«Der Rollen- wechsel war für mich

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«Der Rollen- wechsel war für mich
Seit Sommer 2015 ist
Cyril Zimmermann
der Chef der besten
Schweizer Schiedsrichter.
Im Interview spricht er
über Distanz, Medienarbeit, Beförde­rungen,
FIFA-Schiedsrichter und
Videobeweis.
Interview:
Daniel Schaub
«Der Rollenwechsel war
für mich
kein
Problem»
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nationalteam
«rotweiss»: Cyril Zimmermann, seit
einem halben Jahr leiten Sie das
Ressort Spitzenschiedsrichter beim
SFV und sind damit verantwortlich
für die besten Refs im Lande. Was hat
Sie in dieser neuen Funktion bewegt
oder vielleicht sogar überrascht?
Cyril Zimmermann: Ich wurde ein
Stück weit ins kalte Wasser geworfen,
es ging sehr bald los mit der Meister­
schaft und ich spürte, dass das Geschäft
sehr schnellebig und unberechenbar ist.
Man muss immer mit allem rechnen.
Speziell war das Verhältnis mit den Me­
dien, von denen man sehr lange nichts
hört, was ja an sich gut ist, dann aber
bei speziellen Ereignissen sehr kom­
pakt sehr viel. Ich habe in diesem Be­
reich einige Erfahrungen gesammelt
und gelernt, wie man mit gewissen Si­
tuationen umgehen muss.
Die mediale Aufbereitung beschränkt
sich oft auf Fehlentscheidungen. Es
wird geurteilt – was aber geschieht
nach einem solchen Ereignis intern?
Bevor ich mit den Medien über eine
Leistung spreche, kontaktiere ich im­
mer den Schiedsrichter selbst. Ich
möchte seine Gefühlslage spüren und
auch wissen, wie er die kommenden
Wochen sieht. Es entspricht nicht unse­
rer Philosophie, einen Schiedsrichter
aufgrund eines Einzelereignisses sofort
zu sperren. Aber die Öffentlichkeit will
oft schnell wissen, was mit dem «Schul­
digen» passiert. Jeder Schiedsrichter ist
hier individuell. Der eine ist ganz froh
um eine Pause, der andere möchte mög­
lichst schnell wieder einen Einsatz leis­
ten, weil das für ihn die beste Medizin
ist, einen Fehler wettzumachen, selbst
wenn es das Risiko beinhaltet, durch
weitere Fehler zusätzlich verunsichert
zu werden. Der Schiedsrichter kann ein
Stück weit selbst entscheiden, welche
Lösung er bevorzugt.
Sie selbst waren ja bis Ende 2012 selbst
Spitzenschiedsrichter. Wie bewältigen
Sie den Rollenwechsel vom Beurteilten
zum Beurteiler?
Ich hatte wenig Probleme mit diesem
Rollenwechsel. Mein Rücktritt als akti­
ver Schiedsrichter war damals von län­
gerer Hand geplant, seit 2013 amtierte
ich auch schon als Inspizient und konn­
te so in diese Beurteilungsrolle hin­
einwachsen. Natürlich ist das mit der
jetzigen Gesamtverantwortung noch
­
einmal zusätzlich gewachsen. In diese
Rolle musste ich hineinwachsen, und
ich war anfänglich durchaus in der Si­
tuation, zu nahe an den Aktiven zu sein
und zu stark auf deren Wünsche einzu­
gehen. Ich habe aber schnell gespürt,
dass ich mich da etwas rausnehmen
muss. Wir bewegen uns immer noch im
freundschaftlichen Rahmen auf Augen­
höhe, doch ich habe nun auch etwas
mehr Distanz geschaffen.
Cyril
Zimmermann
Der 40-jährige Cyril Zimmermann
wurde 2007 neuer FIFA-Schiedsrichter für die Schweiz. Damals
bewegte er sich im Kreis von Massimo Busacca, Carlo Bertolini,
Claudio Circhetta, Markus Nobs,
Guido Wildhaber, Jérôme Lapperrière, René Rogalla und Sascha
Kever. Keiner dieser ehemaligen
internationalen Schweizer
Schiedsrichter ist heute mehr
­aktiv. Zimmermann pfiff einige in-
Gibt es eine Thematik, an der sich diese
Situation besonders akzentuiert hat?
Sicherlich in der Zuteilung der Spiele
und in der Zusammensetzung der ein­
zelnen Schiedsrichterteams. Da gingen
wir am Anfang sehr stark auf die Wün­
sche der einzelnen Personen ein, doch
das hat sich nicht wirklich bewährt,
weil man es ohnehin nie allen recht
machen kann. Nun entscheiden wir
und die Schiedsrichter akzeptieren es
so.
ternationale Partien, darunter als
Höhepunkte auch die Länderspiele zwischen Frankreich und Uruguay 2008 und zwischen Spanien
und Serbien in der EM-Vorbereitung 2012. Am Ende jenen Jahres
beendete er seine aktive Karriere
und ist seit Sommer 2015 als
Nachfolger von Carlo Bertolini im
Nebenberuf Chef der Schweizer
Spitzenschiedsrichter. Haupt­
beruflich ist er im Finanzsektor
einer Berner Bank tätig.
