Titelthema - Evangelischen Erziehungsverbandes in Bayern

Transcription

Titelthema - Evangelischen Erziehungsverbandes in Bayern
7
Jahrg.
Nr.. 1 - Okt. 200
2007
25. Jahr
g. - Nr
Evangelischer Erziehungsverband in Bayern e.V.
Aufwachsen
begleiten
eev-aktuell
Titelthema:
Faszination und V
erführung
Verführung
Herausforderung neuer Medien
ISSN 1439-3360
Halt
geben
Impressum
Den eev-aktuell erhalten:
z
z
z
z
z
Alle dem Evang. Erziehungsverband in Bayern e.V. angeschlossenen Rechtsträger
Das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit
Alle bayerischen Jugendämter und Heimaufsichten
Die Mitglieder der Arbeitskreise des Evang. Erziehungsverbandes in Bayern e.V.
Interessierte Einzelpersonen
Der eev-aktuell wird herausgegeben vom Evangelischen Erziehungsverband in Bayern e.V., Fachverband
im Diakonischen Werk Bayern, 90408 Nürnberg, Pirckheimerstr. 6;
Geschäftsführer: Diakon Bernhard Zapf
Der eev-aktuell erscheint zweimal im Jahr. Jede Einrichtung des Verbandes, alle bayerischen Heimaufsichten und Jugendämter erhalten pro Ausgabe ein Exemplar kostenlos.
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Barbara Jekeli, Leiterin des Annakolleg in Augsburg
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Bernhard Zapf, Fachreferent für Jugendhilfe im Diakonischen Werk Bayern
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ISSN 1439-3360
2
Inhalt
Editorial
4
Titelthema:
Auf Tastendruck durchs Universum
5
Umgang mit Medien
11
Medienpädagogik als
erzieherischer Jugendschutz
14
„Neue Medien – neue Gefahren
für unsere Kinder ?“
18
Medien Bilden
24
„Kinder und Medien“
27
Virtuelle und reale Lebenswelten
verbinden
29
Geocaching
33
Faszinierende Medienwelt
35
Aus dem Verband
37
ab Seite
3
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
wenn unsere pädagogischen Bemühungen
wieder einmal ins Leere laufen, haben wir schnell
eine Erklärung: „Schuld sind nur die Medien“.
Allerdings vergessen wir dabei, dass die Kinder
und Jugendlichen die partout kein Wohlverhalten zeigen wollen, alle Eltern oder in irgendeiner
Weise Erziehungsberechtigte haben, die die angeblich schädigende Mediennutzung doch wohl
zugelassen haben. Wie in allen anderen Bereichen der Erziehung, ist auch beim Umgang mit
Medien das Vorbild und die kritische Begleitung
der Kindern und Jugendlichen durch Eltern und
Erzieher dringend notwendig. Wie sollen Kinder
einen bewussten Umgang mit den Medien lernen, wenn Erwachsene es nicht vormachen.
Wenn z. B. Radio- und Fernsehapparate den ganzen Tag vor sich hinlaufen, wird ein Kind nicht
lernen Sendungen, die von Interesse sind, bewusst auszusuchen. Noch schwieriger wird es
beim Umgang mit den sogenannten „neuen Medien“ wie z. B. dem Internet. Hier sind häufig die
Kinder und Jugendlichen den Erwachsenen in der
Handhabung der Technik überlegen. Es kehrt sich
die Vermittlung von Lerninhalten um, plötzlich
sind wir die Lernenden und können uns von unseren Kindern etwas zeigen lassen. Diese Chance
sollten wir durchaus wahrnehmen, es wäre fatal
zu resignieren und die Kinder und Jugendlichen
allein zu lassen. Selbst wenn wir Technik nicht
perfekt beherrschen, bei der Bewertung und
Auswahl der Inhalte können wir die Kinder begleiten. Und das ist dringend notwendig.
Eine Schlüsselqualifikation der Zukunft wird Medienkompetenz sein. Diese Erkenntnis zieht sich
wie ein roter Faden durch die Beiträge in diesem
eev-aktuell. Neben der Aneignung der Techniken
bedeutet Medienkompetenz unter anderem entscheiden zu können:
– Welche Informationen und Inhalte sind
für mich wichtig?
– Wie und wo finde ich die gewünschten
Informationen und Inhalte?
– Wie bewerte ich die Informationen und
Inhalte?
– Ist die Informationsquelle glaubwürdig?
Medienkompetenz erwerben Kinder und Jugendliche nur im Umgang mit den Medien. Deshalb
sind bloße Verbote der falsche Weg. Die Beiträge
im Heft zeigen Wege auf wie Kinder und Jugendliche Medienkompetenz erwerben können.
So lernen Kinder und Jugendliche die z. B. selbst
einen Videofilm drehen oder eine Internetseite
erstellen, welche Möglichkeiten der Manipulati-
4
on technisch möglich sind. Sie werden lernen,
dass man auch bei fotografierten oder gefilmten
Bildern seinen Augen nicht unbedingt trauen
kann und sie werden lernen kritisch hinzuschauen, um die Absicht hinter der angebotenen Information zu erkennen.
Praxisbeispiele wie die netzcheckers.de oder das
Geocaching zeigen, dass es möglich ist Medienkompetenz und spannende Unterhaltung zu verbinden. Es kann einen Riesenspaß machen sich
Kenntnisse im Umgang mit neuen Medien anzueignen und dabei gibt es eigentlich keine Altersgrenze. Beiträge der Aktion Jugendschutz und
der Polizei zeigen auf wo die Gefahren im Umgang mit den neuen Medien, machen aber auch
deutlich, dass sie nicht überbewertet werden
sollten.
Wenn es gelingt den Kindern und Jugendlichen
zu ermöglichen, sich die notwendige Medienkompetenz zu erarbeiten, dann werden sie
möglicherweise von den neuen Medien fasziniert
sein, aber sich nicht verführen lassen.
Wir hoffen, dass es uns mit diesem eev-aktuell
gelungen ist Hinweise zu geben, was bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und dem Umgang mit den Medien wichtig ist.
Günter Schmidt
Titelthema
Auf Tastendruck durchs Universum
Hinweise auf einen gesunden Medien-Umgang von Mädchen und Jungen
Immer mehr Kinder erfahren ihre Welt über
Fernsehen, über die Beschäftigung mit Videospielen oder über den PC.
Welche Auswirkungen hat das auf die Arbeit
mit Kindern?
Vorbemerkung
Das mir gestellte Thema ist Jahre nach den ersten
intensiven Diskussionen um Spielkonsolen- und
Computernutzung immer noch ein sehr
(ge)wichtiges und ich hoffe, dass die folgenden
Überlegungen genug Anregung bieten, sich
weiterführend mit der Problematik zu beschäftigen. Eine Wahrheit allerdings - das schon vorneweg -wird es nicht geben.
Mein Beitrag wird erstens eine kurze Einführung
in die mediale (Er)Lebenswelt von Mädchen und
Jungen sein und die Verbreitung bestimmter
Medien benennen. Dann will ich zweitens einiges
über deren »Wesen« benennen sowie Hinweise
geben, wie damit umgegangen werden kann.
Schließlich spreche ich drittens an, welche
Bedeutung das Thema im Kontext von Arbeit mit
Mädchen und Jungen haben kann.
Erstens
Die Mediensituation von Mädchen und Jungen im
Jahr 2007
Die Welt - und hier meine ich die in der Regel
finanzkräftige, mediennutzende Welt - entwickelt
sich zu einer »Informations- und Mediengesellschaft«. Noch nie zuvor gab es - neben dem
schon fast »klassischen« und nicht mehr weg zudenkenden Fernsehen - so viele Medien,
insbesondere auch so genannte „kommunikative“
Medien wie Mobiltelefone und auf Verbindung
unter- und miteinander angelegte Spielkonsolen
oder computergebundene Möglichkeiten.
Auch existierte noch nie zuvor eine derartige
unergründliche Menge an Wissen abrufbar in
weltweit vernetzten Datenbanken. Das sagt
natürlich nichts über Qualität oder Zugang zu
Informationen aus, auch nicht über die Nutzbarkeit oder Notwendigkeit von Informationen. Es
sagt lediglich aus, dass es sie gibt.
und Wissensprogramme für Uli Geißler
den Computer und andere
mehr. In hohem Maße werden Diakon, Spiel- und KulturMädchen und Jungen schon pädagoge,
im Kleinkindalter angespro- Referent für Arbeit mit Kinchen. Sie sollen frühzeitig an
dern/Kinder- und JugendkulturMediennutzung gewöhnt
arbeit im Amt für Jugendarbeit
werden, um so später
Nürnberg
reibungsarm als zahlungskräftige Konsumenten die
elektronischen Kommunikationsmedien zu nutzen
(und zu bezahlen!). Wer Kinder hat oder kennt,
weiß, dass dieses Prinzip der Manipulation schon
lange nicht mehr aufzuhalten ist und
insbesondere Kinder massiv als »Hidden
Persuaders«1 agieren, also schlicht ihre fremdbestimmten Bedürfnisse mit gehörigem Nachdruck einfordern und Erziehungsberechtigte
durchaus in finanzielle und vor allem pädagogische Nöte bringen.
Mediennutzung von Mädchen und Jungen
„…Nach den Ergebnissen der aktuellen KIMStudie 2006 zählen 81 Prozent der Kinder
zwischen sechs und 13 Jahren zu den Computernutzern – wobei der Anteil bei Jungen (85 %)
neun Prozentpunkte höher liegt als bei Mädchen
(76 %). Bereits bei den Sechs- bis Siebenjährigen
zählen 57 Prozent zu den Nutzern, bei den 12bis 13-Jährigen sind es dann mit 96 Prozent fast
alle. Allerdings ist die Zuwendung zum Computer
nur bei einem Teil der Kinder fester Bestandteil
des Alltags. Knapp ein Drittel der Nutzer beschäftigt sich fast täglich mit dem Computer. Der
größere Anteil (54 %) sitzt nur ein- oder
mehrmals pro Woche am Rechner, 16 Prozent
noch seltener. Die häufigsten Nutzungsmotive
sind Computerspiele, das Arbeiten für die Schule
und Lernprogramme. …“2
Der nächste
eev-aktuell
erscheint im
Dezember 200
7
2007
Daneben gibt es für jede Gruppe passend aufbereitet Medien unterschiedlichster Art wie
beispielsweise – langsam verschwindend –
Musikkassetten. CD, elektronische Bücher, Spiel-
5
Titelthema
Darüber hinaus besitzen 6-13jährige Mädchen
und Jungen:
CD-Player
57
Kassettenrecorder
53
48
Radio
44
Fernsehgerät
43
Walkman/Discman
43
tragbare Spielkonsole
36
Handy
Mp3-Player
29
Nicht-tragb. Spielkonsole
22
Computer
17
Kindercomputer
15
DVD-Player
14
Videorecorder
13
Playstation Portable
12
8
Internet-Anschluss
0
20
40
60
Grafik: mpfs / JIM-Studie 2006, Angaben in
Prozent
Dennoch zeigt sich: „ … Lässt man die Kinder aus
den vorgegebenen Freizeitaktivitäten ihre drei
liebsten Tätigkeiten
auswählen, entscheidet sich knapp die Hälfte für
das Treffen mit Freunden, dann folgt das Spielen
im Freien, erst an dritter Stelle kommt das
Fernsehen, das 31 Prozent der Kinder angeben.
Für ein Viertel ist Sport und für ein Fünftel die
Beschäftigung mit dem Computer eine der
beliebtesten Aktivitäten, sieben Prozent zählen
das Spiel mit dem Gameboy zu ihren liebsten
Beschäftigungen. …“3
Konsolen- und Computerspiele
Es ist erfahrungsgemäß festzustellen, dass Kinder,
die angeben, sich mit dem Computer zu beschäftigen, oftmals nicht unterscheiden, ob sie Surfen,
Recherchieren, Informationen sammeln oder
Spielen.
„…42 Prozent beschäftigen sich regelmäßig mit
Konsolenspielen
oder mit dem Gameboy (43 %). …“4 Allerdings
sagt das noch nichts über die Besitzlage aus. Da
die Konsolen inzwischen hochpreisige High-TechGeräte sind, liegt diese Zahl etwa bei 22 Prozent.
Die Verbreitung von hochwertigen Spielkonsolen
ist jedoch ungebrochen zunehmend und es gibt
lediglich unterschiedliche Spitzen bei den
jeweiligen Neuerscheinungen der konkurrierenden Systeme. Für die Konsolennutzung ist das
eher unerheblich: alle Altersklassen spielen
vermehrt mit bildschirmgebundenen elektronischen Spielgeräten. Geräte werden dabei oftmals
an die jüngeren Geschwister oder auch Kinder
6
weiter gegeben, wenn die älter gewordenen
Kinder oder Eltern Neuanschaffungen und
Aufwertungen ihrer Spielkonsolen vornehmen.
Somit steigen zwangsläufig die Verbreitung und
die Spielnutzung.
Aktuelle Geräte können verfügen über
Vernetzungs- und Verbindungsmöglichkeiten an
das Internet und es gibt eine Vielzahl an Nutzerinnen und Nutzern, welche sich inzwischen in
kostenlosen oder auch gebührenpflichtigen
Communities treffen und zeitgleich vor den
Bildschirmen rund um die Welt miteinander oder
gegeneinander spielen. Entsprechende Fehlleitungen und Abhängigkeiten sind hier vorprogrammiert, allerdings gehe ich hier auf dieses
Krankheitsbild mit seinen entsprechenden Folgen
für die Einzelnen nicht weiter ein.
Sonstige Audio-visuelle Medien
Wie schon angedeutet, kennen Kinder viele
andere Medien: Hörspielkassetten stapeln sich in
noch immer den Kinderzimmern, CD-und DVDRegale gehören zum Grundmobiliar eines Kinderzimmers und wer dort nicht mindestens acht
Steckdosen eingeplant hat, wird schon vor
Schuleintritt von seinen Kindern verständnislos
angesehen. Nahezu jedes zweite deutsche Kind
besitzt ein eigenes Fernsehgerät, die Bestückung
der Haushalte in Deutschland liegt bei 100%. Das
mag erklären, weshalb dieses Medium nach wie
vor das wichtigste für Kinder ist.
Aus Veröffentlichungen des Entwicklungspsychologen Rolf Oerter5 weiß ich, dass z. B. das
Fernsehen Kindern einerseits Geschichten aus
virtuellen Welten bietet, andererseits erkenntnisreiche Sachinformationen vermittelt und - fast
verwunderlich - auch die Sprachentwicklung
fördert. Er sagt auch, dass im Normalfall Kinder
genau zwischen Fernsehwelt und realer Welt
trennen können und auch nicht die Gegebenheiten verwechseln. Problematisch sei allerdings,
wenn das Fernsehinhalte verarbeitende Rollenspiel zeitlich viel zu ausgedehnt wird. Es bestünde
dann die Gefahr, dass dieses Spielen zur einzigen
subjektivierenden Aneignung von Inhalten und
Werten wird. Durch das zu viele Fernsehen sind
also verstärkt Verarbeitungsprozesse von aufregenden Fernseherlebnissen durch z. B. Nachspielen notwendig.
Damit stellt der Entwicklungspsychologe Oerter
fest, dass Kinder zu viele Erfahrungen im Spiel
machen und zu wenige im realen Leben. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang, dass
durch das Fernsehen Modelle für konkrete
Formen der Aggression vermittelt werden und
tatsächlich aggressives Handeln stimuliert wird.6
Titelthema
Bei Bildschirmspielen konnte diese Wirkung
bisher nicht gesichert festgestellt werden.
Selbstverständlich lesen Kinder auch heutzutage
noch. Oder sie vertreiben sich ihre Zeit mit
vielfältigen weiteren Möglichkeiten, die vermutlich auch der heutigen Elterngeneration geboten
wurden. Dennoch ist die Kindheitsphase im
Vergleich zu früher deutlich eine andere. Das
Vorhandensein und die Nutzungszeiten elektronischer, bildschirmorientierter Medien sind um ein
vielfaches Maß angestiegen.
Daher ist es zwingend notwendig, den Medienkonsum zeitlich und inhaltlich zu dosieren, damit
andere Aktivitäten - insbesondere soziale Spiele nicht zu kurz kommen. Das Interesse der Kinder
ist – wie die Grafik zeigt – ungebrochen groß:
Grafik: mpfs / JIM-Studie 2006, Angaben in
Prozent
Die traditionellen Spielformen können durch die
neuen Medien nicht ohne Wirkungen wie
beispielsweise Einbußen im mentalen und
psychosozialen Gleichgewicht ersetzt werden. 7
Zweitens
Wesen und Umgang mit Bildschirmspielen
Zu bemerken ist in jedem Fall, dass Spielen - in
welcher Form auch immer -absolut notwendig
und unterstützenswert ist. Im Spiel können
wesentliche Erfahrungen für die Bewältigung des
Lebens gemacht werden. Mädchen und Jungen
können sich orientieren, ihre Persönlichkeit wird
gestärkt. Ohne »ernsthafte« Konsequenzen
können sie unterschiedlichste Lösungswege
erproben und entdecken.
Schulbezogenes Lernen und permanente
Leistungsforderung dürfen nicht zu den allmächtigen und ausschließlichen Werten in unserer
Gesellschaft erhoben werden. Für ein gelingendes
Leben ist es doch vielmehr notwendig, einen
eigenen Standpunkt zu finden, sich für andere
einzusetzen, Ideen für die Zukunft zu entwickeln,
kreativ und phantasievoll zu sein, mutig neue
Wege zu beschreiten oder eigenes Handeln
kritisch zu reflektieren. Spiel und Spiele fordern
häufig genau das von den Spielenden.
Gründe für die Beliebtheit der Bildschirmspiele8:
Bildschirmspiele bieten sich als schnelles,
jederzeit verfügbares und ansprechendes Freizeitvergnügen für jede Situation an, die »nichts
Besseres« bietet!
Spielpartner/innen sind nicht unbedingt erforderlich. Bei Systemen, die zu mehreren gespielt
werden können, steigt durch diese Möglichkeit
aber die Attraktivität des Spieles.
Der Aufforderungscharakter ist hoch und spricht
wesentliche Bedürfnisse und Wünsche der
Spieler/innen an. Damit meine ich zum Beispiel
die Abenteuer-und
Entdeckungslust oder die
Möglichkeit der Auseinandersetzung, verbunden
mit einer Siegchance.
Wer bestimmte Spiele
besitzt oder kennt,
verbessert damit auch
seine Position in der
»Peer-Group« (Gleichaltrige, ihresgleichen), also der
Gruppe, an der sich
Mädchen und Jungen am
meisten orientieren. Der
Besitz bestimmter Spiele
vermittelt zudem ein »Up to date«-Gefühl, vor
allem bei aktuell beworbenen Produkten. Auch
werden in den Spielen bekannte Gefühle angesprochen oder es darf Verbotenes getan werden.
Persönliche Leistung wird augenblicklich anerkannt, Spielende verspüren das Gefühl von Macht
und Kontrolle.
Reaktionsvermögen, Konzentration, Ausdauer und
das Zusammenspiel von Wahrnehmen, Denken
und Handeln (Sensomotorik) werden trainiert.
Umgang mit elektronischen Medien bereitet
aufgrund neuer Entdeckungsund Erfahrungsmöglichkeiten Spaß. Neue und ständig wechselnde Spielverläufe, -ebenen und unterschiedliche
Schwierigkeitsgrade, Bilder und Musik bieten
Spannung, Abwechslung und Unterhaltung. Die
passend komponierten Musikstücke unterstützen
das »Abtauchen« in eine andere Welt.
Die über das TV-Gerät abspielbaren Spiele bieten
ausgezeichnete Bild- und Tonqualität. Aufgrund
des größeren Bildschirmes sind sie augenschonender und bei gleicher Spieldauer gegenü-
7
Titelthema
ber den »Handheld«-Geräten bedeutend weniger
anstrengend.
»Handheld«-Video-Spielgeräte (Garne Boy)
können andererseits leicht überall mitgenommen
werden, die Spiele sind preislich taschengeldfreundlicher und leichter zu tauschen, als die der
teuren stationären Geräte.
Wirkungen, die den elektronischen Spielen
zugeschrieben werden
(Senso)Motorisch Positiv (+), Negativ (-):
+ Die motorische Geschicklichkeit wird gefördert.
+ Sensomotorische Fähigkeiten können weiterentwickelt werden (Wahrnehmen-DenkenHandeln).
+ Das Reiz-Reaktionsvermögen wird qualifiziert
und geübt.
- Die einseitige Beanspruchung der Sinne
hemmt die umfassende Entwicklung.
- Der natürliche Bewegungsdrang wird eingeschränkt, die körperliche Vitalität wird geschwächt.
- Häufiges Spielen und die eingeschränkt
motorische körperliche Beanspruchung kann
schlimmstenfalls zu Haltungsschäden, Sehnenüberlastung oder anderen gesundheitlichen
Schäden führen.
- Technisierte Wahrnehmungsformen bestimmen
die Sinnesentwicklung, d.h. natürliche Sinnesreize (Vogelgezwitscher, Lichtstimmungen in
der Natur, Blütenduft, lauer Wind usw.) werden
zu selten erlebt.
Kognitiv Positiv (+), Negativ (-):
+ Logisches und planerisches Denken wird
unterstützt und gefördert.
+ Die Phantasie und realitätsüberschreitende
Vision wird angeregt.
+ Schwierige Zusammenhänge werden leichter
nachvollziehbar dargestellt.
- Gestaltende Kreativität spielt häufig keine
Rolle.
- Meinungsvielfalt und die Entwicklung eigener
Haltungen ist zum Erreichen des Spielzieles
nicht gefragt.
- Kritische Reflexion kann nur sehr eingeschränkt stattfinden.
- Das Denken wir instrumentalisiert und
»computergerecht« (Ja/Nein, Strom an/Strom
aus).
- Die Vorstellungsgabe (Phantasie) wird nur
eingeschränkt angeregt und lässt kaum
Freiräume.
8
Emotional Positiv (+), Negativ (-):
+ Ventil für angestaute Aggression (Katharsis-9
bzw. Inhibitionsthese10).
+ Der Umgang mit Gefühlen in vielfältigen
Situationen kann kennen gelernt werden.
- Die Identifikation mit den oft einfallslos
handelnden Spielfiguren lässt die Spieler/innen
gedankenlos und gleichgültig werden
(Gefühlsabflachung).
- Negative Spielbotschaften oder negative
Weltsichten werden möglicherweise verinnerlicht. Beispiele sind die Diskriminierung von
Menschen, Gewaltverharmlosung oder rechtfertigung, frauenverachtende Positionen,
Fremdenfeindlichkeit usw.
- Scheinwelten vermitteln viele positive Erlebnisse und kompensieren somit den Alltag. Das
fördert die gedankliche Flucht und kann auch
in die Spielsucht führen.
- Die Emotionalität und Meinungsvielfalt
können verkümmern, da differenzierte Reaktionen und Lösungswege fehlen.
- Der sich im Spiel aufbauende Leistungsdruck
kann zu starker Anspannung, Stress oder auch
Wut bzw. negativen Aggressionen führen.
Dabei muss nicht unbedingt das Spiel oder
Spielthema aggressiv sein, es reicht, eine
Spielaufgabe nicht erfüllen zu können.
- Spieler/innen gewöhnen sich möglicherweise
an Gewalt als Lösung bei Konflikten oder als
Handlungsziel (Habitualisierungsthese11).
Sozial Positiv (+), Negativ (-):
+ Durch den Mehr-Spieler/innen-Modus wird der
Gemeinsinn gefördert.
+ Die Interaktion über das Medium hinaus kann
angeregt werden.
- Wichtige soziale Kontakte zu anderen werden
vernachlässigt, die zur Identitätsfindung
erforderlichen Beziehungen reduzieren sich auf
Spieletausch und -themen.
- Die Fähigkeit, sich solidarisch zu verhalten
oder mit anderen Menschen in Kontakt zu
treten, also zu kommunizieren wird verhindert.
- Der Verlust realer Kontakte kann zu Vereinsamung und Isolation führen.
- Der sich abnutzende Spielreiz führt unweigerlich zu andauernder Konsumlust. Die daraus
resultierenden Konflikte mit möglichen
»Geldgebebenden« (Eltern, Großeltern, Erziehungsberechtigten) sind vorprogrammiert.
Empfehlungen zum Umgang mit Medien in der
Praxis einer Arbeit mit Mädchen und Jungen12
Mit Kindern gemeinsam das Medium erforschen
und kennen lernen (Technikvertrautheit).
Das Medium gemeinsam mit Mädchen und
Jungen »anwenden« bzw. nutzen.
Titelthema
Spielprogramme und Spiele gemeinsam auswählen. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung
um Inhalte und Wesen eines Spieles. Gemeinsam
sollte eine von allen Beteiligten akzeptierte
Einigung erzielt werden.
Eventuell müssen miteinander Regeln vereinbart
werden, wer wann und wie lange an den PC,
Fernseher oder die Spielkonsole darf. Die frühere
Empfehlung, nicht länger als etwa 20 Minuten
(bei 6-9jährigen) bis 45 Minuten (bei den 912jährigen) oder sogar 60 Minuten (bei den 1315jährigen) vor einem Bildschirm zu verbringen,
lässt sich heutzutage angesichts der weiten
Verbreitung und auch bei der ausgedehnten
Nutzung der Medien bei Erwachsenen nicht mehr
aufrechterhalten. Somit sind das lediglich
Richtwerte, die jede/r für sich selbst erweitern
oder einschränken kann. Manche Spiele erfordern
schlicht längere Spielzeiten, um überhaupt dem
Spielziel näher zu kommen oder eine erforderliche Stelle zur Spielspeicherung zu erreichen.
Vielfältige nicht technisch-elektronische Angebote der Freizeitgestaltung anbieten (Spielen,
Musizieren, Naturerlebnisse, kreatives Gestalten,
Lesen, Gespräche und mehr).
Für die Teilnahme an medienpädagogischen
Angeboten werben.
Aktuelle Entwicklungen des Medienmarktes
wahrnehmen und einordnen, Beratung suchen.
Einer der wichtigsten Punkte im Hinblick auf die
qualifizierte Nutzung von Medien durch Kinder
ist, dass Mädchen und Jungen ihre Medienerlebnisse verarbeiten können. Sie müssen über die
Erlebnisse »aus zweiter Hand« reden oder das
Erlebte nachspielen können. Das unterstützt die
rationale und emotionale Bewältigung ihrer
Medienerlebnisse13.
Drittens
Was gehen die neuen Medien Mitarbeitende im
Arbeitsfeld Arbeit mit Kindern an?
