Restrukturierung und Sanierung: Wege aus der Krise

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Restrukturierung und Sanierung: Wege aus der Krise
Restrukturierung und Sanierung:
Wege aus der Krise
Inhalt
I
Notlanden oder Durchstarten?
Dr. Sebastian Burckhardt
A
Einleitung – Ausgangslage
B
C
1
Wann soll nach Gesetz notgelandet werden?
2
In der Praxis sind rechtzeitige Notlandungen selten
3
Zwischenergebnis
9 Fragen
1
Frage 1: Soll ich weiterhin Verwaltungsrat bleiben?
2
Frage 2: Besteht eine Notfallkasse?
3
Frage 3: Kann der Cash-Drain klein gehalten werden?
4
Frage 4: Besteht eine klare Prioritätenordnung für die Verwendung der noch vorhandenen liquiden Mittel?
5
Frage 5: Bestehen keine Interessenkonflikte mit Aktionären und verbundenen Personen?
6
Frage 6: Besteht Gewähr für die notwendige juristische und finanztechnische Beratung?
7
Frage 7: Ist die Revisionsstelle einbezogen?
8
Frage 8: Wird erhöhte Sorgfalt auf die Formalitäten gelegt?
9
Frage 9: Sind die grossen Gläubiger einbezogen?
Fazit
II
Aus der Not eine Tugend machen – ein Praxisbeispiel
lic. iur. HSG Barbara Meyer
5
5
7
9
9
9
10
11
11
11
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12
12
13
13
13
16
A
Einleitung
16
B
Ein Beispiel aus der Praxis
16
C
D
E
Sanierung – Nachlassverfahren – Konkurs
1
Sanierung
2
Nachlassverfahren
3
Konkurs
Weitere Szenarien
1
Praxisbeispiel 1: immaterielle Werte und Güter ohne klar bestimmbaren Verkehrswert
2
Praxisbeispiel 2: Vermeidung eines Betriebsunterbruchs mit anschliessendem Wertverlust
3
Praxisbeispiel 3: Unternehmen der Gastronomiebranche
Zusammenfassung
17
17
18
19
19
19
20
21
21
III
Unternehmenskäufe in der Krise
Dr. Adrian Dörig
23
A
Einleitung
23
B
Ausgangslage
23
C
Risiken
24
D
Besondere Investitionsrisiken
25
E
F
G
H
1
Erfüllungswahlrecht der Konkursverwaltung
2
Risiko der paulianischen Anfechtung
3
Erhöhtes Gegenparteirisiko
Haftungsrisiken aus Kauf einzelner Aktiven
Haftungsrisiken aus Betriebsübertragung
1
Allgemeines
2
Übertragung von Arbeitnehmern
Haftungsrisiken aus Gesellschaftskauf
1
Allgemeines
2
Konkurs der Gesellschaft mit Haftungsrisiken als Problemlösung?
3
Besondere Haftungsrisiken aus Konzernverhältnissen
4
«Deep Pocket»-Prinzip
Faktische Haftung für Risiken der Pensionskasse übernommener Arbeitnehmer
25
25
26
26
27
27
27
28
28
28
30
31
IV
Massnahmen im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen
31
33
lic. iur. Ursula Hubschmid
A
Kurzarbeit
33
B
Massenentlassung
34
V
Steuerfallen bei der Sanierung
35
lic. iur. Thomas Ziegler, dipl. Steuerexperte
lic. iur. Guido Müller, dipl. Steuerexperte
A
Stempelabgabe
35
B
Direkte Steuern (Bund/Kanton)
35
C
Mehrwertsteuern
36
VI
Beim Cash Pooling Unfälle vermeiden
Dr. Meinrad Vetter
VII
Tücken im Bereich der Sozialversicherungen
lic. iur. Franziska Bur Bürgin, dipl. Steuerexpertin
A
Beitragspflicht bei Liquiditätsengpässen
40
B
Firmeneigene Pensionskasse
40
C
1
Teilliquidation
2
Gesamtliquidation
Anschluss an Sammeleinrichtung
40
41
41
VIII Probleme des Geschäftspartners
38
40
42
lic. iur. Daniele Favalli
A
Vor Abschluss eines Vertrages
42
B
Mögliche Sicherungsmassnahmen mittels Vertragsgestaltung
42
C
Zahlungsschwierigkeiten in einer laufenden Vertragsbeziehung
43
Restrukturierung und Sanierung: Wege aus der Krise
Wer mit einer finanziellen Krise im eigenen Unternehmen oder bei Geschäftspartnern
konfrontiert ist, soll ruhiges Blut bewahren und rasch, aber doch überlegt handeln. Dies
ist leichter gesagt als getan. Diese Broschüre, die anlässlich des Herbstanlasses der ­
VISCHER AG vom 5. und 12. November 2009 erscheint, soll rechtliche Orientierungshilfe
leisten.
Dr. Sebastian Burckhardt erörtert, wann Notlanden (sprich Konkurs oder Nachlassverfahren) oder Durchstarten angezeigt ist, und beleuchtet dabei besonders die herausgehobene
Rolle des Verwaltungsrates in Krisensituationen.
Barbara Meyer stellt dar, welches Verfahren – Sanierung, Nachlassverfahren oder Konkurs
– in konkreten Situationen das Beste ist.
Mit Unternehmenskäufen in der Krise, eine Chance für gesunde Unternehmen, befasst sich
Dr. Adrian Dörig.
Die obigen Referate der VISCHER Herbstveranstaltung 2009 werden ergänzt durch Beiträge zu weiteren Themen, die in Krisen zentral sind.
Ursula Hubschmid orientiert über Massnahmen im Zusammenhang mit Arbeitsverhält­
nissen, auf diverse Steuerfallen machen Thomas Ziegler und Guido Müller aufmerksam,
die Risiken des Cash Poolings analysiert Dr. Meinrad Vetter. Franziska Bur Bürgin erklärt
Tücken im Bereich der Sozialversicherungen, und Daniele Favalli zeigt, was zu tun ist,
wenn Geschäftspartner krisengeschüttelt sind.
Wir hoffen, mit diesen Beiträgen einen Einblick in den rechtlichen Werkzeugskasten zu
geben, der für eine erfolgreiche Krisenbewältigung benötigt wird.
Dr. David Jenny
5
I
Notlanden oder Durchstarten?
Dr. Sebastian Burckhardt
A
Einleitung – Ausgangslage
Die Ausgangslage ist einfach: Ein mittelgrosses Unternehmen befindet sich im Sinkflug mit
unsicherer Zukunft. Der Verwaltungsrat weiss nicht, wann die Banken den Kredit künden,
ob erhoffte Aufträge weiterhin ausbleiben werden, wie weit aktivierte Entwicklungskosten
abzuschreiben sind und ob die Gesellschaft bald überschuldet sein wird. Er hofft aber, dass
seit langem diskutierte Aufträge bald erteilt werden, dass er einen Firmenteil zu einem
guten Preis verkaufen kann oder dass die Wirtschaftskrise bald vorbei ist und die Aufträge
generell wieder zunehmen.
Aus der Zeitung wissen Sie, was die Staatsanwaltschaft Herrn Mario Corti nach dem
­Konkurs der Swissair alles vorgeworfen hat:
Strafanklagepunkte gegen Mario Corti im Swissair-Konkurs
Unwahre Angaben über kaufmännische Gewerbe (StGB 152)
Ungetreue Geschäftsbesorgung (StGB 158)
Gläubigerschädigung durch Vermögensverminderung (StGB 164)
Misswirtschaft (StGB 165)
Bevorzugung eines Gläubigers (StGB 167)
Versuchte Bevorzugung eines Gläubigers (StGB 167 i.V.m. StGB 22)
Sie wissen aber auch, dass das Bezirksgericht Bülach Herrn Corti in allen Punkten
­freigesprochen hat und dass dieses Ergebnis keineswegs von vornherein festgestanden
hat.
Damit ist das Wichtigste schon gesagt: Verwaltungsrat-Sein in stürmischen Verhältnissen
ist eine riskante Tätigkeit. Niemand – auch kein Jurist – kann den Verwaltungsrat vom
Haftungsrisiko entbinden. In diesem Kapitel möchte ich darstellen, worauf man als Ver-
6
Notlanden oder Durchstarten?
waltungsrat achten, und welche Fragen man sich stellen sollte, um die Risiken möglichst
klein zu halten.
Die Pflichten und die Haftung eines Verwaltungsrates zeigen sich wirklich erst in Krisenzeiten; der Schönwetter-Verwaltungsrat muss nicht ernsthaft mit einer Verantwortlichkeitsklage rechnen.
Pflichten des VR, der seine Aufgaben weitestmöglich an die Geschäftsleitung delegiert hat, aus haftungsrechtlicher Sicht 1
In guten Zeiten
In schlechten Zeiten
Inhalt der wichtigsten Pflichten
– Überwachen der Geschäftsleitung und Entdecken grober
Fehler
– Delegation an die Geschäfts­
leitung oft unmöglich – VR muss selber aktiv werden
– «vernünftig handeln»
– «vernünftig handeln»
– Formalitäten einhalten und
­Aktionäre gleich behandeln
– Formalitäten einhalten und Aktionäre gleich behandeln
– rechtzeitig den Konkurs
­anmelden
– Gläubiger gleich behandeln
– persönliche Haftung für AHVBeiträge und gewisse Steuern
Risiko, dass eine Pflicht­-
verletzung entdeckt wird
tief
hoch
Zugang Dritter zu
Beweisstücken
schwierig
einfach
Potentielle Kläger
– Gesellschaft selber
zusätzlich:
– Aktionär: Aber für Klage zur
Zahlung an die Gesellschaft
– Konkursverwalter
– Gläubiger
In guten Zeiten ist der Verwaltungsrat vor Haftungsklagen geschützt, wenn er die
Geschäftsleitung so überwacht, dass er grobe Fehler entdeckt, wenn er darauf achtet,
dass alle Formalitäten eingehalten werden und dass Interessenkonflikte vermieden werden, und wenn er nicht in einen Machtkampf verwickelt wird. Die meisten Fehler bleiben im
inneren Kreise des Verwaltungsrats für Dritte unentdeckt und, wenn sie entdeckt werden,
nicht nachweisbar. Falls Pflichtverletzungen trotzdem einmal entdeckt und nachgewiesen
werden könnten, gibt es niemanden, der einen Schaden einklagen will. Als Kläger kommen die Gesellschaft und die Aktionäre in Frage. Die Gesellschaft selber klagt sicher nicht,
solange sie vom fehlbaren Verwaltungsrat geleitet wird. Ein Aktionär müsste Klage auf
Zahlung an die Gesellschaft selber erheben, was für ihn nicht interessant ist. Er könnte
nur in ganz seltenen Fällen auf Zahlung an sich selber klagen. Das schlimmste, was einem
Verwaltungsratsmitglied in guten Zeiten passieren kann, ist die Abwahl.
1
Vergleiche Art. 716a OR mit der gesetzlichen Liste der unübertragbaren Aufgaben – abgedruckt in Anhang 1.
Notlanden oder Durchstarten?
7
Ganz anders ist die Lage, wenn die Gesellschaft Verluste erwirtschaftet. Nun kann der
Verwaltungsrat nicht einfach die Geschäftsführung an eine Direktion delegieren, sondern
er muss sich selber um die optimale Vorgehensweise kümmern. Zusätzlich werden die
Pflichten, rechtzeitig die Bilanz zu deponieren und die Gläubiger gleich zu behandeln,
plötzlich aktuell.
Sobald die Firma zusammenbricht, treten neue Personen auf den Plan wie z. B. der Konkursverwalter, der verpflichtet ist, das Vorhandensein von Verantwortlichkeitsansprüchen
zu prüfen. Weiter hat jeder Gläubiger Zugang zu den Gesellschaftsakten und kann sich
Verantwortlichkeitsansprüche abtreten lassen. Fehler werden im Konkurs aufgedeckt und
Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen.
In dieser Lage hat der Verwaltungsrat mehrere Optionen, die sich auf zwei Hauptvarianten
reduzieren lassen: Die Notlandung, nämlich die Konkursanmeldung oder das Stellen eines
Gesuchs um Nachlassstundung, oder ein Durchstarten.
Notlandung der Firma
– Konkursanmeldung
– Wegen Überschuldung
– Wegen Illiquidität
– Allenfalls mit vorheriger Ausgliederung gesunder Firmenteile
– Gesuch um Konkursaufschub
Gesuch um Nachlassstundung
Durchstarten (Sanierung)
Bei den Varianten der Notlandung ist Folgendes gemeinsam: Der Verwaltungsrat gibt die
Kontrolle über die Gesellschaft ganz oder teilweise ab. Im Falle des Konkurses übernimmt
ein Konkursverwalter die Leitung; beim Nachlassverfahren überwacht ein Sachverwalter
die Geschäftsführung.
Das Durchstarten ist immer ein provisorischer Entscheid. Konkret geht es darum, wie
lange der Verwaltungsrat auf bessere Zeiten hoffen und eine Notlandung herauszögern
darf.
1
Wann soll nach Gesetz notgelandet werden?
a
Gemäss Art. 725 OR
Wie lauten die gesetzlichen Regeln?
Notlanden oder Durchstarten?
8
Art. 725 OR
«Zeigt die letzte Jahresbilanz, dass die Hälfte des Aktienkapitals und der gesetzlichen Reserve nicht mehr
gedeckt sind, so beruft der Verwaltungsrat unverzüglich eine Generalversammlung ein und beantragt die
Sanierungsmassnahmen.
Wenn begründete Besorgnis einer Überschuldung besteht, muss eine Zwischenbilanz erstellt und diese
einem zugelassenen Revisor zur Prüfung vorgelegt werden. Ergibt sich aus der Zwischenbilanz, dass die
Forderungen der Gesellschaftsgläubiger weder zu Fortführungs- noch zu Veräusserungswerten gedeckt
sind, so hat der Verwaltungsrat den Richter zu benachrichtigen, sofern nicht ….»
Verwaltungsrat und Geschäftsleitung haften persönlich für den Schaden, der durch die verspätete Konkursanmeldung entsteht (Art. 754 Abs. 1).
Kann also ein Gläubiger später nachweisen, dass er eine höhere Konkursdividende erhalten hätte, wenn der Verwaltungsrat den Konkurs rechtzeitig angemeldet hätte, ist ihm
jeder einzelne Verwaltungsrat persönlich für die Differenz haftbar. In der Lehre werden die
Anforderungen noch erhöht: Massgebend sei nicht nur die «letzte Jahresbilanz», sondern
auch die intern erstellen Zwischenbilanzen.
