arbeit durch staatliche Behörden als einzig möglicher Ausweg
erschien. Mit wesentlicher Unterstützung von Ernst-Heinz Amberg (* 1927),
Ulrich Kühn (* 1932) und einem Redaktionsausschuss ließ er sich – selbst schon
über 70 Jahre alt – auf die Übernahme der Herausgeberschaft ein. Die folgenden
Jahre waren von immer stärkerer Belastung geprägt, die das Publikationswesen in
der DDR im allgemeinen, die Produktion einer theologischen Rezensionszeitschrift
im besonderen betraf. Besondere Hilfe erfuhr Ernst Sommerlath durch E.-H.
Amberg, der immer stärker in die Verantwortung gezogen wurde. Von Heft 10, 1971
an fungierte Amberg denn auch als Mitherausgeber und zeichnete verantwortlich
für die Redaktion. Unter beider Herausgeberschaft konnte die ThLZ 1975 ihren
100. Jahrgang feiern. Im Gedächtniswort, das die ThLZ 1983 nach seinem
Tode veröffentlichte, wird Sommerlath als Vertreter eines gesprächsoffenen
Luthertums gewürdigt; Eindeutigkeit in der Sache und Güte im mitmenschlichen
Umgang kennzeichneten seine Persönlichkeit (Gedächtnis). Erwähnung finden
muss auch, dass die ThLZ in den Jahrzehnten bis 1990 mit Problemen zu kämpfen
hatte, die in vielem denen der Theologischen Fakultäten, auf dem Boden der
DDR glichen. Dazu bedurfte es der Klugheit und Findigkeit und der Kunst des
Ausbalancierens der oft genug sich widersprechenden Interessen. Sommerlath
hat bis zu seinem Heimgang an diesem fortwährenden Überlegen nach Maßgabe
seiner Kräfte teilgenommen.
Im Umfeld seines 70. Geburtstages 1959 wurde Sommerlath vom Staatssekretariat
für Hochschulwesen der DDR unter Hinweis auf die notwendige Verjüngung
des Lehrkörpers der Leipziger Fakultät in den Ruhestand verabschiedet, was
einer zwangsweisen Entfernung gleichkam, stand er doch als ordentlicher
30
Professor noch unter den rechtlichen Bedingungen einer einzelvertraglichen
Regelung. Dennoch las Sommerlath weiterhin mit großem Erfolg das gesamte
Lehrprogramm.
Im Jahr 1963 nahm Sommerlath an der Vierten Vollversammlung des Lutherischen
Weltbundes in Helsinki teil und wurde von der Universität Helsinki mit dem
theologischen Ehrendoktor geehrt. 1968 folgte der D.D. (Doctor of Divinity)
von Greenville/PA (USA). Seine aller fünf Jahre in bestimmter Öffentlichkeit
begangenen hohen Geburtstage führten zu vielfältigen Würdigungen, 1959
insbesondere durch eine Festschrift „Bekenntnis zur Kirche“. Mit Freude folgte
er der Einladung zum Traugottesdienst des schwedischen Königspaares 1976
nach Stockholm, bei der er auf Bitte der Königin, seiner Nichte, während der
Zeremonie den 23. Psalm in der deutschen Übersetzung Luthers las.
Ernst Sommerlath hat selten eine Funktion, in die er berufen wurde und die nicht
ohnehin zeitlich begrenzt war, von sich aus beendet. Das stellte gelegentlich
auch vor Probleme. Doch mochte seine Einstellung der Verknüpfung von Pflicht
und Neigung ihm solches verbieten. Das betraf manche Aufgaben, von denen
schon die Rede war; hinzuzufügen wäre noch seine vielfältigen Mitgliedschaften
in kirchlichen Gremien.
Als Ernst Sommerlath am 4. März 1983 starb, stand er im 94. Lebensjahr. Noch
wenige Monate zuvor hatte er ein Gutachten zu einer theologischen Promotion
erstellt. Auf den Dank für die Glückwünsche zu seinem 90. Geburtstag ließ er das
Lutherwort aufdrucken, das für sein Denken charakteristisch war: Non agimus,
sed agimur.
Martin Petzoldt
Literatur:
Ernst-Heinz Amberg, Ernst Sommerlath und die Theologie des 20. Jahrhunderts,
in: ThLZ 114,1989, Sp.865-874.
Eckhard Lessing, Geschichte der deutschsprachigen evangelischen Theologie
von Albrecht Ritschl bis zur Gegenwart, Band 2: 1918-1945. Göttingen 2004,
S. 86-89.
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Albrecht Oepke, Zum 60. Geburtstag Ernst Sommerlaths, in: ThLZ 74,1949,
Sp.49.
Martin Petzoldt, Gründung und Entwicklung der Theologischen Literaturzeitung
und die Mitarbeit von Leipziger Universitätstheologen, in: Die Theologische
Fakultät der Universität Leipzig. Personen, Profile und Perspektiven aus sechs
Jahrhunderten Fakultätsgeschichte, hrsg. von Andreas Gößner unter Mitarbeit
von Alexander Wieckowski. Leipzig 2005, S. 350-369.
Ernst Sommerlath zum Gedächtnis, ThLZ 108, 1983, Sp. 401-402.
32
Carl Friedrich Hindenburg
Zum 200. Todestag am 17. März 2008
Carl Friedrich Hindenburg (1741-1808) gründete als Ordinarius in der
Buchstadt Leipzig die erste mathematische Fachzeitschrift der Welt. Er
gestaltete sie zu einem Forum seiner kombinatorischen Schule, die längere
Zeit die akademische Mathematik in Deutschland prägte.
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Am 13. Juli 1741 wurde Carl Friedrich Hindenburg in Dresden geboren. Sein
Vater, der Kaufmann Johann Gottlieb Hindenburg, ließ ihn zunächst durch
Hauslehrer unterrichten, bevor er ihn auf das Gymnasium in Freiberg brachte. An
der Universität Leipzig sollte er sich der „Arzneiwissenschaft“ widmen. Er ließ
sich am 21. Mai 1757 in die Matrikel einschreiben und besuchte Vorlesungen bei
den Professoren der Anatomie und Chirurgie, Therapie bzw. Physiologie Christian
G. Ludwig (1709-1773), Johann G. Jancke (1724-1773) und Ernst G. Bose
(1723-1788). Der Dekan der medizinischen Fakultät, Ludwig, war mit seinem
berühmten Vorgänger Johann Ernest Hebenstreit (1703-1757) im Auftrag des
Kurfürsten von Sachsen 1731 als Naturforscher in Afrika und beeindruckte mit
einer naturwissenschaftlichen Beobachtung der Lebensvorgänge. Anfänge einer
Experimentalwissenschaft in der Verbindung von empirischer Betrachtungsweise
und Wolffschem Rationalismus erlebte Hindenburg in den Veranstaltungen des
Professors der Physik Johann Heinrich Winkler (1703-1770), der zum Zwecke
der Demonstration eine physikalische Sammlung aus Instrumenten und Modellen
aufbaute und einsetzte. Eine weitere Form der Auswertung von Beobachtungen
lernte Hindenburg bei dem Astronomen und Professor der Mathematik Gottfried
Heinsius (1709-1769) kennen.
Zur eigenen wissenschaftlichen Arbeit wurde Hindenburg durch die Professoren
Johann August Ernesti (1707-1781) und Christian Fürchtegott Gellert (17151789) angeregt, die über Dichtkunst, Beredsamkeit und Moral lasen. Seine ersten
beiden Veröffentlichungen waren der Philologie der alten Sprachen verpflichtet.
So untersuchte er textkritisch noch 1763, im letzten Jahr an der Universität,
Musaios Epos „Hero und Leander“, das bereits Christopher Marlowe (15641593) bearbeitet hatte und nach Friedrich Schillers Ballade zu Franz Grillparzers
Liebestragödie „Das Meer und der Liebe Wellen“ emporstieg. Hindenburgs
Studienzeit im preußisch besetzten Leipzig endete gleichzeitig mit dem
Siebenjährigen Krieg und er musste sich als Hauslehrer verdingen. Trotz neuer
Aufgaben, die gleich erörtert werden sollen, blieb er auch der Philologie treu und
publizierte 1769 eine Arbeit über Xenophons „Memorabilien“, wofür er großes
Lob bei Ernesti erntete und den Weg zum Magisterium in Leipzig bereitete, das
er am 14. Februar 1771 mit dem Titel Magister artium diplomaticus erhielt.
Das alte Landadelsgeschlecht derer von Schönberg Meißnischen Stammes
besaß früher beträchtliche Ländereien um Freiberg herum und Wälder längs
der Freiberger Mulde bis hin zum Erzgebirgskamm. Der durch die Zeitläufte
dezimierte Landbesitz verstärkte den Druck auf die Söhne, eine akademische
Bildung zu erwerben. Gellert pflegte wohl Beziehungen zur Familie des
Oberberghauptmannes Kurt Alexander von Schönberg auf Oberschöna und
34
empfahl Hindenburg als Hofmeister. Dieser bereitete den Sohn Curt Friedrich
auf ein Studium der Mathematik und Naturkunde vor, das jener 1769, knapp zehn
Jahre alt, in Leipzig begann. Durch den Vorlesungsbesuch mit seinem Zögling
kam er in persönlichen Kontakt mit dem Nachfolger von Heinius in Leipzig, den
durch Christian Wolff in Halle geschulten Georg Heinrich Borz (1714-1799).
Dieser half ihm, von der Literatur der alten Griechen abzurücken und neue
Felder zu erschließen. Curt Friedrich von Schönberg war ein mathematisches
Wunderkind. Mit zwölf Jahren veröffentlichte er seine erste Arbeit über
Kegelschnitte, nach Hindenburgs Bearbeitung der Algebra von Kästner. 1777 ging
er mit seinem Mentor nach Göttingen, um bei diesem berühmten Mathematiker
Abraham Gotthelf Kästner (1719-1800) zu studieren. Mit 18 Jahren wurde er
an der Universität Leipzig zum Magister artium promoviert. Hindenburg selbst
veröffentlichte in Göttingen zwei grundlegende Arbeiten zur Kombinatorik,
wurde 1779 in deren Königliche Societät aufgenommen und begann mit dem
Sommersemester 1780 ein umfangreiches Vorlesungsprogramm zur Mathematik
in Leipzig aufzubauen. Bereits 1781 wurde er als außerordentlicher Professor der
Philosophie an der Universität Leipzig vereidigt.
Der Unterricht in reiner und angewandter Mathematik oblag bisher in erster
Linie den beiden Ordinarien, dem schon betagten Borz für Mathematik und
Christian Benedict Funk (1736-1786) für Physik. Hindenburg kam durch
die Lehrveranstaltungen mit Funk in engeren Kontakt und war mit ihm und
dem Professor der Oekonomie Gottfried Nathan Leske (1712-1786) von
der Notwendigkeit eines wissenschaftlichen Publikationsorgans überzeugt.
Zusammen mit der „Buchhandlung der Gelehrten“ brachten sie 1781 eine
neue Zeitschrift heraus und fungierten zu dritt als Herausgeber des „Leipziger
Magazin zur Naturkunde, Mathematik und Oekonomie.“ Dabei ließen sie eigene
Arbeiten über Akustik, Landwirtschaft und Geometrie drucken, aber auch fremde
Beiträge über Meteorologie, Geographie und Rezensionen neuer Bücher. Durch
den plötzlichen Tod beider Mitherausgeber ergab sich für Hindenburg eine neue
Situation, aus der er durch Reduktion der Fachgebiete der Zeitschrift auf die
Mathematik und durch Gewinnung des Direktors der Berliner Sternwarte, Johann
Bernoulli (1744-1807), als prominenten Mitherausgeber Vorteil ziehen konnte.
Er redigierte ab 1786 dieses „Leipziger Magazin für reine und angewandte
Mathematik“ und nutzte es zur Diskussion seiner kombinatorisch-analytischen
Forschungen. Das war das erste wissenschaftliche Journal der mathematischen
Wissenschaften. Es wurde aufgewertet durch Arbeiten von Kästner aus Göttingen
und nachgelassenen Schriften von Johann Heinrich Lambert (1728-1777), den
beiden bedeutendsten deutschen Mathematikern der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts.
35
Das Ableben von Funk brachte Hindenburg die ordentliche Professur für
Physik an der Philosophischen Fakultät. Seine bisherigen Bewerbungen auf ein
vakantes Ordinariat in den Geisteswissenschaften wurden mehrmals abschlägig
beschieden, da er als Mathematiker gebraucht wurde und als Nachfolger von
Borz vorgemerkt war. Da dieser aber nicht abtreten wollte, wurde Hindenburg
für das nun freie Physik-Ordinariat erwählt, obwohl er bisher keine Forschung
auf diesem Gebiet betrieben hatte. Mit einer Arbeit über Wasserpumpen wurde er
nachträglich für Physik habilitiert. Er setzte die von seinen Vorgängern Winkler
und Funk begonnene Etablierung der Experimentalphysik auf dem Gelände des
Dominikanerklosters fort, das 1543 vom Landesherrn der Universität übereignet
worden war. So ließ Hindenburg den primitiven Physikhörsaal, den Funk aus
vier ehemaligen Klosterzellen des Paulinums notdürftig eingerichtet hatte,
zweckmäßig ausbauen, um dort auch optische Versuche vorzuführen. Die für die
Experimente erforderlichen physikalischen Instrumente waren in Nebenräumen
untergebracht, die Hindenburg zur besseren Aufbewahrung durch Schränke
ausstatten und später die physikalische Sammlung aus eigenen Mitteln erweitern
konnte.
Seit dem Sommersemester 1782 hielt Hindenburg regelmäßig Vorlesungen über
Astronomie. Allerdings fehlten in Leipzig die Möglichkeiten zu systematischer
Himmelsbeobachtung. Die Vorstellungen der Universität führten im Oktober
1786 zu einem amtlichen Bescheid des Kurfürsten, den Turm der Pleißenburg
zu einer Sternwarte einzurichten. Der von den Professoren Borz und Hindenburg
vorgelegte Entwurf wurde mit einem von Stadtbaudirektor Dauthe geleiteten
Umbau realisiert. Der Hindenburg-Schüler Christian Friedrich Rüdiger (17601809), zum Observator und Extraordinarius 1791 ernannt, übernahm die der
Universität 1794 übergebene Sternwarte und begründete mit seinen Nachfolgern
Carl Brandan Mollweide (1774-1825) und August Ferdinand Möbius (17901868) den ausgezeichneten Ruf der Leipziger Astronomie im 19. Jahrhundert.
Innerhalb der Universitätshierarchie hat Hindenburg viele Ämter bekleidet. 1790
fungierte er als Dekan der Philosophischen Fakultät, 1791 wurde er zum Rektor
der Universität gewählt, 1793 Kollegiat des kleinen Fürstenkollegiums, 1794
Procancellarius, seit 1798 Kollegiat des großen Fürstenkollegiums. Er gehörte
zu den hervorragenden Mitgliedern der Fürstlich Jablonowskyschen Societät
der Wissenschaften und war Ehrenmitglied der Churfürstlichen Sächsischen
Leipziger ökonomischen Gesellschaft.
Hindenburg war äußerst vielseitig. So schrieb er verschiedene lateinische
Gelegenheitsgedichte und unterzog sich im Auftrag der Philosophischen Fakultät
36
der „Beantwortung der Frage: ob das neunzehnte Jahrhundert mit dem ersten Januar
1800 oder mit dem ersten Januar 1801 nach unserer Kalenderrechnung anfange?“
Wirklich bedeutend wurde Hindenburg als Begründer der „kombinatorischen
Schule“. Ideen des großen Polyhistors Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716),
die dieser in seiner Leipziger Dissertation „Ars combinatoria“ angedeutet hatte,
griff er auf und entwickelte daraus neue Ansätze zu Strukturen und Verfahren,
die insbesondere für Algebra und Analysis erfolgversprechend waren. Diese
Forschungsrichtung wurde von seinen Studenten und Mitarbeitern Hieronymus
Christoph Wilhelm Eschenbach (1764-1797) und Heinrich August Rothe (17731842) ausgebaut. Der wissenschaftliche Austausch mit Fachkollegen außerhalb
Leipzigs auf diesem speziellen Gebiet wurde von Hindenburg organisiert durch
Gründung der Fachzeitschrift „Archiv der reinen und angewandten Mathematik“
im Jahre 1795, die auch das 1789 eingestellte Leipziger Magazin fortsetzte,
außerdem durch die Herausgabe einer Bücherserie „Sammlung combinatorischanalytischer Abhandlungen“, von der der erste Band 1796 erschienen ist. Die
Mitwirkung namhafter Mathematiker wie Kästner (Göttingen), Christian Kramp
(Köln), Johann Wilhelm Pfaff (Helmstedt), Georg Simon Klügel (Halle), Johann
Nicolaus Tetens (Kopenhagen) bekundete das allgemeine Interesse und führte
zu entsprechenden mathematischen Fortschritten. Doch die Kriegsunruhen,
verbunden mit dem Einfuhrverbot von Büchern und Zeitschriften nach Russland,
zwangen die Schäfersche Buchhandlung, Hindenburgs Archiv mit dem elften
Heft einzustellen. Die Sammlung dagegen wurde 1800 mit dem zweiten Band
fortgesetzt. Das Buch „Über combinatorische Analysis und Derivations-Calcul“
(der vorgesehene dritte Band) wurde vom Schwickertschen Verlag 1803 noch
herausgebracht. Es bildet in der Auseinandersetzung mit einer Arbeit des
französischen Mathematikers Burmane das abschließende Werk von Hindenburg.
Internationale Anerkennung erhielt Hindenburg zu Lebzeiten durch die Aufnahme
in die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften zu Sankt Petersburg.
Nach Hindenburgs Tode wurden seine Forschungsergebnisse aufgearbeitet,
in einer umfangreichen Lehrbuchliteratur in Deutschland verbreitet und der
Mathematikunterricht in den Schulen befruchtet. Wenn auch Cauchy (1789-1857)
und Weierstraß (1815-1897) eine moderne Analysis schufen und die algebraische
Analysis stark zurückdrängten, Hindenburgs Grundlagen der Kombinatorik
haben in der diskreten Mathematik weiter Bestand.
Hans-Joachim Girlich
37
Literatur:
Hans Niels Jahnke: Mathematik und Bildung in der Humboldtschen Reform.
Göttingen 1990. III. Die Kombinatorische Schule. S. 161-232.
Wolfgang Schreier: Die Physik an der Leipziger Universität bis zum Ende des
19. Jahrhunderts. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität
Leipzig, Math.-Naturw. Reihe, 34 (1985), 5-19.
Stimmel: Karl Friedrich Hindenburg. In: Allgemeine Encyklopädie der
Wissenschaften und Künste, herausgegeben von Ersch und Gruber. Zweite
Section H-N. Leipzig 1831. S. 252-253.
Im WebOPAC der Universitätsbibliothek Leipzig sind unter dem Autor
Carl Friedrich Hindenburg 20 verfügbare Titel eingetragen.
38
Hans Meyer
Zum 150. Geburtstag am 22. März 2008
Der Kolonialgeograph, Verleger und Forschungsreisende Hans Meyer
(1858-1929) erkundete auf mehreren Expeditionen die deutschen Kolonien
in Afrika und bestieg als erster Mensch den Kilimandscharo. In Leipzig
lehrte er an der Universität und förderte die Museen für Völkerkunde und
für Länderkunde.
39
Als Hans Meyer im fortgeschrittenen Alter von 57 Jahren 1915 einen Ruf auf
die neubegründete Professur für Kolonialgeographie und Kolonialpolitik an
der Universität Leipzig annahm, konnte er bereits auf ein überaus erfolgreiches
Leben zurückblicken.
Er stammte aus einer berühmten Verlegerfamilie. Das „Bibliographische Institut“
(BI) hatte seinen Verlagssitz seit 1874 in der Buchmetropole Leipzig. Sein
Vater Herrmann Julius (1826-1909) legte die Firmenleitung 1884 in die Hände
seiner Söhne und widmete sich fortan sozialpolitischen Aufgaben („Meyersche
Häuser“). Drei Jahrzehnte stand Hans Meyer mit seinen Brüdern an der Spitze
des BI, das sich in dieser Zeit zu einem Weltunternehmen entwickelte.
Nachdem er sein Studium an der Universität Straßburg 1881 mit einer
nationalökonomischen Dissertation bei Gustav Schmoller abgeschlossen
hatte und bevor er in die Verlagsleitung eintrat, unternahm er eine zweijährige
Weltreise. Während dieser Reise, auf der er in Südostasien erste völkerkundliche
Untersuchungen vornahm, wuchs in ihm das Interesse an der Geographie und
an der Kolonialpolitik, deren unterschiedliche Ausprägungen er kennen gelernt
hatte. Nachdem Carl Peters für die von ihm im Auftrag der „Gesellschaft für
deutsche Kolonisation“ „erworbenen“ Gebiete in Ostafrika am 27. Februar 1885
einen kaiserlichen Schutzbrief erhalten hatte, entschloss sich Meyer zu einer
Afrikareise. Das Hinterland des neuen „Schutzgebietes“ war noch weitgehend
unbekannt, als er sich Ende 1886 auf den Weg machte. Einen besonderen Reiz
übte auf ihn der Kilimandscharo aus, der seit seiner „Entdeckung“ 1848 durch
zwei württembergische Missionare in der europäischen Öffentlichkeit für viel
Diskussionsstoff gesorgt hatte und an dem bisher alle Besteigungsversuche
gescheitert waren. 1887 schloss sich Meyer einer Expedition der DeutschOstafrikanischen Gesellschaft (DOAG) in das Kilimandscharo-Gebiet an. Trotz
mangelhafter alpinistischer Ausrüstung und im letzten Teil im Alleingang drang
er in zuvor nicht erreichte Höhen vor, bis zum Rand der Gletscherkappe in über
5.000 m Höhe. Die Erforschung dieses höchsten afrikanischen Berges sollte für
Meyer zur großen wissenschaftlichen Herausforderung seines Lebens werden,
die Bezwingung seines Gipfels galt ihm als „nationale Pflicht“.
Bereits im darauf folgenden Jahr startete er einen erneuten Versuch. Dieses
Mal bereitete sich Meyer akribisch auf seine Forschungsreise, die ihn von
der Küste bis zum Victoriasee führen sollte, vor. Er organisierte eine große
Expeditionskarawane mit über 200 Trägern und Askaris und wählte den
österreichischen Geographen Oscar Baumann (1864-1899) als Begleiter aus.
Doch bereits in den Usambarabergen endete dieses Unternehmen abrupt. An der
40
Küste war ein Aufstand gegen die DOAG („Araber-Aufstand“) ausgebrochen,
der sich bald auf das Hinterland ausdehnte und zur Auflösung der Karawane
führte. Meyer und Baumann gerieten in die Gefangenschaft Buschiri bin
Salims und gelangten erst nach Zahlung einer hohen Lösegeldsumme wieder in
Freiheit. Der dritte Versuch sollte endlich den ersehnten Erfolg bringen. Im Juli
1889 brach Meyer gemeinsam mit dem erfahrenen österreichischen Alpinisten
Ludwig Purtscheller (1849-1900) zu seiner dritten Ostafrika-Expedition auf.
Dieses Mal wählte die Expedition den Weg durch britisches Gebiet zum Fuße
des Kilimandscharo-Massifs, wo er Unterstützung durch die Djagga-Häuptlinge
Mandara von Moshi und vor allem Mareale von Marangu fand, den er bereits
1887 kennen gelernt hatte. Am 28. September 1889 begann der Aufstieg auf
den Kibo, und am 6. Oktober standen Meyer und Purtscheller auf dem höchsten
Punkt Afrikas, den Meyer in einem Akt mit großer nationaler Symbolik „KaiserWilhelm-Spitze“ taufte (seit 1962 offiziell Uhuru-Peak = „Freiheitsspitze“).
Mit dieser Erstbesteigung wurde Meyer weltweit bekannt und in Deutschland
überaus populär. Zahlreiche geographische und koloniale Vereine ernannten
ihn zum Ehrenmitglied. Noch ein weiteres Mal führte ihn der Weg zu „seinem“
Berg: 1898 umkreiste er gemeinsam mit dem Münchner Landschaftsmaler
Ernst Platz (1867-1940) den Kilimandscharo, wobei dieses Mal noch stärker
die wissenschaftliche Erforschung des Hochgebirges im Vordergrund stand.
Insbesondere verfolgte Meyer glaziologische und vulkanologische Fragen; seine
Gletscherbeobachtungen, Kartierungen und trigonometrischen Messungen waren
lange Zeit in der Forschung maßgebend.
Als ökonomisch denkender Verleger, der die Bedeutung des Buches als
Massenmedium genau kannte, war er darauf bedacht, seine Forschungsreisen
publikumswirksam zu vermarkten. Von seinen Reisen veröffentlichte er auf der
Basis seiner Tagebuchaufzeichnungen umfangreiche, allgemeinverständliche
Berichte; darüber hinaus hielt Meyer, wie kaum ein anderer Geograph,
zahlreiche Vorträge im In- und Ausland. Als einer der ersten setzte er gezielt die
Fotografie zur systematischen Dokumentation seiner Forschungsergebnisse ein,
wusste aber auch die Vorzüge des Landschaftsgemäldes und der Zeichnung als
Illustrationsmittel gezielt einzusetzen.
Um seine Beobachtungen und Erkenntnisse am Kilimandscharo vergleichen
zu können, unternahm Meyer weitere Forschungsreisen in andere vulkanische
Hochgebirge: 1894 reiste er auf die Kanareninsel Teneriffa, wo er den höchsten
Berg, den Pico de Teide (3.718 m) bestieg. 1903 führte ihn der Weg in die
südamerikanischen Kordilleren. Gemeinsam mit dem Münchner Maler Rudolf
41
Reschreiter (1868-1938) hielt er sich ein halbes Jahr in Ecuador auf und
erforschte die höchsten Vulkanberge (Chimborazo, Cotopaxi, Antisana, Cerro
Altar, Carihuairazo und andere). Eine letzte große Reise brachte ihn 1911
wiederum nach Deutsch-Ostafrika, dieses Mal allerdings in das noch kaum
erforschte zentralafrikanische Zwischenseengebiet von Ruanda und Urundi.
Auch hier stand der teilweise noch aktive Vulkanismus des Virungagebietes im
Mittelpunkt seines Interesses, daneben völkerkundliche Studien.
Die Gesellschaft für Erdkunde zu Leipzig, der er mehrfach zwischen 1892
und 1922 vorstand und die er auch finanziell unterstützte, verlieh ihm die
Eduard-Vogel-Medaille (1912) und wählte ihn zum Ehrenvorsitzenden. 1908
wurde Meyer zum Sächsischen Geheimen Hofrat ernannt, die Sächsische
Akademie der Wissenschaften wählte ihn 1925 zum ordentlichen Mitglied
der Mathematisch-Physikalischen Klasse. Die Universität Gießen verlieh ihm
1907 die philosophische Ehrendoktorwürde, bereits seit 1899 durfte er den
Professorentitel führen.
Obwohl reiner Autodidakt, war er auch in wissenschaftlichen Kreisen angesehen,
als er die Professur an der Leipziger Hochschule antrat. In der Bezeichnung seiner
Venia wird bereits deutlich, dass sich Meyer nicht nur wissenschaftlich, sondern
auch politisch dem kolonialen Gedanken im Deutschen Reich verschrieben
hatte. Auf seinen Ostafrikareisen hatte er die Missstände der deutschen
Kolonialverwaltung kennen gelernt. Ineffiziente Strukturen, unfähige Beamte
und fehlendes Einfühlungsvermögen gegenüber der afrikanischen Mentalität
prangerte er in seinen Schriften und Reden immer wieder an. Realistische
Einschätzungen der kolonialen Möglichkeiten unter tropischen Bedingungen und
wirtschaftliches Kalkül ließen ihn mehrfach in Kontrast zu den abenteuerlichen
Vorstellungen der Kolonialenthusiasten treten. Wie bei der Durchführung seiner
Reisen kam ihm auch bei seinen kolonialpolitischen Aktivitäten zu gute, dass er
finanziell völlig unabhängig war. Um seine kolonialen Vorstellungen publizistisch
verbreiten zu können, übernahm das Bibliographische Institut 1900 die Berliner
Tageszeitung „Tägliche Rundschau“, die Meyer zum Sprachrohr seiner kolonialen
Vorstellungen ausbaute. Besonders am Herzen lag ihm die wissenschaftliche
Erforschung der Kolonialgebiete als Voraussetzung kolonialwirtschaftlicher
Effizienz. Um diese zu intensivieren, verfasste er 1904 eine Denkschrift, in deren
Folge es ein Jahr später zur Gründung einer Landeskundlichen Kommission des
Kolonialrats (seit 1906 des Reichskolonialamtes) kam. Primäres Ziel dieser
Kommission, die unter Meyers Vorsitz stand, war die Aussendung und finanzielle
Unterstützung von Expeditionen zur wissenschaftlichen Erforschung deutscher
Kolonialgebiete und die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse. Bis zum
42
Ausbruch des Ersten Weltkriegs konnten auf diese Weise insgesamt acht große
Forschungsreisen durchgeführt werden.
Seine finanziellen Möglichkeiten nutzte Meyer nicht nur zur Durchführung
seiner eigenen Forschungsreisen, sondern er engagierte sich darüber hinaus als
Förderer sowohl im akademischen als auch im kulturellen Bereich: 1910 richtete
er eine Stiftung zur Besetzung einer kolonialgeographischen Professur an der
Berliner Universität ein. In Leipzig gehörte Meyer zu den wichtigsten Sponsoren
musealer Einrichtungen. Dem Museum für Völkerkunde und dem Museum für
Länderkunde schenkte er großzügige Sammlungen. Beide Leipziger Museen
ehrten ihn zum 70. Geburtstag 1928 mit einer Ausstellung „Afrika – Ostafrika“
im neuen Grassimuseum. Ein Jahr später, am 5. Juli 1929, starb Hans Meyer.
