«Sicherheitsbehandlungen gegen Parasiten sind unverzichtbar»

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«Sicherheitsbehandlungen gegen Parasiten sind unverzichtbar»
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«Sicherheitsbehandlungen gegen
Parasiten sind unverzichtbar»
Geballte Fachkompetenz auf dem idyllischen Hofgut Albführen:
Im Rahmen einer Weiterbildungsveranstaltung für Tierärzte wurden
neuste Forschungsergebnisse aus der Pferdemedizin präsentiert.
Unter anderem sprach der Berliner Professor Dr. Georg von
Samson-Himmelstjerna, einer der führenden Parasitologen, über
das Parasitenmanagement bei Pferden.
von Angelika Nido Wälty
A
uf Einladung von Virbac, einem der führenden Schweizer
Unternehmen für Tiergesundheit, nahmen kürzlich Tierärzte aus
der ganzen Schweiz und dem süddeutschen Raum an einer Fortbildungsveranstaltung mit hochkarätigen Referenten teil. Professor Dr. Anton Fürst, der Direktor der Pferdeklinik
am Tierspital Zürich, sprach über die
Fortschritte bei der Frakturbehandlung (Artikel in einer der nächsten
Ausgaben des Kavallo). Und Ruedi
­Keller vom Grosstierrettungsdienst
(GTRD) zeigte die Möglichkeiten für
die Bergung und den Transport verletzter Pferde. Und der eigens aus der
deutschen Hauptstadt angereiste Professor Dr. Georg von Samson-Himmelstjerna, Direktor des Instituts für
Parasitologie an der Freien Universität
Berlin, präsentierte die neusten Erkenntnisse zum Parasitenmanagement.
Prof. Dr. Anton Fürst (links) und
Prof. Georg von SamsonHimmelstjerna referierten kürzlich
vor Tierärzten in Albführen.
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Kavallo 12/2014
Die Rückkehr der grossen
Strongyliden
«Infektionen mit Parasiten kommen
so gut wie in jedem Bestand vor und
Pferde mit Weidegang sind einem
ständigen Ansteckungs- und Erkrankungsrisiko ausgesetzt», sagte der renommierte Parasitologe und gab zu
Beginn einen Überblick über die relevanten Eingeweidewürmer beim Pferd
in Mitteleuropa. Aufgrund ihrer Häufigkeit und Gefährlichkeit sind die
kleinen Strongyliden, der Pferdespulwurm, die Bandwürmer sowie die
Pfriemenschwänze bei uns die bedeutendsten Pferdewürmer. Beunruhigendes berichtete Georg von SamsonHimmelstjerna über die grossen
Strongyliden. Der gefürchtete Palisadenwurm Strongylus vulgaris war bis
in die 1980er-Jahre der wichtigste Infektionserreger beim Pferd mit oft
tödlichem Krankheitsverlauf. Dass
dieser gefährliche Parasit in unseren
Breitengraden fast vollständig zurückgedrängt werden konnte, wird der guten Wirksamkeit von Wurmkuren zugeschrieben. Wo nicht oder nicht
mehr regelmässig entwurmt wird,
kehren die grossen Strongyliden offenbar ungehindert zurück. Vor zwei
Jahren wurden 46 Schlachtpferde auf
Sardinien seziert und bei nahezu allen Tieren konnten Veränderungen
der Darmblutgefässe nachgewiesen
werden, die auf Infektionen mit gros­
sen Strongyliden zurückzuführen waren. In Dänemark, wo man seit eini-
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gen Jahren in vielen Beständen nach
der sogenannten «selektiven Methode» entwurmt, wurden die hochpathogenen Erreger in rund 80 Prozent
der Betriebe vorgefunden. Und gemäss vorläufigen Resultaten einer laufenden Studie zeigte ein Drittel von
650 getesteten Pferden aus dem Raum
Berlin einen erhöhten Antikörperspiegel gegen Strongylus vulgaris auf.
«Sollten sich diese Daten bestätigen
lassen, wäre dies ein alarmierendes
Ergebnis», sagte von Samson-Himmelstjerna.
Resistenzen bereiten Sorge
Da die grossen Strongyliden trotz aller Gefährlichkeit mit Entwurmen
nach wie vor wirksam bekämpft werden können, diskutiert die Fachwelt
heute intensiver über die kleinen
Strongyliden und den Pferdespulwurm, wo eine zunehmende Zahl von
Populationen gegen eine oder mehrere Antiparasitika-Wirkstoffe Resistenzen entwickelt haben. Diese Situation
ist aus zwei Gründen besorgniserregend: Zum einen gibt es keine Alter­
nativen zur Parasitenbekämpfung als
Wurmkuren, also keine Impfungen
oder Ähnliches, zum anderen sind in
den nächsten Jahren auch keine neuen Wirkstoffe zu erwarten.