Das Jahresende war auch die Zeit der
neuen Qualifikationen für die Spitzenschiedsrichter, auf nationaler, aber
auch auf internationaler Ebene. Bei den
FIFA-Schiedsrichtern haben insbesondere Adrien Jaccottet und Stephan
Klossner auf eine Beförderung gehofft.
Waren Sie enttäuscht, dass es nun
wieder kein Schweizer Ref in die UEFAGruppe-1 geschafft hat?
Ich hatte meine Vorstellungen – und die
haben sich dann bewahrheitet. Man
muss realistisch sein und auch beach­
ten, was ausserhalb der Schweiz läuft.
Bei Stephan Klossner stimmten die Leis­
tungen auf internationaler Ebene, aber
es gibt auch andere Aspekte, die die
UEFA berücksichtigt. Bei Adrien Jaccot­
tet war die Leistung nicht so, dass es zu
einer Beförderung gereicht hätte. Wir
müssen das so akzeptieren und darauf
hinarbeiten, dass es dieses Jahr besser
laufen kann. Wir haben ja mit Sandro
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Schiedsrichter
Schärer nun einen weiteren Mann in
der Gruppe 2, diese Aufwertung hatte
ich erwartet, und wir können nun mit
drei Kandidaten auf gleicher Höhe dar­
auf hoffen, dass es Ende Jahr dem einen
oder anderen Schiedsrichter reichen
wird.
Die Schweiz
muss
warten
Mit Adrien Jaccottet und Stephan
Klossner haben zwei Schweizer
FIFA-Schiedsrichter am Ende des
Jahres auf eine Beförderung in
die erste Klasse der UEFA gehofft.
Doch auf der Mutationsliste, die
kurz vor Weihnachten erschien,
gab es keine Bescherung. Klossner und Jaccottet verbleiben in
der Gruppe 2, der neu auch Sandro Schärer angehört, der als einziger Schweizer eine Stufe nach
oben kletterte im engen internationalen Feld. Neu in den Kreis
der FIFA-Schiedsrichter ist aus
der Schweiz Fedayi San aufgerückt, er wird automatisch in die
Gruppe 3 eingeteilt. Er übernimmt damit die Nachfolge des
zurückgetretenen Stéphane Studer. Weitere aktuelle Schweizer
Gibt es da eine Hierarchie, forcieren
Sie einen Schiedsrichter besonders in
dieser Hinsicht?
Unsere Möglichkeiten sind beschränkt.
Wir werden sicher allen drei Refs auf
nationaler Ebene die Möglichkeiten ge­
ben, aber was die UEFA mit ihren Auf­
geboten macht, darauf haben wir kei­
nen Einfluss. Wir müssen bei der FIFA
jedes Jahr eine Rangliste unserer sieben
FIFA-Schiedsrichter einreichen, doch
die Aussagekraft erachte ich als gering.
Die Differenzen zwischen den drei
Schiedsrichtern sind aus meiner Sicht
auch zu gering.
Wie sehen denn die Perspektiven
generell aus – wann wird die Schweiz
wieder einmal in die oberste Elite der
internationalen Schiedsrichter aufsteigen können?
Wenn wir die jüngere Vergangenheit in
Betracht ziehen, hatten wir mit Massi­
mo Busacca und Urs Meier zwei Schieds­
richter, die von ihrer beruflichen Situa­
tion her unglaublich grosse Freiheiten
hatten, um sich auf die Schiedsrichterei
zu fokussieren. Diese Möglichkeiten
gibt es derzeit vielleicht bei Adrien Jac­
cottet, der nur 30 Prozent arbeitet. Die
neue Organisationsform, die wir im
Schweizer Schiedsrichterwesen seit ei­
niger Zeit haben, gibt mir jedoch Hoff­
nung, aber es ist klar, dass das Zeit
braucht. Für die WM 2018 wird es kaum
reichen, für die EURO 2020 könnten wir
im besten Fall einen Mann am Start ha­
ben, doch meine Hoffnung bezieht sich
vor allem auf die WM 2022 in Katar.
FIFA-Schiedsrichter sind Sascha
Amhof, Alain Bieri und Nikolaj
Hänni sowie bei den Frauen Esther Staubli, Simona Ghisletta,
Désirée Grundbacher und Sandra
Strub. Neuer FIFA-Assistent ist
Marco Zürcher.
Beförderungen bei den Schiedsrichtern gab es auch auf nationaler Ebene. Definitiv für die Super
League eingeteilt wird ab der
Rückrunde Urs Schnyder, definitiv in der Challenge League pfeifen Alessandro Dudic und David
Schärli.
Die Organisationsform, die Sie ansprechen, bindet einerseits ehemalige
Spitzenschiedsrichter wie Sie, Patrick
Graf oder Bruno Grossen in die entscheidenden Gremien ein, sieht aber
auch Anstellungsverhältnisse für aktive
Schiedsrichter vor, wie etwa die Halb­
tagespensen von Alain Bieri und Sascha
Amhof. Wie wichtig ist das?
