WK AN Scheuchzers Drachen
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WK AN Scheuchzers Drachen
1 Johann Jakob Scheuchzer, Drachenkunde S. 377-397 Vom Drachenstein komme ich zu den Drachen, über die ich hier an dieser Stelle meiner Darstellung der Schweiz eine Abhandlung einfügen möchte, meines Versprechens eingedenk und zugleich überzeugt davon, dass die Behandlung dieses Stoffes, der den naturgeschichtlichen Autoren so grosse Probleme bereitet hat, den Lesern nicht unwillkommen sein wird. Ich kann mich nicht genug darüber wundern, dass fast alle Völker irgendeine Vorstellung von den Drachen besitzen und diese auch überliefert haben, die Existenz dieser Gattung von vielen renommierten Wissenschaftlern aber dennoch angezweifelt wird. Die Drachen waren einst dem Äsculap heilig, wurden aber auch dem Apollo geweiht und in Epirus verehrt. So berichtet es Aelian, De animalibus 11, 2. Aus Sueton wissen wir, dass Apollo in der Form eines Drachens zu erscheinen pflegte. In seinem Octavius, Kap. 94, schreibt er, dass Kaiser Augustus als Sohn Apollons geboren wurde, weil seine Mutter Atia von einem Drachen vergewaltigt worden war. Die Gründe, warum die Drachen dem Gott der Heilkunst heilig waren, führen Festus im 4. Buch, Macrobius in den Saturnalien 1, 20 und die Scholien zu Aristophanes’ Plutos aus. Den Juden war es einst verboten, Bilder von Drachen herzustellen, wie Carpzow, Diss<ertatio> de nummis cornutum Mosen exhibentibus, S. 17 und 18 anhand von einigen Stellen aus den Rabbinern zeigt. Bei den chinesischen Herrschern hingegen geniessen die Drachen grosse Verehrung, und die Vertreter des hohen Adels schmücken sich mit Exemplaren, die auf ihre Kleidung gestickt wurden, ja die Kaiser selbst haben sich dieses Lebewesen als Wappentier auserkoren, weil einer ihrer Vorfahren einst auf einem Drachen mit langem Bart und Hörnern sitzend in die Luft emporgestiegen ist. Deswegen ist es allen verboten, Schiffe mit Drachenskulpturen zu zieren, mit Ausnahme jener, denen dies infolge des einzigartigen Wohlwollens des Kaisers gestattet wurde. Wie zu mehreren anderen Fragen konsultiert man hierzu am besten Athanas<ius> Kirchers Chin<a> Illustr<ata>, S. 25, 32 und 41, Johan Nieuhoffs Sinisch<e> Reisbeschreibung, S. 58, 61, 92, 114 und 252 und Lambeck, Comm<entarius de Augustissima> Bibl<iotheca Caesarea Vindobonensi, Buch 57, S. 397. Es lohnt sich nun gewiss, diese mit Drachenskulpturen geschmückten Schiffe der Chinesen mit jenem des von Bellerophon getöteten Chimarros Pyrita zu vergleichen: Dieser ἔπλει πλοίῳ λέοντα μὲν ἔχοντι πρῴραθεν ἐπίσημον, ἐκ δὲ πρύμνης Δράκοντα, fuhr mit einem Schiff, das am Bug einen Löwen und am Heck einen Drachen als Wappentier hatte, wie in Plutarchs Buch über die Tugenden der Frauen nachzulesen kann. Man kann diese Skulpturen auch mit den 2 böotischen Schiffen bei Euripides in der Iphigenie in Aulis vergleichen: Auf ihnen konnte man als Wappenzeichen Kadmos erkennen, Χρύσεον Δράκοντ’ ἔχων Ἀμφὶ ναῶν κόρυμβα. der am Schiffschnabel einen goldenen Drachen umfasste. Aus diesen Bemerkungen der Dichter gelangte Bochart, Hieroz<oïcon>, B. 3, Kap. 14, S. 435 zu der Überzeugung, dass Drachen mit Flügeln geboren werden. Es ist hier nicht der Ort, von überall her Berichte über Drachen mit und ohne Flügel, zusammenzutragen, die hier und dort und in allen vier Erdteilen gesehen wurden. Sie begegnen uns ständig bei den Zoologen wie in Johnstons Hist<oria> Nat<uralis> Serpent<ium> B. 2, S. 34, in Sperlings und Kirchmaiers einschlägigen Abhandlungen De Dracone und in Kirchers Mund<us> Subterran<eus> B. 8, S. 89 sowie in anderen Werken. Von mir ist im Moment nichts anderes zu erwarten – und die auf dieses bisher unerforschte Thema neugierige Welt wird das auch nicht tun – als eine wissenschaftliche, nach Kantonen vorgehende Beschreibung der Schweizer Drachen, wie sie sich aus gedruckten und handschriftlichen Zeugnissen sowie Berichten gewinnen lässt. IM KANTON ZÜRICH Auf dem Frumserberg in der Herrschaft Hohensax begegnen zwei Arten von Drachen bzw. sehr grossen Schlangen, die eine mit Füssen, die andere ohne. Diese werden in Wagners Hist<oria> Nat<uralis> Helv<etiae>, S. 247 und 251 auf folgende Weise beschrieben [Marginalie: Bild 1]: Johannes Tinner, aus dem Gau Frumsen in der Grafschaft Hohensax, ein ehrlicher und glaubwürdiger Mann, der auch heute noch am Leben ist, bezeugte mir hoch und heilig, dass er sich vor zwölf Jahren Ende April auf den nahen Frumsenberg begeben habe. An einem Ort, der im Volk „In der Hauwelen“ genannt wird, sei er auf eine schreckliche schwarz-graue Schlange gestossen, die am Anfang zusammengerollt war, sich dann jedoch aufrichtete. Sie war mindestens sieben Füsse lang und so dick wie eine Getreidegarbe. Der Kopf sah dem einer Katze ähnlich, und Füsse fehlten ihr vollständig. Diese, so berichtete er, habe er mit einem Schuss aus seiner Flinte getroffen und dann gemeinsam mit seinem Bruder Thomas Tinner getötet. In der Zeit vor dem Tod der Schlange hätten die Anwohner sich beschwert, dass die Euter ihrer Kühe immer wieder abgemelkt würden, man jedoch nie einen Täter hätte ausfindig machen können. Danach sei derlei Übel nicht mehr geschehen. Ich komme nun zu einem anderen Drachenexemplar. Den folgenden Bericht entnimm demselben Autor auf S. 251 [Marginalie: Bild 2]: Johannes Bueler aus der Pfarrei Sennwald, Mitglied des Kirchenrats, stieg im Sommer vor fünfzehn Jahren auf den 3 Frumsenberg. An einem Ort mit dem Namen Erlawäldli, der am sogenannten Kalenbach liegt, sah er ein riesiges schwarzes Tier, welches zu seinem grössten Entsetzen auf vier nicht allzu hohen Beinen aus dem Gestrüpp hervorkroch. Es war so dick wie eine Getreidegarbe und trug auf dem Kopf einen Kamm, der einen halben Fuss lang war. Die Gesamtlänge des Körpers konnte er jedoch nicht recht einschätzen, weil das Tier sein Hinterteil im dornigen Gestrüpp verborgen hielt. Dieses zuletzt genannte Beispiel berichtet – wie auch das folgende und viele andere – von Drachen mit Füssen und Kämmen. Bochart, Hierozoïc<on>, B. 53, Kap. 14 hält Drachen mit Füssen für erdichtet, weil kein antiker Autor dem Drachen Füsse zuschreibt. Auch Augustinus, De Genesi 3, 9 bezeichnet den Drachen ausdrücklich als ἄποδα. Die jüngeren Autoren hingegen schreiben fast allen Drachen Füsse zu. So sagt zum Beispiel Scaliger bei Gesner: Alle Drachenarten haben Füsse. Diese unterschiedlichen