Weshalb wir uns mit den »Elektronischen,
bildschirmgebundene Medien« und ihren vielfältigen Erscheinungsformen befassen müssen, hat
nichts mit verkrampfter Aktualitätshörigkeit zu
tun. Vielmehr ist es schlicht pädagogisch erforderlich, Mädchen und Jungen in ihrer Lebenswirklichkeit, ihren Entwicklungs- und Erlebniswelten wahrzunehmen, sie zu verstehen und in
die Gemeinde, Gesellschaft, den Lebensalltag
einzubeziehen. Medien gehören heutzutage zum
ganz normalen Alltag der Kinder dazu - so wie
das Telefon, die Spülmaschine oder der
Fahrscheinautomat. Wer so tut, als wäre es
anders, missachtet die gesellschaftlichen Entwicklungen unserer Zeit. Die Mediennutzung (Compu-
ter, Fernsehen, SpielekonsolenAudio-Abspielgeräte usw.) zu verteufeln, ist also sicher der
schlechtere Lösungsweg pädagogischer Einflussnahme. Die genannten Medien sind allesamt
keine »selbstaktiven« Instrumente, sondern das,
was sie vermitteln, kann durchaus von der sie
nutzenden Person gesteuert werden. Es geht
vielmehr darum, Mädchen und Jungen in der
Nutzung der angesprochenen Medien zu beraten
und zu begleiten, kurz gesagt also um »Medienkompetenz«.
Medienkompetenz
Ein starkes Wort, das vieles sagt - und vieles
nicht. Zu »inflationär« wird der Begriff angewandt und genutzt und zu unterschiedlich sind
die dahinter verborgenen Zielrichtungen. Ein
Hersteller virtueller, multimedialer »Abenteuerspiele« wird schließlich eine ganz andere Medienkompetenz ersehnen, als meinetwegen ein
ökologisch motivierter Anthroposoph. Medienkompetenz umfasst nach dem Medienwissenschaftler Prof. Dr. Werner Baake14 die
»Medienkritik« (analytisch, reflexiv, ethisch),
»Medienkunde« (informativ, instrumentelltechnischer Umgang), »Mediennutzung« (rezeptiv,
interaktiv) und »Mediengestaltung« (innovativ,
kreativ).
Für mich haben sich für die Entwicklung von
»Medienkompetenz« u.a. nachfolgende Ziele
ergeben1815
Mädchen und Jungen sollen:
— sich geschlechtsspezifisch an der medialen
Gesellschaft beteiligen,
— altersadäquat Zugang zu den unterschiedlichsten Medien erhalten und Erfahrungen damit
machen können,
— nicht sozial oder wirtschaftlich bedingt von der
Nutzung der Kommunikationsmedien ausgeschlossen werden,
— neue Techniken und deren Zweckmäßigkeit
kennen lernen bzw. ihr Wissen darüber ausweiten,
— ein kritisches Urteil zu den neuen Medien
treffen können,
— Ideen zur sinnvollen Nutzung der Medien für
ihre Lebensgestaltung entwik-keln, also
beispielsweise internationale Kontakte mittels emails pflegen, ihre Interessen in Form einer
Kinderzeitung publizieren, sich auf ihre Weise
entspannen oder Wissen aneignen u.a.,
— die Möglichkeiten eines selbst bestimmten,
aktiven und kreativen Einsatzes von Medien
entdecken, z. B. um ohne Notenkenntnis ein
eigenes Musikstück zu komponieren, ein Hörspiel
aufzunehmen, eine Geschichte zu schreiben,
— eine eigene, altersadäquate und geschlechts-
9
Titelthema
spezifische Kultur im Umgang mit Medien
ausleben,
— nicht zuletzt: nicht technisierte Erfahrungen
machen können, wie menschliche Kontakte,
Gespräche und Auseinandersetzungen, unterschiedlichste Sinneswahrnehmungen in der Natur,
kreative Gestaltung oder Bewegung.
Die Entwicklung einer eigenen Medienkultur
scheint mir dabei einen besonderen Stellenwert
einzunehmen. Schließlich können wir nicht so
tun, als gäbe es all die flimmernden Informations- und Beschäftigungsangebote nicht. Wir
müssen reagieren, aber dringend auch agieren.
Reines Reaktionsverhalten wird unserem Wertevermittlungsauftrag sicher nicht gerecht.
Wertevermittlung
Es scheint erforderlich, in der Arbeit mit Kindern
Medien aller Art »einzusetzen«, zuzulassen,
gemeinsam zu entdecken, was »in ihnen steckt«.
Kinder brauchen uns - Erwachsene, Jugendliche
und auch Kinder - als Identifikationsmodelle,
Vorbilder, Wertevermittler/innen. Das gemeinsame Erleben und Gespräch, das direkte Verarbeiten
von Erfahrungen und Erlebnissen ist insbesondere
bei der Medienrezeption maßgeblich. Ein gemeinsam kennen gelerntes (Computer- oder Video)Spiel oder auch ein Film können in der sicheren
Runde ausgesprochen positiv meinungsbildend
und -stärkend wirken.
Diese Chance von Wertevermittlung in die reale
Erlebniswelt der uns so wichtigen Mädchen und
Jungen sollte man nicht ungenutzt lassen.
Uli Geißler
Diakon, Spiel- und Kulturpädagoge
Referent für Arbeit mit Kindern/Kinder- und Jugendkulturarbeit
Amt für Jugendarbeit der Evang.-Luth. Kirche in Bayern
Gudrunstraße 33
90459 Nürnberg
Telefon: 0911-4304-270, PC-Fax: 0911-450996-70
[email protected], www.ejb.de
1 »Versteckte Überzeuger/innen«, d. h., alle zur Verfügung
stehenden Argumente werden gesammelt und unnachgiebig
immer wieder vorgetragen, um das Gewünschte schliesslich zu
bekommen.
2 Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest,
Herausgeber der JIM-Studie 2006: Pressemitteilung, 6.
Februar 2007
3 KIM-Studie 2006, S. 13
4 Dto.
5 7) Rolf Oerter, Spiel und Medien aus entwicklungspsychologischer Sicht - 12 Thesen, 1995
6 Dto.
7 Rolf Oerter, Spiel und Medien aus entwicklungspsychologischer Sicht - 12 Thesen, 1995
8 Uli Geißler, »Voll auf Konsole« in SPIELMITTEL 3/1995 sowie
»Computer- und Videospiele« in: SPIELEN UND LERNEN,
Sonderheft »Spielen von A bis Z«, 1994
10
9 Katharsisthese: Am Bildschirm beobachtete und ausgeführte
aggressive Handlungen bauen innere Spannungen ab.
10 Inhibitionsthese: Durch die am Bildschirm beobachtete und
ausgeführte Aggression wird die Bereitschaft zur eigenen
Gewalthandlung eingeschränkt. Die Thesen gelten zwar als
durchaus umstritten, ihr Glaubwürdigkeitsgrad liegt allerdings
stark im Bereich des Möglichen.
11 Habitualisierungsthese: Einzelne Seherlebnisse haben
danach kaum Verhaltensänderungen zur Folge, vielfacher
Konsum von Bildschirmgewalt führt jedoch zumindest zu
einer emotionalen Abstumpfung gegenüber der Mediengewalt. Die Einschätzung, ob hiermit auch die Abstumpfung
gegenüber realer Gewaltsituationen entsteht, ist allerdings
noch nicht gesichert.
12 Uli Geißler, »Voll auf Konsole« in: SPIELMITTEL 3/1995;
»Computer- und Videospiele« in: SPIELEN UND LERNEN,
Sonderheft »Spielen von A bis Z«, 1994; MiKi - Magazin für
die Arbeit mit Kindern 1/97 sowie in Johannes Blohm, Ulrich
Walter (Hrsg.): Ich will mitten unter euch wohnen, Verlag
Junge Gemeinde, 1998, S. 92 ff.
13 Vgl. Helga Theunert, Renate Pescher, Petra Best, Bernd
Schorb, Zwischen Vergnügen und Angst -Fernsehen im Alltag
von Kindern, Vistas Verlag 1992
14 Prof. Dr. Werner Baake(+1999?), Universität Bielefeld,
Vortrag im Rahmen des 8. Remscheider Computerforum
18.5.1998
15 Siehe auch Ausschreibung zum Projekt INTERKIDS KINDER UND COMPUTER INTERNATIONAL (c), Amt für
Jugendarbeit der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, Nürnberg, in
Kooperation mit dem Kultur & Spielraum e.V., München, 1997
Titelthema
Umgang mit Medien
Wirkungsvolle Medienerziehung muss sehr früh beginnen
Die mediale Beeinflussung von Menschen hat in
den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen.
In den 80er Jahren dominierte als Leitmedium
neben Zeitungen und Zeitschriften das Fernsehen,
gelegentlich kam das Abspielen von Videos hinzu.
Heute haben Kinder, Jugendliche und Erwachsene
intensiven Kontakt zum Computer, der übers
Internet mit dem World-Wide-Web vernetzt ist.
Sie telefonieren mit dem Handy, mit dem sie
gleichzeitig Fotos machen oder Bilder auf andere
Handys oder Computer übertragen. Natürlich ist
Fernsehen als Unterhaltungs- und Informationsmedium nach wie vor bedeutend, aber Computer
und (artverwandte) Geräte wie Gameboy und
Playstation werden von Kindern und Jugendlichen oft ausschließlich zu Spielzwecken genutzt.
Auf der anderen Seite ist der Computer als umfassendes Informations- und Kommunikatonsmedium aus vielen Bereichen gar nicht mehr
wegzudenken.
Im vergangenen Jahrzehnt ist die Frage nach der
Wirkung von Gewaltdarstellungen im Fernsehen
auf Betrachter und die Wirkung einer exzessiven
Nutzung von Gewaltspielen an Computern auf
Kinder, Jugendliche und Erwachsene neu in die
öffentliche Diskussion gekommen. Denn spektakuläre Gewalttaten von Jugendlichen z. B. der
Amoklauf des 19-jährigen Steinhäuser in Erfurt,
der 17 Menschen niederschoss und zum Schluss
sich selbst tötete, wurden in Verbindung zum exzessiven Spielen von Gewaltspielen gebracht. Dies
hat zu neueren Literaturstudien der Bundesregierung (BM für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Kunczik & Zipfel, 2004) und der Landesregierung Bayerns (Lukesch u. A. 2004) Anlass gegeben.
Auch die Fortentwicklung in der Hirnfor-schung
und damit die Möglichkeit, bioelektrische Impulse
in unterschiedlichen Gehirnregionen bei Computer spielenden Personen sichtbar zu machen, haben Neuropsychiater und -Psychologen zu Stellungnahmen über mediale Wirkungen auf Menschen veranlasst (Hüther 2002, Spitzer 2005,
2006, Besser 2007).
Zwei Dimensionen des medialen Gebrauchs scheinen für die Wirkungsforschung von besonderer
Relevanz:
- die Dauer der Nutzung und
- die Inhalte, die gesendet werden respektive die
in Spielen genutzt werden.
Gelegentlicher oder/ und zeitlich auf eine oder
wenige Stunden begrenzter Gebrauch der Medien
wie Fernsehen, Computer, Computerspiele,
Playstation u. Ä. scheinen für Dr
eter Dillig
Dr.. PPeter
Jugendliche eher weniger geDipl. Psychologe,
fährdend, unabhängig vom
Inhalt der medialen Botschaf- bis 30.09.07 Leiter der Erten. Eine tägliche Betrachtung ziehungsberatungsstelle
von gewaltver-herrlichenden
Stadt u. Landkreis Ansbach
Sendungen und zudem noch
tägliche exzessive Nutzung
von gewaltorientierten Computerspielen über viele Stunden hinweg bei
gleichzeitiger Vernachlässigung von Kontakten
der jungen Menschen zu Gleichaltrigen oder anderen Menschen und ihr extremer Rückzug auf
sich selbst muss als höchst bedenklich angesehen
werden. Hier steigt die Gefahr, dass sich jemand
ein eigenes Weltbild aufbaut, das zunehmend den
Bezug zur Wirklichkeit verliert.
Als besonders „wirkungsvoll“ werden Gewaltdarstellungen im Fernsehen eingestuft, in denen
schwerste aggressive Handlungen (Mord, Totschlag) oder Schädigung der Opfer (schwere
Köpeiverletzungen bei brutalen Schlägereien)
dargestellt werden. Und Computerspiele, in welchen der Spieler als Akteur mit der Waffe auf Alles schießt, um selbst zu überleben (Ego-Shooter)
und das Umbringen von den Menschen das alleinige Ziel des Spieles ist, werden ebenfalls als bedenklich für junge Menschen eingeschätzt.
Zur differenzierten Beantwortung der Frage, wie
sich gewaltverherrlichende Darstellungen und
Spiele auf junge Menschen unter welchen Bedingungen und in welchem Ausmaß auswirken, werden wir auf die oben genannten Expertisen zurückgreifen.
Als ein prominenter Vertreter der Gehirnforscher,
der zudem pointiert zur Wirkungsweise von
gewaltorientiertem Fernsehkon-sum auf das
Gewaltverhalten der Rezipienten Stellung bezieht, gilt Spitzer (2006). Ein Interview mit ihm in
der Zeitschrift „Psychologie heute“ wird betitelt:
„Wer seinem Kind Gutes tun will, kaufe ihm bitte
keinen Computer“. In diesem Interview sagt er: „
Neueste Studien zeigen zum Beispiel, dass der
Fern-sehkonsum im Kindesalter vorhersagt, ob jemand einen Universitätsabschluss bekommt oder
in welchem Ausmaß er als Jugendlicher in der
Schule versagt. Längsschnittunter-suchungen zeigen eine klare Kausalität: ein größerer Konsum
von Bildschirmmedien führt zu einem schlechteren Bildungsabschluss“ (2006, 36). Kinder und Ju-
11
Titelthema
gendliche, die gehäuft Computerspiele spielen,
würden gegenüber realer Gewalt abstumpfen,
und ihre eigene Gewaltbereitschaft würde zunehmen.
Und er äußerst sich weiter: „Wenn jeder wüsste,
dass der Konsum von Bildschirmmedien langfristig dick, dumm und gewalttätig macht, .... wären
wir vorsichtiger im Umgang damit.“ (2006, 37).
Von Kunczik & Zipfel 2004 wurden im Auftrag des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend die neusten Forschungsergebnisse seit
1998 zum Thema „Medien und Gewalt“ zusammengetragen. Sie gehen zuerst der Frage nach, welche
Zuwendungsmotive die Rezipienten veranlassen,
gewaltorientierte Filme im Fernsehen zu konsumieren. Hier müssen als mögliche Faktoren der
Persönlichkeitszug des „Sensation-seeking“ bei einer Person angeführt werden, wonach Mediengewalt als sensationell und attraktiv erlebt wird.
Die Dispositionstheorie postuliert, ein Rezipient genieße Gewalthandlungen, die einem von ihm als
unsympathisch wahrgenommenen Menschen widerfahren. Weiterhin müssen vor allem bei jugendlichen Betrachtern der Druck der Peergroup und
dadurch verbunden die Stärkung des
Gruppenzusarnmenhaltes bei gemeinsamen Konsum von Mediengewalt als Element der Identitätsbildung gesehen werden. Und letztlich können aggressive Prädispositionen bei einem Rezipienten das
Betrachten von aggressiven Filminhalten für ihn
besonders attraktiv machen.
Als nächstes werden die verschiedenen Wirkungstheorien auf ihre Relevanz hin untersucht. Die
Katharsisthese - das Betrachten von gewaltverherrlichenden Filmen führt zur Abfuhr und
Reduktion aggressiver Impulse - kann als eindeutig widerlegt gelten. Die Habitualisierungsthese
geht von einer abstumpfenden Wirkung durch
gehäuften violenten Medienkonsum aus. Hier lägen nach den Recherchen von Kunczik & Zipfel
nicht genügend Studien vor, um diese Ausnahme
zu bestätigen,wenngleich sie plausibel erscheint.
Ebenso könne nach Meinung der Autoren die
Nachahmungstheorie nicht bestätigt werden.
Allerdings scheint nach dem generellen
Aggressionsmodell von Anderson u. A. (bei einem
Rezipienten) die Ausübung von Gewalt dann erhöht zu sein, wenn bei ihm durch „Lernen, der
Aktivierung und der Anwendung aggressionsbezogener, im Gedächtnis gespeicherter Wissensstrukturen“ gegeben sind. Dabei müssen als moderierende Einflussfaktoren die Medieninhalte
(Rechtfertigung der Gewalt, Art der Gewaltdarstellungen, Wirkung auf das Opfer u. Ä.), die
Person des Rezipienten (siehe oben, aber auch Alter, Geschlecht sozioökonomischer Status) und
12
das soziale Umfeld (Einflüsse von Familie, Schule,
Peers etc.) mit in Betracht gezogen werden.
Leider fehlen vor allem Längsschnittstudien» um
die langfristigen Effekte von gewaltorientiertem
Medienkonsum zu ermessen. Hier ist ein wechselseitiger Zusammenhang zwischen medialem
Gewaltkonsum, aggressiver Disposition und gesteigertem Gewaltverhalten bei Rezipienten zu
vermuten.
Die vorliegenden Meta-Analysen, die mehrere
Studien zu Medienkonsum und Gewalt auswerten, führen zur Aussage, dass der Beitrag von
Mediengewalt zur Erklärung des
Gewallverhaltens, „höchstens 9 %“ betrage. Damit stellt dieser Einflussfaktor eine nicht zu vernachlässigende Größe dar.
Die Wirkung von Gewaltdarstellungen, bzw.
Gewaltspielen in anderen Medien - hier
insbesondere bei Computerspielen - wurden in
einigen neueren Studien untersucht. Die oben genannten Einflussfaktoren müssen ebenfalls hier
mitbetrachtet werden, was leider in den vorliegenden Untersuchungen nicht erfolgte. In ihren
Schlussfolgerungen fassen die Autoren die Ergebnisse ihrer Recherchen wie folgt zusammen: .Auswirkungen von Mediengewalt auf das
Aggressionsverhalten von Rezipienten sind am
ehesten bei
- jüngeren, männlichen Vielsehem zu erwarten,
die in Familien mit hohem Femseh- (Gewalt) konsum aufwachsen und
- in ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld (d. h. in
Familie, Schule und Peergroup) viel Gewalt erleben,
- bereits ein violente Persönlichkeit besitzen und
- Medieninhalte konsumieren, in denen Gewalt
auf realistische Weise und/oder in humorvollem
Kontext gezeigt wird, die
- gerechtfertigt erscheint,
- von attraktiven .... Protagonisten ausgeht, die
erfolgreich sind und für ihr Handeln belohnt
werden und
- dem Opfer keinen sichtbaren Schaden zufügen
(„saubere Gewalt“). (Kunczik & Zipfel, 2004, 10-11)
Lukesch (2004) sollte im Auftrag der Bayerischen
Staatsregierung eine inhaltsanalytische Auswertung von verschiedenen Sendern und ihren Sendungen vornehmen. Hierfür hat er insgesamt 438
Stunden die unterschiedlichen Programme an unterschiedlichen Zeiten auswerten lassen. Zudem
erhielt er den Auftrag zu einer Literaturrecherche
über die Wirkungsforschung von violentem
Medienkonsum auf Rezipienten.
Hier seine wesentlichen Ergebnisse aus dem
Literaturstudium in Stichpunkten: Es liegen konsistente Befunde über eine gewaltstimulierende
Wirkung des Konsums solcher (gewaltorientierter)
Titelthema
Medien auf den Betrachter vor. Die Effektstärken
liegen „etwa in der Größenordung der Bedeutung
des Rauchens für die Entstehung von Lungenkrebs und sind somit weit höher als andere Effekte im pädagogischen Bereich“ (Lukesch 2004, S.
5). Diese Wirkungen sind in Realsituationen, in
Langzeitstudien, für männliche und weibliche Rezipienten eindeutig nachgewiesen worden. Vor
allem Comics, in denen Gewalt in „lustiger Einkleidung“ für die jüngeren Rezipienten dargeboten wird, wirken besonders auf Kinder stimulierend durch die Ausbildung antisozialer
Gedächtnisskripts. Und aus der Medienforschung
ist im Übrigen auch belegt, dass mit Gewaltstimulation eine Reduktion von Prosozialität einhergeht. (Lukesch, 2004, 7)
Fazit von Lukesch: „Gewalthaltiger Medienkonsum ist ein nicht in Abrede zu stellender Faktor, der eine Zunahme des Aggressions- und
Gewaltpotentials auf individueller und auch auf
gesellschaftlicher Ebene bewirkt.“
Was ist also zu tun? Welche Konsequenzen müssen wir als Eltern oder Berater/innen aus diesen
Befunden ziehen?
Die Eltern-, Jugend- und Familienberatungsstelle
bietet seit 1985 für Eltern von Kindergartenkindern Vorträge und Gesprächsabende an, in
welchen Regeln im Umgang mit Medien bereits in
diesem Alter vorgeschlagen werden. Es wird ein
restriktiver zeitlicher Urnfang von einigen Stunden Medienkonsum in der Woche für die Kinder
im Kindergartenalter angeraten. Auch wird ein
gemeinsamer Fernsehkonsum der Kinder mit ihren Eltern nahe gelegt. Dann können Eltern (-teile) den qualitativen Inhalt der Sendungen prüfen
und gewaltorientierte Sendungen abschalten,
wenn sie beim Kind Angst auslösen oder die
Gewaltdarstellungen zumindest eindeutig negativ
kommentieren. Die gemeinsame Auswahl von geeigneten Sendungen zusammen mit dem Kind/
den Kindern in der Familie können das permanente „Bitten“ um zunehmenden Fernsehkonsum
verhindern oder eindämmen helfen. Wenn restriktive Maßnahmen eingesetzt werden, sollten sie
für alle dem Kind zur Verfügung stehenden Medien gelten: TV, Computer, Playstation, Gameboy,
etc.)
In allen Studien wird hervorgehoben, dass mit
Medienerziehung schon sehr früh begonnen werden müsse, „um eine Basis für die Zeit zu legen,
in der die Heranwachsenden stärker von ihrem
Freundeskreis als von Elternhaus und Schule beeinflusst werden“ (Kunczik und Zipfel, 2004). Der
Altbundeskanzler Helmut Schmidt hatte schon
1974 angeregt, einen fernsehfreien Abend in den
Familien zu praktizieren.
Für Jugendliche im Alter von 14 Jahren und älter
können allein restriktive Zeitbeschränkungen
kontraproduktiv wirken und/ oder die Beziehungen zwischen Eltern und Kind(ern) belasten. Die
Jugendlichen können durch Erstellen eigner Videofilme zu einer kritischen Haltung Medien gegenüber hingeführt werden. Auch die Sensibilisierung für die Opferperspektive kann sich als sinnvoll erweisen (ähnlich der Wirkung von Antigewalttrainings). Ebenso kann die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema durch das Verfassen eines Aufsatzes oder durch kritische Diskussionen erreicht werden.
Diese oben aufgeführten medienpädagogischen
Interventionsstrategien zur Beschränkung des
Medienkonsums sind mögliche Ideen für die Einflussnahme von Eltern auf ihre Kinder.
Letztlich müssen die verschiedenen Maßnahmen
auf spezielle Zielgruppen hin ausgewählt und
eingesetzt werden.
Es könnte eine weitere interessante Forschungsaufgabe sein, verschiedene pädagogische Maßnahmen auf ihre Wirkung für ausgewählte Zielgruppen zu erproben.
Literaturliste
Anderson, G., A.:
General Aggression Model.
Zit. nach M. Kunczik & A. Zipfel; Medien und Gewalt.
2004, 5.
Besser, L.; Seminar:
Wirkung von gewaltverherrlichenden Medien auf
die Gehirnentwicklung des Kindes. 2007.
Hüther, G. & Bonney, H.:
Neues vom Zappelphilipp,
Walther, Düsseldorf, Zürich, 2002.
Kunczik, M,, & A. Zipfel:
Medien und Gewalt. Befunde der Forschung seit 1998
(Kurzfassung).
Hrsg.: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend, Berlin, Stand Juli 2004, www.bmfsfi.de
Lukesch, H., Bauer, Chr., Eisenhauer, R.& Schneider, l:
Das Weltbild des Femsehens.
Eine Untersuchung der Sendungsangebote öffentlich-rechtlicher und privater Sender in Deutschland. Synopse der Weltbildstudie. S. Roderer, Regensburg, 2004.
Spitzer, M.:
Vorsicht Bildschirm!
Elektronische Medien, Gehirnentwicklung, Gesundheit
und Gesellschaft.
Klett, Stuttgart, 2005.
Spitzer, M.:
„Wer seinem Kind Gutes tun will, kaufe ihm bitte keinen Computer.“ Psychologie heute, 2006, 34, 1, 34 -37.
13
Titelthema
Medienpädagogik als erzieherischer Jugendschutz
Positive Inhalte und Einsatzmöglichkeiten der Medien kennen lernen
Irmgar
d Hainz
Irmgard
Mediennutzung durch Kinder
und Jugendliche
Referentin für Medienpädago- Kinder und Jugendliche sind
gik und Jugendmedienschutz, heute in einer vielfältigen
Medienlandschaft eingebunAktion Jugendschutz
Die Ausstattung mit unLandesarbeitsstelle Bayerne.V. den.
terschiedlichen Medien in
den Haushalten, in denen Kinder aufwachsen, ist
mittlerweile weitreichend ausgeprägt, so dass
ihnen ein breit gefächertes multimediales Unterhaltungs- und Informationsangebot zur Verfügung steht.
Der Fernseher ist mittlerweile in jedem Haushalt
vorhanden, wobei in ca. 44 % der Kinderzimmer
ein eigenes Fernsehgerät steht. In fast allen Familien sind Telefon, Handy, Radio und CD-Player
verfügbar. Videorecorder, Computer und Internet
besitzen ebenfalls vier Fünftel der Haushalte.
CD-Player
57
Kassettenrecorder
53
48
Radio
Fernsehgerät
Immer mehr Kinder haben auch die Möglichkeit
das Internet zu nutzen: Vier Fünftel der Haushalte mit Kindern sind online und über die Hälfte
der Kinder zwischen sechs und 13 Jahren hat
bereits Erfahrungen im Netz gesammelt.
Meistens werden dabei Informationen gesucht,
online gespielt oder spezielle Kinderseiten angesurft.
44
Walkman/Discman
43
tragbare Spielkonsole
43
36
Handy
Mp3-Player
29
Nicht-tragb. Spielkonsole
22
Computer
17
Kindercomputer
15
DVD-Player
14
Videorecorder
13
Playstation Portable
12
Internet-Anschluss
8
0
20
40
60
Das Fernsehen ist bei Kindern nach wie vor das
beliebteste Medium. Die Kinder von 6 bis 13 Jahre könnten am wenigsten auf das Fernsehen verzichten. Bei den Jugendlichen zwischen 13 bis 19
Jahren wählen 26 Prozent den Computer und
jeweils 19 Prozent Fernseher und Internet als
liebstes Medium. Obwohl der Fernseher noch
immer das am meisten genutzte Medium ist,
wird er in der persönlichen Wichtigkeit der Jugendlichen erstmals durch den Computer vom
Spitzenplatz verdrängt (JIM-Studie 2006).