Sein umfangreicher Nachlass befindet sich im Leibniz-Institut für Länderkunde
und gehört dort zu den wertvollsten Beständen des Archivs.
Heinz Peter Brogiato
Literatur:
Bindseil, Reinhart: Ruanda im Lebensbild von Hans Meyer (1858-1929),
Erstbesteiger des Kilimandscharo, Forschungsreisender und Verleger. Ein
biographisches Porträt, mit Tagebuchaufzeichnungen aus dem Land der tausend
Hügel, einer Darstellung des Kivu-Grenzstreits (1885-1910) sowie Streiflichtern
zum Ersten Weltkrieg und dem Ende der deutschen kolonialen Präsenz. Berlin
2004
Brogiato, Heinz Peter (Hrsg.): Die Anden – Geographische Erforschung und
künstlerische Darstellung. 100 Jahre Andenexpedition von Hans Meyer und
Rudolf Reschreiter 1903. München 2003. (Wissenschaftliche Alpenvereinshefte;
37)
Volkmann, Else von: Hans Meyer. „Der Mann vom Kilimandjaro“. Verleger,
Forscher und Mäzen. München 2002 (Wissenschaftliche Alpenvereinshefte; 35)
43
Serban Titeica
Zum 100. Geburtstag am 27. März 2008
Der rumänische Physiker Serban Titeica (1908-1985) gehörte zu
den führenden theoretischen Physikern im 20. Jahrhundert. Er war
von 1930 bis 1934 Schüler von Werner Heisenberg in Leipzig.
Serban Titeica trug nach 1945 wesentlich zum Aufbau der Physik in seinem
Heimatlande bei.
45
Der rumänische Staatsangehörige Şerban Ţiţeica gehörte zu Heisenbergs
herausragenden Leipziger Schülern. 1934 promovierte er bei ihm mit der Arbeit
„Über die Widerstandsänderung von Metallen im Magnetfeld“. Die Arbeit galt
als grundlegend und bestätigte die experimentellen Ergebnisse Peter Kapizas für
starke Magnetfelder. In der mündlichen Prüfung bescheinigte ihn Heisenberg
„ausgezeichnete, völlig klar verstandene Kenntnisse“. Mit ebenso großem Erfolg
verliefen die Prüfungen in Mathematik bei Bartel L. van der Waerden und in
Geophysik bei Ludwig Weickmann.
Am 27. März 1908 wurde Şerban Ţiţeica als drittes Kind des Professors der
Mathematik George Ţiţeica und der Musikerin und Philologin Florica, geb.
Thierrin, einer gebürtigen Schweizerin, in Bukarest geboren. Nach dem Besuch
der Volksschule und des Gymnasiums seiner Heimatstadt, legte er 1926 die
Reifeprüfung ab. Anschließend studierte er von Herbst 1926 bis zum Sommer
1929 an der Universität Bukarest Mathematik, Physik und Chemie und schloss
mit dem Diplom ab. Daneben belegte er am Konservatorium Kurse bei dem
Komponisten Alfons Castaldi in Musiktheorie, Harmonie- und Kontrapunktlehre.
Ende der 1930er Jahre nahm er in Bukarest Musikunterricht bei der Pianistin
Silvia Şerbescu und galt bald selbst als guter Pianist. Entscheidend für seine
weitere Entwicklung waren die von Enrico Fermi 1929 in Bukarest gehaltenen
Vorlesungen über Atomphysik. Als Fermi hörte, dass Ţiţeica sich mit der
Quantentheorie beschäftigte, riet er ihm, bei Heisenberg in Leipzig sein Studium
fortzusetzen. Im Wintersemester 1930 kam er nach Leipzig und setzte das
Studium in den Fächern Physik, Mathematik und Geophysik fort. Zu seinen
herausragenden akademischen Lehrern rechnete Ţiţeica Werner Heisenberg,
Friedrich Hund, Bartel L. van der Waerden, Ludwig Weickmann, sowie
Felix Bloch und Bernhardt Haurwitz, beide Assistenten bei Heisenberg und
Weickmann. Nach 1933 mussten sie Deutschland aus so genannten rassischen
Gründen verlassen. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika nahmen sie
herausragende Stellungen ein.
Seit 1935 bis zu seinem Tode am 28. Mai 1985 in Bukarest forschte und
lehrte Titeica in seiner rumänischen Heimat. 1941 wird er zum Professor für
Theoretische Physik an die Universität Jassy berufen und von 1948 bis zu
seiner Emeritierung 1977 wirkt er an der Universität Bukarest. Im Mittelpunkt
seiner überaus erfolgreichen Lehre stand die Struktur der Materie. Daneben
las er zur klassischen Mechanik, Elektrodynamik, Quantenmechanik und zur
Thermodynamik. Sehr weit gefächert ist das Spektrum seiner wissenschaftlichen
Arbeiten. Ţiţeicas Forschungen reichten von der theoretischen Festkörperphysik
über die Kernphysik zur Elementarteilchenphysik. Er begründete die rumänische
46
Schule der Theoretischen Physik, die auch internationale Anerkennung erfuhr.
Von 1956 bis 1981 war Şerban Ţiţeica Mitglied des Wissenschaftlichen Rates
des Kernforschungszentrums in Dubna.
1951 heiratete Ţiţeica die Ärztin Maria-Marta Mişu die am Bukarester Institut
für Medizin und Pharmazie arbeitete. Ihre beiden Töchter haben gewissermaßen
den schöpferischen Zwiespalt, der ihrem Vater innewohnte, aufgelöst: Stefana
(* 1952) wird Konzertgeigerin und Maria (* 1955) arbeitet als Physikerin.
Şerban Ţiţeica war Mitglied und zeitweilig Vizepräsident der Rumänischen
Akademie der Wissenschaften sowie korrespondierendes Mitglied der
Akademien der Wissenschaften in Moskau und Prag. Zum auswärtigen
Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig wird er am
24. Oktober 1966 gewählt, nach der gutachterlichen Äußerung von Heisenberg,
die der Sekretar der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse, Rolf
Emmrich, Professor für Innere Medizin, eingeholt hatte:
Werner Heisenberg, Max-Planck-Institut für Physik und Astrophysik, München,
an Rolf Emmrich, Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, 18.
Oktober 1966:
Sehr geehrter Herr Kollege!
Sie fragen mich nach Herrn Prof. Dr. Şerban Ţiţeica, der vor etwa 35 Jahren
mein Schüler in Leipzig gewesen ist. Ich kann mich an Herrn Ţiţeica sehr gut
erinnern. Er war ein begabter theoretischer Physiker, der aktiv am Seminar und
an den wissenschaftlichen Diskussionen des Instituts teilgenommen hat, und er
hat damals mindestens eine gute wissenschaftliche Arbeit veröffentlicht. Seit
dieser Zeit habe ich seinen Lebensweg nicht verfolgen können; ich habe ihn aber
nach dem Krieg ein- oder zweimal auf Kongressen getroffen. Ţiţeica ist offenbar
immer noch ein treuer Freund Deutschlands, und ich bin überzeugt, dass er auch
in seinen wissenschaftlichen Arbeiten das geleistet hat, was er als junger Mensch
versprochen hat. Ich kann also seine Aufnahme als korrespondierendes Mitglied
in die Sächsische Akademie der Wissenschaften nur empfehlen.
Mit den besten Empfehlungen
[gez.] W. Heisenberg
Gerald Wiemers
47
Literatur:
Helmut Rechenberg u. Gerald Wiemers (Hrsg.): Werner Heisenberg: Gutachten
und Prüfungsprotokolle für Promotionen und Habilitationen (1929-1942). Berlin
2001, S. 99-101, 254-255.
Revue Roumaine de Physique 1986, S. 101-104.
Armin Uhlmann: G. Şerban Ţiţeica 27. März 1908 bis 28. Mai 1985. In: Jahrbuch
der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig 1985-1986 (Berlin
1988), S. 227.
Gerald Wiemers: Şerban Ţiţeica, 1966. In: Werner Heisenberg 1901-1976. Hrsg.
v. Christian Kleint, Helmut Rechenberg u. Gerald Wiemers. Stuttgart u. Leipzig
2005, S. 396-397 (= Abhandlung der Sächsischen Akademie der Wissenschaften
zu Leipzig, math.-nat. Kl. Bd. 62)
48
Walter Schlesinger
Zum 100. Geburtstag am 28. April 2008
Als Student, Forscher und Professor für Landesgeschichte hat Walter
Schlesinger (1908-1984) an der Universität Leipzig bei seinem Lehrer
Rudolf Kötzschke bedeutende Grundlagen für seine spätere Laufbahn
erhalten, bevor er nach 1945 in Berlin, Frankfurt am Main und Marburg
Landesgeschichte und Mittelalterforschung prägte. Er gehört zu den
bedeutendsten deutschen Mittelalter- und Landeshistorikern der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts.
49
Am 28. April 1908 in Glauchau geboren, nahm er 1927 das Studium der Fächer
Geschichte und Germanistik in Tübingen auf, wo ihn vor allem die Vorlesungen
des Historikers Johannes Haller (1865-1947) begeisterten. Gleichwohl wechselte
er dann an die Universität Leipzig und fand in dem Landeshistoriker Rudolf
Kötzschke (1867-1949) seinen prägenden akademischen Lehrer. Anders als
Haller, der vor allem an der politischen Geschichte interessiert war, beschäftigte
sich Kötzschke mit den Strukturen und langfristigen Faktoren der Geschichte.
Kötzschke konzipierte in Leipzig eine moderne Landesgeschichtsforschung und
schuf mit der Gründung des Seminars für Landesgeschichte und Siedlungskunde
an der Universität Leipzig 1906 für Lehre und Forschung einen institutionellen
Rahmen (siehe Jubiläen 2006).
Schlesinger wandte sich mit seiner Dissertation „Die Schönburgischen Lande
bis zum Ausgang des Mittelalters” (1935) der unmittelbaren Heimat zu und
ergänzte diese Untersuchung 1954 mit einer weiteren Monographie über „Die
Landesherrschaft der Herren von Schönburg”. In den dazwischen liegenden
zwei Jahrzehnten sind weitere orts- und regionalgeschichtliche Untersuchungen
unteranderem über Glauchau erschienen. Der Eindruck, Schlesinger wäre ganz
in heimatgeschichtlichen Themen aufgegangen, täuscht aber, denn er erweiterte
aufgrund der sicheren Kenntnis zunächst der mitteldeutschen Quellen ständig
seinen Horizont und legte schließlich 1940 in Leipzig seine Habilitationsschrift
„Die Entstehung der Landesherrschaft. Untersuchungen vorwiegend nach
mitteldeutschen Quellen” (erschienen 1941, zuletzt 6. Auflage, 1983) vor.
Mittlerweile hatten die Zeitverhältnisse tiefgreifend in Schlesingers Leben
eingegriffen. Er war bereits 1929 Mitglied der NSDAP geworden, eine
Entscheidung, die er schon bald nach der Machtergreifung 1933 als falsch
erkannte, aber nicht rückgängig machte. Als nach der Emeritierung Rudolf
Kötzschkes der Blut-und-Boden-Historiker Adolf Helbok (1883-1968) das
Seminar für Landesgeschichte und Siedlungskunde und das Institut für
Heimatforschung übernahm, wechselte Schlesinger in das Historische Seminar
über, wurde Assistent des Mediävisten Hermann Heimpel (1901-1988) und
habilitierte sich, kurz bevor er Ende 1940 zum Militärdienst eingezogen wurde.
Kritische Äußerungen in einem Feldpostbrief, der von der Zensur geöffnet
wurde, brachten ihm die Strafversetzung zu einer Wehrmachtseinheit in Bosnien
ein, wo er 1943 schwer verwundet wurde.
Schlesinger war zwar bereits zum 1. November 1942 auf die Professur für deutsche
Landes- und Volksgeschichte, die frühere landesgeschichtliche Professur seines
Lehrers Kötzschke, berufen und auch zum Direktor des damit verbundenen
50
Seminars und des Instituts für Heimatforschung ernannt worden, doch konnte
er seine Lehrtätigkeit in Leipzig erst nach einem langen Lazarettaufenthalt
im Sommersemester 1944 aufnehmen. Unter den Bedingungen des Totalen
Krieges und nach dem verheerenden Bombenangriff auf Leipzig im Dezember
1943, der auch das landesgeschichtliche Seminar ausgelöscht hatte, war an
eine geregelte Lehr- und Forschungstätigkeit kaum noch zu denken. Obwohl
sich Schlesinger weder privat noch wissenschaftlich als NS-Aktivist betätigt
hatte, führte seine Parteimitgliedschaft im November 1945 zur Entlassung aus
dem Hochschuldienst. Als der Leipziger Rektor Hans Georg Gadamer 1946
das Entnazifizierungsverfahren einleitete, um Schlesingers Wiedereinstellung
zu erreichen, bemerkte er über ihn: „Dass er in sehr jungen Jahren Mitglied
der NSDAP geworden ist, hat ihn nicht gehindert, von 1933 an in so offener
Ablehnung der nationalsozialistischen Maßnahmen sich zu ergehen, dass er
wiederholt Warnungen von wohlmeinenden Kollegen hinnehmen musste. Dass
er selbst Mitglied der Partei war, war allgemein unbekannt”. Aber nicht nur
dieses Entnazifizierungsverfahren verlief damals im Sande.
Schlesinger zog sich nach Glauchau zurück, wo seine Frau als Apothekerin für
den Lebensunterhalt der Familie sorgte, während er selbst sich als Privatgelehrter
mit wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigte. In diesen Jahren entstand als
Auftragsarbeit des Landeskirchenamtes die „Kirchengeschichte Sachsens
im Mittelalter” (zwei Bände, erschienen 1962), die bis heute ganz wesentlich
Schlesingers bleibenden Rang als Erforscher der sächsischen Landes- und
Kirchengeschichte verdeutlicht. Auch das Buch über „Die Anfänge der Stadt
Chemnitz und anderer mitteldeutscher Städte” (1952) war eine Frucht dieser
Jahre. Da sich weder in Leipzig noch an einer anderen Universität der SBZ
für Schlesinger eine berufliche Perspektive abzeichnete, entschloss er sich im
November 1951 schweren Herzens, die sächsische Heimat zu verlassen, um nach
Westdeutschland überzusiedeln, nachdem andere Kötzschke-Schüler wie Herbert
Helbig und Karlheinz Quirin schon vor ihm diesen Weg gegangen waren.
Walter Schlesinger ließ sich in Marburg an der Lahn nieder, wo er zunächst in
der „Forschungsstelle für Städtegeschichte” tätig wurde. Die Beschäftigung mit
dem mitteldeutschen Städtewesen hatte ihn zu weiterführenden Untersuchungen
über die Frühzeit der mittelalterlichen Stadt veranlasst. Zeitlebens sollte dies
eines seiner wichtigsten Arbeitsgebiete bleiben, das sich in das große Arbeitsfeld
von Schlesinger einordnet, die mittelalterliche Verfassungsgeschichte.
Schlesingers Begriff von Verfassungsgeschichte zielte in seinen eigenen
Worten auf die Verfassung, „in der die Menschen sind, nicht die sie haben”,
und er betonte mehrfach, dass den Weg zu einem so umfassenden Begriff von
51
Verfassungsgeschichte auf landesgeschichtlicher Grundlage sein Leipziger
Lehrer Rudolf Kötzschke gebahnt hatte. Eine entsprechend ausgerichtete,
landesgeschichtlich fundierte Verfassungsgeschichte bot seit den 1960er Jahren
vielfältige Anknüpfungspunkte für neue Forschungsrichtungen, die sich als
Sozial- oder Strukturgeschichte verstanden.
Nach den zunächst nicht einfachen Anfängen in Marburg an der Lahn
absolvierte Schlesinger eine schnelle akademische Karriere. 1954 wurde er auf
einen Lehrstuhl für mittlere und neuere Geschichte (Verfassungsgeschichte)
an der Freien Universität Berlin berufen, 1959 folgte er einem Ruf auf den
Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte und historische Hilfswissenschaften
an der Universität Frankfurt am Main, und 1964 erhielt er schließlich einen
Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte in Marburg an der Lahn, den er
bis zu seiner Emeritierung 1973 innehatte. Da gleichzeitig der Mediävist
Helmut Beumann (1912-1995) nach Marburg berufen wurde, ergab sich
eine fruchtbare Zusammenarbeit, beispielsweise in dem 1972 begonnenen
DFG-Schwerpunktprogramm zur Entstehung der europäischen Nationen im
Mittelalter.
Das „Nationes”-Projekt führte Schlesinger nach seiner Emeritierung (1973)
weiter, die er zum frühestmöglichen Zeitpunkt anstrebte, weil die westdeutsche
Studentenrevolte, die seit 1969 auch Marburg erfasste, die Universität in einen
zeitweilig rechtsfreien Raum verwandelte, was für eine geradlinigen Mann wie
Schlesinger nur schwer zu ertragen war. Als Forscher, Wissenschaftsorganisator
und viel gefragter Gutachter schulterte er weiterhin ein gewaltiges Arbeitspensum.
1976 traf ihn ein Schlaganfall, der sein Sprachzentrum lähmte und jede weitere
wissenschaftliche Betätigung verhinderte. Am 10. Juni 1984 ist der Mittelalterund Landeshistoriker in Wolfshausen bei Marburg verstorben.
Auf den Grundlagen, die Rudolf Kötzschke in Leipzig gelegt hatte, ist Schlesinger
als sein akademischer Schüler weitergeschritten, seine methodischen Neuansätze
hat er weitergedacht. Der sächsischen Landesgeschichte blieb Schlesinger
zeitlebens verbunden. Nach der Teilung Deutschlands und der Beseitigung fast aller
institutionellen Grundlagen für die Landesgeschichte in der DDR erkannte er die
Notwendigkeit, in Westdeutschland gegenzusteuern: 1953 wurde ein „Arbeitskreis für
Mitteldeutschland” errichtet, 1954 die Schriftenreihe „Mitteldeutsche Forschungen”
begründet, und die Einrichtung einer „Forschungsstelle für geschichtliche
Landeskunde Mitteldeutschlands” 1960 in Marburg, in Verbindung mit dem von
Schlesinger geleiteten Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde, bot
schließlich einen institutionellen Rahmen für entsprechende Forschungen.
52
Schlesingers bedeutendstes Wirkungsfeld neben der Universität war der
Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, an dessen Tagungen
er seit 1953 fast regelmäßig teilnahm. Der Konstanzer Arbeitskreis war nach
dem Zweiten Weltkrieg zunächst ein Sammelbecken der Enttäuschten und zu
kurz Gekommenen, die – wie ihr Spiritus rector Theodor Mayer – nicht wieder
eine Professur erlangen konnten, aber seit der zweiten Hälfte der 1950er
Jahre entwickelte sich der Arbeitskreis zu dem maßgeblichen Forum, in dem
zentrale Fragen der mittelalterlichen Verfassungsgeschichte von namhaften
Fachvertretern diskutiert wurden. Methodisch beruhten die Tagungen auf der
Verbindung von Mittelalterforschung und Landesgeschichte, wobei sich die
Perspektive des Arbeitskreises schon seit den 1960er Jahren konzeptionell von
der deutschen zur europäischen Mittelalterforschung weitete. Schlesinger hatte
an dieser Entwicklung maßgeblichen Anteil.
Sehr grundsätzlich setzte sich Schlesinger mit den konzeptionellen Kontinuitäten
der deutschen Ostforschung nach 1945 auseinander, der er vorwarf, dass es
ihr nicht um die Erforschung Ostmitteleuropas, sonder nur der Deutschen und
ihrer Leistung in diesem Raum gegangen sei. Dass dabei sein Lehrer Kötzschke
eine maßgebliche Rolle gespielt hatte, übersah er keineswegs. Die von Walter
Schlesinger gemeinsam mit Herbert Ludat organisierten drei Tagungen des
Konstanzer Arbeitskreises über „Die deutsche Ostsiedlung des Mittelalters
als Problem der europäischen Geschichte” auf der Reichenau in den Jahren
1970 bis 1972 (veröffentlicht 1975) markieren einen Wendepunkt in der
wissenschaftlichen Beschäftigung mit dieser Deutsche und Slaven belastenden,
aber auch verbindenden Thematik.
Dies war allerdings nur eines der Gebiete, die von dem Ideenreichtum und
der Sachkenntnis Schlesingers profitierten. Neben der Siedlungsgeschichte,
der Kirchengeschichte und der Städteforschung stellte er sich immer wieder
grundsätzlichen Fragen der mittelalterlichen Verfassungsgeschichte und suchte
dabei auch den interdisziplinären Schulterschluss mit anderen Disziplinen wie
der Archäologie. Es war nicht zuletzt Schlesinger zu verdanken, dass es in den
1960er Jahren gelang, im Göttinger Max-Planck-Institut für Geschichte ein
Forschungsprojekt zur systematischen Erfassung der deutschen Königspfalzen
des frühen und hohen Mittelalters zu begründen. Dabei ist es kennzeichnend
für den Wissenschaftsorganisator und Forscher Schlesinger, dass er hierfür den
umfangreichen Musterartikel „Merseburg” geliefert hat. Schlesinger war kein
Gelehrter, der die mühsame Detailforschung mied, um durch summarische
Darstellungen einen schnellen äußerlichen Erfolg zu erlangen. Das Angebot
eines namhaften Verlages, nach seiner Emeritierung die große Synthese zu
53
schreiben, hat Schlesinger ausgeschlagen und sich stattdessen Problemen der
frühmittelalterlichen Agrarverfassung zugewandt.
Schlesinger war – so Josef Fleckenstein – „ein Historiker aus Passion”, dabei
mehr Geschichtsforscher als Geschichtsschreiber; gründliche Detailkenntnisse
verband er mit der Fähigkeit, seinen Untersuchungsgegenstand in größere
Zusammenhänge einzuordnen. Eine stupende Quellenkenntnis war bei ihm
mit einem weiten Horizont und einem hohen analytischen Talent verbunden.
Gleichwohl werden – wie alle wissenschaftliche Produktion – auch die meisten
seiner Arbeiten nach und nach von der Forschung überholt werden, aber
Schlesingers Verständnis von Landesgeschichte nicht nur als Korrektiv, sondern
als Grundlage der allgemeinen Geschichtsforschung ist von ungebrochener
Aktualität.
Enno Bünz
Literatur:
Enno Bünz: Walter Schlesinger, Historiker, in: Sächsische Biographie, hg.
vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V. Online-Ausgabe:
http.//www.isgv.de/saebi/ (2. April 2008)
Josef Fleckenstein: Walter Schlesinger, 28. April 1908 bis 10. Juni 1984, in:
Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften in Göttingen 1984, S. 72-81
Gockel, Michael: Die Übersiedlung Walter Schlesingers nach Marburg im Jahre
1951, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 72 (2002), S. 215-253
Gockel, Michael: Art. “Schlesinger, Friedrich Walter, Historiker”, in: Neue
Deutsche Biographie 23: Schinzel – Schwarz, Berlin usw. 2007, S. 65 f.
Nagel, Anne Christine: Im Schatten des Dritten Reichs. Mittelalterforschung
in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1970 (Formen der Erinnerung 24),
Göttingen 2005
Patze, Hans: Erinnerungen an Walter Schlesinger, in: Ausgewählte Aufsätze von
Walter Schlesinger 1965-1979, hrsg. von Hans Patze und Fred Schwind (Vorträge
und Forschungen 34), Sigmaringen 1987, S. IX-XXVIII
54
Sprengung der Universitätskirche St. Pauli
Zum 40. Jahrestag am 30. Mai 2008
Am 30. Mai 1968 geschieht das Unfassbare und Ungeglaubte:
Um 9:58 Uhr zünden 750 Kilo Sprengstoff und die Universitätskirche
St. Pauli verwandelt sich in einen Trümmerberg. Zwischen den zwei
Jubiläen, die die Universität Leipzig in der DDR 1959 und 1984 feiert, ist
damit ein Tiefstand der historischen Vergangenheitsbewertung erreicht.
55
Kurze Zeit nach der Kirchensprengung werden auch die inneren Strukturen
der Hochschulen in der DDR mit der dritten Hochschulreform grundlegend
verändert. Die Fakultäten und akademischen Wahlämter verschwinden, die
Studiengänge werden neu geordnet und gestrafft, sämtliche historischen Bezüge
aus dem Alltag der Hochschulen entfernt. Unter diesen Vorzeichen gewinnt der
achtlose Umgang mit Traditionen und Geschichte, verkörpert durch die rabiate
Zertrümmerung einer filigranen Architektur mit vielen religiösen Bezügen, einen
zusätzlichen Symbolwert.
Was bedeutete diese Kirche am Augustusplatz für die Universität? War sie
tatsächlich nur ein Gebäude, das der neuen Zeit im Wege stand?
Die Verbindung mit der Universität bestand nicht von Anfang an. Aus der
reichen Großstadt Prag kommend, fanden die Leipziger Universitätsgründer die
schmucklose, um 1231 errichtete Dominikanerkirche wohl wenig anziehend.
Die ehemals Prager Magister und Scholaren, immerhin 415 Namen, finden sich
in der ersten Matrikel des Wintersemesters 1409, bevorzugten stattdessen die
größeren Innenstadtkirchen. Die Gründung der Universität fand am 2. Dezember
1409 im Refektorium des Thomasklosters statt und dieser Raum würde noch über
100 Jahre als Aula dienen. Erst um 1537 fanden die Universitätsversammlungen
im Großen Kolleg, einem universitätseigenen Gebäude, statt. Die feierlichen
Promotionen der höheren Fakultäten, der Theologen und der Mediziner, wurden
dagegen in der Nikolaikirche durchgeführt.
Die Raumlage für den Vorlesungsbetrieb war ähnlich bescheiden, immer wieder
fanden sich Klagen über den desolaten Zustand der Gebäude und den hohen
finanziellen Aufwand zu ihrer Erhaltung. Unter diesen ärmlichen Verhältnissen
lebend, boten die Reformation und die vom Landesherrn in Aussicht gestellte
Übertragung des Dominikanerklosters an die Universität eine phänomenale
Chance, diesen Zuständen dauerhaft zu entkommen. Mit dem Rektor Caspar
Borner nutzte die Universität diese Gelegenheit und verfolgte dieses Ziel auch
weiter, als sie in heftigem Streit über die Zueignung des Klosterbesitzes mit dem
Rat der Stadt geriet. Am 22. April 1544 wurde der Universität die Urkunde mit
dem Besitztitel ausgestellt.
Die Universität übernahm die Gebäude, die in den letzten Jahren verlassen
gelegen und geplündert worden waren, zunächst mit erheblichem Bauaufwand.
Bisher hatte die Universität allenfalls über Streubesitz innerhalb der Stadtmauern
verfügt – nun entstand ein zentralisierter Universitätscampus, der diesen Namen
auch verdiente und daneben noch zahlreiche andere Annehmlichkeiten bot. Neben
56
dem für damalige Verhältnisse riesigen Bibliotheksaal, zwei Versammlungssälen
(einem Sommer- und einem Winterrefektorium) vermittelt eine kurze Aufzählung
der wichtigeren Wirtschaftsgebäude eine Vorstellung von der faktisch neu
fundierten Universität: Klostergarten mit Krankenstube, Apothekergewölbe,
Destillierhaus, Brauhaus, Schneiderei, Schusterei, Schweine-, Rinder- und
Pferdeställe, Malzhaus, Backstube, Weinkeller, Bad, Küchentrakt.
Die ganze Anlage konnte nahezu unverändert für den Universitätsbetrieb genutzt
werden – die Kirche erhielt neben ihrer sakralen Funktion, als Andachts- und
Begräbnisraum, auch einen weltlichen Zweck. Von nun an fanden die festlichen
Promotionsrituale der Fakultäten dort einen würdigen Rahmen.
Erst im 18. Jahrhundert deutete sich ein Wandel in der Benutzung des
Kirchengebäudes an. Ebenso wie die Universität sich nach und nach von den
letzten konfessionellen Schranken löste, entwickelte sie sich allmählich von einer
geistlichen hin zu einer geistigen, von Staatsinteressen geprägten Institution.
Akademische Festakte wurden stärker als bisher für die Entfaltung weltlichen
Pomps eingesetzt und nach der Einführung des akademischen Gottesdienstes im
Jahre 1710 bestallte die Universität auch einen eigenen Universitätsmusikdirektor,
der diese Zeremonien zu begleiten hatte. Den musikalischen Aufführungen der
Universität verhalf Johann Sebastian Bach zu ungeahntem Ruf, der von 1723
bis 1725 zahlreiche Musikstücke im Auftrag der Universität komponierte und
in der Paulinerkirche auch selbst aufführte. In der eigenen Universitätskirche
verkehrten die gelehrten Korporationen mit dem Rat auf zeremonieller
Augenhöhe, wenn es darum ging, mit öffentlichen Festakten Regierungsantritte
oder Professorenjubiläen bzw. Geburtstage oder Sterbefälle im Herrscherhaus
oder von Universitätsangehörigen zu begehen und zu feiern.
Auch als Begräbnisstätte wurde die Kirche für Studenten und Professoren
genutzt. Unter anderem fanden dort der erste Rektor Otto von Münsterberg,
Caspar Borner und Joachim Camerarius sowie später Benedikt Carpzow ihre
letzten Ruhestätten.
Diese lebendige Tradition und sich den Glücksumstand einer unzerstörten
Universitätskirche in einer zerbombten Großstadt vor Augen haltend, lässt
sich die Vorgeschichte der Sprengung von 1968 nur als bewusster Affront und
provozierter Bruch mit alten Traditionen deuten.