Ansichten sind verwunderlich. Für die Position derer, die behaupten, dass Drachen Füsse haben, spricht die Erfahrung, die bei der Erörterung dieser Debatte grosses Gewicht hat. Mehr als einmal beschäftigte mich die Überlegung, ob man diese mit Füssen, aber nicht mit Flügeln ausgestatteten Drachen nicht als eine Art unterirdische Eidechsen begreifen dürfe, die den grössten Teil ihres Lebens in tief im Erdinnern gelegenen Höhlen verbringen und sich mit mässiger Nahrung oder gar nur mit der Feuchtigkeit der Erde zufrieden geben. Denn wenn es eine solche Drachenart gäbe, wäre selbst für Bochart jeder Zweifel ohne Schwierigkeit beseitigt. Auch über die Kämme fällt Bochart kein günstigeres Urteil: Er führt Plinius als Beleg an, der im 9. Buch, Kap. 37 u.a. folgendes schreibt: Es gibt niemanden, der Drachenkämme gesehen hat. Und das 8. Buch, Kap. 13: Man wundert sich, aus welchen Gründen Juba glaubte, dass Drachen einen Kamm haben. Diejenigen allerdings, die so ziemlich die meisten unserer Schweizer Drachen gesehen haben, haben an diesen Kämme beobachtet; und auch mehrere der älteren Autoren haben ihnen Kämme zugesprochen. So liest man bei Ovid, Metamorphosen, B. 4, Geschichte 15: Sie streicheln den glatten Hals des kammtragenden Drachen. Und im 7. Buch liest man über den Drachen, der das goldene Vlies bewacht: der sich durch einen Kamm und drei Zungen auszeichnet. Philostratos, Buch 3, Kap. 2 schreibt besonders den Bergdrachen Kämme zu, und zwar mit Worten, die gut zu unseren Schweizer Drachen passen, τούτοις καὶ λόφια φύεται, νέοις μὲν ὑπανίσχουσα τὸ μέτριον, τελειουμένοις δὲ συναυχανυμένη τε, καὶ συνανιοῦσα εἰς πολὺ. Diesen wächst auch ein Kamm, bei den Jüngeren ist er noch recht klein, bei den Erwachsenen wird er grösser und länger. 4 Falls diese Beschreibung richtig ist, kann man schlussfolgern, dass der oben beschriebene Drache vom Frumsenberg schon älter, und genauer noch ein Männchen war, wenn es wahr ist, was Älian, Buch 11, Kap. 60 schreibt: ὁ μὲν Δράκων, ὁ ἄῤῥην τὸν λόφον (ἔχει), der männliche Drache hat einen Kamm. [Marginalie: Bild 3] Caspar Gilg, ein Bauer aus Bonstetten, einem Dorf, das anderthalb Meilen in Richtung Westen von der Stadt Zürich entfernt ist, bezeugte Hochwürden Bütschlin, dem überaus vertrauenswürdigen Pfarrer des Ortes, dass er zweimal, das erste Mal vor neun Jahren zusammen mit seinem nun verstorbenem Vater, das zweite Mal im Mai dieses Jahres, als er um die Mittagszeit die Felder pflügte, am Soolbrunnen ein wildes Tier gesehen habe. Es war vier Fuss lang und hatte vier Füssen, deren Länge und Breite ungefähr zwei Zoll betrugen. Sein Hals war so dick wie der Arm eines Menschen und geschmückt durch einen gelben Ring. Das Tier selbst war schwarz und trug auf dem Kopf einen gelben Kamm. Dies schrieb mir der hochwürdige Pfarrer am 16. August in einem Brief, und es bestätigt auch Hochwürden Joh<annes> Caspar Hardmejer, der Vorgänger Bütschlins, Pfarrer in Affoltern. An dieser Stelle muss auch eine riesige Schlange erwähnt werden, die man im Jahre 1511 in Eglisau stromabwärts im Rhein schwimmen sah, wie Lindauer in seinen handschriftlich überlieferten Annal<ales> Vitodur<enses> zu diesem Jahr bezeugt. Leider wissen wir nicht, welche Form, Farbe und Grösse die Schlange hatte, und sind auch im unklaren darüber, ob sie Füsse hatte oder nicht. Es ist nämlich nichts weiter über sie bekannt, als das, was wir eben angeführt haben: In dem Jahr sahe man zu Elisaw einen grossen Wurm den Rhein hinunterfahren. Ebensowenig weiss man etwas darüber, zu welcher Art die Schlange gehörte, welche eine alte Legende zur Geschichte Karls des Grossen erwähnt, die in der handschriftlichen Chronik von Heinrich Brennwald, dem letzten Probst des Klosters zu Embrach, zu finden ist. Auch wenn sie nicht den geringsten Anschein an Wahrheit erkennen lässt, verdient es die Erzählung, an dieser Stelle eingefügt zu werden. Als Karl der Grosse in Zürich im Chorherrenhaus zum Loch lebte, befahl er, an jenem Ort, wo die heiligen Märtyrer Felix und Regula, Mitglieder der Thebaischen Legion, enthauptet worden waren, eine Säule zu errichten, an der eine Glocke und ein Seil hingen. Mit dieser Massnahme bezweckte er folgendes: All jene, die ihr Recht gegenüber anderen einklagen wollte, sollten die Glocke läuten: Sooft der Kaiser frühstücke, würden sie dann auch einen Rechtsspruch von ihm erhalten. Es geschah nun, dass er eines Tages, als er die Glocke hörte, seinen Knechten befahl, nachzuschauen, wer Gerechtigkeit verlange. Diese kehrten aber zurück, ohne 5 jemanden gesehen zu haben. Und sie gingen danach noch etliche Male hin, um nachzuschauen, wer da sei, und kehrten jedes Mal unverrichteter Dinge zurück. Begierig zu erfahren, was es mit der Sache auf sich habe, befahl der Kaiser seinen Knechten, dort auszuharren und genau zu beobachten, was weiter geschehen würde. Bald näherte sich eine grosse Schlange, ein grosser Wurm, der Säule, griff nach dem Seil und schlug die Glocke. Darauf berichteten die Augenzeugen dem Kaiser die so ungewöhnliche Begebenheit. Der aber stand vom Tisch auf, um der Schlange ebenso wie einem Menschen ihr Recht zuzusprechen. Indem sie ihren Körper nach vorne beugte, bezeugte die Schlange dem Kaiser die gebührende Ehre und kroch danach zum Ufer des Wassers. Dort sass in ihrem Nest und auf ihren Eiern eine ungewöhnlich grosse Kröte. Nachdem er das gesehen hatte, entschied der Kaiser den Streit zwischen der Schlange und der Kröte so, dass die Kröte per Bescheid zum Tod durch Feuer verurteilt wurde. Nach einigen Tagen befahl der Kaiser, das Urteil, welches er gefällt hatte, zu vollstrecken. Da geschah es, dass die Schlange am Hof erschien und zum Kaiser vorgelassen wurde. Zuerst verbeugte sie sich, wie beim ersten Besuch, dann kroch sie zum Tisch hinauf und entfernte den Deckel des kaiserlichen Trinkgefässes und legte einen Edelstein hinein. Diesen liess sie zurück, verbeugte sich wieder und verschwand. Der Kaiser war von diesem Wunder und der Heiligkeit des Orts, der ja vom Blut heiliger Märtyrer benetzt war, beeindruckt und wollte an eben dieser Stelle eine Kirche errichten, um an die Herrlichkeit GOTTES zu erinnern und diese weiter zu verbreiten. Das Gotteshaus trägt den Namen die Wasserkilch. Heutzutage befinden sich in ihm eine Bibliothek und eine natur- und kunsthistorische Sammlung. Den Stein aber bewahrte der Herrscher als ein wertvolles Schmuckstück auf