Die zweithäufigste Beschäftigung mit Medien ist
für Kinder die Computernutzung. Nach den Ergebnissen der KIM Studie 2006 des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest
zählen 81 Prozent der Kinder zwischen sechs und
13 Jahren zu den Computernutzern – wobei der
14
Anteil bei Jungen (85 %) neun Prozentpunkte
höher liegt als bei Mädchen (76 %). Bereits bei
den Sechs- bis Siebenjährigen zählen 57 Prozent
zu den Nutzern, bei den bis 19-Jährigen sind es
dann mit 98 Prozent fast alle. Allerdings ist die
Zuwendung zum Computer nur bei einem Teil
der Kinder fester Bestandteil des Alltags. Knapp
ein Drittel der Nutzer beschäftigt sich fast täglich mit dem Computer. Der größere Anteil (54
%) sitzt nur ein- oder mehrmals pro Woche am
Rechner, 16 Prozent noch seltener. Die
häufigsten Nutzungsmotive sind Computerspiele,
das Arbeiten für die Schule und Lernprogramme.
Über ein Drittel der Internetnutzer hat bereits
Chaterfahrung. Vor allem ältere Kinder nutzen
bereits diese Kommunikationsform.
Bei den Jugendlichen besitzen 60 Prozent der
12- bis 19-Jährigen einen eigenen Computer, 38
Prozent haben einen eigenen Internetanschluss
im Zimmer. Noch vor dem Arbeiten für Schule
und Beruf und der Nutzung von Computerspielen stellt Musikhören die häufigste Offline-Tätigkeit am Computer dar, ebenso ist das
downloaden überaus beliebt. Mehr als zwei Drittel aller Jugendlichen gehen mehrmals pro Woche oder häufiger online.
Das Internet wird dabei vor allem als
Kommunikationsmedium genutzt, die häufigsten
Tätigkeiten sind der Austausch über Instant
Messenger und E-Mail, mehr als ein Viertel der
Jugendlichen die online sind sucht aber auch
regelmäßig Chatrooms auf. Betrachtet man die
Internetnutzung unter den Aspekten Kommunikation, Information und Spiele, so entfallen nach
Einschätzung der Jugendlichen 60 Prozent ihrer
Nutzungszeit auf den Bereich Kommunikation,
23 Prozent auf die Informationssuche und 17
Prozent wird für Online-Spiele verwendet.
Titelthema
Probleme und Gefährdungsbereiche durch Medien
Kinder und Jugendliche nutzen heutzutage die
ihnen zur Verfügung stehenden Medien und
kombinieren diese ihren Bedürfnissen entsprechend.
Unbestritten ist, dass die Präsenz von Medien
und der verantwortungsvolle Umgang damit eine
Bereicherung für Kinder und Jugendliche hinsichtlich Unterhaltung, Bildung und weltweiter
Informationen darstellen kann. Kinder, die in die
heutige multimediale Welt hineingeboren werden, gehen mit den multimedialen Angeboten
viel selbstverständlicher als die Erwachsenen um
und stellen sich ihren Mediengebrauch individuell nach ihren Bedürfnissen zusammen. Die Heranwachsenden werden dementsprechend von
den Produzenten und Anbietern der Medien und
der Werbeindustrie umworben. Die sogenannte
medienkonvergente Mediennutzung der Heranwachsenden wird vermarktet und auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten.
Neben vielfältigen sinnvollen und interessanten
Anwendungsmöglichkeiten haben aber auch die
Problematiken und Gefährdungen die von
Medieninhalten auf Kinder und Jugendliche ausgehen können, zugenommen und sich gewandelt.
Vor allem das Internet, das national nicht umfassend kontrolliert werden kann, bereitet durch die
weltweite Verbreitungsmöglichkeit von jugendgefährdenden oder strafrechtlich relevanten Inhalten zunehmend Sorge. Die
Multifunktionalität, die von den neueren Handys
gewährleistet ist, gewährt den Zugang zum
Internet und zum Fernsehen und ist bislang
kaum zu kontrollieren. Der Besitz von
gewalthaltigen Computerspielen, die in Deutschland auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien stehen oder von der
Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK)
keine Jugendfreigabe in Deutschland bekommen
haben, können vom Internet heruntergeladen
werden. Nationale Gesetze können die Anbieter
aus dem Ausland nicht davon abhalten, ihre Produkte ins weltweite Netz zu stellen. Es gibt keinen weltweiten, nicht einmal einen europäischen
Standard für einheitliche Jugendmedienschutzgesetze. Aufgrund der unterschiedlichen kulturellen, sozialen und politischen Anschauungen
der einzelnen Länder sind in absehbarer Zeit keine rechtlichen internationalen Standards zu erwarten.
Weitere problematische Angebote für Kinder und
Jugendliche finden sich im Fernsehen, da sowohl
in öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, als
auch bei den privaten Sendern vielfach Sendeformate und Filme gezeigt werden, die von den
Jugendschutzbehörden wegen der Überschreitung der Sendezeitbeschränkung gemäß dem
Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) geahndet werden.
Durch die Digitalisierung des Fernsehens ist zu
erwarten, dass weitergehende internationale
Nutzungsmöglichkeiten folgen, die durch
Jugendschutzgesetze nicht mehr geregelt werden können.
Viele Eltern und Pädagogen sind darüber hinaus
der Meinung, dass etliche Sendungen, die im
Tagesprogramm ausgestrahlt werden, für Kinder
nicht geeignet sind. Die Beurteilung für das verantwortungsvolle „Kinder-Fernsehen“ ist bei den
Familien angesiedelt, die sich häufig überfordert
sehen.
Die medialen Angebote, die entwicklungsbeeinträchtigende, jugendgefährdende oder
strafrechtlich relevante Inhalte anbieten, wie z.B.
Kinderpornographie, extreme Gewaltdarstellungen oder Gewaltverherrlichungen sind
in unterschiedlichster Form und in vielen Medien
zu finden. Aber auch die auf den ersten Blick
weniger spektakulären Inhalte, wie z.B. die Vermittlung vom Rollenverständnis der Geschlechter, der herabsetzende Umgang zwischen den
Familienmitgliedern oder Partnern oder die problematischen Darstellungen einiger Talkshows in
den Sendungen sind für den Jugendmedienschutz interessant.
Viel zu sorglos wird mit den Chats im Internet
umgegangen, die über sexuelle Belästigungen bis
hin zu persönlichen Kontaktaufnahmen zu Kindern und Jugendlichen gehen. Hier ist besonders
Vorsicht geboten, da die Identitäten der
Chatpartner im Internet nicht der realen Person
entsprechen müssen.
Die Frage, welche Auswirkungen jugendgefährdende und sonstige problematische Medieninhalte auf Kinder und Jugendliche haben, ist
durch die unterschiedlichsten internationalen
Studien untersucht worden und wird seit vielen
Jahren diskutiert. In der Fachwelt besteht
größtenteils Einigkeit, dass es keine monokausalen Erklärungsmuster für Gefährdungsauswirkungen durch den Medienkonsum geben
kann. Die Wirkungsdimensionen der medialen
Welt sind eingebunden in komplexe Wechselspiele zwischen Medien und Rezipient.
Sowohl die Darbietungsform der Medieninhalte
wie auch die Rezipienten bezogenen Faktoren,
wie Alter, Geschlecht und Erfahrungen der Heranwachsenden sind für die emotionale Verarbeitung von gefährdenden medialen Inhalten und
15
Titelthema
das Verstehen wichtig. Weiterhin sind für die
Risikoabschätzung die Persönlichkeit und die
Umfeldfaktoren wie z.B. familiäre Erlebnisse,
Eingebundensein in peer-groups, persönliche
Kompetenzen wichtig, die sich eher stabilisierend
oder gar destabilisierend auswirken können.
Um die Problematik der medialen Gefährdung
differenziert anzugehen wird im Jugendschutz
von einem sogenannten „Drei-Faktoren-Modell“
ausgegangen, in dem die medial vermittelte Gefährdung, der Rezipient und die Umfeldbedingungen miteinander verflochten sind und
sich in ihrer Bedeutsamkeit gegenseitig beeinflussen.
Diesem Drei-Faktoren-Modell entsprechend wird
in der aktuellen Kinder- und Jugendschutzarbeit
auch von den ‚3 Säulen des Kinder- und Jugendschutzes‘ gesprochen. Zu diesen 3 Säulen
gehören der:
·
ordnungsrechtliche Jugendschutz
·
strukturelle Kinder- und Jugendschutz
·
erzieherische Kinder- und Jugendschutz.
Dem ordnungsrechtlichen Jugend(medien)schutz
werden alle Maßnahmen zugeschrieben, die
jugendbeeinträchtigende, jugendgefährdende
oder strafrechtlich relevante Medieninhalte in
Deutschland durch Gesetze greifbar und
handhabbar machen wollen. Dazu gehören z.B.
der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV),
das Jugendschutzgesetz (JuSchG) oder einzelne
Paragrafen des Strafrechts (StGB).
Der strukturelle Kinder- und Jugendschutz sieht
gesellschaftspolitische Fragestellungen im Mittelpunkt der Bemühungen, da gesellschaftliche
Entwicklungen und Strukturen für Entwicklung
von Kindern und Jugendlichen hinderlich sein
können. Für den Medienbereich sind entsprechende Stellungnahmen und Einflussmöglichkeiten auf Medienproduzenten denkbar,
wie auch die Unterstützung medienrelevanter
Medienangebote, z.B. Förderung der Strukturen
der aktiven Medienarbeit für Heranwachsende.
Gesetzliche Regelungen im Jugendmedienschutz
sowie die Förderung einer medialen Infrastruktur
für Kinder und Jugendliche sind notwendig und
wichtig. Da aber nationale Gesetze in einer vernetzten Welt nur bedingt greifen wird dem erzieherischen Kinder- und Jugendschutz eine
wachsende Bedeutung zugemessen und er ist
unabdingbar verflochten mit gesetzlichen Vorhaben.
16
Medienpädagogik als erzieherischer Kinderund Jugendschutz
Die medienpädagogische Aufgabenstellung der
Aktion Jugendschutz Bayern entspricht den Vorgaben des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes des §14 KJHG (Kinder- und
Jugendhilfegesetz). Dabei sollen junge Menschen
befähigt werden, sich vor gefährdenden Einflüssen zu schützen und selbstverantwortlich damit
umzugehen. Auch Eltern und Erziehungsberechtigte sollen in die präventiven Maßnahmen miteinbezogen werden.
Im Referat Medienpädagogik/Jugendmedienschutz der Aktion Jugendschutz werden pädagogische Fachkräfte in Jugendhilfe und Schule sowie Eltern über positive und/oder problematische
Entwicklungen und Auswirkungen zu den verschiedenen Medienbereichen informiert, beraten
und Hilfestellungen angeboten. Vor allem über
diese Multiplikatoren und Multiplikatorinnen
sowie Eltern sollen Kinder und Jugendliche zu
einem sinnvollen Gebrauch der Medien herangeführt werden, negative Erscheinungen der
Medieninhalte kritisch einschätzen lernen und
Medienkompetenz erwerben. Doch was bedeutet
es medienkompetent zu sein und zu handeln?
Medienkompetenz ist ein umfassender Begriff
und es gibt zahlreiche Definitionen und Interpretationen. Zusammenfassend wird Medienkompetenz von Bernd Schorb wie folgt definiert:
„Medienkompetenz ist die Fähigkeit auf der Basis
strukturierten zusammenschauenden Wissens
und einer ethisch fundierten Bewertung der medialen Erscheinungsformen und Inhalte, sich Medien anzueignen, mit ihnen kritisch, genussvoll
und reflexiv umzugehen und sie nach eigenen
inhaltlichen und ästhetischen Vorstellungen, in
sozialer Verantwortung sowie in kreativem und
kollektivem Handeln zu gestalten“.
Bei der Medienkompetenz geht es um einen
selbstbewussten, selbstbestimmten und verantwortlichen Umgang mit den Medien. Dazu gehört, sich in einer immer mehr von Medien
durchdrungenen Welt kompetent orientieren zu
können. Es reicht vom praktischen Umgang mit
Medienangeboten im Alltag über das Wissen um
technische, historische, politische, kulturelle,
ökonomische und nicht zuletzt ethische Bedingungen. Insgesamt gesehen kann Medienkompetenz als die Fähigkeit verstanden werden,
sich in der immer medialeren Welt gut zurechtzufinden und sie für seine Bedürfnisse und Wünsche adäquat nutzen zu können.
Aufgrund er vielfältigen Medien und deren
schnell wachsenden, immensen Angebote sind
viele Eltern, Pädagogen, Kinder und Jugendliche
überfordert einen Überblick zu erlangen.
Titelthema
Der Begriff der Medienpädagogik im Sinne eines
erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes wird
für die medienpädagogische Arbeit in der Aktion
Jugendschutz dahingehend definiert, dass Pädagogen und Eltern über die relevanten negativen,
jugendschützerischen Medienangebote informiert werden und vor allem die sinnvollen und
positiven Inhalte und Einsatzmöglichkeiten der
Medien kennen lernen, um für Kinder und Jugendliche als Multiplikatoren fungieren zu können.
Medienpädagogische Angebote der Aktion Jugendschutz
Um eine möglichst große Zahl an Multiplikatoren
zu erreichen werden medienpädagogische Angebote der Aktion Jugendschutz durch das Referat
Medienpädagogik/Jugendmedienschutz
folgendermaßen durchgeführt:
Publikationen und Webangebote:
Erstellung und Herausgabe verschiedener Publikationen und Webangebote zu unterschiedlichen
Schwerpunktbereichen, z.B.
„Kinder und Internet. Informationen und
Tipps für Eltern“
Die Broschüre informiert Eltern und Pädagogen über die wichtigsten Anwendungsmöglichkeiten des Internets, beschreibt die
Gefahren und gibt Tipps für einen sinnvollen
Umgang im Netz.
Flyer „Kinder im Kino“. Eine Information für
Eltern, - bietet Informationen über das
altersgerechte Filmerleben von Kindern und
Jugendlichen, über die Bedeutung der Filmfreigaben der FSK und gesetzlicher Bestimmungen.
„Aufwachsen in Actionwelten ist ein
Materialpaket zum Thema gewalthaltige
Spielwelten und Medienverbünden“. In fünf
Broschüren werden pädagogische Fachkräfte
zu medialer Gewalt, zu Computerspielen, zur
Mehrfachvermarktung sowie zum Jugendmedienschutz informiert. Für den Einsatz in
Schule, pädagogischen Einrichtungen und zu
Elternabenden stehen die Materialien auf
einer CD-ROM zur Verfügung sowie eine
Informationsbroschüre für Eltern.
Kinder sehen fern – 5 Bausteine zur Fernsehrezeption von Kindern.
Broschüre und AV-Materialien (Video und
CD-ROM mit Beispielen) als Anregung und
Orientierungshilfe zur Fernseherziehung für
Pädagogen und Jugendschutzfachkräfte.
Die Webseite „Kinder und Internet“ unter
www.bayern.jugendschutz.de aufzurufen,
stellt Internetanwendungen und deren Bedeutung für Kinder und Jugendliche vor,
geht auf Fragen zum Jugendmedienschutz
ein und weist auf empfehlenswerte Webseiten hin.
„Handy in Kinderhand. Informationen und
Tipps für Eltern“ sowie die Webseite
www.Handy-in-Kinderhand.de - der Elternratgeber, beantwortet häufig gestellte Fragen
rund ums Handy.
Fachzeitschrift proJugend: durch regelmäßige Schwerpunktthemen und Informationen
in der Fachzeitschrift der Aktion Jugendschutz wird über neue medienrelevante Entwicklungen, gesetzliche Änderungen im
Medienbereich und Vorstellung medienpädagogischer Projekte informiert. Themenhefte z.B.
proJugend 1/2007: Spiel ohne Grenzen? Computerspiele in der Diskussion,
proJugend 1/2006: Vom Lesefrust zur Leselust. Bitte weiterlesen,
proJugend 1/2005: Kinder im Netz der Vermarktung. Über die Verzahnung zwischen
Medien- und Konsumwelt.
17
Titelthema
Materialdienst der Aktion Jugendschutz:
Bereitstellung und Versand von empfehlenswerten Broschüren und Arbeitsmaterialien über
Medienthemen der Aktion Jugendschutz und
bundesweiten Institutionen.
Fachtagungen zu medienrelevanten Themen, z.B.
„Gewaltige Medien“ Tagungen für Fachakademien für Sozialwesen
für angehende Erzieher/innen sowie
Zentrale Fortbildung für Dozenten in Fachakademien.
Mitwirkung im Bayerischen Filmgutachterausschuss, sowie der Freiwilligen Selbstkontrolle der
Filmwirtschaft (FSK), Jugendschutzsachverständige für Bayern.
Ein weiteres Projekt ist „ELTERNTALK“ ein Angebot in Bayern, das Eltern über medienpädagogische Fragestellungen miteinander ins
Gespräch bringen will. Dieses Projekt wird von
zwei Projektarbeiterinnen bei der Aktion Jugendschutz betreut und vom Bayerischen Sozialministerium unterstützt.
Quellen:
Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest (mpfs) (Hrsg.):
KIM-Studie 2006. Kinder + Medien, Computer
und Internet, Stuttgart 2007
und
JIM-Studie 2006.Jugend, Information, (Multi-)
Media, Stuttgart, 2006
Schorb, Bernd: Medienkompetenz, in: (Hüther/
Schorb (Hrsg.):
Grundbegriffe Medienpädagogik, S. 257-262,
München 2005
Elisabeth Seifert: Enquete-Kommission „Jungsein
in Bayern“. Jugendinformation, Kultur und Medien; Stellungnahme der Aktion Jugendschutz
Bayern, 2007
Irmgard Hainz
(Referentin für Medienpädagogik
und Jugendmedienschutz)
„Neue Medien – neue Gefahren für unsere Kinder ?“
Verbindliche Regeln für die Medienutzung gemeinsam erarbeiZiel dieses Artikels zu meinem
gleichlautenden Vortrag ist es,
Kriminalhauptmeister beim
Eltern, Lehrer und Pädagogen
Kommissariat 314
für das Thema „Neue Medien“
zu sensibilisieren. Zu den einPolizeipräsidium München
zelnen Medien (Handy, Computerspiele, PC und Internet) werden neben
Hintergrundinformationen auch verhaltensorientierte Tipps gegeben.
Stefan Ther
Aktuell bezeichnet man Medien als „Neu“, wenn
sie im Zusammenhang mit digitaler Technik stehen bzw. in digitaler Form vorhanden sind (z. B.
analoge Videokamera und digitaler Camcorder).
Die beiden derzeit vorhandenen Langzeitstudien
(JIM und KIM) in Deutschland beschäftigen sich
mit dem Medienkonsum von Kindern bzw. Jugendlichen und deren Verhalten. So steht bei den
Freizeitaktivitäten von Kindern (6-13jährig) das
Fernsehen auf Platz 1 der Liste – noch vor dem
Treffen mit Freunden. Auch andere mediale Beschäftigungen wie telefonieren oder der Compu-
18
ter allgemein sind in der Beliebtheitsskala weit
oben anzutreffen und verdeutlichen den Trend
der letzten Jahre. Gleichzeitig ist dies ein Hinweis
auf die technische Ausstattung der Kinder: Fernseher finden sich in allen Haushalten mit Kindern,
dicht gefolgt vom Handy. Nach wie vor auf dem
Vormarsch ist das Internet, welches immerhin
schon in 81 Prozent der Haushalten mit Kindern
vorhanden ist und seit ca. 2 Jahren auch die
MP3-Abspielgeräte.
1. Das Handy
Kein anderes Medium im technischen Sinne hatte
eine derart explosionsartige Verbreitung erlebt.
Dies gilt insbesondere bei Jugendlichen.
Mittlerweile nennen etwa 92 Prozent aller Jugendlicher (12-19jährig) und 44 Prozent der Kinder (6-13jährige) ein Handy ihr eigen! 1998 lag
der Anteil bei 8 Prozent, 2001 schon bei 75 Prozent. Durchgängig ist eine knappe Mehrheit der
Titelthema
Mädchen unter den jugendlichen Handy-Besitzern festzustellen. 2/3 der Jugendlichen favorisieren dabei die Guthabenkarte (Prepaid). In pädagogischer Hinsicht speziell als Einstieg sehr sinnvoll, da die anfallenden Telefonkosten besser
überschaubar sind. Wenn später der verantwortungsbewusste Umgang erlernt wurde, ist der
Umstieg zum Vertrag problemlos. Im Durchschnitt
geben die Jugendlichen ca. 20 Euro im Monat für
„mobiles“ telefonieren aus.
Die Frage nach dem Einstiegsalter für das Handy,
beantworten Pädagogen durch eine Gegenüberstellung der Für und Wider. Im Grundschulalter
sprechen im Wesentlichen nur zwei Kriterien
dafür: entweder als sog. „Notfallhandy“ oder die
Möglichkeit, das Handy per GPS orten und damit
auch den Standort des Kindes bestimmen zu können. Ob diese jederzeit mögliche Ortung pädagogisch sinnvoll ist, bleibt offen. Gegen ein eigenes
Handy spricht beispielsweise die Verwendung als
Spielzeug oder als Statussymbol. Gerade in diesem Alter spielen Jugendschutz und die Strahlenbelastung eine gewichtige Rolle. Eltern sollten
genau hinterfragen, welche Bedürfnisse und
Wünsche hinter dem Wunsch nach einem Handy
stecken und sich ausführlicher zu informieren (z.
B. mit der Broschüre Handy-in-Kinderhand, kostenlos unter www.handy-in-kinderhand.de).
Vor allem unter den Jugendlichen hat es sich herumgesprochen, dass die aktuelle Generation von
Mobilfunktelefonen nicht nur zum Telefonieren
geeignet ist. Vielmehr trifft hier das Wort „Multimedia-Gerät“ zu. Möglichkeiten wie fotografieren
(bis zu 5 Mio. Pixel), Videos aufnehmen und abspielen, Musik hören (Radio oder MP 3), Navigation und GPS-Ortung, Internetzugang etc. sind
mittlerweile Standard. Diese Möglichkeiten bieten
aber nicht nur Vorteile. Problematisch sind die
Möglichkeiten, eine Vielfalt von Daten (Filme,
Musik, Fotos, Text etc.) per Bluetooth (drahtlose
Übertragung per Funk bis zu 100 Meter) zu verschicken. Rechtliche Konsequenzen sind dabei
keineswegs auszuschließen.
Als Beispiel dafür eignet sich das sog. „Happy
Slapping“ (engl. für fröhliches draufschlagen), ein
neues Phänomen, das überwiegend bei Jugendlichen erst durch Mobiltelefone neuerer Bauart
auftauchte. Rechtlich gesehen handelt es sich
häufig um ein selbstgedrehte Video einer Körperverletzung, die überwiegend nur wegen des Filmes begangen wird. Die Verbreitung per
Bluetooth über andere Handys oder das Internet
wird für das Opfer zusätzlich eine psychische Belastung. Ist ein solches Video erst einmal im Umlauf, ist die Verbreitung kaum mehr zu stoppen.
Durch einen derartigen Film kann eine Vielzahl
Straftatbeständen erfüllte werden:
Körperverletzungsdelikte, Nötigung, Bedrohung
etc.. Speziell für die Handy-Filmer und Fotographen gilt der 2004 neu geschaffene § 201a
des Strafgesetzbuches: Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen
(z. B. in Schultoiletten oder Umkleidekabinen).
Alleine das bloße Herstellen eines solchen Fotos
ist unter Strafe gestellt. Daneben ist im Kunsturheberrechtsgesetz der Verstoß gegen das Recht
am eigenen Bild geregelt. Die Verbreitung oder
die öffentlich Zurschaustellung von Bildern (z. B.
im Internet), aber auch das bloße Zusenden, Anbieten oder Verbreiten von Bildern mit Gewaltdarstellungen, pornografischen oder rechtsextremistischen Inhalten, stellen bereits Straftaten dar.
Das Fazit zum Thema Handy lautet wie folgt:
1.
Jeder Nutzer muss Kompetenzen erlernen,
insbesondere aber Eltern, deren Kinder Handys
benutzen.
2.
Die Vorbildfunktion spielt neben der Information
über Gefahren und Möglichkeiten eine wesentliche Rolle. Bei Bedarf sollten sich die Eltern informieren, beispielsweise über VHS-Kurse, sonstige
Institutionen, Zeitschriften und Broschüren,
Internet , Herstellerinformationen etc.. Oder noch
sinnvoller: sie lassen sich die Geräte, Spiele und
Anwendungen von ihren eigenen Kindern erklären.
2. Computerspiele
Die Geschichte der Computerspiele beginnt um
1950, als die ersten Computer und mit ihnen die
ersten Spiele entstanden. Diese waren damals nur
Adaptionen bekannter Kartenspiele wie Dame
oder Poker. Mit dem berühmten Spiel „PONG“
welches aus dem „Tennis for two“ (2 Balken und
ein Punkt, der über den Bildschirm fliegt) übernommen wurde, ging 1972 der Boom der Videospielbranche los.
Mittlerweile werden Computerspiele in drei Kategorien gegliedert:
1. Spiele für den PC
2. Spiele für Spielkonsolen (nutzen den Fernseher
als Bildschirm)
3. Spiele mit tragbaren Geräten, sog. Handhelds
(z. B. Nintendo Gameboy).
19
Titelthema
Auch hier hat der technische Fortschritt nicht
halt gemacht. So können sich die Spieler aller
drei Kategorien mittlerweile über
Internetanschluss und Bluetooth miteinander
verbinden und spielen, kommunizieren und Daten
austauschen.
Wurde die Branche für Videospiele früher belächelt, werden mittlerweile Umsätze gemacht, die
man niemand für möglich gehalten hatte. Bereits
2004 wurde die mächtige Filmindustrie von den
Herstellern der Computerspiele überholt! Das zu
der Zeit beliebteste Computerspiel „Die Sims 2“
brachte weltweit mehr Umsatz als der beliebteste
Kinofilm „Spiderman 2“. 2006 wurden alleine in
Deutschland 44 Mio. Computer- und Videospiele
verkauft. Das entspricht einem Umsatz von 1,1
Mrd. Euro! Weltweit wurden sogar über 31 Mrd.
Euro erwirtschaftet.
Alleine daran ist zu erahnen, wie mächtig dieser
Markt geworden ist und wie wichtig ihr dabei
die Kunden (überwiegend Kinder und Jugendliche) sind. Sie nehmen direkten Einfluss auf die
Gestaltung des Endprodukts. Über Zeitschriften
und Internet werden kostenlose Testversionen
gestreut, um Rückmeldungen zu bekommen.
