Die Königin von Mallorca

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Die Königin von Mallorca
REISE & ERHOLUNG
Freie Presse
Samstag, 28. März 2015
Die stille Schwester Rügens Auf
der Insel Ummanz machen
jetzt Kraniche
Rast. Seite C2
Seite C1
Die Königin von Mallorca
Immergrün und immer
Orangen: Auf der Insel
gedeihen die Früchte das
ganze Jahr über. Vor allem
rund um Sóller hängen die
Bäume voll davon – und
eine Sorte gibt es nur hier.
VON STEFFEN KLAMETH
Okay, man muss sie mögen. Diese,
nun ja, rundliche Figur. Ihre
schrumpelige Haut mit den tiefen
Furchen und allerlei Narben. Aber
für Jenö Friedl gibt es in diesem Moment kein Halten. Der Mann greift
beherzt zu, schnuppert und lächelt
selig: „Eine echte Canoneta!“
Ob Jenö Friedl bei Frauen einen
ähnlichen Geschmack hat, steht
hier nicht zur Debatte. Bei Orangen
weiß der Chefkoch vom Luxushotel
Jumeirah in Port Sóller hingegen
sehr genau, worauf es ankommt.
Nämlich auf die inneren Werte. Und
da ist die Canoneta ohne Konkurrenz. Sie ist saftig wie ein vollgesogener Schwamm, mehr als die Hälfte
ihres Gewichts macht purer Saft aus.
Kenner preisen sie deshalb als Königin der Saftorangen. Dass der Saft
süß schmeckt, aber irgendwie auch
leicht säuerlich, macht ihn umso leckerer. Auf dem Markt in Sóller bekommt man das Kilo Früchte für
weniger als einen Euro und den Becher mit Saft für 1,50 Euro; die elektrische Presse läuft im Dauerbetrieb.
Am Hofe von
Louis XIV. sollen
angeblich nur die
Canonetas akzeptiert worden sein.
Wenige Schritte weiter, und man
steht im Laden von Franz Kraus. Der
gebürtige Rheinländer könnte der
jüngere Bruder von Jürgen Drews
sein: braun gebrannt, wallendes
Haar, rauchige Stimme. Aber Kraus,
58, hat eine ganz andere Mission als
der König von Mallorca: Stundenlang und ohne Punkt und Komma
kann er über die Ungerechtigkeit
auf dieser Welt referieren; Mallorca
und die Orangen werden dabei nicht
ausgespart. „In Deutschland kriegen
die Leute Hartz IV, hier liegt man ohne Arbeit auf dem Boden.“ Um die
hundert Menschen lebten allein in
Sóller von der Solidarität anderer
Menschen, jede Woche würden
300 Liter Milch gespendet.
Auch der Deutsche zeigt sich solidarisch: In seiner Firma Fet a Sóller
beschäftige er unter anderem 60 Behinderte, die aus Orangen leckere
Marmelade machen. Auch Eis, Olivenöl und andere Leckereien kann
man in seinem Delikatessengeschäft erwerben. Den Großteil der
Früchte – „alle unbehandelt“ – lie-
fert er aber aufs europäische Festland, vornehmlich nach Deutschland. Zu einem fairen Preis. Und den
zahlt er nach eigener Aussage auch
den Bauern: „60 Cent pro Kilo, das
ganze Jahr über.“ Wer an die Genossenschaft liefert, bekommt derzeit
20 Cent weniger.
Einer dieser Bauern, die ihre Ernte zu Franz Kraus bringen, ist Rafael
Forteza. Gemeinsam mit seiner Frau
Lourdes lebt er auf der Finca Ca’s
Sant; sie kümmert sich um das Gästehaus, er um die Plantage. 700 Bäume sind zu hegen und zu pflegen, jede Sorte hat ihre eigene Erntezeit,
manche brauchen dafür 14 Monate.
Ob eine Frucht reif ist, erkennt nur
der Fachmann. So können durchaus
auch grüne Früchte genießbar sein –
ihnen fehlt nur die Nachtkälte, die
die Haut orange färbt. Doch trotz aller Mühen: Etwa die Hälfte von den
eintausend Orangen, die an einem
Baum im Schnitt hängen, holt sich
der Wind. Was damit passiert? Rafael Forteza zuckt mit den Schultern.