57
Zunächst hat sich die Sanierung des seit 1943 teilzerstörten Universitätsareals am
Augustusplatz über lange Jahre nach dem Krieg hingezogen. Für Baumaßnahmen,
bis auf minimale Erhaltungsmaßnahmen, sind an den Zentralgebäuden der
Universität keine Kapazitäten eingeplant. Staatliche Planungen verschieben
etwaige Aufbauarbeiten gleich bis ins Jahr 1975.
Unter diesen Vorraussetzungen verlangt die Universität im Vorfeld des Jubiläums
von 1959 immer stärker nach einer Lösung der unbefriedigenden Verhältnisse
am Augustusplatz.
Spätestens nach dem Universitätsjubiläum entwickelt sich auf politischer Ebene,
vom Politbüro über die Bezirks- bis hinab zur Stadtleitung der SED, der Entschluss,
das Areal am Karl-Marx-Platz vollständig zu beräumen und einen sozialistisch
determinierten Neubau zu errichten. Denkmalschützerische oder konservatorische
Aspekte werden beiseite gewischt und die neue Architektur am Karl-MarxPlatz als Kulisse für Aufmärsche und Großdemonstrationen gewünscht. Auch
hier stehen sich allerdings politische Ansprüche und bautechnologische Realität
gegenüber – eine anfangs noch erwogene Verschiebung der Universitätskirche
war schwierig und der geplante Universitätsneubau würde einen erheblichen Teil
der sächsischen Baubetriebe über Jahre hinweg binden. Dennoch kommt es im
Dezember 1967 zu einem Architektenwettbewerb, der im Ausschreibungstext
einen Neubau favorisiert ohne die Universitätskirche zu erwähnen. In der
Bevölkerung, in der Landeskirche und auch innerhalb der Universität – nicht nur
innerhalb der theologischen Fakultät – häufen sich die Befürchtungen um einen
Kirchenabriss.
Ende März 1968 liegen die Pläne der Architektenbüros vor – nur eine Rostocker
Variante sieht noch eine Integration der Kirche in den neuen Baukörper vor. Am 7.
Mai 1968 wird über die Planungsvorschläge im Politbüro der SED beraten. Einen
Sieger im Wettbewerb gibt es nicht, aber in der abschließenden Kombination
zweier Planungsvarianten ist ein Erhalt der historischen Bausubstanz nicht mehr
vorgesehen. Nur einige repräsentative Kunstgegenstände sollen geborgen werden
– soweit die Abbauarbeiten den Abriss nicht beeinträchtigen.
Am 16. Mai werden die Parteien in der Baukommission der Leipziger
Stadtverordnetenversammlung über die Planungen informiert. Einen Tag später
finden Sondersitzungen der Theologischen Fakultät und des akademischen
Senates statt – der Dekan der Theologen, Ernst-Heinz Amberg, vertritt dort
standhaft die Meinung seiner Fakultät, dass ein Abriss nicht in Frage komme.
Auch der Ägyptologe und Vizepräsident der Sächsischen Akademie Siegfried
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Morenz engagiert sich öffentlich gegen die Kirchensprengung, schriftlich
protestiert der Historiker Max Steinmetz.
Am 23. Mai billigt die Stadtverordnetenversammlung im Neuen Rathaus jedoch
den Abriss – mit lediglich einer Gegenstimme, und selbst dieser eine Protest
wurzelt in einer geheimdienstlichen Aktion des Staatsicherheitsdienstes. Am
selben Tag finden mittags bzw. abends die letzten evangelischen bzw. katholischen
Gottesdienste statt. Danach wird die Kirche verschlossen und gegen 22:00 Uhr
beginnen die Steinmetze bereits mit den ersten Abbrucharbeiten.
Unter chaotischen Verhältnissen, während riesige Lafettenbohrmaschinen
Sprenglöcher meißeln, versuchen Denkmalpfleger und Archivare am 24.
Mai die Bergungslisten abzugleichen. Weder Lagerplatz noch Personal oder
Transportkapazität steht für die Bergung zur Verfügung – die Orgel kann nur
knapp bevor die Sprengladungen scharf gemacht werden, noch geräumt werden.
Nicht alle Begräbnisstätten können in Sicherheit gebracht werden, auch eine
Entwidmung der Kirche findet nicht mehr statt.
Auf dem Augustusplatz kommt es am 28. Mai zu Tumulten, mehrere Dutzend
Menschen werden verhaftet, die schweigende Menge unter Einsatz von
Polizeihunden und Gummiknüppeln abgedrängt.
Für den 30. Mai wird in der Leipziger Volkszeitung die Sprengung öffentlich
angekündigt und tatsächlich umgesetzt. Kurz vor 10:00 Uhr kommt eine
gewaltige Staubwolke aus dem Gebäude, die westliche Giebelwand sackt in sich
zusammen, der Kirchturm stürzt in südlicher Richtung ein und nach einer kaum
wahrnehmbaren Verzögerung fällt auch die östliche Giebelwand um.
Die Universität Leipzig wird nach der Wende nicht nur mit einer maroden
Bausubstanz am Augustusplatz konfrontiert, auch dem Massenandrang
der Studierenden können die Hochschulbauten nicht mehr gerecht werden.
Während der 1992 gegründete private Paulinerverein sich für einen möglichst
originalgetreuen Wiederaufbau der Paulinerkirche einsetzt, wird der
Studienbetrieb von ganz anderen Sorgen wie Raummangel, verschlissenen
Elektro- und Sanitärinstallationen, fehlender Brandschutztechnik und veralteter
Vortragstechnik geprägt. Bereits 1994 lobt die Stadt Leipzig daher einen
offenen Ideenwettbewerb für den Universitätskomplex am Augustusplatz aus.
1998, aus dem Gedenken an die vor 30 Jahren erfolgte Kirchensprengung,
erfolgen erste Überlegungen die bald in eine öffentliche Diskussion um die
bauliche Zukunft der Universität führen. Das Motto ist zunächst ergebnisoffen:
59
„Sanierung? Neubau? Was soll mit dem Universitätsgebäude am Augustusplatz
geschehen?“ Schließlich werden im Jahre 2001 die Meinungen und notwendigen
Funktionalitäten in einem Auslobungstext „Bauvorhaben Universitätscampus“
zusammengebunden.
Aus den unterschiedlichen Anschauungen zum Neubau entwickelt sich
rasch eine emotionale, polarisierende Debatte, die sich von der eigentlichen
Bauplanung entfernt und unter den gegenläufigen Tendenzen „Restauration“
oder „Modernisierung“ zu schwankenden Mehrheiten in Universität, in der
Leipziger Bürgerschaft und in der Politik führt. Die komplizierten Verhältnisse
führen schließlich zum Rücktritt des Rektors Volker Bigl (und seines
Rektoratskollegiums) im Jahre 2003, als Zusagen der Staatregierung für einen
modernern Hochschulbau als gebrochen erachtet werden.
Der Senat spricht sich darauf im März 2003 für eine Überarbeitung des bisherigen
Architektenentwurfs aus, um auf dem Standort der ehemaligen Universitätskirche
das Paulinum mit akademischer Aula und gottesdienstlichem Raum zu errichten.
Ein gutes Jahr später wird der Entwurf des Niederländischen Architekten Erick
van Egeraat von der Leipziger Jury prämiert, der ein modernes Hochschulgebäude
mit einer Erinnerungsfunktion an die gesprengte Universitätskirche vereint. Im
Juli 2005 erfolgt die Grundsteinlegung der neuen Mensa und im Jahre 2009
sollen die Neubauten bereits genutzt werden können.
Franz Häuser/Jens Blecher
Literatur:
Füssler, Heinz (Hg.): Leipziger Universitätsbauten. Die Neubauten der KarlMarx-Universität seit 1945 und die Geschichte der Universitätsgebäude, Leipzig
1961.
Hütter, Elisabeth: Die Pauliner-Universitätskirche zu Leipzig. Geschichte und
Bedeutung, Weimar 1993.
Winter, Christian: Gewalt gegen Geschichte. Der Weg zur Sprengung der
Universitätskirche Leipzig, 1998.
60
Franz Wieacker
Zum 100. Geburtstag am 5. August 2008
Franz Wieacker (1908-1994) gehört zu den national und international
angesehensten deutschen Juristen des 20. Jahrhunderts. Als bei einem
Empfang ausländischer Gäste während des Deutschen Juristentages in
Leipzig im Jahr 2000 ein ungarischer Kollege die Bedeutung der Deutschen
Juristentage für die Juristen im Ostblock betonte, nannte er nur einen Namen:
Franz Wieacker. Dieser Befund wird durch zahlreiche Ehrenpromotionen
in- und ausländischer Universitäten erhärtet.
61
Franz Hermann Wieacker wurde am 5. August 1908 in Stargard geboren. Der
häufige Wechsel des Dienstortes des Vaters bedingte häufige Umzüge: Prenzlau,
Weilburg an der Lahn, Stade und schließlich Celle, wo er 1926 die Reifeprüfung
bestand. Dem beruflichen Vorbild des Vaters folgend, studierte Franz Wieacker
Rechtswissenschaft in Tübingen, München und Göttingen. Das Studium schloss
er 1929 mit dem Referendarexamen ab. In den letzten Semestern war es Fritz
Pringsheim gelungen, ihm das römische Recht nahe zu bringen und so folgte er
ihm als Assistent nach Freiburg.
Mit einer Arbeit aus dem römischen Recht wurde Wieacker 1930 promoviert
und habilitierte sich am 16. Februar 1933 gleichfalls mit einer römischrechtlichen Arbeit. Nach Lehrstuhlvertretungen in Frankfurt, Kiel und seit
dem Sommersemester 1936 in Leipzig wurde er hier am 1. Januar 1937 zum
außerordentlichen und am 1. Mai 1939 zum ordentlichen Professor ernannt.
Zahlreiche Rufe lehnte er ab. In Leipzig wurde er Mitglied der Sächsischen
Akademie der Wissenschaften. 1944 wurde er einberufen. Das Kriegsende erlebte
er als Soldat in Italien. Aus britischer Kriegsgefangenschaft kehrte er nicht nach
Leipzig zurück, sondern übernahm zum 1. Dezember 1945 einen Lehrauftrag
in Göttingen. Dem Versuch des Leipziger Rektors Gadamer, ihn 1946 wieder
für „seine“ Universität zu gewinnen, war kein Erfolg beschieden. 1948 folgte
Wieacker einem Ruf nach Freiburg, um 1953 nach Göttingen zurückzukehren.
1973 ließ er sich emeritieren. Wieacker starb am 17. Februar 1994 in Göttingen.
In Leipzig hielt Wieacker Lehrveranstaltungen zu allen bürgerlichrechtlichen
Gebieten – mit Ausnahme des Erbrechts – auf der Grundlage der
Ausbildungsreform von 1935 ab: Boden, Bauer, Ware und Geld, Familie sowie
Vertrag und Unrecht. Hinzu kamen Übungen im Bürgerlichen Recht für Anfänger
und Fortgeschrittene, Besprechungen einfacher Rechtsfälle, Ausgewählte
Reichsgerichtsentscheidungen aus dem Gebiet des Zivilrechts, Klausurenkurse
im Bürgerlichen Recht, Zivilrechtliche Seminare, aber auch solche über
Jugendpflegerecht und Jugendrecht, sowie Kolloquien zur Außenpolitik und
Staatenkunde. Neben den Lehrveranstaltungen zur Privatrechtsgeschichte der
Neuzeit, auf die noch einzugehen sein wird, vernachlässigte er auch das römische
Recht nicht: Geschichte des römischen Privatrechts, Antike Rechtsgeschichte,
Römische Rechtsgeschichte und Grundzüge des römischen Rechts. Seinem
Schüler Hermann Lange verdanken wir eine Beschreibung von Wieackers
Vorlesungsstil: „Er war im Colleg keineswegs einfach. Er sprach sehr schnell,
zuweilen vor sich hin meditierend – ihm fiel ja ständig etwas Neues ein – auch
geistigen Rösselsprüngen nicht ganz abhold. Es konnte durchaus sein, dass er
bei einem Wissensgebiet landete, das zwar sehr interessant, dessen Verbindung
62
mit der gerade zu besprechenden Akzessorietät der Grundpfandrechte aber nicht
ohne weiteres einsichtig war. Seine Seminare waren vom Feinsten, crème de la
crème des Geistes.“ (Lange: Erinnerungen an die Studien- und Referendarzeit,
S. 17-34)
Wieackers Werk weist als Konstante die Beschäftigung mit dem römischen
Recht auf, angefangen mit den beiden Qualifikationsarbeiten über die Lex
commissaria (1932) und die Societas (1936) bis hin zu seiner unvollendet
gebliebenen Römischen Rechtsgeschichte (1988, 2006). Sind seine beiden ersten
größeren Schriften dem römischen Privatrecht zuzuordnen, so wandte er sich in
der Folge davon ab und der römischen Rechtsgeschichte zu. In der römischen
Rechtsgeschichte sind wiederum drei Hauptlinien erkennbar, das frührömische
Recht, die Textkritik und die römische Romanistik. Sein besonderes Interesse
galt insoweit der Entstehung von Recht. „In der frührömischen Rechtsordnung
sieht er auch ein Paradigma der Entstehung von Recht schlechthin.“ (Wolf, S. 80).
In die Diskussion über die Textkritik griff Wieacker erst nach dem 2. Weltkrieg
ein, also zu einem Zeitpunkt, als die so genannte Interpolationenforschung
nicht mehr die juristische Romanistik beherrschte. Hier sind insbesondere seine
Textstufen klassischer Juristen (1960) zu nennen. Er führte damit endgültig
den Gedanken der vorjustinianischen Textveränderungen in die Wissenschaft
der römischen Rechtsgeschichte ein und integrierte sie damit in die historische
Altertumswissenschaft. Im Vordergrund seiner Arbeit stehen indessen die
Werke über römische Juristen und ihre Wissenschaft. Diese drei Hauptlinien
werden noch durch einzelne Arbeiten zu anderen Aspekten der römischen
Rechtsgeschichte ergänzt. Alle genannten Aspekte finden sich im Handbuch
der Römischen Rechtsgeschichte vereint wieder. Das Handbuch vollzieht
nach den Worten Wolfs (Wolf, S. 83) die Historisierung der Romanistik und
öffnet die römische Rechtsgeschichte für einen unendlichen Zufluss aus den
Nachbarwissenschaften.
Ein ganz neues Lehr- und Forschungsgebiet eröffnet Wieacker mit seinen Arbeiten
zur Privatrechtsgeschichte. Zu dem 1935 neu geschaffenen Lehrfach veranstaltete
er bereits im Sommer 1937 gemeinsam mit Franz Beyerle ein Seminar. Als
Vorlesung hielt Wieacker die Privatrechtsgeschichte der Neuzeit in Leipzig
dreimal (1939, 1940, 1942). Sein bekanntestes Werk, die Privatrechtsgeschichte
der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung aus
dem Jahre 1952, ist nach Ansicht seines Schülers Okko Behrends aus seinen
Leipziger Vorlesungen zur neueren Privatrechtsgeschichte hervorgewachsen
(Behrends, S. XXXIV). Bei der 1967 erschienenen 2. Auflage handelt es sich
nahezu um ein neues Werk bei Aufrechterhalten der Grundanlage. Das Buch hat
63
die Rechtsgeschichte, nicht nur in Deutschland, in den letzten 50 Jahren wohl
stärker beeinflusst als jedes andere und hat nichts an Aktualität eingebüßt, wiewohl
manche der Ansichten Wieackers zumindest umstritten sind. Der internationale
Erfolg des Werkes zeigt sich nicht zuletzt an zahlreichen Übersetzungen, die
teilweise mehr Auflagen erfahren haben als das deutsche Original. Auch in diesem
Zusammenhang verdienen noch weitere Arbeiten Erwähnung, etwa Gründer und
Bewahrer. Rechtslehrer der neueren deutschen Privatrechtsgeschichte, eine 1959
erschienene Sammelveröffentlichung.
Bei der Durchsicht von Wieackers Veröffentlichungen fällt auf, dass die Arbeiten
zum geltenden Recht höchst ungleichmäßig über seine Lebenszeit verteilt sind.
In den Jahren 1932 bis 1944 erschienen 24 Arbeiten, von denen 16 im Jahre
2000 wieder veröffentlicht wurden (Wollschläger). Nach dem Kriege finden
sich deutlich weniger Beiträge. Nicht wenige Beiträge aus den 1930er Jahren
beschäftigen sich mit der Reform des Eigentums. Die frühen Werke lassen das
schon im Titel erkennen, wie 1934 „Zum Wandel der Eigentumsverfassung“
oder im folgenden Jahr „Wandlungen der Eigentumsverfassung“. Aber auch
weitere Aufsätze sind diesem Thema gewidmet. In diesem Zusammenhang steht
auch seine einzige geltendrechtliche „Monographie Bodenrecht“ von 1938. In
diesen Schriften wendet Wieacker sich gegen den liberalen Eigentumsbegriff
des Bürgerlichen Gesetzbuches und entwickelt einen Eigentumsbegriff, der
zwar von der „Zuordnung von Sachgütern an eine Person ausgeht, aber nicht zu
freier Sachherrschaft, sondern zu funktionsgerechtem, durch das Gemeinwohl
bestimmten Gebrauch“ (Wolf, S. 76). Diese Arbeiten verstand Wieacker
anlässlich der Wiederveröffentlichung der Schrift von 1935 in den Jahren
1976/77 selbst als Beiträge zur Rechtserneuerung und so wurden sie auch von
seinen Zeitgenossen wie von heutigen Lesern aufgefasst und gelten bis heute
als prominente Zeugnisse der nationalsozialistischen Eigentumslehre. Das kann
wohl letztlich allenfalls aus der Sicht treuer Schüler verneint werden, darf aber
nicht den Blick darauf verstellen, dass die Grundgedanken ihm schon in seiner
Freiburger Assistentenzeit durch die Bekanntschaft mit Franz Beyerle vermittelt
wurden und damit in einer Zeit vor dem Dritten Reich wurzeln. Dass diese
Gedanken nach 1933 gut in die Zeit passten, steht auf einem anderen Blatt. Eine
größere Nähe zum Nationalsozialismus weist noch Das Recht der Familie auf. Die
anderen Aufsätze aus dieser Zeit hingegen sind als durchaus gewichtige Beiträge
zur Zivilrechtsdogmatik zu verstehen, was beispielsweise für die Struktur des
Berichtigungsanspruchs (1936) gilt.
Das leitet über zu der Einstellung Wieackers gegenüber dem Nationalsozialismus,
die zwiespältig ausfällt. Einerseits hat er die Verbindung zu seinem akademischen
64
Lehrer Fritz Pringsheim, der als Jude im Jahre 1936 seine Freiburger
Professur verlor und 1939 emigrierte, in allen Formen aufrechterhalten
(Wolf, S. 76). Andererseits erfolgte seine Habilitation unmittelbar nach der
nationalsozialistischen Machtübernahme. Franz Wieacker begann also seine
akademische Karriere unter zwei damals schlechten Vorzeichen, als Vertreter
eines Faches, das sich keines hohen Ansehens erfreute und als akademischer
Schüler eines jüdischen Lehrers. Hier mögen die Gründe liegen, dass er mehreren
Unterorganisationen der NSDAP (NS-Rechtswahrerbund, Motor-SA, HJ, NSD.
Dozentenbund) und schließlich, am 1. Mai 1937, dieser selbst beitrat. Aktiv tätig
geworden ist er in allen Gliederungen der Partei nicht. In der HJ bekam er mit
Eintritt die Stelle eines Rechtsberaters der Bannführung. Wieackers Mitarbeit im
Rahmen der „Akademie für Deutsches Recht“ hingegen spricht nicht für eine
besondere Nähe zum Nationalsozialismus. Gadamer bestätigte ihm 1947 eine
durchaus distanzierte Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus.
Bernd-Rüdiger Kern
Literatur:
Hermann Lange, Erinnerungen an die Studien- und Referendarzeit in Leipzig
und Sachsen, in: Juristenfakultät der Universität Leipzig (Hrsg.), Leipziger
Juristische Vorträge, H. 9, 1995, S. 17-34.
Okko Behrends, Widmung Wieacker, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte
Romanistische Abteilung, Bd. 112, 1995, S. XIII-LXII.
Christian Wollschläger (Hrsg.), Franz Wieacker, Zivilistische Schriften (19341942), 2000.
Joseph Georg Wolf, Franz Wieacker (5. August 1908 bis 17. Februar 1994),
in: Stefan Grundmann/Karl Riesenhuber, Deutschsprachige Zivilrechtslehrer
des 20. Jahrhunderts in Berichten ihrer Schüler. Eine Ideengeschichte in
Einzeldarstellungen, Bd. 1, 2007, S. 73-86.
65
Victor Frederick Weisskopf
Zum 100. Geburtstag am 19. September 2008
Victor Frederick Weisskopf (r., hier mit Werner Heisenberg) schrieb
richtungsweisende Arbeiten zur modernen Physik. Er arbeitete eng mit den
Großen seiner Zunft zusammen. Sein Glaube an die Zukunft der Menschheit
blieb auch lebendig, als die Welt auf eine Rüstungskatastrophe zuzusteuern
schien. Als Naturwissenschaftler hat er Friedensideale vertreten und
humanistische Positionen bezogen. Zeitlebens war er ein großer Freund
von Musik und Literatur.
67
Er habe ein glückliches Leben gehabt und sei mit den Großen der Physik des
20. Jahrhunderts zusammengetroffen, wie Niels Bohr, Werner Heisenberg
und Wolfgang Pauli, berichtet Weisskopf in seinen Erinnerungen. Als Jude
habe er nicht unmittelbar unter den Nazis gelitten. Über 50 Jahre stand eine
wunderbare Frau an seiner Seite. Gern wiederholte er auch, dass er nie vom
Ehrgeiz zerfressen gewesen sei: „Ich weiss lieber nichts über alles, als alles
über nichts“. Weisskopf war ein überragender theoretischer Physiker und hat die
Physik des 20. Jahrhunderts mitgestaltet. Dennoch hat er sich darüber hinaus
für zahlreiche andere Dinge interessiert, vor allem für die Musik. Gern hätte
er im 19. Jahrhundert, dem Jahrhundert des Aufbruchs, gelebt. Als er 1932 zu
dem sowjetischen Physiker Lew Landau nach Charkow reiste, war er fasziniert
von den Möglichkeiten, Physik zu treiben, aber ebenso abgestoßen von Stalins
Terror. Schon damals erkannte er, dass Landau „der Staatführung äußerst kritisch
gegenüber stand“.
Im gleichen Jahr arbeitete Weisskopf als unbezahlter Assistent bei Heisenberg in
Leipzig und ein Jahr später als bezahlter Assistent bei Erwin Schrödinger in Berlin.
Schließlich bekommt er ein Rockefeller-Stipendium und geht zu Niels Bohr nach
Kopenhagen. Dort wird er zum theoretischen Physiker gebildet und lernt seine
dänische Frau Ellen kennen. Kopenhagen wird ihm zur zweiten Heimat. Seine
letzte Station in Europa wird schließlich die ETH Zürich. Von Wolfgang Pauli
lernt er viel und kommt mit dem schwierigen Mann sehr gut zurecht. In dieser
Zeit veröffentlicht er seine vielleicht bedeutendsten Arbeiten, insbesondere
zur Quantenfeldtheorie. Nur kurz besucht er noch einmal Kopenhagen und
veröffentlicht eine Arbeit zur Struktur des Atomkerns, wobei ihn, wie Manfred
Jacobi schreibt, besonders die Frage interessiert, „was beim Zusammenstoß von
Atomkernen mit einem hochenergetischen Proton oder einem Alpha-Teilchen
geschieht.“
Für Weisskopf war Leipzig, und dort vor allem Werner Heisenberg, eine wichtige,
faszinierende Station, um „tiefer in die Quantenmechanik einzudringen und
allmählich zu verstehen, weshalb Atome und Moleküle sich so und nicht anders
verhalten.“ Hier hat er Freundschaften für sein Leben geschlossen, so mit Felix
Bloch.
Als „unerwünschter Ausländer“ wird er 1937 aus der Schweiz ausgewiesen und
nimmt eine mäßig bezahlte Professur in Rochester/USA an. Dort wurde – und das
war ihm wichtig – ein Großraumbeschleuniger zum Studium der Kernreaktionen
gebaut. Nach und nach gelingt es ihm, seine Mutter und nahe Verwandte aus
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Österreich herauszubekommen. 1940 wird sein Sohn Thomas geboren, genannt
nach Thomas Mann, den er sehr verehrte.
Im Jahre 1943 zögert er nicht am amerikanischen Atombombenprojekt
mitzuarbeiten, als es nach dem Eintritt der USA in den Krieg gegen Deutschland
darum geht, die Atombombe rasch zu entwickeln. In Los Alamos wird er
Stellvertreter von Hans Bethe, dem Leiter der Abteilung für Theorie. Vor allem
die jüdischen Emigranten waren bei Kriegsausbruch 1939 tief beunruhigt. Sie
glaubten, ihre alten Kollegen in Deutschland würden mit Hochdruck am Bau
der Atombombe arbeiten. Robert Oppenheimer hat die Amerikaner meisterhaft
motiviert und Weisskopf wusste, dass Deutschland das Potential hatte die Bombe
zu bauen. Dass es nicht dazu kam, konnten er und andere nicht ahnen und schon
gar nicht wissen. Später hält er fest: „Wenn Heisenberg die Bombe hätte bauen
wollen, hätte er es geschafft.“ Nach der Zündung der ersten Bombe begann bei
Weisskopf ein schneller Prozess des Umdenkens. Den Abwurf der zweiten hielt
er für ein Verbrechen. Am Bau der Wasserstoffbombe hat er sich nicht mehr
beteiligt. Er mahnte vor der Gefahr des Wettrüstens. Die friedliche Nutzung
der Kernenergie sah er zunächst mehr als große Chance, weniger die damit
verbundenen Gefahren.
Mit dem Ende des Krieges begann für Weisskopf eine großartige Zeit der Lehre
und Forschung am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in der Nähe
von Boston. Bereits 1952 veröffentlichte er zusammen mit seinem jungen
Mitarbeiter John Blatt das Lehrbuch „Theoretical nuclear physics“, das lange als
Standardwerk galt.
Von 1961 bis 1965 leitete er die europäische Großforschungsanlage CERN bei
Genf. Dort traf er häufig mit Heisenberg zusammen. Es war für ihn eine große
technische Herausforderung, aber auch ein menschliches Erlebnis. Später ist er in
den Sommermonaten immer wieder nach Genf zurückgekehrt. Als er 1974 am MIT
emeritiert wurde, hat er sich von der Grundlagenforschung zurückgezogen und
seine Erfahrungen weiter gegeben. 1976 wird er zum Präsidenten der American
Academy of Arts and Sciences gewählt. Auch wird ihm die Mitgliedschaft in der
sowjetischen Akademie der Wissenschaften und in der Päpstlichen Akademie
der Wissenschaften in Rom verliehen. Neben zahlreichen Ehrendoktoraten erhält
er 1956 die höchste Auszeichnung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft
verliehen, die Max-Planck-Medaille, und außerdem wird er 1978 in den Orden
„Pour le mérite für Wissenschaft und Künste“ aufgenommen.
69
Weisskopf war ein Idealist voller Charme und Visionen. Das zeigte sich schon
1931 in Göttingen, als er bei Max Born und James Franck promovierte und
fürchtete, durch die Physik den Kontakt zu den Menschen, zum wahren Leben
verlieren zu können. An der prinzipiellen Vollendung der Quantentheorie konnte
er nicht mehr mitwirken, weil er zu jung war. Dafür hat er die neue Denkweise
in der Quantenmechanik schnell verinnerlicht. „Sie bildete“, sagte er 1992 in
einem Interview, „die Grundlage für die Erfassung atomarer Phänomene und
ermöglicht ein neues Verständnis der Materie.“
Mit zunehmendem Alter, bei geistiger Frische und Lebendigkeit beklagte
Weisskopf den Mangel an Persönlichkeiten in der Wissenschaft.
Am 22. April 2002 starb Victor Frederick Weisskopf in seiner amerikanischen
Wahlheimat in Newton/Massachusetts.
Gerald Wiemers
Literatur:
Victor F. Weisskopf: Mein Leben. Ein Physiker, Zeitzeuge und Humanist erinnert
sich an unser Jahrhundert. Bern, München, Wien 1991.
Manfred Jacobi: Victor F. Weisskopf (1908-2002). In: Physik in unserer Zeit 33
(2002), Nr.6, S. 269-273.
Adelbert Reif, Interview mit Victor F. Weisskopf: „Die wilde Zeit der Erkenntnis
ist längst vorbei“. In: Die Welt Nr. 4 v. 6. Jan.1992.
Wolfgang Kummer [Nachruf], in: Cern Courier 42 (June 2002), Nr. 5, S. 28-31,
42.
Kurt Gottfried [Nachruf], in: Nature 417 (23. May 2002), S. 396.
Krisztina Koenen: Victor Weisskopf. Ein ganzer Mensch und die Physik der
Teilchen. In: Frankfurter Allgemeine Magazin 44 (5. Nov. 1993), H. 714, S. 1218.
70
Georg Merrem
Zum 100. Geburtstag am 21. September 2008
Der Gründungsdirektor der Neurochirurgischen Klinik der Universität
Leipzig, Georg Merrem (1908-1971), machte sich besonders für die
Zusammengehörigkeit von neurologischer Praxis im Verbund mit den
neurochirurgischen Operationsmethoden der Zeit „unter einem Dach“ der
Universitätsmedizin stark. Unter seiner Ägide entwickelte sich in Leipzig
eine wichtige Schule der Neurochirurgie.