Das Gesetz will im Grundsatz die frühe Notlandung. Eine frühe Notlandung ist immer eine
zulässige Lösung. Soweit das Gesetz.
b
Die Rechtsprechung
Die Rechtsprechung ist weniger streng. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes
ist es zulässig, unter folgenden Voraussetzungen vom Deponieren der Bilanz abzusehen: 2
Ein Zuwarten mit der Notlandung ist zulässig
Wenn konkrete Aussichten auf eine kurzfristig realisierbare Sanierung bestehen
Nicht bloss aufgrund übersteigerter Erwartungen und vager Hoffnungen
Wenn die Sanierungschancen die Sanierungsrisiken überwiegen (Analyse der Gewinn- und
­ erlust­aussichten)
V
Wenn Sie dies später nachweisen können
Der Verwaltungsrat hat die Beweispflicht, dass diese Voraussetzungen für eine Weiterführung der Gesellschaft vorliegen. Er wird diesen Beweis im Nachhinein erbringen müssen,
auf die Gefahr hin, dass im Nachhinein alle klüger sind und ihm vorhalten werden, er hätte
voraussehen müssen, dass die Firma nicht überleben wird.
Soweit also die richtig eingeschätzten kurzfristigen Sanierungschancen die Sanierungsrisiken nachweisbar überwiegen, darf man zuwarten. Dieser Grundsatz wird aber in der
Praxis kaum je umgesetzt.
2
BGE 116 II 533, 127 IV 110, 4C.436/2006
Notlanden oder Durchstarten?
2
9
In der Praxis sind rechtzeitige Notlandungen selten
Die Praxis zeigt ein ganz anderes Bild: Die Notlandung wird erst im letzten Moment versucht, meist weil die Gesellschaft illiquid wird. Oft erzwingen die Banken den Entscheid,
indem sie den Kredit sperren. Die Konkursdividenden für ungesicherte Gläubiger betragen
oft 0 %. Auch im Nachlass erhalten die Gläubiger oft weniger als 10 %.
Warum ist das so? Der erste Grund lässt sich mit dem Sprichwort zusammenfassen lassen
«Die Hoffnung stirbt zuletzt». In der Krise klammert sich die Geschäftsleitung an jeden
Strohhalm – und bevor man es merkt, sind Monate ergebnislos verstrichen. Dem Verwaltungsrat fällt es schwer, im richtigen Moment den «Stecker zu ziehen», wenn er das
Geschäft und die Erwartungen nur aus zweiter Hand kennt.
Der zweite Grund liegt darin, dass es aus der Sicht des Verwaltungsrates gute Gründe gibt,
länger als zulässig mit der Notlandung zuzuwarten.
Nachteile der Notlandung
Der Schaden wird höher
– wegen Vertrauensverlust bei Kunden und Geschäftspartnern
– weil Liquidationswerte statt Fortführungswerte erzielt werden.
Konkursdelikte setzen einen Konkurs voraus.
Fehler der Vergangenheit werden genau geprüft. Das Wohl verbundener Firmen ist irrelevant.
Oft gibt es also gute Gründe, möglichst lange weiterzumachen, auf besseres Wetter zu
hoffen und die Konkursanmeldung herauszuschieben. Oft aber auch hat der Verwaltungsrat nicht das Wissen oder die Kraft, um zur geforderten Zeit die Bilanz zu deponieren.
3
Zwischenergebnis
a
Wenn die Sanierungschancen die Sanierungsrisiken überwiegen, darf der Verwaltungsrat auf die Notlandung verzichten.
Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass der Verwaltungsrat zu lange zuwartet und
den richtigen Zeitpunkt verpasst.
b
B
9 Fragen
Heisst das nun, dass die Verwaltungsratsmitglieder ein unkontrolliertes Haftungsrisiko
eingehen, wenn sie auf eine Notlandung verzichten? Nein. Verantwortlichkeitsklagen sind
nämlich immer noch relativ selten. Ich rege an, dass sich der Verwaltungsrat neun Fragen
stellt, um sich vor einem übermässigen Risiko zu schützen.
10
Notlanden oder Durchstarten?
1
Frage 1: Soll ich weiterhin Verwaltungsrat bleiben?
In der Krise Verwaltungsrat zu sein, ist keine dankbare Aufgabe. Der Verwaltungsrat geht
im Interesse der Gesellschaft und deren Mitarbeiter und Gläubiger ein persönliches Haftungsrisiko ein und lässt sich zeitlich stark beanspruchen. Es ist deshalb oft attraktiv, sich
rechtzeitig abzusetzen und den übrigen Verwaltungsräten die heikle Arbeit zu überlassen.
Als Verwaltungsratsmitglied muss man sich aber überlegen, für wen man den Einsatz
leistet.
In wessen Interesse arbeitet der VR?
In guten Zeiten
In schlechten Zeiten
– Im Interesse der Aktionäre
– Im Interesse der Gläubiger und Mitarbeiter
– Um eine eigene Haftung zu vermeiden und an
­einer Lösung mitzuarbeiten
Ursprünglich wurde der Verwaltungsrat von den Aktionären gewählt und sein Einsatz kam
den Aktionären zugute. In der Krise ändert sich dies: Der Verwaltungsrat arbeitet nun für
die Rettung der Firma, also der Arbeitsplätze und im Interesse der Gläubiger. Dieser Einsatz macht nur Sinn, wenn er mit dem Wohlwollen der Gläubiger und Mitarbeiter rechnen
kann.
Alternativ tritt ein Verwaltungsratsmitglied deshalb nicht zurück, weil es aktiv eine konstruktive Lösung anstrebt, bei dem ein formelles Konkursverfahren und damit eine rigorose
Prüfung der Fehler der Vergangenheit vermieden wird. Wenn man als Verwaltungsratsmitglied den rechtzeitigen Absprung verpasst hat, versucht man besser mit eigenem Einsatz
den Schaden möglichst klein zu halten.
Ein Rücktritt ist allerdings oft unkollegial. Wer diesen Vorwurf entkräften will, kann einen
ihm wohlwollend gesinnten Verwaltungsrats-Nachfolger suchen – und diesen allenfalls
auch bezahlen.
Insbesondere sehr vermögende Verwaltungsratsmitglieder oder Personen, die als Hauptverantwortliche erscheinen, sollten sich einen Rücktritt überlegen. Weder ein Verwaltungsrat mit grossem Vermögen noch ein Verwaltungsrat, der eine Mitverantwortung an
der Vergangenheit der Gesellschaft trägt, taugt dazu, von den Gläubigern mit traurigen
Augen einen Forderungsverzicht zu verlangen.
Grundsätzlich gilt aber: Wer nicht ganz frühzeitig zurückgetreten ist, kann sich seiner
Haftung durch einen Rücktritt nicht mehr entziehen. Er kommt nicht mehr darum herum,
nun aktiv an einer Rettung mitzuarbeiten. Den Verwaltungsräten der SAirGroup hat es
überhaupt nichts genützt, dass sie, mit Ausnahme von Herrn Corti, sechs Monate vor dem
Grounding zurückgetreten sind.
Notlanden oder Durchstarten?
2
11
Frage 2: Besteht eine Notfallkasse?
In der Krise besteht ein wichtiger Teil des Spiels darin, dass besonders hartnäckige Gläubiger bezahlt werden und dass die übrigen Gläubiger bei einer Lösung mitwirken. Dabei geht
es nur um ein Argument, nämlich dass die Gläubiger bei einem Mitwirken besser fahren,
als wenn einfach der Konkurs angemeldet wird. Da ist es natürlich ideal, wenn ausserhalb
der Gesellschaft eine Kasse des Mehrheitsaktionärs besteht, die man einsetzen kann.
3
Frage 3: Kann der Cash-Drain klein gehalten werden?
Wenn Ihr Unternehmen einen einmaligen Verlust erlitten hat, z. B. eine Akquisition massiv
überzahlt hat oder ein Entwicklungsprojekt «gestorben» ist, aber das laufende Geschäft
sich cash flow-mässig trägt, besteht keine Eile. Denn die Konkursdividende nimmt durch
ein Zuwarten nicht ab. Viel heikler ist die Lage, wenn der laufende Betrieb zu einem CashDrain führt und Verluste erwirtschaftet. Dann ist Eile geboten.
4
Frage 4: Besteht eine klare Prioritätenordnung für die Verwendung der noch
­ orhandenen liquiden Mittel?
v
Wenn der Verwaltungsrat zulässt, dass die «falschen» Gläubiger bezahlt werden, macht
er sich der Gläubigerbevorzugung schuldig. Dafür kann er sowohl straf- und zivilrechtlich
zur Verantwortung gezogen werden.
Faktisch sind diejenigen Schulden prioritär zu bezahlen, für die der Verwaltungsrat persönlich haftet, wie die AHV-Beiträge, oder auch die Mieten, die für den Weiterbetrieb
essentiell sind. Konkursrechtlich privilegierte Forderungen, wie die Löhne sind in zweiter
Linie zu bezahlen. Für die übrigen Schulden gilt eine strikte Gleichbehandlung.
Prioritätenordnung für die Bezahlung der Schulden
1
Schulden, für die der VR persönlich haftet
–
Sozialversicherungsbeiträge
–
Verrechnungssteuer
2
Überlebensnotwendige Rechnungen
–
Versicherungen
–
Miete
–
Strom und Telefon
–
Lieferantenrechnungen
3
Im Konkurs privilegierte Forderungen
–
Löhne
Im Übrigen strikte Gleichbehandlung der Gläubiger.
Das Bundesgericht hat in letzter Zeit die rechtlichen Regeln der Gläubigerbevorzugung
massiv verschärft. Der sichere Weg ist, ohne absolute Notlage, alle gleich zu bezahlen,
d. h. grössere Rechnungen nur mit Zustimmung der wichtigeren Gläubiger zu bezahlen.
Notlanden oder Durchstarten?
12
Auch die Gläubiger selbst sind aufgefordert, nicht ungerechtfertigten Druck auf die Gesellschaft auszuüben, um zu erreichen, dass ihre Zahlungen vorweg befriedigt werden.
5
Frage 5: Bestehen keine Interessenkonflikte mit Aktionären und verbundenen
­ ersonen?
P
Wie der Swissair-Prozess zeigt, kann ein sich aufrichtig bemühender Verwaltungsrat mit
dem Wohlwollen der Gerichte zählen. Voraussetzung ist allerdings, dass keine heiklen
Geschäfte mit Aktionären oder verbundenen Personen vorkommen.
Als die Grossbanken kurz vor dem Swissair-Konkurs von der Swissair deren Anteil von
70 % an der Crossair zum damaligen Börsen-Preis von CHF 260 Mio. übernommen haben,
wurde der Vorwurf laut, der Preis sei zu tief gewesen. Wäre anschliessend der Börsenkurs der Crossair-Aktien nicht gesunken, hätten die Grossbanken den Preis nur mit Mühe
rechtfertigen können.
Verschiebungen zwischen verbundenen Partnern bewirken eine Beweislastumkehr. Wer
verschiedenen Interessen dient, profitiert nicht mehr von der Vermutung, dass er grundsätzlich im besten Interesse der Gesellschaft gehandelt hat.
In diesem Zusammenhang stellt sich folgende Frage: Kann sich ein Verwaltungsrat damit
entschuldigen, er habe zwar nicht immer allein im besten Interesse der einzelnen Gesellschaft gehandelt, aber immer im Interesse des Gesamtkonzerns? Diese Frage ist noch
nicht abschliessend beantwortet. Ich rechne damit, dass die Verantwortlichkeitsklagen im
Zusammenhang mit der SAirGroup hier eine Klärung bringen. Nach heutigem Stand der
Kenntnisse gebietet die Vorsicht, dass ein Verwaltungsratsmitglied allein auf das Interesse derjenigen Gesellschaft achtet, die er vertritt! Ohne einen guten Mandatsvertrag mit
einem solventen Auftraggeber würde ich in der Krise nie Verwaltungsrat einer Konzernuntergesellschaft sein wollen. Heikel ist insbesondere, wenn die gesamten Cash-Mittel ohne
vernünftige Sicherheiten im Rahmen eines Cash-Poolings an eine andere Konzerngesellschaft übertragen wurden.
6
Frage 6: Besteht Gewähr für die notwendige juristische und finanztechnische
­ eratung?
B
Ohne Beizug externer Berater kann der Verwaltungsrat nur schwerlich seine Pflichten ausreichend wahrnehmen und die Pflichterfüllung später nachweisen.
7
Frage 7: Ist die Revisionsstelle einbezogen?
Schliesslich ist es unerlässlich, die Revisionsstelle frühzeitig einzubeziehen. Denn Bewertungsfragen entscheiden in der Regel, ob eine Gesellschaft überschuldet ist und ob die
Bilanz zu deponieren ist.
Notlanden oder Durchstarten?
8
13
Frage 8: Wird erhöhte Sorgfalt auf die Formalitäten gelegt?
In der Krise sind die Formalitäten besonders genau zu beachten. Haftungsrechtlich erfasst
wird man primär, weil die Formalitäten nicht eingehalten werden. Die Nichteinhaltung
formeller Vorschriften lässt sich leicht und zweifelsfrei nachweisen. Insbesondere sind
die Jahresrechnungen rechtzeitig zu erstellen und die Generalversammlungen vor dem
30. Juni abzuhalten.
In der Krise wird auch das Erstellen der Verwaltungsratsprotokolle zur Kunst: Man soll aus
den Protokollen ersehen, dass der Verwaltungsrat alles sorgfältig und eingehend bedacht
hat und dass er ernsthaft an eine Überlebenschance geglaubt hat, aber man sollte nicht
ableiten können, welche Argumente konkret wie gewichtet worden sind.
9
Frage 9: Sind die grossen Gläubiger einbezogen?
Ich schliesse mit der wichtigsten Frage, ob die grossen Gläubiger einbezogen werden.
Haftungsrechtlich droht die Hauptgefahr von den Gross-Gläubigern. Die kleinen Gläubiger
resignieren in der Regel und wenden keine Zeit und Kosten für Verantwortlichkeitsklagen
auf. Wenn der Verwaltungsrat eine Notlandung (und die damit verbundene Wertvernichtung) herauszögert, handelt er, wie gesagt, auch im Interesse der Hauptgläubiger. Deshalb ist es unerlässlich, die grösseren Gläubiger rechtzeitig einzubeziehen.
C
Fazit
Wie ist im Ergebnis die Frage «Notlanden oder Durchstarten» zu beantworten? Vorsichtig
und im Einklang mit dem Obligationenrecht ist die frühzeitige Notlandung zu empfehlen.
