Junge Rechtsextreme wurden in Thüringen viel zu lange nicht ernst

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Junge Rechtsextreme wurden in Thüringen viel zu lange nicht ernst
TLZ
THEMA DES TAGES
ZC TT 1
Sonnabend, 5. Mai 2012
Neue Erkenntnisse über fatalen Schmusekurs mit Neonazi-Nachwuchs in den frühen 1990er Jahren
MEIN TAG
Die falsche Strophe
Von Gerlinde Sommer
Heute würde sich Angela Merkel nicht mehr in ein Haus begeben, auf dessen Dach die
Reichskriegsflagge weht.
Aber damals – in den frühen
1990er Jahren – war wohl
nicht nur sie völlig unbedarft.
Wer hat denn für die seinerzeitige Bundesministerin den
Termin im Naziklub gemacht?
Wer hat sie nachher in die
Gerberstraße geschickt – zu
den linksgerichteten Jugendlichen, um den Eindruck zu erwecken: alles gleich – und eigentlich gar nicht so schlimm.
Das verwächst sich. Die einen
haben Kurzhaar oder Glatze,
die anderen Dreadlocks – kleine Chaoten, mit der Wende
aus dem Nest gefallen...
Die Unterstützung soll damals so weit gegangenen
sein, dass Kräfte, die vom Arbeitsamt geschickt wurden,
die Jugendlichen zu Nazi-Demos karren mussten. Unglaublich? Dahinter steckte
die Politik der sauberen Straßen: Man wollte das Problem
einfach aus dem Stadtbild räumen. Dass mit dieser Taktik
der Entwicklung von NeonaziStrukturen aktiv Vorschub geleistet wurde, ist offenbar den
wohl völlig überforderten Ju-
gendarbeitern gar nicht aufgegangen. Oder sie fanden die
Ideen ihrer KIientel womöglich
sogar ganz nachvollziehbar?!
Auch das soll es gegeben haben. Doch was soll man verlangen in einem Land, in dem
Nazistrukturen über V-Leute
zu Geld kamen. Das passt alles in die Politik des Wegschauens und Kleinredens.
Das erste Mal habe ich das
hier erlebt, als in Gotha nach
dem Gewinn der FußballWeltmeisterschaft 1990 junge
Einheimische lauthals die falsche Strophe des Deutschlandliedes sangen. „Über alles in der Welt...“ wollten sie
sich erheben. Das war in seiner Eindeutigkeit grauenhaft,
furchterregend und ein Zeichen dafür, was bereits in den
Köpfen war und was noch
kommen sollte. Offizielle Kritik
erfuhren die Sänger nicht.
Schmusekurs mit Jugendlichen auf politischen Irrwegen: Das war üblich in den frühen 1990er Jahren. So kam es auch, dass Angela Merkel, damals als Bundesministerin für
die Jugend zuständig, im Weimarer Jugendklub im Dichterweg ein Stelldichein gab, wie dieses TLZ-Archiv-Foto von Jens Wagner zeigt. Die Gesichter der Jugendlichen sind gepixelt, da nicht jeder seine damalige Gesinnung beibehielt. Doch auch Jan Morgenroth, mittlerweile NPD-Stadtrat in Weimar, sollte damals im Dichterweg resozialisiert werden.
Junge Rechtsextreme wurden in Thüringen
viel zu lange nicht ernst genug genommen
Jenaer Forscher Quent hat sich mit massiven Fehlern beschäftigt und dabei vor allem auch die akzeptierende Jugendarbeit kritisch im Blick
Von Gerlinde Sommer
Jena/Weimar. Matthias Quent
beschäftigt sich am Institut für
Soziologie an der Uni Jena bei
Professor Klaus Dörre mit
Rechtsextremismus. Jüngst war
er beim Thüringer Untersuchungsausschuss um den Nationalsozialistischen Untergrund
(NSU) als Sachverständiger eingeladen; auch bei der Thüringer
Netzwerkkonferenz hielt er zum
Thema Rechtsextremismus einen Vortrag. Er kennt sich vor
allem mit den gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen
aus, die galten, als es zur Radikalisierung der extremen Rechten
in den 1990er Jahren in Thüringen kam.