In den Spielen selbst hat die gezielte Vermarktung von Produkten, das sog. „product
placement“, längst Einzug gehalten. Ein Verfahren, das früher noch Schleichwerbung hieß. So
kann der Spieler die Kleidung seines virtuellen
Helden im nächsten Kaufhaus kaufen oder per
Mausklick im Internet bestellen. Erfolgreiche
Spiele werden jährlich neu aufgelegt und mit
verbesserter Grafik angeboten (z. B. Sportspiele).
Aber auch eigene Serienhelden entstehen im virtuellen Leben wie Lara Croft aus der TombRaider-Serie. Die Inhalte der Spiele lassen hervorragend vermarkten, wobei erstaunlicherweise
kritische Themen wie der zweite Weltkrieg,
Vietnamkrieg etc. nach wie vor beliebt sind.
Doch nicht nur Kinder und Jugendliche verbringen ihre Freizeit vor dem Bildschirm. Nach der
Studie, eines der weltweit größten Hersteller
von Computerspielen sind 54 Prozent der sog.
„Freizeitspieler“ im Durchschnitt über 40 Jahre
alt. Männer und Frauen sind gleich oft vertreten.
Lediglich 5 Prozent werden den sog. Intensivspielern zugerechnet, die Anfang 20 Jahre und
bis zu 80 Prozent männlich sind.
Die Studie geht allerdings nicht darauf ein, wie
die Hersteller sich neue Kundenstämme erschließen. Bislang waren hauptsächlich Kinder und
Jugendliche die Zielgruppe. Auch der weibliche
Anteil bei den Spielern war bislang insgesamt
geringer. Den Trend versucht man nun mit neuen
20
Spielinhalten zu verändern. Dabei wird mehr Wert
auf Kommunikation und Gestaltung gelegt, um
Mädchen und Frauen besser anzusprechen. Erste
Erfolge wie z. B. „Die Sims“ oder „Nintendogs“
(bei dem virtuelle Haustiere ähnlich dem Spiel
„Tamagotchi“ gepflegt, erzogen und gefüttert
werden) konnten bereits verbucht werden.
Aber nicht nur der weibliche Anteil der Spieler
soll erhöht werden, sondern auch Anteil der älteren Bevölkerung (sog. Grey-Gamer), also die Generation, die noch ohne Computer und Spiele
aufgewachsen ist. „Gehirnjogging“, also kleine
Übungen wie Rechenaufgaben oder visuelle
Übungen, sollen die Aktivitäten der Gehirnhälften
anregen und so die Konzentrations- und Merkfähigkeit von Senioren deutlich verbessern. Neu
daran ist, dass sich diese Übungen auf den Handheld-Geräten (tragbaren Spielkonsolen) der Enkel
durchführen lassen. So hat die ganze Familie,
vom Kleinkind bis zu den Großeltern, Spaß mit
den Videospielen. Die Marktlücken schließen sich!
Bei allen Gefahren darf der positive Nutzen von
Computerspielen nicht vergessen werden. Spezielle Lernprogramme zu Themen wie Mathematik,
Sprache, Musik u.s.w. können den Übenden sehr
wohl unterstützen und sind sinnvoll. Aber auch
hier muss der Zeitaufwand in einem gesunden
Verhältnis zu Hausaufgaben, Familie, Freunde,
Sport etc. stehen.
Zwei Themen werden immer wieder in der Öffentlichkeit diskutiert: Medien, insbesondere
Computerspiele im Zusammenhang mit Sucht
und Gewalt. Durch die Amokläufe von Bad
Reichenhall und Erfurt drehte sich die Diskussion
in erster Linie um die Entstehung von Gewalt
nach dem Konsum von sog. „Killerspielen“ und
„Ego-Shootern“ gesprochen. Bei der zweiten Kategorie handelt es sich um Spiele, in denen der
Teilnehmer aus der Ich-Perspektive mit verschiedenen Waffen gegen seine Feinde kämpft. Während man im Offline-Modurs gegen den Computer spielt, kann man online mittels Internet gegen
andere angemeldete Gegner vorgehen. Das Bedürfnis der meisten Spieler geht dahin, dass die
virtuelle Welt (Aussehen, Geräusche und
Funktionsweise der Waffen, Umgebung, Fahrzeuge, Verhalten der Gegner) so realistisch wie möglich gestaltet wird, um sich mit seiner Spielfigur
zu identifizieren. Mittlerweile kann man die
Spielfigur nach eigenen Wünschen optisch gestalten. Sogar das Einkopieren eigener Fotos, um
ein perfektes Ebenbild in der virtuellen Welt zu
erschaffen, ist möglich.
Aktuell gibt es nach Einschätzungen von Experten
ca. 5000 Studien zu dem Thema Medien und Ge-
Titelthema
walt. Neueste Meta-Analysen, also Studien über
diese Studien, zeigen ein eindeutiges Ergebnis:
„Der Konsum von Gewalt in den Medien wirkt
unter ungünstigen Bedingungen gewaltfördernd.“
Als ungünstige Bedingungen wurden anhaltende
eigene Gewalterfahrungen, Misserfolge in Beruf
und Schule, ein niedriges Bildungsniveau, aber
auch die Erfahrung männlicher Jugendlicher, dass
Gewaltanwendung das einzige Mittel ist, sich
kurzfristig Respekt zu verschaffen, genannt. Ein
weiteres Ergebnis dieser Analysen zeigt, dass es
auch einen direkten Zusammenhang zwischen
gesellschaftlichen Werten, dem Bildungsgrad einer Gesellschaft sowie Art und Umfang des
Medienkonsums gibt.
Auch spielt es offenkundig keine Rolle, ob junge
Menschen Gewalt im Fernsehen, im Computerspiel oder in anderen Medien begegnen. Nicht die
Art des Mediums ist entscheidend, sondern die
Inhalte. Als weiteres Fazit werden die unterschiedlichen Reaktionen der Geschlechter genannt. Während männliche Jugendliche aggressiv
reagieren und deswegen besonders in den Fokus
der Präventionsbemühungen fallen sollten, wird
bei jungen Frauen die Furcht vor Gewalt verstärkt.
Über den Zusammenhang von Computerspielen
und Sucht wird interessanterweise erst in letzter
Zeit vermehrt berichtet. Offensichtlich ist bislang
nur die Spitze dieses Berges sichtbar. Es mehren
sich die Berichte über exzessiven Konsum von
Computerspielen, begleitet von einem steigenden
Suchtpotential und den daraus entstehenden
Problemen. Bereits seit zwei Jahren gibt es in
Amsterdam eine Klinik, die ein spezielles Programm zu dieser Suchtform entwickelt hat. Ziel
ist es, den Patienten in vier bis acht Wochen die
verlorengegangenen Sozialkompetenzen zurück
zu geben und Wege zu zeigen, Bestätigung im
wahren Leben finden. Die ersten Erfahrungen
verheißen nichts Gutes. Denn genau dies sind
Dinge, die durch das stundenlange Spielen am
Computer verlernt wurde: über die Flucht vor
dem realen Leben mit Stress und Erwartungshaltung, hinein in die bunte virtuelle Welt, in der
man auf Knopfdruck Anerkennung und Glücksgefühle erhält. Eine regelrechte Konditionierung
findet statt, bis es kein Auskommen mehr gibt.
Die Kräfte des Verstandes werden dem Verlangen
nach dem Spiel und dem Erreichen des nächsten
Levels untergeordnet. Spielzeiten von mehreren
Tagen ohne Unterbrechung und Essen werden
geschildert. Wer würde da nicht mehr von Sucht
sprechen? Eine Münchner Suchtberatungsstelle
verzeichnet eine signifikante Zunahme der Beratungen zu Computersucht. Alleine im Jahr 2006
betrug der Anstieg 35 Prozent zum Thema Spiel-
sucht, darunter ein hoher Anteil wegen einer Abhängigkeit von PC und Internet.
Empfehlungen für besorgte und verunsicherte
Eltern:
1.
Beachten Sie die Dauer und der Inhalt der Spiele!
Eine Unterscheidung zwischen den einzelnen Medien ist dabei unbeachtlich, die Gesamtzeit der
Medienkonsums ist ausschlaggebend. Eine Faustregel gibt es nicht, ein Überhang zu Gunsten der
Medien sollte aber vermieden werden. Befragungen in Münchner vierten Klassen ergaben, dass
der tägliche Durchschnittskonsum an Schultagen
bei etwa 1 ½ Stunden liegt. Weit höher ist Wert
an schulfreien Tagen. Prüfen Sie also genau, ob
Fernseher und/oder Computer nicht besser im
Wohnzimmer als im Kinderzimmer aufgehoben
sind.
2.
Schaffen Sie genügend Alternativen wie Sport,
Bewegung, Freunde, gemeinsame Unternehmungen und überprüfen Sie, welchen Stellenwert der
Medienkonsum hat.
3.
Medienkonsum, insbesondere Computerspiele,
sollten nicht als Bestrafung oder Belohnung eingesetzt werden, da so eine erhöhte Bedeutung
erzeugt wird, die sich im Bewusstsein der Kinder
festsetzt.
4.
Achten Sie auf Inhalte der Spiele. Lassen Sie sich
Spiel und Handlungsabläufe erklären und spielen
Sie einfach mit.
Die KIM Studie ergab, dass bereits 6-7jährige im
Schnitt 10 eigene Computerspiele besitzen, die sie
in erster Linie von den Eltern geschenkt bekommen! Aber nicht nur auf Quantität, auch auf die
Qualität bzw. die Inhalte der Spiele ist zu achten.
Eltern sollten sich an den USK-Vorgaben (Unterhaltungssoftware-Selbstkontrolle) zur Altersfreigabe des jeweiligen Spiels halten. 2004 wurde
das Jugendschutzgesetz überarbeitet. Dabei wurde festgelegt, dass alle in Deutschland erhältliche
Computerspiele begutachtet werden und eine
entsprechende Altersfreigabe erhalten. Wird
beispielsweise einem 13jährigen ein Spiel verkauft, welches erst ab 16 Jahren freigegeben ist,
macht sich der Verkäufer strafbar, ähnlich wie
beim Verkauf von Videos oder Alkohol. Spiele, die
besonders jugendgefährdend erscheinen, werden
indiziert, d. h. dass die Verbreitung und Werbung
für diese Spiele an Minderjährige untersagt wird.
Nähere Informationen gibt es im Internet unter
21
Titelthema
www.usk.de oder www.bundespruefstelle.de
(Bundesprüfstelle jugendgefährdender Medien).
3. Computer und Internet
Das Internet entstand 1969 aus einem Projekt des
US-Verteidigungsministeriums. Ziel war es, Universitäten und Forschungseinrichtungen
miteinander zu vernetzen. Bereits zu Anfangszeiten zeigte sich, dass ein Kommunikationsmittel
besonders beliebt war: die E-Mail.
20 Jahre später wurde das Internet als
Kommunikationsplattform der Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung gestellt, daher auch das
Kürzel www (world wide web). Ab 1993 startete
ein rasanter Höhenflug des Internets. Allein von
2000 – 2005 stieg die Anzahl der Internet-Nutzer
in Deutschland um 96 Prozent! Einer Studie zufolge sind aktuell etwa 65 Prozent der Bundesbürger (ca. 47 Mio. Personen) online. Dies ist im
Vergleich zu anderen EU-Ländern allenfalls guter
Durchschnitt. Vor allem die nördlichen Länder
sind mit Internetanschlüssen gut ausgerüstet: in
Island liegt der Anteil bei 76 %, in Schweden bei
73 % und in Dänemark bei 69 %.
Kindern in Deutschland steht einem Zugriff auf
das Internet wenig im Wege. In über 80 Prozent
aller Haushalte mit Kindern, steht ein PC mit
Internetzugang. Lt. Ergebnis der KIM – Studie
gehen durchschnittlich 43 Prozent der Kinder
mehrmals pro Woche ins Internet. Bereits ein
Drittel der 6-7jährigen nutzt die Möglichkeiten
des Internets. Zu der Frage, was die Kinder im
Internet machen, kam es zu folgendem Ergebnis:
Fast die Hälfte (48 Prozent) aller Kinder sucht
nach Informationen für die Schule. Danach folgt
die Suche nach allgemeinen Informationen. An
dritter Stelle steht bereits das Online-Spielen.
Weiter werden E-Mails geschrieben, Chatrooms
aufgesucht sowie Musikdateien runtergeladen
und angehört.
Die Möglichkeiten des Internets sind ungemein
vielfältig und erweitern sich ständig. Daher wurde auch das Kunstwort „Web 2.0“ geprägt. Damit
sind interaktive Angebote wie Tauschbörsen,
Kommunikationsmöglichkeiten u.s.w. gemeint, die
per Internet genutzt werden. Während früher
Internet-Seiten nur zum Lesen aufgerufen wurden, können heutzutage Bankgeschäfte oder
Behördengänge erledigt werden. In einigen Bundesländern können Strafanzeigen per E-Mail erstattet werden. Hinter all diesen Möglichkeiten
stecken aber auch eine Menge potentieller Gefahren, derer sich nur wenig Erwachsene bewusst
sind und um so weniger sich deren Kinder Gedanken machen.
22
Nach Expertenmeinung sollten Kinder unter 10
Jahren grundsätzlich nicht ohne Aufsicht ins
Internet, da die auf dem Markt befindlichen
Schutzprogramme und Einrichtungen alleine
nicht ausreichen. Internetseiten mit pornografischen und Gewalt verherrlichenden Inhalten sind
in unglaublicher Anzahl vertreten. Es genügt
bereits ein Tippfehler bei der Suche, um unbeabsichtigt eine derartige Seite zu öffnen. Daher
gehören weder Computer noch Spielkonsole ins
Kinderzimmer! Dies gilt auch für Jugendliche. Ein
generelles Verbot macht keinen Sinn, jedoch helfen offene Gespräche über die Gefahren und Hinweise für eine sichere Benutzung. Oft sind es nur
kleine Hinweise, wie nie Mails von unbekannten
Absendern zu öffnen, um so Außenstehenden
über Viren unbemerkt Zugriff auf den heimischen
PC zu ermöglichen .
Besonders heikel ist die Nutzung von Chatrooms.
So viel bei Erwachsenen über Datenschutz und
Datenspeicherung diskutiert wird, so wenig ist
dies ein Thema bei der jüngeren Generation.
Dabei muss gerade mit den Kindern und Jugendlichen besprochen werden, dass speziell die Herausgabe von persönlichen Daten wie Telefonnummer, Anschrift, Bilder, Bankverbindung u. ä. ungeahnte Folgen haben kann. Im Rahmen der Befragung zur JIM-Studie gaben bedenkliche 38 Prozent der Jugendlichen an, telefonischen Kontakt
mit ihrer Chat-Bekanntschaft zu suchen. Ein Viertel dieser Jugendlichen hat sich sogar persönlich
mit dem bis dahin Unbekannten getroffen!
Viele können oder wollen sich offensichtlich nicht
vorstellen, dass es auch unangenehme Kontakte
gibt. Streitereien und Beleidigungen sind Alltag
wie im realen Leben auch. Im Rahmen der JIMStudie wird dies durch die Hälfte aller ChatroomNutzer bestätigt. Dabei sind besonders Mädchen
häufig Ziel von Belästigungen durch allgemein
gehaltenen Beleidigungen.
Im schlimmsten Fall nutzen pädokriminell geneigte Personen die anonymen Gelegenheiten
und die Unbefangenheit der Kinder und Jugendlichen im Internet aus, um einen Kontakt herzustellen. So verschickten in einigen Fällen überwiegend männliche und erwachsene Chat-Partner
per E-Mail hoch aufgelöste Fotos ihres erigierten
Geschlechtsteils, das sie mit dem Namen der
Chat-Partnerin beschriftet hatten. Auch werden
per Web-Kamera sexuelle Aktivitäten live übertragen oder pornografische Texte per SMS verschickt.
Daher sollten Kinder und Jugendliche auf Folgendes achten:
Titelthema
1.
Nicht in Chatrooms für Erwachsene gehen oder
sich älter machen. Es gibt spezielle Seiten für
Kinder und Jugendliche, die mit besonderen Sicherheits-vorkehrungen versehen sind.
2.
Einen guten Spitznamen (Nickname) einfallen
lassen! Dieser darf nicht den wirklichen Namen,
Alter oder Adresse enthalten.
3.
Nie Adresse, Telefonnummer und Namen verraten!
4.
Nicht mit Leuten aus dem Chat treffen !
5.
Wenn dich jemand oder etwas ärgert, beende den
Dialog. Sage deinen Eltern Bescheid !
Eltern und Pädagogen sollten auf die folgenden
Kriterien und Vorkehrungen zusätzlich achten:
1.
Begleiten sie Ihre Kinder im Chat regelmäßig.
Kinder müssen nicht ständig überwacht werden,
aber Sie sollten Interesse zeigen, was Ihr Kind
dort tut und mit wem es sich unterhält.
2.
Informieren Sie sich über den Chatroom, für den
sich Ihr Kind interessiert. Gibt es einen ständigen
Moderator ? Gibt es Hilfen wie einen Alarm-Button etc. ?
3.
Beschränken Sie die Zeiten, denn es handelt sich
auch um Medienkonsum (siehe oben!).
4.
Melden Sie Auffälligkeiten und Verstöße. Je nach
Art sollten Auffälligkeiten sofort dem ChatBetreiber, der Polizei oder über
www.jugendschutz.net oder www.internetbeschwerdestelle.de gemeldet werden.
5.
Informationen und Tipps über Chatrooms gibt es
jede Menge. Eine gute Orientierungshilfe bietet
die Broschüre „Chatten ohne Risiko?“, die es kostenlos im Internet unter www.chatten-ohnerisiko.net gibt.
4. Urheberrecht
Ständiges Thema unter Jugendlichen ist das Herunterladen verschiedener Daten aus dem
Internet. Was ist erlaubt, was ist verboten?
Seit der letzten Änderung des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) im Jahr 2003 ist die Wiedergabe,
Verbreitung und Vervielfältigung von Werken
aller Art, insbesondere von Filmen, Musikstücken
und Software, ohne Zustimmung des Urhebers
verboten. Ebenso verboten ist das Umgehen und
Aushebeln bestehender
Kopierschutzmechanismen (Standard bei den
meisten, aktuelle erscheinenden DVD und CD‚s).
Selbst das Kopieren von „offensichtlich rechtswidrig hergestellten Vorlagen“ ist strafrechtlich
zu ahnden. Wurden früher noch Programme,
teilweise in Fachzeitschriften verkauft, die das
Kopieren trotz Kopierschutz möglich machten, ist
dies mittlerweile ebenfalls verboten. Auch Verkauf, Herstellen oder Bewerben von sogenannten
Kopier-Tools über Fachzeitschriften – wie in der
jüngeren Vergangenheit üblich – ist jetzt strafbar.
Neben einer Geldstrafe droht auch eine Freiheitsstrafe zwischen 1 und 3 Jahren, bei gewerbsmäßiger Handlung sogar bis zu 5 Jahren. Zusätzlich
stehen weitreichende zivilrechtliche Folgen in
Form von Schadensersatzforderungen der geschädigten Firmen und von der Schadenshöhe
abhängigen Anwaltskosten ins Haus. So wurde
aktuell der Streitwert bei nur einem illegal kopierten Song auf nahezu 7000 Euro festgelegt.
Zu den obigen Ausführungen gibt es lediglich
zwei Ausnahmen:
1.
Jede rechtmäßig erworbenen Audio-CD und FilmDVD, die nicht kopiergeschützt ist, darf kopiert
und an persönlich verbundene Personen (Familie,
Freunde, Mitbewohner etc.) weiter gegeben werden. Ein kommerzielles Interesse muss ausgeschlossen sein.
2.
Bei Software-Programmen für Computer ist nach
wie vor die Erststellung einer Sicherungskopie,
auch unter Umgehung des Kopierschutzes, erlaubt. Diese darf allerdings weder verliehen, verschenkt noch verkauft werden. Zudem muss man
das Original auch besitzen.
Fazit und Zusammenfassung zum Thema „Neue
Medien“:
Der kompetente Umgang mit den neuen Medien
ist der Schlüssel zum Erfolg. Alle gesellschaftlichen Gruppen – Familie, Freunde, Schule, Polizei
u.s.w. – sind gefordert, einen verantwortungsbewussten und sinnvollen Umgang mit dem Computer, dem Handy oder der Spielkonsole zu lernen.
Die Frage, ob die neuen Medien auch neue Gefahren für Kinder und Jugendliche mit sich bringen, kann mit „Nein“ beantwortet werden, denn
letztlich bleibt alles beim Alten. Gefahren lauern
nach wie vor – allerdings hinter geschickt aufgemachten Verpackungen. Die Zugänge sind
23
Titelthema
benutzerfreundlich und einfach. Umso wichtiger
sind Gespräche der hauptverantwortlichen Eltern
über die Gefahren, Vereinbarungen über verbindlicher Regeln für die Benutzung und das Bemühen vor allem der Erwachsenen um die notwendige Medienkompetenz.
Tipps und Informationen finden Sie auch unter
www.polizei-beratung.de.
Stefan Ther
Medien Bilden
Aktive Medienarbeit als Methode der Bildungsarbeit
Die Schule als Bildungsinstitution ist in Deutschland
Medienpädagoge, Päd. Leiter durch die Ergebnisse der Pisades Medienzentrums Parabol, studie stark in die öffentliche
Kritik geraten. Aber Bildung
Nürnberg
ist mehr als nur Schule. Neben der Schule gewinnen andere Lebensbereiche
wie Gleichaltrigen-Gruppen, Vereine, die Medien
oder die Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit im Bildungsprozess immer stärker an
Bedeutung (vgl. Cathleen Grunert in Kompetenzerwerb von Kindern und Jugendlichen im
Schulalter).Vor allem die offene Jugendarbeit
bemüht sich verstärkt, mit unterschiedlichen
Methoden Jugendliche für Bildungsprozesse zu
motivieren.
Der Bildungsbegriff der offenen Kinder- und Jugendarbeit umfasst die Förderung autonomer
Persönlichkeiten, die ihre Bedürfnisse artikulieren,
ihre Interessen durchsetzen können und kognitiv
in der Lage sind, schrittweise die Regeln zu erfassen, nach welchen die soziale und geschichtliche
Wirklichkeit sich konstituiert. (vgl. Rudolf Tippelt
in Kinder- und Jugendarbeit als Bildungsprojekt).
Klaus Lutz
Grundsätzlich richtet sich jeder Bildungsprozess
in der Jugendarbeit aber an dem Prinzip der Freiwilligkeit aus. Alles was gelernt wird ist freiwillig
und durch die Jugendlichen selbst bestimmt. Dieses Prinzip verhindert aber zugleich, Bildungserfolge zu messen oder gar zu erzwingen. Gleichzeitig stellt dies aber die große Stärke der Jugendarbeit dar, da sie darauf angelegt ist, den
Findungsprozess Jugendlicher zur Entwicklung
einer komplexen Persönlichkeit zu begleiten und
zu unterstützen. Die Bildungsprozesse finden
dabei zum einen „ungeplant“ in unterschiedlichsten Situationen statt, die sich spontan ergeben,
wie auch durch gezielte Angebote, die absichtsvoll Lernchancen vermitteln.
Eine Methode, Jugendliche für Bildungsprozesse
zu motivieren, stellt die aktive Medienarbeit dar.
24
Zentraler Ankerpunkt der aktiven Medienarbeit
ist dabei der Wechsel von der passiven Nutzung
von Medien hin zum aktiven Gestalten mit Medien. Jugendliche werden also zu Medienproduzenten/innen und durchlaufen im Prozess
der Produktgestaltung eine Vielzahl von Lernfeldern. Diese Form des projektorientierten
Lernens gilt in der außerschulischen Medienarbeit
meist als der „Königsweg“ medienpädagogischer
Arbeit. (vgl. Roland Bader in
Bildung in virtuellen Welten, S. 366)
Die hohe Anziehungskraft der Medienarbeit für
Jugendliche liegt sicherlich auch in der
Tatsache begründet, dass Jugendliche von Medien
an sich in hohem Maße fasziniert sind.
Aber das wesentliche Motivationsmoment der
aktiven Medienarbeit liegt in dem Potential, das
jeder pädagogischen Arbeit innewohnt, die es
schafft, Jugendliche zur Entwicklung und selbständigen Umsetzung eigener Ideen zu motivieren. In einer so ausgestalteten Medienarbeit manifestiert sich dieser schöpferische Akt in den
Produkten, welche die Kinder und Jugendlichen
erstellen, und die – auch wenn sie natürlich häufig Züge der Reproduktion aufweisen – etwas
einzigartig Neues darstellen. Dieses Erlebnis, etwas Eigenständiges geschaffen zu haben, hinterlässt einen nachhaltig prägenden Eindruck, vor
allem wenn Kinder und Jugendliche diesen
schöpferischen Prozess erstmals erleben.
Ausgehend von diesen Prinzipien aktiver Medienarbeit bieten sich drei große Stränge für die
Bildungsarbeit mit Medien:
1. Das Lernfeld Medienkompetenz, das das Erfassen und kritische Bewerten von Medienangeboten ebenso beinhaltet wie den selbstkritischen, kritisch reflexiven Umgang mit Medienangeboten und die Fähigkeit, Medien als kreatives
Ausdrucksmittel zu nutzen.
Titelthema
2. Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Themen wie z.B. Toleranz, Fremdenfeindlichkeit oder Sexualaufklärung. Ohne dass dies
zunächst für die Teilnehmer/innen zu sehr in der
Vordergrund rückt, beinhaltet die Erstellung eines
Medienprodukts automatisch auch eine intensive
Beschäftigung mit dem gewählten Thema, die für
die Erstellung eines attraktiven Produkts unerlässlich ist. Und ein attraktives Produkt wollen
meist alle: Man will sich schließlich nicht blamieren, wenn z.B. der Film auf einer großen Leinwand der Klasse oder gar der ganzen Schule vorgeführt wird.
Der dritte Strang nutzt die Medien in der direkten Verknüpfung mit Lernfeldern wie z.B. der
Sprachförderung, der Vermittlung naturwissenschaftlicher Phänomene oder dem Erlernen des
Umgangs mit Zahlen.
Die Methode der aktiven Medienarbeit bietet
aber noch weitere Erfahrungs- und Lernfelder.
Fred Schell beschreibt die Bandbreite der möglichen Lernerfahrung folgendermaßen:
Die Planung und Realisierung eines Medienprodukts zwingt dazu, intensiv in die gewählte
Thematik einzusteigen und sich tiefgehend mit
den eigenen Erfahrungen, Einstellungen,
Werthaltungen und Normen zu befassen. Im Verlaufe des Produktionsprozesses ergibt sich
fast zwangsläufig die Notwendigkeit, das gewählte Thema von vielen Seiten zu betrachten sowie
die Rollen unterschiedlicher Akteure einzunehmen und zu hinterfragen. Das fertige Medienprodukt ermöglicht es dann, unterschiedliche
Positionen mit mehr Distanz als in einer
Gesprächssituation zu präsentieren, wodurch
auch die Diskussion über die eigenen Einstellungen und die der Anderen erleichtert wird.