Ein Verzicht auf die Konkursanmeldung ist erlaubt, wenn die Sanierungschancen die
Sanierungsrisiken überwiegen. Allerdings gelingt es nur selten, rechtzeitig Notzulanden.
Dann kann niemand den Verwaltungsrat davor bewahren, dass er in ein mühseliges mehrjähriges strafrechtliches oder haftungsrechtliches Verfahren verwickelt wird. Zum Glück
sind aber Verfahren, wie sie der Verwaltungsrat der SAirGroup erleben musste, in der
Praxis sehr selten, wenn ein Verwaltungsrat die in diesem Referat erwähnten 9 Fragen
alle bejahen kann.
Notlanden oder Durchstarten?
14
Anhang 1 – einige wichtige Gesetzesartikel
Art. 716a OR
Der Verwaltungsrat hat folgende unübertragbare und unentziehbare Aufgaben:
1
die Oberleitung der Gesellschaft und die Erteilung der nötigen Weisungen;
2
die Festlegung der Organisation;
3
die Ausgestaltung des Rechnungswesens, der Finanzkontrolle sowie der Finanzplanung, sofern diese für die Führung der Gesellschaft notwendig ist;
4
die Ernennung und Abberufung der mit der Geschäftsführung und der Vertretung betrauten ­Personen;
5
die Oberaufsicht über die mit der Geschäftsführung betrauten Personen, namentlich im Hinblick auf die Befolgung der Gesetze, Statuten, Reglemente und Weisungen;
6
die Erstellung des Geschäftsberichtes sowie die Vorbereitung der Generalversammlung und die
­ usführung ihrer Beschlüsse;
A
7
die Benachrichtigung des Richters im Falle der Überschuldung.
Der Verwaltungsrat kann die Vorbereitung und die Ausführung seiner Beschlüsse oder die Überwachung
von Geschäften Ausschüssen oder einzelnen Mitgliedern zuweisen. Er hat für eine angemessene Berichterstattung an seine Mitglieder zu sorgen.
Art. 725 OR
Zeigt die letzte Jahresbilanz, dass die Hälfte des Aktienkapitals und der gesetzlichen Reserven nicht mehr
gedeckt ist, so beruft der Verwaltungsrat unverzüglich eine Generalversammlung ein und beantragt ihr
Sanierungsmassnahmen.
Wenn begründete Besorgnis einer Überschuldung besteht, muss eine Zwischenbilanz erstellt und diese
einem zugelassenen Revisor zur Prüfung vorgelegt werden. Ergibt sich aus der Zwischenbilanz, dass die
Forderungen der Gesellschaftsgläubiger weder zu Fortführungs- noch zu Veräusserungswerten gedeckt
sind, so hat der Verwaltungsrat den Richter zu benachrichtigen, sofern nicht Gesellschaftsgläubiger im
Ausmass dieser Unterdeckung im Rang hinter alle anderen Gesellschaftsgläubiger zurücktreten.
Verfügt die Gesellschaft über keine Revisionsstelle, so obliegen dem zugelassenen Revisor die Anzeigepflichten der eingeschränkt prüfenden Revisionsstelle.
Art. 725 ORa
Der Richter eröffnet auf die Benachrichtigung hin den Konkurs. Er kann ihn auf Antrag des Verwaltungsrates oder eines Gläubigers aufschieben, falls Aussicht auf Sanierung besteht; in diesem Falle trifft er
Massnahmen zur Erhaltung des Vermögens.
Der Richter kann einen Sachwalter bestellen und entweder dem Verwaltungsrat die Verfügungsbefugnis entziehen oder dessen Beschlüsse von der Zustimmung des Sachwalters abhängig machen. Er
umschreibt die Aufgaben des Sachwalters.
Der Konkursaufschub muss nur veröffentlicht werden, wenn dies zum Schutze Dritter erforderlich ist.
Notlanden oder Durchstarten?
15
Art. 754 OR
Die Mitglieder des Verwaltungsrates und alle mit der Geschäftsführung oder mit der Liquidation befassten
Personen sind sowohl der Gesellschaft als den einzelnen Aktionären und Gesellschaftsgläubigern für den Schaden verantwortlich, den sie durch absichtliche oder fahrlässige Verletzung ihrer Pflichten ver­
ursachen.
Wer die Erfüllung einer Aufgabe befugterweise einem anderen Organ überträgt, haftet für den von
­ iesem verursachten Schaden, sofern er nicht nachweist, dass er bei der Auswahl, Unterrichtung und
d
Überwachung die nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hat.
16
II
Aus der Not eine Tugend machen – ein Praxisbeispiel
lic. iur. HSG Barbara Meyer
A
Einleitung
Krisensituationen zwingen oft zu drastischen Massnahmen – Massnahmen, die immer
schon nötig gewesen wären, die man aber vor sich hergeschoben hat, bis es nicht mehr
anders geht. Auch wenn solche Massnahmen unangenehm sind, können sie sich langfristig zum Wohl der Unternehmung auswirken. Im günstigsten Fall wird so aus der Not eine
Tugend.
B
Ein Beispiel aus der Praxis
Unser Klient besass eine stark diversifizierte Produktionsfirma, welche über mehrere
Generationen hinweg gewachsen war. Die Firma beschäftigte über 50 Angestellte und
erzielte einen Umsatz von ca. CHF 10 Mio. Aus verschiedenen Gründen – allen voran
wegen neuer Konkurrenten aus Osteuropa, der Einführung neuer Produkte und einer kritischen Firmengrösse – geriet die Firma in eine Krise. Schnell zeigte sich, dass ein allfälliger
Turnaround nur mit einschneidenden, über bloss kosmetische Massnahmen hinausgehenden Eingriffen gelingen konnte. Man bemühte sich, einen Käufer zu finden, der die ganze
Firma übernahm und ihren langfristigen Erhalt sichern konnte. Aufgrund der starken
Diversifikation gelang dies jedoch nicht.
Als es mit der Liquidität eng zu werden begann, empfahlen wir unserem Klienten, beim
Gericht ein Gesuch um Nachlassstundung zu stellen. Gründe hierfür waren u. a., dass man
Zeit für einen bestmöglichen Verkauf bzw. Teilverkäufe gewinnen wollte, dass man möglichst viele Arbeitsplätze sichern wollte und gesamthaft gesehen eine möglichst sozialverträgliche Lösung mit höchstmöglichen Verkaufserlösen angestrebt wurde.
Unter dem Druck der Umstände entschloss sich unser Klient demzufolge dazu den Weg
zum Nachlassgericht unter die Füsse zu nehmen und die Führung des Unternehmens in
die Hände des vom Gericht bestellten Sachwalters zu übergeben. Im Rahmen der frühzeitig eingeleiteten Nachlassstundung konnten die verschiedenen Produktionsbereiche mit
ihren jeweiligen Maschinen an neue Eigentümer verkauft werden. Hierbei übernahmen
die neuen Eigentümer nebst den Kundenstämmen auch die Mitarbeiter, welche in diesen
Produktionsbereichen tätig waren bzw. die entsprechenden Maschinen bedienten und warteten. Übrig blieb das ehemalige Produktionsgebäude. Da sich das Grundstück an bester
Aus der Not eine Tugend machen – ein Praxisbeispiel
17
Lage in der Bauzone befand, konnte es umgenutzt und zu einem sehr hohen Preis verkauft
werden, der weitaus grösser war als die noch offenen Verbindlichkeiten.
Ein Unternehmer, der sich in einer ausweglosen betrieblichen Situation befunden hatte,
konnte durch einen rechtzeitigen, geordneten Rückzug die Arbeitsplätze seiner Mitarbeiter
sichern, seinen Kunden und Lieferanten einen Fortbestand der Leistungen bieten und für
sich selber einen hohen Erlös aus der Geschäftsaufgabe generieren.
Mitverantwortlich für diesen zugegebenermassen aussergewöhnlich positiven Ausgang
war im vorliegenden Fall, dass rechtzeitig um eine Nachlassstundung, deren gesetzliche
Voraussetzungen erfüllt waren, ersucht wurde. Dies verschaffte der Firma auf der einen
Seite die benötigte «Verschnaufpause». Gläubiger konnten die Firma nicht mehr für die
Bezahlung von bereits fälligen Forderungen belangen und sie ad extremum gar durch
einen Konkurs zerschlagen. Man konnte somit die Kräfte bündeln und sich ganz den
Verkaufsbemühungen widmen. Auf der anderen Seite wäre ein stückchenweiser Verkauf
einzelner Produktionsbereiche von den Gläubigern nie akzeptiert worden, hätten sie nicht
durch den gerichtlich bestellten Sachwalter die Gewissheit gehabt, dass kein Haftungssubstrat gefährdet und kein anderer Gläubiger bevorzugt wird.
C
Sanierung – Nachlassverfahren – Konkurs
Aus juristischer Sicht hat ein Unternehmen, das sich in einer Krise befindet, in der Regel
und ohne Berücksichtigung von Spezialfällen die Möglichkeit der Sanierung, des Nachlassverfahrens oder des Konkurses.
1
Sanierung
Sanierung kommt vom lateinischen «sanare», was soviel wie heilen oder bessern bedeutet. Genau dies wird mit einer Sanierung bezweckt. Sanierung ist ein Sammelbegriff für
alle betriebswirtschaftlichen, steuerlichen und rechtlichen Massnahmen zur Gesundung
eines Unternehmens ohne Einmischung des Staates. Es wird daher auch von der privatrechtlichen bzw. aussergerichtlichen Sanierung gesprochen.
Die Möglichkeiten der Sanierung sind vielfältig. Eine Sanierung kann in bilanztechnischer
Hinsicht z. B. durch Forderungsverzichte, Rangrücktritte, Kapitalerhöhungen, Aufwertungen von Aktiven, durch Auflösungen von stillen Reserven oder die Wandlung von
Fremd- in Eigenkapital (dept/equity swap) erzielt werden. In finanzieller Hinsicht kann
eine Sanierung in der Zuführung von neuem Geld, der Gewährung eines Sanierungsdarlehens oder eines Überbrückungskredites bestehen. Auch der Verkauf von Betriebsteilen
oder die Gründung einer Auffanggesellschaft kann darunter eingereiht werden. Möglich
ist auch eine Vereinbarung mit einem oder mehreren Gläubigern, welche einer Stundung
zustimmen oder gar auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten (Schulderlass). Bei den
Massnahmen in betrieblicher Hinsicht liegt das Augenmerk auf einer Ertragssteigerung,
indem man sich beispielsweise auf ertragsstarke Produkte konzentriert. Kostensenkungen
werden häufig durch die Aufgabe defizitärer Betriebsteile, Entlassungen oder Kurzarbeit
herbeigeführt. Häufig werden diese Massnahmen gar in Kombinationen angewandt, um
eine langfristige, erfolgreiche Sanierung zu erreichen.
Aus der Not eine Tugend machen – ein Praxisbeispiel
18
Schwierig wird eine Sanierung dann, wenn man dringend auf Zahlungsaufschübe und
Forderungsverzichte von Gläubigern angewiesen ist und die Gläubiger aus einer Vielzahl
verschiedenster Personen und Gesellschaften bestehen, die man entweder aus zeitlichen
Gründen nicht mehr einzeln angehen kann, bzw. wenn einzelne Gläubiger nicht zu Zahlungsaufschüben und Forderungsverzichten bereit sind. In diesem Fall kann ein Nachlassverfahren die optimale Lösung sein.
2
Nachlassverfahren
Im Gegensatz zur frei gestaltbaren Sanierung ist das Nachlassverfahren den klaren Regeln
des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes (SchKG) unterworfen.
Das Nachlassverfahren ist ein gesetzliches Sanierungsverfahren. Es bezweckt die Bereinigung von Geldschulden in einem gesetzlich vorgegebenen Verfahren, dessen Ziel es
ist die Gläubiger besser zu stellen, als dies im Konkurs der Fall wäre. Damit dies besser
gelingt, können während der ersten Phase eines Nachlassverfahrens, der sogenannten
Nachlassstundung, keine neuen Betreibungen eingeleitet oder fortgesetzt werden.
Eine Nachlassstundung wird jedoch nur bewilligt, wenn das Gericht zur Überzeugung
gelangt, dass die laufenden Kosten beglichen werden können und mithin keine neuen
Schulden mehr auflaufen. Aus diesem Grund müssen dem Gesuch ans Gericht u. a. auch
eine Bilanz und eine Erfolgsrechnung beigelegt werden, aus denen die Vermögens- und
Ertragslage der Gesellschaft ersichtlich ist. Des Weiteren ist gemäss Gesetz – die Praxis
verzichtet in der Regel darauf – auch ein Verzeichnis der Geschäftsbücher einzureichen,
sofern solche geführt werden müssen.
Zur Durchführung der Nachlasstundung setzt das Gericht einen sogenannten Sachwalter
ein. Unter Aufsicht und Leitung dieses Sachwalters kann der Betrieb während der Nachlassstundung weitergeführt werden. Die Handlungsfähigkeit der bisherigen Verantwortlichen wird dabei eingeschränkt. In der Regel dürfen sie keine Zahlungen mehr auslösen
und verschiedene Rechtsgeschäfte nicht mehr tätigen, ohne vorgängig die Zustimmung
des Sachwalters eingeholt zu haben.
In der Schweiz endet ein Nachlassverfahren häufig mit einer sogenannten Nachlassliquidation, was teilweise auch als «sanfter Konkurs» bezeichnet wird. Derzeit wohl bekanntestes Beispiel hierfür ist die Swissair. Der Flugbetrieb konnte nach dem Grounding noch
für mehrere Monate aufrechterhalten werden, bis die Swiss geschaffen war. Anschliessend
begann die Liquidation der Swissair in einem konkursähnlichen Verfahren.
Ein Blick ins Ausland zeigt, dass man gesetzliche Sanierungsverfahren auch dort kennt,
wenn zum Teil auch in anderer Form und Ausgestaltung. Eines der bekanntesten gesetzlichen Sanierungsverfahren ist das Verfahren nach Chapter 11 des US Bankruptcy Code.
In den groben Zügen ist ein Verfahren nach Chapter 11 unserem Nachlassverfahren nicht
unähnlich. Es bietet einer überschuldeten, aber sanierungsfähigen Unternehmung eine
Alternative zum Konkurs. Anstatt das Unternehmen zu zerschlagen, wird versucht die
Schuldenlast zu reduzieren und das Geschäft weiterzuführen.
