Entdeckendes Lernen im Informatik Unterricht
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Entdeckendes Lernen im Informatik Unterricht
Entdeckendes Lernen im Informatik Unterricht 2. GI-HILL Fachtagung Informatik-Unterricht Ruedi Arnold Hamburg, 29. Oktober 2005 …bei uns in der Schweiz lassen sich Dinge entdecken! ;-) 1 …und wie sieht es in Hamburg mit entdeckendem Lernen aus? ☺ Ruedi Arnold Departement Informatik ETH Zürich [email protected] http://people.inf.ethz.ch/rarnold/ 2 Umfrage: Wie habe ich gelernt? Fertigkeit Selbst entdeckt Hilfe (Eltern, Freunde, Bekannte) Kurs / Schule Schwimmen Lesen / schreiben Instrument spielen Schreibmaschine schreiben Auto fahren Programmieren 3 Das Programm heute 15‘ Vortrag „Entdeckendes Lernen“ 35‘ Selbstständig am Computer entdecken 15‘ Besprechung / Diskussion / (Meta-)Reflexion 10‘ Abschluss 4 Ein Beispiel zum Einstieg: Aspekte Behindertengerechter Webseiten Aufgabe: Erkenntnisse (inkl. Begründung) zu „Blindengerechte Homepages“ schriftlich festhalten Material: IBM Home Page Reader DEMO! (Webseiten „vorlesen“ lassen) 5 Mögliche Erkenntnisse… Technik - Ein Programm das Webseiten vorliest ist praktisch. - Homepage ohne Text lässt sich nicht vorlesen. - HTML-lang-Attribute ermöglichen korrekte Aussprache. Gesellschaft - Es sollte gesetzliche Verpflichtung zu SehbehindertenTauglichkeit für Seiten staatlicher Institutionen geben. - Behindertengerechte Seiten können wirtschaftlich sein. 6 Motivation zum Beispiel Blindenfreundliche Websites – na und? Suchmaschinen funktionieren ähnlich! Folgerungen Seitendesign und –aufbau, z.B. – Seitenaufbau: Was wird zuerst betrachtet/ gelesen? – Keine „unlesbare“ Navigations-Links (z.B. durch Bilder) – Reine Flash-Seiten können i.a. nicht indexiert werden 7 Entdeckendes Lernen Kinder machen ständig Entdeckungen... …und Schüler? 8 Förderung von „Soft Skills“ im Informatik-Unterricht… ? Kreativität Gegenseitiger Austausch Selbstständiges Arbeiten Kritisch denken Eine Möglichkeit: Entdeckendes Lernen 9 Entdeckendes Lernen: Was ist zu beachten? Offenheit des Themas – Freiheit für Schüler, selber etwas herauszufinden – Kein Lösen einer vorgegebenen Aufgabe Material – Lehrperson stellt benötigtes Material vollständig zur Verfügung – Aufbereitung so, dass es Schüler/innen ohne Hilfe verstehen Bewertung – Jeder ernst gemeinte Beitrag muss honoriert werden – Nicht nur vollständig korrekte Lösungen zählen bei der Beurteilung – Ideen und Lösungsansätze zählen auch 10 Entdeckendes Lernen: „einfach“ vs. „offen“ Einfaches Entdeckendes Lernen • Verschiedene Lösungen eines (festen) Problems • „Auf jedem Weg gibt es Interessantes zu entdecken. Hauptsache ist aber, dass das Ziel erreicht wird!“ Offenes Entdeckendes Lernen • Der zu explorierende Aspekt wird vom Lernenden selber festgelegt • „Wichtig ist die Auseinandersetzung mit der Thematik. Die Schüler können selbst gewählte Aspekte entdecken.“ 11 „einfaches“ Entdeckendes Lernen: Von Chicago nach L.A. – irgendwie! 12 „einfaches“ Entdeckendes Lernen: Vom Kartentrick zur diskreten Mathematik Aufgabe: Wie funktioniert die Codierung (durch Assistent) und Decodierung (durch Zauberer) der gewählten Karte? Material: Programm CardGame (http://www.swisseduc.ch/informatik/entdecken/kartentrick/) -> Praxis! 13 „einfaches“ EL: Aussagenlogik zur Sicherheit einer Strassenkreuzung Aufgabe: Aussagenlogische Formel für sichere Kreuzungskonfigurationen aufstellen Material: LogicTraffic (http://people.inf.ethz.ch/rarnold/infotraffic/) -> Praxis! 