Identität entwickelt sich vor allem durch die
Übernahme kritischer Reflexion und
Modifizierung von Einstellungen, durch die Auseinandersetzung mit den Konflikten, die
unterschiedliche Rollen mit sich bringen, und
durch das Erlernen der Fähigkeit, die aus
solchen Konflikten resultierende Frustration zu
ertragen.
Aktive Medienarbeit ist immer ein Gruppenprozess. Das ständige Aushandeln von Themen,
Meinungen, Wertungen, die Verteilung von Aufgaben, das Verfolgen von gemeinsamen
Zielsetzungen und das Erleben des aufeinander angewiesen-Seins im Team sind beste Voraussetzungen für Prozesse sozialen Lernens.
Durch die vielfältigen Aufgaben, die bei der Erstellung eines medialen Beitrags zu vergeben
sind, bietet aktive Medienarbeit allen Beteiligten
mit ihren unterschiedlichen Voraussetzungen die
Möglichkeit für Erfolgserlebnisse. Gefördert wird
zudem die Entdeckung eigener Kreativität, die in
vielfältigen Rollen erprobt werden kann. Wer
selbst ein Medienprodukt herstellt, lernt zwangsläufig die Sprache des jeweiligen Mediums kennen, seine Gestaltungsmittel wie auch seine
Manipulationsmechanismen.
Damit besteht die Chance zu lernen, Medien
insgesamt besser entschlüsseln und ihre
Botschaft kritisch-reflexiv hinterfragen zu können. Dies ist ein wichtiger Schritt hin zur
Entwicklung von Medienkompetenz, die in unserer Gesellschaft zu den Grundqualifikationen gehört und ein integraler Bestandteil politischer
Bildungsarbeit ist.
Medienprodukte sind immer für eine Öffentlichkeit geschaffen, ganz gleich, wie groß diese ist.
Mit der Präsentation des eigenen Produkts erfolgt
eine Konfrontation der eigenen Position mit der
Anderer und damit ein Überprüfen eigener Sicht-,
Verhaltens- und Handlungsweisen. (vgl. Fred
Schell, Aktive Medienarbeit mit Jugendlichen)
Fazit
Bildungsarbeit ist immer auch Medienarbeit,
denn ohne Medienkompetenz ist eine aktive
Teilnahme an einer modernen, demokratischen
Gesellschaft nicht mehr möglich. Die aktive
Medienarbeit stellt aber auch eine geradezu ideale Methode für die Bildungsarbeit dar. Vor allem
Jugendliche, die in schulischen Zusammenhängen
viel Frustration erleben, gelangen durch den vielschichtigen Prozess der Mediengestaltung zu Erfolgserlebnissen und lassen sich so für Bildungsprozesse motivieren, die die Schule mit ihren Methoden oft nicht in der Lage ist in gang zu setzen.
Diese Form des Lernens ermöglicht es, alles über
die Medien selbst zu lernen – von ihrer
technischen Bedienung bis hin zu ihren
Manipulationsmöglichkeiten. Die projektorientierte Lernform der aktiven Medienarbeit ist
aber zugleich ein Rahmen für soziales Lernen,
denn die gemeinsame Produkterstellung fordert
und fördert die Fähigkeit, Sozialbeziehungen einzugehen und die sich daraus ergebenden Konflikte im Hinblick auf das gemeinsame Ziel zu lösen.
Literatur:
Bader, Roland in: Schindler, Wolfgang/Bader, Roland/ Eckmann, Bernhard (Hrsg.): Bildung in virtuellen Welten, Frankfurt am Main 2001
Fred Schell, aktive Medienarbeit mit Jugendlichen, München
1993
Günther Anfang / Fabian Fiedler / Bernd Kammerer / Klaus
Lutz (Hrsg.:) Aufwachsen in Medienwelten, Nürnberg 2003.
Sachverständigenkommission zwölfter Kinder- und Jugendbericht (Hrsg.) Kompetenzerwerb von Kindern und Jugendlichen im Schulalter Band 3, München 2005
Werner Lindner, Werner Thole, Jochen Weber (Hrsg.), Kinderund Jugendarbeit als Bildungsprojekt
25
Titelthema
„Kinder und Medien“
Stellungnahme und Forderungen der Kinderkommission des Bundestages
Der Alltag der Kinder und Jugendlichen wird wesentlich geprägt durch elektronische Medien. Neben den herkömmlichen technischen Geräten wie
dem Fernsehenoder dem Radio gehören das
Internet, das Handy oder Spielekonsolen zum jugendlichen Alltag. 92 Prozent aller Jugendlichen
verfügen mittler-weile über ein eigenes Handy.
Die virtuelle Welt kann neurobiologische und
psychologische Auswirkungen bei den Kindern
und Jugendlichen verursachen. Die daraus erwachsenen Gefahren sind keineswegs zu unterschätzen. Eine neue Welle der Diskussion wurde
zuletzt durch die Funde von gewalthaltigen und
pornographischen Inhalten auf den Handys von
Jugendlichen ausgelöst. Sogenannte HappySlapping-Filme oder Snuff-Videos treten immer
häufiger auf. Diese Videos mit brutalen, teilweise
illegalen Inhalten auf den Handys von Kindern
verunsichern zunehmend Eltern, Kinder und Pädagogen. Maßnahmen, wie ein Handyverbot an
Schulen, reichen aber bei weitem nicht aus, um
diesem Problem effektiv begegnen zu können.
Aufgrund dieser Tatsachen hat sich die Kinderkommission des Deutschen Bundestages mit dem
Thema „Kinder und Medien“ auseinandergesetzt.
In den Mittelpunkt wurden dabei die Auswirkungen einer missbräuchlichen Handynutzung sowie
eines erhöhten Medienkonsums gestellt. Ebenfalls
thematisiert wurde die Frage, wie man am besten
die Problemfamilien erreichen kann. Nach
Expertenanhörung hat die Kinderkommission
zahlreiche Forderungen zu diesen Bereichen formuliert, die im Folgenden aufgezählt werden.
Der Ausgangspunkt für die Kinderkommission
waren folgende Erkenntnisse von eingeladenen
Experten:
• der einfachste und wirksamste Weg ist die Reduktion des Medienkonsums;
• trotz der bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen wie dem JugendmedienschutzStaatsvertrag der Länder oder dem Jugendschutz-Gesetz des Bundes bestehen enorme Defizite, um Kinder und Jugendliche vor den negativen Folgen der Medien wie Fernseher,
Internet oder Handys effektiv schützen zu können;
• in Deutschland gibt es kein anerkanntes
Jugendschutzprogramm für das Internet, das
einen sicheren Schutz der Kinder und Jugendlichen gewährleistet;
• Computerspiele oder jugendgefährdendes Material wie Gewaltvideos sind für die Jugendlichen einfach aus dem Netz zu besorgen,
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insbesondere auch aus dem Ausland;
• die technischen Vorkehrungen der Handys, die
den Erhalt dieser brutalen Videos unterbinden
könnten, sind häufig unzureichend;
• männliche Jugendliche spielen eher die brutalen Computerspiele, was sich dann unter Umständen in einem aggressiveren Verhalten bemerkbar machen kann;
• die Nutzungsintensität und -häufigkeit der jungen Mediennutzer korreliert mit deren Wissen
und schulischen Leistungen, das heißt, je mehr
man fernsieht, desto schlechter können die
Schulnoten ausfallen;
• psychologische Auswirkungen wie z. B. Schlafstörungen können bei denjenigen
Jugendlichen auftreten, die mit Snuff-Videos
oder Happy-Slapping-Filmen unmittelbar konfrontiert werden;
• weitere negative Auswirkungen sind z. B. gesundheitliche Folgeschäden wie Essstörungen
oder ein Hang zur Selbstüberschätzung;
• weitere wichtige Potentiale der Kinder und Jugendlichen gehen zudem verloren bzw. werden
nur ungenügend gefördert, Möglichkeiten zur
Entwicklung des persönlichen Vorstellungsvermögens werden eingeschränkt;
• Eltern, Erzieher und Pädagogen können häufig
die Handys der Kinder und Jugendlichen nicht
auf jugendgefährdende Inhalte überprüfen, da
ihnen hierzu oftmals ein Überblick über die
technischen Vorkehrungen der Handys fehlt;
• ein großes Gefahrenpotential geht vom
Internet aus – neben einer möglichen Abhängigkeit (Online -Sucht), ist dieses Medium am
wenigsten kontrollierbar, denn zukünftig können Kinder und Jugendliche vermutlich immer
und überall online sein, auch außerhalb des
Elternbereichs, was deren Kontrollmöglichkeiten
deutlich einschränkt;
• in Problemfamilien entwickelt sich der Fernseher als Ersatz für gemeinsame Freizeitaktivitäten oder Gesprächsrunden im Familienkreis, oftmals dient er lediglich dazu, das Familienleben „aufrechtzuerhalten“;
• neben einer schwach ausgeprägten Medienkompetenz, verfügen die Eltern dieser Familien
über ein unzureichendes Problembewusstsein
sowie über keine Risikoabschätzung über die
Folgen der falschen Mediennutzung, was die
Startchancen ihrer Kinder z. B. aufgrund
schlechter schulischer Leistungen stark einschränken kann;
• bestehende pädagogische Angebote und Maß-
Titelthema
nahmen werden häufig von den Problemfamilien als Eingriff in ihre Privatsphäre verstanden und daher abgelehnt;
• umstrittene Sendungen wie z. B. die „Super
Nanny“ werden von den Problemfamilien häufig gesehen.
Vor diesem Hintergrund und den aktuellen
Entwicklungen ergeben sich für die Kinderkommission Forderungen, die sich an unterschiedliche Bereiche und Adressaten richten:
Bereich der Gesetzgebung und institutioneller
Einrichtungen:
• während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
2007 sollten Regelungen und Maßnahmen zum
Schutz vor rechtswidrigen und sonstigen jugendgefährdenden Inhalten in den Netzen durch Vereinbarungen über internationale
Mindeststandards und Aktionsprogramme initiiert
werden;
• die rechtlichen Grundlagen im Bereich des
Jugendmedienschutzes sind hi nsichtlich ihrer
Wirksamkeit und Aktualität vom Gesetzgeber
zu überprüfen und ggf. zu novellieren;
• der Dialog mit den Bundesländern ist zu intensivieren, um folgende Eckpunkte zu beraten:
- über ein Verbot von sog. Killerspielen muss
nachgedacht werden
- die Altersgrenzen für die Freigabe von Filmen
und Spielen sowie die Alterskennzeichnung von
Computerspielen muss überprüft werden;
• die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
Schriften sollte sowohl technisch als auch personell adäquat ausgestattet werden, um konsequent und umfassend auf neue Herausforderungen im Bereich der neuen Medien reagieren
zu können;
• Kinder und Jugendliche benötigen eine vernünftige Tagesstruktur, daher sollten z. B.
Ganztagsschulen nachhaltig gefördert werden;
• auf die Gefahren und Konsequenzen einer
Spielsucht oder eines missbräuchlichen HandyUmgangs ist durch den Gesetzgeber und die
Spielindustrie mittels einer Aufklärungskampagne, die bis in die Kindergärten und
Schulen reichen sollte, gezielt aufmerksam zu
machen;
• über eine höhere Besteuerung von Computerspielen mit gewalthaltigem Charakter ist nachzudenken;
Bereich der Betreuung und Beratung:
• Beratungs- und Betreuungsangebote, die sich
an Eltern richten, sollten auf ihre Effektivität
überprüft und ggf. erweitert werden;
• sozialpädagogische und therapeutische Beratungs- und Betreuungsmaßnahmen sollten ge-
fördert werden, um Familien in ihren Bestrebungen, sich Medienkompetenz anzueignen, zu
unterstützen;
• Eltern-Coaching, gerade von Müttern aus
Problemfamilien, kann hier eine sinnvolle Alternative bieten;
• um die Effektivität dieser Maßnahmen zu erhöhen, sollte die Vernetzung von Elternhaus,
Schulen, Kinderbetreuungseinrichtungen, Bildungs- und Beratungseinrichtungen sowie der
Austausch von Medienschaffenden, Medienpädagogik
und Medienwissenschaft intensiviert werden;
• Beratungs- und Betreuungsangebote sollten
möglichst wohnortnah und im sozialen Umfeld
(z. B. in Arztpraxen oder Bäckereien) der betroffenen Familien zur Verfügung gestellt werden;
• die Vermittlung von Medienkompetenz sollte
möglichst früh beginnen, so könnten z. B. in
Schulen Medienarbeitsgruppen eingesetzt werden, in denen Kinder ganz praktisch den Umgang mit den Geräten lernen können;
• die Kontaktaufnahme bzw. die aufgenommene
Betreuung der Problemfamilien muss behutsam
und gezielt stattfinden, um eine ablehnende
Haltung dieser Familien gegenüber den Betreuern und Pädagogen zu verhindern;
• individuelle pädagogische Beratungsangebote
(z. B. Telefon-Hotlines) oder Internetangebote
sind zu begrüßen, denn sie können einen wirksamen Beitrag leisten, die Eltern in den
Problemfamilien besser anzusprechen;
• Informationsmaterialien sind zielgruppenorientiert anzubieten, beispielsweise an die Eltern in Form von DVD´s in Kliniken, Postern
oder „Junior-Tüten“;
• grundsätzlich sollten die Angebote
niederschwellig, mehrsprachig und elterngerecht ausgerichtet sein;
Bereich der Anbieter und Hersteller von Medien:
• der Zugriff auf jugendgefährdende
Internetseiten muss von den Anbietern durch
die Implementierung entsprechender technischer Standards stärker verhindert werden, wie
sie schon zum Teil von Suchmaschinen berücksichtigt werden, deren Anbieter eine entsprechende Vereinbarung mit der Bundesprüfstelle
haben;
• die Gerätehersteller von Handys und mobilen
Endgeräten sollten diese in einer kindersicheren
Grundkonfiguration ausliefern, bei der riskante,
beeinträchtigende und jugendgefährdende Angebote jeweils erst von befugten Personen freizuschalten sind;
• die Einrichtung einer „Elternhotline“ durch die
Mobilfunkanbieter kann dies unterstützen;
27
Titelthema
• die Mobilfunkanbieter sollten ihre Marketingstrategie dahingehend ändern,
dass Aspekte wie Jugendschutz oder Sicherheit
vor allem in das Blickfeld der Eltern gelangen, um
sie so schon vorab für diese Probleme sensibilisie-
ren zu können;
• die Bereitstellung der Informationsmaterialien
sollte durch Medienschaffende
gefördert werden.
Virtuelle und reale Lebenswelten verbinden
netzcheckers-Action-Tour 2007
Das Jugendportal
netzcheckers
.de war im
netzcheckers.de
Online Redakteur
Sommer 200
7 mit Multi2007
netzcheckers-Redaktion,
media-Spielaktionen
unterwegs
unterwegs.. Medienbildung
Bonn
für und mit Jugendlichen
br
aucht V
ermittler in der offenen Jugendarbraucht
Vermittler
beit.
Christian Herrmann
stützung benötigen. Sie brauchen direkte persönliche Ansprache. Jugendeinrichtungen eröffnet dies die Möglichkeit mit Hilfe von
netzcheckers.de mit einfachen Mitteln Medienbildung zu betreiben und eigene medienpädagogische Angebote zu gestalten.
Um diesen Gedanken in die
pädagogische Praxis zu tragen,
war netzcheckers.de mit der
„netzcheckers-Action-Tour
2007“ vom 11. Juni bis 31. Juli
exemplarisch in 15 Jugendeinrichtungen im Bundesgebiet
unterwegs.
Mit Multimedia-Spielaktionen
rund um das Jugendportal
wurde der Zusammenhang
zwischen jugendlichen Lebensund Medienwelten, Medienbildung und Medienpädagogik
vor Ort lebendig und mit hohem Spaßfaktor verdeutlicht.
Netzcheckers.de ist ein Jugendportal, das vom
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend gefördert wird. Über 19.000 registrierte Benutzerinnen und Benutzer zählt die
Community. Der Schwerpunkt des Portals liegt in
der Vermittlung der vielfältigen Möglichkeiten
des Internets. Im geschützten Raum der Community können Jugendliche Weblogs und Podcasts anlegen, Bilder in ihre Fotoalben laden, per
Cellcast1 Audiobotschaften erstellen und eigene
Klingeltöne und Handylogos generieren.
Die Redaktion des Portals diagnostiziert zwei Typen von Nutzerinnen und Nutzern: Diejenigen,
deren Bildungshintergrund es erlaubt, sich die
Möglichkeiten von netzcheckers.de ganz selbstverständlich zu erschließen, und diejenigen, die
in der Mediennutzung und –gestaltung Unter-
28
Die Tour führte durch
Moormerland an der Nordseeküste, Herzogsägmühle in Oberbayern, Remagen im äußersten
Westen und Elsterwerda in Brandenburg. Vertreten waren Großstädte wie Köln und Berlin, Städte wie Osnabrück und Eisenach und kleine Gemeinden wie Karlsfeld bei München und
Wathlingen bei Celle.
Partner vor Ort waren Jugendzentren in kommunaler, kirchlicher und freier Trägerschaft, in einem Fall auch eine Elterninitiative. Trotz der geringen Anzahl der Tourstationen kann die Auswahl der Einrichtungen als Querschnitt örtlicher
Jugendarbeit gesehen werden.
Die netzcheckers-Action-Tour hatte klare Ziele
und Zielgruppen:
Titelthema
-
-
-
Jugendlichen sollte in direktem Kontakt
das Portal und seine Möglichkeiten
nahe gebracht werden. Zugleich sollten
sie Anleitung und Hilfe bei komplexeren
Anwendungen wie Audio und Video erhalten. Nicht zuletzt sollten ihre
Freizeitinteressen erweitert werden.
Medienkritisches Verhalten sollte durch
eigene gestaltende Medienerfahrung
gestützt werden.
Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter sollten netzcheckers als Werkzeug für die tägliche pädagogische Praxis erfahren und nutzen lernen.
Örtliche Politik und Verwaltung sollten
netzcheckers kennen lernen, um das
Portal in ihre medienpädagogischen
Überlegungen und
jugendschützerischen Aufgaben integrieren zu können.
Aktionen zwischen virtuellen Welten und realem Erleben
Mit der Entwicklung und Konzeption der Spielideen wurde bereits im Herbst 2006 begonnen.
Vorgabe war, in eine Rahmenhandlung mit Zügen
eines Rollenspiels Workshop-Einheiten zu integrieren, in denen Jugendliche die neuen interaktiven Möglichkeiten des Internets kennen lernen
und erproben können.
Im Rahmen der Ausschreibung im März 2007
wurden den Jugendeinrichtungen drei Aktionen
zur Auswahl angeboten, zwei Aktionen wurden
für die endgültige Umsetzung ausgewählt.
Die Einrichtungen konnten entscheiden, ob sie
eine Ganztags- oder Halbtags-Variante der Spielaktion wünschten. Die Halbtags-Aktionen fanden
vorwiegend zu Anfang der Tour statt (6 mal), mit
dem Beginn der Sommerferien in den meisten
Bundesländern wurden vermehrt ganztägige Aktionen (9 mal) durchgeführt.
Mit der Gestaltung der Rollenspielelemente wurde bewusst an die Medienwelten von Jugendlichen angeknüpft. Mit „Agent 0815“ wurde das
Genre von Action- und Fantasy-Welten aufgegriffen, mit „Deine Stadt sucht den Multistar“
wurde auf populäre Casting-Shows angespielt.
Rahmenhandlung „Agent 0815“
Die Welt ist in Gefahr! Von Öffentlichkeit unbeobachtet planen dunkle Mächte die Menschheit
zu vernichten! Das Tor zur magischen Welt wurde wieder geöffnet und damit sind Wesen in diese Dimension zurückgekehrt, welche die Menschen nur noch aus Legenden und
Phantasyfilmen kennen.
Lediglich die Geheimdienste der Welt haben diese Entwicklung beobachtet und setzen ihren
besten Mann auf die Sache an: den Agenten
0815. Wirklich ihren besten Mann? Wohl kaum,
denn der Agent hat sich jahrelang mit fremden
Federn geschmückt und benötigt nun Hilfe. Die
kann nur von den teilnehmenden Jugendlichen
kommen.
Rahmenhandlung „Deine Stadt sucht den
Multistar“
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich
für die neue Staffel „Deine Stadt sucht den
Multistar“ beworben und werden in den Sender
eingeladen. Vor Ort angekommen, sollen sie die
letzten Vorbereitungen für die Final-Show treffen.
Als es dann an die Aufzeichnung der Show geht,
kommt es im Sender zur Katastrophe – sämtliche Schauspieler der Serie SZTZ (Schnulzige Zeiten/triefende Zeiten) liegen aufgrund des
schlechten Kantinenessens im Krankenhaus und
deshalb müssen nun die zukünftigen Multistars
in die Bresche springen.
Auf ihre Aufgaben eingestimmt wurden die
Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch das Action-Team, das in passender Verkleidung und unterstützt durch Video-Einspieler in die Spielgeschichte einführte.
In den jeweils zweistündigen Workshop-Einheiten entstanden in der Folge Handy-Klingeltöne
und –Logos, Audio- und Videobeiträge, digital
bearbeitet Fotocollagen und Cellcasts, mit deren
Hilfe die Spielhandlung vorangebracht und zum
glücklichen Ende gebracht werden konnte.
Großer Spaß für die Jugendlichen
Mit der netzcheckers-Action-Tour ist es gelungen, sozial- und bildungsbenachteiligte Jugendliche direkt anzusprechen und im Rahmen der
Aktionen zu Gestaltern der Inhalte auf
netzcheckers zu machen.
Bei der Anmeldung zu Beginn jeder Aktion wurde die Schulform abgefragt, Gymnasiasten bildeten hier eine Minderheit. Die überwiegende
Mehrheit besucht Förder-, Haupt- und Realschule, befindet sich in Ausbildung oder hat sich von
jeglicher Bildungs- und Ausbildungsaktivität
verabschiedet. Die von diesen Jugendlichen erstellten Inhalte dominierten über den gesamten
Tour-Zeitraum die Useraktivität auf dem Portal.
Dies ist auch nach Abschluss der Tour noch spürbar. Unterschiede in der Nutzung von
netzcheckers ließen sich bei der Tour nicht nach
Schulform differenzieren, wohl aber nach Altersgruppen.
29
Titelthema
Während der Tour wurde deutlich: Wenn
bildungsbenachteiligte Jugendliche Unterstützung bei der Nutzung des Portals und des
Internets erfahren, macht ihnen die Nutzung der
unterschiedlichen Tools genau soviel Spaß wie
anderen Jugendlichen. Sie kommen zu ebenso
kreativen Ergebnissen und sie sind stolz auf das,
was sie gestaltet haben. Das klingt auch nach
Ende der Tour noch nach. Bis zu 3.000 mal wurden einzelne Aktionsseiten monatlich auch nachträglich noch abgerufen. Jugendliche, Betreuerinnen und Betreuer zeigen Freundinnen und
Freunden, Kolleginnen und Kollegen mit nicht
nachlassender Begeisterung ihre Audio- und
Videodateien, Collagen, Klingeltöne und Handylogos.
284 Jugendliche wurden mit den Aktionen direkt
erreicht, erfreulicherweise fast genau soviel
Mädchen wie Jungen. Etwa 550 neue Userinnen
und User registrierten sich im Zeitraum der Action-Tour.
Stellvertretend für viele andere sagt
netzcheckerin „knoddel“ über die Action-Tour in
Lonsheim: „Hammer mäßig!! Das war echt geil!!!
Hat mir gut gefallen.“
Auf die Rückfrage, was ihr gefallen hat und ob es
auch Dinge gab, die sie kritisch sieht, schreibt
sie: „Positiv ist mir aufgefallen, dass das Team
sich immer wieder so verkleidet hat und dass
am Ende alle Multistar geworden sind.“
Netzcheckers gefällt ihr, „weil ich es allein oder
mit meinen Freunden so einrichten kann wie ich
es will. Ich kann dann meinen eigenen Chatroom
erstellen. Eigene Berichte schreiben … also da
alles machen was und wie ich es will. Außerdem
können dann da auch alle anderen ihre Meinung
zu z.B. Politik, Musik, … sagen und vielleicht
kuckt ja irgendjemand wichtiges irgendwann
mal rein und ändert was.“
Hohe Zufriedenheit in den Einrichtungen –
aber auch Grenzen werden deutlich
Die Einrichtungen, die sich an der Tour beteiligten, waren durch eigene Recherche oder funktionierende Netze gut informiert, konnten die von
netzcheckers.de angebotene Aktion einschätzen
und sich für sie begeistern. Sie waren oft mit
Räumen und technischem Equipment gut ausgestattet, verfügten bereits über einen Medienschwerpunkt oder nutzten die Action-Tour, um
einen solchen zu schaffen oder sich für die eigene Arbeit inspirieren zu lassen.
Trotz zurückhaltender Ausschreibung der Tour
meldeten sich etwa 30 Einrichtungen, die die
Tour gerne zu Gast gehabt hätten.
Netzcheckers.de fragte nach Ende der Tour mit
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einem Fragebogen die Zufriedenheit der Einrichtungen ab. Die Stellungnahmen waren durchweg
positiv bis überschwänglich.
Einige Beispiele:
Für die Einrichtung war es die erste Veranstaltung dieser Art und hat für Jugendliche sowie
für Betreuer einen bleibenden Eindruck hinterlassen, wie mit einfachster Technik effektive Ergebnisse schnell erzielt werden konnten. Da wir
gerade dabei sind, ein Subportal über Netzcheckers einzurichten war die Veranstaltung ein
guter Start, um auf diese Seite aufmerksam zu
machen und die einzelnen Tools kennen zu lernen. Sehr positiv zu werten war auch, dass wir
auf unsere Arbeit den Vertretern der Stadt gegenüber aufmerksam machen konnten. Die Veranstaltung war Motivation, die Medienarbeit
weiter auszubauen.
Die Aktion hat allen beteiligten Spaß gemacht
und war eine gelungene und nachhaltige Veranstaltung.
Martin Hahne, Eierclub, Eisenach
Uns hat besonders der partnerschaftliche Umgang mit Betreuern und Jugendlichen
gleichermaßen sehr gut gefallen. Die Jugendlichen nutzen die Internet-Seite auch jetzt noch,
soweit wir das beurteilen können. Der Spaßfaktor war extrem hoch, was sich alleine an der
wachsenden Teilnehmerzahl während der Veranstaltung zeigte und die Veranstaltung war von
der Struktur her gut auf unsere Jugendlichen zugeschnitten.
