Kurzführer - Beethoven-Haus

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Kurzführer - Beethoven-Haus
Die Macht der Musik. Das kulturelle Leben im deutschen Kriegsgefangenenlager Bando
in Japan 1917-1919
Sonderausstellung im Beethoven-Haus Bonn
21. Januar bis 19. Juni 2009
Gerade in Zeiten menschlicher Grenzerfahrung wie einer Kriegsgefangenschaft kommt der
Kultur als Kraftquelle eine gar nicht hoch genug einzuschätzende Bedeutung zu. Dies lässt
sich exemplarisch am deutschen Kriegsgefangenenlager Bando in Japan darstellen.
Zur Vorgeschichte:
In der Kolonialpolitik des Deutschen Reiches spielte die Erschließung Ostasiens als wichtiges
Handelsgebiet eine große Rolle. Die Ermordung zweier deutscher Missionare in China war
für Kaiser Wilhelm II. ein willkommener Vorwand, 1897 die für einen Marinestützpunkt
geeignet befundene Bucht von Kiautschou an der chinesischen Ostküste zu besetzen. Im März
1898 wurde mit China ein Pachtvertrag für das Kiautschou-Gebiet mit dem kleinen
Fischerdorf Tsingtau für 99 Jahre geschlossen. Zum Schutz des deutschen Pachtgebiets
bildete die Kaiserliche Marine das III. Seebataillon (Marineinfanterieeinheit), das durch
Matrosen-Artillerie verstärkt in Tsingtau stationiert wurde. Innerhalb weniger Jahre wurde der
Ort mit erheblichen finanziellen Mitteln zu einer prosperierenden Hafen-, Handels- und
Universitätsstadt ausgebaut. Die Bevölkerung stieg in 11 Jahren von 15.600 auf 55.000,
davon die Anzahl der Nichtchinesen von 2500 auf 4500. Nach Ausbruch des Ersten
Weltkriegs zog das Militär deutsche berufstätige Reservisten und Freiwillige aus ganz China
in Tsingtau zusammen. Am 10. August 1914 stellte das mit England verbündete Japan ein
unbeantwortet gebliebenes Ultimatum, in dem die vollständige Übergabe des Pachtgebiets
verlangt wurde. Was folgte, war ein wochenlanger Kampf, zunächst mit örtlich begrenzten
Gefechten, ab Ende Oktober mit Großangriffen der Belagerer, der schließlich mit der
Kapitulation der ca. 5000 eingeschlossenen Soldaten - denen mittlerweile 60.000 Japaner
gegenüberstanden - am 7. November 1914 sein Ende fand. Die Kolonie bestand also gerade
einmal 16 Jahre. Die in Japan publizierte Lithographie rechts an der Wand vermittelt ein Bild
des Kriegsschauplatzes Tsingtau, die große chinesische Handzeichnung zeigt eine
schematische Gesamtansicht der Stadt mit den schwarz-weiß-roten Flaggen des Kaiserreichs
vor dem Krieg.
Die ca. 4700 transportfähigen Kriegsgefangenen (unter ihnen befand sich auch die 400 Mann
starke österreichisch-ungarische Schiffsbesatzung der „Kaiserin Elisabeth“) wurden mit drei
Frachtdampfern nach Japan verschifft, die Reise dauerte je nach Zielort drei bis vier Tage.
Die japanischen Zeitungsausschnitte vom Dezember 1914 in Vitrine 1 zeigen die
Siegesparade vor dem einstigen Hotel Prinz Heinrich und die drangvolle Enge auf dem Schiff.
Da man damit rechnete, dass der Krieg – und damit auch die Internierung – nicht lange dauern
würde, wurden die Kriegsgefangenen in Behelfslagern wie öffentlichen Bauten und Tempeln
untergebracht. Eines dieser Tempellager war in Marugame. Die Fotos zeigen das
Tempelgelände und die traditionellen japanischen Räume, die mit Tatami (Reisstrohmatten)
ausgelegt waren, und als Schlaf-, Wohn- und Essplatz zugleich dienten. Da die Gefangenen
nicht arbeiten mussten, konnten sie sich körperlich und geistig betätigen. Es gab Schauturnen,
Konzerte der Marugamer Musikkapelle unter Leitung des Violinisten Paul Engel und
Kammermusikabende. Im 1. Symphoniekonzert, dessen Programm und Einführungstext in
Vitrine 1 gezeigt werden, stand Beethovens 2. Klavierkonzert B-Dur op. 19 auf dem
Programm. Ergänzend zu sehen sind Beethovens sorgfältige Niederschrift der Solostimme
sowie eine Kadenz zum ersten Satz, die er für seinen Schüler Erzherzog Rudolph notierte.