und gab ihn als besonderen Beweis seiner Liebe seiner kaiserlichen Gattin. Dieser Edelstein besass nämlich die Kraft Liebe zu erwecken, so dass der Kaiser, nachdem die Herrscherin in seinen Besitz gekommen war, nicht mehr von ihr weichen konnte. Wenn sie nicht da war, ergriffen ihn Trauer und tiefe Wehmut. Die Kaiserin erkannte die Wirkung des Steines und verbarg ihn, als sie todkrank im Bett lag und starb, unter ihrer Zunge, damit er nicht vor dem Tod des Kaisers in die Hände einer anderen Vertreterin des schwächeren Geschlechts falle, in die er sich dann notwendigerweise völlig verliebt und seine frühere Frau vergessen hätte. So wurde die Kaiserin einbalsamiert und zusammen mit dem Stein der Schlange beerdigt. Bald jedoch wurde sie, weil ihr Gatte nicht ohne sie sein konnte, exhumiert und über einen Zeitraum von achtzehn Jahren als ständige Gefährtin des Kaisers durch die Lande transportiert. Inzwischen hatte einer der Hofleute, der die Kraft des Steins durchschaut hatte, den ganzen Körper der Kaiserin untersucht. Er fand den Stein unter ihrer Zunge und bewahrte ihn 6 bei sich auf. Daher entwickelte der Kaiser nun dieselbe heftige Liebe, welche er vormals für seine Gattin empfunden hatte, zu diesem Adligen, dem neuen Besitzer des Edelsteins, so dass er auch ihm in zwanghafter Leidenschaft verfiel und nicht mehr ohne ihn leben konnte. Nun trug es sich aber zu, dass der Ritter auf dem Weg nach Köln den Stein aus irgendeinem Unmut an einer sumpfigen Stelle bei einer warmen Quelle wegwarf, so dass ihn niemand wieder in seinen Besitz bringen konnte. Die Liebe des Kaisers zum Ritter endete auf der Stelle. Statt dessen packte ihn ein einzigartiges Verlangen nach dem Ort, wo der Stein nun verborgen war. Dieses Gefühl war später verantwortlich für die Gründung von Aachen und die Errichtung einer prachtvollen Kathedrale in dieser Stadt. An die Spitze dieser Kirche stellte der Kaiser Chorherren, und er stiftete ein niemals endendes Bündnis zwischen den Zürcher und Aachener Chorherrn. Es steht fest, dass Karl der Grosse sich im Jahre 800 in Zürich aufhielt, was sich einfach mit Hilfe der karolingischen Schenkungsurkunde beweisen lässt, die nach ihrem Stifter benannt wurde. Sie endet mit dem folgenden Satz: Abgeschlossen in Zürich, im 10. Jahr der Herrschaft des Kaisers Karl selbst, in der 13. Indiktion, im Jahr des Herrn 800. Ich überlasse es nun dem wohlwollenden Leser zu entscheiden, diesen SchlangenEdelstein zu den Steinen zu zählen, die zur Erläuterung der oben wiedergegebenen Geschichte vom Drachenstein hilfreich sein können, und sie – was den Rest betrifft – zurückweisen, oder als wahrscheinlich anzunehmen. Als nicht uninteressant erachte ich die Frage, ob der anonyme Legendenschreiber, von welchem Brennwald die Erzählung übernahm, mit der Geschichte von dem Edelstein, den die Schlange auf den Tisch ihres Wohltäters legte, wiederum jene in der Hist<oria> Anglor<um> des Matthäus von Paris für das Jahr 1195 berichtete Geschichte des Venezianer Vitalis aufgriff, welche auch weiter unten bei der Darstellung der Drachen des Kanton Luzern erwähnt werden soll, die mit einem Fassbinder einen ganzen Winter verbrachten, oder ob diese auf jener von Karl dem Grossen gründet. Es würde zu weit führen, die ganze Geschichte darzustellen, jenen Teil aber, der am meisten hierher passt, kann ich aber nicht auslassen. Als er beim Essen sass (Silvanus, der die Schlange und Vitalis aus der Grube befreit hatte), kam die befreite Schlange mit einem Edelstein im Mund. Sie näherte sich Silvanus, ihrem Retter, legte ihm den Stein auf den Teller, schlängelte vor ihm in schnellen Windungen umher, spielte und klatschte, als ob sie ihm dankbar für die ihr erwiesene Wohltat wäre, liess ein schmeichelndes Zischen ertönen, und verschwand wieder, ohne jemanden verletzt zu haben. Bei den Zürcher Drachen muss man noch ein vierfüssiges Tier erwähnen, das vor einigen Jahren in Bittenloo im Wellenberg, in der Nähe des Dorfes Weinigen, gesehen wurde. 7 Es schillerte in vielen Farben und hatte einen Katzenkopf, auf dem sich ein Kamm befand. Es sass auf einem Baumstamm, der wegen seines Alters umgestürzt war, und ähnelte sonst einer Schlange. Ich gehe mit meiner Darstellung der Drachen nun weiter zum KANTON BERN. In Umland von Bern gibt es eine uralte Stadt, Burgdorf genannt, (gegründet) von zwei Brüdern, den Herzögen von Lensburg, von denen der ältere Syntram, der andere Beltram hiess. Als sie im Jahre 712 in der menschenleeren und abgelegenen Einöde des Gebirgs auf die Jagd gingen, stiessen sie – hier und dort nicht wenig herumschweifend – auf einen felsigen Berg, wo in einer tiefen Höhle ein riesiges, verderbliches Ungeheuer, ich würde sagen: ein Drache, hauste, der in seiner grossen Wut landauf und landab alles verwüstete und alle Lebewesen aus dem Gebiet vertrieb. Bald hatte er die Ankunft der beiden Ritter bemerkt, stürzte so, wie wenn er aus Beutegier tanzen würde, mit einem gewaltigen Satz auf sie zu und verschlang, ohne zu zögern, Beltram, den jüngeren Bruder, bei lebendigen Leibe. Syntram aber trat dem Ungeheuer mit Hilfe der Gefährten teils mit Speeren teils mit Schwertern so tapfer entgegen, dass er dessen Leben schliesslich ein Ende setzte. Er schlitzte den Bauch des wilden Tieres auf und zog seinen noch lebenden Bruder heraus. Ganz genau an diesem Ort in der Nähe von Bern steht heute die Kapelle der heiligen Margareth. Diese erbauten die Herzöge zum Andenken an ihre Tat und liessen sie mit Bildern der Geschichte ausschmücken, welche auch heute noch zu sehen sind. Athanas<ius> Kircher entnahm diese Erzählung im Mund<us> Subterr<aneus>, B. 8, S. 94 aus Cysats Beschreibung des Vierwaldstädtersees, S. 175. Cysat aber zitiert die Historia Austriae von Jac<ob> Man. Auch Wagner schreibt in seiner Hist<oria> Nat<uralis> Helvet<iae>, S. 246 folgendes: Als man begonnen hatte, die Burg der Stadt Burgdorf zu errichten, wurden, wie die Schweizer Annalen bezeugen, in der Nähe dieses Ortes zwei gewaltige, in einer Höhle lebende Drachen gefangengenommen. Heutzutage wird diese Höhle, die sich nicht weit von der Burg entfernt befindet, im Volksmund das Drachenloch, d.h. die Höhle des Drachens, genannt. In den Miscellan<ea> Nat<urae> Curios<orum> German<iae>, 2. Dekurie, 1. Jahr, § 125, wird eine Schlange erwähnt, die im Jahre 1680 zu Frühlingsbeginn in der Nähe von Lausanne von Bauern gefangen wurde. Sie hatte ein solch gewaltiges Gewicht, dass sie die Dicke von zwei recht fleischigen, fetten Unterschenkeln besass. Auch hatte sie, was wohl sehr abenteuerlich ist, Ohren. 