Was hat die extreme Rechte bis
hin zum Terrorismus eigentlich begünstigt?
Es gab behördliches Versagen
vor allem beim Verfassungsschutz. Hinweise auf die Entwicklung rechtsterroristischer
Bestrebungen wurden zum Teil
damit abgetan, dass es hieß: So
etwas könne nicht passieren,
weil die rechte Szene derart mit
V-Leuten unterwandert sei...
Und gesellschaftspolitisch gab
es das Problem der Privatisierung rechtsextremer Gewalt...
Das heißt?
Rechtsextreme Gewalt wird
nicht als politisches Problem betrachtet, sondern die Schuld
wird den Opfer zugeschoben. Im
öffentlichen Diskurs wurde und
wird zudem oft Rechts- und
Linksextremismus
gleichgesetzt. Als hätten diese durch ihr
Vorhandensein oder ihr Auftreten etwas falsch gemacht. Im
Thüringer Verfassungsschutzbericht von 1994 heißt es: Es bedarf kaum der Feststellung, dass
es ohne Rechts kein Links gäbe.
Dass die einen die Demokratie
ablehnen und die anderen den
Kapitalismus, das spielt da gar
keine Rolle.
Eigentlich gab es kurz vor dem
Untertauchen von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate
Zschäpe eine ziemlich genaue
Kenntnis darüber, was passieren könnte. Auch der „Spiegel“
schrieb damals darüber...
Nachdem es in Thüringen einige
Sprengstofffunde gegeben hatte
und auch Todeslisten aufge-
taucht sind, so in Altenburg, hat
Richard Dewes, der damalige
Innenminister der SPD, 1997
dem „Spiegel“ gesagt: Der Staat
müsse sich auf Terroranschläge
der Neonazi-Szene vorbereiten,
und auch der damalige Chef des
Landeskriminalamtes hat sich
in diese Richtung geäußert.
Die Experten
waren ahnungslos
Aber diese Einschätzung fanden andere völlig übertrieben.
Genau. Es gab den Verweis auf
die Durchsetzung der rechten
Szene mit V-Leuten: Diese würden so etwas rechtzeitig aufdecken und verhindern. Außerdem hieß es von sogenannten
Experten außerhalb Thüringens,
dass diese Einschätzungen nur
dazu dienen sollten, im Landeskriminalamt
entsprechende
Stellen zu besetzen.
Zugleich kursierte auch ein Papier der NSDAP/AO, das ziemlich klare Anweisungen für das
lieferte, was nun als NSU bekannt geworden ist.
Es handelt sich dabei um eine
Handlungsanleitung, die seit
Beginn der 1990er Jahre in der
rechten Szene auf viel Interesse
stieß und die heute noch diskutiert wird. In dem Papier heißt es
beispielsweise: „Der Kleinkrieg
ist ein Krieg irregulärer Einheiten ohne erkennbare Fronten.
Ihre Waffen sind eher die eines
politischen Meuchelmörders als
rein militärische.“ Es wird weiter ausgeführt, dass solche Exekutionsgruppen aus zwei bis
drei Personen bestehen sollten.
Und dass zur Finanzierung
Banküberfälle
durchgeführt
werden sollten. Und dass der legale und der illegale Rahmen der
rechtsextremen Bewegung immer wieder personalmäßig identisch sein könnten. Das ist ein
Verweis darauf, dass sich jemand in rechtsextremen Parteien betätigen und gleichzeitig
den bewaffneten Kampf führen
könnte.
Das alles hätten die Zuständigen also wissen können. Es
wurde aber wohl nicht ernst
genug genommen, oder?
Ob die Thüringer Behörden damals auch schon informiert waren, weiß ich nicht. Die Bundes-
behörden haben jedenfalls Mitte
der 1990er Jahre davon gewusst
und es gab auch in einigen Bundesländern Maßnahmen. So
wurden Anschläge verhindert.
In den frühen 1990ern gab es in
der Sozialarbeit auch eine Art
mitfühlende Betreuung von
Rechtsextremen. Wie kam es
denn dazu?