Beate Hartmann, Jugendhaus Karlsfeld
Durch die eingebrachte Dekoration wurden die
TeilnehmerInnen angeregt, sich auf etwas Neues
einzulassen. Die Veranstaltung wurde thematisch stringent durchgeführt, es wurde aber
auch problemlos flexibel auf die Interessen der
Teilnehmer eingegangen. Dies alles ist bei den
Jugendlichen gut angekommen, was man an ihrem Elan erkennen konnte. Sie haben die interaktiven Möglichkeiten, die Netzcheckers bietet,
erkannt und können sie kompetent anwenden.
Wir Betreuer haben neben einem Einblick in
Gimp gelernt, wie wichtig „Kleinigkeiten“ (Dekoration, Überreichung von Urkunden, Spieleinlagen, etc.) für die Gestaltung eines optimalen
Lernsettings sind. Zusätzlich haben wir erfahren,
wie wichtig Camouflage (Perücken, Stimmverzerrung etc) dafür ist, dass die Jugendlichen
in ihrer Mediengestaltung aus sich heraus gehen. Spaß hatten wir alle.
Stefan Apel, Forum Osnabrück
Titelthema
Besonders große Zustimmung fand das
netzcheckers-Action-Team in den Einrichtungen.
Gelobt wird die Kompetenz des Teams, seine Einsatzfreude, die hohe Flexibilität und die Bereitschaft auf Jugendliche zuzugehen und sie zu
motivieren.
Die Idee, medienpädagogische Elemente in eine
Rahmenhandlung zu packen, war toll und könnte so in vielen Einrichtungen kaum ohne externen Input realisiert werden. Die Lernerfolge für
die Jugendlichen waren sehr hoch, die Begeisterung für die Aktion und das Portal ebenso. Sehr
gut war die positive Haltung des Teams gegenüber den Jugendlichen, wodurch viele „mitgerissen“ werden konnten.
Daniel Seitz, Herzogsägmühle, Peiting
In der Auswertung wurden jedoch auch die
Grenzen des Möglichen deutlich.
Trotz der Begeisterungsfähigkeit der Einrichtungen gelang es manchen von ihnen nicht, die erforderliche Mindestteilnehmerzahl zu erreichen.
Weitere Einrichtungen konnten das geforderte
Mindestalter von 11 Jahren nicht einhalten.
Viele Einrichtungen sind inzwischen personell
und materiell so ausgedünnt, dass die Ressourcen
für die Arbeit mit „schwierigen“ Jugendlichen
nicht mehr vorhanden sind. Angebote werden
vielfach dort umgesetzt, wo sie auf Grund einer
„lenkbaren“ jüngeren Klientel Erfolg versprechen
und die Möglichkeiten der Einrichtung nicht
übersteigen.
Auch gibt es immer noch Vorbehalte gegenüber
Medienangeboten. Im Gegensatz zu den Erfahrungen früherer Jahre werden sie zwar als „sinnvoll“ und „wichtig“ erachtet, auch die Ausstattung der Einrichtungen hat sich in Bezug auf
Rechner, Internetzugang, Digitalkameras und
verfügbarer Software deutlich verbessert, die
Qualifizierung und Vernetzung von
Jugendarbeiterinnen und –arbeitern hat jedoch
nicht im selben Maße Schritt gehalten. Medienarbeit wird weiterhin als zusätzliche Aufgabe
verstanden, nicht als Querschnittsaufgabe und
Methode, die alle Bereiche der pädagogischen
Praxis umfasst. Oft sind die Medienangebote
Aufgabe desjenigen, der scheinbar dafür qualifiziert ist: Der Zivildienstleistende. Er betreut das
Netzwerk und macht Angebote in Sachen
„Homepage selber machen“. Die anderen Bildungs- und Freizeitangebote bleiben davon oft
unberührt.
Das neue Internet – Web 2.0 – gibt Jugendarbeiterinnen und Arbeitern jedoch viele einfache Mittel an die Hand. Die Homepage muss nie-
mand mehr selbst bauen, sie steht mit Weblogs
bei netzcheckers zur Verfügung. Audio- und
Videoangebote lassen sich als Podcast realisieren.
Das Mysterium des Handy-Klingeltons lässt sich
mit dem Handysound-Designer von netzcheckers
entzaubern. Der Bericht von der Jugendzentrums-Party kann auch als Cellcast generiert werden.
Jugendarbeiterinnen und –arbeiter können sich
damit auf ihre pädagogischen Kernkompetenzen
besinnen: Sie können per Weblog Beteiligungsprojekte initiieren, Nettiquette im netzcheckersChat einüben und per Fotoalbum den Sozialraum
von Jugendlichen erforschen und thematisieren.
Wem diese Lösung zu klein ist, kann ein eigenes
netzchecker-Subportal mit eigener Community
betreiben. Dabei kann ein mit zahlreichen interaktiven Modulen und einem komfortablen
Content Management System ausgestattetes
Softwarepaket mit einem eigenen Layout versehen werden. Wenige Klicks erlauben den Austausch von Inhalten mit dem „Mutterschiff“
netzcheckers.de.
Gestaltung und Administration eines Subportals
werden in Kooperation mit dem Studienzentrum
Josefstal geschult.
Als Folge der hohen Zufriedenheit mit der Action-Tour 2007 möchten alle beteiligten Einrichtungen den Kontakt mit netzcheckers.de halten.
Eine Mehrheit dieser Einrichtungen möchte ein
Subportal betreiben, einige haben bereits damit
begonnen. Die Redaktion von netzcheckers.de
verbindet damit auch die Hoffnung auf ein Netzwerk, in dem kreative Ideen für die pädagogische
Praxis entwickelt und umgesetzt werden können.
Das müssen nicht immer Aktionen mit großem
Aufwand sein. Netzcheckers.de initiiert daher
immer wieder kleinere Mitmach-Aktionen, die
Gegenstand von Medienangeboten vor Ort sein
können.
Alle Aktionen richten sich nicht nur an die Einrichtungen, die bereits jetzt Teil des wachsenden
medienpädagogischen Netzwerks rund um
netzcheckers.de sind. Wer sich beteiligen oder
Kontakt aufnehmen möchte, findet weiterführende Informationen unter www.jugend.info.
Christian Herrmann
1
Cellcast: Eine Audiodatei, die durch Anrufen einer Telefonnummer und Sprechen einer Nachricht erzeugt wird und auf einer Webseite als
mp3-Datei und Podcast unmittelbar zur Verfügung gestellt wird.
31
Titelthema
Geocaching
Spielerisch Medienkompetenz aufbauen
Daniel Seitz
Medienpädagoge im Fachbereich Kinder, Jugendliche und
Familien der Herzogsägmühle,
Peiting-Herzogsägmühle
Satellitengestützt und handygeführt entwickelt sich
Geocaching zu einer sehr
praxisnahen Methode, um
Erlebnisse in der Natur mit
Themen der Medien- und
Umweltpädagogik zu verknüpfen.
Geocaching?
Geocaching kann man als die moderne Form der
Schnitzeljagd bezeichnen. Ausgestattet mit einem
GPS-Empfänger und GPS-Daten, die man sich aus
dem Internet lädt, begibt man sich auf die Suche
nach versteckten Schätzen. Hat man den Schatz
gefunden, so darf man sich zur Belohnung etwas
aus der versteckten Box nehmen – gleichzeitig
lässt man auch etwas da, so geht das weltweite
Spiel immer weiter.
Mit Aufhebung der Verschlüsselung und der damit einhergehenden Genauigkeit des GPS-Signals
im Jahre 2000 wurde es möglich, Caches zu verstecken und die Genauigkeit des Ortes relativ
exakt anzugeben – damit entwickelte sich ein
weltweites Spiel, das, weitestgehend unbemerkt
vom Mainstream, mittlerweile mehr als 300.000
Verstecke, davon allein über 28.000 in Deutschland, hervor gebracht hat. Es gibt kaum eine Region in Deutschland, in der keine Schätze gefunden werden können.
Die Faszination des Geocaching
Die Faszination des Geocaching ist schwer in
Worte zu fassen, soll aber dennoch versucht werden.
Ein starker Anreiz ist, das man durchs Geocachen
an unglaublich tolle und spannende Orte gelotst
wird – es besteht unter den Geocachern ein
„Wettkampf“, die bisher vorhandenen Caches
oder Touren dorthin zu übertreffen – und so bemüht sich jeder, einen Cache an einer landschaftlich besonders attraktiven Stelle zu platzieren
oder Geocacher an so genannte „Lost Places“,
lange vergessene Stellen, wie z.B. stillgelegte
Bergwerke oder dergleichen zu führen. Auch
kann man sich über Caches unbekannte Städte
sehr gut erschließen, da mit der Schatzsuche
auch bestimmte Aufgaben verknüpft werden
können – so gibt es z.B. ganze Stadtrundgänge
mit Stationen an verschiedenen Sehenswürdigkeiten, an denen jeweils Fragen beanwortet werden, historische Tatsachen herausgefunden wer-
32
den müssen usw. - für Jugendliche eine völlig
neue Art, eine Stadt zu erkunden, die sie in hohem Maße beteiligt, fern von langweiligen Monologen eines Stadtführers.
Weiter übt die Tatsache, einem Hobby nachzugehen, von dem die meisten Menschen noch nie
etwas gehört haben, das sogar direkt vor ihren
Augen stattfindet, ohne das sie etwas ahnen, eine
besondere Faszination (nicht nur) auf Jugendliche
aus – in der Geocaching-Szene hat sich hier ein
Begriff heraus gebildet: analog zu Harry Potter,
wo die nicht-magische Welt als Muggel bezeichnet wird, werden Menschen, die von Geocaching
keine Ahnung haben, als Geomuggel bezeichnet –
ein durch Muggel unbemerktes Finden und
wieder Verstecken eines Caches bietet eine zusätzliche Herausforderung.
Die Bedeutung des Technik-Aspekts wird ebenfalls häufig von Jugendlichen hervor gehoben, so
das Jugendliche, die sich sonst kaum für „Wandern in der freien Natur“ erwärmen lassen, vor
lauter Technik-Faszination anfänglich gar nicht
bemerken, das sie eben dies tun – mit dem häufigen Effekt, das im Verlauf die Technik zunehmend
in den Hintergrund rückt und das Erlebnis in der
Gruppe stärker im Vordergrund steht. Auch fördert die GPS-Technik, die ein exaktes Bestimmen
der Position auf der Erde ermöglicht, eine stärkere Orientierung der Jugendlichen in ihrer Umgebung, und im übertragenen Sinne auch in Bezug
auf ihr Leben – dieser Effekt kann noch durch
Visualisierung, durch Tools wie beispielsweise
GoogleEarth, verstärkt werden.
Der Vorrat an „Themen-Caches“, die lokale/regionale Themen, wie Erdkunde-Phänomene (sogenannte Earth-Caches), bis hin zu Rätsel-Caches,
bestückt mit kognitiven Aufgaben, Mathe-Caches
usw., ist riesig. Je nach Lust und Laune der Adressaten kann hier auf eine Vielzahl an vorbereiteten
Spielen zurück gegriffen werden, wobei es natürlich nicht in jeder Region unbegrenzt viele Caches
gibt. Einen besonderen Reiz bieten auch NachtCaches, die eben nur in der Nacht, bestückt mit
Taschenlampen gefunden werden können.
Was braucht man zum Geocachen?
Am Spiel kann jeder weltweit teilnehmen, es wird
lediglich ein Internetzugang und ein GPS-Gerät
benötigt. Man meldet sich kostenlos bei einem
der Geocaching-Portale, wie z.B. geocaching.com
oder auch opencaching.de, der deutschsprachigen
Alternative zum weltweit größten Portal, an. Mit
Titelthema
diesem Account kann man eine Umkreisssuche
starten und bekommt eine Liste aller Caches in
der näheren Umgebung angezeigt. Ebenso ist es
natürlich möglich, Caches in einer bestimmten
Region oder Stadt anzeigen zu lassen, um z.B. in
einer Freizeit die Region kennen zu lernen.
Zu jedem Cache gibt es eine Beschreibung, mit
Angaben wie Koordinaten (die man dann ins
GPS-Gerät überträgt), ungefähre Dauer, Schwierigkeit des Geländes, Besonderheiten vor Ort,
besondere Ausstattung (es gibt Kletter-Caches,
Abseil-Caches, Tauch-Caches, manche sind nur
per Boot zu erreichen usw.). Ausserdem sind natürlich die Aufgaben beschrieben, die es zu lösen
gilt, um den Cache zu finden.
Die Gruppe berät sich, irgend wo hier muss der Cache sein
Hier, genauso wie beim gesamten Vorgang des
Geocachens ist ein hoher Grad an Beteiligung der
Jugendlichen möglich, gemeinsam können Caches
gesucht und beurteilt werden und man entscheidet sich als Gruppe für den Attraktivsten. Recherchieren im Internet, Bedienung einer OnlinePlattform, Beurteilung von Kommentaren anderer
Nutzer, sicheres Bewegen in einem Medium werden hier quasi nebenbei geschult.
Aktuell ist das GPS-Gerät noch die Zugangshürde,
damit Jugendliche selbständig cachen könnten.
Jedoch gehört dieses Thema durch die rasante
Entwicklung im Handy-Sektor bald der Vergangenheit an, erste Geräte mit eingebautem GPSEmpfänger sind schon auf dem Markt, in (sehr)
wenigen Jahren wird kein Handy mehr ohne GPSEmpfänger auf dem Markt sein.
Weiter etabliert sich geocachingspiel.de, ein vom
Autor initiiertes Wiki für Geocaching als erlebnisund medienpädagogische Methode – eine Anlaufstelle für (Medien-)Pädagogen, Lehrer und
Sozialarbeiter zum Thema.
Ausserdem bietet netzcheckers.de, das Jugendportal zum Mitmachen des BMFSFJ, kostenlose
Spielaktionen und Informationen für Jugendeinrichtungen an.
Das Studienzentrum für evangelische Jugendarbeit in Josefstal bietet im Oktober eine Fortbildung zum Thema an, bei Bedarf kann diese
nächstes Jahr wiederholt werden.
In Herzogsägmühle gibt es ebenfalls Tagesfortbildungen zum Thema.
Ausblick
Geocaching ist eine sehr gute Methode, um
spielerisch Medienkompetenz im Umgang
mit dem Internet und GPS aufzubauen. In
eigens konzipierten Spielen können beliebige Themenkomplexe in einer einfachen
Spielhandlung behandelt werden, um so ein
hohes Maß an Beteiligung der Adressaten zu
erreichen.
GPS ist eine Zukunftstechnologie, die in
verschiedenste Bereiche unseres Lebens vordringen wird. Internet-Dienste werden zunehmend lokalisiert, Kartendienste wie
GoogleMaps weisen uns auf die nächstgelegene Tankstelle ebenso wie auf Restaurants und kulturelle Veranstaltungen hin – mit
mobiler Internetnutzung und GPS im Handy wird
dieser Bereich zunehmend ausgebaut werden.
Veranstaltungen werden nicht mehr mit Adresse,
sondern mit Geotags und Koordinaten, beworben
werden.
Geocaching kann heute schon eine gute Vorbereitung auf diese mögliche Entwicklung sein, neben viel Spaß und einem sehr sinnvollen Instrument aktiver Freizeitgestaltung.
Autor:
Daniel Seitz
Medienpädagoge im Fachbereich Kinder, Jugendliche und Familien der Herzogsägmühle
Von-Kahl-Strasse 4
86971 Peiting-Herzogsägmühle
[email protected]
08861/219-340
Einstieg ins Geocachen
Abgesehen von der Anschaffung eines GPS-Geräts sind die Einstiegshürden ins Thema sehr gering. Eine Vielzahl an Informations- und Austauschplattformen zum Thema Geocaching haben
sich etabliert, so z.B. geocaching.de, eine Einstiegsseite der Deutschen Wanderjugend, auf der
man alle relevanten Informationen findet, um
beginnen zu können.
33
Titelthema
Faszinierende Medienwelt
Zur Medienkompetenz von Kindern
Bundesministerium für
Familie, Senior
en, Fr
auen
Senioren,
Frauen
und Jugend,
Berlin
Junge Menschen wachsen
heute ganz selbstverständlich
mit einer unüberschaubaren
Vielfalt an Medien auf, eine
faszinierende, rasante Entwicklung. „Dran bleiben“
heißt es da in Schule und Jugendarbeit, im Kindergarten, in den Erziehungseinrichtungen der
Jugendhilfe, aber auch in den Medien selbst. „Anleitung zu einem (selbst)bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit Medien“ ist daher
die Herausforderung in vielen Bereichen.
Sowohl Eltern als auch ErzieherInnen müssen sich
immer wieder mit dem Thema „Medien“ auseinandersetzen: „Wie lange soll/darf mein Kind fernsehen?“, „Welche Computerspiele sind für mein
Kind geeignet?“, „Was tun, wenn mein Kind stundenlang vor dem Computer hockt?“, “ Wie kann
ich den Umgang im Internet überprüfen“, uvm.
Gegen Klassiker wie die Sesamstraße, Löwenzahn
oder die Sendung mit der Maus, aber auch neue
Formate wie den knuddeligen Baumeister Bob, ist
pädagogisch nichts einzuwenden - das wissen Eltern. Aber wissen sie auch warum? Was macht
eine Fernsehsendung oder einen Kinofilm eigentlich pädagogisch wertvoll?
Die Erwartungen an Film und Fernsehen sind hoch:
Es muss unterhaltend sein, aber auch lehrreich. Pädagogisch wertvoll eben, meinen Eltern. So wie die
Lach- und Sachgeschichten mit der Maus und dem
Elefanten, die nicht nur Spaß vermitteln, sondern
auch die Neugier und den Wissensdurst der Kinder
stillen. Fernsehen soll Kindern helfen, die Welt zu
begreifen, aber natürlich auch unterhalten. Damit
sich die kleinen Zuschauer auch angesprochen fühlen, müssen die Film- und Fernsehgeschichten
„kindliche Bedürfnisse“ aufgreifen, sagen Medienpädagogen. Das gilt für Animationsserien
gleichermaßen wie für Spielfilme. Je näher das Thema an der Lebenssituation des Kindes ist, desto
eher wird der Film das Kind erreichen.
Medienhelden als Identifikationsfigur
en
Identifikationsfiguren
Kinder brauchen also Anknüpfungspunkte zu ihrem alltäglichen Leben. Themen wie das Großwerden, die Auseinandersetzung mit dem Geschlecht oder auch der alltägliche „Kampf“ Klein
gegen Groß, spielen im Kindesalter eine wichtige
Rolle. Oft sind es die Medienhelden, mit denen
sich Kinder identifizieren, denn sie sind Projektionsfläche für eigene Wünsche und Ängste.
Fernsehhelden verkörpern Mut, List, Stärke und
Fantasie, sagt Dr. Jan Uwe Rogge, Medien-
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pädagoge und Autor des Ratgebers „Kinder können fernsehen“.
Kinder müssen ihr
e Alltagserfahrungen in den
ihre
Filmen wiederfinden
Kinder finden in ihren Helden das wieder, was der
Alltag nur in Grenzen zulässt. Das lässt sich
besonders gut am Beispiel der altbekannten
Zeichentrickserie Tom und Jerry erklären, die Kinder noch heute begeistert. Die kleine Maus Jerry
gegen den großen Kater Tom - diesen Kleinkrieg
finden Kinder amüsant und kennen ihn nur zu
gut aus ihrem Alltag, wenn sie sich mal wieder
gegen Mama, Papa oder den großen Bruder
durchsetzen müssen. Oder der kleine Wikinger
Wicki, der seinem Vater Halvar immer wieder beweist, wie pfiffig er ist. In vielen Zeichentrickfilmen kämpft Klein gegen Groß oder auch Gut gegen Böse und am Ende des Tages geht der Kleine
immer als Sieger hervor. Das finden Kinder toll.
Auch wenn der Kampf zwischen den Komikhelden, wie z.B. bei Tom und Jerry, nicht gerade
harmlos verläuft, sind „Gewaltdarstellungen“ in
Animationsfilmen klar als Fiktion erkennbar, die
Kinder leicht verdauen können. Realistische Darstellungen von Brutalität und Gewalt, mit deutlichen Folgen für das „Opfer“, können bei Kindern
hingegen Ängste und Verunsicherung auslösen.
Ein Happy End ist wichtig
Kinder reagieren oft sensibel auf Spannungen, die
nur dann erträglich sind, wenn es auch immer
wieder Phasen der Entspannung gibt. Dazu gehört auch das Happy End. Ein offenes Ende, das
viele ungeklärte Fragen hinterlässt, tragen Kinder
meist noch lange mit sich herum. Vor allem Filmgeschehnisse, die das Kind beängstigen können,
wie zum Beispiel die Bedrohung einer Filmfigur,
müssen sich am Ende „zum Guten“ wenden. Auch
ein logischer und einfacher Aufbau der Geschichte, sowie eine überschaubare Anzahl an Figuren,
sind wichtige Elemente in der Dramaturgie von
Kinderfilmen. Nur wenn Kinder verstehen, was sie
sehen, können sie sich mit den Inhalten auseinandersetzen. Kein Wunder also, dass Animationsfilme auf der Hitliste der Kinder ganz oben stehen. Sie greifen das auf, was die Kleinen begeistert: Pfiffige Figuren, die mit Witz und Geschick
kleine Schwierigkeiten meistern. Die Handlungsabläufe sind leicht zu verstehen und die Wechsel
aus spannenden Szenen und Entspannungsmomenten für Kinder angenehm. Pädagogisch
wertvoll eben!
Aufwachsen
begleiten
Titelthema
Tipps zum Medienkonsum von Kindern
Im Rahmen der Kampagne „SCHAU HIN!“ - Was
deine Kinder machen.“ gibt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend in Zusammenarbeit mit dem ZDF-online
Tipps zur Medienerziehung, bezogen auf die Bereiche „Fernsehen“, „Internet“, „Computerspiele“,
„Lesen“ und „Handy“.
In „50 Fragen und 50 Antworten“ werden Ratschläge u. a. zu folgenden Fragen gegeben: Wie
lange dürfen Kinder fernsehen? Wie gefährlich
sind gewalthaltige Computerspiele? Wie können
Eltern ihren Kindern einen bewussten Umgang
mit dem Internet vermitteln? Familien sollen
dadurch Anregungen für einen bewussten Umgang mit den Medien bekommen.
Die Kampagne SCHAU HIN! gibt Eltern praktische
Orientierungshilfen zur Mediennutzung und erziehung und fördert den Dialog zwischen Eltern
und Kindern. An der Aktion beteiligen sich neben
dem ZDF und dem Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend, die ARD, die Programmzeitschrift TV Spielfilm und das
Telekommunikationsunternehmen Arcor.
Aktion Jugendschutz
Das Projekt ELTERNTALK der Aktion Jugendschutz
Bayern geht neue Wege in der Elternbildungsarbeit. So laden hier Eltern andere Eltern ein, um
im privaten Rahmen über die Mediennutzung ihrer Kinder zu sprechen. Die Eltern werden von ge-
schulten Moderatorinnen und Moderatoren begleitet. Dieses Projekt gibt es mittlerweile bereits
in 20 Regionen in Bayern. Die bisherigen Ergebnisse belegen eindeutig, dass bei den Eltern ein
großer Bedarf besteht, sich über die Mediennutzung ihrer Kinder auszutauschen sowie in
„elterngeleiteten Fachgesprächen“ konkrete Tipps
für den Erziehungsalltag zu erhalten.
Die Mediennutzung steht in der Freizeitbeschäftigung von Kindern und Jugendlichen an
erster Stelle. Der passive Fernsehkonsum aber
auch der aktive Mediengebrauch durch Computer- und Multimedianutzung ist als zunehmende
Tendenz erkennbar. Informative, kommunikative
unterhaltungs- und bildungsrelevante Angebote
und Möglichkeiten in und durch die Medien faszinieren Kinder und Jugendliche und eröffnen ihnen vielfältige Möglichkeiten. Daneben gibt es
jedoch auch zahlreiche Offerten, die für Kinderund Jugendliche als problematisch oder gar kriminell bewertet werden müssen, wie z.B. Kinderpornographie, extreme Gewaltdarstellungen oder
Gewaltverherrlichungen.
Schwerpunkt der Arbeit der Aktion Jugendschutz
im Bereich Medienpädagogik und Jugendmedienschutz ist: Kinder, Jugendliche, Eltern und pädagogische Fachkräfte in Schule und außerschulischen Einrichtungen über positive und/oder
problematische Entwicklungen und Auswirkungen
zu den verschiedenen Medienbereichen zu informieren, zu beraten und Hilfestellungen zu geben.
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Aus dem Verband
Geld nur für Hilfe die wirkt
Gemeinsamer Fachtag mit dem LVKE
Am 4. Mai diesen Jahres fand der gemeinsame
Fachtagung mit dem Landesverband der katholischen Einrichtungen und Dienste in München
statt. Die Tagung stand unter dem provokanten
Titel: Geld nur für Hilfe die wirkt. Im Mittelpunkt des fachlichen Diskurses, der unter der
Mitwirkung von Dr. Klaus Schulenburg vom
Bayerischen Landkreistag und Frau Isabella Gold,
Leiterin des Referats VI Jugendpolitik / Jugendhilfe im Bayerischen Staatsministerium für Arbeit
und Sozialordnung stattfand, stand die Auseinandersetzung mit der Fragestellung ob und vor allem wie die Wirkung erzieherischer Hilfen gemessen werden kann.
In seiner Begrüßung, ging der Vorsitzende des
EEV Bayerns der Frage nach ob man aus dem
Gleichnis des barmherzigen Samariters (“Des anderen Tages zog er heraus zwei Silbergroschen
und gab sie dem Wirt und sprach zu ihm: Pflege
sein, und so du was mehr wirst dartun, will ich’s
dir bezahlen wenn ich wieder komme.“) ein quasi
theologisch legitimiertes, ohne nach der Wirkung
fragendes biblisches Selbstkostendeckungsprinzip
ableiten könne.
Den über 100 Fachleuten der öffentlichen und
freien Jugendhilfe präsentierten zunächst Prof.
Dr. Michael Masceneare (Institut für Kinder und
Jugendhilfe in Mainz) und Dr. Harald Tornow (e/l/
s-Institut, Wülfrath und Mitglied des EREV Bundesvorstandes) Ergebnisse ihre Untersuchungen.
Prof. Dr. Mascenaere stellte ausgewählte Befunde
aus einer EVAS-Sonderauswertung vor, die
bayerische Tagesgruppen nicht-bayerischen gegenüberstellt. Danach zeigen bayerische HPT‚s
eine erheblich höhere Effektivität; es gelingt ihnen während des Hilfeverlaufes in erheblichen
Maße die Ressourcen der Klienten zu steigern, die
Defizite zu reduzieren und damit insgesamt eine
hohe Effektstärke zu erreichen.
Im Fokus der Untersuchung von Dr. Tornow steht
die Fragestellung wie die Wirkung von Hilfen zur
Erziehung beurteilt werden kann. Zwei seiner
Thesen seinen hier exemplarisch genannt:
erfahrungen und handhabbare, wissenschaftlich
fundierte Messinstrumente.