8 Über den heiligen Beat, dessen Einsiedelei wir bald betrachten werden, verbreiten die Kirchenschriftsteller das Gerücht, dass er einen gigantischen Drachen in einer Höhle beim Thunersee getötet habe, bevor er diese als Wohnung bezog, vgl. P<ater> Lang. Christl<ich>Cathol<ische> Helvet<ia>, S. 532 und 677. ÜBER DAS GEBIET VON LUZERN Über dieses kann man zu Recht behaupten, was die heiligen Prophezeiungen über Babylon vorausgesagt haben, dass es nämlich Höhle und Sitz von Drachen sein werde. Denn über keine andere Region in der Schweiz werden so viele Drachengeschichten erzählt wie über jene von Luzern. Dies wird sich aus dem Folgenden zeigen. Was geflügelte Drachen betrifft, so stellen die Gelehrten deren Existenz stark in Frage: Obwohl sie eingestehen, dass es Drachen mit Füssen, aber nicht mit Flügeln gibt, weisen sie geflügelte durchwegs zurück. Bochart, a.a.O nennt eine grosse Zahl antiker Autoren, die den Drachen Flügel zuschreiben, hält aber dennoch all dies für erdichtet. Von den vielen Belegstellen, die er zitiert, will ich nun einige anführen. So sang Orpheus im Hymnus auf Ceres, dass der Wagen der Göttin von geflügelten Drachen gezogen werde: Ἅρμα Δρακοντείοσιν ὑποζεύξασα χαλινοῖς die du dem (von geflügelten Drachen gezogenen) Wagen angespannt hast. Ovid, in Buch 4 der Fasten: Es trat zu den Drachen Ceres, und sie stieg mit ihrem geflügelten Wagen in die Höhe. Claudian, in Buch 1 über den Raub der Proserpina: Die verschlungenen Leiber der Drachen Lenkt sie, welche die offenen Wolken mit einem eiligen Bogen durchziehen und die Zügel mit angenehmen Gift benetzen. Dass Ceres mit ihren geflügelten Drachen durch die ganze Welt fuhr, um die Menschen den Getreideanbau zu lehren, erzählen alle Mythologen; vgl. Hygin, Fabul<a> 147 und Astronomica, B. 7, und zwar im Abschnitt über den Schlangenträger. Auch Kirke fuhr hin und wieder mit demselben Wagen, wie uns die antiken Autoren, beispielsweise Valerius Flaccus im 7. Buch, weismachen: wie die geflügelten Drachen Kirke entführten. Gleichwohl bietet uns der Kanton Luzern mehr als eine Geschichte dieser Art. 9 Die erste erzählt uns Athanas<ius> Kircher, a.a.O. des Mund<us> subt<erraneus> [Marginalie: Bild 4], nach einem Brief Christoph Schorers, des Bürgermeisters von Luzern (nicht von Solothurn, wie Kircher fälschlicherweise schreibt), den dieser ihm selbst geschrieben hat und der folgendermassen lautet: Als ich in einer Nacht des Jahres 1649 den klaren Himmel betrachtete, sah ich einen hell schimmernden Drachen, der mit raschen Flügelschlägen aus einer Höhle eines gewaltigen Felsmassivs jenes Bergs emporflog, den man Pilatus nennt. Der Drache war von ungemein grosser Gestalt und hatte einen langen Schwanz und einen langen Hals. Sein Vorderteil endete in einem Schlangenkopf, in welchem sich Zähne ähnlich wie bei einer Säge aneinanderreihten. Als er flog, versprühte er Funken, wie wenn ein Schmied ein glühendes Stück Eisen auf einem Amboss bearbeitet. Ich meinte zuerst, einen Meteor zu sehen. Als ich aber genauer hinschaute, erkannte ich an seinen Bewegungen und an seinem gesamten Körperbau, dass es ein richtiger Drache war, s. Wagners H<istoria> N<aturalis> Helv<etiae>, S. 252. Eine andere Geschichte über einen geflügelten Drachen verschafft uns jener Autor, dessen Erwähnung ich bereits oben bei meinen Ausführungen über den Drachenstein für notwendig erachtet habe. Die dritte Geschichte, in der sogar zwei geflügelte Drachen vorkommen, ist jener bereits angekündigte wundersame Bericht über den Fassbinder. [Marginalie: Bild 5] Kircher, a.a.O., S. 100 hat den deutschen Text von Cysat folgendermassen ins Lateinische übertragen: In der Gemeinde Luzern in der Schweiz lebte ein Fassbinder. Eines Tages wagte er sich auf der Suche nach geeignetem Holz für die Herstellung von Fässern weit in die an Bäumen und Felsen reichen Bergregionen vor. Ich weiss nicht, wie er in dieser unermesslichen Einöde auf Abwege kam und weder wusste, wo er sich befand, noch, wie er wieder auf seinen Weg zurückfinden würde. So irrte er den ganzen Tag und einen grossen Teil der Nacht umher. Als er müde wurde, ruhte er sich etwas aus, bis er im Morgengrauen seinen Weg wieder fortsetzte. Aufgrund des schwachen Lichts übersah er einen vor ihm liegenden riesigen Abgrund und stürzte in ihn hinein. Er landete auf einer weichen Schlammschicht, die den Boden bedeckte, und verletzte sich nirgendwo, sondern wurde nur ohnmächtig, weil er sich wegen des Sturzes übermässig erschreckt hatte. Als er wieder zu sich kam und sah, dass er sich in einer so tiefen Grube befand, dass er sie mit eigenen Kräften nicht mehr verlassen konnte (sie war nämlich wie ein Brunnen oder ein Zirkus auf allen Seiten von hohen Felswänden umgeben), verlor er die Hoffnung auf menschliche Hilfe und wandte sich mit voller Hingabe an die göttliche: Unermüdlich richtete er Gebete und Gelübde an GOTT und die Muttergottes, damit sie ihn aus seinem jämmerlichen Zustand befreiten. Aber es gefiel der 10 Herrlichkeit Gottes, ihn zur Vergrösserung seiner Verdienste mit noch grösserem Leid zu prüfen. An den Seiten besagter Grube befanden sich tiefe Höhlen, alle von grosser Länge und Breite. Diese betrat er auf seiner Suche nach einem geeigneten Unterschlupf, als er sich zwei schrecklichen Drachen gegenübersah. Durch ihren Anblick fast besinnungslos, eilte er in die Grube zurück und hörte unter vielen Tränen nicht auf, GOTT und die Muttergottes um Beistand gegen diese schrecklichen Kreaturen anzuflehen. Und die Drachen fügten ihm tatsächlich weder Schaden zu noch wandten sie Gewalt gegen ihn an, obwohl sie seinen Körper bald mit ihrem Schwanz bald mit ihrem Hals berührten. Wie sich der Arme in dieser furchtbaren und unerhörten Gesellschaft der Drachen aber fühlte, das kann man sich wohl besser vorstellen als mit passenden Worten beschreiben. Man hätte meinen können, man habe hier einen Daniel vor sich, der sich nicht bei Löwen, sondern bei Drachen aufhielt. Er blieb aber nicht einen Tag oder eine Woche, sondern sechs volle Monate, vom 6. November bis zum 10. April in der Grube. Mit welcher Nahrung aber – so wird man sich vielleicht fragen – hielt er sich am Leben? Man höre und staune! Er hatte bemerkt, dass die Drachen den