Die akzeptierende Jugendarbeit,
die weitgehend so nicht mehr
gemacht wird, war damals sehr
präsent in Thüringen. Ihre
Hauptaufgabe bestand darin,
rechtsextreme Jugendliche von
der Straße zu holen. Sie sollten
sich in Jugendklubs treffen. Die
Hoffnung war, dass dort auf sie
pädagogisch Einfluss genommen werden könnte. Aber oft
war es genau andersherum: Die
Rechtsextremen haben Einfluss
auf Sozialpädagogen genommen. Es kam dazu, dass sie die
Klubs dominierten. Es ging bei
dieser Art von Jugendarbeit um
Prävention von Gewalt. Aber
Gewalt ist gar nicht nötig, wenn
ich mir den Raum nicht nehmen
muss, sondern wenn er mir geschenkt wird. Das führt optisch
zu einer Befriedung, aber diese
Art Befriedung bedeutet einfach: keiner hält mehr dagegen.
Ein Beispiel für diesen Irrweg
der Gewaltprävention ist aus
Sicht der Wissenschaft mittlerweile das, was am Weimarer
Dichterweg passiert ist. Was
ist damals passiert?
1991 haben Neonazis ein Haus
am Dichterweg besetzt. Ihr Ziel:
Sie wollten sich einen Jugendklub einrichten. Das wurde von
der Stadt anerkannt und die Arbeit in dem Klub wurde mit Bundesmitteln subventioniert. Aus
dem Haus heraus kam es zu
zahlreichen Aktivitäten wie
Übergriffen und Wehrsportübungen. 1992 hat die damalige
Bundesministerin Angela Merkel das Haus besucht. Auf dem
Dach wehte damals die Reichskriegsfahne. Zu den Jugendlichen, die dort resozialisiert werden sollten, die aber faktisch
rechtsextreme Strukturen aufgebaut haben, gehörte Jan Morgenroth, der jetzige NPD-Stadtrat in Weimar.
ker, das wachse sich alles aus
im Laufe der Jahre?
Es gab eine massive Verharmlosung des Problems. Es wurde so
getan, als ginge es nur um rivalisierende Jugendgruppen. Gerade in Ostdeutschland wussten
viele nicht, womit man es tatsächlich zu tun hatte. Zu DDRZeiten durfte es offiziell keine
Neonazis geben, obwohl sie vorhanden waren. Nach der Wende
gab es kein Bewusstsein und
kein Wissen, wie man mit dem
aufkeimenden und erstarkenden Rechtsextremismus gerade
auch unter Jugendlichen umgehen sollte. Klar war: Es sollte
sichtbar keine rechte Gewalt geben, daher der Versuch, diese
Gruppen einzuhegen und wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Aber das ging meist
nach hinten los, weil die Rechtsextremen die pädagogischen
Strukturen für ihre Aufbauarbeit
nutzten.
Die Rechten von damals waren
Jugendliche, die noch in der
DDR sozialisiert worden waren
und nun die neue Freiheit
falsch interpretierten. Rührt
daher auch Naivität im Umgang mit ihnen? Dachten die
Sozialarbeiter und die Politi-
Die Rechten wurden einfach
nicht ernst genommen?
Die Ideologie und die Gefahr,
die von ihnen ausging, wurden
nicht ernst genommen.
Kuschelpädagogik und Bällchenbad sollten es richten?
Ja, man dachte: Sind doch unsere Jungs.
Die mit den Dreadlocks, die auf
eine andere Art links sein wollten, wurden meist als mindestens gleich gefährlich dargestellt. Wie kam es dazu?
Die Gleichsetzung fand insbesondere im Zusammenhang mit
Demonstrationen von und gegen Rechts statt, wobei es den
Gemeinden meist darum ging,
ihr Image aufzupolieren. Da
hieß es dann: Das sind alles
Chaoten. Die kommen nicht
von uns. Und: Die Gewalt geht
von beiden Seiten aus. Man
wollte sich gar nicht mit den unterschiedlichen
politischen
Ideen und Wertvorstellungen
auseinandersetzen. Hätte man
dies getan, wäre man sehr
schnell zu einer differenzierten
Sicht gekommen: Dass das, was
als linksextrem bezeichnet wird,
sich zu sehr hohem Teil auf dieselben Werte beruft wie die Demokratie. Die Rechtsextremen
lehnen dagegen die Demokratie
rundweg ab. Das sogenannte
Freie Netz geht ganz forsch damit hausieren: Wir sind keine
Demokraten.