14 „offenes“ Entdeckendes Lernen: Den „alten“ Süden der USA entdecken Sezessionskrieg? Rassenunruhen der 1960er? Coca Cola versus Baumwolle? Hafen von New Orleans? …? 15 „offenes“ Entdeckendes Lernen: Aspekte Behindertengerechter Websites Vorlesen von Webseiten Empfehlungen für die Gestaltung Spezielle Hard/Software für Behinderte? Wie „sehen“ Suchmaschinen Webseiten? Wirtschaftlichkeit Kosten/Nutzen W3C-Standards, Tools zur Prüfung (Seh-)behindert in der Informationsgesellschaft? Gesetzgebung Aktuelle Resultate aus der Forschung? 16 „offenes“ Entdeckendes Lernen: schwierige Probleme der Informatik Gebiet: NP-vollständige Probleme und mögliche Lösungsalgorithmen Aufgabe (je nach Interesse): Laufzeitaspekte, Extremfälle, Korrektheit, Anwendungen in der Realität oder Entwurf eigener Algorithmen Material: GraphBench (http://www.swisseduc.ch/informatik/entdecken/hard_problems/) -> Praxis! 17 Kein Entdeckendes Lernen: Folgen Sie Route 66 von Chicago nach L.A.! Chicago > Springfield (Il) > St.Louis (MO) > Tusla (OK) > Amarillo (TX) > Albuquerque (NM) > Flagstaff (AZ) > L.A. 18 Kein Entdeckendes Lernen: Fliesskommazahlen nach IEEE 754 Dazu gibt es einiges Wissenswertes, siehe zum Beispiel: David Goldberg (1991). What Every Computer Scientist Should Know About Floating-Point Arithmetic. Computing Surveys, Association for Computing Machinery. Ein Artikel von über 90 Seiten Länge! Solches klar definiertes Wissen lässt sich nicht „entdecken“! 19 Quellen Entdeckendes Lernen im Informatik-Unterricht. Ruedi Arnold, Werner Hartmann, Raimond Reichert. In the Proceedings of INFOS 2005, "Unterrichtskonzepte für informatische Bildung", 11. Fachtagung Informatik und Schule der Gesellschaft für Informatik (GI). Dresden, Deutschland, 28.-30. September 2005. www.swisseduc.ch/informatik/entdecken Über ein Dutzend InformatikUnterrichtseinheiten für Entdeckendes Lernen Unterrichtsmaterialien im Umfeld der Sekundarstufe 20 -> Selbst am Computer entdecken! • Jetzt: 35‘ im Computerraum • selbstständig Arbeiten • Arbeitsblätter zu 3 verschiedenen Gebieten – Aussagenlogik: InfoTraffic – Diskrete Mathematik: Kartentrick – Schwierige Probleme: GraphBench …entdecken Sie selbst! ☺ 21 Ruedi Arnold Status Hamburg, 29. Oktober 2005 Was könnten diese Aufgaben im Unterricht bringen? Müsste ich mich stark einarbeiten? Könnte ich das in meinem Unterricht einsetzten? Wo sehe ich die Vor- und Nachteile von Entdeckendem Lernen? Bei welchen Themen im Informatik-Unterricht könnte ich Entdeckendes Lernen einsezten? 2. Fachtagung GI-HILL 1. 2. 3. 4. 5. Meta-Analyse (auch zur Diskussion mit Nachbarn) 1. Machen Sie sich mit dem Programm vertraut und versuchen Sie, eine aussagenlogische Formel zu finden, welche die gegebenen drei Situationen sicher macht. Notieren Sie diese. 2. Wie kamen Sie auf die drei Formeln? Was war Ihre Strategie? Sehen Sie alternative Vorgehensweisen? (Stichworte notieren.) 3. Was für Begriffe im Zusammenhang mit Aussagenlogik lassen sich Ihrer Meinung nach an dem Programm schön zeigen? (Stichworte notieren.) Konkrete Aufgaben Grundidee: Finden Sie ein aussagenlogische Formel, welche die gegebene Verkehrsituation sicher macht! Editierbare Formel Formel zur Wahrheitstabelle Vorgegebene VerkehrsSituation Wahrheitstabelle Kurzanleitung: Das Programm LogicTraffic (http://people.inf.ethz.ch/rarnold/infotraffic/) will anhand einer alltäglichen Situation, nämlich einer Strassenkreuzung, die Grundbegriffe von Aussagenlogik vermitteln. In dieser graphischen Lernumgebung wird z.B. die aktuelle Ampelkonfiguration