ganzen Winter über nichts anderes als das Salzwasser tranken, das aus den Felswänden austrat. Weil er Mangel an allem hatte, was zum Überleben notwendig war, folgte er ihrem Beispiel und begann selbst damit, die Flüssigkeit von den Felswänden abzulecken. Nachdem er sich so ein wenig gestärkt hatte, hielt er sich mit dieser Art der Nahrung für einen Zeitraum von sechs Monaten am Leben. Als die Sonne die Tagundnachtgleiche überschritt und die Luft sich durch die Sonne bereits wärmer anfühlte, spürten die Drachen, dass die geeignete Zeit gekommen war, die unter der Erde liegenden Verstecke zu verlassen, um auf die Suche nach Futter zu gehen. Der erste flog sogleich mit raschen Flügelschlägen aus der Grube heraus. Als der andere dasselbe versuchte, erkannte der Fassbinder, dass die perfekte Gelegenheit, sich zu befreien, gekommen war. Er griff nach dem Schwanz des Tieres und wurde – niemand hatte zuvor ein ähnliches Schauspiel gesehen – von ihm aus der Grube getragen. Nachdem die Drachen fort waren, fand er mit göttlicher Hilfe sofort den Weg nach Luzern, wo er nach seiner Familie sah, die ihn schon längst für verloren gehalten hatte. Er erzählte den vor Verwunderung Sprachlosen der Reihe nach, was ihm widerfahren war – eine Geschichte, von der sie glaubten, dass niemals jemandem eine erstaunlichere widerfahren sei. Weil er durch das Eingreifen der grossen Muttergottes aus einer so furchtbaren Lage befreit worden war, wollte er, dass ein Priestergewand, das man Kasel oder Planeta nennt, als Beweisstück die ewige Erinnerung an das Geschehen und den Ruhm bei der Nachwelt befördere. Er liess nämlich eine bildliche Darstellung der gesamten Geschichte auf es nähen: Bis zum heutigen Tag hat es sich in der Kirche des hl. Leodegar in Luzern erhalten und wird dort allen Pilgern 11 gezeigt. Der Fassbinder aber wandte sich nun ganz GOTT zu. Weil sein Magen aber Schaden genommen hatte, konnte er keine gewöhnlichen Speisen mehr zu sich nehmen und entschlief zwei Monate nach seiner Rückkehr aus der Drachenhöhle friedlich im Herrn. Bis hierher Kircher, a.a.O. Dass die Geschichte des zwischen zwei Drachen in einer Höhle sitzenden Fassbinders zur Gänze Gegenstand einer Stickerei war, schreibt Cysat auf S. 175 selbst. Hieraus schöpfte Kircher seine Version. Wenn ich auch nicht den Fassbinder selbst sah, so doch zumindest die beiden Drachen. Einen von ihnen habe ich abgebildet. Ich meine auch, wenn es mir zusteht, dies zu beurteilen, dass die Kasel bzw. Planeta aus Luzern von Chinesen bestickt wurde. Denn der Drache weist dieselbe Gestalt auf, wie jene auf den Wappen dieses Volkes, insbesondere auf dem des Kaisers. Kircher fügt hinzu, dass abgesehen von den vielen anderen Beweisen auch ein in der Luzerner Kirche St. Leodegar erhaltenes Weihgeschenk bezeugen könne, dass die Geschichte wahr sei. Darüber konnte ich mich aber nicht selbst informieren. Ein gegenteiliger Eindruck entsteht aus Cysat, der beklagt, dass die Vorfahren aus Nachlässig- oder Gedankenlosigkeit weder Tag noch Jahr des Geschehens noch den Namen des Mannes überliefern und die einen der Ansicht sind, dass sich die Geschichte vor 100 Jahren ereignet habe, die anderen die Zahl 130 nennen. Den Grund für diese Unklarheit sehen viele in den Bränden, bei welchen die meisten Ausstattungsstücke jenes Gotteshauses vernichtet wurden. Nach meiner Rückkehr habe ich aber herausgefunden, dass sich aus Kirchendokumenten 1420 als Jahr gewinnen lässt, in dem sich die Geschichte ereignete. Sie ist sicherlich erstaunlich, aber nicht einzigartig. In seiner Grösseren Geschichte Englands berichtet Matthäus von Paris zum Jahr 1195 ähnliches über einen venezianischen Bürger mit dem Namen Vitalis, der in eine Grube fiel, die als Falle für Löwen, Bären und Wölfe gegraben worden war. In dieser befanden sich schon ein Löwe und eine Schlange. Weil er sich jedoch mit einem Kreuzzeichen bewaffnet hatte, überlebte er mehr als vierundzwanzig Stunden, bis er von Silvanus, einem armen Bauer, befreit wurde. Eine andere, noch ähnlichere Geschichte, erzählt Pater Louis Richeôme im 138. Kapitel seines Loretowallfahrers. Entnommen hat er sie einem im Jahr 1526 von John Fisher, dem Bischof von Rochester, gegen Johannes Oekolampad herausgegebenen Werk. Die Geschichte berichtet von einem Priester, der zu Beginn des Winters zu einer Italienreise aufbrach, sich in den Alpen verirrte und den ganzen Winter unter einem ausgehöhlten und vorstehenden Felsen in Gesellschaft mit verschiedenen Schlangenarten verbrachte. Diese leckten die Flüssigkeit, die von den Steinen tropfte auf, und hielten sich so am Leben. Dem Priester, der ihnen schmeicheln wollte und sie deshalb nachahmte, zeigten sie auf diese Weise einen Weg auf, auf dem er sein Leben retten konnte. 12 Folgende Drachen mit Füssen und ohne Flügel lassen sich in der Region Luzern finden. Den ersten Drachen beschreibt der bereits weiter oben erwähnte Christoph Schorer in einem Brief an Kircher mit folgenden Worten, wobei er sich auf die Nachricht eines Jägers bezieht [Marginalie: Bild 6]: Der Jäger hiess Paul Schumperlin. Er hatte einen Berg namens Flue, den er zur Jagd bestieg, noch nicht ganz erklommen, als sich ihm in der Nähe des Eingangs zu einer riesigen Höhle ein Drache zeigte, der dort offensichtlich hauste. Dies geschah im Jahr 1654, ungefähr zu Sankt Jakob. Der Drache hatte einen Schlangenkopf, sein Hals und sein Schwanz waren gleich lang. Er ging auf vier Füssen, die sich eine Fusslänge oder mehr von der Erde abhoben. Er war am ganzen Leib mit Schuppen und verschiedenen grauen, weissen und gelben Flecken bedeckt. Sein Kopf war dem eines Pferdes nicht unähnlich. Sobald der Drache den Jäger erblickte, kehrte er in seine Höhle zurück, wobei sich ihm heftig die Schuppen sträubten. Den zweiten Drachen [Marginalie: Bild 7] (oder eine enorme Wasserschlange – das Tier hatte jedenfalls gewaltige Ausmasse, grosse Ohren, war so dick wie ein Kalb und acht Ellen lang) beobachtete man am 26. Mai 1499 in der Nähe der Reussbrücke dabei, wie er aus dem Luzernersee kommend flussabwärts schwamm. Vgl. Lycosthen<es>, De prodig<iis>, S. 510; Etterlin, Chronic<on> Helv<eticum>, S. 112; Stumpf, Chorog<raphia> Helv<etica>, B. 7, Kap. 7; Schilling in der Luzerner Chronik, S. 119. Der dritte Drache lebt noch, wenn man den Geschichten Glauben schenken darf, die man sich so erzählt. Vor kurzem jedenfalls wurde er von vielen