Was so viel heißen soll wie: Die bleiben einfach liegen.
Offen bleibt, ob dies aus Bequemlichkeit geschieht oder der Bodenpflege dient. So oder so: Apfelsinen
sind auf Mallorca ein Massenprodukt, die Früchte gedeihen hier das
ganze Jahr über. Und das schon seit
Jahrhunderten. „Die Mauren brachten das Obst mit, bauten Bewässerungssysteme, legten Plantagen an“,
erklärt Antonia Oliver Rullan bei einem Stadtrundgang. Die Gegend
um Sóller – Einheimische wie Antonia sagen übrigens Su-jer mit Betonung auf der ersten Silbe – erwies
sich dabei als besonders privilegiert.
Auf der einen Seite die steilen, hohen Hänge des Tramuntana-Gebirges, auf der anderen die feuchte Brise
des Mittelmeeres machen Sóller zur
Insel auf der Insel – und bieten ideale Bedingungen für Zitrusfrüchte im
Allgemeinen und die Canoneta im
Besonderen.
Der direkte Zugang zum Meer
hatte aber noch einen weiteren Vorteil, wie die Gästeführerin erzählt.
Die Ernte konnte per Boot ohne Umwege aufs Festland geschippert werden. Dort fand man schnell Geschmack an den saftigen Apfelsinen;
vor allem die Franzosen waren heiß
darauf, und am Hofe von Louis XIV.
sollen angeblich nur die Canonetas
akzeptiert worden sein. Nach der
Französischen Revolution wanderten viele Franzosen nach Mallorca
aus – und machten die Orangen
zum Exportschlager. Der Wohlstand
wuchs, im Tal von Sóller schossen
die Textilfabriken wie Pilze aus dem
Boden. Bis eine Ungezieferplage der
wirtschaftlichen Blüte ein jähes Ende setzte. Tausende Menschen wanderten aus, die isolierte Lage wurde
plötzlich zum Bumerang. Erst der
Bau einer Eisenbahn von Palma
nach Sóller eröffnete der abgeschiedenen Gegend eine neue Perspektive. 1913, ein Jahr später, folgte eine
Straßenbahn hinunter nach Port
Sóller.
Heute sitzen vor allem Touristen
in Zug und Bahn. Die Fahrt mit dem
Kennt sich aus mit Orangen: Chefkoch Jenö Friedl vom Hotel Jumeirah
in Port Sóller.
Reiche Ernte: Aina Mora präsentiert
Canonetas im Besucherzentrum der
Kooperative.
Fruchtig und lecker: Bei Franz Kraus
kostet die Kugel Orangeneis 1,20
FOTOS: STEFFEN KLAMETH
Euro.
Die Sonne eingefangen: Eintausend Orangenfrüchte hängen durchschnittlich an einem Baum.
„Roten Blitz“ von der Hauptstadt
nach Norden ist wie eine Zeitreise.
Er rattert durch zahlreiche Tunnel
und über mehrere Brücken, vorbei
an Olivenhainen und Mandelbäumen. Erst wenn man das Gebirge hinter sich gelassen hat, bestimmen die Zitrusbäume die Szenerie:
Zitronen, Orangen, Mandarinen,
Pampelmusen. Die beiden Letztgenannten sind übrigens die Eltern der
Orange.
Ohnehin ist die Geschichte dieser Frucht eine endlose Folge von
Kreuzungen. Mit der Folge, dass es
heute eine schier unüberschaubare
Vielfalt an Sorten gibt. Wer mehr darüber wissen will, sollte das Centro
Orange? Apfelsine?
Direkt nach Palma
Die einen sagen so, die anderen so,
gemeint ist immer sowohl der Baum
als auch die Frucht.
Anreise: Direktflüge nach Palma de
Mallorca gibt es täglich ab Dresden
und Leipzig mit Airberlin (Hin-/Rückflug ab 150 Euro).