71
Georg Merrem wurde am 21. September 1908 in Königsberg i. Pr. geboren und
studierte nach dem Abitur zwischen 1927 und 1929 in Tübingen und von 1929
bis 1933 in Berlin Medizin. Seine Dissertation, die er 1933 mit dem Thema
„Die Behandlung der multiplen Sklerose [MS] mit Germanin“ an der FriedrichWilhelms-Universität abschloss, folgte der damals von Georg Schaltenbrand
(1897-1979) – einem Weggefährten Wilhelm Tönnis’ (1898-1978) – vertretenen
These der entzündlichen Verursachung von MS. Bereits im Zusammenhang
mit seiner Qualifikationsarbeit wusste Merrem nicht nur zukunftsweisende
Forschungsthemen früh zu entdecken, sondern auch Netzwerkbeziehungen für
sich zu verwenden. Bis 1938 absolvierte er dann seine chirurgische Ausbildung am
Berliner Augusta-Hospital bei Emil Heymann (1878-1936) und Martin Behrend
(* 1878), berühmten Schülern des Nestors der deutschen Neurochirurgie – Fedor
Krause (1857-1937). Doch Merrem trat seine neurochirurgische Ausbildung somit
gerade in der Zeit an, als sich Berlin zur Hauptstadt des Nationalsozialismus (NS)
entwickelte; sein Lehrer Heymann wurde auf Grund der NS-Rassegesetzgebung
aus ärztlicher Position entlassen – in größter persönlicher Verzweiflung sah er 1936
den einzigen Ausweg in seinem Freitod. Merrem setzte während der Kriegsjahre
seine Facharztzeit bei Herbert Peiper (1890-1952) sowie dem auf Grund seinen
Verbindungen zum NS-Euthanasieprogramm und seiner promilitaristischen
Gesinnung in Erklärungsnöte geratenen Tönnis fort.
Merrem hatte also unter Tönnis bei einem der prominentesten und durchaus
umstrittenen Neurochirurgen seine Facharztausbildung absolviert und wurde
in diffizile Gebiete der Verletzungs-Neurochirurgie und Hirndruckforschung
eingeführt. Außerdem bezog der Gründungsvorsitzende der „Deutschen
Gesellschaft für Neurochirurgie“ von 1950 Merrem in das enge Beziehungsgeflecht
tonangebender Neurochirurgen mit ein, welche seine Aufbauarbeit in der
DDR nachhaltig förderten: 1949 konnte Merrem aus Dresden kommend
die neurochirurgische Tätigkeit an der Leipziger Nervenklinik aufnehmen,
was maßgeblich auf Anregung Richard Arwed Pfeifers (1877-1957) – ihres
kommissarischen Leiters zwischen 1946 und 1952 – und dessen Bekanntschaft
mit Tönnis zurückging. Hieraus, wie aus Merrems früherer neuropathologischen
Schulung durch Krause, ging ein enger interdisziplinärer Austausch mit der
neuroanatomischen Hirnforschung im Flechsig-Institut hervor, und nach
Beendigung des Habilitationsverfahrens mit der unter Tönnis’ Einfluss stehenden
Arbeit „Die Chirurgie des Ventrikelsystems als Ergebnis histopathologischer
Beobachtungen und neurochirurgischer Erfahrungen“ (1951) wurde Merrem
als Dozent an die Karl-Marx-Universität berufen. Dort ist er über die 1955
erfolgte Verleihung des Ordinariats für Neurochirurgie bis zu seinem frühen Tod
am 8. Juli 1971 geblieben und hat als Direktor der Neurochirurgischen Klinik
72
eine ganze Generation angehender Neurochirurgen entscheidend beeinflusst.
Merrems Engagement für die medizinische Ausbildung schlug sich auch in
der Tätigkeit als Dekan der Medizinischen Fakultät von 1959 bis 1961 wie
seines in drei Auflagen erscheinenden „Lehrbuches der Neurochirurgie“ (1960)
oder dem viel beachteten Werk über „Die klinisch-biologische Wertigkeit der
Hirngeschwülste“ (1962) nieder.
Im Rahmen der Neuorganisation der Klinik war Merrem zudem in ein
unterstützendes Arbeitsumfeld eingetreten, das neben der Leipziger
hirnanatomischen Tradition auch durch die somatische Schule Erwin Gustav
Niessl v. Mayendorfs (1873-1943) in der Psychiatrie geprägt war. Zudem hatte
sich schon Erwin Payr (1871-1946) – in dessen Klinik Merrems Abteilung ihren
Anfang nahm – mit Problemen der Ventrikeldrainagen bei Gehirnoperationen
beschäftigt; sein eigenes Werk blieb wissenschaftlich weit gefächert und
reichte von der Hirndruckforschung bis hin zur Tumor- und Unfallchirurgie des
Nervensystems. Rückblickend stellte Merrem fest:
„Die Bedeutung der Neurochirurgie ist in den letzten Jahren in den Blickpunkt
der Allgemeinheit gerückt, da mehrere Fragestellungen der Chirurgie die
Öffentlichkeit besonders beschäftigen. Durch die zunehmende Motorisierung und
Vermehrung der Geschwindigkeit der Fahrzeuge ist die Zahl der Verkehrsunfälle
außerordentlich gestiegen. Die frontale Einwirkung hat zur Häufung von
Schädel-Hirn-Verletzungen geführt, die in der Hauptsache den tödlichen Verlauf
des gesamten Unfallgeschehens bestimmen.“ (Merrem, 1971, S. 1)
Durch seine Ausbildung in der Neurotraumatologie bei Tönnis, die operative
Sorgfalt in Krauses „Hohen Schule der Aspesis“ und vom genius morphologicus
loci unterstützt, konnte Merrem eine moderne neurochirurgische Therapie
und Forschung in Leipzig somit konsequent verbinden. Tatsächlich
mündete Merrems’ Ausbau der Neurochirurgischen Klinik in ein
hervorragendes Ausbildungszentrum für Neurochirurgie mit Differenzierung
in Spezialabteilungen für Neuroradiologie, Biochemie, Nystagmo- und
Okulographie sowie einem An-Institut der Elektroenzephalographie ein.
Hierdurch war eine wichtige Brücke geschaffen, bis Weiterentwicklungen
des OP-Mikroskops in den 1960er Jahren und die Einführung bildgebender
Verfahren in den 1970er Jahren die Neurochirurgie revolutionierten –
Fortschritte, die Merrem selbst aber nicht mehr erlebt hat.
Trotz vergleichbarer klinischer und praktischer Problemstellungen wie
enger persönlicher Beziehungen sind die Bahnen von Neurochirurgie und
73
Hirnforschung in beiden Teilen Deutschlands von Kriegsende bis 1989
aber weitgehend getrennt verlaufen: Tönnis war der Lehrer zahlreicher
Neurochirurgen im Westen, während sein früherer Schüler Merrem diese Rolle
in der DDR übernahm: Erst nach und nach entstanden weitere neurochirurgische
Abteilungen in Deutschland, die überwiegend an Universitätskliniken und von
Schülern Tönnis’ aufgebaut worden sind. So entwickelten sich bis zum Jahr
1949 insgesamt 16 spezialisierte Arbeitsstätten, und mit Traugott Riechert
(1905-1983) war 1946 ein zweites deutsches Extraordinariat für Neurochirurgie
in Freiburg geschaffen worden. Nur zwei von Tönnis’ Schülern sind jedoch
Angeboten aus der Sowjetisch-Besetzten-Zone (SBZ) gefolgt: Werner Usbeck
(1920-2007) ging nach Erfurt und Georg Merrem baute entsprechend das
Leipziger Zentrum auf, das über die Grenzen der DDR hinaus Anerkennung
gefunden hat. Am Beispiel Merrems zeigt sich aber auch, dass die Beziehungen
zu Westdeutschland trotz der politischen Trennung des Systeme nie ganz
verloren gegangen sind: Merrem wurde 1968 etwa die Fedor Krause-Medaille
als höchste Ehrenbezeichnung des Deutschen Neurochirurgen-Kongresses
in Gießen verliehen, obgleich die Feier in absentiam stattfinden musste, da
er wegen der vielen „republikflüchtigen“ Ärzte keine Ausreisegenehmigung
bekam:
[…] nicht Krankheit verhindert mein Kommen, sondern Umstände, auf die wir
keinen Einfluß haben. Ich bin kerngesund.“ (zit n. Pia, 1970, S. 199)
Merrem hatte als Thema der Gedächtnisvorlesung „Die parasagittalen
Meningeome“ gewählt, die durch Krause in seinem „Lehrbuch des Gehirns
und des Rückenmarks“ (1912) klassisch beschrieben wurden. Gleichzeitig ein
zentrales Manuskript Merrems, konnte es 1971 letztlich doch im Akademie
Verlag in den „Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften“
erscheinen. Wie an anderer Stelle auch betont Merrem darin die Bedeutung
internationaler und interdisziplinärer Arbeitsbeziehungen und macht die
Verbundenheit seines eigenen Wirkens mit den Leistungen der früheren
Lehrer deutlich. Zu seinen eigenen Schülern zählten etwa die Direktoren der
Neurochirurgischen Kliniken in Berlin-Buch, Dresden, Halle und Jena, und der
intensive Austausch mit nationalen wie internationalen Akademikern spiegelt
sich in seiner Initiative zur Gründung der Gesellschaft für Neurochirurgie
der DDR 1962, seiner Mitgliedschaft in der Sächsischen Akademie der
Wissenschaften zu Leipzig 1960 und der Aufnahme in die Deutsche Akademie
der Naturforscher „Leopoldina“ in Halle im Jahr 1963.
Dr. Frank Stahnisch
74
Literatur:
Hans Arnold (Hg.): Neurochirurgie in Deutschland: Geschichte und Gegenwart.
50 Jahre Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie. Berlin 2001.
Sibylle Berdermann: Prof. Dr. med. habil. Georg Merrem (1908-1971) – Gründer
und langjähriger Direktor der Neurochirurgischen Universitätsklinik Leipzig.
Diss. med. Universität Leipzig 1995.
Dietfried Müller-Hegemann: Georg Merrem zum 60. Geburtstag. In: Psychiatrie,
Neurologie und Medizinische Psychologie (Leipzig) 20 (1968), S. 321.
Hans-Werner Pia: Verleihung der Fedor Krause-Medaille an Prof. Dr. Georg
Merrem am 5. Juli 1969. In: Acta Neurochirurgia 23 (1970), S. 199-201, sowie:
Dem Gedächtnis von Georg Merrem (1908-1971). In: Acta Neurochirurgia 25
(1971), S. 123-124.
Hans-Walter Schmuhl: Hirnforschung und Krankenmord. Das Kaiser-WilhelmInstitut für Hirnforschung 1937-1945 (= Ergebnisse 1, Vorabdrucke aus dem
Forschungsprogramm „Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im
Nationalsozialismus“). Berlin 2000.
75
Wolfgang Natonek
Zum 60. Jahrestag seiner Verhaftung am 12. November
2008
Die Verhaftung des Studentenratsvorsitzenden jährt sich am 12. November
2008 zum 60. Mal. Zu den bekanntesten Studenten der Leipziger
Nachkriegsgeneration zählt Wolfgang Natonek (1919-1994). Sein
politisch couragiertes Auftreten war nicht nur für Leipzig bestimmend, es
erzeugte über Sachsen und die Grenzen der Sowjetischen Besatzungszone
hinaus Wirkungen.
77
Bereits von früh an wurde er zur kritischen Distanz gegenüber den
nationalsozialistischen Machthabern erzogen. Sein Vater Hans Natonek (18921963) war in Leipzig ein bekannter Schriftsteller und Journalist, der für die Neue
Leipziger Zeitung schrieb. 1933 wurde er aus politischen Gründen entlassen, verlor
seine Arbeitsmöglichkeiten und später auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Vor
den politischen Zuständen in seiner Heimat floh Hans Natonek zunächst nach
Prag und emigrierte später gerade noch rechtzeitig aus Europa in die USA.
Für Wolfgang Natonek wurden diese Erlebnisse zu einem prägenden Teil seiner
Jugend. Am 3. Oktober 1919 in Leipzig geboren, legte er 1938 das Abitur an
der Petri-Schule ab und begann zunächst für zwei Semester Veterinärmedizin zu
studieren, bis er zur Wehrmacht eingezogen wurde. Selbst an der Front holte ihn
seine Herkunft wieder ein: die Ausbürgerung seines Vaters bedeutet auch für ihn
den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit und 1941 wird Natonek aus der
Wehrmacht als „staatenlos und wehrunwürdig“ entlassen. Bis zum Kriegsende
kann er sich als Hilfsarbeiter in einem Leipziger Kleinbetrieb durchschlagen und
hat dort auch Kontakte zu Zwangsarbeitern, denen er nach Kräften hilft.
Der Zusammenbruch des NS-Regimes 1945 eröffnet ihm wieder eine Perspektive.
Politisch beginnt er sich in der Liberal-Demokratischen Partei (LDP) zu
engagieren und schreibt sich nach der Neueröffnung der Universität Leipzig im
Februar 1946 für ein Germanistikstudium ein.
Seinen politischen Überzeugungen folgend, tritt er als Kandidat für die
Studentenratswahlen im Februar 1946 an. Die LDP ging als stärkste politische
Kraft aus diesen Wahlen hervor und Natonek avancierte zum Vorsitzenden des
Studentenrates. In scharfen, vorerst noch rhetorischen Auseinandersetzungen
musste er sich von nun an gegenüber seinen politischen Gegnern behaupten.
Häufig wurde er in der Presse angegriffen, doch Natoneks Reden und
Entgegnungen zeugten nicht nur von seiner hohen politischen Moral, sondern
auch von der Hoffnung, die er auf den demokratischen Neubeginn setzte.
Auf integren Personen, wie Natonek oder Werner Ihmels (* 1926, von einem
sowjetischen Militärtribunal wegen falscher Anschuldigungen verurteilt und 1949
im sowjetischen Speziallager Bautzen verstorben) ruhten die Hoffnungen einer
ganzen Studentengeneration. Ihre aufrechte Gesinnung diente den nachfolgenden,
zumeist in den nichtöffentlichen Protest gezwungenen Studenten wie Herbert
Belter (* 1929) oder Gerhard Rybka (* 1922, beide von einem sowjetischen
Militärtribunal wegen falscher Anschuldigungen zum Tod verurteilt und 1951
bei Moskau erschossen) als Vorbild beim Ringen um den demokratischen
Wiederaufbau.
78
Konfliktlinien, speziell zum einzuschlagenden Weg des demokratischen
Wiederaufbaus, gab es dabei genug. Noch vor der Wiedereröffnung der
Universität erschien am 3. Februar 1946 ein Aufruf des demokratischen
Blocks der antifaschistischen Parteien, dessen Ausformung und Umsetzung die
politischen Differenzen in der Universität bis ins Jahr 1949 erheblich verschärfte.
Es war die Losung „Arbeiterstudenten auf die Universität“, eingebracht auf
Initiative der KPD und SPD, die den hochschulpolitischen Kurs in Leipzig
wesentlich präjudizierte. Während die Meinung über die Berechtigung eines
solchen Vorhabens anfangs nahezu einhellig positiv war, entfachten sich jedoch
die Kontroversen bei der bevorzugten Zulassung der Arbeiterstudenten auf die
wenigen Studienplätze und um die Ansiedlung der Vorstudienanstalten und
deren Hörervertretung an der Universität. Beide Maßnahmen sicherten der
SED kurzfristig einen erheblichen Stimmenzuwachs unter den Studenten und
langfristig eine Kaderreserve politisch loyaler Hochschulabsolventen.
Gerade unter den harten Nachkriegsbedingungen gab es schon genug Probleme,
denn Unterkunft, Heizung, Strom und Verpflegung waren in einer zerstörten Stadt
nur schwer zu beschaffen. Hinzu kamen noch die Verhältnisse an der zu zwei
Dritteln ausgebombten Universität: fehlende Räumlichkeiten für den Lehrbetrieb,
geringer Bücherbestand und mangelnde personelle Besetzung der Lehrstühle.
Daraus erwuchs ein sowohl solidarisierendes wie politisierendes Moment. Die
meisten dieser Schwierigkeiten waren von dem einzelnen Studenten nicht oder
nur unzureichend zu bewältigen. Der Studentenrat besaß damit eine wichtige
integrative Funktion. Nur mit seiner Hilfe konnten die immensen Alltagsprobleme
gelöst werden. Die älteren Studenten versuchten ihr Studium ohnehin so schnell
wie möglich zu beenden, um die durch den Krieg verlorene Zeit nicht noch weiter
auszudehnen. Durch die Härten und Erfahrungen der Kriegserlebnisse waren sie
kaum mit einer Studentengeneration vor ihnen vergleichbar. Dagegen sahen die
jüngeren Studenten, die 1945 oder später ihr Abitur bestanden hatten, in diesem
Studentenrat einen Gestaltungsspielraum und erlebten das für sie ungewohnte
Spiel der freien Kräfte – in freizügiger Weise diskutierten sie politische Fragen
um der angestrebten Lösungen, nicht um ihrer selbst willen.
Die Bevorzugung von Arbeiter- und Bauernkindern bei der Zulassung zum
Studium führte in emotional geprägten Diskussionen zu heftigen Kontroversen.
Dabei war Natonek zu dieser Frage grundsätzlich positiv eingestellt. Er sah aber
auch die Gefahren, die sich aus einer einseitigen Bevorzugung ergaben: „Wir
haben den Wunsch, an den Arbeiterstudenten etwas gutzumachen, und würden
sie enttäuschen, wenn wir sie auf einem Weg fortschreiten ließen, auf dessen
weiterer Vollendung sie anerkennen müssten, dass das Ziel nicht zu erreichen
79
ist ... Die Welt sieht heute mit besonders kritischen Augen auf uns, auch auf die
Wiedergutmachung an denen, die Opfer des Faschismus sind. Darauf sollen sich
auch die besinnen, die murren, weil sie weiter ein Jahr warten müssen ... Das
gehört mit zu dem Humanitätsgedanken, um dessen Verwirklichung wir heute
ringen.“
Nach einigen vergeblichen Versuchen seiner politischen Gegner, eine Relegierung
Natoneks zu erlangen, wurde er schließlich durch die sowjetische Besatzungsmacht
in der Nacht vom 11. zum 12. November 1948 verhaftet. Doch mit der Verhaftung
allein war es nicht getan, selbst dem NKWD [Volkskommissariat für Inneres],
sonst nicht sehr wählerisch in seinen Anklagekonstrukten, fiel es schwer,
Natonek ein strafwürdiges Verhalten nachzuweisen. Dennoch wurde Natonek zu
25 Jahren Arbeitslager verurteilt. Einen Teil der Strafe verbüßte er in Torgau und
Bautzen, nach seiner Entlassung im Jahre 1956 begab er sich kurz nach Leipzig
und siedelte dann in die Bundesrepublik Deutschland über.
Im Umfeld Natoneks, und insbesondere unter den bürgerlichen Vertretern des
Studentenrates, kam es gleichzeitig zu weiteren Verhaftungen. Am 12. November
1948 marschierten Polizeikolonnen mit Gewehren, hinter Schalmeienkapellen
und roten Fahnen durch die Innenstadt – sie demonstrierten öffentlich den neuen
Umgang mit den politischen Gegnern der SED in der SBZ. „Die wussten schon
alles über uns.“, so Walter Nienhagen (1927-2007), einer der Verhafteten. „Von
jeder Sitzung unserer Gruppe existierte ein Wortprotokoll, wir waren komplett
ausgespitzelt worden.“ Ein sowjetisches Militärgericht verurteilte Walter
Nienhagen im Januar 1950 zu 25 Jahren Arbeitslager und deportierte ihn nach
Bautzen. Erst Ende 1956 wurde er entlassen und in den Westen abgeschoben.
Nach den Verhaftungen setzte eine „Erste Widerstandsgruppe“ an der Universität
Leipzig Flugblätter in Umlauf – das offenbarte die neue politische Situation und
das Ausweichen der Diskutanten in den Untergrund. Mit dem zunehmenden
Einfluss der FDJ wurden die Möglichkeiten der freien Meinungsäußerung,
selbst im privaten Umkreis, immer geringer. Was folgte, war die Abkehr vom
politischen Geschehen, von dem man ohnmächtig ausgeschlossen blieb, oder
Verweigerungshaltungen bei persönlich nicht zu ahndenden Wahlakten. Durch
die Ausgrenzung der bürgerlichen Parteien im Studentenrat und die Auflösung der
LDP- und CDU-Hochschulgruppen nach der Verhaftung Natoneks im November
1948 wurden die Möglichkeiten der politischen Diskussion und der tatsächlichen
Einflussnahme auf die Ausrichtung der Studien- und Bildungspolitik immer
geringer. Einer der wenigen Studenten, die sich trotz Natoneks Verhaftung im
Wahlkampf öffentlich noch zu liberalen Grundpositionen bekannte, war Günter
80
Kröber (* 1928). Auch er wurde in der DDR mehrfach inhaftiert, blieb seinen
politischen Idealen jedoch treu und gehörte nach 1990 dem ersten frei gewählten
sächsischen Landtag an.
Wolfgang Natonek konnte sein Studium in der Bundesrepublik Deutschland, in
Göttingen, fortsetzen und war danach als Gymnasiallehrer tätig. 1992 kehrte er
das erste Mal nach Leipzig zurück, um an der öffentlichen Immatrikulationsfeier
der Universität teilzunehmen. Auf Vorschlag der Universität Leipzig erhält er im
gleichen Jahr für seine Verdienste eine Titularprofessur durch den Sächsischen
Staatsminister für Wissenschaft und Kunst. Hoch betagt stirbt Wolfgang Natonek
im Jahre 1994 in Göttingen.
Bereits 1996 widmete die Universität Leipzig ihren aus politischen Gründen
ermordeten, verschleppten und teilweise in der Haft verstorbenen Studenten und
Angehörigen eine Ausstellung. Seit 1996 wird an der Universität Leipzig der
Wolfgang-Natonek-Preis an Studenten mit herausragenden Studienleistungen
und besonderem Engagement für die Interessen der Universität verliehen.
Jens Blecher
Literatur:
Krönig, Waldemar /Müller, Klaus-Dieter: Anpassung – Widerstand – Verfolgung.
Hochschule und Studenten in der SBZ und DDR 1945-1961, in memoriam
Wolfgang Natonek (1919-1994). Köln 1994.
Pförtner, Kurt /Natonek, Wolfgang: Ihr aber steht im Licht. Eine Dokumentation
aus sowjetischem u. sowjetzonalem Gewahrsam, Tübingen am Neckar 1963.
Wiemers, Gerald / Blecher, Jens: Studentischer Widerstand an der Universität
Leipzig 1945-1955. Herausgegeben von der Universität Leipzig und der
Vereinigung von Förderern und Freunden der Universität e.V., Leipzig 1997.
81
Anton Ridiger
Zum 225. Todestag am 17. November 2008
Der Ordinarius für Chemie (1762-1783) an der Medizinischen Fakultät
leistete mit seinem bereits 1756 in deutscher Sprache erschienenen
Handbuch „Systematische Anleitung zur reinen und überhaupt applicirten
oder allgemeinen Chemie“ einen nachhaltigen und anerkannten Beitrag
zum Verständnis chemischer Prozesse und zu ihrem praktischen Nutzen.
83
Das Verzeichnis der Professores Chemiae Publici Ordinarii der Alma mater
Lipsiensis im „Vetter“ (Concilia Vetter, UAL) führt in Folge die Namen von
Johann Christian Schamberg, Martin Naboth, Johann Christian Scheider, Adam
Friedrich Petzold, Anton Ridiger und Christian Gotthold Eschenbach auf. Der
zuletzt Genannte begründete 1805 das erste Chemische Universitätslaboratorium
in der Pleißenburg und gab den Stab an Otto Linné Erdmann, den ersten Ordinarius
für Technische Chemie an der Philosophischen Fakultät, weiter (Beyer, Behrens
2003).
Eschenbachs Amtsvorgänger Anton Ridiger wurde am 2. August 1720 in Leipzig
als Sohn des phil. und medic. Doktor Andreas Ridiger und der Maria Magdalena
geb. Herbstü geboren. Einer seiner Lehrer war der Theologieprofessor Johann
Chr. Hebenstreit. Ridiger begann 1740 das Studium der Philosophie und Medizin
an der Universität Leipzig, erwarb den Baccalaureus Philosophiae Lipsiensis am
25. Februar 1745 und den Baccalaureus Medicinae 1749, den Licentiatus am 7.
August 1750 und verteidigte hier am gleichen Tag die Dissertation mit der Schrift
„Observationes et meditationes de veritate virtutis medicamentorum propriae
et hance explorandi“ (Ridiger, 1750). Seine Hochschullehrer waren August
Friedrich Müller, August Friedrich Walther, Zacharias Platner, Ernest Hebenstreit,
Samuel Theodor Quellmalz, Gottlieb Ludwig und Justus G. Günter. In diesem
Zusammenhang ist erwähnenswert, dass zwei von ihnen, und dazu auch Ridiger
selbst, in einem 1798 in Göttingen erschienenen Standardwerk „Geschichte der
Chemie“ von Johann Friedrich Gmelin wie folgt zitiert wurden (Gmelin, 1798,
S. 624): „Zu Leipzig zeigte Sam. Theod. Quellmalz die Behutsamkeit, welche
bei der Bereitung des Knallgoldes nöthig ist; er erkannte die Eigenschaft eines
Ofenbruchs, wenn er gerieben wurde, im Dunkeln zu leuchten, und beschrieb
die Bereitung des rauchenden Salpetergeistes sowohl, als seine Entzündung
mit Nelkenöl; er hinterließ auch eine Schrift über die Mittelsalze, und über den
Arsenik, als Grundstoff der Metalle; ein anderer Lehrer dieser hohen Schule A. F.
Walther suchte in mehreren Gesundbrunnen ein salpeterartiges Salz zu erweisen,
Ant. Ridiger hatte das Blut zerlegt ...“. Quellmalz hatte außerdem, wie es an
anderer Stelle heißt (Gmelin, 1798, S. 683), das von Gottfried Rothe verfasste
und 1717 in Leipzig erschienene, „sehr wohl geordnete und geschätzte Handbuch
‚Gründliche Anleitung zur Chymie’, ... von neuem durchgesehen, von denen in
den anderen Auflagen wider des Autoris Sinn eingestreueten, vielen unrichtigen
Dingen gesäubert, hingegen aber hin und wieder mit nöthigen Anmerkungen und
zur Erläuterung dienenden Processen vermehrt“ und die „Sechste, vermehrte und
verbesserte Auflage“ 1745 ebenfalls in Leipzig herausgebracht.
84
Anton Ridiger kam so frühzeitig mit chemischen Problemen in Berührung. Er
wurde 1762 zum Professor Chemiae Publ. ordinarius an der Universität Leipzig
ernannt und übte dieses Amt bis zu seinem Ableben am 17. November 1783 aus.
Die Aufnahme in zwei Akademien ist Ausdruck für seinen wissenschaftlichen
Ruf über Leipzigs Universität hinaus: Sodalis academia stientiarum Ebert.
Bavaricae (1764) und Sodalis honorarius Societatis oeconomicae Lipsiensis
(1768) (Concilia Vetter). Anton Ridiger verfasste in Leipzig das Werk „Chemiae
universalis usus in physiologia medica“ (Ridiger, 1762) und hinterließ mehrere
unveröffentlichte Werke, darunter an erster Stelle eine Chemia theoretica. Dass
diese Schrift nicht mehr zur Verfügung steht, ist besonders bedauerlich., weil sie
in Stahls Zeitalter reger theoretischer Kontroversen zur Phlogiston-Hypothese
– das Phlogiston-Symbol ist in Abb. 1, Kolonne IX enthalten – fiel und die
heutigen Theoretischen Chemiker sich auf ein weiteres Werk ihrer Stammväter
aus der Anfangszeit der universitären Leipziger Chemie, neben Bernhard Gottlob
Kühn, hätten beziehen können. Der Rektor der Universität Leipzig würdigte
1786 Anton Ridigers Leben und Wirken in einer mehrseitigen „Memoria viri
celeberrimi atque Experientissimi Antonii Ridigeri“ (Memoria, 1786). Für
die durch Ridigers Tätigkeit zugenommene Bedeutung des Lehrstuhls sprach,
dass sich vier Bewerber um seine Nachfolge bemühten, von denen schließlich
Christian Gotthold Eschenbach ausgewählt wurde.