Aus der Not eine Tugend machen – ein Praxisbeispiel
19
Unterschiede zum Schweizer Nachlassverfahren zeigen sich insbesondere darin, dass das
Verfahren nach Chapter 11 viel mehr auf eine wirkliche Sanierung ausgerichtet ist. Es soll
«a fresh start for an honest but unfortunate debtor» sein. Hierfür wird ein «Reorganization
Plan» ausgearbeitet, der dazu dient, das Unternehmen zu sanieren und aus der Überschuldung herauszuführen. Beispiel von heute gesunden Unternehmen, die ein Chapter 11-Verfahren durchliefen, gibt es zahlreiche. Insbesondere mussten sich anfangs der 1990-iger
Jahre zahlreiche Fluglinien ins Chapter 11-Verfahren begeben, welche heute wieder zu
gesunden Unternehmen zählen.
3
Konkurs
Kann eine Unternehmung wegen schlechter Ertragslage, Überschuldung und ausgetrockneter Liquidität ihre Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen, so bleibt ihr nur der Konkurs.
Während bei einer Nachlassstundung der Betrieb weitergeführt werden kann, wird er im
Falle des Konkurses in den allermeisten Fällen umgehend geschlossen. Zur Illustration des
Konkurses wird häufig das Bild eines herausgezogenen Steckers verwendet. Es werden per
sofort keine Arbeiten mehr ausgeführt, die Arbeitnehmer stehen auf der Strasse und die
Kunden werden nicht mehr bedient.
Der Verfahrensablauf hängt stark von den vorhandenen Aktiven ab. Sind genügend
finanzielle Mittel vorhanden, dass die Kosten einer Konkursverwaltung inkl. Gläubigerversammlung etc. gedeckt werden können oder muss der Konkurs gar mangels Aktiven
eingestellt werden? Dies sind die ersten Fragen, die einen Konkursbeamten beschäftigen.
Grundsätzlich werden mit der Konkurseröffnung alle Forderungen gegenüber dem Unternehmen fällig und es laufen – mit gewissen Ausnahmen – keine Schuldzinsen mehr. Die
Aufgabe des eingesetzten Konkursverwalters ist die Liquidation des Betriebes. Hierfür
macht er alle Aktiven zu Geld. Klassischerweise erfolgt dies über Versteigerungen, bei
welchen der Meistbietende den Zuschlag erhält.
Im vom Konkursverwalter erstellten Kollokationsplan wird festgehalten, ob, in welchem
Umfang und in welchem Rang eine von einem Gläubiger eingereichte Forderung gutgeheissen wird. Der Kollokationsplan bildet die Grundlage für die Verteilung der Geldmittel an
die Gläubiger. Für die nicht bezahlte Schuld wird ein Verlustschein ausgestellt.
D
Weitere Szenarien
1
Praxisbeispiel 1: immaterielle Werte und Güter ohne klar bestimmbaren Verkehrswert
Wir hatten einst einen Klienten, der ein Patent besass, welches nicht in seine Produktpalette passte, für das er nicht die richtigen Vertriebskanäle hatte und welches ihm nur
Verluste einfuhr. Man entschied sich frühzeitig, dieses Patent abzustossen.
Aus der Not eine Tugend machen – ein Praxisbeispiel
20
Beim Verkaufsgespräch wurde ungeniert die defizitäre Situation des Produkts in der
eigenen Vergangenheit offen gelegt, dann aber ein stolzer Verkaufspreis genannt. Die
Argumentation verlief dahingehend, dass dieses Produkt beim potentiellen Käufer künftig
grosse Umsätze und Gewinne einfahren kann. Der Käufer anerkannte des Potential des
Patentes und war schlussendlich auch bereit, hierfür den gewünschten Preis zu bezahlen.
Wichtig im vorliegenden Fall war der frühzeitige Entscheid unseres Klienten. Dies ist bei
immateriellen Werten oder bei Gütern mit schwer bestimmbarem Verkehrswert sehr wichtig. Nicht nur verhandelt wesentlich schlechter, wer mit dem Rücken zur Wand steht, sondern immaterielle Werte lassen sich in einem Nachlassverfahren wesentlich schwieriger
verwerten, ganz zu schweigen von einer Verwertung in einem Konkurs.
Nicht immer gelingt es, frühzeitig zu handeln. Kommt es zu einem Verkauf derartiger
Güter am Vorabend des Konkurses und muss man bereits einen entsprechenden Preisabschlag hinnehmen, tut man gut daran dieses Geschäft vorgängig seinen Gläubigern
offen zulegen. Ist dies nicht möglich, sollte man seine Verkaufsbemühungen zumindest
entsprechend dokumentieren. Wir hatten letztens eine Klientin, die sich in dieser Situation befand und kurz vor Konkurseröffnung noch nicht börsenkotierte Aktien aus einer
in Konkurs gehenden Holding heraus verkaufen wollte. Auf der Gläubigerseite befand
sich glücklicherweise nur ein einziger Gläubiger, welcher vorgängig über den Verkauf
informiert wurde. Selbstverständlich war dieser Gläubiger nicht erfreut über seinen sich
abzeichnenden Verlust. Er sah aber die finanziellen Vorteile eines Verkaufes noch vor Konkurseröffnung und schätzte auch das Vorgehen der Verantwortlichen des Unternehmens.
Dies ist nicht zu unterschätzen, denn die Enttäuschung und der Missmut eines Gläubigers
über seinen Verlust können sich schnell einmal in Form von Verantwortlichkeitsklagen
entladen. Orientiert man aber offen über die anstehenden Probleme und bezieht die Gläubiger in den Entscheidungsprozess mit ein, kann dies viel nachhaltig Positives bewirken.
2
raxisbeispiel 2: Vermeidung eines Betriebsunterbruchs mit anschliessendem WertP
verlust
Für Unternehmen, die ununterbrochen Leistungen erbringen, kann ein Betriebsunterbruch verheerend sein. Ein solches Unternehmen ist vergleichbar mit einem Betonmischer. Kommt es während der Betriebszeit zu einem Stromausfall und funktioniert
das Notstromaggregat nicht, erhärtet der Beton und zerstört die gesamte Maschine. Ein
Totalverlust tritt ein.
In einer solchen Situation befand sich einer unserer Klienten, der aus verschiedenen Gründen hochverschuldet und von den Gläubigern zur Bezahlung der fälligen Verbindlichkeiten
gedrängt wurde. Einziges Aktivum, welches zur Befriedigung der Gläubiger zur Verfügung
stand, war sein Betriebsnetz. Wäre dieses Netz aber – was bei einem Konkurs der Fall
gewesen wäre – nicht mehr bedient und gewartet worden, hätte sich kein Käufer mehr
gefunden. Die bisherigen Kunden, die dieses Netz benutzt hatten, hätten sich anderweitig
orientiert und bei den Gläubigern wäre es zu einem Totalverlust gekommen. Das Netz
war mithin nur interessant, solange es betrieben wurde, was mit relativ geringen Kosten
möglich war.
Aus der Not eine Tugend machen – ein Praxisbeispiel
21
Um die Weiterführung der Unternehmung bzw. insbesondere des Netzes trotz massiver
offener Verbindlichkeiten zu gewährleisten, wurde beim Gericht um Nachlassstundung
ersucht. Die Nachlassstundung führte dazu, dass die bereits fälligen Forderungen gestundet bzw. nicht mehr eingetrieben werden konnten, und verschaffte der Unternehmung
bzw. dem Sachwalter die nötige Zeit, um dieses Netz zu verkaufen.
An diesem Beispiel zeigt sich sehr gut, dass die bisherigen Verantwortlichen, auch wenn
sie selber keine Entscheide mehr treffen dürfen, den Sachwalter doch massgeblich unterstützen können. Es waren die bisherigen Verantwortlichen, welche Kenntnisse über die
konkrete Branche besassen, welche den Kontakt zu potentiellen Käufern herstellten und
das technische Know How besassen, um die Qualitäten des Netzes auch entsprechend
hervorzuheben.
Nach erfolgreichem Verkauf des Netzes konnten die Gläubiger im Rahmen einer Nachlassliquidation befriedigt werden. Auch wenn sie Verluste hinnehmen mussten, waren sie doch
erheblich besser gestellt als in einem Konkurs.
3
Praxisbeispiel 3: Unternehmen der Gastronomiebranche
Es gibt auch Unternehmungen, die nicht nur in den roten Zahlen angelangt und überschuldet sind, sondern die weder bei ihren bilanzierten Aktiven noch bezüglich ihrer Position im
Markt und ihrer Produkte etwas haben, was man mit Gewinn verkaufen kann. Im Gegenteil, monatlich häufen sich weitere Schulden an. Als Beispiel für einen solchen Fall nenne
ich ein konkursites Unternehmen der Gastronomiebranche. Gelingt da nicht ein Verkauf
an jemanden, der bereit ist, in der gleichen Lokalität wieder ein ähnliches Unternehmen –
sinnvollerweise mit einem anderen Marketingkonzept – zu betreiben und hierfür nebst den
Grossteil des Mobiliars auch einige Arbeitnehmer zu übernehmen, kommt es unweigerlich
zu Verlusten. Der Verkauf von gebrauchten Tischen und Stühlen, Besteck und Tischdecken
wirft nicht viel Geld ab.
Kommt es zum Konkurs, wird das Unternehmen von einem Tag auf den anderen geschlossen. Ein geordneter Rückzug ist kaum möglich. In solchen Fällen liegt unser Augenmerk
auf der Schadensbegrenzung, allen voran der Schadensbegrenzung bei den Verantwortlichen. Es soll verhindert werden, dass es am Vorabend des Konkurses noch zu überstürzten und unüberlegten Handlungen kommt und sich die Verantwortlichen Klagen oder gar
strafrechtlichen Vorwürfen aussetzen.
E
Zusammenfassung
Aus juristischer Optik stellt sich bei einem Unternehmen in der Krise bald einmal die Frage,
ob eine blosse Sanierung noch möglich ist oder ob es dafür bereits zu spät ist und die
bisherigen Verantwortlichen beim Gericht um ein Nachlassverfahren, allenfalls gar einen
Konkurs nachsuchen müssen. Dabei sollte man weder in Panik verfallen – schon gar nicht
frühzeitig – noch existierende Probleme herunterspielen und verbissen an der bisherigen
Strategie festhalten.
Aus der Not eine Tugend machen – ein Praxisbeispiel
22
Es gilt der Grundsatz: Es ist nie zu spät, aus der jeweiligen Situation heraus die optimale
Lösung zu finden.
Wie auch immer die Lösung aussieht, sie sollte geordnet erfolgen. Nur so besteht grösstmögliche Gewähr, dass keine Gläubiger zu Schaden kommen oder deren Schaden möglichst klein bleibt. Sobald Gläubiger im grösseren Umfang Forderungsverzichte leisten
müssen oder Konkursverluste erleiden, entsteht Aggressivität, die zu Verantwortlichkeitsklagen gegen die bisherigen Entscheidträger führen kann.
Ideale Fälle sind jene, in denen werthaltige Betriebsteile, Kundenstämme, Marktanteile,
Markenrechte und andere Gegenstände vorhanden sind, die man an zahlungskräftige
Unternehmungen in der gleichen Branche mit Gewinn verkaufen kann, und wo zudem
durch die Umnutzung der nicht mehr betriebsnotwendigen Aktiven Mehrwerte entstehen
können. Aus solchen Konstellationen kommt manchmal jener Stoff, aus dem die Träume
sind, nämlich der Rückzug eines bisher verzweifelt gegen die Wellen kämpfenden Unternehmers in ein materiell gesichertes Privatleben, das ihm einen Lebensgenuss eröffnet,
wie er ihn als geplagter Unternehmer nie gekannt hat.
23
III Unternehmenskäufe in der Krise
Dr. Adrian Dörig
A
Einleitung
Die Krise generiert besondere Kaufgelegenheiten.
Verkäuferseitig besteht Verkaufsdruck. Entweder benötigt man aufgrund der eigenen
schlechten finanziellen Verfassung innert nützlicher Frist Liquidität, etwa um die Banken zu beruhigen. Oder – wenn es sich beim Kaufgegenstand selbst um ein notleidendes
Unternehmen handelt – möchte bzw. kann man dieses Unternehmen nicht mehr selbst
weiterführen.
Auf Käuferseite ist der Haupttreiber oft der tiefe Kaufpreis, denn in Krisenzeiten kann
man auf dem Unternehmensmarkt günstig einkaufen. In der Krise ergeben sich gerade für
strategische Käufer auch interessante strategische Kaufgelegenheiten. Finanzinvestoren
hingegen haben derzeit noch immer mit Bewertungsunsicherheiten und Schwierigkeiten
mit der Fremdfinanzierung durch die Banken zu kämpfen.
Die Chancen sind also da. Rechtfertigen es diese Chancen, erhöhte Risiken in Kauf zu nehmen? Denn solche sind bei Unternehmenskäufen in der Krise durchaus vorhanden.
B
Ausgangslage
Nach der Art des Kaufgegenstandes sind folgende Konstellationen zu unterscheiden:
Im ersten einfachsten Fall steht der Kauf einzelner Aktiven zur Diskussion. Es geht z. B.
um eine für den Verkäufer nicht betriebsnotwendige Liegenschaft. Der Käufer erwirbt den
Vermögensgegenstand in Einzelrechtsnachfolge.
Im zweiten Fall soll ein gesamter Betrieb oder Betriebsteil, der nicht zwingend als eigenes
Rechtssubjekt – d. h. als separate Gesellschaft – zusammengefasst ist, verkauft werden.
Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist unter einem Betrieb eine auf
Dauer gerichtete, in sich geschlossene organisatorische Leistungseinheit zu verstehen, die
selbständig am Wirtschaftsleben teilnimmt. Der Käufer erwirbt die zum Betrieb gehörigen
Aktiven und Passiven. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem sogenannten
«Asset Deal».
Unternehmenskäufe in der Krise
24
Der dritte Fall betrifft den sogenannten «Share Deal». Es geht um den Kauf der Anteile an
einer Gesellschaft. Nach Vollzug des Kaufs der Gesellschaft verfügt der Käufer über eine
neue Tochtergesellschaft, die Gesellschaft ist dann im Käuferkonzern integriert. Oder die
Käufergesellschaft absorbiert die gekaufte Gesellschaft oder fusioniert mit ihr und wird so
zu deren Universalrechtsnachfolgerin.
Je nach Art des Kaufgegenstandes kann bei der Risikoanalyse das Umfeld des Kaufgegenstandes, namentlich Konzernverhältnisse, eine wichtige Rolle spielen.