Eichsfeld muss
Flagge zeigen
Im Eichsfeld ist derzeit die Empörung groß, weil Rechtsextreme einen Heimattag veranstalten wollen. Es wird argumentiert, man wolle sich von den
Rechten die Heimat nicht wegnehmen lassen. Aber sind diese
Rechtsextremen
nicht
längst mitten unter uns?
Natürlich. Thorsten Heise, der
Organisator des Heimattages,
wohnt doch da. Der Landrat hat
ihn sogar gebeten, den Heimatbegriff nicht zu beschmutzen
und die Veranstaltung abzusagen. Dabei ist doch nicht die Begriffsverwendung das Problem –
und der veranstaltende Neonazi
kann auch nicht Teil der Lösung
dieses Problems sein.
Untersucht die Fehler beim Umgang mit dem Neonazi-Nachwuchs vor allem auch in den frühen Jahren nach der Wende: Matthias Quent vom Institut für Soziologie der Uni Jena, hier an seinem heimischen
Schreibtisch. Der Rechtsextremismusforscher hofft, dass das derzeitige Projekt am Institut von Professor
Klaus Dörre über das Jahresende hinaus gefördert wird.
Foto: Peter Michaelis
Was raten Sie dem Landrat im
Eichsfeld im Umgang mit solchen Rechtsextremen?
Er soll nicht mit einem derart gefestigten Rechtsextremen in dieser Frage diskutieren. Denn er
wird ihn sowieso nicht überzeugen. Wichtig ist, die demokrati-
schen Kräfte zu stärken, die sich
den Rechten entgegensetzen. Es
geht darum, ganz klar Flagge zu
zeigen. Es handelt sich nicht um
ein Problem von außerhalb –
und das gilt auch für das Eichsfeld.
Es gibt das große Erschrecken
über das lange mörderische
Wirken der NSU. Können wir
denn sicher sein, dass das einmalig bleibt?
Man kann sich nicht sicher sein.
Es ist passiert. Es kann wieder
passieren.
Rechtsextremisten
werden terroristische Methoden
anwenden, wenn sie die Möglichkeit dazu haben. Ideologisch
sind sie dazu bereit und in der
Lage. Das zeigen ihre Diskussionen und ihre Inhalte.
Wie geht es weiter mit dem Forschungsprojekt?
Wir werden im nächsten Schritt
in die Feldforschung einsteigen
– und zwar zunächst in Saalfeld
und Jena. Dabei wenden wir uns
unterschiedlichen
Sozialräumen zu: klassisches Innenstadtquartier einerseits, andererseits
ein Problemviertel, einer Plattenbausiedlung – und der dörflichen Peripherie. Es gibt Gruppendiskussionen und Expertengespräche. Wir schauen, ob es
Unterschiede beim Auftreten organisierter Rechtsextremer gibt
– und welche Erfolge sie erzielen
können. Im Moment ist das
Ganze bis zum Ende des Jahres
vorgesehen. Ob es weitergeht, ist
offen.
Aber sicherlich wäre Kontinuität wichtig – und nicht immer
nur schlaglichtartige Beleuchtung von Problemfeldern?!
Ja, das streben wir an. Aber das
ist natürlich eine Mittelfrage.
Wenn jemand gegen Rechte argumentieren will, soll er...
... darauf hinweisen, dass die
Rechtextremisten die Demokratie ablehnen, weil sie die Gleichwertigkeit der Menschen ablehnen und weil sie eine Ideologie
der Ungleichwertigkeit vertreten. Sie kämpfen dafür, dass
nicht alle Menschen die gleichen Rechte haben. Das ist der
Kern des Rechtsextremismus
und dieser Kern ist unvereinbar
mit jeder Form von Demokratie.
Genau das muss kritisiert werden.

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