Schon zur „Leipziger Jubilatmesse 1756“ erschien Anton Ridigers Hauptwerk,
„verlegts Johann Gottfried Dyck, Leipzig,“, betitelt „Systematische Anleitung
zur reinen und überhaupt applicirten oder allgemeinen Chemie, darinnen die
chymischen Handarbeiten in einer natürlichen Ordnung ausführlich beschrieben,
ihr näherer Gebrauch und alle zu den Operationen gehörige, theils physikalische,
theils mechanische Instrumente und die nöthigsten Handgriffe und Vorsichten
bei jeder Operation deutlich angezeiget werden, nebst einem Unterrichte von
der Ausarbeitung und den Kräften einiger brauchbarer Arzeneyen, und wie eine
dogmatische Pharmacie nützlich abgehandelt werden könne. Mit Kupfern.“
(Ridiger, 1756). Besonders bemerkenswert ist, dass es, „... und zwar auf
Verlangen des Herrn Verlegers, vorietzo in teutscher Sprache und dem Drucke
zu übergeben“ (Ridiger, 1756, Vorrede) sei und nicht, wie sonst meist üblich, in
lateinischer Sprache verfasst wurde. Johann Friedrich Gmelin würdigte es 42
Jahre später zusammen mit einer Reihe von in „Teutschland und Frankreich als in
Italien, in den Niederlanden, in Schweden und Grosbritannien“ herausgebrachten
„Handbüchern, welche die ganze Wissenschaft ((betr. Chemie)) umfasten“ (Gmelin
1798, S. 682-686). Es handelt sich um ein auch aus heutiger Sicht inhaltsreiches,
logisch entwickeltes und didaktisch gut gegliedertes Lehrbuch, das sowohl
theoretische Überlegungen und Erklärungen als auch genügend Anleitungen für
85
experimentell-praktische Arbeiten zur Chemie in vier Hauptabschnitten auf mehr
als 780 Seiten beinhaltet. Nach einer Zuwidmung „Dem Hochwohlgebohrnen
Herrn Hanß Gotthelff Baron von Globig, Ihro Königl. Majestät in Pohlen und
Churfürstl. Durchl. zu Sachsen hochbestallten Präsidenten bey dem hochlöblichen
Ober-constistorio zu Dreßden. Meinem gnädigen Herrn“ folgen die Vorrede an
„Hochgeneigte Leser“ und danach Abschnitt 1: Von der Natur, dem Ursprunge
und Fortgang der chymischen Kunst und der besten Art, dieselbe zu lehren (50
Seiten); Abschnitt 2: Von den materiellen physicalischen Mitteln der chymischen
Kunst (215 Seiten); Abschnitt 3: Von den würklichen Mitteln der chymischen
Kunst (400 Seiten) und Abschnitt 4: Von der Ausarbeitung einiger nützlicher
Arzneyen (120 Seiten). Der Abhandlung schließt sich auf 37 Seiten ein sehr
detailliertes „Register der in diesem Werke ausgeführten vornehmsten Materien“
– eine Art Inhaltsverzeichnis mit Hinweis auf die einzelnen, in thesenhafter
Form gefassten, durchgängig nummerierten Unterkapitel, zugleich versehen
mit einer kurzgefassten Definition der jeweiligen Begriffe – an. Eingeklebt im
gut konservierten schweinsledernen Band sind am Schluss vier Tabellen mit
zahlreichen exzellent wiedergegebenen Kupferstichen von chemischen Geräten,
wie Destillierkolben, Wasserbäder usw., sowie eine interessante „Tabelle der
Verwandtschaften unterschiedener Substanzen zu der Lehre von denselben“
(Abbildung 1). Obschon es zu jener Zeit noch kein offizielles Chemisches
Universitätslaboratorium in Leipzig gab und die Chymie ex catedra seit Michael
Heinrich Horn, dem ersten Chemieprofessor (1668-1681) an der Alma mater
Lipsiensis, gelehrt wurde, hat Anton Ridiger selbst chemisch experimentell
gearbeitet. Das schließt der Verfasser aus den detaillierten Beschreibungen
chemischer Geräte und Reaktionen sowie aus vielen experimentellen Hinweisen
mit Insiderwissen. Es ist allerdings aus den zur Verfügung stehenden Dokumenten
über Ridiger nicht nachweisbar, ob er sich in der Zeit zwischen 1750 (Promotion)
und 1762 (Professur) nicht auch außerhalb Leipzigs aufgehalten hat oder hier in
Leipzig ein Privatlaboratorium unterhielt.
Die gesamte Anlage des Werkes lässt deutlich werden, dass Ridiger aus der
Beschreibung chemischer Sachverhalte, wie den Eigenschaften von Materialien
und chemischen Reaktionen, stets und mit Erfolg nach Ordnungskriterien
gesucht hat und verallgemeinernde Schlüsse zieht. Insoweit ist er tatsächlich
auf dem Weg zu einer „theoretischen Chemie“ des Wissens und der Erkenntnis
seiner Zeit, womöglich gar dieser voraus: „Man kann daher das Bestreben der
Gelehrten, neue und nützliche Entdeckungen in dem Reiche der Natur zu machen,
nicht allein keineswegs tadeln, sondern man ist auch genöthigt, die Bemühungen
derjenigen zu billigen, welche zum Aufnehmen und Wachsthum der Künste
und Wissenschaften mehr allgemeine Gesetze, so bey Untersuchungen und
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Zusamensetzung der Cörper, wenn sie nützlich und brauchbar seyn sollen, zu
beobachten sind, aus einer sattsamen Menge von Erfahrungen, und zugleich aus
denen daher gemachten richtigen Vernunftschlüssen mit aller nur möglichen
Vorsicht bestimmen ... und wenn man bey solchem Nachforschen nicht blindlings
und auf ein gerathe wohl verfahren will, so muß man die Versuche nach gewissen
Gesetzen und mit geübter Hand anzustellen wissen. Es sind aber besonders die
reine Mathematik und die überhaupt applicirte oder allgemeine Chymie solche
Wissenschaften, welche zeigen, wie alles, was noch in dem Reiche der Natur
verborgen ist, nach gewissen Gesetzen, mit Wahrheit und auch zureichend
durch Versuche zu entdecken sey ...“ (Ridiger, 1756, aus der Vorrede). Und
im 1. Abschnitt heißt es: „... dass alle chymische Arbeiten zuletzt auf einen
beständigen wesentlichen Zweck hinauslaufen und dass das unveränderliche
Ziel der chymischen Kunst das Scheiden und Verbinden ((heute nennt man das
Analyse und Synthese, d. A.)) zugleich (separatio una cum combinatione) sey.
Man sollte also die Chymie nicht bloß die Scheidungskunst, sondern vielmehr
die Kunst mischbare Materien, in so weit sie solche sind, zu verbinden und zu
scheiden, nennen ... Da man insgemein diejenigen Geschicklichkeiten Künste
nennet, durch welche man entweder Dinge hervorbringet, so die Natur von sich
alleine nicht hervorzubringen pfleget, oder durch welche man das Verborgene
offenbar machet, oder auch die Werke der Natur nachahmet, so verdienet die
Chymie ohne allen Zweifel und mit größtem Rechte den Namen einer Kunst, denn
sie leistet alles dieses zusammen.“ (Ridiger, 1756, S. 20-21). Dieser Sachverhalt
lässt sich wohl kaum besser ausdrücken; und Ridiger rückt bewusst von der
Beschränkung gewisser Alchymisten auf die Transmutation der Metalle und
occulte Heilungspraktiken ab. Eindrucksvoll sind die Passagen, die Ridiger über
die Wirkungen von Licht und Feuer (Wärme), über das Verhalten von Metallen,
Säuren, Erden und besonders über die Funktion des Wassers schreibt. Man erkennt
als Chemiker in den aufgeschriebenen Prozessen manches, was man heute genauso,
nur mit modernen Begriffen, wie Extraktion, Säurestärke, Reaktivität und andere
versehen, formulieren könnte. Besonders eindrucksvoll ist die Kolonne 11 in der
„Tabelle der Verwandschaften“ (Abb. 1, Bedeutung der Symbole in Col. XI von
oben nach unten: Goldscheidewasser= Aqua regia – fixes und flüchtiges Alcali
– Zink – Eisen – Zinn – Kupfer – Spießglanzkönig = Antimon – Quecksilber
– Gold; siehe auch alchymistische Planetensymbole und Geßmann, 1922), wozu
Ridiger in der Erläuterung schreibt: „XI. Col. Zeigt das von mir untersuchte unter
verschiedene Verhältniß der Metalle und metallähnlichen Substanzen gegen das
Goldscheidewasser. Mit Zink kann man das in Goldscheidewasser aufgelöste
Eisen, mit diesem, wenn die Auflösung verdünnet ist, das Zinn, mit dem Zinne
das Kupfer, mit dem Kupfer den Spießglanzkönig (Antimon, d. A.), mit diesem
das Quecksilber und mit dem Quecksilber das Gold aus dem Goldscheidewasser
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niederschlagen, und also hat das Gold die geringste Verwandtschaft mit dem
Scheidewasser, das von der so gewöhnlichen Auflösung in ihm den Namen hat“
(Ridiger, 1756, Beilage, Tabelle der Verw.). Es handelt sich um eine Frühform der
Erkenntnis zur „Spannungsreihe der Metalle“, welche mehr als 130 Jahre später
Walther Nernst (Nobelpreisträger 1920) in seiner Leipziger Habilitationszeit von
1887 bis 1889 im Labor Wilhelm Ostwalds mit der fundamentalen „Nernstschen
Gleichung“ quantitativ und allgemeingültig formulierte.
Lothar Beyer
Literatur:
Beyer, Lothar, Behrends, Rainer: De artes chemiae, Passage-Verlag Leipzig,
2003.
Concilia Vetter: Collect. III: Professores Chemiae Publici Ordinarii , UAL, FilmNr. 538, Bl. 133-134.
Gmelin, Johann Friedrich: Geschichte der Chemie, Band II, Göttingen 1798 ;
Reprint Georg Olms Verlagsbuchhandlung Hildesheim, 1965.
Memoria viri celeberrimi atque Experientissimi Antonii Ridigeri, Philosphiae
ac Medicinae Doctoris Chemiae Prof. Ordinarii Societatis Scientia Bavaricae
oeconomicae item Lipsiensis Sodalis. Commendata ab Rectore Universitatis,
Litterarum Lipsiensis, Leipzig, 1786. (Universitätsbibliothek Leipzig, Bibliotheca
Albertina, 4-Vit.3720)
Ridiger, Anton: Systematische Anleitung zur reinen und überhaupt applicirten
oder allgemeinen Chemie, Leipzig, 1756 (Universitätsbibliothek Leipzig,
Bibliotheca Albertina, Phys u. Chem 1364)
Geßmann, G. W.: Die Geheimsymbole der Alchymie, Arzneikunde und Astrologie
des Mittelalters, 1922. Reprint-Verlag Leipzig (ISBN 3-8262-0722-X)
88
Lüder Mencke
Zum 350. Geburtstag am 14. Dezember 2008
Lüder Mencke (1658-1726) bekleidete die erste Professur für Sächsisches
Recht an der Juristenfakultät, an deren Spitze er später aufsteigen konnte.
Er begründete eine für das 18. Jahrhundert typische Fakultätsfamilie.
89
Sein Vetter Otto Mencke war in dieser Zeit ebenfalls Professor in Leipzig, sein
Neffe Johann Burchard Mencke gehörte der Philosophischen Fakultät an, sein
Sohn Gottfried Ludewig Mencke wurde 1712 Professor an der Juristenfakultät,
sein Enkel Gottfried Ludwig Mencke 1748 außerordentlicher Professor. Zu
seinen Nachkommen zählte der erste Reichskanzler Otto von Bismarck.
Lüder Mencke wurde am 14. Dezember 1658 in Oldenburg als Sohn des
Kaufmannes Helmrich und seiner Ehefrau Metta Spiesmacher geboren. Der Vater
starb schon 1671. Nach Schulbesuchen in Nordhausen und Merseburg studierte
Lüder Mencke in Leipzig und Jena Rechtswissenschaft. In Jena wurde Georg
Adam Struve sein prägender Lehrer. Bei ihm respondierte er zweimal. Struve
räumte in seinen Darstellungen des römischen Rechts auch dem einheimischen
Recht Raum ein. 1679 erwarb Mencke den Baccalareus-Grad, 1680 wurde er
Magister der Philosophie, 1682 erlangte er – mit 23 Jahren außergewöhnlich
jung – in Leipzig den Doktortitel. Im folgenden Jahr wurde er Kollegiat des
kleinen Fürstenkollegs. 1699 wurde er Beisitzer des Spruchkollegiums der
Juristenfakultät, und im Jahre 1702 wurde ihm die gerade eingerichtete ordentliche
Professur für sächsisches Recht (Prof. iuris saxonici et cursoriae tractationis
Pandectarum) übertragen. Ob es sich dabei wirklich um die erste Professur für
Partikularrecht in Deutschland überhaupt handelt, wie von Friedberg (S. 78)
behauptet wird, ist fraglich. Lange hat Mencke diese Professur allerdings nicht
ausgeübt. Rasch stieg er in der Rangfolge der juristischen Professuren auf: Bereits
drei Jahre später wurde ihm die angesehenere Institutionenprofessur übertragen,
1708 die Pandektenprofessur; 1709 wurde er Dekretalenprofessor und damit
Ordinarius. Sein Aufstieg innerhalb der Juristenfakultät war verbunden mit der
Einsetzung in die Pfründen an den Naumburger (1708) und Merseburger (1709)
Domkapiteln. Damit gehörte er zu den wenigen finanziell gut abgesicherten
Professoren der Fakultät. Zweimal, 1707 und 1711, übte er das Amt des Rektors
der Universität aus, 1707 gefolgt von seinem Neffen Johann Burchard Mencke,
der dieses Amt mehrfach übernahm.
In der unmittelbaren Nachfolge von Thomasius hielt auch Mencke Vorlesungen
in deutscher Sprache, vermutlich über Sächsisches Recht. 1708 erklärte er in
seiner Regia ad veritat. et iurisprudent. excolendam via, dass er wöchentlich
eine Stunde zu Kolloquien verwende, in denen er sich der deutschen Sprache
bediene. Auch merkte er an, dass er in den Privatvorlesungen, die auch während
der Messen gehalten wurden, den methodus lectorio-examinatoria anwende. Die
Vorlesungen des „sehr kleinen, aber frommen und fleißigen“ Mannes fanden
außerordentlichen Beifall (Mutzenbecher).
90
Neben seiner Tätigkeit an der Universität war Lüder Mencke seit 1693 als
Assessor des Oberhofgerichtes des Kurfürstentums Sachsen in Leipzig
beschäftigt. 1709 wurde er Sächsischer Rat. 1720 wurde er nach dem Tode seines
zweiten Schwiegervaters Erb-, Lehn- und Gerichtsherr von Gohlis. Mencke war
dreimal verheiratet.
Am 26. Juni 1726 erlitt er einen Schlaganfall als er an seinem Pulte stand und
in der Bibel las. Mencke starb am 29. Juni 1726 vermutlich in Gohlis und nicht
in Leipzig, das generell als sein Sterbeort genannt wird. Jedenfalls findet sich
im Leipziger Kirchenbuch kein entsprechender Eintrag. In den Kirchenbüchern
für Gohlis (Eutritzsch) fehlen die betreffenden Seiten. Begraben wurde er in der
Paulinerkirche. Nach ihm sind heute die Menckestraße und die Lüderstraße in
Leipzig-Gohlis benannt.
Menckes umfangreiches Schriftenverzeichnis umfasst eine große Anzahl
(mindestens 60) von Dissertationen, bei denen nicht sicher ist, ob er oder der
Promovend den wesentlichen Text verfasste. Diese Arbeiten entstammen weithin
dem römischen Recht, nur wenige sind dem sächsischen Recht entnommen. Auch
in seinen übrigen Schriften finden sich nur wenige Werke zum einheimischen
Recht, und zwar über den gemeinen und sächsischen Prozeß. Breiten Raum
nimmt das deutsche Recht allerdings in seinem bekanntesten Werk, den
Kommentierungen (Additiones) von Struves „Jurisprudentiam romanogermanicam forensis“ ein, die erstmals 1689 erschienen und 1694 sowie 1704
wiederaufgelegt wurden. Struves Werk war damals das Lehrbuch des römischen
Rechts schlechthin und fand in zahlreichen Drucken und Bearbeitungen weite
Verbreitung. Mencke hielt jährlich Disputationen ab, die auf diesem Werk
beruhten. Menckes drei wichtigsten Werke zum römischen Recht wurden 1754
von Christian Schön unter dem Titel „Systema iuris civilis secundum Pandectas“
bei Breitkopf in Leipzig veröffentlicht. Diese späte Edition spricht für das große
Ansehen, das Mencke bei seinen Zeitgenossen, aber auch noch nach seinem Tode
genoss. Im 19. Jahrhundert geriet er gründlich in Vergessenheit.
Bernd-Rüdiger Kern
91
Literatur:
Gottlieb Christian Jöcher, Allgemeines Gelehrten-Lexikon, T. 4, 1751, Sp. 416418.
Mutzenbecher, Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 21, 1885, S. 311-312.
Gustav Wustmann, Fürst Bismarcks Leipziger Vorfahren, in: ders. (Hrsg.),
Quellen zur Geschichte Leipzigs. Veröffentlichungen aus dem Archiv und der
Bibliothek der Stadt Leipzig, 1895, S. 542-544.
Emil Friedberg, Die Leipziger Juristenfakultät. Ihre Doktoren und ihr Heim.
1409-1909, 1909
Notker Hammerstein, Mencke(n), in: Neue Deutsche Biographie, Bd. XVII,
1994, S. 33.
92
Arthur Golf
Zum 75. Jahrestag seines Rektorats am 30. Dezember 2008
Vor 75 Jahren wurde am 30. Dezember mit Arthur Golf der erste
nationalsozialistische Rektor der Universität Leipzig ernannt. Obgleich er
schon seit 1922 die ordentliche Professur für Tierzuchtlehre der sächsischen
Landesuniversität innehatte, wurde Arthur Golf (1877-1941) im Kreise
seiner Kollegen eher belächelt als akzeptiert.
93
Wie also vollzog sich im Jahr der nationalsozialistischen „Machtergreifung“
der Aufstieg dieses Außenseiters in das höchste Amt einer der bedeutendsten
deutschen Hochschulen?
Arthur Golf wurde am 21. Juli 1877 in Beyersdorf als Sohn eines Rittergutsbesitzers
geboren. Nach dem Besuch des städtischen Gymnasiums Halle wandte er
sich dem Studium der Landwirtschaft in Bonn-Poppelsdorf und Halle zu. Als
Schüler Ferdinand Wohltmanns spezialisierte Golf sich früh auf die koloniale
Landwirtschaft. Er promovierte 1902 an der Universität Halle mit einer Arbeit zur
Bewässerungswirtschaft in Nordamerika, habilitierte sich fünf Jahre später mit
gleichem Schwerpunkt und nahm 1907/08 und 1912 an Forschungsexpeditionen
nach Süd- und Südwest-Afrika teil.
Als an der Universität Leipzig der erste deutsche Lehrstuhl für koloniale
Landwirtschaft errichtet wurde, entschied sich die Berufungskommission
umgehend für Arthur Golf. Seine Berufung zum Extraordinarius erfolgte zum
Wintersemester 1912/13, die Errichtung des Instituts war für 1914 vorgesehen.
Wegen des Kriegsausbruchs blieb die Einrichtung jedoch weitgehend ein Torso,
Golf selbst diente während des gesamten Krieges im Heer.
Den militärischen wie politischen Zusammenbruch empfand er als Katastrophe,
verlor das Deutsche Reich doch mit der Ratifizierung des Versailler Vertrages
im Sommer 1919 nicht nur die beanspruchte Weltgeltung, sondern auch seine
Kolonien. Damit gerieten insbesondere die Kolonialwissenschaften in akute
Legitimationsnöte und Golf in eine berufliche Sackgasse, noch ehe er seine
Arbeit in Leipzig überhaupt voll hatte aufnehmen können.
Nicht zuletzt aus dieser Desillusionierung heraus entfaltete er in den folgenden
Jahren ein reges Engagement gegen den Versailler Vertrag und die ungeliebte
Weimarer Republik. So zählte er zu den führenden Köpfen der Deutschen
Kolonialgesellschaft in Leipzig und war 1919 bis 1922 Mitglied des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes.
Am Landwirtschaftlichen Institut trat Golf dagegen kaum in Erscheinung. Dies
änderte sich erst mit seiner Berufung zum Ordinarius für Tierzuchtlehre im
September 1922, der ein längerer Streit innerhalb der Philosophischen Fakultät
vorangegangen war. Wiederholt wurde dabei die wissenschaftliche Befähigung
Golfs in Frage gestellt und erst als mehrfach Verhandlungen mit anderen
Kandidaten scheiterten, entschloss sich die Fakultät zu dieser ungeliebten
Hausberufung.
94
Damit oblag Golf der Aufbau eines bislang nur auf dem Papier bestehenden
Instituts und die Umgestaltung der bisher vorwiegend Anbauversuchen
dienenden Versuchswirtschaft Oberholz bei Leipzig. Zugleich vertrat Golf auch
weiterhin die koloniale Landwirtschaft, der sein eigentliches Interesse galt. Beide
Arbeitsgebiete vermochte er durch die Neuausrichtung des Instituts auf Fragen der
Schafzucht zu verbinden. Neben verschiedenen sächsischen Stammschäfereien
betreute er so die deutsche Farmwirtschaftsgesellschaft für Südwest-Afrika. Die
Bearbeitung anderer Forschungsgebiete überließ er dagegen weitgehend seinem
langjährigen Assistenten Erhard Berndt, zu dem er ebenso wie zum akademischen
Nachwuchs ein enges Vertrauensverhältnis entwickelte.
Eine neue Qualität gewann dieses Verhältnis zu Beginn der 1930er Jahre, als
sich der Nationalsozialistische Studentenbund anschickte, zur einflussreichsten
politischen Gruppierung an den deutschen Hochschulen aufzusteigen. Während
die radikalisierte Studentenschaft bei den älteren Hochschullehrern überwiegend
auf Unverständnis stieß, fand die nationalsozialistische Studentengruppe der
Universität Leipzig in Golf einen Fürsprecher und Förderer. Da die „Politisierung“
auch den akademischen Mittelbau des Landwirtschaftlichen Instituts zunehmend
erfasste und damit Golfs Umfeld zunehmend prägte, entschloss er selbst sich im
Juli 1932 zum Eintritt in die NSDAP. Mit diesem Schritt distanzierte sich Golf
deutlich von der betont unpolitischen, tatsächlich aber zumeist deutschnationalen
Haltung seiner Kollegen. So waren Berndt und Golf auch die einzigen Dozenten
der Landwirtschaftswissenschaften, die im Frühjahr 1933 ihre Unterschrift unter
das Propagandawerk „Bekenntnis der deutschen Geisteswelt zu Adolf Hitler“
setzten. Den Höhepunkt dieses Engagements bildete freilich ein Festakt Anfang
März 1933, als Golf die Hakenkreuzfahne über dem Landwirtschaftlichen Institut
aufziehen ließ und die versammelte Belegschaft auf den Führer einschwor.
Begünstigt wurde ein derartiger politischer Aktivismus durch einen sich am
Landwirtschaftlichen Institut abzeichnenden Personalwechsel, der Golfs Position
vorübergehend stärkte.
Seinen Anspruch auf das Rektorat der Universität Leipzig hatte er bereits im
Sommer angemeldet, als er den als Demokraten bekannten Prorektor Theodor Litt
nachdrücklich zum Rücktritt aufforderte. Aus der Rektorwahl im Oktober 1933
ging Golf als klarer Sieger hervor. Dieses Votum verdankte er jedoch weniger
der Wertschätzung seiner Kollegen, als vielmehr dem genauen Gegenteil. So galt
Golf weithin als beschränkter Sonderling, dem man unter normalen Bedingungen
kaum das höchste Amt der Universität angetragen hätte. Andererseits war er aber
als „alter Parteigenosse“ für die neuen Machthaber eine akzeptable Besetzung
95
und verhinderte mit seinem Rektorat, dass Berlin der Hochschule einen
gefährlicheren Mann aufoktroyierte.
Ein Wunschkandidat war Golf nur für die nationalsozialistische Studentenschaft.
Tatsächlich räumte Golf, der am 30. Dezember 1933 auch offiziell zum Rektor
und Führer der Hochschule ernannt wurde, den Studenten und dem akademischen
Mittelbau bislang ungeahnte Mitgestaltungsmöglichkeiten ein. Obgleich er in
seiner Antrittsrede betont hatte, über dem Braunhemd das „ehrwürdige Ornat
seines hohen, verantwortungsvollen Amtes“ zu tragen und die Traditionen der
Alma mater achten zu wollen, rühmten die Führer der Leipziger Studentenschaft
noch Jahre später, „Seine Magnifizenz habe sie ebenso ernst und eingehend
in die Dinge der Universität einbezogen, wie seine Herren Kollegen.“ Wenig
verwundert es daher, dass sich für Golf bald der Spitzname „Studentenrektor“
einbürgerte, den er selbst als Bestätigung seiner Amtsführung verstand.
Dieses Verhalten war natürlich wenig geeignet, im akademischen Senat
auf Zustimmung zu stoßen. Zudem kritisierte man im neugegründeten
Reichserziehungsministerium die mangelnde Durchschlagskraft Golfs, der
damit in Leipzig zwischen allen Stühlen saß. Da man sich in Berlin den Führer
der sächsischen Landesuniversität offensichtlich anders vorstellte, begann man
ab 1934 Golfs Ablösung vorzubereiten. Auch eine Abstimmung der Leipziger
Dozentenschaft im Februar 1935, die ein klares Votum für den Verbleib Golfs
im Amt ergab, änderte an den bereits gefassten Entscheidungen nichts. Unter
dem Vorwand, Golf habe sich durch persönliche Verfehlungen für das Rektorat
disqualifiziert, wurde das Ende seiner Amtszeit auf den 31. März 1935 festgelegt.
Einen geeigneten Nachfolgekandidaten glaubte man in dem Psychologen und
Philosophen Felix Krueger gefunden zu haben.
Für die Studentenschaft war die Ablösung Golfs eine unverständliche Maßnahme.
Daher bot ihr eine unvorsichtige Äußerung Kruegers über den „edlen Juden“
Spinoza im Frühjahr 1936 einen willkommenen Anlass, den neuen Rektor
mit einer Rufmordkampagne aus dem Amt zu drängen. Tatsächlich hatte das
Vorgehen der Studenten Erfolg und in Berlin sah man sich genötigt, Krueger
„wegen Krankheit“ von der Amtsführung zu entbinden. Somit führte Golf ab
April 1936 erneut die Geschäfte und kehrte im September des Jahres auch
offiziell ins Rektorat zurück.
Allerdings hatte das Reichserziehungsministerium unmissverständlich klar
gemacht, dass man ein erneutes mehrjähriges Rektorat Golfs keinesfalls dulden
würde. Als Nachfolger stellte man im April 1937 den Mediziner Arthur Knick
96
vor, der ebenso wie Golf „alter Parteigenosse“, sonst aber ein Mann ganz anderen
Kalibers war.
Nach seiner endgültigen Ablösung Ende April wandte Golf sich wieder verstärkt
der „kolonialen Sache“ zu: bereits seit Anfang 1936 amtierte er als Kreisleiter
des Reichskolonialbundes.
Mit dem Kriegsausbruch vervielfachten sich die Verpflichtungen Golfs erneut.
So oblag ihm die Aufrechterhaltung der Arbeit des Landwirtschaftlichen Institut,
wobei er dieser Belastung schon ab Mitte 1940 nicht mehr gewachsen war.
Infolge eines Kreislaufzusammenbruchs verstarb Golf am 18. Februar 1941.
Die Errichtung einer Arthur-Golf-Stiftung durch den Reichskolonialbund sollte
posthum einen ehrenvollen Schlusspunkt unter sein Lebenswerk setzten. Als mit
der Auflösung des Reichskolonialbundes 1943 jedoch auch das Stiftungsvermögen
an die NSDAP überging, hatte das Wirken Arthur Golfs in Leipzig in doppelter
Hinsicht einen Abschluss gefunden.
Christian Augustin
97
Anton Wilhelm Plaz
Zum 300. Geburtstag
Der Botaniker und Mediziner Anton Wilhelm Plaz (1708-1784) gehört
zu den vielen heute vergessenen Forschern der Universität Leipzig und
Söhnen der Stadt Leipzig. Noch heute können die Vorgänge um sein
Testament, den Nachlass und daraus resultierende Erbstreitigkeiten in
vielen Einzelheiten nachvollzogen werden und geben eine selten genaue
Auskunft über die Verhältnisse einer Leipziger Professorenfamilie am Ende
des 18. Jahrhunderts.
99
Der Mediziner und Botaniker Prof. Anton Wilhelm Plaz kam aus sehr gutem
Leipziger Bürgerhause. Der Vater Abraham Christoph (1658-1728), ein Jurist,
stammte aus einer Augsburger Händlersfamilie und wurde 1683 in den Leipziger
Rat gewählt. 1705 übernahm er das Amt eines Bürgermeisters. Aus seiner zweiten
Ehe mit der Professorentochter Anna Magdalena Schwendendörffer gingen
drei Kinder hervor: Leonhard Abraham, der im Kleinkindalter starb, Anton
Wilhelm, der die Hauptperson dieses Aufsatzes ist, und Magdalena Sophia. Am
3. Januar 1708 fand die Taufe von Anton Wilhelm in der Thomaskirche statt.
Seine Paten waren Hofrat Johann Christoph Troppaneger, ein Mitglied der
bekannten Dresdner Hofrats- und Leibmedicusfamilie Augusts des Starken,
der Oberhofgerichtsadvokat Johann Heinrich Konhard, der seine Töchter in die
bekannte Juristenfamilie Hommel verheiratete, und Maria Magdalena Mylius.
Sie war mit dem Juristen Johann Heinrich Mylius (1659-1722) verheiratet und
entstammte der Ehe zwischen Professor Michael Heinrich Horn, des Leibarztes
des sächsischen Kurfürsten Johann Georg II., und der Senatorentochter Maria
Schacher. Aus der Aufzählung der Paten dieses einen Kindes lässt sich ungefähr
erahnen, in welchen gesellschaftlichen Kreisen sich die Familie Plaz bewegt
hat.
Als der Vater Abraham Christoph Plaz 1728 starb, hinterließ er seinen Erben ein
Vermögen. Seit 1698 war die Familie im Besitz des Lehngutes Mockau, welches
einen Wert von 12.000 Talern hatte. Weiterhin kam die Erbengemeinschaft in den
Besitz eines Wohnhauses in der Hainstraße, eines Blaufarben- und Arsenikwerks
sowie einiger Bergwerksanteile in Ilmenau. Aber auch Gold- und Silberzeug,
Uhren, Bücher, Kupferstiche, Münzen und Medaillen gehörten zur reichen
Hinterlassenschaft des Bürgermeisters.