Übernimmt der Käufer mit dem Kaufgegenstand auch Arbeitnehmer, muss auch deren
Pensionskassensituation (Stichwort Unterdeckung) angeschaut werden.
C
Risiken
Es kann zwischen Investitionsrisiken und Haftungsrisiken unterschieden werden. Solche
gibt es potentiell bei jedem Unternehmenskauf. Sie können sich beim Kauf in der Krise
allerdings akzentuieren bzw. gibt es Besonderheiten.
Wenn sich das Investitionsrisiko verwirklicht, stellt sich heraus, dass der Kaufgegenstand
nicht werthaltig war. Im schlimmsten Fall verliert der Käufer seinen ganzen Einsatz, nämlich den von ihm bezahlten Kaufpreis. Obwohl schmerzlich, ist ein solches Risiko in der
Regel verkraftbar.
Anders bei Haftungsrisiken, deren Umfang den Kaufpreis um ein Vielfaches übersteigt und
den Käufer selbst in eine Notlage bringen kann. Bei solchen – in der Krise oft akzentuierten – Haftungsrisiken geht es um die Erhöhung der Passiven des Käufers als Rechtsträger
oder Rechtsnachfolger des Kaufgegenstandes aus vor dem Vollzug des Kaufs gesetzten
Gründen.
Selbstverständlich wird der Käufer versuchen, im Rahmen der Untersuchung des Kaufgegenstandes, der sogenannten Due Diligence-Prüfung, solche Risiken zu identifizieren.
Zeigen sich Risiken, ist die Struktur der Transaktion anzupassen und der Kaufgegenstand
ist im Kaufvertrag neu zu definieren, indem relevante Passiven ausdrücklich als nicht zum
Kaufgegenstand gehörig bezeichnet werden.
Freilich lässt sich nicht alles risikofrei strukturieren. Gerade wenn sich der Kaufgegenstand in einer Nachlass- oder Konkursmasse befindet, d. h. dem bisherigen Rechtsträger
wurde die Nachlassstundung gewährt oder über ihn wurde der Konkurs eröffnet, kann auf
Verkäuferseite der Sachwalter bzw. die Konkursverwaltung den Käufer durchaus mit einer
«take it or leave it»-Haltung begegnen. Dann hat das Rosinenpicken ein Ende.
Zudem sind im Zeitpunkt des Kaufentscheids nicht alle relevanten Risiken bekannt.
Erschwerend kommt bei solchen Transaktionen der erhebliche Zeitdruck hinzu, stehen
doch Verkäufer oder Kaufgegenstand meist finanziell am Abgrund.
Unternehmenskäufe in der Krise
D
25
Besondere Investitionsrisiken
Auf bei M&A-Transaktionen typische Investitionsrisiken – wie etwa jenes, dass der Kaufgegenstand Mängel aufweisen kann – wird hier nicht weiter eingegangen. Vielmehr sind
drei krisenspezifische Investitionsrisiken zu erläutern:
1
Erfüllungswahlrecht der Konkursverwaltung
Wird über den Verkäufer vor Vollzug des Verkaufs der Konkurs eröffnet, fällt der Kaufgegenstand in die Konkursmasse und die Konkursverwaltung kann, muss aber nicht, den
Kaufvertrag real erfüllen, d. h. dem Käufer das Eigentum am Kaufgegenstand verschaffen.
Falls dies die Konkursverwaltung nicht tut und die Vertragsbeendigung wählt, ergeben
sich für den Käufer erhebliche Nachteile. Hat er nämlich den Kaufpreis bereits teilweise
bezahlt, verbleibt seine Anzahlung in der Konkursmasse. Der Käufer kann die Eigentumsübertragung an ihn dann nicht mehr durchsetzen. Seine Schadenersatzforderung ist in
den meisten Fällen wirtschaftlich wertlos.
Vertraglich ist deshalb sicherzustellen, dass der Kaufpreis erst gegen Lieferung des Kaufgegenstandes gezahlt wird (keine Anzahlung). Unterzeichnung und Vollzug des Kaufvertrages sind möglichst zusammenzulegen bzw. ist der Kauf sofort nach Erfüllung sämtlicher
Vollzugsvoraussetzungen zu vollziehen. Ferner sollte sich der Käufer das Recht ausbedingen, bei Konkurseröffnung oder Nachlassstundung hinsichtlich des Verkäufers den Kaufvertrag auflösen zu können.
2
Risiko der paulianischen Anfechtung
Wird über den Verkäufer der Konkurs eröffnet, besteht für die Konkursverwaltung oder
allenfalls für Abtretungsgläubiger die Möglichkeit, den vor der Zwangsvollstreckung
erfolgten Verkauf durch den nun konkursiten Verkäufer mit dem Ziel anzufechten, möglichst viel Haftungssubstrat in die Konkursmasse zurückzuholen.
Die Anfechtungsmöglichkeit soll generell verhindern, dass ein Käufer die Notlage des Verkäufers zum Schaden der anderen Gläubiger des Verkäufers ausnützt. Nachträglich wird
oftmals behauptet, der Kaufpreis sei zu tief gewesen und stehe in einem Missverhältnis
zur Gegenleistung. Ein Bewertungsgutachten eines unabhängigen Experten (Fairness
Opinion), das bestätigt, dass der Käufer für den Kaufgegenstand einen fairen Marktpreis
bezahlt hat, vermindert das Anfechtungsrisiko. Ebenso der Umstand, dass vor dem Verkauf mehrere Kaufangebote eingeholt wurden oder gar ein eigentliches Auktionsverfahren
durchgeführt wurde.
Keinerlei Risiko einer paulianischen Anfechtung besteht hingegen bei einem Kauf aus dem
Konkursverfahren.
Unternehmenskäufe in der Krise
3
26
Erhöhtes Gegenparteirisiko
Risiken bei Transaktionen in Krisenzeiten lassen sich aufgrund der schlechten Verfassung
des Verkäufers oder des Kaufgegenstandes oftmals nicht genügend absichern – sodass
der Käufer sie am Ende selber tragen muss.
Der Verkäufer ist oft nicht in der Lage, überhaupt erst umfassende kaufrechtliche Gewährleistungen abzugeben. So ist ein Sachwalter oder ein Konkursverwalter in aller Regel nur
bereit, minimale Gewährleistungen abzugeben, nämlich dass der Verkäufer rechtmässig
besteht, er Eigentümer des Kaufgegenstandes ist und darüber verfügen darf.
Selbst wenn ein Käufer gewisse vertragliche Gewährleistungen erhalten hat, sind diese,
nachdem sich ein Mangel gezeigt hat, häufig nicht einmal mehr das Papier wert, auf dem
sie stehen, weil der Verkäufer bis dann Konkurs gegangen ist und die durch den Käufer in
dessen Konkurs eingegebene Schadenersatzforderung aus kaufvertraglicher Gewährleistungsverletzung kaum gedeckt sein wird.
Dieses erhöhte Gegenparteirisiko lässt sich mit einer gestaffelten Kaufpreiszahlung mit
Verrechnungsrecht oder einem sogenannten Escrow, d. h. zur allfälligen Deckung solcher
Ansprüche hinterlegt der Verkäufer einen gewissen Geldbetrag bei einem unabhängigen
Dritten, mindestens teilweise absichern. Befindet sich der Verkäufer bereits in Nachlassstundung, sind vom Sachwalter eine schriftliche Zustimmung zum Kaufvertrag und eine
schriftliche Bestätigung zu verlangen, dass allfällig aus diesem Vertrag resultierende
­Verpflichtungen Massenverbindlichkeiten des Verkäufers darstellen und damit vorab
beglichen werden.
E
Haftungsrisiken aus Kauf einzelner Aktiven
Würde der Käufer reale Haftungsrisiken vor Vertragsabschluss entdecken, würde er auf
den Kauf verzichten, weil diese Risiken nicht nur den Investitionserfolg gefährden, sondern
dem Käufer darüber hinaus weitgehende finanzielle Verpflichtungen verursachen können.
Es ist eine Binsenwahrheit, dass solche Haftungsrisiken vermehrt bei Kaufgegenständen
bzw. Verkäufern auftreten, die krisenbelastet sind.
Werden lediglich einzelne Aktiven gekauft, lassen sich die damit zusammenhängenden
Haftungsrisiken vergleichsweise gut identifizieren. Der Käufer muss sich derer jedoch
bewusst sein, denn auch hier lauern Gefahren. Zur Illustration zwei Beispiele:
Der Käufer erwirbt ein Patent. Nach einiger Zeit meldet sich jedoch eine amerikanische
Universität und behauptet, das Patent bzw. die Verwertungsrechte daraus gehörten ihr als
Erfinderin des Patents. Ein langwieriger Prozess folgt. Ein weiterer Dritter, ein ehemaliger
Konkurrent des Verkäufers, meldet sich ebenfalls beim Käufer. Er behauptet, die aus dem
gekauften Patent vermarkteten Produkte verletzten bestehende Schutzrechte von ihm.
Auf den Käufer kommen weitere erhebliche Prozesskosten zu, diesmal gleich in mehreren
Ländern. Verliert er die Prozesse, kann er das gekaufte Patent nicht kommerziell nutzen.
Damit zusammenhängende Investitionen werden wertlos.
Unternehmenskäufe in der Krise
27
Der Käufer erwirbt ein Warenlager. Aus diesem Warenlager verkauft und liefert er ein
Produkt, das sich in der Folge als fehlerhaft erweist. Obwohl der Käufer dieses fehlerhafte
Produkt nicht selbst produziert hat, gilt er als Hersteller im Sinne des Produkthaftpflichtgesetzes. Für allfällige Personen- und Sachschäden, die aus einem solchen fehlerhaften
Produkt entstehen, haftet er grundsätzlich unbeschränkt.
F
Haftungsrisiken aus Betriebsübertragung
1
Allgemeines
Wie bereits oben erwähnt, übernimmt der Käufer mit der Übertragung eines Betriebs die
zum Betrieb gehörigen Aktiven und Passiven.
Rechtstechnisch kann dieser Asset Deal auf zwei Arten strukturiert werden:
Als Kauf von Aktiven mit Schuldübernahme überträgt der Verkäufer die Aktiven einzeln
und der Käufer übernimmt die Passiven mit Zustimmung des jeweiligen Gläubigers einzeln
durch Schuldübernahme (Singularsukzession).
Bei der Vermögensübertragung nach Fusionsgesetz gehen die Aktiven und Passiven mit
dem Handelsregistereintrag automatisch auf den Käufer über (partielle Universalsukzession).
In beiden Fällen ist der Kaufgegenstand zu umschreiben. Während der Käufer daran interessiert ist, sämtliche für den Betrieb erforderliche Aktiven detailliert im Vertrag aufzunehmen, will der Verkäufer sämtliche dazugehörigen Verbindlichkeiten (inklusive alle Risiken
und Gefahren) umfassend nennen.
2
Übertragung von Arbeitnehmern
Bei einem Asset Deal sind die Abklärung möglicher Haftungsrisiken und Vertragsverhandlungen über deren Begrenzung von entscheidender Bedeutung. Mit Bezug auf die Arbeitnehmer und deren Forderungen ist der Handlungsspielraum allerdings eingeschränkt. Die
in einem zu verkaufenden Betrieb tätigen Arbeitnehmer gehen nämlich auf den Käufer
über, auch wenn dies nicht ausdrücklich vereinbart wurde (Art. 333 OR). Der Käufer kann
allerdings den Arbeitnehmern nach dem Kauf unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist kündigen und muss sie nicht während einer bestimmten Zeit weiterbeschäf­
tigen, wie dies z. B. in Deutschland und Österreich vorgeschrieben ist. Er ist in der Schweiz
überdies nicht gesetzlich verpflichtet, einen Sozialplan aufzustellen.
Hingegen haftet der Käufer zusammen mit dem Verkäufer solidarisch für die Forderungen
der Arbeitnehmer, die bis zum nächsten ordentlichen Kündigungstermin fällig werden. Der
Käufer kann auch für nicht bezahlte Löhne und Sozialabgaben zur Kasse gebeten werden,
die bereits vor der Betriebsübertragung fällig geworden sind.
Unternehmenskäufe in der Krise
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Im Falle einer Fusion können die Arbeitnehmer die Sicherstellung ihrer Forderungen verlangen.
Erwirbt der Käufer einen Betrieb jedoch aus einer Konkursmasse, so gehen die Arbeitsverhältnisse nicht automatisch auf ihn über. Er haftet in diesem Falle nicht für die Forderungen, die vor dem Erwerb des Betriebes entstanden und nicht beglichen worden sind.
Zuwarten kann sich für den Käufer also unter Umständen auszahlen.
G
Haftungsrisiken aus Gesellschaftskauf
1
Allgemeines
Wie oben dargestellt, ist der Käufer beim Asset Deal grundsätzlich in der Lage, sich diejenigen Aktiven und Passiven auszusuchen, die er kaufen will. Grundsätzlich gehen nur
die durch den Kaufvertrag bzw. in der Inventarliste des Vermögensübertragungsvertrages
definierten Aktiven und Passiven auf den Käufer über. Auf diese Weise kann der Käufer
die Übernahme von Haftungsrisiken zumindest teilweise vermeiden und sich dadurch vor
einigen «unangenehmen Überraschungen» schützen.
Der Kauf von einigen oder sämtlichen Anteilen an einer Gesellschaft (Share Deal) ist für
den Käufer potentiell mit den meisten Risiken behaftet. Die Aktiven und Passiven der
Gesellschaft, deren Anteile übernommenen werden, bleiben unverändert, insbesondere
sämtliche Verbindlichkeiten und Haftungsrisiken der Gesellschaft bleiben auch nach dem
Kontrollwechsel grundsätzlich bestehen. Letztlich setzt sich der Käufer beim Share Deal
den wirtschaftlichen Schwierigkeiten aus, die zur Krise des Unternehmens geführt haben.
Gegebenenfalls ist er auch verpflichtet, Massnahmen zur Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit oder (drohenden) Überschuldung zu ergreifen.
2
Konkurs der Gesellschaft mit Haftungsrisiken als Problemlösung?