Als man das damals entschied, wollte
man Schiedsrichtern mit Potenzial die
Möglichkeit geben, sich beruflich zu
entlasten. Nun haben wir die Situation,
dass sich die Einschätzung dieses Poten­
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Schiedsrichter
zials verschoben hat. Es wird auch in
der Technischen Kommission disku­
tiert, wie man mit dieser Situation um­
gehen will.
Auch Sandro Schärer und Stephan
Klossner haben ihre Pensen reduziert,
über das hinaus sehen Sie aber –
Stichwort «Profi-Schiedsrichter» –
keine Möglichkeiten?
Das Profitum in der Schweiz ist für
mich ein eigentliches No-Go. Selbst
wenn wir es finanziell möglich machen
könnten, werden sich nicht genügend
Schiedsrichter finden, die sich darauf
einlassen würden. Urs Meier hatte das
schon vergeblich versucht, es entspricht
nicht der Schweizer Realität. In Spanien
ist das anders, in England auch, in
Deutschland müssten viele Refs auf­
grund der Höhe der Entschädigungen
eigentlich nicht mehr arbeiten. Aber
bei uns sehe ich das nicht.
Das Profitum bei den
Schweizer Schiedsrichtern
ist für mich ein No-Go.
Cyril Zimmermann
Mit Urs Schnyder wurde ein Schiedsrichter neu ins zehnköpfige Kader der
Schweizer Super-League-Schiedsrichter
aufgenommen. Was gibt es zu seiner
Person zu sagen?
Er wurde verschiedentlich in der höchs­
ten Liga getestet und bringt das grösste
Entwicklungspotenzial mit. Mit ihm
können wir in den nächsten Jahren
­weiterplanen, diese Perspektive hatten
seine drei Konkurrenten weniger. Wir
wollten im Super-League-Kader einzig
Sacha Kever ersetzen, es geht darum,
die nationale Spitze nicht aufzublähen,
damit alle zu vielen Einsätzen kommen
und sich entwickeln können. Schnyder
studiert Sportmedizin und ist ein
Schiedsrichter, der auch international
werden kann.
Sie selbst sind vom SFV ebenfalls mit
einer Teilzeitanstellung und einem
Zweijahresvertrag ausgestattet worden,
sind aber auch in Ihrem angestammten
Beruf im Finanzsektor noch stark ein­
gebunden. Wie kombinieren Sie diese
beiden Tätigkeiten?
Manchmal sind es spezielle Herausfor­
derungen, weil sowohl im Finanz- wie
auch im Fussballbereich eine gewisse
Unberechenbarkeit herrscht. Ich habe
mein Pensum auf der Bank, das sich
stark im Kundengeschäft abspielt, redu­
ziert und versuche mich so zu organi­
sieren, dass es geht.
Sie hatten sich vor einiger Zeit für die
Einführung eines Videobeweises im
Fussball ausgesprochen. Können Sie
das etwas präzisieren?
Die Torlinientechnologie, die von der
FIFA oder in England und Deutschland
eingesetzt wird, ist sehr kostenintensiv,
hat aber gleichzeitig relativ geringen
Nutzen. Dass man das bei grossen Tur­
nieren einsetzt, scheint mir vernünftig,
aber in ganzen Meisterschaften scheint
mir die Effizienz nicht gegeben. Fuss­
ballspiele werden im Strafraum ent­
schieden, und dort spielen sich auch die
meisten strittigen Entscheidungen der
Schiedsrichter ab. Nun kann man sagen,
Fehlentscheidungen seien menschlich,
man könnte aber auch sagen, dass jedes
Team maximal zweimal pro Partie die
Möglichkeit hat, einen Entscheid noch­
mals am Bildschirm zu begutachten.
Die Hoheit soll bei den Mannschaften
liegen, nicht beim Schiedsrichter. Ich
habe zuletzt ein Eishockeyspiel in
Bern verfolgt, wo die Schiedsrichter die
Videokontrolle zum Exzess getrieben
­
haben. Das ist dann nervig, was man
sofort im Publikum spürt. Aber eine
­
beschränkte Anzahl Wiederbegutach­
­
tungen auf Initiative der Captains wäre
kein Problem. Das ist ein Denkansatz,
aber wir werden von uns aus in dieser
Sache sicher nicht vorpreschen.
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Schiedsrichter
Nun geht es für die Schweizer Schiedsrichter traditionell nach Gran Canaria.
Ist das Trainingslager noch zeitgemäss?
Wir sind zum 28. Mal da. Es gab vor
einigen Jahren mal Diskussionen, ob
­
wir etwas verändern wollen, aber es
entspricht vor allem dem Wunsch der
Schiedsrichter selbst, diese Trainings­
woche aufrechtzuerhalten. Seither wird
das nicht mehr infrage gestellt – und es
bringt ja kurz vor dem Rückrundenbe­
ginn auch etwas.

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