Warum Anton Wilhelm Plaz eine medizinische, von der Botanik geprägte,
berufliche Laufbahn einschlug, bleibt im Dunklen. Bei seinem familiären
Hintergrund wäre es sicher einleuchtender gewesen, wenn er sich ebenfalls
der Juristerei zugewandt hätte. Nach der Erlangung des Doktorgrades im Jahre
1728 wurde er 1733 außerordentlicher Professor der Botanik, 1749 schließlich
ordentlicher Professor der Botanik, 1754 der Physiologie und 1758 ordentlicher
Professor der Anatomie und Pathologie an der Universität Leipzig. Seit 1773 war
er Dekan der Medizinischen Fakultät, zu den Senioren der Universität gehörte er
seit 1775. Besondere Verdienste erwarb sich Plaz um den Botanischen Garten, den
„hortus medicus“, welcher sich von 1542 bis 1874 an der Paulinerkirche befand.
In diesem errichtete der Professor 1734 auf eigene Kosten ein Gewächshaus.
100
Seine zweite Ehe ging Anton Wilhelm Plaz um das Jahr 1733 mit Christiana
Margaretha (1716-1790), einer Tochter des Landschreibers Heinrich Friedrich
Engelschall ein. Deren Cousine Christiana Sophia Engelschall war wiederum
mit dem Professor für Poetik Carl Andreas Bel (1717-1782) verheiratet. Die
Mitglieder der Familie Engelschall fungierten sowohl bei den Plaz’schen als
auch bei den Bel’schen Nachkommen mehrfach als Taufpaten.
War schon Anton Wilhelm Plazens erste Ehefrau, die Händlerstochter Maria
Margaretha Hoffmann, nicht unvermögend gewesen – die Tochter Henrietta
Margaretha bekam 1753 ihr Erbe in Höhe von 3.800 Talern ausgezahlt
– so sprengte die Mitgift seiner zweiten Ehefrau in Höhe von 28.000 Talern
schier jeden Rahmen. Doch durch unvorhersehbare Unglücksfälle verlor die
Familie beinahe ihr gesamtes Vermögen und anlässlich des Todes von Plaz
im Jahre 1784 brachen große Erbstreitigkeiten aus. Zwei Faktoren waren
maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Familie in Armut fiel. Zum einen
verursachte der siebenjährige Krieg (1756-1763) durch Einquartierungen und
Kontributionszahlungen hohe Schulden, zum anderen verlor sie viel Geld durch
einen Betrug des ältesten Bruders des Professors, insgesamt wohl 25.000 Taler.
Leider äußert sich Anton Wilhelm Plaz nicht weiter, wie der Betrug vonstatten
ging und leider lässt sich der Bruder keiner durch die Quellen bekannten Person
zuordnen, und auch Plaz nennt ihn nicht beim Namen. Es könnte sich vielleicht
um Georg Christoph Plaz handeln, der 1726 in den Rat gewählt worden war,
seine Ämter im Jahre 1764 aufgab und 1787 starb.
Aus dem Testament von Plaz geht hervor, dass es schon eine Zeit vor seinem Tod
zum Zerwürfnis mit seiner jüngsten, 1746 geborenen Tochter Margaretha Sophia
und ihrem Ehemann, dem Arzt Dr. Christian David Leonhard gekommen, war.
An einer Stelle im Testament von Plaz heißt es: „... Dr. Leonharden die von mir
seinetwegen bezahlten vielen Schulden mit einrechnen, und von seinem Antheile
abziehen solle.“ Und: „Ich will nicht mehr als sechs Wagen zur Leichenbegleitung
haben. Mein Schwiegersohn soll nicht mitfahren. Gott bessre ihn und seine Frau.“
Des weiteren bedrohte Plaz seine Kinder im Testament mit seinem Unsegen, falls
sie ihre faktische Enterbung zugunsten der Mutter nicht akzeptieren würden und
für den Fall, dass er seine Frau überleben sollte, übergab er die „cura funeris“
seinem Freund Assessor Schott und verbat seinen Familienangehörigen, sich in
diese Angelegenheit einzumischen. Trotz der Anweisung des Professors, man
solle „durchaus keinen neumodischen Sarg mit Füßen“ anfertigen, sondern ihn
„so einfach als möglich“ gestalten, und auch sonst jeden unnötigen Aufwand
vermeiden, kostete die Beerdigung 143 Taler und damit im Mittelfeld im
Vergleich zu anderen Professorenbeerdigungen (Prof. Johann Erhard Kapp 1756:
101
81 Taler; Prof. Christian Friedrich Börner 1753: 198 Taler). Interessanterweise
verbot der Mediziner, der wohl einen exklusiven Einblick in diese Sache genoß,
testamentarisch die „section“.
Schon kurz nach dem Tod des Vaters machte die Tochter schriftlich gegen ihre
Mutter mobil. Beim Rektor der Universität, unter dessen Jurisdiktion die Mitglieder
der Universität standen, wollte sie eine Aufstellung aller Wertgegenstände, die ihr
Vater hinterlassen hatte, erzwingen, damit die Mutter keine Gelegenheit bekam,
möglicherweise etwas beiseite zu schaffen. Die Witwe antwortete daraufhin dem
Rektor, dass sie die gestellte Frist von 14 Tagen nicht einhalten konnte, da der
zuständige Taxator abwesend war. „... übrigens aber meine Tochter immer noch
mehr als zu zeitig erfahren wird, daß der Nachlaß des Defuncti nicht einmal
zu Tilgung meines Eingebrachten hinreichend sey, geschweige, daß noch etwas
zu erben übrig bleiben sollte.“ Trotzdem wurde die geforderte Aufstellung der
Vermögensverhältnisse von der Witwe in Auftrag gegeben und an den Rektor
der Universität gesandt. Danach hinterließ Plaz Immobilien im Wert von 13.500
Talern, Bargeld in Höhe von 1.077 Taler, Silberwerk und Pretiosen für 79 Taler,
die Kleidung und Wäsche belief sich auf 164 Taler, Hausrat, Porzellan, Glas
und Haushaltsgeräte aus Zinn, Kupfer und Messing hatten einen Wert von 377
Talern. Die Auktion der Bibliothek würde wohl 450 Taler einbringen und die
Außenstände der Familie beliefen sich auf 2.460 Taler.
Nach dieser Aufstellung stand den angehäuften Schulden in Höhe von 29.314
Talern ein Vermögen von 18.110 Talern gegenüber. Bis auf eine Tochter
akzeptierten die anderen möglichen Erben das Testament. Nur die Leonhardin
stimmte ihrer Enterbung nicht zu, da sie ohne Angabe von Gründen erfolgte und ihr
per Gesetz ein gewisser Pflichtteil zustünde. Die Mutter würde sich zum Nachteil
der Tochter an der Hinterlassenschaft des Vaters bereichern. Deswegen hätte sie
auch in der Aufstellung des Vermögens die Immobilien und Kleidungsstücke des
Vaters zu niedrig bewerten lassen und Möbelstücke absichtlich vergessen. Die
Aufstellung solle deshalb überarbeitet und korrigiert werden. Die Anfechtung
solcher Spezifikationen von Nachlässen, die mit Hilfe eines Taxators und Notars
oft kostspielig angefertigt worden waren, kam recht häufig vor. Da im äußersten
Falle auf diese Weise eine Witwe um ihre gesamte Habe gebracht werden konnte,
verboten einige Professoren testamentarisch das Erstellen solcher Inventare, so
beispielsweise Prof. Michael Ernst Ettmüller (1732) oder Prof. Johannes Bohn
(1718).
Im Falle der Familie Plaz konnte vor dem Universitätsgericht ein Erbvergleich
zwischen beiden Parteien erreicht werden, der eine Ausuferung des Streites
102
verhinderte. So erhielt die Tochter ihr mütterliches Erbe vorzeitig und wurde mit
1.700 Talern ausbezahlt. Ein Teil des Geldes, 900 Taler, wurden zum Wohle der
Enkel der Witwe Plaz einem Kurator übergeben und von diesem mit drei Prozent
Zinsen angelegt.
Ihre völlige Enterbung hatte die Leonhardin so verhindern können. Für die heutige
Forschung bieten die erhaltenen Inventare und Spezifikationen, die im Rahmen
solcher Erbauseinandersetzungen angefertigt worden sind, eine einmalige und
noch viel zu wenig beachtete Quelle über die Einrichtung der Haushalte, hier im
speziellen der Leipziger Professorenhaushalte, im 18. Jahrhundert.
Theresa Schmotz
Literatur:
Acta Herrn Anton Wilhelm Plazens Verlaßenschaft betrf. 1784 Signatur:
Universitätsarchiv Leipzig (UAL), GA II P 024
Acta Anton Wilhelm Plazens unmündige Kinder erster Ehe betreffend, 1733,
Sign. UAL, GA II P 007
Rabl, Carl: Geschichte der Anatomie an der Universität Leipzig. Leipzig 1909.
103
Friedrich von Schlegel
Vor 200 Jahren erschien die Monographie
„Über die Sprache und Weisheit der Indier“
Vor 200 Jahren veröffentlichte der (vormalige) Leipziger Student Friedrich
von Schlegel (1772-1829) die Monographie „Über die Sprache und
Weisheit der Indier“. Diese Monographie gehört zu den Geburtshelfern
der Indologie und der Indogermanistik, nicht zuletzt auch an der Universität
Leipzig.
105
Friedrich Schlegel kommt als jüngstes von fünf Kindern eines lutherischen
Pastors 1772 in Hannover zur Welt. Sein akademisches, berufliches und privates
Leben nimmt viele Wendungen. Vor Erreichen des Abiturs beginnt Schlegel
in einem Leipziger Bankhaus eine Lehre, die er jedoch nicht beendet. Als
Autodidakt eignet er sich dann das fehlende Gymnasialwissen an, um in Göttingen
Rechtswissenschaften, Mathematik, Philosophie und klassische Philologie zu
studieren. Anschließend studiert er von 1791 bis 1793 in Leipzig.
Anstatt nun eine akademische Laufbahn einzuschlagen, gibt Schlegel das Studium
auf und wird Redakteur und freier Schriftsteller. Als solcher kann er sich seinen
vielfältigen Interessen widmen: neben dem griechischen Altertum zunehmend
auch der neueren Literatur, Philosophie und der Literatur- und Kunstkritik.
Leipzig vermag Schlegel nach Ende des Studiums nicht zu halten und er
verbringt Zeit in Dresden und vor allem Jena. Hier gründet er zusammen mit
seinem älteren Bruder August Wilhelm in Jena das „Athenäum“, das von 1798
bis 1800 erscheint. Es ist das literarische Organ der (Jenaer) Frühromantik, zu
der neben den Schlegel-Brüdern Friedrich von Hardenberg (Novalis), Ludwig
Tieck, Friedrich Schleiermacher und August Ferdinand Bernhardi zählen.
1801 habilitiert sich Friedrich Schlegel in Jena und geht 1802 nach Paris. Dort
widmet er sich der Kunstkritik und ab 1803 den „Studien der Sanskrit-Sprache
und des indischen Alterthums“ – so Schlegels eigene Worte. Diese Studien führt
er in Köln fort, wohin er mit seiner Frau 1804 zieht. Ein Ertrag dieser Studien ist
die in diesem Beitrag zu feiernde Monographie „Über die Sprache und Weisheit
der Indier“, die vor 200 Jahren erschien.
Friedrich Schlegel ist es nie gelungen, ordentlicher Professor zu werden. Im
Laufe seines Lebens hält er immer wieder Vorlesungen zu unterschiedlichsten
Themen: zur Transzendentalphilosophie, zur Kunstgeschichte, zur Entwicklung
der Philosophie, zur Philosophie der Geschichte und zur Philosophie der Sprache
und des Wortes.
Einige weitere Lebensdaten: 1808 vollzieht Schlegel eine weitere Wendung in
seinem Leben und tritt zum Katholizismus über. Ab 1809 ist er in österreichischen
Diensten, weshalb er nach Wien zieht. 1814 wird er zum „Ritter des päpstlichen
Christusordens“ ernannt und 1815 geadelt. Friedrich von Schlegel hält ab 1828
in Dresden Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte und stirbt Anfang 1829;
begraben ist er auf dem Alten Katholischen Friedhof in Dresden.
106
In seiner berühmten Schrift „Über die Sprache und Weisheit der Indier“
nimmt Friedrich Schlegel im ersten Satz Bezug auf Sir William Jones, einem
Richter in Kalkutta zur Zeit der britischen Kolonialherrschaft in Indien. Jones
studiert Sanskrit und kann nicht umhin, die Ähnlichkeit zum Griechischen
und Lateinischen zu bemerken. Er vermutet, dass diese Sprachen verwandt
sind und möglicherweise auf eine nicht mehr existente gemeinsame Sprache
zurückgehen.
Die Gedanken des überaus sprachbegabten Briten werden in Europa schnell
bekannt und elektrisieren viele Forscher in Deutschland und außerhalb. So
auch Schlegel, den die Frage umtreibt, ob es nicht analog zu den Primzahlen
in der Mathematik Primworte, ursprüngliche Wörter, geben könnte, aus denen
die Sprachen der Welt ihre Wörter schöpfen. Jones hatte nun unter Verweis auf
Sanskrit eine Teilantwort angeregt, der Schlegel in Paris und mit seiner Schrift
nachgehen wollte.
Schlegels über 300 Seiten starkes Werk besteht aus einer Vorrede, den drei
Büchern „Von der Sprache“, „Von der Philsophie“ und „Historische Ideen“
und schließlich den Übersetzungen ausgewählter Originalliteratur, „Indische
Gedichte“.
Das dritte Kapitel im zweiten Buch ist mit „Von der grammatischen Structur“
überschrieben. Schlegel weist darauf hin, dass neben den Wortverwandtschaften
„die innere Structur der Grammatik oder die vergleichende Grammatik“ am
ehesten geeignet sind, die Verwandtschaftsbeziehungen klarzustellen. Hierin
wird ihm einige Jahre später Franz Bopp, der Begründer der Indogermanistik
folgen.
In der Vorrede zu seiner Schrift drückt Schlegel die Hoffnungen aus, „die Liebe
für dieses Studium ... auch in Deutschland anzufachen“. Tatsächlich schwebt
Schlegel eine Art Renaissance vor. So wie im 15. und 16. Jahrhundert in Italien
und Deutschland das Studium der griechischen Sprache und Kultur betrieben
und gefördert worden seien, so ähnlich wünscht er sich eine Befruchtung der
Gegenwart auch durch das indische Altertum.
In die Fußstapfen Schlegels tritt zunächst Franz Bopp (1791-1867), der als
Begründer der Indogermanistik gilt. Franz Bopp besuchte in Aschaffenburg
das Gymnasium und hatte dort das große Glück, von seinem Gymnasiallehrer
Carl Joseph Windischmann gefördert zu werden. Ganz entscheidend war auch
die von Windischmann auf Bopp übertragene Begeisterung für indische Kultur
107
und Sprache. Beide lasen „Sprache und Weisheit der Indier“. Franz Bopp folgt
Schlegels Vorbild und geht 1812, finanziell gefördert von der Bayerischen
Regierung, nach Paris.
Bopps in Paris angestellte Studien führen schon 1816 zu seiner bahnbrechenden
Arbeit „Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit
jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache“.
Bopp greift hier (und in seinem Hauptwerk von 1833) den von Schlegel geprägten
Begriff der vergleichenden Grammatik auf und untersucht ganz in Schlegels
Sinne die „innere Structur der Grammatik“.
Auch Bopps Lehrer und Förderer Windischmann betont die Bedeutung der
Schlegelschen Schrift für Bopps Arbeiten. In den 46 Seiten umfassenden
„Vorerinnerungen“, im Wesentlichen eine Laudatio auf seinen Schüler, betont
Windischmann, dass Friedrich von Schlegel „die Sanskritsprache zum Gegenstand
ernsten Studiums gemacht und hierin für uns alle die Bahn gebrochen“ habe.
Allerdings wird nicht Schlegel, sondern erst der strenger und systematischer
arbeitende Bopp als Begründer der Indogermanistik angesehen. 1816, das
Erscheinungsjahr des Boppschen „Conjugationssystems“, gilt denn auch als
Geburtsjahr der vergleichenden Sprachwissenschaft und der Indogermanistik.
Auf dem Gebiet des Sprachvergleichs hat Bopp Großes geleistet. An der
Rekonstruktion der indogermanischen Sprache haben zunächst August Schleicher
(1821-1868, vor 140 Jahren), Professor in Prag und schließlich Jena, und
August Friedrich Pott (1802-1887), Professor in Halle gearbeitet. Wesentliche
Fortschritte werden dann von der Leipziger Schule erarbeitet.
Die Leipziger Schule gruppiert sich um den Slavisten und Schleicherschüler
August Leskien (1840-1916) und um den etwas jüngeren Philologen Karl
Brugmann (1849-1919). Diese beiden Forscher und etliche Mitstreiter machen
Leipzig zum weltweiten Zentrum der indogermanischen Forschung.
Die Junggrammatiker sind neben ihren hervorragenden Forschungsergebnissen,
die im Wesentlichen auch heute nicht überholt sind, für ihren Methodenstreit
mit älteren Sprachwissenschaftlern bekannt. Sie wendeten sich nämlich gegen
die Unterscheidung in regelmäßige versus unregelmäßige Lautveränderungen.
Karl Brugmann und Hermann Osthoff veröffentlichen 1878 (vor 130 Jahren) das
später so genante „Junggrammatische Manifest“, nach dem aller mechanischer
Lautwandel nach ausnahmslosen Gesetzen erfolgt. Das Manifest markiert den
108
Beginn des Lautgesetz-Streits, der zwischen den Junggrammatikern auf der
einen Seite und einigen älteren Sprachwissenschaftlern (insbesondere Friedrich
Pott aus Halle und Brugmanns Lehrer Curtius) auf der anderen Seite (in Form
von Monographien) ausgefochten wurde.
Harald Wiese
Literatur:
Friedrich von Schlegel, Über die Sprache und Weisheit der Indier, Mohr und
Zimmer, Heidelberg 1808. Reprint in der Serie: 18th and 19th century German
linguistics, Band 4, Routledge/Thoemmes 1995.
Harald Wiese, Eine Zeitreise zu den Ursprüngen unserer Sprache, Logos 2007.
109
Leipziger Burschenschaft
Zu ihrer Gründung vor 190 Jahren
„Deutschlands Freiheit, Recht und Einheit ist unser höchstes Ziel.“ – 190
Jahre Leipziger Burschenschaft – 160 Jahre Schwarz-Rot-Gold in Leipzig
1818 – 1848 – 2008
111
Seit Beginn der mitteleuropäischen Universitätsgründungen im 14. Jahrhundert
organisierten sich die Studenten. Diese Zusammenschlüsse, die akademischen
Verbindungen oder Korporationen, sind keine rein kulturelle Besonderheit
der deutschsprachigen Hochschulen, sondern beruhen auf einer besonderen
Entwicklung. Sie war seit dem späten Mittelalter durch Territorialisierung
geprägt – die ihren Ausdruck in den Staat und Kirche mit akademisch gebildeten
Juristen und Klerikern versorgenden „Landesuniversitäten“ fand – und durch
den Modus des freien Wohnens, Studierens und Lebens der Studenten. Auf den
nicht-katholischen Hochschulen entwickelte sich im 18. Jahrhundert, gebrochen
durch die studentische, selbstdisziplinierend und verantwortungsethisch
wirkende Reformbewegung ab etwa 1750, der Typus der Korporation, der
für das 19. und 20. Jahrhundert bestimmend wurde. Sie war Integrations-,
Symbol-, Ritual-, Hierarchisierungs-, Werte- und Weltanschauungs- sowie
Lebensbundgemeinschaft. Da die neuhumanistische Universität Humboldts
die selbständige geistige und sittliche Entwicklung des Studenten propagierte,
bildete, aber nicht erzog, bot sich diesem Typus ein weites Feld von Ansprüchen,
die er sich zu eigen machte und auszufüllen suchte. Verbindung war daher
auch ein Bildungsinstrument und -element, das nach eigenem Verständnis
eine Lücke als Korrektiv der akademischen Freiheit ausfüllte und im Rahmen
einer innerkorporativen „Charakterbildung“ die wissenschaftlich-berufliche
Ausbildung der Universität abzurunden versuchte, zugleich aber auch die
Erziehung für die Zugehörigkeit zur Oberschicht der deutschen Gesellschaft
bezweckte.
Die 1814/15 zuerst in Halle und vor allem Jena entstandene Burschenschaft
war die Avantgarde der deutschen Nationalbewegung. Sie wurzelte in den
Freiheitskriegen, stand unter dem Einfluss von Friedrich Ludwig Jahn, Ernst
Moritz Arndt und Johann Gottlieb Fichte, war geprägt durch eine idealistische
Volkstumslehre, christliche Erweckung und patriotische Freiheitsliebe. Diese
antinapoleonische Nationalbewegung deutscher Studenten war politische
Jugendbewegung – die erste in Europa – und die erste nationale Organisation
des deutschen Bürgertums überhaupt, die 1817 mit dem Wartburgfest die erste
gesamtdeutsche Feier ausrichtete und mit rund 3.000 Mitgliedern 1818/19 etwa
ein Drittel der Studentenschaft des Deutschen Bundes umfasste.
Die zur nationalen Militanz neigende Burschenschaft setzte ihr nationales
Engagement in neue soziale Lebensformen um, die das Studentenleben von Grund
auf reformierten. Aber nicht nur das: Die Studenten begriffen die Freiheitskriege
gegen Napoleon als einen Zusammenhang von innerer Reform, innenpolitischem
Freiheitsprogramm und Sieg über die Fremdherrschaft. Nationale Einheit und
112
Freiheit wurden propagiert, Mannhaftigkeit und Kampfbereitschaft für das
deutsche Vaterland. Dem Wartburgfest 1817, der Gründung der „Allgemeinen
deutschen Burschenschaft“ 1818 und der Ermordung August von Kotzebues
durch den Jenaer Burschenschafter Karl Ludwig Sand 1819 folgten die Karlsbader
Beschlüsse und die Unterdrückung der Burschenschaft. Sie wurde zu einer sich
mehr und mehr radikalisierenden Bewegung an den deutschen Hochschulen, die
bald mehr, bald weniger offiziell bestand. War in der Urburschenschaft neben
der Sicherung des Volkstums nach außen die „Erziehung zum christlichen
Studenten“ für den Innenbereich bestimmend gewesen und der Zusammenhang
von Wartburg, Luther und Reformation 1817 mehr als deutlich geworden, so
ließ der Frankfurter Burschentag 1831 die Forderung nach „christlich-deutscher
Ausbildung“ zu Gunsten einer zunehmenden Politisierung endgültig fallen.
Der Stuttgarter Burschentag fasste im Dezember 1832 einen Beschluss zur
Tolerierung und Förderung revolutionärer Gewalt zum Zweck der Überwindung
der inneren Zersplitterung Deutschlands. Das mündete 1832/33 in die Beteiligung
am Hambacher Fest und am Preß- und Vaterlandsverein sowie in den Frankfurter
Wachensturm und löste eine neue Welle der Verfolgungen durch die eigens
eingerichtete Bundeszentralbehörde in Frankfurt a. M. bis in die vierziger Jahre
hinein aus, die der älteren burschenschaftlichen Bewegung das Rückgrat brach.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lebte in Leipzig nach einem vorübergehenden
Niedergang ab etwa 1790 das Verbindungswesen auf. Bei den 1803 in Folge
eines Duells angestellten behördlichen Untersuchungen ergab sich, dass die
freimaurerischem Gedankengut verbundenen Orden der Unitisten, Konstantisten
und Amicisten sowie landsmannschaftliche „Kränzchen“ der Meißner und
Montanen (Erzgebirgler) bestanden. Vier Jahre später waren die Orden nicht
mehr nachzuweisen, dafür konstituierten sich Lusatia und Thuringia, in der
Mehrzahl Lausitzer und Thüringer, die Meißner in der Misnia. 1808/09 kam es
zu Streitigkeiten auf Grund des landsmannschaftlichen Prinzips, da Thuringia
Mitglieder aufnahm, „die nach der Länderverteilung“ Misnia zugehörten.
Thuringias Senior war in dieser Zeit der Dichter Theodor Körner.
Wenig später legte Friedrich Ludwig Jahn seine „Burschenordnung“ vor, deren
Ideen 1814/15 zuerst in Halle und Jena umgesetzt wurden und zur Gründung
der Burschenschaft führten. Das Studententum sollte unter dem Eindruck der
französischen Besatzung reformiert und nationalisiert werden, die Hochschüler
sollten Vorkämpfer der nationalen Einheit und des liberalen Programms der
bürgerlichen Teilhabe an der Staatsmacht sein. Dieses Gedankengut war verbreitet:
Als etliche Leipziger Studenten 1813 in die Armeen der Verbündeten eintraten,
statt auf Seiten des sächsischen Königs mit diesem für Napoleon zu kämpfen,
113
hob der französische Stadtkommandant sogar die akademische Gerichtsbarkeit
auf. Der Kaiser selbst soll von den Leipziger Studenten als „den 500 Schurken“
gesprochen haben.
Obwohl eine Deputation Leipziger Studenten bereits im April 1818 auf dem ersten
Burschentag in Jena vertreten war, zündete die Idee der Burschenschaft an der
Universität Leipzig erst am 7. Juni 1818, drei Jahre später als in Jena. Grund war
die nachdrückliche Verstimmung der sächsisch geprägten Studentenschaft über
die großen Gebietsverluste Sachsens zu Gunsten Preußens und die Stärke der
alten Landsmannschaften, insbesondere der „partikularistisch gesinnten“ Saxonia
– Richard Wagner gehörte ihr später an. Die erst 255, dann rund 350 Mitglieder
zählende Leipziger Burschenschaft – bei etwa 600 Studenten insgesamt – war
auf dem Jenaer Burschentag im Oktober 1818 vertreten, war an ihrer Hochschule
aber längst nicht so vorherrschend wie die Burschenschaften in Jena und Halle
an den ihren. Die erste Verfolgung nach den Karlsbader Beschlüssen im März
1820 überstand die Leipziger Burschenschaft unbeschadet und organisierte sogar
den dritten allgemeinen Burschentag im September in Dresden, die Einladungen
überbrachte der spätere Jenaer Kirchenhistoriker Karl August von Hase. Allerdings
hatte sich die Burschenschaft nach einer Untersuchung im Sommer 1820 offiziell
auflösen müssen, bestand aber als Lese-, dann als Fechtgesellschaft fort. Sie
existierte im Untergrund und machte nur im Frühjahr 1822 auf Grund eines
tödlich verlaufenen Duells von sich reden. Im März 1823 und Mai 1824 folgten
weitere behördliche Untersuchungen. Am 21. März 1825 entzog ein königliches
Mandat dem Universitätsgericht die Zuständigkeit und „machte die Teilnahme
an der Burschenschaft zur Kriminalsache“. Trotz dieser Verschärfung bestand
sie fort und erst nach Verhaftungen im März 1826 löste sich die Burschenschaft
Mitte des Sommersemesters auf. Am 12. Januar 1827 erstand sie neu, spaltete
sich 1827/28 – der abgespaltenen Burschenschaft Marcomannia gehörte der
Komponist Robert Schumann an –, löste sich Anfang 1829 wieder auf, trat am
5. Mai erneut zusammen und bestand bis zum 24. April 1833, als sich in Folge
des Frankfurter Wachensturms der Verfolgungsdruck deutlich erhöhte. Beim
Leipziger Volksaufstand vom 2. September 1830 organisierte die Burschenschaft
eine eigene Abteilung der Bürgergarde. Während der ganzen Zeit ihrer Existenz
gehörte sie der „Allgemeinen Deutschen Burschenschaft“ an. Ein anschauliches
Bild dieser Zeit überliefert der heute vor allem durch seine Märchen bekannte
Ludwig Bechstein, der ab Sommersemester 1829 in Leipzig studierte und
möglicherweise der Burschenschaft angehörte. Seine Erlebnisse und Erfahrungen
wurden die Grundlage für seine „Fahrten eines Musikanten“ (1837), und auch in
„Berthold der Student oder Deutschlands erste Burschenschaft“ schlugen sie sich
nieder.
114
In Leipzig gab es zwar Burschenschafter, aber offiziell keine Burschenschaft,
als am 1. März 1835 die Untersuchung gegen über 200 Mitglieder der Leipziger
Burschenschaft begann. Im Oktober wurden die Verhafteten freigelassen,
doch am 11. Juli 1836 setzte die Untersuchung wiederum mit zahlreichen
Verhaftungen ein. Ende März 1837 wurden bis auf 19 alle Burschenschafter
aus der Haft entlassen, die Verbliebenen wurden am 7. November 1837 vom
Dresdner Appellationsgericht zu Gefängnis verurteilt. In der Revision erkannte
das Oberappellationsgericht am 15. März 1838 auf Freispruch.
Die Leipziger Burschenschaft bestand als lose Gemeinschaft seit 1837 und wurde
am 12. August 1839 im Gasthaus „Linde“ in der Zeitzer Straße erneuert, nur
wenige Monate nach dem Ende des großen Leipziger Burschenschafterprozesses.
Am Gründungskommers „sollen einige Hallenser und 12 Jenenser Burgkelleraner
[= Mitglieder der Jenaischen Burschenschaft auf dem Burgkeller] teilgenommen
haben, von denen die meisten der erneuerten Leipziger Burschenschaft beitraten“.