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Die Übersichtskarte in Vitrine 2 zeigt die 12 provisorischen Lager, die jedoch nach und nach
aufgelöst wurden, als klar wurde, dass ein baldiges Ende des Krieges nicht zu erwarten war
und überdies auswärtige Beobachter Kritik an den z.T. unzureichenden, beengten und
überbelegten Unterbringungen äußerten. Stattdessen wurden sechs architektonisch
weitgehend identische größere Barackenlager neu erbaut (in der Karte rot markiert): Kurume,
Nagoya, Narashino, Aonogahara, Ninoshima und Bando. Im April 1917 wurden die ca. 1000
Gefangenen aus den drei auf der Insel Shikoku gelegenen Lagern Marugame, Matsuyama und
Tokushima nach Bando (ca. 12 km von der Präfekturhauptstadt Tokushima entfernt, heute zur
Stadt Naruto gehörend) verlegt. Lagerkommandant wurde Matsue Toyohisa (Foto an der
Wand), der sich bereits in der Leitung des Lagers Tokushima bewährt hatte. Er verwaltete das
Lager human und liberal, gestattete den Gefangenen vielerlei Aktivitäten und pachtete
zusätzliche Flächen für die landwirtschaftliche Nutzung und die Errichtung von Sportstätten
an. Durch seine abgelegene Lage in einer bäuerlich-ländlichen Gegend, noch dazu auf einer
Insel ohne Zugang zu einem internationalen Hafen, war die Fluchtgefahr sehr gering, weshalb
man weniger streng als in anderen Lagern verfahren konnte. Dies hatte einen regen Kontakt
mit der japanischen Landbevölkerung zur Folge. Seitens der japanischen Regierung wurde
Bando denn auch bewusst als „Vorzeigelager“ etabliert. Diese Sonderstellung wirkt zwar bis
heute fort, ist aber eigentlich nicht wirklich begründbar. Die Bilder des Streichorchesters von
Narashino und des Orchesters von Nagoya zeigen, dass auch in den anderen Lagern
kulturelles Leben stattfand; in allen Lagern gab es eine Lagerdruckerei. Aus Anlass der
Aufnahme von 90 Kriegsgefangenen aus Kurume wurde im August 1918 ein
„Fremdenführer“ durch das Lager Bando gedruckt. Die aufgeschlagene Karte zeigt einen
Rundgang, die Erläuterungen zu den Ziffern finden sich im Führer. Im Südwesten entstand
ein Geschäftsviertel („Budenviertel Tapautau“ – so hieß eine Einkaufsstraße in Tsingtau), wo
die Internierten ihr Handwerk ausübten und gegenseitig verschiedene Dienstleistungen sowie
Lebens- und Genussmittel anboten. Weiterhin nennt der Führer die verschiedenen
Musikgruppen des Lagers und gibt einen Überblick über die aufgeführten Theaterstücke. Es
gab zwei aus jeweils 45 Musikern bestehende Orchester (Tokushima- und Engel-Orchester),
zwei Blasmusikkapellen und zwei Chöre mit jeweils 60 Sängern. Die Fotos an der
gegenüberliegenden Wand zeigen die verschiedenen Formationen.
Auf den beiden Hügeln im Lager bauten sich die Gefangenen Lauben zur privaten Nutzung.
Auch Heinrich Thies, aus dessen Nachlass der größte Teil der ausgestellten Dokumente
stammt, nannte eine solche sein eigen. Die Kommandantur unterstütze die Selbstverwaltung,
so wählten beide „Stadtteile“ (Bando-Ost und Bando-West) je einen Bürgermeister. Thies
kandidierte 1918, an der Wand sind die Wahlplakate zu sehen. Nach Auskunft des
Fremdenführers siegte allerdings Karl Haack in der Stichwahl.