In diesem Zusammenhang ist die Frage berechtigt, ob der solvente Käufer das übernommene Unternehmen, das sich in der Folge als Haftungsfass ohne Boden erweist, nicht
kurzerhand in Konkurs gehen lassen und sich so dieser Probleme entledigen soll. Dieser
Schritt ist insbesondere aus den folgenden Gründen gut zu überlegen:
a
Reputationsrisiko
Ein aufrecht stehender Konzern wird es sich in aller Regel aus Gründen der Reputation
nicht leisten, eine Konzerngesellschaft in Konkurs gehen zu lassen. Als Beispiel mag ein
Fall dienen, über den auch die Medien berichteten:
Das IT-Unternehmen Systor AG ging im November 2003 in Konkurs. Als Gründe wurden
die schlechte Branchenkonjunktur sowie der teure Kauf der deutschen SchuhmannGruppe anfangs 2000, der sich in der Folge als Nonvaleur herausstellte, genannt. Eigentümerin der Systor AG war die UBS. Diese wurde von fünf deutschen Banken, welche gegen
Unternehmenskäufe in der Krise
29
die Systor AG Darlehensforderungen in Millionenhöhe ausstehend hatten, mit einer Klage
über CHF 100 Mio. eingedeckt. Vor allem gaben sie an, nicht gewusst zu haben, dass die
UBS schon 2001 intern beschlossen hatte, der Systor AG die konzernmässige Unterstützung zu entziehen, was praktisch das Ende der IT-Firma bedeutete.
Das Zürcher Handelsgericht wies die Klage mit Urteil vom 7. Juni 2009 zwar ab. Unter
anderem hielt das Gericht fest, dass eine absichtliche Täuschung seitens der UBS nicht vorgelegen habe und die Vorwürfe der Klägerinnen zu wenig konkret gewesen seien. Dennoch
blieben der UBS neben bedeutendem Prozessaufwand und -kosten ein gewisser Reputationsschaden: Bereits nach der Publikation der Gewährung der provisorischen Nachlassstundung rund ein Jahr vor der Konkurseröffnung titelte die NZZ «UBS lässt die Systor fallen».
b
Aktienrechtliche Verantwortlichkeit (faktisches Organ)
Je nach dem, wie lange mit der Überschuldungsanzeige zugewartet worden ist und wie
stark einzelne Gläubiger durch den Konkurs zu Schaden kommen, ist auch das Risiko
der Haftung aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit (Stichwort Konkursverschleppung)
ernst zu nehmen. Einerseits will die Muttergesellschaft die Personen schützen, die in den
Verwaltungsrat und das Management der maroden neuen Tochtergesellschaft geschickt
wurden. Andererseits steht die Muttergesellschaft selbst in der Verantwortung, wenn sie
als faktisches Organ der Tochtergesellschaft – indem sie anstelle des Verwaltungsrates
oder der Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft unmittelbar Geschäftsführungsauf­
gaben ausübte und dadurch den Geschäftsgang der Tochtergesellschaft massgebend
beeinflusste – Sorgfaltspflichten in massgeblicher Weise verletzt hat.
c
Haftung aus erwecktem Konzernvertrauen
Wie der Leitentscheid des Bundesgerichts in Sachen Swissair aus dem Jahr 1994 (BGE
120 II 331) gezeigt hat, muss ein Käufer bei der Übernahme einer Gesellschaft auch eine
mögliche Haftung aus erwecktem Konzernvertrauen im Auge behalten. Diese Haftung ist
allerdings an sehr strenge Voraussetzungen geknüpft. Sie entsteht nur, wenn die Muttergesellschaft durch ihr Verhalten bestimmte Erwartungen in ihr Konzernverhalten und ihre
Konzernverantwortung – z. B. durch Werbung mit der Zugehörigkeit zum Konzern oder
falsche Aufklärung über die wirtschaftliche Lage der Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft – erweckt, später aber in treuwidriger Weise enttäuscht.
d
Durchgriffshaftung
Eine weitere Anspruchsgrundlage enttäuschter Gläubiger der Konkurs gegangenen Gesellschaft gegen deren Muttergesellschaft besteht in der Durchgriffshaftung. Dabei wird die
rechtliche Trennung zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern durchbrochen,
wenn die Berufung darauf und auf die Eigenständigkeit der juristischen Person sich als
rechtsmissbräuchlich darstellt. Ein Durchgriff wird in der schweizerischen Praxis allerdings
sehr selten bejaht, weil die Rechtsfiguren des faktischen Organs und der Vertrauenshaftung dominieren und da der für den Durchgriff notwendige Rechtsmissbrauch nur selten
zu beweisen ist. Ausländische Jurisdiktionen, insbesondere die USA, nehmen in diesem
Zusammenhang allerdings schneller eine Haftung an («disregard of the corporate entity»
bzw. «piercing of the corporate veil»).
Unternehmenskäufe in der Krise
3
30
Besondere Haftungsrisiken aus Konzernverhältnissen
Besondere Haftungsrisiken direkt aus dem Gesellschaftskauf können sich dann ergeben,
wenn die übernommene Gesellschaft vor dem Kontrollwechsel in einem Konzern eingegliedert war.
a
Mehrwertsteuern
Potentielle Käufer im Nachlassverfahren von dem Swissair-Konzern angehörigen Gruppengesellschaften waren stark mit der Frage der solidarischen Mithaftung für nicht
bezahlte Mehrwertsteuern des ganzen Swissair-Konzerns beschäftigt. Gemäss dem heute
geltenden Mehrwertsteuergesetz haftet jede an einer Gruppenbesteuerung beteiligte Person oder Personengesamtheit für sämtliche von der Gruppe geschuldeten Steuern mit der
steuerpflichtigen Person solidarisch. Bis Ende 2009 haftet ein aus der Gruppe austretendes Unternehmen – im vorliegenden Kontext die vom Käufer übernommene Gesellschaft
– für sämtliche Mehrwertsteuerschulden der ganzen Gruppe für den Zeitraum seiner Mitgliedschaft. Da die Verjährungsfrist fünf Jahre beträgt, besteht ein entsprechendes Risiko
bis fünf Jahre nach Gruppenaustritt.
Mit Inkrafttreten des neuen Mehrwertsteuergesetzes am 1. Januar 2010 wird sich die
Haftung bei Austritt auf die eigenen Mehrwertsteuerschulden während der Gruppenmitgliedschaft reduzieren, d. h. das austretende Unternehmen haftet nicht mehr für
Mehrwertsteuerforderungen gegenüber den ehemaligen übrigen Mitgliedern. Die Verjährungsfrist beträgt nach wie vor fünf Jahre. Es besteht damit kein Unterschied mehr, ob
die Gesellschaft vor dem Kontrollwechsel Mitglied einer Mehrwertsteuer-Gruppe war oder
nicht. Dies bedingt jedoch, dass in der Mehrwertsteuer-Gruppe für jedes Gruppenmitglied
aussagekräftige und korrekte Aufzeichnungen (sogenannte Schattenrechnungen) geführt
werden. Dies wurde schon unter der bisherigen Verwaltungspraxis verlangt, allerdings
hat deren korrekte Erstellung unter dem neuen Gesetz einen viel höheren Stellenwert und
muss in der Due Diligence entsprechend geprüft werden.
b
Bussen für wettbewerbsrechtliche Verstösse
Ein weiteres Risiko für eine Haftung aus Konzernverhältnissen besteht im Zusammenhang
mit Bussen für wettbewerbsrechtliche Verstösse. Solche Bussen können in die Millionen
gehen. Adressat der Haftung kann dabei nicht nur ein unmittelbar handelndes Konzernunternehmen sein, sondern auch dessen Muttergesellschaft. Grundsätzlich gilt die
Vermutung, dass Tochtergesellschaften Weisungen der Muttergesellschaft befolgen. Die
Geldbusse wird dabei gesamtschuldnerisch sowohl dem rechtswidrig handelnden als auch
der leitenden juristischen Person auferlegt. Dies widerfuhr einem unserer Klienten, der
eine deutsche Gesellschaft aus einem Konzern erworben hatte, der einige Jahre zurück an
einem Kartell beteiligt war. Dieses Fehlverhalten wurde auch der nicht am Kartell beteiligten deutschen Gesellschaft zugerechnet, und unser Klient als neuer Eigentümer wurde
dadurch ebenfalls haftbar. Die dargelegten Haftbarkeit- und Zurechnungskriterien sind in
der EU-Rechtsprechung sehr weit entwickelt. Obwohl es in der Schweiz zu diesem Thema
weder ausdrückliche Gesetzesbestimmungen noch eine publizierte Rechtspraxis gibt, ist
davon auszugehen, dass die Schweizerische Wettbewerbskommission diese Grundsätze
anwenden würde. Das latente Haftungsrisiko besteht längere Zeit, denn die Verfolgungs-
Unternehmenskäufe in der Krise
31
und Vollstreckungsverjährung beträgt nach EU-Recht je fünf Jahre; nach Schweizer Recht
verjährt die Bussenforderung nach zehn Jahren.
c
Entflechtung und Absicherung
Diese beiden Beispiele illustrieren, dass beim Kauf einer Gesellschaft aus einem Konzern
der Entflechtung dieser Konzernverhältnisse sowie der Überprüfung allfälliger Solidarhaftungsrisiken daraus grosse Beachtung geschenkt werden muss. Vertraglich lassen
sich solche Risiken mit Schadloshaltungsverpflichtungen zu Lasten des Verkäufers, unter
Umständen auch mit Versicherungslösungen auffangen.
4
«Deep Pocket»-Prinzip
Ein weiteres, mehr faktisches Haftungsrisiko, das sich bei einem Unternehmenskauf in
der Krise akzentuieren kann, beruht auf dem sogenannten «Deep Pocket»-Prinzip. Erwirbt
ein finanziell gut dastehender Käufer ein notleidendes Unternehmen aus einem maroden
Konzern, wittern Kunden oder bisher nicht als solche auftretende Gläubiger dieses Unternehmens Morgenluft. Ein Bankenklient unserer Kanzlei musste diese bittere Erfahrung
machen, als er sich bald nach erfolgtem Kontrollwechsel mit Vorwürfen schlechter Anlageberatung und grossen Schadenersatzforderungen von Kunden der übernommenen Bank
konfrontiert sah. In der Due Diligence waren solche drohenden Ansprüche nie ein Thema.
Die Bankkunden, die sich bis zum Kontrollwechsel still gehalten hatten, waren nun der
Meinung, die neue solvente Eigentümerschaft werde schon Geld locker machen.
Mögliche Gegenmassnahmen bei solchen Begehrlichkeiten sind beschränkt. Nicht zuletzt
aufgrund des bereits erwähnten Reputationsrisikos wird man berechtigten Ansprüchen
stattgeben müssen. Unberechtigte Ansprüche sind – mit entsprechender Kostenfolge –
wenn nötig gerichtlich abzuwehren.
H
Faktische Haftung für Risiken der Pensionskasse übernommener
­Arbeitnehmer
Ein mehr faktisches als rechtliches Risiko geht unter Umständen ein Käufer eines Unternehmens oder eines Betriebs ein, wenn die übernommenen Arbeitnehmer einer Pensionskasse in Unterdeckung angehören.
Ist die Pensionskasse eine betriebseigene Kasse des erworbenen Unternehmens, so bleibt
sie diesem nach dem Kontrollwechsel verbunden und das erworbene Unternehmen muss
unter Umständen mit der Zahlung von Sanierungsbeiträgen zur Gesundung beitragen.
Fast noch unangenehmer ist es, wenn die übernommenen Arbeitnehmer als Gruppe aus
ihrer bisherigen Pensionskasse in Unterdeckung ausscheiden, und dadurch der Tatbestand
der Teilliquidation erfüllt ist. Diesfalls werden die Vorsorgeguthaben der übernommenen
Arbeitnehmer im Umfang der Unterdeckung gekürzt. Der gesetzliche Schutz der Mindestguthaben sichert nur Ansprüche in einem tiefen Salärbereich; alle übrigen Arbeitnehmer
sind von der Kürzung betroffen. Nicht selten werden sie den Käufer ihres Betriebs, der
Unternehmenskäufe in der Krise
32
an ihrer Übernahme interessiert ist, auffordern, die Kürzung auszugleichen. Der Käufer
ist dazu in keiner Weise gesetzlich verpflichtet; indessen muss er womöglich auf die Forderungen eingehen, um Arbeitnehmer, die er zur erfolgreichen Fortführung des Betriebs
benötigt, bei der Stange zu halten. Gerade bei älteren Kaderleuten kann dieser Ausgleich
teuer zu stehen kommen.
Unter diesen Gesichtspunkten lohnt es sich allemal und vor allem in Branchen, wo das
Know-how der Arbeitnehmer wichtig ist, vor dem Kaufentscheid auch deren vorsorgerechtliche Situation zu überprüfen. In der Praxis kommt es durchaus vor, dass den Risiken
des Käufers aus der Vorsorgesituation der Arbeitnehmer durch einen Abschlag auf dem
Kaufpreis Rechnung getragen wird.
33
IV Massnahmen im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen
lic. iur. Ursula Hubschmid
A
Kurzarbeit
Bei Kurzarbeit wird die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit in einem Betrieb oder Betriebsteil um mindestens 10 % reduziert. Kurzarbeit setzt das Einverständnis der Arbeitnehmenden voraus.
Für die ausfallende Arbeitszeit erhalten die Arbeitnehmenden eine Kurzarbeitsentschä­
digung. Diese beträgt 80 % des anrechenbaren Arbeitsausfalls. Die Kurzarbeitsentschädigung wird auf der Basis des versicherten Lohnes berechnet, der von Gesetzes wegen auf
CHF 10 500.– pro Monat begrenzt ist. Personen, welche die Entscheidungen des Arbeit­
gebers massgeblich beeinflussen können, erhalten keine Kurzarbeitsentschädigung.
Ein Arbeitsausfall ist unter anderem dann anrechenbar, wenn er auf wirtschaftliche
Gründe zurückzuführen und unvermeidbar ist. Nicht als anrechenbar gilt ein Arbeitsausfall
dann, wenn er zum normalen Betriebsrisiko des Arbeitgebers gehört oder durch saisonale
Beschäftigungsschwankungen verursacht wird. Der Arbeitsausfall muss zudem bestimmbar sein, was eine betriebliche Arbeitszeitkontrolle voraussetzt.
Die Kurzarbeitsentschädigung wird innerhalb von zwei Jahren während höchstens zwölf
Abrechnungsperioden von je einem Monat ausgerichtet. Bei andauernder erheblicher
Arbeitslosigkeit kann der Bundesrat die Höchstdauer für die Ausrichtung der Kurzarbeitsentschädigung bis auf 18 Abrechnungsperioden ausdehnen; er hat von dieser Befugnis mit
Beschluss vom 11. Februar 2009 Gebrauch gemacht.