in der Wahrheitstabelle hervorgehoben und der Benutzer kann beispielsweise manuell für jede Belegung angeben, ob diese gültig ist. Es gibt zwei verschiede Formeln, die eine entspricht immer der aktuellen Wahrheitstabelle und die andere ist direkt editierbar. Der aktuelle Status der Wahrheitstabelle und Formeln wird immer angezeigt, dabei es gibt hier drei verschiedene Zustände: 1. nicht sicher 2. sicher, aber nicht optimal und 3. optimal. InfoTraffic Entdeckendes Lernen im Informatik-Unterricht Ruedi Arnold Hamburg, 29. Oktober 2005 Was könnten diese Aufgaben im Unterricht bringen? Müsste ich mich stark einarbeiten? Könnte ich das in meinem Unterricht einsetzten? Was sehe ich die Vor- und Nachteile von Entdeckendem Lernen? Bei welchen Themen im Informatik-Unterricht könnte ich Entdeckendes Lernen einsezten? 2. Fachtagung GI-HILL 1. 2. 3. 4. 5. Meta-Analyse (auch zur Diskussion mit Nachbarn) 1. Schauen Sie sich die „Information für die Lehrperson“ resp. „Information für die Schüler/innen“ zu „Schwierige Probleme in der Informatik“ an. Schauen Sie sich das Programm GraphBench an. 2. Bearbeiten Sie die Aufgabe „Deine Aufgabe“ in den Unterlagen. Konkrete Aufgaben Grundidee: Sie sind Organisator eines Stadtfestes und sollen dabei Graphenprobleme kennen lernen und anhand von GraphBench einem Nicht-Informatiker (z.B. der Stadtpräsidentin) die Lösungsidee erklären können! Kurzanleitung: Das Programm GraphBench (www.inf.ethz.ch/personal/braendle/graphbench/) ist ein Lernumgebung zu zentrale Themen der theoretischen Informatik. GraphBench versucht diese abstrakten Themen wie Graphen- und die Erfüllbarkeitstheorie mit einem praktischen Ansatz zu vermitteln und beinhaltet verschieden Standard-Probleme (z.B. traveling salesman) und verschiedene Lösungsalgorithmen mit unterschiedlichen graphischen Darstellungen. GraphBench Entdeckendes Lernen im Informatik-Unterricht Ruedi Arnold Hamburg, 29. Oktober 2005 Was könnten diese Aufgaben im Unterricht bringen? Müsste ich mich stark einarbeiten? Könnte ich das in meinem Unterricht einsetzten? Wo sehe ich die Vor- und Nachteile von Entdeckendem Lernen? Bei welchen Themen im Informatik-Unterricht könnte ich Entdeckendes Lernen einsezten? 2. Fachtagung GI-HILL 1. 2. 3. 4. 5. Meta-Analyse (auch zur Diskussion mit Nachbarn) 1. Schauen Sie sich das Material zu „Ein Kartentrick - Was steckt dahinter?“ an. Schauen Sie sich das Programm CardGame an. 2. Überlegen Sie sich, wie der Kartentrick funktionieren könnte. Notieren Sie Ihre Vermutungen. 3. Lernen Sie den Kartentrick anhand der Unterlagen und erklären Sie einem Nachbarn anhand des Programms CardGame, wie der Trick funktioniert. Konkrete Aufgaben Grundidee: Die Lehrerin zeigt einen Kartentrick vor und die Schüler halten Vermutungen fest, wie der Trick funktioniert. Anhand der Applikation CardGame erlernen Sie dann selber den Trick und „überprüfen“ Ihre Vermutungen! Kurzanleitung: Das Programm CardGame simuliert einen Kartentrick aus Sicht des Zauberers und aus Sicht eines Assistenten. Anleitung und Programm finden sich hier: http://www.swisseduc.ch/informatik/entdecken/kartentrick/. Kartentrick Entdeckendes Lernen im Informatik-Unterricht Erkenntnisse? • Selber gemachte Entdeckungen? • Fragen / Bemerkungen zu den 3 Beispielen? – Aussagenlogik: InfoTraffic – Diskrete Mathematik: Kartentrick – Schwierige Probleme: GraphBench • • • • Vor- / Nachteile? Rolle Schüler und Lehrer? Entdeckendes Lernen in meinem Unterricht? Geeignete Themen? 