Die Vitrinen 3 bis 7 zeigen Konzertprogramme mit Werken von Beethoven. In Bando gab es
zwei Druckereien: die Steindruckerei und die Lagerdruckerei, aus der die meisten
Publikationen stammen. Im Gegensatz zum Hektographie-Verfahren mit Matrizen, das man in
Marugame verwendet hatte, bediente man sich in Tokushima und in der Folge auch in Bando
eines komplizierteren Wachsblatt-Vervielfältigungsverfahrens. Dieses ermöglichte die
Herstellung der eindrucksvollen, mehrfarbigen Programme, Postkarten, Landkarten,
lagerinterner Briefmarken und Lagergeld, ja sogar von Büchern und Broschüren. Die
vielfarbigen Veranstaltungsprogramme sind wertvolles historisches Material, das ein
eindrucksvolles Bild der vielseitigen kulturellen Aktivitäten im Lager vermittelt. In den rund
32 Monaten der Kriegsgefangenschaft in Bando lassen sich über 100 Konzerte,
Kammermusik-, Lieder- und Unterhaltungsabende nachweisen. Zudem wurden mindestens 21
Theaterstücke z.T. mehrfach hintereinander aufgeführt. Für die Aktiven war die
Mitgliedschaft in Orchester, Chor oder Theatergruppe eine Möglichkeit, der Langeweile zu
entfliehen (die Kriegsgefangenen mussten keiner Zwangsarbeit nachgehen) und einem
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„Lagerkoller“ vorzubeugen; für die Zuhörer boten die kulturellen Veranstaltungen eine
angenehme Unterbrechung des Lageralltags. Die Instrumente hatten die Musiker zum Teil aus
China in die Internierung mitgenommen; weitere wurden entweder regulär gekauft, in der
Lagertischlerei hergestellt oder von in Japan in Freiheit lebenden deutschen Privatleuten oder
japanischen Militärs gespendet. Zum allergrößten Teil wurden gemischte
Unterhaltungsprogramme mit leichter Musik gespielt: damals beliebte und bekannte Stücke
aus Wiener Operetten von Johann Strauß, Franz von Suppé und Carl Zeller, Märsche und
Walzer von Zeitgenossen wie den Berlinern Leon Jessel und Paul Lincke (letzterer bekannt
als Vater der „Berliner Operette“ durch den Titel „Das ist die Berliner Luft, Luft, Luft“ aus
der erfolgreichen „Frau Luna“), aber auch Ouvertüren von Offenbach und Rossini. Nur 18 der
68 vorliegenden Programme boten anspruchsvollere, im engeren Sinne „klassische“ Konzerte,
darunter sieben Kammermusikabende. Von letzteren waren zwei reine Beethoven-Abende,
ein weiterer enthielt Werke Beethovens. Unter den verbleibenden 11 Symphoniekonzerten
sind allerdings eindrucksvolle vier reine Beethoven-Programme, weitere zwei Konzerte
enthalten zumindest Werke von Beethoven. Die Rezeption des Nationalheiligen, des Heroen
und Titanen Beethoven entsprach der patriotischen Gesinnung der Kriegsgefangenen. Wie
schon durch Beethoven selbst, erklang seine Musik auch zu wohltätigen Zwecken, hier zu
Gunsten der lagereigenen Krankenkasse die Prometheus-Ouvertüre op. 43. Das TokushimaOrchester spielte in einem Beethoven-Abend vermutlich die japanische Erstaufführung der 4.
Symphonie op. 60; dazu gab es einen Einführungstext, dem Max Chops Publikation über
„Ludwig van Beethovens Symphonien“ von 1910 zugrunde liegt. Der Oberhoboistenmaat
(Obermaat ist die Dienstgradbezeichnung der Kaiserlichen Marine, Hoboist ein
Militärmusiker) Hermann Richard Hansen aus Flensburg leitete sowohl die Kapelle der
M.A.K. (Matrosen-Artillerie Kiautschou) als auch das Tokushima-Orchester. Er spielte
Violine und mehrere Blasinstrumente. Im Beethoven-Kammermusikabend vom 3. Februar
1918 wurde außer einer Übertragung des Bläserquintetts op. 16 für Klavierquartett die
„Kreutzer-Sonate“ op. 47 gegeben, deren Originalhandschrift in Vitrine 3 zu sehen ist.
