Einer der bedeutendsten Vertreter der Spätromantik ist Eduard Mörike
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Einer der bedeutendsten Vertreter der Spätromantik ist Eduard Mörike
200 Jahre Mörike – da darf sich auch ein Schwabe ins Siegerland verirren. Alexandra (Grundkurs Deutsch, Jahrgang 12) hat dazu eine Analyse verfasst: Aufgabe: Analysieren Sie das Gedicht. Berücksichtigen Sie dabei die literaturgeschichtlichen Bezüge. Eduard Mörike (1804 – 1875) Im Frühling Hier lieg' ich auf dem Frühlingshügel: Die Wolke wird mein Flügel, Ein Vogel fliegt mir voraus. Ach, sag mir, all-einzige Liebe, Wo du bleibst, daß ich bei dir bliebe! Doch du und die Lüfte, ihr habt kein Haus. Der Sonnenblume gleich steht mein Gemüte offen, Sehnend, Sich dehnend In Lieben und Hoffen. Frühling, was bist du gewillt? Wann werd ich gestillt? Die Wolke seh ich wandeln und den Fluß, Es dringt der Sonne goldner Kuß Mir tief bis ins Geblüt hinein; Die Augen, wunderbar berauschet, Tun, als schliefen sie ein, Nur noch das Ohr dem Ton der Biene lauschet. Ich denke dies und denke das, Ich sehne mich, und weiß nicht recht, nach was: Halb ist es Lust, halb ist es Klage; Mein Herz, o sage, Was webst du für Erinnerung In golden grüner Zweige Dämmerung? - Alte unnennbare Tage! (entstanden 1828) Einer der bedeutendsten Vertreter der Spätromantik ist Eduard Mörike (1804-1875). Er vertritt das typische biedermeierliche Denken der damaligen Zeit. In dem Gedicht „ Im Frühling“ (1828) spiegeln sich seine innersten Gefühle wieder. Nicht nur handelt das Gedicht, wie der Titel verrät, vom Frühling. Eduard Mörike ist nicht der Typ von Dichtern, die einfach bloß die Natur beschreiben. Die vier Strophen sind viel tiefgreifender und beschreiben seine Sehnsucht. „Im Frühling“ besitzt kein durchgängiges Reimschema. Es ist, wie der Dichter, hin- und hergerissen. Die erste Strophe lässt den Leser ins Träumen geraten. In der zweiten Zeile findet eine Art von Personifikation statt: „Die Wolke wird mein Flügel“. Das lyrische Ich hebt also von der Welt ab. Es spricht zum ersten Mal in der vierten Zeile: „Ach, sag mir, all-einzige Liebe“. Das „ ach“ steht für sehr viel Emotion. Wer aber genau angesprochen wird, geht aus dem Gedicht nicht hervor. Eine Vermutung könnte sein, dass es Gott ist, schließlich ist das lyrische Ich ihm beim Fliegen sehr nahe. Doch stiftet dann der nachfolgende Vers Verwirrung: „ Wo du bleibst, dass ich bei dir bliebe!“ (Vers 5). An dieser Stelle fragt sich der Leser, ob es nicht doch eine verflossene Liebe sein könnte. Mörike hatte in seinen jungen Jahren eine Liebe, Maria Meyer, die ihn sehr prägte. Nach ihr folgten die Vikariatszeit, Jahre der Selbstzweifel. „Doch du und die Lüfte, ihr habt kein Haus“ (Vers 6), so lautet der nachfolgende Vers. Sind es seine Gedanken, die ihn plagen und keine Antwort finden? Auch das wäre eine passende Vermutung, hat Mörike doch viele Jahre damit verbracht zu denken und zu sich selbst zu finden. In nur drei Versen weiß der Leser nicht, was Eduard Mörike eigentlich ausdrückt. Aber weiß er es denn selbst genau? Auf eine gewisse, ganz spezielle Weise war Mörike ein Vordenker des Psychoanalytikers Freud. Mörike erkannte sein Unterbewusstsein. Er spürte, dass etwas nicht stimmte, nur wusste er nicht, was es war. Dieses Unterbewusstsein kommt besonders