Dank der Kurzarbeitsentschädigung reduziert sich der Personalaufwand des Arbeitgebers. Dadurch können bei einem vorübergehenden Nachfragerückgang Entlassungen
vermieden werden. Der Arbeitgeber hat jedoch Folgendes zu bedenken: Er muss den von
Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmenden 80 % des Verdienstausfalles am ordentlichen
Zahltagstermin ausrichten und erhält die Kurzarbeitsentschädigung erst aufgrund einer
am Ende der Abrechnungsperiode eingereichten Aufstellung.
Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis während der Kurzarbeit, so schuldet er
während der Kündigungsfrist (trotz reduzierter Arbeitszeit) den vollen Lohn.
Massnahmen im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen
B
34
Massenentlassung
Eine Massenentlassung liegt vor, wenn ein Arbeitgeber in einem Betrieb innert 30 Tagen
einen vom Gesetz (Art. 335d OR) definierten Anteil von Arbeitnehmenden entlässt, ohne
dass die Kündigungen in einem Zusammenhang mit der Person der Arbeitnehmenden
stehen.
Bei einer Massenentlassung hat der Arbeitgeber bestimmte gesetzliche Pflichten zu beachten (Art. 335f und Art. 335g OR). Er hat die Arbeitnehmenden zu informieren und zu konsultieren; ausserdem muss er das kantonale Arbeitsamt informieren.
An einer ersten Mitarbeiterversammlung werden die Arbeitnehmenden über die geplante
Massenentlassung informiert. Den Arbeitnehmenden ist Gelegenheit zu geben, Fragen zu
stellen. Folgende Informationen sind schriftlich abzugeben: Gründe der Massenentlassung, Anzahl der beabsichtigen Kündigungen, Anzahl der in der Regel beschäftigen Arbeitnehmenden sowie Zeitraum, in welchem die Kündigungen ausgesprochen werden sollen.
Eine Kopie der schriftlichen Information ist dem kantonalen Arbeitsamt zuzustellen.
Im anschliessenden Konsultationsverfahren haben die Arbeitnehmenden die Möglichkeit,
Vorschläge zu unterbreiten, wie die Kündigungen vermieden oder deren Zahl beschränkt
oder wie ihre Folgen gemildert werden können. Den Arbeitnehmenden ist eine angemessene Frist für die Einreichung ihrer Vorschläge zu setzen, die in der Regel nicht weniger
als 10 Tage betragen sollte. Der Arbeitgeber hat sich mit den Vorschlägen ernsthaft auseinanderzusetzen.
Die zweite Mitarbeiterversammlung dient der Information über das Ergebnis der Konsultation und über die Stellungnahme des Arbeitgebers, in der er sich mit den Vorschlägen
der Arbeitnehmenden auseinandersetzt.
Das Ergebnis der Konsultation und die nach der Konsultation feststehende Anzahl der
Entlassungen sind dem kantonalen Arbeitsamt mitzuteilen; die Arbeitnehmenden erhalten
von diesem Schreiben eine Kopie.
Besteht eine Arbeitnehmervertretung, so nimmt diese das Recht auf Information und
Konsultation wahr.
Kündigungen dürfen erst im Anschluss an die zweite Mitarbeiterversammlung verschickt
werden. Die im Gesetz vorgesehenen Sperrfristen (z. B. wegen Krankheit) gelten auch im
Falle von Massenentlassungen.
Bei Missachtung des gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens drohen dem Arbeitgeber
Sanktionen. Werden Massenentlassungen ausgesprochen, ohne dass die Arbeitnehmenden informiert und konsultiert wurden, so sind die Kündigungen zwar gültig, werden
aber als missbräuchlich qualifiziert. Die Arbeitnehmenden haben in einem solchen Fall
Anspruch auf eine Entschädigung, die bis zu zwei Monatslöhne betragen kann. Unterbleibt
die Anzeige der Kündigungen an das Arbeitsamt, so besteht die Gefahr, dass die Kündigungsfrist nicht zu laufen beginnt.
35
V
Steuerfallen bei der Sanierung
lic. iur. Thomas Ziegler, dipl. Steuerexperte
lic. iur. Guido Müller, dipl. Steuerexperte
A
Stempelabgabe
Um Verluste zu beseitigen, müssen vielfach Einlagen getätigt werden. Auch wenn das
Kapital formell nicht erhöht wird, fällt im Prinzip die Stempelabgabe an. Einlagen in Form
von Zuschüssen und Forderungsverzicht durch die Aktionäre sowie Schwestergesellschaften führen zu einer Stempelabgabe in der Höhe von 1 %. Der Schuldner dieser Steuer ist
die empfangende Gesellschaft. Dabei gilt es, die Sanierungshandlung nicht durch Steuern
zu erschweren. Hierfür sieht das Gesetz die nachfolgenden Erleichterungen vor.
Bei einer Kapitalerhöhung (offene Sanierung) kann die Freigrenze von CHF 1 Mio. genutzt
werden. Bei einer Sanierung steigt diese Freigrenze unter gewissen Bedingungen auf CHF
10 Mio. Die Grenze von CHF 10 Mio. gilt erst seit dem 1. Januar 2009. Heute sind noch nicht
alle Voraussetzungen für eine steuerfreie Sanierung bekannt und es empfiehlt sich deshalb,
die Sanierung mit der Eidgenössischen Steuerverwaltung zu besprechen. Immerhin ist
bekannt, dass die Freigrenze von CHF 10 Mio. sowohl bei einer offenen als auch einer stillen
Sanierung beansprucht werden kann, solange ausschliesslich Verluste beseitigt werden.
Sollte die Freigrenze von CHF 10 Mio. ausgeschöpft sein, kann die Eidgenössische Steuerverwaltung auf Gesuch hin bei «Härtefällen» gemäss Artikel 12 Stempelgesetz auf die
Erhebung der Stempelabgabe verzichten. Das Gesuch wird erfahrungsgemäss immer
bewilligt, wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind.
Bei Sanierungen durch die Schwestergesellschaft darf jedoch die Verrechnungssteuer
nicht ausser Acht gelassen werden und auch die Möglichkeit, dass die Sanierungsleistung
in einem späteren Zeitpunkt wieder steuerfrei an den Aktionär zurückfliessen kann.
Bei steuerfreien Umstrukturierungen fällt die Stempelabgabe auch nicht an. Dies gilt auch
bei Sanierungsfusionen (wie immer gilt auch hier der Vorbehalt der Steuerumgehung).
B
Direkte Steuern (Bund/Kanton)
Durch die Sanierung verschwinden handelsrechtlich die Verlustvorträge. Bei der steuerrechtlichen Behandlung muss zwischen einer unechten und echten Sanierung wie folgt
unterschieden werden.
Steuerfallen bei der Sanierung
36
Bei einer unechten Sanierung (durch das Aktionariat oder die Schwestergesellschaften)
können unter Umständen die Verlustvorträge steuerrechtlich erhalten bleiben und mit
zukünftigen Gewinnen verrechnet werden. Des Weiteren muss die Sanierungsleistung
nicht als Ertrag versteuert werden; sie gilt steuerrechtlich als erfolgsneutrale Einlage.
Bei einer echten Sanierung (durch Dritte) hingegen fällt die Ertragssteuer im Prinzip an.
Der zu versteuernde Gewinn kann jedoch in der Regel mit einem Verlustvortrag verrechnet
werden; dies selbst dann, wenn er bereits als verjährt gilt und somit ungenutzt verfallen ist.
Sanierungen sollten deshalb unbedingt mit der kantonalen Steuerverwaltung vorbesprochen werden, um die steuerlichen Konsequenzen im Voraus verbindlich festzuhalten und
um unter Umständen vielleicht sogar einen Steuererlass als (steuerfreien) «Sanierungsbeitrag» vom Kanton zu erhalten. Insbesondere bei geplanten Sanierungsfusionen ist die
Einholung eines Rulings unerlässlich.
Bei Sanierungen durch die Schwestergesellschaft muss beachtet werden, dass solche von
den direkten Steuern nicht anerkannt werden und zu Gewinnaufrechnungen führen können.
C
Mehrwertsteuern
Gemäss Eidgenössischer Steuerverwaltung führen Darlehen, Forderungsverzichte und
sogar Rangrücktritte auf Darlehen wie bei Subventionen zu einer Vorsteuerabzugskürzung, wenn nicht erwartet werden kann, dass die sanierte Gesellschaft in die Gewinnzone
kommt. Dieses Erfordernis ist heute immer noch im Merkblatt Nr. 23 «Gesellschafterbeiträge, Beiträge Dritter und Beiträge im Sanierungsfall» aufgeführt und die Eidgenössische
Steuerverwaltung hält an diesem Erfordernis nach wie vor fest.
Ein bereits zurückgezogener Entwurf des Merkblattes Nr. 23 ging noch weiter und verlangte, dass dieselbe Voraussetzung (Gewinnerwartung) auch dann erfüllt werden
müsste, wenn eine Gesellschaft eine Kapitalerhöhung durchführt und die Eidgenössische
Steuerverwaltung davon ausgeht, dass das Kapital durch die kommenden Verluste verzehrt werden wird.
Das Bundesgericht hat jedoch in den Jahren 2006, 2007 sowie 2008 wiederholt die fehlende gesetzliche Grundlage für dieses Erfordernis (Gewinnaussichten) hervorgehoben
(leading case: BGE 132 II 353) und die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung verlangte Vorsteuerabzugskürzung abgelehnt.
In der Praxis empfiehlt es sich deshalb, Sanierungshandlungen genau zu dokumentieren,
damit bei einer allfälligen Revision ein entsprechendes Argumentarium vorhanden ist, um
allfällige Ansprüche der Eidgenössischen Steuerverwaltung abzuwehren.
Insbesondere ist bei der Mehrwertsteuer zu beachten, dass beim Verzicht auf das Entgelt
im Rahmen einer Sanierung oder eines Nachlasses bei beiden Parteien die entsprechende
Mehrwertsteuerdeklaration zu erfolgen hat (Entgeltsminderung, Eigenverbrauch und Vorsteuerabzugskürzung).
Steuerfallen bei der Sanierung
37
Diese nachträgliche Korrektur der Deklaration entfällt, wenn sich die beiden Parteien darauf einigen, dass die steuerbare Forderung noviert und dann auf das Darlehen verzichtet
wurde. Auch hier empfiehlt es sich, zu dokumentieren und eine sachgerechte Vorsteuerabzugskürzung vorzunehmen.
Am 1. Januar 2010 tritt das neue Mehrwertsteuergesetz in Kraft, welches im Prinzip vorsieht, dass Sanierungsleistungen ab diesem Datum nicht mehr in den Bereich der Mehrwertsteuer fallen. Auf die entsprechende Umsetzung der Eidgenössischen Steuerverwaltung darf man gespannt sein.
38
VI Beim Cash Pooling Unfälle vermeiden
Dr. Meinrad Vetter
Cash Pooling ist ein beliebtes Instrument des zentralen Cash-Managements im Konzern.
Dabei wird die Liquidität der einzelnen Konzerngesellschaften zentral bewirtschaftet, was
insbesondere aus Konzernsicht zu erheblichen Zinsvorteilen führt. Guthaben und Schulden aller Konzerngesellschaften bei der gleichen Bank werden gegeneinander aufgerechnet, so dass nur auf der konzernweiten Nettoschuld Schuldzinsen bezahlt werden müssen.
Es gibt verschiedene Hauptvarianten, um Cash Pooling zu betreiben. Bei der einen Hauptvariante, dem «Notional Pooling», finden keine physischen Geldtransfers statt. Die konzernweite Nettoschuld wird nur fiktiv aufgrund der verschiedenen Saldi am Ende jedes
Tages berechnet. Bei der anderen Hauptvariante, dem «Zero Balancing», übertragen die
Konzerngesellschaften ihre Liquidität am Ende jedes Tages auf den «Cash Pool». Ist der
Bedarf grösser als die eigenen Liquiditätsguthaben, kreditiert der «Cash Pool» die jeweilige Konzerngesellschaft.
Insbesondere in Krisensituationen kann Cash Pooling in der Form des «Zero Balancing»
für die einzelnen Konzerngesellschaften und damit für ihre verantwortlichkeitsrecht­
lichen Organe schwerwiegende Folgen haben. Liquiditätsprobleme einzelner Konzerngesellschaften können dazu führen, dass auch andere Konzerngesellschaften in Liquiditätsschwierigkeiten gelangen. Dieser Dominoeffekt ist insbesondere dann gefährlich,
wenn die Liquidität gesunder Konzerngesellschaften dazu benutzt wird, um bei maroden
Konzerngesellschaften finanzielle Löcher zu stopfen. Überdies kann eine Gefährdung der
Rückzahlung der in den «Cash Pool» einbezahlten Mittel dazu führen, dass die Tatbestände
der verdeckten Gewinnausschüttung oder der verbotenen Kapitalrückzahlung erfüllt werden. Neben gesellschaftsrechtlichen Konsequenzen hat dies insbesondere steuerrecht­
liche Auswirkungen.
Verletzt ein Mitglied des Verwaltungsrates oder eine mit der Geschäftsführung befasste
Person einer am Cash Pooling teilnehmenden Gesellschaft seine bzw. ihre Pflichten, so
kann er bzw. sie für den eingetretenen Schaden haftbar werden. Dabei geniesst das
Interesse der einzelnen Gesellschaft (und jenes der Gläubiger) gegenüber dem Konzerninteresse grundsätzlich uneingeschränkten Vorrang. Dies hat zur Folge, dass die
verantwortlichen Organe einer Konzerngesellschaft die Interessen ihrer Gesellschaft
vor die Interessen des Gesamtkonzerns zu stellen haben. Sind die Voraussetzungen zur
Teilnahme am Cash ­Pooling aus Sicht der jeweiligen Gesellschaft nicht mehr gegeben, so
haben ihre verantwortlichen Organe die Pflicht, die Teilnahme am Cash Pooling unabhän-
Beim Cash Pooling Unfälle vermeiden
39
gig vom Konzern­interesse zu beenden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn aufgrund
mangelnder Bonität anderer Konzerngesellschaften die Rückzahlung der Guthaben aus
dem «Cash Pool» gefährdet ist. Um zu beurteilen, ob die Teilnahme am «Cash Pool» noch
gerechtfertigt ist, gehört es zu den unabdingbaren Pflichten der verantwortlichkeitsrechtlichen Organe jeder Konzerngesellschaft, die Bonität der am «Cash Pool» teilnehmenden
Gesellschaften ständig zu überprüfen. Präventiv empfiehlt es sich, bereits im Cash Pooling-Vertrag solche kurzfristige Kündigungsmöglichkeiten vorzusehen.