Ende April 1918 spielte das Engel-Orchester Beethovens 5. Symphonie, die im
vorangegangenen Jahr bereits im musikalisch besonders aktiven Lager Kurume aufgeführt
worden war. Dort fanden auch die japanischen Erstaufführungen der 8. (1916) und der 7.
Symphonie (1919) statt. Paul Engel (Foto in Vitrine 4) gab im Lager Musikunterricht und es
war ihm gestattet, zweimal pro Woche japanische Schüler außerhalb des Lagers zu
unterrichten. Nach der durch die Amerikaner erzwungenen Öffnung des Landes in den 1860er
Jahren war es zu einer tief greifenden Modernisierung des Landes nach westlichem Vorbild
gekommen. Dazu gehörte auch eine breite und intensive Pflege westlicher Musik, die in Japan
Mitte des 16. Jahrhunderts durch portugiesische Missionare eingeführt worden war.
Vitrine 5 ist der japanischen Erstaufführung der 9. Symphonie am 1. Juni 1918 gewidmet.
Bereits ein gutes Jahr zuvor stand die Ode „An die Freude“ – natürlich in einer Bearbeitung
für Männerstimmen - auf einem Programm des Tokushima-Orchesters, in dem einmal mehr
auch der von Paul Engel komponierte Tsingtau-Kämpfer-Marsch erklungen war. Für die
komplette Aufführung wurde laut Mitteilungen im „Täglichen Telegramm-Dienst Bando“ seit
dem 3. April geprobt, am 31. Mai gab es eine öffentliche Generalprobe mit dem 80 Mann
starken Chor. Wie die meisten Konzerte fand auch dieses wohl in der „Mehrzweckhalle“ - der
auf der Postkarte abgebildeten „Baracke 1“ - statt. Das Konzertprogramm ist
bezeichnenderweise mit der 1902 in der Ausstellung der Wiener Secession erstmals gezeigten
Beethoven-Statue von Max Klinger illustriert, die den Komponisten als antiken Gott stilisiert.
Das Originalmodell Klingers ist im Pavillon im Hof des Beethoven-Hauses zu besichtigen.
Der Odentext war dem Programm beigegeben, die Mitwirkenden erhielten zur Erläuterung
des Werks eine schriftliche Einführung, die wiederum auf der Analyse von Max Chop beruht.
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Bei dem ausführlichen gedruckten Text über die Symphonie handelt es sich möglicherweise
um die Niederschrift eines Vortrags. Er ist von Wagners Beethoven-Bild geprägt und gibt in
Auszügen auch das von jenem formulierte „Programm“ wieder. In der wöchentlich (später
monatlich) herausgegebenen Lagerzeitung „Die Baracke“ erschien im Gegensatz zu anderen
Konzerten zwar keine Rezension, aber in den nächsten zwei Ausgaben eine lange
kulturwissenschaftliche Abhandlung von Peter Spurzem mit dem Untertitel „Schiller –
Beethoven – Goethe“. Kurze Zeit später wurde die Symphonie auch in den Lagern Kurume
und Narashino aufgeführt. Ihren „Siegeszug“ in Japan konnte „Daiku“, Nummer Neun, wie
die Japaner sie nennen, allerdings erst nach Kriegsende antreten. Erst durch Aufführungen
außerhalb der Lager wie z.B. in der Mädchenschule Kurume konnte das Werk allgemein
bekannt werden. Es erfreut sich seither einer ungebrochenen Popularität und alljährlich einer
Vielzahl von Massenaufführungen. Die ausgestellte Beethoven-Handschrift mit einem Teil
der Coda des 2. Satzes ist heute Bestandteil des von der UNESCO definierten „Memory of the
World“.
In Vitrine 6 ist eine Wiederaufnahme der 5. Symphonie zu sehen, die nun mit der 1.
Symphonie kombiniert wurde. Das Konzert wurde in der Lagerzeitung rezensiert. Im
Kammermusik-Konzert vom 26. März 1919 wurde die Violinsonate op. 30 Nr. 2 gespielt.
Deren Originalhandschrift ist hier gleichfalls zu sehen.
Fast ein Jahr nach Kriegsende – die Abwicklung und die logistischen Herausforderungen
zogen die Heimkehr in die Länge – veranstaltete man mehrere Wohltätigkeitskonzerte zu
Gunsten der notleidenden Kriegsgefangenen in Sibirien (Vitrine 7). Das Engel-Orchester gab
seinen 2. Beethoven-Abend mit dem Violinkonzert op. 61 (Solist war Paul Engel, das
Orchester wurde von Willy Werner dirigiert, der auch einen Chor leitete) und der 6.