So viele Jenaer traten in Leipzig ein, dass die „Leipziger Burschenschaft [...]
dadurch in der ersten Zeit fast den Charakter einer Tochterverbindung des
Burgkellers“ annahm, „unter anderem auch durch weitgehende Übernahme
von dessen Verfassung“. Die Burschenschaft tagte seit Michaelis 1840 in der
Gastwirtschaft Koch in der Fleischergasse, deshalb „bürgerte sich schnell die
Bezeichnung ‚Kochei‘ als Deckname für die Leipziger Burschenschaft ein“. Die
bekanntesten Mitgründer der Kochei waren Hermann Kriege – der erste Sprecher
– und Robert Blum, der für die feierliche Verpflichtung neuer Mitglieder sein
an der Frankfurter Straße in der Nähe des Kuhturms gelegenes Grundstück zur
Verfügung stellte. „Die Kocheianer trugen rote Mützen mit schwarz-rot-goldenen
Streifen, welche freilich nur auf der Kneipe getragen, auf der Straße aber durch
einen grauen Überzug sorgsam verhüllt wurden.“ Schwarz-rot-goldene Bänder
wurden erst 1848 üblich – erstmals wurden die auf die Jenaer Burschenschaft
zurückgehenden deutschen Farben in größerem Rahmen öffentlich gezeigt.
Die Kochei wurde schnell zur führenden Kraft in der im September 1841 vor
allem von Nichtverbindungsangehörigen gebildeten, rund 600 Mitglieder
zählenden „Allgemeinheit“, was rund zwei Drittel der Leipziger Studentenschaft
entsprach. Kriege war die beherrschende Persönlichkeit der Kochei und der
Allgemeinheit bis zu seinem Weggang nach München im Herbst 1842, wo er
Anfang März 1843 auf preußisches Verlangen – der Regierungsbevollmächtigte
in Halle hatte die Existenz der dortigen Burschenschaft und Krieges Anteil an
ihr entdeckt – verhaftet wurde. Das löste eine neue Welle der Verhaftungen,
Untersuchungen und Prozesse aus, am 19. März wurden die ersten Mitglieder der
Kochei in Leipzig verhaftet, am 6. Dezember die ersten Urteile verkündet. An
115
diesem Tag wurde auch die Burschenschaft offiziell aufgelöst, die Allgemeinheit
zerfiel.
Noch am Abend des 6. Dezember 1843 stifteten ehemalige Mitglieder der Kochei
eine neue Burschenschaft, die Arminia, bald „die neue Kochei“ genannt, die bis
Februar 1852 bestand und dann heimlich als Alemannia bis ins Wintersemester
1854/55 fortgesetzt wurde. Ferdinand Götz, der „zweite Turnvater nach Jahn“,
der nachmalige Leipziger Germanist und Rektor Friedrich Zarncke und der
Prager Botaniker Heinrich Moritz Willkomm waren die bekanntesten, Götz
auch eines der aktivsten Mitglieder. Bis zur Revolution von 1848/49 entstanden
weitere burschenschaftliche Verbindungen, die jüngere Markomannia, Variscia,
Montania, Violette, Germania, Lipsia, Teutonia, Wartburg, Cheruskia und
Hermunduria, die das gesamte politische Spektrum von konservativ bis linksliberal
spiegelten, dabei meist untereinander und mit den rund ein Dutzend Corps und
landsmannschaftlichen Verbindungen zerstritten waren. Diese bezeichneten sich
selbst als „loyal und königstreu“, galten den Burschenschaften aber als „gänzlich
veraltete reaktionäre Institute“.
In der Gründungsanzeige der Leipziger Burschenschaft von Ende Juni 1818 heißt
es: „Deutschlands Freiheit, Recht und Einheit ist unser höchstes Ziel.“ Diesem
Ideal fühlten sich zahlreiche Leipziger Studenten verbunden. Mitgründer war
etwa der Arzt und Volksliedsammler Johann Daniel Elster (1796-1857), der als
Philhellene am griechischen Befreiungskampf teilnahm. Zur Gründergeneration
gehört auch Albert Graf Carlowitz (1802-1874), der spätere sächsische
Justizminister und Präsident der ersten Kammer des Landtags sowie Mitglied
des preußischen Abgeordnetenhauses, des norddeutschen und des deutschen
Reichstags. Karl Friedrich Bercht (1801-Todesdatum unbekannt) büßte die
Teilnahme an der Burschenschaft mit über vier Jahren Festungshaft. Zahlreich
sind Ärzte, Lehrer und Juristen aus der Leipziger Burschenschaft hervorgegangen,
ebenso wie Militärs und Historiker, Industrielle und Wirtschaftsführer,
Philosophen und Bürgermeister, Minister und Abgeordnete in der Paulskirche
und anderen Parlamenten. Erinnert sei nur an Robert Blums Freund Karl Theodor
Dietzsch (1819-1857), der seit 1841 der Kochei angehörte, oder an den nicht
nur in Leipzig studierenden, sondern auch dort lehrenden Staatswissenschaftler
Prof. Dr. Friedrich Karl Biedermann (1812-1901), Mitglied der Frankfurter
Nationalversammlung, des sächsischen Landtags und des Reichstags, Begründer
des modernen Frauenbildungs- und des Arbeiterunterrichtswesens, seit 1831
Burschenschafter. Er blieb der Burschenschaft lebenslang verbunden und
bekannte noch im Alter, außer seiner Familie habe vor allem sie ihn geprägt. Für
sie alle war die Burschenschaft konstitutiver Bestandteil ihres Lebens und ihrer
116
Persönlichkeit, das nicht zu überschätzen, keinesfalls aber auch zu unterschätzen
sein sollte. Die Mitgliedschaft war einmal ein politisch-weltanschauliches
Bekenntnis zu einer nationalen und freiheitlichen Idealen huldigenden
Gemeinschaft. Ebenso wichtig war zum anderen der Anteil des ursprünglichen,
meist durch emphatische Freundschaft bestimmten Beziehungsgefüges einer
Studentenverbindung, der allerdings kaum messbar ist. Prägend ist auf jeden
Fall diese Doppelung, bezogen auf die Verbindung als einer Gemeinschaft
mit verbindlichen Idealen und Werten und auf deren Mitglieder, die meist
untereinander als enge Freunde verbunden waren.
Harald Lönnecker
Literatur:
Lönnecker, Harald: Studenten und Gesellschaft, Studenten in der Gesellschaft –
Versuch eines Überblicks seit Beginn des 19. Jahrhunderts, in: Schwinges, Rainer
Christoph u. a. (Hg.): Universität im öffentlichen Raum (= Veröffentlichungen
der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte) [im Druck];
ders.: „Demut und Stolz, ... Glaube und Kampfessinn“. Die konfessionell
gebundenen Studentenverbindungen – protestantisch, katholisch, jüdisch,
in: Schwinges, Rainer Christoph u. a. (Hg.): Universität, Religion und
Kirchen (= Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und
Wissenschaftsgeschichte) [in Vorbereitung];
ders.: „In Leipzig angekommen, als Füchslein aufgenommen“ – Verbindungen
und Vereine an der Universität Leipzig im 19. Jahrhundert, in: Blecher, Jens/
Wiemers, Gerald (Hg.): Die Matrikel der Universität Leipzig, Teilbd. II: Die
Jahre 1833 bis 1879 [in Vorbereitung]; ebd. die gesamte ältere Literatur.
117
Collegium Musicum
Zur Gründung des Musikwissenschaftlichen Instituts
vor 100 Jahren
Selbstverständlich brachten die Studenten aus Prag 1409 die Musik als
„disciplina musice artis“ mit nach Leipzig, und sie gehörte von Anfang
an zum Fächerkanon der neuen Universität, denn sie war unverzichtbarer
Teil der mittelalterlichen „septem artes liberales“, des mathematischen
Quadriviums.
119
Wenn es fast 500 Jahre dauerte, ehe eine eigenständige Einrichtung für
Musikwissenschaft gegründet wurde, so liegt dies in der Eigenheit des
Faches begründet, in dem Theorie und Praxis stets in einem komplizierten
Wechselverhältnis standen.
Im Jahre 1908 war es endlich so weit, dass ein „Collegium musicum“ an der
Universität Leipzig als musikwissenschaftliche Abteilung eingerichtet wurde.
Der Name signalisiert bereits, dass an eine alte Tradition angeknüpft wurde,
denn Collegia musica waren an der Universität Leipzig nichts Neues, sie gehen
auf das 17. Jahrhundert zurück. Bereits 1657 hatte der Nikolaiorganist Adam
Krieger (1634-1666) ein Collegium musicum gegründet, seine Nachfolger
wurden Johann Christoph Pezel (1639-1694), Johann Kuhnau (1660-1722),
Georg Philipp Telemann (1681-1767) und Johann Sebastian Bach (1685-1750);
ein weiteres Collegium musicum wurde 1708 von Johann Friedrich Fasch
(1688-1758) gegründet. Doch waren dies vor allem praktische Einrichtungen,
wissenschaftlich nahm nach der Streichung der Musik aus dem Lehrkanon der
Artistenfakultät im späten 16. Jahrhundert Lorenz Christoph Mizler (17111778) im Jahre 1737 wieder Vorlesungen über Musik an der Universität Leipzig
auf. Leipzig war damit ein Vorreiter des neuen Universitätsfaches Musik,
denn Mizler war in seiner Zeit der erste, der Musikwissenschaft an einer
universitären Lehrkanzel unterrichtete. Er war musikalisch gebildet, eine schon
früh begonnene Instrumentalausbildung führte er als Schüler Johann Sebastian
Bachs weiter fort, zu dem er freundschaftliche Kontakte unterhielt. So war ihm
als Universalgelehrtem die Musik in das Blickfeld seiner wissenschaftlichen
Interessen geraten, und er gründete in Leipzig eine „Corresponierende Societät
der musikalischen Wissenschaften“. Als seine Hauptaufgabe sah Mizler an, „die
Musik völlig in die Gestalt einer Wissenschaft“ zu bringen, wobei ihm Theorie
und Praxis eine Einheit bildeten. Die unveränderlichen Grundlagen der Musik,
vor allem Mathematik und Akustik, müssen nach Mitzler grundlegend erforscht
werden, soll denn der eigentliche Zweck der Musik, die Erregung menschlicher
Affekte, erreicht werden. Andauernde Folgen zeitigte Mizlers Wirken an der
Universität Leipzig nicht. Erst Christian Friedrich Michaelis (1770-1834)
hielt in den 1790er Jahren wieder Vorlesungen über Musik im Rahmen seiner
Behandlung der „Schönen Wissenschaften“.
Als eigentliche Vorbereiter der Fachbegründung in Leipzig sind Hermann
Langer (1819-1889) und Oskar Paul (1836-1898) zu nennen. Langer hielt als
Universitätsmusikdirektor ab 1860 Vorlesungen zur Musik ab, Paul habilitierte
sich 1866 mit einer Arbeit über „Die absolute Harmonik der Griechen“ an der
Universität Leipzig und erhielt 1872 den Professorentitel. Dies ist vor allem
120
auch im Umfeld der Musikstadt Leipzig zu würdigen, wo mit der Gründung
des Konservatoriums durch Felix Mendelssohn Bartholdy 1843 und durch
die Tätigkeit gelehrter Thomaskantoren wie vor allem Moritz Hauptmann das
Bedürfnis nach theoretischer Durchdringung der musikalischen Kunst große
Beachtung fand. Dazu trugen nicht zuletzt auch die Musikverlage bei, deren
europäisches Zentrum Leipzig zu dieser Zeit bildete. Nicht nur maßgebliche
Musikzeitungen, auch musikwissenschaftliches Schrifttum wurde vornehmlich
in Leipzig verlegt und gedruckt. Wichtige Schriften von auswärtigen Pionieren
des Faches wie Johann Nikolaus Forkel (1749-1818), August Wilhelm Ambros
(1816-1876), Friedrich Chrysander (1826-1901) und Guido Adler (1855-1941)
kamen in Leipzig heraus.
Im Jahre 1887 wurde Hermann Kretzschmar (1848-1924) Universitätsmusikdirektor. Er war von Oskar Paul promoviert worden und hielt nun regelmäßig
musikhistorische Vorlesungen. Als Musikschriftsteller war er sehr produktiv
und höchst erfolgreich, sein „Führer durch den Konzertsaal“, wie auch alle
seine anderen Schriften erschienen in Leipzig, wurde zu einem maßgebenden
Standardwerk. 1891 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt, folgte
aber 1904 einem Ruf auf den neu gegründeten Lehrstuhl für Musikwissenschaft
an der Friedrich Wilhelms Universität zu Berlin. Damit war der Weg frei für
Hugo Riemann (1849-1919). Er hatte sich 1878 in Leipzig habilitiert und siedelte
sich 1895 in Leipzig an. In seiner publizistischen Produktivität übertraf Riemann
Kretzschmar noch bei weitem. Die meisten seiner Schriften, die seit Ende der
1870er Jahre herauskamen, sind in Leipzig verlegt worden, so dass die Stadt für
Riemann als Musikstadt insgesamt besondere Attraktivität besaß.
An der Universität Leipzig hielt Riemann als Privatdozent seine Vorlesungen und
war bis 1901 wie die anderen Kollegen auch der Abteilung Kunstwissenschaften
zugeordnet. Nicht zuletzt aufgrund zahlreicher internationaler Ehrungen
wurde Riemann 1901 zum Extraordinarius ernannt und 1905 zum etatmäßigen
Professor berufen. 1906 wurde die Musikwissenschaft endlich institutionell
anerkannt. Das Jahr 1908 stellt sich somit als eine Stufe in der von Riemann
entscheidend geförderten Etablierung des Faches Musikwissenschaft an der
Universität Leipzig dar. In demselben Jahr ist übrigens Riemanns für den Aufbau
des Faches wichtiger „Grundriß der Musikwissenschaft“ herausgekommen – in
Leipzig natürlich. Riemann wurde Direktor des „Collegium musicum“, das als
institutionelle Einrichtung eigene Räume für seine Bibliothek, für ein Auditorium
sowie für Arbeitsgelegenheiten im Parterre des Gebäudes Universitätsstraße
13 erhielt. Riemann war nicht nur die dominierende Persönlichkeit in seinem
Institut, er unterhielt auch institutionelle Kooperationen mit dem Psychologen
121
Wilhelm Wundt (1832-1920) und dem Physiker Arthur von Oettingen (18361920). International machte Riemann, obgleich ihm das Ordinariat verwehrt
blieb, das musikwissenschaftliche Institut zu Leipzig zu einer die universitäre
Musikwissenschaft prägenden Einrichtung, die ihre Faszination für Fachvertreter
nicht verloren hat.
Hugo Riemann war zu Beginn des 20. Jahrhunderts „zentrale Figur und
umfassendster Repräsentant“ der Musikwissenschaft in Deutschland (MGG2).
Sein vor einhundert Jahren erschienener „Grundriß der Musikwissenschaft“ stellt
eine grundlegende Systematik des Faches vor, die in ihrer Anlage bis heute gültig
ist. Riemann geht von den systematischen Fächern aus, die gewissermaßen die
naturwissenschaftliche Voraussetzung für die Musikgeschichte darstellen: von
der Akustik oder „Mechanik der Tonerzeugung“ als Teil der allgemeinen Physik
über die Tonphysiologie oder Tonpsychologie als Möglichkeit menschlicher
Wahrnehmung im Sinne eines passiven Hörens und über die Musikästhetik oder
„spekulative Theorie der Musik“ als Aneignungsprozess im Sinne eines aktiven
Hörens bis hin zur musikalischen Fachlehre oder „Musiktheorie im engeren
Sinne“, die allgemeine Musiklehre, Harmonielehre, Kontrapunkt, Formenlehre
und Instrumentierung enthält. Daran schließt die Musikgeschichte als historische
Forschung auf dem Gebiete der Musik an, in der auch die vergleichende
Musikwissenschaft oder „musikalische Ethnographie“ als Untersuchung
der Musik der Naturvölker eigens ausgewiesen ist. Obgleich Riemann die
abendländische Musikgeschichte von den Griechen bis in die Neuzeit behandelt, so
macht sie doch gegenüber den systematischen Fächern in seinem „Grundriß“ den
geringeren Teil aus. Hier wird Riemanns starkes Bedürfnis nach Systematisierung
sichtbar, mit dem er die Geschichte einer überzeitlichen musikalischen Logik zu
unterwerfen suchte. Die „Wiener Klassik“ bildete für ihn im wahrsten Sinne des
Wortes ein gültiges Muster musikalischer Kunst, deren „Gesetze“ er mit seiner
Systematik entschlüsselt zu haben glaubte. Großen Erfolg hatte er mit seiner
funktionalen Harmonielehre, aber auf anderen Gebieten wie beispielsweise der
Phrasierungslehre fanden seine Erklärungsmuster, die er dann als Vorschriften
verstanden wissen wollte, keine Anerkennung. Doch der Hang innerhalb der
Musikwissenschaft, sich als Normgebende Instanz zu verstehen, wirkte in der
Fachgeschichte mächtig nach.
Zur Zeit der Institutsgründung 1908 wirkten neben Riemann noch andere
bedeutende Musikwissenschaftler an der Universität Leipzig, die einen stärker
historisch geprägten Ansatz verfolgten und ebenfalls prägend auf das Fach
wirkten. Arthur Prüfer ist hier zu nennen und vor allem Arnold Schering,
der sich um die Erforschung der Musikgeschichte Leipzigs besonders
122
verdient gemacht hat. Dennoch ist es bis heute der Name des faszinierenden
Institutsgründers, der die Erinnerung prägt. Zu seinem Gedenken lädt das
Institut für Musikwissenschaft seit 1997 jährlich zu einer „Riemann-Vorlesung“
ein. Bedeutende Musikwissenschaftler haben auf diese Weise dem Genius loci
gehuldigt und sind der Einladung gefolgt, so dass bereits auf eine stolze Reihe
zurückgeblickt werden kann:
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
Professor Dr. Rudolf Stephan: Neue Musik und Musikwissenschaft
Professor Dr. Reinhold Brinkmann: Johannes Brahms und die Maler
Feuerbach, Böcklin, Klinger und Menzel
Professor Dr. Ludwig Finscher: Haydn und die Aufklärung
Professor Dr. Silke Leopold: Musikwissenschaft und Musikkritik
Professor Dr. Christoph Wolff: Perspektiven des Vollendeten. Mozarts
Kompositionsfragmente
Professor Dr. Jiri Fukac: Marxistische Musikwissenschaft. Gab es sie
wirklich?
Professor Dr. Mieczyslaw Tomaszewski: Integrale Interpretation des
Musikwerks. Ein Versuch am Beispiel der Musik Frederic Chopins
Professor Dr. Helga de la Motte: Musikalische Logik und
Neo-Riemannian Theory
Professor Dr. Klaus Wolfgang Niemöller: Die poetische Idee als
Grundlage für romantisches Komponieren (Mendelssohn und
Schumann)
Professor Dr. Rudolf Flotzinger: Zwischen Leonin und Perotin
Professor Dr. Constantin Floros: Grundfragen der Musikwissenschaft.
Musikalische Semantik und semantische Analyse
Helmut Loos
123
Ein Kurator für die Universität
Zur Einsetzung vor 60 Jahren
Im Oktober 1948 setzte die Landesregierung Sachsen Ernst Eichler als
Kurator an der Universität Leipzig ein. Statt einer Verwaltungshilfe handelte
es sich jedoch um eine politische Aufsichtsinstanz – und den Todesstoß für
die verbliebene universitäre Autonomie.
125
Am 15. Oktober 1948 wurde in einem Festakt im Weißen Saal des Zoos der
Schulrat Ernst Eichler als Kurator an der Universität Leipzig eingesetzt. Gemäß
seiner Dienstverordnung bestand seine Aufgabe in der Regelung finanzieller und
logistischer Angelegenheiten sowie der Koordination zwischen der Hochschule
und der Administration in Dresden, als deren ständiger Vertreter er fungierte.
Auf den ersten Blick eine überfällige Maßnahme der Landesregierung Sachsen,
um die Landesuniversität zu unterstützen, die seit der Wiederaufnahme des
Lehrbetriebs im Februar 1946 unter schwerwiegenden Personalengpässen in
Rektorat und Verwaltung litt. Auch die Zusammenarbeit zwischen universitären
und politischen Stellen verlief alles andere als reibungsfrei. Doch lag diese
Lösung wirklich im Interesse der Universität?
Tatsächlich bedeutete diese Maßnahme eine Kapitulation der Universitätsführung
vor dem kaum verhohlenen Bestreben der SED-dominierten Landesregierung,
die Hochschule als Instrument der Kadererziehung und Ideologievermittlung
zu vereinnahmen. Zugleich gab man damit ein bedeutendes Stück universitärer
Autonomie Preis, die man bisher zu verteidigen gesucht hatte.
Unmittelbar nach Ende des zweiten Weltkriegs schien es zunächst, als könne die
Universität mehr Unabhängigkeit für sich erringen, als sie selbst zu Zeiten der
Weimarer Republik genossen hatte. Der mit Genehmigung der amerikanischen
Besatzungsmacht gewählte erste Nachkriegsrektor, der Archäologe Bernhard
Schweitzer, interpretierte die Weisungen des Military Government in diesem
Sinne: Da keine arbeitsfähige Landesverwaltung mehr existierte, sollte der Rektor
alle Befugnisse selbst wahrnehmen, für die zuvor Dresden zuständig gewesen
war. Hierunter fielen auch Personalfragen einschließlich Neuberufungen sowie
die Entnazifizierung des Lehrkörpers, für welche Schweitzer ein eigenes Konzept
der „Selbstreinigung“ geltend machen konnte.
Nach dem Wechsel der Besatzungsmächte in Leipzig Anfang Juli 1945 zeigte
sich schnell, dass die Sowjetische Militäradministration (SMA) keineswegs
gewillt war, der Universität eine solche Autonomie zuzubilligen. Die in ihrem
Auftrag neu installierte zivile Landesverwaltung in Dresden schaltete sich in die
Entnazifizierung der Hochschule ein und legte so rigorose Maßstäbe an, dass eine
Wiederaufnahme des Lehrbetriebs kaum mehr möglich schien. Schweitzer, der
sich gegen diese Maßstäbe zur Wehr setzte, um wenigstens in Fällen dringendster
Personalnot Übergangslösungen zu finden, zog sich so das tiefe Misstrauen
der politischen Verantwortlichen in Dresden und Berlin zu und sah sich Ende
Dezember 1945 zum Rücktritt gezwungen.
126
Schon zu diesem Zeitpunkt wurde deutlich, dass die linksgerichteten Kräfte
in den neuen ostdeutschen Verwaltungen, bald unter dem Dach der SED
versammelt, die Universität Leipzig als eine Schlüsselstelle gesellschaftlicher
Kontrolle sahen, die es zu vereinnahmen galt. Die Entlassung auch rein formaler
NSDAP-Mitglieder wurde dabei ebenso als Teil des Klassenkampfes begriffen
wie die Ersetzung etablierter „bürgerlicher“ Lehrstuhlinhaber durch Vertreter der
marxistischen Lehre – auch gegen den Widerstand der Universitätsspitze.
Schweitzers Nachfolger im Rektorat, der Philosoph Hans-Georg Gadamer,
sah sich nach der Wiederaufnahme des Lehrbetriebs immer weiter gehenden
Versuchen der Einflussnahme ausgesetzt. Die Gründung einer Pädagogischen
und einer Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät gaben der nunmehrigen
Landesregierung Sachsen die Möglichkeit, mehr und mehr Lehrstühle mit
Vertretern ihrer eigenen ideologischen Linie zu besetzen. Gadamer rang um
Kompromisse und konnte gelegentlich unklare Zuständigkeiten verschiedener
Verwaltungen für seine Zwecke nutzen, musste jedoch letztlich zusehen, wie
die Universitätsorgane immer mehr die Kontrolle über Personalfragen und
Lehrplangestaltung an politische Instanzen verloren.
Die zuständige Abteilung der Landesregierung Sachsen sowie die
Zentralverwaltung für Volksbildung in Berlin suchten jedoch auch diesen
schwachen Widerstand zu unterbinden. Im Rahmen einer Sitzung des
Akademischen Senats der Universität am 20. November 1946 schlugen deren
Vertreter die Einrichtung eines Kuratoriums vor, welches als vermittelnde
Instanz, als „Schleuse“ zwischen Hochschule und Politik fungieren solle. Über
die Befugnisse eines solchen Gremiums äußerte man sich nur vage, wünschte
jedoch sofort die allgemeine Zustimmung der Universitätsführung.
Gadamer ließ sich nicht überrumpeln und wich einer Stellungnahme aus. So trat
der Plan für mehrere Monate in den Hintergrund, die Auseinandersetzungen mit
der Landesregierung um Personalfragen, insbesondere Berufungen, verschärften
sich jedoch weiter. Von einem Kuratorium erwartete man hier mitnichten Abhilfe:
Auf einer den Personalproblemen gewidmeten Senatssitzung am 11. Juni 1947
stellte der Senat fest, dass damit vor allem eine „politische Aufsichtsinstanz“
geschaffen werden solle. Einen entsprechenden Entwurf der Dresdener Pläne hatte
man kurz zuvor erhalten, vorgesehen war ein „Kurator“ als Bevollmächtigter der
Landesregierung, dem neben Verwaltungsaufgaben auch Disziplinargewalt über
die Studierenden zukommen sollte. Ferner durfte er Vorschläge zur Besetzung
vakanter Lehrstühle einbringen. Die Universitätsspitze lehnte dieses Konzept
ab.
127
Bis zum Ende des Rektorats Gadamers, der die Amtskette am 31. Oktober 1947
seinem Nachfolger Erwin Jacobi übergab, verschwand das Thema dann erneut
von der Tagesordnung des Akademischen Senats. Die Landesregierung Sachsen,
speziell ihr Minister für Volksbildung Helmut Holtzhauer, konkretisierte diese
Pläne jedoch bis zum Entwurf einer „Verordnung über die Einsetzung eines
Kurators an der Universität Leipzig“.
Der Jurist Jacobi stand der Einflussnahme der politischen Stellen auf die
Hochschule weit aufgeschlossener gegenüber als seine Amtsvorgänger und trat
in dieser Sache persönlich in Verhandlungen ein. Dabei stellte er unvorsichtiger
Weise eine Zustimmung des Senats in Aussicht, sofern der Kurator klar umrissene
Zuständigkeiten und ausreichende Befugnisse erhalte, um den Dienstweg
zwischen Universität und Landesregierung tatsächlich zu vereinfachen.
Holtzhauer nahm dies wörtlich, und Jacobi musste seine Verhandlungsführung
auf einer Senatssitzung am 14. Juli 1948 rechtfertigen.
Wie sich zeigte, hatte er die Haltung vieler Senatsmitglieder falsch eingeschätzt.
Insbesondere störte man sich an dem Teilnahmerecht des Kurators an allen
Senats- und Fakultätssitzungen, da man hier die Kernbereiche von Forschung,
Lehre und nötigenfalls vertraulicher Personalfragen offengelegt sah. Zwar gab
Jacobi dies in Form von Änderungsvorschlägen an die Landesregierung weiter,
erklärte jedoch schon auf der nächsten Senatssitzung, es sei unrichtig, dass „die
Verantwortung für Forschung und Lehre allein zur Zuständigkeit des Senats
gehöre, dass vielmehr auch die Landesregierung Sachsen hier Verantwortung
tragen müsse.“
Zu diesem Sinneswandel bewegt wurde Jacobi durch vorangegangene
schriftliche Appelle marxistischer Lehrstuhlinhaber wie dem Prodekan der
Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät Fritz Behrens, die einen ähnlichen
Wortlaut aufwiesen. Entsprechend wurden die meisten Änderungsvorschläge
Ende August 1948 fallengelassen.
Nach Aufnahme seiner Amtsgeschäfte entfaltete der Kurator Eichler bald
weitreichenden Einfluss auf nahezu allen Ebenen der Universitätsverwaltung und
zögerte nicht, diesen zur Durchsetzung der Linie der SED geltend zu machen.
Durch seine Dienstverordnung mit der Gewalt über das Rentamt und damit die
Haushaltsmittel der Universität ausgestattet, konnte er „fortschrittliche“ Institute
gezielt fördern. An der Auswahl der Studierenden war er als Angehöriger der
Immatrikulationskommission und dortiger Vertreter der Landesregierung
beteiligt. Er vertrat die Universität in allen Rechtsangelegenheiten vor und
128
außer Gericht und weitete dies bis in den disziplinarischen Bereich aus – so
sprach er auch Verbote politischer Gruppierungen und Aktivitäten innerhalb der
Studentenschaft aus, die nicht der Zielsetzung der FDJ folgten. In Streitfällen
mit ideologischem Hintergrund zwischen Studierenden und Dozenten wurde er
bisweilen als Berufungsinstanz hinzugezogen.
Offiziell blieben Forschung und Lehre Angelegenheit des Rektors, des Senats und
der Fakultäten – doch Eichler besaß ein Vorschlagsrecht für Lehrstuhlkandidaten.
Dieses war nicht verbindlich, die letzte Entscheidung lag allerdings bei der
Landesregierung, und sämtliche Korrespondenz zwischen jener und der
Universität lief über den Kurator, einschließlich der Rektoratspost. Auf dieser
Regelung bestand Eichler kategorisch, selbst Telefongespräche zwischen Leipzig
und Dresden wurden aufgelistet, Dienstreisen waren genehmigungspflichtig
– offiziell zur Kontrolle der Wirtschaftlichkeit. Das Teilnahmerecht des Kurators
an den Sitzungen der akademischen Organe galt de facto uneingeschränkt.
Von der Renaissance der universitären Autonomie nach Ende des zweiten
Weltkriegs war somit nach gut vier Jahren nichts mehr verblieben. Aus dieser
Absicht der Landesregierung machte die DDR-Historiografie später keinerlei
Hehl: „Die politische Zielstellung, die an den Kurator geknüpft war, wurde
erfüllt: die fortschrittlichen Kräfte konnten sich stabilisieren, der Klärungsprozess
zwischen reaktionären und fortschrittlichen Wissenschaftlern und Studenten
wurde beschleunigt, die ehemals bürgerliche Universität wurde zu einer
Volksuniversität.“ (Knospe, Bestand Kurator, S. 5f.)