Das hat dazu geführt, dass sich eine
wachsende Anzahl von Parasitologen,
Tierärzten und Pferdebesitzern für eine nachhaltige Parasitenbekämpfung
interessiert. Angesichts der Komplexität des Themas ist es nicht verwunderlich, das selbst aus der Wissenschaft
teilweise variierende Empfehlungen
hinsichtlich der bevorzugten Konzepte zur Kontrolle bestimmter Parasitenarten gegeben werden.
In der Diskussion ist insbesondere
das bereits erwähnte Konzept zur selektiven Behandlung, das für die Parasitenbekämpfung bei kleinen Wiederkäuern (Schafen) entwickelt wurde
und auf den ganzen Bestand und
nicht das einzelne Tier abzielt. Da bei
Pferden jedoch andere Voraussetzun-
gen zum Beispiel bezüglich Art der
Parasiten, Tieraltersgruppen und therapeutischer Anforderungen bestehen, zeigt das Konzept in der Praxis
einige Schwachstellen. Zum einen ist
es ausschliesslich auf die Bekämpfung
der kleinen Strongyliden ausgerichtet, was die Gefahr einer Reinvasion
der grossen Strongyliden birgt. Zum
anderen werden bei der selektiven Methode nur die starken Eiausscheider
in einem Pferdebestand entwurmt,
dabei kann aufgrund der Anzahl Eier
in einer Kotprobe nicht auf den Grad
der Verwurmung eines Pferdes geschlossen werden. Selbst bei einer negativen Kotprobe kann ein Pferd stark
verwurmt sein. Und einige Parasiten
wie Bandwürmer, Magendasseln, Lungenwürmer, Leberegel oder Pfriemenschwänze können mittels Kotprobe
gar nicht oder nicht zufriedenstellend
nachgewiesen werden. «Die Anwendung einer selektiven Behandlung erscheint mir für die Wurmkontrolle
beim Pferd weder als allgemein angemessen noch überzeugend begründbar», sagt Professor von Samson-Himmelstjerna. Doch auch er fordert eine
Neuausrichtung der Wurmkontrollstrategien mit dem Ziel einer nachhaltigeren Anwendung der Antiparasitika: «Die Vermeidung oder Verzögerung von Resistenzen ist aber auch
durch die Anwendung klassischer
Wurmbekämpfungsansätze erreichbar.»
Mindestens zwei Behandlungen
im Jahr
Gemäss von Samson-Himmelstjerna
müssen neben dem vorliegenden
Wurmbefall und den zur Verfügung
stehenden Antiparasitika verschiedene Faktoren in das Parasitenmanagement einbezogen werden: Bestandesgrösse und -form, Haltungsform, Alter
der Pferde, Nutzungsform und sogar
die Witterung spielen eine Rolle. Zudem sollten eine regelmässige Überprüfung der Antiparasitika-Wirkung
sowie ein konsequentes Parasitenmo-
Alarmierend: Wo nicht mehr regelmässig entwurmt wird, kehren
die gefürchteten grossen Strongyliden
zurück.
nitoring durchgeführt werden. Zusammen mit einer rigorosen Stall- und
Weidehygiene sowie Quarantänebehandlungen von Neuzugängen (die
Resistenzen in den Bestand tragen
können), lässt sich die Behandlungsfrequenz reduzieren. «Unabhängig
vom gewählten Behandlungsschema
sind jedoch zwei Sicherheitsbehandlungen im Jahr unverzichtbar», sagt
von Samson-Himmelstjerna. Diese
sollten den ganzen Bestand zu festgelegten Terminen im Juni/Juli und November/Dezember pauschal abdecken.
Die Wurmkur muss dabei genug hoch
dosiert werden, da Unterdosierungen
die Entstehung von Resistenzen begünstigen. Durch die Sicherheitsbehandlungen lassen sich diagnostische
Unwägbarkeiten ausgleichen, die Gesundheit des individuellen Pferdes
wird verbessert und ein Wiederaufflammen der grossen Strongyliden verhindert. Weitere Behandlungen sind
je nach Situation des Bestandes nötig,
Fohlen und Jungpferde zum Beispiel
müssen deutlich öfter entwurmt werden. Allerdings sollte die Entwurmungsfrequenz bei Fohlen und Jährlingen auf vier Behandlungen im Jahr
begrenzt werden, denn vermutlich
sind es die bei dieser Altersgruppe in
der Vergangenheit deutlich häufiger
durchgeführten Entwurmungen, die
zur Entstehung resistenter Wurmpopulationen geführt haben. Kavallo 12/2014
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