Symphonie. Außer der eigenhändigen Partitur dieses außergewöhnlichen Werkes befindet
sich in der Sammlung des Beethoven-Hauses auch jene vom Komponisten überprüfte und mit
vielen Rötelkorrekturen versehene Abschrift, die als Vorlage für den Erstdruck diente.
Vitrine 8 zeigt eine Auswahl weiterer interessanter Konzertprogramme. Im März 1919 wurde
in Tokushima ein öffentliches deutsch-japanisches Konzert mit dem Engel-Orchester
gegeben. Vermutlich rekrutierten sich die japanischen Mitwirkenden aus Engels Schülern. Zu
allen patriotischen Anlässen wurden Konzerte mit Militärmusik veranstaltet. Beispiele sind
das Konzert zur 4-jährigen Wiederkehr des Sieges bei Tannenberg (Ostpreußen) mit „Hoch
Hindenburg“ und dem Chorsatz „Wir müssen siegen“ vom Kapellmeister Hansen unter
Beteiligung des Moltrecht-Chors und einer weiteren Spielmannskapelle sowie das Konzert
zum Geburtstag des Kaisers. Dieses vollzog als Themenkonzert einen Gang durch die
Geschichte des Militärmarschs vom 13. bis ins 19. Jh. und enthielt auch Beethovens
„York’schen Marsch“ WoO 18. Zur Einweihung des Bandoer Stadtparks spielte die M.A.K.Kapelle populäre Märsche des Militärmusikers Carl Teike. Natürlich gab es auch
Weihnachtskonzerte, 1918 spielte die M.A.K.-Streichmusik ein von Hansen
zusammengestelltes „Weihnachtspotpourri“. Gemeinsam mit sechs weiteren Gefangenen aus
Schleswig-Holstein wurde Hansen bereits am 26. August 1919 entlassen, um an der
Abstimmung über die Zugehörigkeit Schleswigs zu Deutschland oder Dänemark teilnehmen
zu können. Am Vorabend gab er sein Abschiedskonzert. Auch an mehreren „Bunten
Abenden“ wirkten Musikgruppen mit. Ende Juli 1919 erklang das in der Lagerzeitschrift
abgedruckte Couplet von Hansen „Warum denn diese Eile, wir warten noch ’ne Weile“.
Raum 12 im Erdgeschoss zeigt weitere Bereiche der Kulturpflege in den
Kriegsgefangenenlagern. Verbreitet war das Theaterspiel, wobei zur Ablenkung vom
Gefangenendasein vor allem Komödien gespielt wurden. Es standen aber auch
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anspruchsvollere Stücke auf dem Programm. Da die Bühne in Baracke 1 erst später gebaut
wurde, wich man für Schillers „Räuber“ noch auf eine Freilichtaufführung aus. Die
weiblichen Rollen mussten natürlich mit Männern besetzt werden. Bei den meisten Stücken
beteiligten sich die Lagerorchester oder Teile von ihnen mit Ouvertüren und
Zwischenaktmusiken. Ein Höhepunkt war sicher die fünf Mal wiederholte Vorstellung von
Goethes Trauerspiel „Egmont“ mit der Bühnenmusik von Beethoven. Die ausgestellte
Abschrift enthält nicht nur Korrekturen des Komponisten im Notentext, sondern auch viele
Regieanweisungen, die die Musik mit dem Schauspiel verbinden. Die Sammlung von
Bühnenbildern, die in der letzten Ausgabe der „Baracke“ wiedergegeben ist (ein Teil ist an
der Wand zu sehen), belegt das Engagement und die Kunstfertigkeit der Theaterenthusiasten
unter den Gefangenen. Zu „Egmont“ druckte die Lagerzeitung eine Einführung, die den im
Werk thematisierten Freiheitsgedanken und Heldentod mit der eigenen Situation als
Kriegsgefangene verglich. Der Rezensent betont zwar die unvermeidbaren Mängel der
Aufführungen durch die Umstände im Lager, stellt aber das Gelungene besonders heraus.
Möglicherweise war Hansen der Autor der ausführlichen Erläuterung der Schauspielmusik.