2.
Die Ergebnisqualität (Effektivität, Nutzwert und
Zufriedenheit der Adressaten) spielt in der
Qualitätsentwicklung der Jugendhilfe nicht die
Rolle die ihr eigentlich zukommen sollte.
Dr. Klaus Schulenburg brachte die Position der
öffentlichen Jugendhilfe ein.Dabei machte er
deutlich, dass auch die Verantwortlichen in der
öffentlichen Jugendhilfe dem permanenten
Spannungsfeld zwischen Fachlichkeit und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit der leistungsgewährenden Kommune ausgesetzt sind.
In der sich anschließenden Podiumsdiskussion
wurden die sowohl die konträren, wie auch verbindenden Positionen deutlich. Klar wurde
einerseits, dass sich Wirkungsorientierung /
Wirkungsmessung auf die Bewertung der
Prozessqualität beziehen muss. Die Suche nach
der Wirkung so Dr. Tornow erinnert ihn immer ein
wenig an die Suche nach der Wahrheit.
Budgetierung als ausschließliches Steuerungsinstrument erzieherischer Hilfen ist aus Sicht des
EEV Bayern deshalb problematisch, weil darin die
Gefahr besteht individuelle Hilfsansprüche ausschließlich nach Kassenlage zu bewerten. Wer
heute die Jugendhilfe nach Kassenlage betreibt,
der muss auch morgen bereit sein, für diese Menschen weiterhin Transferleistungen zu bezahlen –
und der muss heute sagen wo er morgen hierfür
das Geld hernimmt, so der Vorsitzende des EEV
Bayerns.
Deutlich wurde: der begonnen, gemeinsame Diskurs ist notwendig. Die Arbeit für junge Menschen und ihre Familien in den Erziehungshilfen
stetig zu verbessern, war das Anliegen der Fachtagung. „Dies ist sowohl ein Schritt der Anpassung und Weiterentwicklung der erzieherischen
Hilfen“, wie der 1. Vorsitzende des LvkE, Herr Prälat Grimme in seinem Schlusswort betonte.
Christian Oerthel
1.
Eine wissenschaftlich fundierte Darstellung der
Wirkung von Hilfen zur Erziehung ist möglich.
Dazu gibt es eine Reihe von Evaluations-
36
Aus dem Verband
Fachbeirat neu konstituiert.
Entsprechend der Diskussionen um die Ausgestaltung der Gremien des EEV Bayerns hat sich der
Fachbeirat neu konstituiert. Im Fachbeirat spiegelt sich die regionale Gliederung des Verbandes
und seiner Mitgliedseinrichtungen. Die Fachausschüsse übernehmen Aufgaben die sich aus der
Struktur und Satzung des Verbandes ergeben.
Darüber hinaus beraten die Mitglieder des Fachbeirates den Vorstand.
Dem Fachbeirat gehören an:
Der erweiterter Vorstand:
- Sabine Baumgarten, Ansbach
- Christian Oerthel, Rummelsberg
- Günter Schmidt, Feuchtwangen
- Bernhard Zapf, DW Bayern
Die Sprecher der Regionalgruppen:
- Martin Bügler – Regionalgruppe Süd; Traunreut
- Helmut Raithel – Regionalgruppe Nord;
Bayreuth
- Hans Schenker – Regionalgruppe Mitte;
Rummelsberg
Die SprecherInnen der Fachausschüsse
- Peter Bohn – Fachausschuss Fortbildung,
Schweinfurt
- Barbara Jekeli – Fachausschuss Öffentlichkeitsarbeit; Augsburg
und der Vertreter im Fachbeirat des EREV Kai Garben; München
Darüber hinaus hat der Fachbeirat auf Vorschlag
des Vorstandes die Gründung eines interdisziplinären Fachausschusses Fachdienste beschlossen.
Fachbeirat und Vorstand verfolgen damit folgende Zielsetzungen:
1. fachdienstliche Leistungen im Kontext der
Weiterentwicklung erzieherischer Hilfen
2. Förderung der interdisziplinären Zusammenarbeit
3. gemeinsame Planung und Durchführung von
Fachtagungen und Fachveranstaltungen
Aus dem Fachbeirat ausgeschieden sind Herr Prof.
Gunter Adams (AK: geschlossene Unterbringung)
und Herr Richard Schirmer (Arbeitsgemeinschaft
Psychologen) und Dietmar Geuthner (Fortbildung). Wir danken Herrn Adams, und Herrn
Schirmer auch auf diesem Wege nochmals recht
herzlich für die langjährige, ehrenamtliche Tätigkeit im Verband.
Christian Oerthel
Sozialberatung - Brief an einen Kollegen
Lieber E.,
ich danke Dir für die aufschlussreiche Plauderei
über Freud und Leid eines Heimleiters in unserer
Zeit, die sich am Rande der Tagung ergab. Also ergeht es Dir auch nicht besser als mir. Das beruhigt
mich. Natürlich bewältigt jeder auf seine Weise den
Alltag des Dienstes, Aber da gibt es auch eine Frage, die jeden Heimleiter mehr, als ihm vielleicht lieb
ist, zu beschäftigen scheint, ohne sie befriedigend
beantworten zu können, die Frage nämlich: Wie
gelingt es mir, die Einrichtung unter den schwierigen gegenwärtigen Bedingungen so zu führen, dass
sie überlebt? Die Angst vorm Scheitern kennen alle
Kollegenlnnen, die ich darauf ansprach. Auch ich
bin nicht frei davon. Ich schilderte Dir, was mich
bewegt und besorgt seit langem. Umgekehrt freute
ich mich über die Offenheit, mit der Du zugabst,
was Dich selber umtreibt. Vor allem berührte mich
Deine Sorge, über kurz oder lang dem Konkurrenz-
druck nicht mehr standhalten zu können vielleicht auch nicht zu wollen.
Unsere Unterredung beschäftigte mich übrigens bis
in den Schlaf hinein, Vergangene Nacht hatte ich
folgenden (Alp) Traum, den ich Dir nicht vorenthalten möchte:
Die seit Jahren schon rückläufige Belegung des
Heimes drohte vollends einzubrechen. Von den
Kostenträgern wurden nur noch wenige Plätze
nachgefragt. Dazu stand die eine oder andere
ungeplante Entlassung an. Auch zum Schuljahresende würden zahlreiche Jugendliche das Heim
verlassen - und es bestand wenig Aussicht auf
Ersatz. Das Szenario, das sich da ankündigte,
musste beunruhigen. Es half nichts; Ich informierte
meine Vorgesetzten während einer Sitzung
über die Misslichkeit unserer Lage. Ratlosigkeit
allenthalben.
37
Aus dem Verband
Da meldete sich plötzlich ein Mann zu Wort, der
mir unbegreiflicherweise bislang nicht aufgefallen
war. Ich kannte ihn nicht. Er wirkte selbstbewusst,
optimistisch und strahlte jene unwiderstehliche Zuversicht aus, die uns wie ein lauter Vorwurf erschien.
Mit ernster Miene blickte er in die Runde, bevor er
zu sprechen begann: „Meine Herren, ich will einmal
wohlwollend unterstellen, dass Sie alles getan haben, um das Desaster abzuwenden, das sich, vor
geraumer Zeit schon, abzuzeichnen begann. Offenkundig mit mäßigem Erfolg, wie man,
bedauerlicherweise, sehen könne. Eine glückliche
Wendung der Dinge aus eigener Kraft scheint unwahrscheinlich, um nicht zu sagen; ausgeschlossen
zu sein. So kann es nicht weitergehen. Daher schlage ich vor, Hilfe und Beistand einzuholen und einen Sozialberater bis auf weiteres mit der Führung
der Geschäfte zu beauftragen, bis die Krise beigelegt ist, in der Sie stecken.“
Eingeschüchtert von seinen Worten, die er mit einer Stimme von großer Autorität vorbrachte und
mit energischen Gesten wirkungsvoll unterstützte,
wagten wir nicht, zu widersprechen. Und schon
benannte er auch einen geeigneten Kandidaten,
bestens ausgewiesen durch beeindruckende Erfolge in der Beratung und Führung von sozialen Institutionen, die, wie wir, am Abgrund stünden. Unverzüglich könne er mit der Heilung des todkranken Patienten beginnen. Der Retter nämlich sei - er
selber, haha.,.
Ich erschrak ziemlich, als ich das hörte, hatte aber
nicht den Hauch einer Chance zu protestieren;
vielleicht auch nicht den Mut dazu. Als er begann,
die Grundlinien seiner Agenda vorzutragen ( ich erinnere nur noch einzelne Worte wie: „professionellere Unternehmens- und Marktstrategie offensiveres Konkurrenzverhalten sozialpädagogische Sentimentalitäten verabschieden“); wachte ich auf - ein
wenig um mich schlagend, wie ich bemerkte -: als
müsse ich mich eines Angreifers erwehren.
Lieber E., ein lächerlicher Traum nur, gewiss..
Entgegen dem, was er suggeriert, wäre es
freilich unsinnig, Sozialberater zu dämonisieren.
Das hindert mich aber nicht, Nutzen und Nachteil
ihres Wirkens kritisch abzuwägen,
Berater nähren zweifellos den modischen Irrglauben, es sei möglich, Schieflagen jedweder Art zu
begradigen - die richtige Einstellung und Wahl
der effektivsten Methoden und Strategien vorausgesetzt. Im Grunde gelte es, die Dinge nur geschickt zu „händeln“, wie es im Jargon heißt, um
erfolgreich zu sein. Wenn man so will, ist dies die
Grundprämisse ihres Selbstverständnisses und
Leitmaxime ihres Handelns. Wer verpflichtet
schon einen Berater, der sich getraut, die Erfolgsaussichten seines Tuns skeptisch zu beurteilen?
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Propagandisten des Positiven Denkens schreiben
das Versagen ihrer Rezeptologie gewöhnlich nicht
dieser selbst zu, sondern dem Mangel an Willensstärke derer, die sie anwenden. Wer Misserfolg hat,
ist selber schuld. Anders beim Erfolg: der wird als
Triumph der Methode verbucht. So ähnlich ist’s
auch mit den Beratern - sehr polemisch gesagt.
Wie auch immer: Ich denke, wir sind uns einig, dass
Wohl und Wehe einer sozialen Institution wie der,
die wir leiten, mehr als von Beratern vom politischen Kontext abhängt, der den Raum der Selbstentfaltung gewöhnlich in einem viel höheren Maße
begrenzt als vermeintliche oder tatsächliche Theoriedefizite. Es ist ärgerlich, dass von den
(sozial)politischen Aspekten unserer Arbeit noch
viel zu wenig gesprochen wird vielleicht auch, weil
man meint oder sich hat einreden lassen, die politische Aktion könne durch technologisches Knowhow ersetzt werden. Ein Irrtum.
Ich bitte Dich, mir nachzusehen, dass ich Dir solch
elementare Hinsichten vortrage, als handle es sieh
um unerhörte Neuigkeiten. Aber auch simple Erkenntnisse haben ja gelegentlich Wert und Wirkung.
Jedenfalls: Lassen wir uns nicht mystifizieren und
bleiben wir widerborstig, wo man uns zumutet, auf
Wissen, Praxis-Erfahrung und eigenes Urteil zu verzichten - zugunsten jemandes, der glaubt, uns die
Welt und wie es in ihr zugeht, erklären zu müssen.
Das klingt hochmütig und arrogant? Meinetwegen.
Jedenfalls macht es gelassen und hindert einen
schon aus Prinzip daran, wie Du darüber nachzudenken, den Bettel ins Korn zu werten.
Es grüßt Dich
Gerhard Zimmermann, Diplom-Pädagoge, Gesamtleiter der Jugend- und Behindertenhilfe
Oberlauringen
Aus dem Verband
Entwicklung und Umsetzung des Rahmenvertrags nach § 78 f SGB VIII
Vor wenigen Wochen wurde der Rahmenvertrag
nach dem § 78 a SGB VIII fortgeschrieben. Damit wurde nach langen Jahren erstmalig die gemeinsame Grundlage zur Verhandlung von Entgelten den Entwicklungen, die – vor allem bedingt durch die Einführung des TVöD - angepasst. Mit den nachfolgend dargestellten Ausführungen soll die Entwicklung des Rahmenvertrags in den wesentlichen Zügen nachgezeichnet sowie über den Verlauf und die Probleme im Verhandlungskontext informiert werden.
Das Kinder- und Jugendhilfegesetz SGB VIII wurde zum 1.1. 1991 in Kraft gesetzt. Am01. 01.
1999 wurden die §§ 78 a bis 78 g SGB VIII als
neue Entgeltregelung in der Kinder- und Jugendhilfe eingeführt. Die Paragraphen dieses
dritten Abschnitts im Kapitel V enthalten die
Vorgaben zur Regelung von Vereinbarungen über
Leistungsangebote, Entgelte und Qualitätsentwicklung“
Damit wurden die bis dahin geltenden Regelungen aufgehoben, die der Begrenzung der Entgelte für die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe dienten (in der Zeit zwischen dem 1.1.1996
bis 31.12.1998 durften die Entgelte nur um je 1
Prozent angehoben werden). Dies diente der Kostendämpfung bei den Trägern der öffentlichen
Jugendfürsorge. Vor dieser Deckelungsphase galt
in Bayern die Pflegesatzvereinbarung von 1983,
der entsprechend die Entgelte für Jugendhilfeeinrichtungen in den sieben Bezirksentgeltkommissionen vereinbart wurden.
Nach der Gesetzesänderung wurde auf Länderebene die Arbeit an Rahmenverträgen mit
durchaus unterschiedlichem Ergebnis aufgenommen. In Bayern machten die kommunalen
Spitzenverbände und die Trägerverbände der
Einrichtungen ebenfalls von den neuen Möglichkeiten zur Gestaltung eins Rahmenvertrages Gebrauch: Sie haben zunächst eine Vereinbarung
über die Bildung von vier regionalen Kommissionen zur Vereinbarung der Entgelte gemäß § 78 e
SGB VIII geschlossen und einen Rahmenvertrag
nach § 78 f SGB VII über die Inhalte der maßgeblichen Vereinbarungen entwickelt.
Das Verhandlungsergebnis für diesen Rahmenvertrag, der nach langwierigen und schwierigen
Verhandlungen vorgelegt wurde, war anfangs
zwischen den Wohlfahrtsverbänden und auch in-
nerhalb der Spitzenverbände und zugehörenden
Einrichtungsträgern umstritten. Trotz intensiver
Bemühungen alle Aspekte der Praxis aufzunehmen und über die Verhandlungsgrundlagen und
Positionen zu informieren, war es nicht möglich,
alle Wünsche in den Verhandlungen durchzusetzen. So war es nicht verwunderlich, dass das Ergebnis sehr kontrovers diskutiert wurde. Strittige
Punkte waren vor allem die zu Grunde zu legende Auslastungsquote bei der Entgeltermittlung
(also die Anzahl der Berechnungstage); die dabei
vorgenommene Differenzierung nach der Platzzahl sowie die Regelung des Abwesenheitsentgelts und die Festlegung des Betrages für die
individuelle Betreuungspauschale.
Daher wurde der Rahmenvertrag zunächst nicht
geschlossen von allen Verbänden der Wohlfahrtspflege unterzeichnet, sondern anfangs nur
von Caritas und Diakonie. Nachdem sich abzeichnete, dass die den anderen Verbänden angehörenden Träger ebenso nach den Regelungen des
Rahmenvertrages behandelt werden, unterzeichneten nun doch alle übrigen Spitzenverbände
der freien Wohlfahrtspflege. Aus Protest traten Unterzeichnung des Rahmenvertrages traten einzelne Träger, insbesondere Mitglieder des Paritätischen, des BRK und der AWO, aber auch einzelne Mitglieder des Diakonischen Werkes aus ihrer
örtlich zuständigen Regionalkommission aus.
Zwischenzeitlich sind alle Träger den Regionalkommissionen wieder beigetreten, da die örtlich
zuständigen Jugendämter auch bei Trägern ohne
Mitgliedschaft in einer Regionalkommission die
Geschäftsstellen der Kommissionen mit der Verhandlung der Entgelte beauftragten und zum
anderen von den kommunalen Spitzenverbänden
die ernsthafte Drohung im Raum stand,
andernfalls den Rahmenvertrag zu kündigen.
In den Jahren 2001 und 2002 fanden für die
meisten Einrichtungen die ersten Entgeltverhandlungen auf der Basis des neuen Rahmenvertrages statt. Nach der langen Phase der
Deckelung kam es zu verhältnismäßig hohen
durchschnittlichen Entgeltsteigerungen. Herr
Hertlein, der damalige Verhandlungsführer für
die kommunalen Spitzenverbände, beziffert in
seiner Publikation vom November 2001 die
Entgeltsteigerungen mit durchschnittlich 6 bis
13 %., Herr Beck, der damalige Geschäftsführer
der Regionalkommission Schwaben, nannte bei
39
Aus dem Verband
der Informationsveranstaltung des Diakonischen
Werkes Bayern im April 2002 eine durchschnittliche Steigerungsrate von 10 % in Bayern.
Im Jahr 2002 nahm die Verhandlungskommission
Jugendhilfe ihre Verhandlungen wieder auf. Ziel
der Einrichtungsträgerverbände war es, zu verbesserten Regelungen bei der Zahl der
Berechnungstage zu kommen. Erreicht werden
sollte, einheitlich für alle Einrichtungen 337 Tage
zu erreichen, und verbesserte Regelungen bei
dem Abwesenheitsentgelt sowie der Betreuungspauschale zu erreichen. Die kommunalen
Spitzenverbände hingegen wollten eine Neuregelung bei der Ermittlung der Investitionskosten. Schon bei Abschluss des Rahmenvertrages wurde angekündigt, dass hier Nachverhandlungsbedarf gesehen wird. In einer
Protokollnotiz wurde festgehalten, dass die
Vertragspartner den Umstieg auf ein anderes
System zur Berechnung der betriebsnotwendigen
Investitionsaufwendungen ernsthaft vorantreiben müssen. Die Diskussion hierzu sollten in der
Landeskommission Kinder- und Jugendhilfe geführt werden.
Ein weiterer wesentlicher Punkt der Verhandlungen im Jahr 2002 war die Anpassung des
Tabellenwerks (Anhanges H zum Rahmenvertrag),
also die auf dem BAT-VKA basierenden
Vergleichspauschalen, die zur Entgeltermittlung
herangezogen werden. Dabei zeigte sich erstmalig ein zentrales Problem des Vertrages: Der Vertrag ging von einer Fortschreibung der Pauschalen jeweils zum 1. Januar eines Jahres aus. Die
finanzielle Situation der öffentlichen Haushalte
spitzte sich zu, die Tarifverhandlungen streckten
sich lange hin und es wurden rückwirkende
Lohnerhöhungen beschlossen. Der Verhandlungsführer der kommunalen Spitzenverbände zeigte
– trotz massiver Proteste vor allem des Diakonischen Werk Bayern - wenig Bereitschaft zur
zeitnahen Einberufung der Landeskommission.
So konnten diese Tarif-Erhöhungen erst mit erheblicher Verzögerung in einem fortgeschriebenen Anhang H umgesetzt werden. Die verspätete
Umsetzung wirkte zu Lasten der Einrichtungen
aus und hat mit den gesetzlich intendierten Vorgaben zur „prospektiven“ Entgeltkalkulation
nichts mehr gemein.
Bereits Ende 2002 war die Unruhe bei den kommunalen Spitzenverbänden über die Entgeltentwicklung im Jugendhilfebereich sehr groß. Bei
den Sitzungen der Regionalkommissionen wurde
der Ton immer rauer. Im Frühjahr wurde 2003
erstmals von den kommunalen Spitzenverbänden
das Einfrieren der Baukostenrichtzahl gefordert.
40
Dieser Forderung wurde von den Spitzenverbänden der Wohlfahrt zunächst nicht zugestimmt, doch in den Einzelverhandlungen akzeptierten es fast alle Träger. Der Verhandlungsführer Landkreistags forderte aber auch die Zustimmung der Wohlfahrt ein, da die Stimmung
bei den Kostenträgern durchaus zu einer Kündigung des Rahmenvertrages hätte führen können.
Der Landkreistag informierte daher seine Mitglieder im Juli 2003, dass er davon ausgehe, dass
die Forderung nach Einfrieren der Baukostenrichtzahl seitens der Einrichtungsträgerverbände
akzeptiert worden sei, da ihr nicht schriftlich widersprochen worden sei.
Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe reagierten unterschiedlich auf die extrem angespannte
Kostensituation. Die Stadt München begann mit
dem Projekt „Umbau statt Abbau“, andere Träger
reagierten mit der Begrenzung von Zeitverläufen
der Leistungsgewährung in den verschiednen
Leistungsfeldern, andere wiederum mit einer rigorosen Deckelung der Jugendhilfebewilligungen
oder anderen Maßnahmen zur Steuerung der
knappen Mittel..
In der Verhandlungspraxis der Geschäftsstellen
der Regionalkommissionen setzte sich ab dem
Jahr 2003 immer mehr eine sogenannte
ergebnisorientierte Verhandlung durch.
Insbesondere für sogenannte Folgeangebote, bei
denen sich an der Betriebserlaubnis nicht geändert hatte, wurden prozentuale Steigerungen der
Entgelte gegenüber den vorherigen faktisch gedeckelt. Dies geschah mit unterschiedlichen Methoden, z.B. mit der Einrechnung fiktiver Einnahmen oder der Streichung einzelner Kostenpositionen weit unter die tatsächlichen Kosten.
Dass vor diesem Hintergrund nicht zu einer
deutlichen Mehrung von Schlichtungsverfahren
gekommen ist, mag verwundern. Die Zahl der Jugendhilfe-Schiedsverfahren ist im Verhältnis zu
anderen Einrichtungsarten ist in der Tat nicht
hoch und ist vielleicht auch als Ergebnis bestehender Abhängigkeiten zu verstehen. In der Regel wird die Schiedsstelle nur von Trägern angerufen, die auf Grund ihrer Einrichtungsart, z.B.
Spezialeinrichtung mit überregionaler Belegung
oder Platzmangel am Einrichtungsort nicht einen
akuten Belegungsrückgang zu befürchten haben.
Einrichtungen, die gegen die Zustimmung des
Hauptbelegerjugendamtes erhebliche Entgelterhöhung durchsetzten, müssen einen
Belegungsrückgang befürchten und sind u. U.
deshalb gezwungen mit neuen Anträgen zur
Entgeltabsenkung während der vereinbarten
Laufzeit der Vereinbarungen zu reagieren.
Aus dem Verband
2004 wurde aus Bayern eine weitere Initiative zu
einem „Kommunale Entlastungsgesetz (KEG)“ im
Bundesrat gestartet, das auch für das Leistungsfeld der Jugendhilfe wesentliche Verschärfungen
bei der Leistungsgewährung vorsah. Vor allem
der bayerische Landkreistag wollte umfassende
Möglichkeiten zur dringlichen Konsolidierung
der Haushalte verankern, die unter anderem die
Eingrenzung „ausufernder“ Sozialleistungen beinhalteten (z.B. die Einführung einer „Finanzkraftklausel“, Einschränkung des Wunsch- und
Wahlrechtes oder Streichung der Intensivpädagogischen Betreuung im Ausland). 2005
wurde das KEG durch den Bundestag abgelehnt,
stattdessen kam es im Rahmen des KICK zu der
Aufnahme einer Kostenbeitrags–Verordnung, mit
der die Leistungsempfänger zur Kostenbeteiligung herangezogen werden.
Am 13.09.2005 wurde der TVöD mit Wirkung
zum 1.10.2007 abgeschlossen. Damit war eine
wesentliche Bezugsgröße des Rahmenvertrages
zur Personalkostenberechnung neu geregelt.
Zunächst ergaben sich keine unmittelbaren Auswirkungen, da für den öffentlichen Dienst keine
tariflichen Steigerungen abgeschlossen wurden
und die Vergleichspauschalen des Rahmenvertrages fortgalten. Vor diesem Hintergrund
forderten die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände Anfang 2006 zur Verhandlung zur Anpassung des Rahmenvertrages auf. Der Druck
von der politischen Seite auf die Vertreter der
kommunalen Spitzenverbände war auch deswegen groß, weil bei Fortgeltung des alten
Rahmenvertrages weiterhin Altersvorrückungen
möglich gewesen wären, die im Bereich des TVöD
bereits seit 1.10.2005 eingefroren sind – das vertraglich formulierte „Besserstellungsverbots“
wäre Makulatur geworden.
Im Laufe des Jahres 2006 fanden mehrere Sitzungen der Landeskommission Kinder- und Jugendhilfe statt, die durch sehr stark von einander
abweichende Vorstellungen über die Umstellung
des Rahmenvertrages auf die Bezugsgröße TVöD
gekennzeichnet waren. Die Kostenträger wollten
anfangs den „nackten“ TVöD für die Vergleichspauschalen anwenden ohne einen Bestandsschutz für bereits zur Gültigkeit des BAT-VKA beschäftigte Mitarbeitende aufzunehmen. Bei den
folgenden Sitzungen wurden verschiedene
Lösungsmöglichkeiten zur Frage der Überleitung
diskutiert, dabei wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass nur ein „Gesamtpaket“ zum Abschluss kommen soll. Schließlich ist es gelungen,
auch Besitzstandsregelungen in die Anpassung
des Rahmenvertrags aufzunehmen.
Als über die Umsetzung der Vergleichstabellen
eine Einigung erzielt war, drohte die Vertragsanpassung an den - von den Kostenträgern geforderten – Vorgaben zur Aufnahme einer eigenen
Rahmen – Qualitätsentwicklungsvereinbarung
(QEV) und einem entsprechenden Formblatt für
die Qualitätsentwicklung zu scheitern. Gerade zu
diesem Formblatt und den einhergehenden Intentionen zur differenzierten Datenerhebung
wurden noch langwierige und schwierige Verhandlungen geführt.
Mit der Forderung, eine entsprechende Vorlage
in den Rahmenvertrag aufzunehmen, verbindet
die öffentliche Seite zwei Anliegen:
Zum einen sollte durch die Aufnahme einer einheitlichen und verbindlichen Vorlage eine Vereinfachung auch für die Einrichtungen freier
Träger erzielt werden: Diese müssen demnach eigene Differenzierungen zur QEV nur dann erstellen, wenn diese vom vorgegebenen Rahmen abweichende Teile beinhalten. Insofern ist die Aufnahme in den Vertrag zu begrüßen. Zum Anderen
wird die Bereitschaft gefordert – im Einzelfall
und auf konkrete Nachfrage hin – mit dem zur
Vereinfachung gedachten Bogen über die Einrichtungsentwicklung zu berichten. Diese Regelungen sind problematisch, da sie nach unserer
Vorstellung nicht der Gesetzesintention des SGB
VIII entspricht, die auf einen Austausch über
Qualitätsentwicklungsfragen unmittelbar zwischen den örtlich agierenden Partnern der Kinder- und Jugendhilfe zielt.