Menschen im Ostergau auf dem blutten Esel gesehen, ungefähr eine Stunde von der Stadt Willisau entfernt. Er hat zwei Füsse und einen Durchmesser von ungefähr einem halben Fuss; er trägt grüne Schuppen und einen dicken Kopf. Ich habe bereits versucht, mehr und Genaueres über ihn herauszufinden, als die Gerüchte überliefern. Als Ergebnis dieser Untersuchungen löste sich der ganze Bericht in Luft auf, weswegen ich v.a. die Nachgeborenen ermahnen möchte, Geschichten, die gerüchteweise erzählt werden, keinen Glauben zu schenken. Mit diesem dritten Drachen bringen die Gerüchte, die sich in den Strassen von Luzern verbreiten, auch den vierten und jüngsten in Verbindung. Man sagt, dass ein Einsiedler ihn vor der Tür seiner Hütte oberhalb des Dorfs Weggis auf dem Rigi-Massiv gesehen und sich so sehr erschreckt habe, dass er aus Furcht nicht mehr wagte herauszukommen. Ich kann aber auch über diesen Drachen nichts Sicheres mitteilen. IN UNTERWALDEN 13 trug sich eine erwähnenswerte Geschichte zu, die Wagner in seiner Hist<oria> Nat<uralis> Helvet<iae>, S. 245 folgendermassen aus Etterlins Chron<icon>, S. 7 und Stumpfs Chronik der Eidgenossenschaft, B. 7, Kap. 2 entnimmt. Gleich zu Beginn, als man die Schweiz von Ungeheuern säuberte, wurde bei den Unterwaldnern oberhalb des Dorfes Wyl eine grauenhafte Schlange und schrecklicher Drache – die Kreatur wird in unseren Annalen Lindwurm genannt – entdeckt. Das Untier richtete Schafe wie Menschen zugrunde, so dass das Dorf Oedwyler, d.h. verlassener Weiler, genannt wurde. Da versprach einer der Einheimischen mit dem Namen Winckelried, der wegen Mordes verbannt worden war, dass er den Drachen töten werde, wenn er begnadigt würde und in seine Heimat zurückkehren dürfe. Dies wurde ihm mit grosser Freude gestattet. Nachdem er aber den Drachen besiegt hatte, hob er sofort und voll Freude den Arm, in welchem er das blutige Schwert hielt, und beglückwünschte sich und seine Landsleute zu seinem Sieg. Da tropfte etwas Drachenblut auf seinen Körper und tötete ihn auf der Stelle. Die Höhle, in welcher dieser Drache lebte, kann man auch heute noch sehen. Sie wird im Volksmund Drackenhöle (Höhle der Drachen) genannt. Hier schliesse ich den Bericht über das Skelett eines Drachens an, das im Jahr 1602 auf dem Berg Staffelwand in einer abgelegenen Höhle gefunden wurde. Der Drache war dort verschüttet worden, weil der Berg infolge eines Erdbebens eingestürzt war. So jedenfalls informiert uns Kircher, a.a.O. nach dem Berichte des oben genannten Schorer. Ein anderes Drachenskelett gehört ebenfalls hierher. Es wurde bei den Unterwaldnern in einer Höhle am Berg Pilatus (dieser wird auch fractus, der „zerbrochene“, genannt) gefunden und ausgegraben, wie der selige Herr Johan<nes> Caspar Jacob, ein überaus erfahrener Arzt in Sarnen, dem berühmten Wagner als Augenzeuge berichtete, vgl. Wagner, Hist<oria> Nat<uralis> Helvet<iae>, S. 253: Am 9. Juli 1689 wurden mir die Knochen – man hatte sie ausgegraben – eines Drachens gebracht. Der Fund stellt sich folgendermassen dar: 1. ein halber Unterkiefer eines Drachens mit einem riesigen Vorderzahn. Die Länge beträgt anderthalb Ellen und ein halbes Zoll, das Gewicht 7 ½ Unzen. 2. eine spezielle Art von Vorderzähnen, von denen je zwei aus dem Ober- und zwei aus dem Unterkiefer herausragen. Er ist anderthalb Ellen lang, und einen achtel Fuss dick, das Gewicht beträgt 2 Unzen 3 Drachmen. Die Farbe ist weiss und glänzend, wie von Pferdezähnen. 3. und 4. zwei Backenzähne, je ein achtel Elle breit, das Gewicht von jedem beträgt eine halbe Unze eine Drachme. Die Wurzeln dieser Zähne sind gelb, ihre Kronen dennoch weiss. 5. und 6. zwei Zehennägel, abgestumpft und aschgrau, jeweils eine Drachme schwer. 7. Ein Oberschenkelknochen, gelb, anderthalb Ellen lang, ohne Gelenksköpfe, das Gewicht beträgt 2 14 Unzen 3 Drachmen. So das Manuskript Wagners. Ich vermute, dass diese Überreste nicht die Knochen eines Drachens, sondern die eines Bären sind. In dieser Vermutung werde ich durch eine Beobachtung aus dem Jahr 1718 bestärkt. Damals wurden einige Knochen in einer Höhle an einem sehr hohen Berg des Kantons Glarus, dem Oberurner Schwendi, gefunden. Man hielt sie für Überreste eines Drachens, sie stammen aber, meiner Ansicht nach, von einem Bären, der in dieser Höhle vielleicht überwintern wollte, dann den Ausgang nicht mehr fand, und so vor Hunger sterben musste. Ich gehe weiter zum KANTON GLARUS. Gegen Ende des Sommers 1717 stiess der Wurzelgräber Joseph Scherer aus Näfels am Fusse des Glärnisch eine halbe Stunde von der Stadt Glarus entfernt auf ein Tier mit einem Katzenkopf und hervorstehenden Augen. Es war einen Fuss lang und hatte einen dicken Körper und vier Füsse. Zwei zitzenähnliche Gebilde hingen von seinem Bauch herab. Es hatte auch einen Schwanz, dessen Länge einen Fuss betrug, und war schuppig und bunt. Dieses Tier durchbohrte Scherer mit seinem zugespitzten Stock, und er behauptete, dass es weich und voll von giftigem Blut war, so dass sein Bein, auf das ein Tropfen davon gefallen war, anschwoll und einen Monat lang gepflegt werden musste. Ich bat den hochwürdigen Herrn Heinrich Tschudi, den Pfarrer von Schwanden, dass er durch einen zuverlässigen Mann Nachforschungen nach Überbleibseln des Skeletts anstellen lasse. Am 16., 27. und 30. April 1718 schickte er mir einige Knochen zu, die ich unter meinen selteneren Sammelstücken aufbewahre. Derselbe Tschudi teilte mir mit, dass auf der Bergweide Rossmalt eine grosse Eidechsenart lebe, und liess mir gleichzeitig zwei eigenhändige am 9. und 20. April in Glarus aufgegebene Schreiben des Lehrers Steinmüller zukommen, der nach den übriggebliebenen Knochen gesucht hatte. DEN APPENZELLERN muss folgende Geschichte zugeschrieben werden, die ich Wagn[ers] H<istoria> N<aturalis Helvetiae>, S. 250 entnommen habe. [Marginalie: Bild 8]. Als sich Johannes Egerter, genannt Martishans, ein ehrhafter siebzigjähriger Greis aus dem Dorf Lienz in der Grafschaft Sax vor 22 Jahren auf der Alp Cammor in der Nähe des Verwaltungsbezirks Sax aufhielt, traf er an einem Ort, der Wellerscher Gang genannt wird, auf einen schrecklichen Drachen, welcher sich unter einem Felsen aufhielt. Er hatte einen ungeheuren Kopf und eine 15 gespaltene Zunge, die weit aus seinem Rachen heraushing. Er war schwarz, jedoch mit gelben Streifen; der Rücken war vom Kopf bis zum Schwanz knorrig, sein Bauch zeigte eine