Üben die Mitglieder des Verwaltungsrates und aller mit der Geschäftsführung befassten
Personen einer am Cash Pooling teilnehmenden Gesellschaft ihre Pflichten gesetzes- und
statutenkonform aus, lassen sich spätere Haftungsansprüche gegen sie vermeiden.
40
VII Tücken im Bereich der Sozialversicherungen
lic. iur. Franziska Bur Bürgin, dipl. Steuerexpertin
A
Beitragspflicht bei Liquiditätsengpässen
Die mit der Geschäftführung eines Unternehmens betrauten Personen sind zur Abrechnung der Sozialversicherungsbeiträge (AHV/IV, BVG, UVG etc.) gegenüber den Sozialversicherungsstellen verpflichtet. Wenn ein Unternehmen in finanzielle Bedrängnis gerät,
müssen sie darauf achten, dass auf den ausbezahlten Löhnen weiterhin die Sozialversicherungsbeiträge abgerechnet werden. Andernfalls droht eine persönliche soldiarische
Haftung, welche vor allem im Bereich der AHV sehr streng gehandhabt wird. Reicht die
Liquidität nicht aus, um Löhne und Sozialversicherungen zu bezahlen, sollten beide verhältnismässig gekürzt werden.
B
Firmeneigene Pensionskasse
1
Teilliquidation
Hat ein Unternehmen eine firmeneigene Pensionskasse, so muss diese bei grösserem
Stellenabbau oder Umstrukturierungen eine Teilliquidation durchführen. Die Kriterien zur
Feststellung des Teilliquidationstatbestands, der Verteilschlüssel und das Verfahren sind
im Teilliquidationsreglement der Pensionskasse geregelt.
Die erst vor kurzem eingeführte Reglementierung der Teilliquidation fordert die Stiftungsräte der Kasse, denn es ist an ihnen, die notwendigen Entscheidungen zu treffen und
die Arbeitnehmenden korrekt zu informieren. Besonders anspruchsvoll ist eine Teilliquidation bei Unterdeckung der Pensionskasse, weil hier die Vorsorgeguthaben der austretenden Versicherten gekürzt werden.
Erste Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass die gesetzlich erforderliche Reglementierung der Teilliquidationen nicht immer die beabsichtigte Vereinfachung bringt. Gelegentlich werfen die im Voraus getroffenen Bestimmungen bei der Umsetzung im konkreten
Teilliquidationsfall mehr Fragen auf als sie beantworten.
Tücken im Bereich der Sozialversicherungen
2
41
Gesamtliquidation
Muss eine firmeneigene Pensionskasse gesamthaft liquidiert werden, sei es, weil das
Unternehmen ebenfalls liquidiert wird, sei es, weil das Versichertenkollektiv zu klein oder
die Administrationskosten zu hoch sind, stellen sich zunächst ähnliche Aufgaben wie bei
einer Teilliquidation. Anders als eine Teilliquidation erfolgt eine Gesamtliquidation jedoch
stets unter Mitwirkung der BVG-Aufsichtsbehörde.
Bei der Gesamtliquidation müssen unter Umständen zusätzlich Kollektivversicherungsverträge gekündigt und laufende Rentenverpflichtungen auf andere Vorsorgeeinrichtungen
übertragen werden. Dem so genannten «Rentnerschicksal» (also der Frage, was mit den
Rentenverpflichtungen geschieht, die unter dem Kollektivversicherungsvertrag zu laufen
begonnen haben) ist dabei grosse Aufmerksamkeit zu widmen. Selbst wenn bislang der
Kollektivversicherer die Renten ausbezahlt hat, gehören die Rentner trotzdem noch immer
zur Pensionskasse und müssen bei ihrer Liquidation auf eine andere Pensionskasse übertragen werden. Dabei kommt es oft vor, dass die vom Kollektivversicherer übertragene
Schadenreserve nicht ausreicht, um die laufenden Rentenverpflichtungen beim neuen
Vorsorgeträger einzukaufen, sodass der Differenzbetrag aus dem freien Vermögen der
Pensionskasse finanziert werden muss. Rückstellungen für solche Risiken sind in der Regel
nicht vorhanden.
Parallel zur Klärung dieser Fragen ist ein formelles Verfahren zur Auflösung und Löschung
der Vorsorgeeinrichtung zu durchlaufen, das weitgehend durch die Praxis der kantonalen
Handelsregister- und Aufsichtsbehörden geprägt ist.
C
Anschluss an Sammeleinrichtung
Bei Anschluss an eine Sammeleinrichtung bestehen aus Sicht des Unternehmens weniger
Pflichten, weil diese grösstenteils durch die Organe der Sammeleinrichtung wahrgenommen und Entscheidungen der paritätischen Kommission des Vorsorgewerks durch die
Sammeleinrichtung eingefordert werden.
Einzig sollten sich Arbeitgeber und Vorsorgekommission darüber im Klaren sein, welcher
Art ihre Versicherung bei der Sammeleinrichtung ist: Liegt eine Vollversicherung vor,
sind die Risiken weitestgehend minimiert und es besteht wenig Handlungsbedarf. Ist
dagegen ein Mitspracherecht hinsichtlich der Vermögensanlage eingeräumt (z. B. indem
unter verschiedenen Anlagestrategien eine Auswahl getroffen werden kann), kann eine
Nachschusspflicht des Arbeitgebers bestehen. Auch sollte die Vermögensentwicklung in
turbulenten Börsenzeiten besonders häufig kontrolliert und die Auswahl gegebenenfalls
revidiert werden.
42
VIIIProbleme des Geschäftspartners
lic. iur. Daniele Favalli
Neben unternehmensinternen Krisen können Zahlungsschwierigkeiten bei Vertragspartnern ernste Auswirkungen auf den eigenen Geschäftsbetrieb haben. Selbst vermeintlich
«gesunde» Unternehmen können Liquiditätsprobleme haben oder in solche geraten.
Daher ist es für ein Unternehmen unerlässlich, sich über den potenziellen Vertragspartner
zu informieren, etwaige Risiken mittels Vertragsgestaltung zu minimieren und im Falle von
Zahlungsschwierigkeiten richtig zu handeln. Im Folgenden wird in Stichworten aufgezeigt,
was ein Unternehmen in den verschiedenen Phasen eines (Vor-)Vertragsverhältnisses zur
Absicherung der eigenen Forderungen unternehmen kann.
A
Vor Abschluss eines Vertrages
Vor Vertragsschluss sollte ein Unternehmen Informationen über die finanzielle Lage seines
potenziellen Vertragspartners sammeln und auswerten. Zur Beschaffung dieser Informationen stehen verschiedene Informationsquellen zur Verfügung:
Betreibungsregisterauszug: Er gibt Auskunft über laufende und abgeschlossene Betreibungen der letzten drei Jahre. Obwohl der Betreibungsregisterauszug Aufschluss über das
Zahlungsverhalten und die Zahlungsmoral geben kann, gibt er keine Auskunft über die
Kreditwürdigkeit einer Person.
Fragen: Die einfachste, jedoch nicht zuverlässigste Informationsquelle ist der potenzielle
Vertragspartner selbst. Aus der Reaktion auf die Finanzfrage können Rückschlüsse gezogen werden.
Referenzen: Bei aktuellen und bisherigen Geschäftspartner des Vertragspartners können
Auskünfte zur Zahlungsmoral und dem Zahlungsverhalten eingeholt werden. Allerdings
sollte die Einholung von Referenzen mit dem Vertragspartner im Voraus abgesprochen
werden.
B
Mögliche Sicherungsmassnahmen mittels Vertragsgestaltung
Entscheidet sich ein Unternehmen für den Vertragsschluss, sollte es versuchen, die finanziellen Risiken durch geeignete Vertragsgestaltung zu minimieren. Dazu stehen (unter
Probleme des Geschäftspartners
43
Vorbehalt der Anfechtungstatbestände gemäss Schuldbetreibungs- und Konkursrecht) die
folgenden Institute zur Verfügung:
Bankgarantie: Finanziellen Risiken eines Geschäfts können abgesichert werden, indem
vom Vertragspartner eine Bankgarantie verlangt wird. Darin verpflichtet sich die Bank, im
Falle der Nichtleistung des Vertragspartners, die finanzielle Verpflichtung zu übernehmen.
Die Tatsache, dass ein Unternehmen nicht in der Lage ist, eine Bankgarantie beizubringen,
kann gegebenenfalls ebenfalls Aufschluss über die Bonität des Vertragspartners geben.
Pfandrecht: Es handelt sich um ein dingliches Recht, das dem Berechtigten die direkte
Verwertung des Pfandes und Befriedigung aus dem Pfanderlös ermöglicht.
Vorschuss: Vor Arbeitsbeginn beziehungsweise Lieferung kann ein Vorschuss vertraglich
vereinbart werden. Der Vorschuss wird nach Leistungserbringung mit den Forderungen
des Unternehmers verrechnet. So kann der Unternehmer vor Leistung seiner Vertragspflicht zumindest einen Teil seiner Forderungen sicherstellen.
Vorauszahlung: Die Parteien vereinbaren eine Vorleistungspflicht des Vertragspartners.
Die Forderung gegen den Vertragspartner wird sofort fällig und der Unternehmer muss
seine Leistung nur erbringen, wenn der Vertragspartner die Vorauszahlung leistet.
Eigentumsvorbehalt: Bei beweglichen Sachen kann der Unternehmer den Übergang
des Eigentums auf den Erwerber trotz Übergabe bis zur Kaufpreiszahlung durch einen
Eigentumsvorbehalt verhindern. Der Eigentumsvorbehalt wird jedoch nur dann wirksam,
wenn er im Eigentumsvorbehaltsregister eingetragen wird (dies kann im Ausland anders
geregelt sein). Ist der Eigentumsvorbehalt wirksam, ermöglicht er dem Veräusserer, den
Kaufgegenstand auf dem Weg der Vindikation herauszufordern. Im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Vertragspartners fällt der Gegenstand nicht in die Konkursmasse, sondern
kann ausgesondert werden.
Sicherungszession: Der Unternehmer kann als Sicherheit seiner Forderung die Abtretung
von Forderungen oder sonstiger Rechte des Vertragspartners gegenüber Dritten verlangen. Der Unternehmer verpflichtet sich, die Forderungen beziehungsweise das sonstige
Recht nur dann einzuziehen oder auszuüben, wenn der Vertragspartner die fälligen Forderungen nicht erfüllt.
Persönliche Einbindung der natürlichen Personen hinter dem Vertragspartner mittels
Bürgschaft, Garantie oder Solidarschuldverpflichtung (sofern Vertragspartner eine juristische Person): Neben der juristischen Person haftet dann auch die dahinter stehende
natürliche Person für die Erfüllung des Vertrages. Das Haftungssubstrat wird ausgeweitet, wodurch die Forderung des Unternehmens zusätzlich abgesichert wird. Zu prüfen ist
jeweils, ob die Formvorschriften der Bürgschaft zu erfüllen sind.
C
Zahlungsschwierigkeiten in einer laufenden Vertragsbeziehung
Gerät ein Vertragspartner nach Vertragsschluss in finanzielle Schwierigkeiten, gilt es, die
fälligen Forderungen durchzusetzen und künftige Forderungen zu sichern. Die Möglich-
Probleme des Geschäftspartners
44
keiten der Durchsetzung von Forderungen bei Zahlungsschwierigkeiten eines Vertragspartners sind nicht unproblematisch, denn andere Gläubiger können sich gegebenenfalls
gegen erfolgte Zahlungen an ausgewählte Gläubiger wehren. Die als paulianische Anfechtung bekannte Klage führt dazu, dass Zahlungen an bestimmte Gläubiger vom Richter für
unzulässig erklärt werden können. Trotzdem gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, die der
Gläubiger in Erwägung ziehen kann. Die folgenden Möglichkeiten sind gesondert zu prüfen
und es ist im Einzelfall zu entscheiden, wie vorzugehen ist.
Betreibung: Eine Forderung kann im Betreibungsverfahren schnell vollstreckt werden. Dies
insbesondere, wenn der Vertragspartner keinen Rechtsvorschlag erhebt. Erhebt der Vertragspartner Rechtsvorschlag, kann die Vollstreckung der Forderung bei Vorliegen eines
vollstreckbaren Urteils oder einer Schuldanerkennung mittels Rechtsöffnungsverfahren
erreicht werden. Auch dieses Verfahren ist grundsätzlich schneller als die Durchsetzung
auf dem ordentlichen Rechtsweg. Sind keine entsprechenden Dokumente vorhanden, wird
der Unternehmer auf den ordentlichen Rechtsweg verwiesen.
Schuldanerkennung verlangen: Mit einer Schuldanerkennung kann die Vollstreckung mittels provisorischer Rechtsöffnung schnell erreicht werden. Will der Vertragspartner gegen
die provisorische Rechtsöffnung opponieren, muss er die unvorteilhafte Rolle des Klägers
mit all den damit verbundenen (Vorschuss-) Pflichten einnehmen. Eine Schuldanerkennung ist in der Regel eher zu erhalten bevor eine Forderung strittig wird.
Arrest: Hat der Unternehmer eine fällige Forderung, die nicht durch ein Pfand gesichert ist,
gegen einen Vertragspartner, der in der Schweiz gelegene Vermögenswerte besitzt, hat
er unter Umständen die Möglichkeit, diese Vermögenswerte mit Arrest belegen lassen und
seine Forderung so zu sichern. Der Arrest ist insbesondere bei ausländischen Vertragspartnern mit Vermögenswerten in der Schweiz von Relevanz.
Verweigerung der eigenen Leistung/Rücktritt vom Vertrag: Der Unternehmer hat (selbst
wenn er vorleistungspflichtig ist) bei Zahlungsunfähigkeit des Vertragspartners die Möglichkeit, seine Leistung zurückzubehalten, so lange seine Gegenleistung nicht sichergestellt wird. Wird seine Gegenleistung auf Begehren hin nicht innert angemessener Frist
sichergestellt, hat er sogar die Möglichkeit, vom Vertrag zurückzutreten.
Verrechnung: Hat der zahlungsunfähige Vertragspartner eine Forderung gegen den
Unternehmer, kann der Unternehmer diese Forderung mit der eigenen Forderung gegen
den Vertragspartner verrechnen. Damit kann verhindert werden, dass der Unternehmer
die Forderung des konkursiten Vertragspartner in die Konkursmasse erfüllen muss, währenddessen er aus seiner eigenen Forderung nur eine (meist minimale) Konkursdividende
erhält.
© VISCHER, 11.2009
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