Trotzdem schien es mit Blick auf das ansonsten
angedrohte Scheitern der gesamten Verhandlung
vertretbar, dem Anliegen zuzustimmen. Dies
umso mehr, als eine Mitteilungspflicht (über Veränderungen in Leistungsbereichen und Betriebsgrundlagen einer Einrichtung) in ähnlicher Form
bereits im Rahmenvertrag enthalten ist (s. hierzu
§§ 4, 10 und 13 des Rahmenvertrages). Die Angaben im Kontext von Rückmeldungen aus der QEV
dürften in der Praxis also lediglich dazu verwendet werden, Entwicklungen und Ausrichtungen
spezifischer Leistungsangebote oder -inhalte zu
diskutieren und bezüglich der Weiterentwicklung
ggf. Veränderung ins Gespräch zu kommen.
Die Notwendigkeit die Empfehlungen des LJHA
zur Umsetzung der §§ 8a und 72 a SGB VIII
(Kindeswohl und personelle Eignung) in den
Rahmenvertrag aufzunehmen, brachte zusätzlich
Dynamik. Örtliche Jugendhilfeträger warteten auf
verbindliche Vorgaben bei der Vereinbarungsgestaltung, die nun in den Vertrag aufgenommen
sind und zwischenzeitlich getroffene Vereinbarungen ersetzen.
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Aus dem Verband
Die Verhandlungen waren sehr, sehr schwierig
und drohten mehrmals zu scheitern. Kurz vor
Abschluss ging die öffentliche Seite bereits vom
endgültigen Scheitern der Verhandlungen aus
und stellte ernsthafte Überlegungen an, den
Rahmenvertrag zu kündigen. Um so erfreulicher
ist es, dass die Fortschreibung des Vertrages ein-
vernehmlich zu Ende gebracht werden konnte,
alle Verhandlungsparteien haben unterschrieben
und die fortgeschriebene Version des Rahmenvertrages ist damit - wie vorgesehen rückwirkend
- zum 1. Januar 2007 in Kraft getreten.
Ute van Beuningen
425 Jahre Annakolleg Augsburg
„Tradition ist nicht das Bewahren der Asche, sondern das Schüren der Flamme.“
„Dass keiner von hier fortgehe, außer er ist so
gebildet, dass er von nun an das Maß seines Lebens selbst in die Hand nehmen kann.“ Dieses
Bildungsziel formulierte Hieronymus Wolf, Rektor
des 475 Jahre alten Gymnasiums bei St. Anna
(1557-1580) und Ideengeber zur Gründung des
Annakollegs im 16. Jahrhundert in seiner Schulordnung.
Diesem denkbar klassisch formulierten Bildungsziel des bildungsgeschichtlich bedeutsamen Humanisten fühlt sich das Annakolleg heute nach
wie vor verbunden, ist doch kaum trefflicher zu
formulieren, woraufhin auch jede Form von Jugendhilfe orientiert sein muss.
Mittlerweile 425 Jahre alt und in modernen
Räumlichkeiten zu Hause, ist das Annakolleg heute ein Sozialpädagogisches Schülerheim und ein
Hort für Mädchen und Jungen zwischen 10 und
18 Jahren im Zentrum der Stadt Augsburg. Zentrales Anliegen der Gründer der Trägerstiftung
(1581) war, begabten Knaben aus armen familiären Verhältnissen den Besuch des Prot. Gymnasiums bei St. Anna durch gesicherte Unterkunft
und Verpflegung sowie Unterstützung beim schulischen Studium im Annakolleg zu ermöglichen.
Diese Verbindung von Bildungs- und sozialen
Motiven, die Überzeugung, dass Bildungsarbeit
die nachhaltigste Sozialarbeit ist, prägt noch
heute das Selbstverständnis der Einrichtung.
Doch natürlich sind die konkreten Herausforderungen in unserer Einrichtung mit ihrer äußerst
heterogenen Schülergruppe heute ganz andere
als vor 425 Jahren. Es bleibt unsere Aufgabe, in
den nächsten Jahrzehnten kritisch zu verfolgen,
ob unser Dasein in der Nische zwischen herkömmlichen Internaten und heilpädagogischen
Heimen weiterhin so gut der Bedarfslage mancher Kinder und Jugendlicher entspricht, und ob
unser Konzept und in welcher Form es dazu geeignet ist, Internatsschüler und Hortschüler bei
der Erreichung ihrer Ziele angemessen zu unterstützen. Unsere lange Geschichte und unsere
42
Treue zum Gründungsanliegen, gleichermaßen
Sozialeinrichtung und Bildungseinrichtung sein
zu wollen, erlauben uns nicht, rückwärtsgewandt
zu agieren, sondern verpflichten uns, kritisch und
geschichtsbewusst zu denken und zukunftsorientiert zu handeln. So wollen wir gerade auch
in der konzeptionellen Arbeit der Überzeugung
des humanistischen Sozialisten Jean Jaurès folgen, die unserer großen Geburtstagsfeier im Oktober ihr Motto gibt: „Tradition ist nicht das Bewahren der Asche, sondern das Schüren der Flamme.“
Barbara Jekeli
Leiterin
Aus dem Verband
Teile des HPZ Lohhof von Feldkirchen übernommen
Betroffene Kinder und Familien nicht auf der Straße stehen lassen
Als eine der größten Jugendhilfeeinrichtungen im
Münchner Raum ist vielen das Heilpädagogische
Zentrum Lohhof (Unterschleißheim) bekannt.
Nach einer entsprechenden Entscheidung des
Trägers schloss das HPZ zum Schuljahresende
2006 seine Pforten. Wie es mit den Angeboten,
den teil- und vollstationären Gruppen weitergehen sollte, gab es viele auch in der Öffentlichkeit
veröffentlichte Diskussionen. Letztlich kam es zu
einer Zersplitterung der Einrichtung, da verschiedene Träger vom Paritätischen Wohlfahrtsverband und der Diakonie Einrichtungsteile übernommen haben.
Insgesamt kann man dazu sagen, dass sich das
Platzangebot im teilstationären und vollstationären Bereich damit für München auch verringert hat.
Der Geschäftsführer der Inneren Mission München, Herr Dr. Bauer, signalisierte schon sehr
frühzeitig, dass er die betroffenen Kinder und Familien nicht auf der Straße stehen lassen werde
und bot die Übernahme von einzelnen Gruppen
an. Nach den entsprechenden Verhandlungen mit
dem bisherigen Träger, den Jugendämtern und
der Heimaufsicht hat nun das Mädchenheim
Pasing eine gemischte Wohngruppe für Kinder
und Jugendliche in München-Obermenzing und
die Evangelische Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen eine stationäre Wohngruppe in Lohhof/
Unterschleißheim sowie eine dreigruppige Heilpädagogische Tagesstätte in Garching (beides
Landkreis München) zum 01.09.2006 übernommen.
In Lohhof haben wir aus der alten Einrichtung
Pädagogen übernommen, damit ist die
Beziehungskontinuität für die Jugendlichengruppe gewahrt. Unsere nach Feldkirchen
nunmehr zweite Heilpädagogische Tagesstätte in
Garching bedeutet eine große Bereicherung für
den gegenseitigen Austausch. Neues Terrain haben wir mit der Übernahme einer Vorschulgruppe
übernommen.
Wie sich die Anfrage- und Belegungssituation im
Münchner Raum bei teil- und vollstationären
Jugendhilfemaßnahmen entwickeln wird, bleibt
offen. Um aber auf jeden Fall der Bedürfnissituation nach ambulanten Erziehungshilfen – vor
allem im Landkreis München – Rechnung zu tragen, hat unsere Einrichtung die ambulanten Erziehungshilfen konsequent Jahr für Jahr ausgebaut. Diese an einen stationären Träger anzubinden, erweist sich als sehr förderlich. Die Tag- und
Nachtbereitschaft der großen Einrichtung sowie
die schnellen Möglichkeiten zu Inobhutnahmen
und Kriseninterventionen sowie der gute fachliche Austausch unter dem therapeutischen und
pädagogischen Personal erweist sich Tag für Tag
als sehr hilfreich.
So hat Feldkirchen zwar insgesamt am heimeligen
Charakter etwas eingebüßt, mit den neuen Einrichtungsteilen aber viel hinzu gewonnen.
Für die Feldkirchener schafften die neuen Einrichtungsteile erst einmal viele Umdenkungsprozesse sowie strukturelle Veränderungen.
Genossen haben es die Feldkirchener immer, in
einer historisch gewachsenen Einrichtung mit ihrem familiären Charakter zu leben und zu arbeiten. Mit nun über 100 Mitarbeitenden bedeutet
es eine große Kunst, davon vieles zu bewahren,
gleichzeitig aber neue Strukturen zu schaffen.
Kannte früher noch jeder jeden, so werden wir
bei der großen Anzahl von Mitarbeitenden zunehmend versuchen, durch einrichtungsübergreifende Angebote, Fortbildungen und Veranstaltungen, die interne Vernetzung aufrecht zu
erhalten oder sogar noch zu verbessern.
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Aus dem Verband
Wechsel in der Gesamtleitung des Puckenhof
Am Freitag, den 13. Juli 2007 wurde im Rahmen
eines feierlichen Festaktes Herr Dittmar
Geuthner als Gesamtleiter des Puckenhofes in
den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet.
Dittmar Geuthner lenkte die Geschicke des
Puckenhof 17 Jahre lang mit großem Engagement und sehr viel Geschick. In diese Amtsperiode fielen viele Veränderungen, Erweiterungen und Neuerungen, die er im Team mit seinem
Abteilungsleitern unterstützte und begleitete,
wie z.B.:
Innenarchitektonische Veränderungen
der Gruppen nach dem Würzburger
Modell
Bauliche Erweiterung der Schule zur
Erziehungshilfe
Konzeptionelle Errichtung der 3jährigen Eingangsstufe der Schule zur
Erziehungshilfe
Erweiterung der Heilpädagogischen
Tagesstätte um eine Gruppe für Kinder
im Vorschulalter
Erweiterung des teilstationären Bereiches um eine zweigruppige Heil-
pädagogisch orientierte Tagesstätte in
Höchstadt und eine eingruppige
Heilpädagogisch orientierte Tagesstätte
am Förderzentrum in Spardorf
Erweiterung der Arbeit des Puckenhofes
um die Pädagogische Nachmittagsbetreuung an 6 Regelschulen
Konzeptionelle Umgestaltung von zwei
Heimgruppen in 5-Tage-Gruppen
Die Mitglieder des Vereins „Der Puckenhof“ e.V.
und des Vorstanden und vor allem die
MitarbeiterInnen, für deren Belange und Anliegen er immer ein offenes Ohr hatte, danken
Dittmar Geuthner für sein unermüdliches
Engagement und die Unterstützung.
Am 1. September übernahm Martin Leimert die
Nachfolge von Dittmar Geuthner. Martin Leimert
ist bereits seit 20 Jahren als Abteilungsleiter für
die Heilpädagogische Tagesstätte und stellvertretender des Gesamtleiters im Puckenhof tätig.
Neuer Leiter im Kinder- und Jugenddorf
Martinsberg
Ich bin von Beruf Dipl.-Sozialpädagoge und habe
in Nürnberg studiert. Nach meinem Abschluss
arbeitete ich ab 01.10.1983 im Kinderdorf
Martinsberg in einer altersgemischten Gruppe (9
– 15 Jahre) als pädagogischer Mitarbeiter. Durch
diesen zehnjährigen Gruppendienst als Mitarbeiter und Gruppenleiter habe ich Jugendhilfe in
allen Schattierungen und Qualitäten kennen lernen können, viele Höhen und Tiefen durchlebt
und durchgestanden. Die gesammelten Erfahrungen haben meinen weiteren beruflichen Werdegang bestimmt und bereichert. Im September
1994 wurde ich Erziehungsleiter des Kinderdorfes
und habe gemeinsam mit Frau Birkmann, der damaligen Kinderdorfleiterin, die Einrichtung geleitet. Berufsbegleitend absolvierte ich eine vierjährige Ausbildung zum Gestalttherapeuten am
Institut für Gestalttherapie in Würzburg und erwarb die Heilerlaubnis für den therapeutischen
Bereich nach dem Heilpraktikergesetz.
44
Nach dem Ausscheiden von Frau Birkmann übernahm ich im August 2006 die Leitung der Einrichtung „Kinder- und Jugenddorf Martinsberg.
Gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wurden im Laufe des letzten Jahres in
unserer Einrichtung grundlegende Veränderungen
durchgeführt. So haben wir bspw. die
geschlechts- und altersgemischten Gruppen differenziert und klientenzentrierter gestaltet. Wir
haben nun eine Gruppe für 9 – 13-Jährige mit
dem Schwerpunkt ADHS, eine Mädchengruppe,
eine Jugendwohngruppe ab 15 Jahren mit dem
Ziel, die Jugendlichen durch intensive Begleitung
zu verselbständigen, eine intensiv-therapeutische
Wohngruppe mit Schwerpunkt „Asperger Autismus“ und nach wie vor altersgemischte Gruppen.
Zudem haben wir auch unsere pädagogische Konzeption neu formuliert und hinsichtlich Partizipation unserer Kinder und Jugendlichen - auch unter Berücksichtigung realer Anforderungen -
Aus dem Verband
überdacht. So ist u. a. ein sehr klares und transparentes Regelwerk entstanden, das den Kindern
und Jugendlichen Orientierung und Sicherheit
gibt.
Im letzten Jahr ist auch unser Projektnachmittag
entstanden - eine Eigenkreation, die erlebnispädagogische Angebote, persönlichkeitsbildende
Werte sowie wissenstheoretische Inhalte durch
Bearbeitung verschiedener Themen miteinander
verbindet. Dieser Projektnachmittag findet wöchentlich in jeder Gruppe statt und orientiert sich
zum Teil am Pfadfindertum. Es besteht ein ausgearbeitetes Curriculum, das nach verhaltenstherapeutischen Prinzipien wirkt. Den Kindern
und Jugendlichen, aber auch den Mitarbeitern
und Mitarbeiterinnen, machen diese gemeinsa-
men gruppenpädagogischen Unternehmungen,
die sich sehr positiv auf die „Kinderdorfkultur“
ausgewirkt haben, sehr viel Spaß und Freude.
Um den teilweise sehr schweren Problemlagen
von jüngeren Kindern gerecht zu werden, sind wir
zurzeit dabei, alternative Konzepte zu entwickeln,
die den durch die Diagnosestellung geforderten
hohen Betreuungsaufwand gerecht werden.
Seit Juli 2007 ist Frau Dipl.-Psychologin Stark
meine neue Kollegin und gemeinsam versuchen
wir innovativ, kreativ und fachlich kompetent
unsere Einrichtung zu leiten.
Gez. D. Oelschlegel
Schnittstellen SGB VIII und SGB XII
Fachlicher Austausch am 23.Mai 2007 im Diakonischen Werk Nürnberg
„Menschen sind nicht in Gesetze aufteilbar“ ist
einer der Gedanken, der nach dem Fachgespräch
in Erinnerung bleibt: Welche Hilfen gibt es
insgesamt, wie sehen die Zuständigkeiten und die
Zugänge zu den Hilfen aus, und wie können die
Fachleute dafür sorgen, dass die richtige Hilfe für
die Betroffenen zum richtigen Zeitpunkt gewährt
werden kann? Und was passiert, wenn sich die
gesetzlichen Zuständigkeiten ändern,
beispielsweise wegen Erreichung des Schulalters
oder der Volljährigkeit?
Zu einem Austausch darüber hatten die beiden
Fachreferenten im Diakonischen Werk Bayern
eingeladen: Werner Fack für die Behindertenhilfe
und Bernhard Zapf für die Kinder- und Jugendhilfe.
Die gut besuchte Veranstaltung war grob vorstrukturiert, ließ aber viele Möglichkeiten der
inhaltlichen Gestaltung offen, was der Vielfältigkeit der Themen angemessen war. Deren Bandbreite erstreckte sich dann auch von der Betreuung nach der Geburt bis hin zum Arbeiten und
Wohnen erwachsener Menschen mit Einschränkungen.
· Klärung von Rechts- und Kostenzuständigkeit
· Zugänge zu den unterschiedlichen Hilfen
· Eine Familie-unterschiedliche Hilfeformen- wie
geht das zusammen?
· Kooperation der Bereiche im Diakonischen Werk
Bayern
· Gemeinsame Veranstaltungen, z.B.: Der Mensch
ist Mensch und nicht über Paragrafen definiert
Allgemeiner Konsens am Ende des lebhaften
Fachtages war, dass eine Fortsetzung gewünscht
wird; mit welchen Inhalten und in welcher Form,
ist noch offen, und hängt sowohl von der Auswertung der Veranstaltung als auch von aktuellen
politischen Entwicklungen ab.
Als Fazit aber bleibt: Menschen sind nicht in Gesetze aufteilbar. Und Fachleute sollten in der Lage
sein, zum Wohle der Anspruchsberechtigten, formale Grenzen zu überschreiten und alle Ressourcen vor Ort zu nutzen.
Sabine Baumgarten
Angesprochen wurden unter anderem folgende
Inhalte:
· Vernetzung regionaler Angebote der Jugendund Behindertenhilfe
45
Aus dem Verband
Partizipation von Kindern und Jugendlichen in
Internaten und Heimen:
Ein paar kurze Gedanken zu den paradoxen
Effekten von institutionalisierter Partizipation
oder: Worauf es eigentlich ankommt?!
Partizipation ist konstitutiver Bestandteil einer
gesetzeskonformen, modernen Jugendhilfe.
Partizipation ist Gegenstand wissenschaftlicher
Forschung und Auseinandersetzung.
Möglichkeiten von Partizipation zu suchen, zu
finden und ihre Realisierung zu fördern, ist
Aufgabe aller in der Jugendhilfe Tätigen.
All das finde ich sehr gut. Und Einrichtungen, die
sich dem Thema durch alle hierarchischen
Ebenen intensiv widmen und dauerhaft
nennenswert Ressourcen investieren, um ihrem
hohen Anspruch an Partizipation gerecht zu
werden, arbeiten nicht nur substantiell an ihrer
pädagogischen Qualität, sondern haben allen
Respekt verdient.
Ich zweifle nur bisweilen am Focus, der für die
Analyse und Bewertung von Beteiligungsqualität
gewählt wird und an den Kriterien, an denen
üblicherweise Beteiligung orientiert wird. Ich
denke, dass dabei zu häufig und oft zu
ausschließlich an die institutionalisierten Formen
von Partizipation gedacht wird und zu selten an
eine Beteiligung der Kinder und Jugendlichen
durch die Art und Weise, wie wir täglich
miteinander umgehen, wie wir miteinander
sprechen, welches Klima wir in den
Einrichtungen pflegen. Dass ein Grund dafür im
sehr unterschiedlichen Maß der Objektivier- und
insofern Untersuchbarkeit der verschiedenen
Formen von Beteiligung liegt, ist klar. Und
dennoch: Denke ich an gelungene Partizipation
von Kindern und Jugendlichen, kann ich sie in
dem Wunsch zusammenfassen, dass sich jedes
Kind und jeder Jugendliche meiner Einrichtung
traut, an meine Tür zu klopfen, wenn ihn etwas
stört, wenn er ein Problem hat, wenn er etwas
braucht.
Ich denke also, die Ermöglichung von Teilhabe ist
in erster Linie eine Frage der Haltung all derer,
die Verantwortung tragen. Entscheidend ist, ob
das Kind oder der Jugendliche spürt, dass er
respektiert wird, dass seine Meinung und seine
Kritik, wirklich interessieren und ernst
genommen werden. Entscheidend ist, ob ihm
geholfen wird, diese zu artikulieren, wo es ihm
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seine analytischen und intellektuellen Fähigkeit
oder die Strukturen oder die Einstellung anderer
Beteiligten im System nicht erlauben,
angemessen wahrgenommen zu werden; und
natürlich, dass dann auch etwas weitergeht.
Als euphorischer Anhänger von SMV-Arbeit
(Schülermitverantwortung), also einer
institutionalisierten Form der Beteiligung von
Kindern und Jugendlichen in Schulen, Internaten
und Schülerheimen, bin ich unverdächtig, etwas
gegen geregelte Vertretung und Beteiligung zu
haben. Ich finde es im Sinn von Übung und
Praxis demokratischer Prinzipien ungeheuer
wichtig, dass Schüler Vertreter wählen, dass
deren Rechte, Pflichten und
Einflussmöglichkeiten klar definiert sind, dass
auch ihre Unterstützung durch Erwachsene
gesichert ist und ihnen Raum (im wörtlichen
Sinn, im finanziellen Sinn und im übertragenen
Sinn) gegeben ist.
Wir müssen aber auch aufmerksam sein für die
unerwünschten Nebeneffekte von
Institutionalisierung von Partizipation und nach
Möglichkeit gegensteuern. Wir können im
Kleinen dieselben Beobachtungen machen wie
auf der Ebene der nationalen Politik. „Die da“
sind zuständig; „die“ sollen machen; „die da“ sind
verantwortlich. Eine Institutionalisierung – z.B.
SMV – soll nicht dazu führen, dass der Einzelne
verlernt bzw. nicht lernt, sein Anliegen selbst zu
formulieren, sein Behagen oder Unbehagen
direkt zu benennen. (Ähnliches gilt übrigens
auch für die Mitarbeitervertretung, die allzu oft
missverstanden wird als die Personengruppe, die
alles Unpopuläre zu tun und Sprachrohr zu sein
hat auch für höchstindividuelle Anliegen…) Es ist
ein echtes Risiko überall, wo Vertretungsgremien
gewählt werden, dass eine Person oder eine
Gruppe den Auftrag bekommt, Wünsche zu
formulieren und Interessen zu vertreten, alle
anderen sich aber aus der Verantwortung
zurückziehen.
Jeder aber soll mündig werden und muss das
üben. Trotz Vertretungsgremien vertritt sich
zunächst jeder selbst. Jedes unserer Kinder und
alle Jugendlichen müssen lernen, sich kritisch zu
äußern und dafür eine angemessene Form bzw.
einen angemessenen Tonfall zu finden. Und jeder
Mitarbeiter in unseren Einrichtungen muss sie
verstehen wollen und schuldet ihnen
angemessene Antworten und Reaktionen.
Aus dem Verband
Ein ähnliches Risiko sehe ich beim Einsatz von
Fragebögen und sog. Kummerkästen, deren Sinn
und Zweck zur Auslotung von Stärken und
Schwächen der Arbeit und als Hinweis auf
Veränderungsbedarf in unseren Einrichtung ich
hoch schätze; auch als
Kommunikationsmöglichkeit in einem großen
Personenkreis und als besonderen Vorteil für
eher zurückhaltende Menschen halte ich
Fragebögen für unverzichtbar. Sie können aber
die Kommunikationskultur verzerren. Die
anonyme Form des Fragebogens oder der
Botschaft per Zettel im Briefkasten darf uns
nicht verlernen oder zu erlernen hindern, dass
ich zu meiner Haltung auch stehen können
sollte, mich zu meiner Kritik auch bekennen
können sollte, meine Position mit meinem
Namen versehen können sollte.
Um Kinder und Jugendliche auch informell, aber
ernsthaft und aufrichtig zu beteiligen, müssen
wir uns folgenden Fragen besonders kritisch
stellen:
9 Welcher Sprache bedienen wir uns im
Gespräch?
9 Wie begleiten wir im Hilfeplanprozess?
Helfen wir dem Schüler durch
altergemäße Vorbereitung und
Nachbereitung von Hilfeplangesprächen
zu verstehen, was ihn betrifft, und im
Rahmen seiner Möglichkeiten Einfluss
zu nehmen?
9 Wie transparent machen wir
Entscheidungen und Prozesse in
unseren Einrichtungen, die unsere
Betreuten betreffen, auch wenn wir sie
nicht beteiligen können? Wollen wir in
unseren Motiven verstanden werden,
selbst wenn sie unpopulär sind? Sind
wir dabei ehrlich?
9 Wie erreichbar – im wörtlichen und im
übertragenen Sinn – sind Leitungskräfte
für die Kinder und Jugendlichen? Und
wenn wir merken, jemand hat Angst vor
uns: bemühen wir uns darum, ihm diese
Angst zu nehmen? Kommen wir
entgegen?
9 Wie helfen wir auch dem Schüchternen
oder dem intellektuell Schwachen, seine
Kritik und seine Anliegen alltäglich zu
artikulieren? Was tun wir dafür, dass er
in seiner Gruppe nicht untergeht?
9 Was tun wir dafür, dem „unbequemen“
Schüler, dem der opponiert, dazu zu
befähigen, angemessene Wege der
Kommunikation zu finden und ihn ernst
zu nehmen auch dann, wenn es sehr
anstrengend wird?
9
9
Welche Haltung wird für die Betreuten
täglich spürbar? Welches Interesse an
Bedürfnissen und Meinungen vermitteln
die Mitarbeiter einer Einrichtung durch
den Stil des täglichen Gesprächs?
Welches Klima herrscht zwischen allen
Personengruppen der Einrichtung –
Leitung, Mitarbeiterschaft in Pädagogik,
Hauswirtschaft, Verwaltung und
Schülerschaft – und prägt die gesamte
Beteiligungskultur in der Einrichtung?
Eine echte Verantwortungsgemeinschaft in
unseren Einrichtungen können wir nicht mit den
besten Formen institutionalisierter Partizipation
herstellen und so auch nicht Mündigkeit lehren,
unabhängig wie groß oder klein die Einrichtung
ist. Institutionalisierte Formen von Partizipation
können in einem Klima, in dem
Mitverantwortung aller als durchgängiges
Prinzip verstanden wird, organisatorische Stütze
sein, um das Gewollte besser zu erreichen und
werden gewiss wichtiger, je größer Einrichtungen
sind; an sich aber sind sie niemals hinreichend;
das Eigentliche ist nicht institutionalisierbar.
Barbara Jekeli
Leiterin Annakolleg
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Aufwachsen
begleiten
Halt
geben
Landesfachtagung 2007
Evangelischer Erziehungsverband in Bayern e.V.
Evangelischer Erziehungsverband Bayern e.V.
29. November 2007
Im Annahof 4
86150 Augsburg
Rückkehr der W
erte….?
Werte….?
Erkenntnisse und Konsequenzen
für qualifiziertes Arbeiten im Feld
erzieherischer Hilfen im Anschluss:
Mitgliederversammlung
Evangelischer Erziehungsverband Bayern e.V.
Tagung der Einrichtungsleitungen 2008
Die nächste Tagung für Einrichtungsleitungen
wird wieder gemeinsam mit dem LVKE
in der Woche Invokavit
vom ??. 02. – ??. 03. 2007 stattfinden.
Bitte den Termin bereits vormerken!