gelbe und goldene Farbe. Vorne besass er zwei Beine, die ungefähr einen Fuss lang waren. Den hinteren Teil des Tieres konnte er nicht genau sehen, doch bemerkte er einen sehr langen Schwanz mit mehreren Windungen. Als der Drache den Mann sah, richtete er sich auf und stiess ein Zischen, ähnlich dem der Gänse, aus. Von seinem Atem bekam der Mann Kopfschmerzen und Schwindel. Seine Sehkraft wurde stark getrübt. Wenn er sich nicht eilig auf die Flucht begeben hätte, wäre die Bestie – so war er überzeugt – gewiss über ihn hergefallen. Als er in der Folge aber Arzneien für die Augen benutzte, erhielt er seine vorherige Sehschärfe zurück. Dies teilte uns nach dem Bericht des noch lebenden Mannes, dem dies zustiess und dem man hierbei völlig vertrauen muss, der ehrwürdige Herr Joh<annes> Georg Denzler, Pfarrer in Sennwald in der Grafschaft Hohensax, mit. So berichtet es Wagner, a.a.O. Die gelbe und schwarze Farbe, welche an diesem Drachen auffällig war, zählt zu seinen angeborenen Merkmalen. Avicenna schreibt, dass ihr Antlitz gelb und schwarz ist, und bei Nikander steht: Φράζεο δὲ χλοάοντα δαεὶς κυανόν τε δράκοντα, auch als Wissender beschreibe den Drachen als gelb und schwarz! Die Wirkung, die unser Drache auf Egerters Körper hatte, beseitigt die Zweifel vieler, ob Drachen giftig sind oder nicht. Plinius, B. 29, Aetius und Isidor schreiben, dass Drachen über kein Gift verfügen. Daher behauptet Nikander, dass die von einem Drachen Gebissenen wenig leiden, während andere Autoren dem Tier schnell eindringendes und verderbliches Gift zuschreiben, vor allem wenn es βεβρωκὸς κακὰ φάρμακα, schädliche Kräuter gefressen hat, Homer, Ilias 22, oder wenn es θανατηφόρους ῥίζας ἐσθίει, todbringende Wurzeln gegessen hat wie bei Aelian, Varia Historia, B. 6, Kap.4. Es ist nicht erstaunlich, wenn in den wärmeren Ländern, wie in Afrika oder Arabien, Tiere giftiger als dieselben Arten in den kälteren Gegenden sind. Das heisse Afrika macht die Drachen zu giftigen Tieren. (Lucan) Daher sagt Heliodor, dass die Bogenschützen aus Äthiopien μικροῖς μὲν τοῖς βέλεσιν, ἰῷ δὲ Δρακόντων πεφραγμένοις εἰς τοξεύαντες, ὀξύν τινα καὶ ἀπότομον θάνατον ἐπέφερον, mit zwar kleinen, aber mit Drachengift getränkten Pfeilen schossen und so einen schnellen und schmerzlichen Tod verursachten. Selbst die hl. Schrift schreibt den Drachen Gift zu. So steht im Buch Mose, Deut. 32.33: Ihr Wein ist das Gift der Drachen, und im Buch der 16 Weisheit 16.10: τοὺς δὲ υἱούς σου οὐδὲ ἰοβόλων Δρακόντων ἐνίκησαν ὀδόντες, auch die Zähne giftiger Drachen besiegten deine Söhne nicht. Der Kapuzinerpater Clemens bezeugt in seiner handschriftlich vorliegenden Descript<io> Montium Abbatisc<ellensium>, dass auf dem Berg Wand einst Drachen gesehen wurden. GRAUBÜNDEN ist ein so gebirgiges und von Höhlen zerklüftetes Gebiet, dass es ein Wunder wäre, wenn es dort keine Drachen gäbe. Dass Exemplare dieser Tierart im Jahr 1559 und früher gesehen wurden, schreibt Joh<annes> Fabricius aus Chur am 18. September 1559 an Herrn Heinrich Bullinger: Das Gerücht über jenen Drachen war nicht völlig erfunden, aber Fakten wachsen auch durch Lügen an, da ja jeder etwas anderes hinzufügt. Augustin von Salis, ein vertrauenswürdiger Mann, berichtete uns in der Anwesenheit zweier Bürgermeister und anderer angesehener Männer, dass das Tier von zwei Personen unabhängig voneinander beobachtet wurde und die Beschreibung der beiden dennoch übereinstimmte. Trotzdem war ihr Erlebnis nicht so erstaunlich wie das eines jetzt noch lebenden Einheimischen, der vor dreissig Jahren einen ungeheuer grossen Wurm, der sich auf einem steilen Felsen sonnte, mit einem Schuss aus seiner Muskete niederstreckte. Seine Ausdünstung war überaus verderblich, und das Gift trieb dem Mann mit dem Wind ins Gesicht und liess ihn erblinden. Es liess auch all seine anderen Körperteile so anschwellen, dass sein Tod schon fast unausweichlich schien. Dennoch erreichte er, obwohl er seine halbtoten Glieder kaum noch nachziehen konnte, zuletzt sein Haus. Er zeigte seinen Leuten den Ort, und einige Tage darauf wurde der Wurm getötet. So berichtet Wagner in der Handschrift seiner H<istoria> Nat<uralis>. Interessant ist, was der ehrwürdige Herr Petrus von Juvalt, Pfarrer von Stuls im Gerichtsbezirk Bergün, in einem Brief vom 29. Oktober 1702 berichtet. Anfang August 1696 [Marginalie: Bild 9] geschah es, dass der Kuhhirte Bartholomeo Allegro de Ponte aus dem Gerichtsbezirk Plurs, seine Tiere auf die Stuler Alm am Berg Joppatsch führte. Am Gipfel des Berges, den er allein bestieg, sah er in einer tiefen Grube (in un grand Fopp) ein in sich zusammengerolltes Getier, das von den Sonnenstrahlen rot glänzte und schlief. Neugierig näherte sich der Hirte, um zu sehen, was für ein Monster die Grube nährte, und sah bald, dass die Kreatur sich ausrollte und seinen Leib aufrichtete. Das Tier war ungefähr zwei Ellen lang, und hatte den haarigen und roten Kopf einer Katze, aber etwas zusammengedrückter. Die 17 Augen funkelten, und ein weisser Ring lief um seinen Hals. Anstatt der Füsse hatte es schuppige Fortsätze wie ein Fisch, die Zunge war der einer Schlange ähnlich, und der Schwanz in zwei Teile gespalten. Bei diesem Anblick floh der Hirte erschreckt, aber das Tier verfolgte ihn mit einer schnellen Bewegung, die er mit einem Pfeil verglich. Schliesslich fand der Flüchtende Schutz hinter einem Hügel, den der Drache nicht überwinden konnte; statt dessen wandte und wälzte er sich rasend vor Wut auf dem Hügel herum. Während dies geschah, griff der Mann zu seiner Flinte - mit dieser pflegen die Alphirten sich oft zu bewaffnen - und schoss mit der grössten Gewandtheit, die er aufbringen konnte, eine Kugel auf das Getier. Dieser Schuss bewirkte aber nicht, dass die Kreatur starb, sondern, dass sie versuchte, Rache an ihrem Feind zu nehmen. Sie näherte sich ihm weder gehend noch springend, sondern schoss pfeilschnell in einer geraden Linie auf ihn zu. Dennoch tötete der Hirt das Tier bald darauf mit Steinen. Drei Tage später fand man es von Fäulnis zerfressen an. Ein grosser Fliegenschwarm sass auf den Überresten des Kadavers. Wie die Bewohner dieser Gegend bezeugen, beobachtete man übrigens schon öfters, wie derartige Drachen vom Berg Foppatsch aus zu dem diesem gegenüberliegenden Utgeis den Himmel mit einer pfeilartigen Bewegung durchfurchten. Was den Bau seiner Füsse betrifft, so kann dieses Tier mit jenen