Das Amt des Kurators der Universität Leipzig bestand bis Ende Oktober
1949 und wurde dann in den Posten eines Verwaltungsdirektors umgewandelt
– die klassenkämpferische Sonderfunktion, die dem Kurator zugekommen war,
schien angesichts der politischen Entwicklung der Zwischenzeit sowie des
Erfolgs Eichlers bei der Abwicklung der universitären Autonomie nicht länger
vonnöten.
Johannes Wiggering
129
Literatur:
Krause, Konrad: Alma mater Lipsiensis. Geschichte der Universität Leipzig von
1409 bis zur Gegenwart, Leipzig 2003
Knospe, Wolfgang: Bewertung, Ordnung und Verzeichnung des Bestandes
Kurator im Archiv der Karl-Marx-Universität Leipzig, Potsdam 1977
Wiggering, Johannes: Die ersten drei Rektoren der Universität Leipzig nach dem
zweiten Weltkrieg – Ein Vergleich. Magisterarbeit am Historischen Seminar der
Universität Leipzig, Lehrstuhl für Zeitgeschichte, Leipzig 2007
Sitzungsprotokolle des Akademischen Senats der Universität Leipzig Mai 19451951, Universitätsarchiv Leipzig (UAL) R 001
Dienstanweisung für den Kurator der Universität Leipzig, UAL R 066
130
Gustav Hertz: Lehrbuch der Kernphysik
Zum Erscheinen vor 60 Jahren
Mit seinem Lehrbuch zur Kernphysik setzte der Nobelpreisträger Gustav
Hertz an der Universität Leipzig die Pionierleistungen der Sommerfeldschüler
aus den 30-iger Jahren fort: Peter Debye, Wolfgang Pauli und Werner
Heisenberg. Hervorgehoben werden die Synergien in den Ideen der
Nobelpreisträger – typisch für die weltbekannte Sommerfeldschule.
131
Der Band I des Lehrbuches der Kernphysik. Experimentelle Verfahren,
herausgegeben von Gustav Hertz, erschien 1958 in der B. G. Teubner
Verlagsgesellschaft Leipzig. Das bekannte dreibändige Lehrbuch der Kernphysik
gehörte zu den Standardwerken der Kernphysik.
Im Vorwort des Ersten Bandes des Lehrbuches für Kernphysik nennt Gustav Hertz
als Zweck des Lehrbuches in erster Linie die Ausbildung von Kernphysikern.
Zudem soll es Ingenieuren die physikalischen Grundlagen dieser Technik nahe
bringen und erfahrenen Kernphysikern und -technikern und Anwendern der
Kernphysik in der täglichen Arbeit von Nutzen sein.
Von Interesse ist der im Lehrbuch eingearbeitete Bezug zu den historischen
und aktuellen Leipziger Arbeiten zur Kernphysik. Erwähnt wird der in Leipzig
tätige Ostwaldschüler George Jaffe, der seine kernphysikalische Analyse
von Absorptionserscheinungen in Lösungen 1904 mit wissenschaftlichen
Aufenthalten bei J. J. Thomson (Cambridge) und M. Curie (Paris) verband. An
die Leipziger Tätigkeit des (Kern)Physikers aus Moskau knüpften insbesondere
Werner Heisenberg (seit 1927 in Leipzig ) mit seinen exzellenten Mitarbeitern
Felix Bloch und Carl Friedrich von Weizsäcker an.
Im Jahre 1946 entdeckte Felix Bloch unabhängig von Edward Mills Purcell
und zusammen mit William Webster Hansen und Martin Packard die bekannte
Absorptionserscheinung der kernmagnetischen Resonanz (NMR, Nuclear
Magnetic Resonance, Nobelpreis 1952). Alfred Lösche hat unmittelbar nach
dieser Entdeckung des ehemaligen Mitarbeiters Heisenbergs die experimentelle
NMR-Analyse – in Flüssigkeiten und Festkörpern – eigenständig in Leipzig
fortgesetzt. Die Ergebnisse kann man in seinem Buch „Kerninduktion“ (1957)
nachlesen. Dieses Buch enthielt auch die Blochgleichung als Grundgleichung für
das Verhalten der Kernmagnetisierung (Kernspin) in einem äußeren magnetischen
Feld. Das war die Grundlage für die NMR-Entwicklung im osteuropäischen
Raum. Für diese wissenschaftliche Leistung erhielt er den Nationalpreis. Eine
spezielle Weiterentwicklung, die heute weltweit eingesetzte Impuls-NMR gelang
Harry Pfeiffer (Nationalpreis). Erfolgreiche Anwendungen dieser NMR-Methode
gelangen in der Leipziger universitären Medizinischen Physik und Biophysik
(Klaus Arnold, Wolfgang Gründer).
Der zweite Band des Lehrbuches enthält die Physik der Atomkerne im engeren
Sinne – den Hauptteil. Neben der Darstellung der Tatsachen und Gesetze der
Kernumwandlungen, der Kernreaktionen und der hochenergetischen Kernprozesse
enthält er eine Übersicht über die Theorien der Atomkerne. Die Leipziger Arbeiten
132
von Carl Friedrich von Weizsäcker und Hans Bethe zur Bindungsenergie der
Kernbestandteile auf der Basis des halbempirischen Tröpfchenmodells sind
ausführlich und verständlich erläutert. Außerdem ist in der Publikation neben der
Physik der Neutronen eine von den Anwendern der Kernphysik sehr geschätzte
umfangreiche Tabelle der neuesten Daten für praktisch alle Atomkerne eingefügt
worden. In diesem Band findet man noch nicht die historischen Erkenntnisse zur
Leipziger Uranmaschine (Ch. Kleint, G. Wiemers, H. Rechenberg). Danach gelang
schon am 23. Juni 1942 mit dieser Uranmaschine der experimentelle Nachweis
der effektiven Neutronenvermehrung in einem Kugelschichtenexperiment.
Im Geheimbericht wurde darauf hingewiesen, dass eine Vergrößerung der so
aufgebauten Schichtenkugel bereits zu einer funktionsfähigen Uranmaschine
führt.
Der dritte Band behandelt nachdrücklich die Grundlagen der angewandte
Kernphysik, insbesondere die Reaktoren, die Isotopentrennung, die
Radiochemie und die Anwendung der stabilen und radioaktiven Isotope. Von
besonderem Interesse ist hier neben der für die Leipziger Historie interessanten
Reaktorphysik die Hertzsche Isotopenthematik, die hier Variationen der
natürlichen Isotopenzusammensetzung der Elemente und neu entwickelte
Verfahren der Isotopenanalyse umfasst. Die Anwendung stabiler Isotope zur
Lösung vielfältiger Probleme wird an Beispielen aus der Physik, Technik und
Medizin beschrieben. Das Leipziger Institut für stabile Isotope hat Gustav Hertz,
ein anerkannter Spezialist für Isotopentrennung, mit großer Aufmerksamkeit
verfolgt und durch interessante Anregungen gefördert. Der institutionelle Betrieb
der Isotopentrennanlagen war eine Grundlage für die Pionierarbeit auf dem
Gebiet der stabilen Isotope. Die Arbeitstagungen des Institutes zur Trennung,
Analyse und Anwendung stabiler Isotope wurden als Dorado durch die IsotopenSpezialisten aus aller Welt anerkannt.
Nach der Rückkehr des „Atom-Spezialisten“ Hertz aus Suchumi
(Isotopentrennung, Uran) wurde er 1954 Direktor des Physikalischen Institutes an
der Karl-Marx-Universität. Er unterstützte die damals notwendige Ausbildung in
der Kernphysik mit seinem dreibändigen Lehrbuch der Physik. Als Gustav Hertz
nach Leipzig kam, fand er auch die Arbeiten zur Halbleiterforschung (Christian
Kleint, Walter Thielemann, Konrad Kreher) vor. Bekanntlich ist der Beginn
in der Halbleiterforschung mit Leipzig verbunden. In der 1874 entstandenen
Veröffentlichung des Physiklehrers am Leipziger Thomas-Gymnasium,
Ferdinand Braun über das elektrische Gleichrichterverhalten (Kennlinien) von
Kristallen (z. B. Bleiglanz) sieht man heute den Beginn der Halbleiterforschung
überhaupt. Als ehemaliger Siemenslaborleiter kannte Gustav Hertz schon seit
133
1935 die Halbleiterforschung und förderte diese natürlich in Leipzig, so dass
1960 die vertragliche Bindung mit der DDR-Halbleiterindustrie (Werk für
Fernsehelektronik Berlin) zustande kam. Die Forschung wurde zunehmend auf
die AIII-BV-Verbindungshalbleiter fokusiert.
Mit Unterstützung der Anorganischen Chemie (Flüssigphasenepitaxie) konnte
1968, im Zuge der Hochschulreform, die universitäre Arbeitsgruppe „AIII-BVHalbleiter“ (Konrad Unger, Ehrenfried Butter) gegründet werden (später ca.
100 Mitarbeiter). Die Optoelektronik (Bernd Rheinländer) untersuchte dabei
hochdotierte und gemischte Halbleiter, Unordnungen und Quantenffekte. Es
gelang in dieser Arbeitsgruppe die Realisierung und Überführung des ersten
kommerziellen Bauelementes der DDR mit AIII-BV-Halbleitern (Nationalpreis
1972). Hierbei handelte es sich um eine GaAs/(Ga,Al)As-Lumineszenzdiode
(hergestellt mit der Flüssigphasenepitaxie), die als Sender für ein elektrooptisches
Streckenmessgerät eingesetzt wurde. 1972 verteidigte auch der Autor seine
Dissertation zur Streuung von Elektronen an ionisierten Störstellen in
hochdotierten kompensierten GaAs-Halbleitern.
Nach der Wende, in den 1990er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Tradition
intensiv mit der Moderne in der Leipziger Physik verknüpft, so auch in der
universitären Experimentellen Physik II, in der Arbeitsgruppe „Halbleiterphysik“
(Übergang zu einem erweiterten Spektrum der Halbleitermaterialien,
Marius Grundmann) und in der neu gebildeten Arbeitsgruppe „Nukleare
Festkörperphysik“ (Ionenstrahlen, Tilman Butz).
Der Gustav-Hertz-Preis wird seit 1942 von der DPG und seit 1977 von der
Physikalischen Gesellschaft der DDR (seit 1992 unter dem gemeinsamen Dach
der DPG) für herausragende Nachwuchswissenschaftler verliehen. Seit 1993
wird der Gustav-Hertz-Preis von der DPG für eine hervorragende, kürzlich
abgeschlossene Arbeit aus dem Kreis der jüngeren Physikerinnen und Physiker
verliehen. Zu den Gustav-Hertz-Preisträgern gehören die Hallenser Physiker
Gunnar Berg (1982), Gunter Dräger (1985), Ortwin Breitenstein (1986), und
Steffen Trimper (1991). Zu den wissenschaftlichen Beiräten der ArnoldSommerfeld-Gesellschaft e.V. gehören der Gustav-Hertz-Preisträger Werner
Holzmüller (1959) und die Gustav-Hertz-Schüler Konrad Kreher und Konrad
Unger.
Zum Ausgangspunkt der modernen Festkörpertheorieentwicklung, vor 80
Jahren in Leipzig, wurden die von Wolfgang Pauli und Arnold Sommerfeld
realisierten quantentheoretischen Verallgemeinerungen der Arbeiten von Ludwig
134
Boltzmann und Paul Drude. Eine bedeutsame Rolle spielte dabei die Arbeit
„Über das H-Theorem vom Anwachsen der Entropie vom Standpunkt der neuen
Quantenmechanik“ von Wolfgang Pauli, in der gezeigt wird, dass vom Standpunkt
der Wellenmechanik aus die bekannte Lücke zwischen der Boltzmannschen
und der allgemeineren Gibbsschen Methode der Statistik ausgefüllt werden
kann. Weitere entscheidende Leipziger Arbeiten sind die von Felix Bloch
(Bändermodell der Elektronen, Assistent von Pauli und Heisenberg), von Rudolf
Peierls (Quantentheorie des anomalen Hall-Effektes, Heisenberg-Doktorand
und Pauli-Assistent) und von Werner Heisenberg selbst (Quantentheorie des
Ferromagnetismus).
Der Schweizer Physiker Felix Bloch hatte von 1924 bis 1927 in Zürich Physik
studiert, war Peter Debye nach Leipzig gefolgt und wurde dann Werner
Heisenbergs erster Doktorand: Blochs erste wissenschaftliche Arbeit sollte
eigentlich die Leistungsfähigkeit der Diracschen Strahlungstheorie illustrieren.
Heisenberg beschäftigte sich aber gerade nicht mehr mit der Diracschen Theorie,
sondern mit den Sommerfeldschen Metallelektronen, um „sich nicht dauernd mit
Dirac herumzuärgern“. Nach dem Heisenberg und Pauli die beiden Grenzfälle
der freien und der an den Gitter-Ionen lokalisierten Elektronen beschrieben
hatten, sollte Felix Bloch die „realistischere“ quantisierte Elektronenbewegung
im „wellblechartigen“, periodischen Kristallgitter untersuchen. Sein eingeführtes
Bändermodell (Analogie zu den Atom- und Molekülniveaus, Leipzig 1928)
wurde zum Wegbereiter der modernen Quantentheorie des Festkörpers, sein
Lebenswerk. Es war die Grundlage für die vielfältigen Anwendungen in
der Blütezeit der Leipziger Physik und die nachhaltige Vorrangstellung der
Festkörperphysik unter den physikalischen Disziplinen.
Diese Hinwendung zur Quantentheorie des Festkörpers war dem Einfluß
Sommerfelds im Kreise seiner Schüler und Mitarbeiter geschuldet; sie offenbarte
die nachhaltigen Synergien in der Sommerfeldschule. Seinen Zöglingen
(„Quantenbabys“), insbesondere Rudolf Peierls und Hans Bethe, empfahl er,
vorzugsweise Leipzig und Zürich zur Fortbildung aufzusuchen.
Als Peierls in Leipzig ankam, herrschte dort ein reges wissenschaftliches Treiben.
In seiner ersten wissenschaftlichen Publikation (Weihnachten 1928) erklärte er
mit Hilfe des Konzepts von Bloch zur Elektronenbewegung im periodischen
Gitterpotential den bis dahin nicht erklärten anomalen Halleffekt:
Der Halleffekt zeigte bei einigen Metallen eine Anomalie: ein anderes Vorzeichen.
Rudolf Peierls ersetzte die klassischen Analysen des Effektes von Paul Drude
135
und Ludwig Boltzmann durch die quantenmechanische Analyse. Nach der
Bloch-Theorie der Leitfähigkeit kam diese durch das Springen der Elektronen
von Atom zu Atom – Hopping – zustande, wobei in bekannter Weise ihre
Energie kleiner sein kann als das Maximum der Potentialschwelle zwischen den
Atomen. Zu diesem Vorgang gibt es kein klassisches Analogon. Die vom Pionier
des Löcherkonzepts, Rudolf Peierls, eingeführte Lochvorstellung erwies sich
daneben von größter Tragweite für das Verständnis der Festkörper, insbesondere
der Halbleiter und Isolatoren. 70 Jahre nach der Arbeit von Rudolf Peierls,
1998, führte Uwe Girlich in seiner Promotion „Numerische Untersuchungen
zum Quanten-Hall-Effekt“ ein neues Quasiteilchen ein, das zusammengesetzte
Fermion. Der Quanten-Hall-Efekt ermöglichte in der Messtechnik die genaue
Bestimmung der Sommerfeldschen Feinstrukturkonstante (Nobelpreisträger
Klaus von Klitzing, 1985). Die Arbeitsgemeinschaft „AIIIBV-Halbleiter“ nutzte
schon 1969 den Hall-Effekt in der Messtechnik zur Materialcharakterisierung
von Halbleitern (Werner Hörig).
Die neuen Zentren in Leipzig und Zürich waren zudem wesentlich an der
Entwicklung der Kernphysik (W. Heisenberg, W. Pauli, C. F. v. Weizsäcker)
beteiligt. Wolfgang Pauli, postulierte 1931 zur Lösung des problematischen
Betazerfalls ein hypothetisches Teilchen, das Neutrino (entdeckt erst 1956).
Das Paulische Neutrino war Ergebnis seines Festhaltens am Energiesatz beim
mikroskopischen Stoßprozess (im Gegensatz zu Niels Bohr, der die Energie
nur noch als statistische Größe interpretieren wollte). Wolfgang Pauli nutzte die
Verknüpfung der Erhaltungssätze mit ausgewählten Symmetrieprinzipien und
fand den Zusammenhang mit der Quantenstatistik.
Einen Bezug zur Leipziger Wissenschafts- und Philosophieentwicklung, zur
Psychophysik, findet man auch im „existentiellen“ Pauli-Jung-Dialog. Die
Suche nach einer nichtformalen Konzeption der Zeit führte Wolfgang Pauli
über das Gebiet der modernen Physik hinaus in die Psychologie und ist eine
Wurzel für seine Beschäftigung mit der Synchronizitätslehre von C. G. Jung
(Elke Weißmeyer, Dissertation A, MLU Halle-Wittenberg, 1990). Seine Arbeiten
zur Synchronizität gehören in das Gebiet der interdisziplinären Psychophysik,
die von dem Physiker Gustav Fechner in Leipzig begründet wurde. Damit wird
Wolfgang Pauli zum Mittler zwischen Natur- und Geisteswissenschaften. Vor 20
Jahren fand schon das erste mitteldeutsche Pauli-Symposium an der Hallenser
Physik statt. In diesem Jahr findet das zweite mitteldeutsche Pauli-Symposium
in Leipzig statt.
136
Offensichtlich für die Pauli-Heisenberg-Sommerfeld-Zusammenarbeit in den
drei Zentren der Theoretischen Physik von Leipzig, Zürich und München sind die
innovativen gedanklichen Synergien der Sommerfeldschule, die sie weltbekannt
gemacht hat. Das war ein wesentliches Motiv für die Gründung der ArnoldSommerfeld-Gesellschaft e.V. in Leipzig vor zehn Jahren, 1998, 70 Jahre nach
der Grundlegung der modernen Festkörpertheorie in Leipzig.
Vor 80 Jahren veranstaltete ein weiterer Sommerfeldschüler, Peter Debye,
erstmals die Leipziger Vorträge, die sich mit den Grundlagen der modernen
Festkörperphysik befassten und das neue Leipziger Zentrum der Quantenphysik
international bekannt machte. Diese bezogen sich inhaltlich auf die „Probleme
der modernen Physik“, die in der 1928 von Peter Debye herausgegebene
Festschrift zum 60. Geburtstag von Arnold Sommerfeld enthalten sind. Parallel
dazu veröffentlichte 1928 Arnold Sommerfeld den wellenmechanischen
Ergänzungsband zum „Atombau und Spektrallinien“ (1919), der Bibel der
Spektralphysik, die die aufstrebende Sommerfeldschule weltweit bekannt
machte.
Bei der Organisation der Vortragswoche half Peter Debye sein Assistent
Dr. H. Sack. In der dazugehörigen Publikation „Leipziger Vorträge 1930.
Elektroneninterferenzen“ (Verlag von S. Hirzel, Leipzig 1930) hob der
Herausgeber Peter Debye im Vorwort dazu hervor, dass die Vorträge nicht nur
das Gebiet der reinen Beugungs- und Interferenzversuche beleuchten, sondern
eingehend auch die wellenmechanische Auffassung hinsichtlich der Erklärung
der Elektronenleitfähigkeit der Metalle prüfen, insbesondere die Vorträge von
Grüneisen, Bloch und Peierls. Die drei Berichte über Metallelektronen beginnen
mit dem Vortrag von Grüneisen, in welchem vor allem die Versuchsergebnisse
über die Leitfähgkeit für Elektrizität und Wärme mit den Folgerungen der
modernen Interferenztheorie verglichen werden.
Es ist für Debye keine Frage, dass der Sommerfeldsche Vorstoß in dieser
Richtung der Metallelektronentheorie zusammen mit den dadurch veranlassten
Arbeiten derselben Tendenz das Verständnis für die Erscheinungen in Metallen
sehr wesentlich gefördert hat. Es ist aber ebenso sicher, dass noch eine Reihe
von Fragen, die das Experiment uns aufgibt, von der Theorie noch gar nicht oder
doch nur andeutungsweise behandelt worden sind. So spricht Bloch in seinem
Vortrage über die Wechselwirkung der Elektronen, die gewöhnlich zumeist
vernachlässigt wurde, obwohl die Berechtigung dazu durchaus nicht ohne
weiteres besteht. Peierls behandelt die Leitfähigkeitsänderungen, die durch das
Magnetfeld hervorgerufen wurden und deren Kenntnis durch die Versuche von
137
Kapitza und von Meissner und Scheffers so wesentlich gefördert wurde. Auch
hier tritt wieder klar zutage, dass wir doch erst am Anfang einer, wenn auch
selbst in ihrer jetzigen Form, schon äußerst wertvollen Theorie stehen. Das hatte
aber Debye, „die größte Entdeckung Sommerfelds“, frühzeitig erkannt.
Wie für Rudolf Peierls war auch für Peter Debye und seine Mitarbeiter die
entscheidende und nahe liegende analoge Frage: Gibt es in Flüssigkeiten
Elementarbereiche kristalliner Struktur, oder bilden die Moleküle auch
in ihrer nächsten Nachbarschaft ungeordnete, dem Gaszustand ähnelnde
Molekülverbände? Die Strukturuntersuchungen wurden im Institut mit Röntgenstrahlen in Festkörpern und Flüssigkeiten durchgeführt und die theoretischen
Vorstellungen mit dem Debye-Scherrer-Verfahren überprüft. In der Debyeschen
physikalischen Abteilung hatten sich zwei weitere Forschungsthemata angesiedelt:
die Streuung von Licht an Molekülen und die dielektrischen Untersuchungen.
Für die Untersuchungen mit Quecksilberdampflampen (Raman-Spektren)
standen Kellerräume mit konstanter Temperatur und konstanter Feuchtigkeit zur
Verfügung.
In der 1928 ausgebauten zusätzlichen Etage für die Molekularphysik gab es
ein 20 Quadratmeter großes Labor für die Untersuchung der dielektrischen
Eigenschaften von Ketonen und anderen organischen Molekülen (F. H. Müller,
W. Holzmüller). Die Ergebnisse wurden klassisch hydrodynamisch gedeutet,
später statistisch mit der Platzwechseltheorie (Habilitation, W. Holzmüller, TU
Berlin1941). Den wissenschaftlichen Nationalpreis erhielt der Debye-Schüler
Werner Holzmüller 1959 für die inhaltlich damit verknüpfte Thematik der
molekularen Beweglichkeit, angewandt auf Makromoleküle.
1927 wurde Peter Debye als Professor für Experimentalphysik an die Universität
Leipzig berufen, wo auch sein Kollege Werner Heisenberg lehrte. Das Institut für
Theoretische Physik in Leipzig wurde unter ihrer Regie zu einem „Mekka“ für
die Physiker aus aller Welt.
Peter Debye war 1934 Direktor des Kaiser-Wilhelm-Institutes (KWI) in Berlin
und bis 1935 Direktor des Physikalischen Institutes. Er war Mitglied der
Sächsischen Akademie der Wissenschaften in Leipzig. In Leipzig ist auch eine
Strasse nach ihm benannt worden. Im Jahre 1936 erhielt er den Nobelpreis für
Chemie – für seine Beiträge zu unserer Kenntnis der Molekularstrukturen durch
seine Forschungen über Dipolmomente (Debye-Gleichung), über Beugung der
Röntgenstrahlen und Elektronen in Gasen“. Er verließ 1935 Leipzig zum KWI
für Physik in Berlin und emigrierte 1939 in die USA.
138
Peter Debye galt schon zu seinen Lebzeiten als einer der bedeutendsten
Naturwissenschaftler des Jahrhunderts. Er steht für den interdisziplinär denkenden
Wissenschaftler, der keine Fachgrenzen kennt. Wegen seiner fächerübergreifenden
Vielseitigkeit wird er auch als „Marco Polo der Wissenschaft“ bezeichnet.
Das macht ihn gerade für die interdsiziplinär orientierte Arnold-SommerfeldGesellschaft e.V. in Leipzig so interessant. Zu ihren wissenschaftlichen Beiräten
gehört der Debye-Schüler und Ehrensenator der Universität Leipzig, Werner
Holzmüller.
Wolfgang Eisenberg
Literatur:
J. Frank und G. Hertz: Über Zusammenstöße zwischen Elektronen und den
Molekülen des Quecksilberdampfes und die Ionisierungsspannung derselben. In:
Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft 16 (1914) 457
Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig. MathematischNaturwissenschaftliche Reihe. 36. Jahrgang (1987) – Heft 6
Von Meyen, Weisskopf, Herrmann: Wolfgang Pauli – Wissenschaftlicher
Briefwechsel, mehrere Bände, Springer Verlag 1979 ff.
Wolfgang Pauli: Physik und Erkenntnistheorie – Friedr. Vieweg & Sohn,
Braunschweig/Wiesbaden, 1984
Probleme der modernen Physik/hrsg. von Peter Debye – Verlag Hirzel in Leipzig,
1928
„Leipziger Vorträge 1930. Elektroneninterferenzen“/hrsg. von Peter Debye
– Verlag Hirzel in Leipzig, 1930)
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Autorenverzeichnis
Christian Augustin
Student am Historischen Seminar, Universität Leipzig
Prof. em. Dr. Dr. h. c. Lothar Beyer
Professor für Anorganische Chemie (Koordinationschemie),
Institut für Anorganische Chemie, Universität Leipzig
Dr. Jens Blecher
Mitarbeiter des Universitätsarchivs Leipzig
Dr. Heinz Peter Brogiato
Leibniz-Institut für Völkerkunde Leipzig
Prof. Dr. Enno Bünz
Professor für Sächsische Landesgeschichte
Historisches Seminar, Universität Leipzig
Dr. Wolfgang Eisenberg
Arnold-Sommerfeld-Gesellschaft e.V., Leipzig
Prof. em. Dr. Hans-Joachim Girlich
Mathematisches Institut, Universität Leipzig
Dr. Susanne Guski-Leinwand
Allgemeine und Theoretische Psychologie,
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Prof. Dr. iur. Franz Häuser
Rektor der Universität Leipzig
Prof. Dr. Bernd-Rüdiger Kern
Professor für Bürgerliches Recht, Rechtsgeschichte und Arztrecht
Juristenfakultät, Universität Leipzig
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Dr. Harald Lönnecker
Bundesarchiv Koblenz
Prof. Dr. Helmut Loos
Professor für Historische Musikwissenschaft
Institut für Musikwissenschaft, Universität Leipzig
Prof. Dr. Martin Petzoldt
Professor für Systematische Theologie/Ethik
Institut für Systematische Theologie, Universität Leipzig
Theresa Schmotz
Doktorandin am Historischen Seminar, Universität Leipzig
Frank W. Stahnisch
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Institut für Geschichte, Theorie und Ethik
Medizin der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz,
derzeit Visiting Assistant Professor am Department of Social Studies of
Medicine der McGill Universität in Montreal (Kanada)
Johann Wiggering
Doktorand am Zentrum für Lehrerbildung und Schulforschung (ZLS),
Universität Leipzig
Prof. Dr. Gerald Wiemers
Ehemaliger Direktor des Universitätsarchivs Leipzig
Prof. Dr. Harald Wiese
Professor für Volkswirtschaftslehre/Mikroökonomik
Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Universität Leipzig
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Bildnachweise
S. 9:
Richard Wagner, Universitätsarchiv Leipzig, FS N 06043
S. 15: Felix Krueger, Universitätsarchiv Leipzig, FS N148
S. 21: Ernst Sommerlath, Universitätsarchiv Leipzig, Df000133
S. 33: Carl Friedrich Hindenburg: „Archiv der reinen und angewandten
Mathematik“, Universitätsbibliothek Leipzig, Bibiliotheca
Albertina
S. 39: Hans Meyer, Universitätsarchiv Leipzig, FS N03666
S. 45: Serban Titeica, Universitätsarchiv Leipzig, FS N2140
S. 49: Walter Schlesinger, Universitätsarchiv Leipzig, FS N02685
S. 55: Sprengung der Universitätskirche St. Pauli, Kustodie der
Universität Leipzig/Foto: Hartmut Scholz
S. 61: Franz Wieacker, Universitätsarchiv Leipzig, FS N3894
S. 67: Victor Frederick Weisskopf und Werner Heisenberg,
Universitätsarchiv Leipzig, Df002470
S. 71: Georg Merrem, Universitätsarchiv Leipzig, FS N06361
S. 77: Wolfgang Natonek, Universitätsarchiv Leipzig, FS N03582
S. 83: Anton Ridiger: Systematische Anleitung zur reinen und
überhaupt applicirten oder „allgemeinen Chymie“, 1756,
Universitätsbibliothek Leipzig, Bibiliotheca Albertina, Phys u.
Chem 1364
S. 89: Lüder Mencke, Universitätsarchiv Leipzig, FS N00286
S. 93: Arthur Golf, Universitätsarchiv Leipzig, FS N3295
S. 99: Anton Wilhelm Plaz, Portaitstichsammlung der Universität Leipzig
S. 105: Friedrich von Schlegel: „Über die Sprache und Weisheit der
Indier“, Universitätsbibliothek Leipzig, Bibiliotheca Albertina
S. 111: Studententrachten in Leipzig, Bundesarchiv Koblenz
S. 119: Hugo Riemann, Universitätsarchiv Leipzig, FS N04164
S. 125: Ernst Eichler, Universitätsarchiv Leipzig, FS N00525
S. 131: Gustav Hertz, Universitätsarchiv Leipzig, ZFF 0569
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