Das Programm zu Lessings „Minna von Barnhelm“ in Vitrine 2 weist auf das von der
japanischen Lagerleitung erlassene Klatschverbot hin. Der Dichter der „Rabensteinerin“,
Ernst von Wildenbruch, hatte 1891 ein Gedicht zur Weihe des Beethoven-Hauses verfasst.
Im Lager wurde auch Puppentheater mit kunstvoll von Hand geschnitzten Marionetten
gespielt. Die „Ausstellung für Bildkunst und Handfertigkeit“ im März 1918 zeigte außer den
aufwändig in den Lagerwerkstätten hergestellten Theaterrequisiten und Kostümen auch das
Marionettentheater. Die Gemeinde Bando stellte für die Ausstellung ihre Versammlungshalle
mit großen Nebengebäuden und Außengelände zur Verfügung. Die Kriegsgefangenen
präsentierten über 450 Exponate, wovon die meisten verkäuflich und nachbestellbar waren.
Der Bereich „Bildkunst“ umfasste über 200 Kreide-, Kohle-, Tusche- und
Aquarellzeichnungen sowie einige Ölbilder. Der Bereich „Handfertigkeit“ gliederte sich in 11
Unterabteilungen wie z.B. Schiffbau, Kinderspielsachen, Lebensmittel, aber auch
Musikinstrumente (mit 7 Exponaten) und Sammlungen von ausgestopften Tieren und
präparierten Pflanzen, ein Hobby, dem Heinrich Thies nachging. Die Ausstellung stieß auf
großes öffentliches Interesse, 19 Dolmetscher führten über 50.000 Besucher, worunter auch
viele Schulklassen waren. Auch die anderen Lager veranstalteten solche Ausstellungen, wie
der Ausstellungskatalog aus Ninoshima und die Postkarte aus Kurume belegen. Solche
Postkarten wurden zu allen besonderen Gelegenheiten in den Lagerdruckereien gedruckt und
mit Einheitstextstempeln versehen. Das vereinfachte die Zensur und trug so wesentlich zu
einer schnelleren Laufzeit bei.
In Vitrine 3 sind Dokumente zur Heimkehr der Kriegsgefangenen zu sehen. In Erwartung der
baldigen Abreise erschien die letzte Ausgabe der „Baracke“ im September 1919. Es dauerte
allerdings noch bis Jahresende, bis die japanische Regierung den Heimtransport mit sechs
gecharterten Frachtschiffen organisiert hatte. Die Gefangenen aus Bando reisten auf der
„Hofuku Maru“, die am 30. Dezember in Kobe ablegte und 56 Tage später, am 24. Februar
1920, in Wilhelmshaven einlief. Die Gerätschaften der Lagerdruckerei hatte man mit auf die
Reise genommen, an Bord erschienen sechs Ausgaben der Zeitschrift „Die Heimkehr“. Auf
dem Schiff wurde ein Liederabend veranstaltet, auf dessen Programm auch eine Bearbeitung
des Andante-Satz aus der Klaviersonate „Appassionata“ op. 57 für Männerchor von Friedrich
Silcher („Hymne an die Nacht“) stand. Als bleibende Erinnerung an die in der Gefangenschaft
verstorbenen acht Soldaten war ein Gedenkstein auf dem Lagergebiet errichtet worden, der im
Fotoalbum von Heinrich Thies zu sehen ist. Erst in den 1960er Jahren kam eine
Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen ehemaligen Kriegsgefangenen und der
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Bevölkerung von Bando zustande. 1972 wurde auf dem ehemaligen Lagergelände das
„Deutsche Haus Naruto“ als Erinnerungsstätte eingerichtet.
Gedankt sei den Leihgebern Frau Ingeborg Esser und Herrn Prof. Peter Pantzer sowie dem
Deutschen Haus Naruto und dem Deutschen Institut für Japanstudien in Tokyo für ausgiebige
Informationen. Der Gielen-Leyendecker-Stiftung, der Hans-Joachim-Feiter-Stiftung, dem
Arbeitskreis selbständiger Kultur-Institute e.V., dem Beauftragten der Bundesregierung für
Kultur und Medien sowie dem Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen sei für
die Förderung der Ausstellung verbindlich gedankt.
N.K./M.L.
Beethoven-Haus Bonn
Bonngasse 20
D-53111 Bonn
www.beethoven-haus-bonn.de
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