geflügelten Exemplaren verglichen werden, die in den Tälern des Georgischen Königreichs mit ihren Gänsefüssen Schritt für Schritt auf dem Boden dahinkriechen, wie Paolo Giovio in seinem 18. Buch berichtet. Lukan hätte den Drachen, wenn er Gefährten gehabt hätte, mit Rücksicht auf seine Farbe folgendermassen angesprochen: Auch euch, die ihr als harmlose Gottheiten in allen Ländern herumkriecht, ihr Drachen, die ihr in goldenem Glanz erstrahlt. Damit stimmt überein, was Homer in Ilias 2.308 singt: Ἐντεφάνη μέγα σῆμα, Δράκων ἐπὶ νῶτα δαφοινὸς. Da erschien ein grosses Zeichen: ein Drache, rot am Rücken. Eine Parallelstelle hierzu findet sich bei dem von Gott inspirierten Johannes, Apoc. 12.3: καὶ ὤφθη ἄλλο σημεῖον ἐν τῷ οὐρανῷ, καὶ ἰδοὺ δράκων μέγας πυῤῥός. Und es erschien ein anderes Zeichen am Himmel, siehe da, ein grosser, roter Drache. Andere Beispiele von Graubündner Drachen führt der Bündner Ulrich Campell aus dem Engadin in seinem 52. Kapitel an: Sie erzählen – so sagt er –, dass einer in einem kleinen See am Berg Süss lebte, der auch jetzt noch den überaus klingenden Namen der Berge des Julierpasses trägt. Diesen habe Johann Brancan aus Guarda mit Hilfe eines Schwarzkünstlers zuerst mit sehr vielen Blätter- und Zweigbündeln zugedeckt, dann aber nach Innsbruck und von dort inmitten einer grossen Überschwemmung und einem in der Folge aus 18 der erregten Luft herabbrechenden wilden Gewitter nicht ohne Gefahr innabwärts geführt. Dort fand der Drache dann auch den Tod. Ebenso wurde an einer anderen Stelle von einem anderen Drachen berichtet, der in diesen letzten Jahren von Johannes Malett in einer menschenverlassenen Gegend in der Nähe des St. Moritzersees nicht ohne schlimme Folgen erblickt wurde. Gewiss ist jedenfalls, dass mein Grossvater mütterlicherseits Martin Massol, auch Balogg genannt, in einem schaurigen Geröllfeld am Fuss des schon erwähnten Julierpasses nichts ahnend auf eine Schlange von ganz ungeheuerlicher Grösse und Form stiess. Er erschrak so sehr, dass ihn eine langwierige Krankheit befiel. Als er ans Bett gefesselt dalag, fielen ihm die Haare aus und die Haut löste sich von jenen Körperteilen ab, die damals, als er den Drachen oder die Wasserschlange (ein scheussliches Untier war es auf jeden Fall) erblickte, nackt oder ohne den Schutz eines Gewands waren. Soweit berichtet Campell im Anhang seiner handschriftlich vorliegenden Geschichte Rätiens, Kap. 52. GRAFSCHAFT SARGANS Um das Jahr 1660 bestieg Herr Andreas Roduner, Landschreiber und Fähnrich der Landvogtei Hohensax [Marginalie: Bild 10] gemeinsam mit einem Gefährten einen Berg im Sarganserland, der im Volk Wangserberg genannt wird. Auf dem Weg begegnete ihnen ein Bergdrache von ungeheurer Grösse. Als dieser sie sah, stellte er sich auf seine Hinterfüsse und erreichte so die Grösse eines Mannes. Sein Körper war mit ganz rauhen Schuppen bedeckt. Er war halb so lang wie ein Wiesbaum und ebenso gross wie dick. Er besass vier Füsse, seine Ohren und sein Gesicht glichen denen einer Katze, und sein Schwanz war etwa drei Ellen lang. Von den Vorderfüssen bis zu den Hinterfüssen überzogen seinen Bauch gelbe Striemen, die wie Adern aussahen. Der Rücken war bis zum Kopf, auf dem ein Kamm emporragte, mit Borsten besetzt. Beide verliessen sofort den Hauptweg und setzten ihre Reise auf einem Nebenpfad ohne Schaden fort. Die Geschichte wurde von dem hochgeehrten Herrn Landamann Roduner, dem Sohn des oben erwähnten Landschreibers, eigenhändig auf deutsch niedergeschrieben und dem schon oft zitierten Wagner mitgeteilt, der sie auf S. 249 in seine Hist<oria> Nat<uralis> einfügte. GASTER Zu den bösartigen Drachen sei jetzt noch einer hinzugefügt, auf welchen ein frommer Mann mit dem Namen Mejer (sein Bruder diente beim ehrenwerten Herrn 19 Kämmerer Blumer) vor etwa zehn Jahren stiess [Marginalie: Bild 11]. Der Drache lag oberhalb des Dorfes Quinten im Schatten einer hohen Tanne. Er hatte Füsse und rotgefleckte, wie von Silber glänzende Flügel. Er atmete, als ob er seufzte, und bewegte immer wieder die Flügel. Der Mann sah ihn und machte sofort kehrt. Zwei Tage später ging ein Hagelsturm nieder, der den bei den Alpenbewohnern weitverbreiteten Glauben bestätigte, dass in der Regel schwere Unwetter folgen, wenn irgendwo Drachen gesehen wurden. Diese Auffassung ist durchaus berechtigt. Wir wissen nämlich, dass Eidechsen, Salamander, Frösche und andere derartige Tiere aus ihren Verstecken hervorkommen, wenn die Luft dünn wird und ein Gewitter droht. Schlussendlich darf man nicht vergessen, dass viele unserer Alpenvölker reissende Wildbäche Drachen nennen. Wenn ein solcher mit Wucht die Hänge hinab ins Tal stürzt und grosse, schwere Steine, Bäume, und anderes mit sich reisst, sagen sie gewöhnlich: Es ist ein Drache ausgefahren, ein Drache ist ausgebrochen. Die Redewendung rührt vielleicht von der Flinkheit der Drachen her, und ich will nicht in Abrede stellen, dass die erfundenen Geschichten vieler im Volksmund erwähnter Drachen auf sie zurückzuführen sind. Trotzdem meine ich, dass es aus den bisher beigebrachten Beispielen Schweizer Drachen und aus deren Vergleich mit ausländischen Exemplaren mehr als klar wird, dass es Tiere dieser Art gibt, sei es, dass sie eine eigene Art bilden, oder dass man sie zu den Schlangenmonstern, wie es viele wünschen, hinzuzählt. Ebenso wird deutlich, dass sie nicht alle dieselbe Gestalt haben. Denn einige sind offenbar geflügelt, einige haben keine Füsse und ähneln den Schlangen oder den Würmern, einige haben Füsse, weswegen man sie mit grösserem Recht mit den Eidechsen vergleicht. Ebenso unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer Farbe, der Schuppen und der Form der Körperteile. Daher ist die von Bochart, a.a.O., S. 435 wiedergegebene Aufzählung der charakteristischen Merkmale unvollständig und zumindest für eine Darstellung der Schweiz nicht unbedingt passend. Nach ihm unterscheiden sich Drachen von Schlangen nämlich durch 1. die gewaltige Grösse, 2. den Bart unter Kinn und Wamme, 3. eine dreifache Reihe von Zähnen, 4. die Farbe Schwarz, Rot oder Aschgrau, 5. einen enormen Rachen, 6. dadurch, dass sie durch ihr Atmen nicht nur Luft an sich ziehen, sondern auch über sie hinweg fliegende Vögel und 7. durch ein schreckliches und irgendwie unheilvolles Zischen, weswegen sie auf hebräisch Tannin heissen. Es ist nun an der Zeit, zum nächsten Thema fortzuschreiten.