22 Noch ein wenig Hintergrund: Unterschiedliche kognitive Präferenzen ? -> Inge Schwank, Osnabrück: http://www.fmd.uni-osnabrueck.de/ebooks/kognitive-mathematik.htm 23 Und noch mehr... 24 Wir denken verschieden und haben verschiedene Wahrnehmungen 25 Verschiedene Begriffsbildungen Beispiel „Kreis“ Motorische Vorstellung einer rotierenden Strecke Visuelle Vorstellung einer runden Linie Statische Beschreibung als Menge aller Punkte mit gleichem Abstand .. Ausgefüllte tellerförmige Fläche Der Kreis schliesst sich! Auffassung als Wort 26 Kognitive Präferenzen: Prädikativ und funktional Fassen von Strukturen und Begriffen in Form von Prädikaten / Relationen zwischen verschiedenen Gegenständen Fassen von Strukturen und Begriffen in Form von Funktionen / Operationen, mit verschiedenen Gegenständen Denken in Beziehungen Denken in Wirkungsweisen Ausbau einer statisch greifenden internen begrifflichen Repräsentation Ausbau einer dynamisch greifenden internen begrifflichen Repräsentation 27 Verschiedene Lösungswege Prädikative Lösung Die einzelnen Figuren werden auf ihre charakterisierenden Eigenschaften hin untersucht und figurweise in Beziehung zueinander gesetzt: • Diese Erkenntnis ist sehr brauchbar, spaltenweise betrachtet gilt eine analoge Argumentation für die linke und rechte Seitenwand. • Zeilenweise betrachtet fällt auf, daß Boden und Deckel der Figuren in ihrer Form konstant bleiben. Funktionale Lösung Im Falle einer funktionalen Lösung wird auf Prozeßabläufe hin analysiert. Die Umrandungslinien werden als Gummibänder aufgefaßt, an denen herum gezogen werden kann. In jeder Zeile wird das Gummiband an den Seiten zunächst nach innen gezogen, dann nach außen. 28 Unterschiedliche kognitive Präferenzen Jede Dozentin hat ihre Präferenzen... • Erklärungen in der eigenen vertrauten Denkweise • Gerade bei Verständnisschwierigkeiten lohnt sich ein Wechsel des Standpunktes. • Gleichzeitige Betrachtung aus verschiedenen Gesichtswinkeln eröffnet oft neue Horizonte (z.B. imperative vs objektorientierte Programmierung) • Frauen und Männer haben verschiedene Präferenzen 29 Verschiedene Leute setzen Puzzles verschieden zusammen! 30 Warum Entdeckendes Lernen? Schüler aktivieren: Förderung des selbstständigen, aktiven, kritischen, kreativen Lernens und des Lernens in Gruppen. Schüler „stolpern“ über ihre eigenen naiven Vorstellungen und Vorurteile. Die Entdeckungen „gehören“ ihnen. Heureka! Der Stolz des Entdeckers fördert Motivation. Erweiterung des Spektrums von Unterrichtsmethoden: Abwechslung! 31 Warum Entdeckendes Lernen im Informatik-Unterricht? Informatik ist abstrakt und vielschichtig. (Ver-)führt oft zu Unterricht der Art: 1. Vermitteln der „Theorie“ 2. Praktische Übungen ABER: selbstständig neue Inhalte erschliessen gehört zur täglichen Arbeit von Informatiker/innen! "You can't teach people everything they need to know. The best you can do is position them where they can find what they need to know when they need to know it." (Seymour Papert) 32 Entdeckendes Lernen in a nutshell Offene Problemstellung C A B D Material vollständig vorgeben Genügend Zeit geben Freiraum lassen Alle (ernsthaften) Beiträge honorieren 33 Entdeckendes Lernen im Informatik Unterricht Ruedi Arnold, ETH Zürich [email protected] http://people.inf.ethz.ch/rarnold/ Über ein Dutzend Informatik-Unterrichtseinheiten für Entdeckendes Lernen liegen frei verfügbar auf www.swisseduc.ch/informatik/entdecken Unterrichtsmaterialien im Umfeld der Sekundarstufe 34 Der Nachteil von Entdeckendem Lernen: Man steht nicht mehr im Mittelpunkt… ☺ 35