in der ersten Strophe durch die Unwissenheit zum Vorschein. In der nächsten Strophe folgt ein schweifender Reim dem Paarreim. Dieser drückt die lange Sehnsucht aus. Direkt wir deutlich, dass zu dem Frühling gesprochen wird und dass der Sprecher sich die Frage stellt, was mit ihm geschieht und wie lange dieses Gefühl noch andauert. Den Paarreim bilden die oben genannten rhetorischen Fragen, weil sie mit Sicherheit zusammengehören und schnell beantwortet werden sollen. Diese drängenden Fragen, siehe Enjambement Vers 9 „Sehnen, sich dehnend“, welche sich Mörike selbst stellt, bleiben offen. Den Paarreim der nächsten Strophe bilden der erste und zweite Vers. Beide beschreiben darin die Natur. Die Personifizierung „ der Sonne goldner Kuß“ (Vers 14) beschreibt, wie gerührt das lyrische ich ist. Die Sonnenstrahlen sind genauso schön wie ein Kuss. Der nachfolgende Kreuzreim erläutert innerste Gefühle. Er beschreibt die Wirkung auf die Sinne „Sehen“ und „Hören“. Wobei das Sehen mehr in den Hintergrund tritt, da sie sich wohl gerade schließen: „Tun, als schliefen sie ein (Vers 17) und so das Hören automatisch viel mehr in den Vordergrund rückt. Die Anapher „Ich“ gilt als Einleitung der ersten beiden Verse der letzten Strophe. Sie sind nur zwei von den häufig verwendeten Personalpronomen des Gedichts. Das lyrische Ich stellt sich damit selbst in den Vordergrund und nicht, wie erwartet, den Frühling. Der Paarreim bringt nochmal zum Ausdruck, in welcher Situation es sich befindet. Gedanken schießen durch den Kopf und eine Sehnsucht wird verspürt. Außerdem gibt der Vers 21 Auskunft über die Gefühlslage mit der Antithese: „halb ist es Lust, halb ist es Klage.“ Wieder deutlich zu erkennen ist, dass dem Herzen die Frage gestellt wird, was das Unbewusste, also die „Erinnerung“(Vers 23) denkt. Zum ersten Mal wird dem lyrischen Ich die Frage beantwortet. Die letzte Strophe beinhaltet nicht wie die Anderen sechs, sondern sieben Verse. Der letzte Vers gibt in diesem Fall die Antwort: „ Alte unnennbare Tage!“ (Vers 25). Endlich hat das lyrische Ich die Lösung gefunden. Mit dem Wissen, dass „Im Frühling“ zum Ende der napoleonischen Herrschaft und damit am Anfang der Restauration entstanden ist, lässt sich sagen, dass das lyrische Ich biedermeierlich geprägt war. Während die Romantiker ihr Leben mit Sehnsucht nach der Ferne weiterlebten, kapselte sich das biedermeierliche Volk, meist konservativ geprägt, von der Gesellschaft ab. Wieder einmal trifft hier das lyrische Ich den Charakter Mörikes. Höchstwahrscheinlich versteckt sich hinter diesem Ich er selbst. Seine Gefühle werden also durch dieses Hilfsmittel unscheinbar übermittelt. Auch das, was hinter dem im eigentlich typisch romantisch im Zeilenstil geschriebenen Gedicht steht, erlaubt uns tiefe Einblicke in diese geheimnisvolle Gedankenwelt des Dichters. Abschließend lässt sich sagen, dass Eduard Mörike seinen Lesern trotz seines eher bitteren Lebens das Gefühl vermittelt, das jeder Mensch verspürt, wenn er sich in einer Lage befindet, die nur einen langen, holprigen Ausweg hat. Ich persönlich habe sehr viel Respekt vor Dichtern, die es verstehen, selbst in schwierigen Zeiten ihre innersten, oft intimen und verbotenen Gedanken, ihre Gefühle und ihre Meinung auf Papier zu bringen und zu veröffentlichen. Hut ab, Eduard Mörike!