In der Orange stecken die Wörter auranja (altprovenzalisch), naranja (spanisch) und narandsch (arabisch). Die
Bezeichnung Orange hat sich weltweit
durchgesetzt – nicht zuletzt, weil sie
vornehmer klingt.
Capvespre besuchen. Das Besucherzentrum der hiesigen Genossenschaft befindet sich nur zehn Minuten Fußweg entfernt von der Plaza in
Sóller. Aina Mora empfängt die Gäste mit einem Glas Orangensaft und
perfektem Deutsch. Zum Programm
gehören Führungen durch die Plantagen und Workshops, bei denen
Mallorca
Port Sóller
Sóller
Unterwegs: Eine Zugfahrt von Palma
nach Sóller kostet 15 Euro, mit Rückfahrt 21 Euro. Für die Tour mit der
Straßenbahn von Sóller nach Port
Sóller zahlt man 5,50 Euro.
Palma
El Arenal
Spanien
Apfelsine bedeutet wortwörtlich
chinesischer Apfel – ein Hinweis auf
die Herkunft der Frucht. Vor allem in
Nord- und Ostdeutschland ist diese
Bezeichnung (noch) verbreitet.
Man unterscheidet zwischen Bitterorangen und vier Gruppen süßer
Orangensorten: Blond-, Navel-, Blutund säurefreie Orangen.
Den Weltrekord in der Orangenproduktion hält mit großem Abstand Brasilien, gefolgt von den USA und China.
Spanien folgt erst auf Rang sechs.
Reisezeit: Mallorca hat fast das ganze Jahr seine Reize. Für Aktivurlauber
sind Frühling und Spätsommer ideal,
von Juni bis September ist es meist
heiß und trocken. Im Winter kann es
auch mal sehr kühl werden, im Oktober fällt der meiste Regen.
Übernachten: An Hotels gibt es keinen Mangel. Erste Adresse für Luxusurlaub ist das Jumeirah Port Soller
Hotel & Spa. In der Nebensaison kostet das Doppelzimmer mit Frühstück
und Spa-Nutzung ab 375 Euro pro
Nacht. Bis 30. April gilt ein „4 für 3“-
Isla Cabrera
Mittelmeer
Ariane Bühner
Angebot, billiger wird es bei Buchung
über Veranstalter wie FTI Gold.
Orangen: Die Firma Fet a Sóller liefert frische Canoneta direkt in deutsche Wohnungen – die 10-Kilo-Kiste
für 22,95 Euro frei Haus.
» www.fetasoller.com
Die Recherche wurde unterstützt
von Airberlin und Jumeirah.
man seine eigene Orangenmarmelade herstellen kann.
Natürlich schwärmt Frau Mora
über die Orangen aus dem Tal von
Sóller. Dieses Aroma! So saftig! Und
so gesund! Tatsächlich enthalten
Apfelsinen viel Vitamin C, wichtige
Mineralstoffe sowie Carotinoide.
Die natürlichen Farbstoffe senken
das Risiko für Krebs und Herzkreislauferkrankungen. Noch gesünder
als Orangen ist übrigens der Orangensaft: Wissenschaftler der Universität Hohenheim haben herausgefunden, dass im Saft viermal mehr
Carotinoide enthalten sind.
Also spricht eigentlich alles für
die saftige Canoneta. Nur: „Immer
weniger Bauern wollen sie anbauen,
weil sie nicht perfekt aussieht“,
klagt Aina Mora. Überhaupt stehe es
schlecht um das Obst – viele Gärten
würden vernachlässigt, weil die
Preise wegen der Zwischenhändler
immer weiter sinken und man mit
dem Verkauf der Flächen an Immobilienspekulanten viel mehr verdiene. Aber es gebe auch Bestrebungen,
die wertvolle Kulturlandschaft zu
retten, sagt sie: „Noch ist nicht alles
verloren.“
Zu den ungenannten Rettern gehört auch Chefkoch Jenö Friedl.
40 Kilogramm Canonetas liefert die
Kooperative täglich an das Hotel, wo
man der Königin alle Ehre erweist –
nicht nur in der Küche, sondern
auch in der Bar und im Spa.
A N ZE I G E
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