Begleitende Folien zur Vorlesung
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Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Verwaltungsrecht = diejenigen Rechtssätze, welche die Verwaltungstätigkeit, die Organisation und das Verfahren der Verwaltungsbehörden regeln. aber: Normen sind nicht nur für die Personen relevant, welche in der Verwaltung tätig sind – oft werden auch die Rechte und Pflichten des Bürgers gegenüber der Verwaltung geregelt. Bsp: § 28 I VwVfG Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in die Rechte des Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zur Äußerung zu geben. -1- Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Allgemeines VerwR • vor die Klammer ge- Besonderes VerwR • Regelung thema- zogene Grundsätze, tisch zusammen- die für die meisten hängender Hand- speziellen Verwal- lungsfelder der tungsbereiche einheit- Verwaltung lich gelten o Polizei- und Ord- o Verwaltungsverfahren (Anhörung) nungsrecht o Kommunalrecht o Handlungsformen o Beamtenrecht der Verwaltung o Baurecht (Verwaltungsakt o Umweltrecht etc.) o Sozialrecht -2- Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Der Begriff der „Verwaltung“ Beschränkung auf die öffentliche Verwaltung Verwaltung im organisatorischen Sinn = Verwaltungsorganisation bestehend aus der Gesamtheit der Verwaltungsträger, der Verwaltungsorgane gen, z. B. und Verwaltungseinrichtun- Bundesverwaltung, Landesverwaltung, Gemeinden Verwaltung im formellen Sinn = die gesamte von der Verwaltung ausgeübte Tätigkeit ohne Rücksicht auf ihren Inhalt Verwaltung im materiellen Sinn = diejenige Staatstätigkeit, welche die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben zum Gegenstand hat • negativ: alles, was nicht Gesetzgebung und Rechtsprechung ist • positiv: Verwirklichung der Staatszwecke für den Einzelfall, Sozialgestaltung usw. -3- Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Fallbeispiel: Gerichtspräsident P beurteilt das dienstliche Verhalten der Geschäftsstellenleiterin. Wird er dabei als Verwaltung tätig? Lektüre zum Nachbereiten: • Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 1. • Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 1. -4- Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Entwicklung des Verwaltungsrechts Im absoluten Staat des 17./18. Jahrhunderts: • Monarch ist rechtlich kaum gebunden, ist für die „Glückseligkeit“ der Bürger zuständig Im liberalen Rechtsstaat: • Staat soll sich auf die Abwehr von Gefahren beschränken • Eingriffe in Freiheit und Eigentum nur auf Grundlage eines Gesetzes Im 20. Jahrhundert: • Ausdehnung der Verwaltungstätigkeit, s. Sozialstaat/Daseinsvorsorge • Grundgesetz: weitgehende Bindung der Verwaltung durch o Art. 1 III GG: an Grundrechte o Art. 20 III GG: an Gesetz und Recht -5- Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Herausbildung der Verwaltungsrechtswissenschaft ab Mitte des 19. Jahrhunderts: • zu Beginn staatswissenschaftliche Methode = Zusammenstellung und Erläuterung der zahlreichen Rechtsvorschriften • dann Herausbildung der juristischen Methode: Herausarbeitung allgemeiner Begriffe und übergreifender Strukturen Bedeutender Verwaltungsrechtler: Otto Mayer Gleichzeitig entsteht eine spezielle Verwaltungsgerichtsbarkeit (1863 beginnend in Baden) Lektüre zum Nachbereiten: • Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 2. -6- Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Das Verwaltungsrecht am Anfang des 21. Jahrhunderts: Herausbildung der so genannten „Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft“ = Wechsel in der Arbeitsweise Bisher: • Rechtsaktszentrierte Sichtweise • Die Kontrollperspektive der Gerichte steht im Vordergrund Gründe für die Neuausrichtung: • „Krise“ des Ordnungsrechts Vollzugsdefizite • Gesellschaftlicher und technischer Wandel Wissensgesellschaft Bewältigung von Risiken • Finanznot • Modernisierung durch Europäisierung und Inter- nationalisierung Übergang zur rechtsetzungsorientierten Handlungsund Entscheidungswissenschaft -7- Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Neue Methoden: • steuerungstheoretischer Ansatz nicht nur durch Ge- und Verbote, sondern auch durch Informationen, Warnungen und monetäre Anreize kann das Verhalten gelenkt werden • Realbereichsanalyse = mehr empirische Forschung • Wirkungs- und Folgeorientierung Output-Orientierung Evaluation • Intra- und Interdisziplinarität • Arbeiten mit Schlüsselbegriffen und Leitbildern = wegweisend für das Denken, z. B. schlanker Staat, aktivierender Staat • Arbeiten mit Referenzgebieten z. B. Umwelt-, Regulierungs-, Wirtschaftsrecht Dadurch geraten auch andere Aspekte wie die Organisation, das Verfahren, Personal und die Effizienz in den Blick! -8- Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Reformansätze der letzten Jahre: Einführung des New Public Management „Kundenorientierung“ der Verwaltung - siehe Bürgerämter - ab 24.03.2009 Erprobung der einheitlichen Behördenrufnummer 115 in einzelnen Modellregionen (soll bis zum Jahr 2013 in ganz Deutschland erreichbar sein) - Veröffentlichung der Kontaktdaten von Behördenmitarbeitern im Internet P: Vereinbarkeit mit Persönlichkeitsschutz E-Government Deregulierung Privatisierungen -9- Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Es gibt verschiedene Formen der Privatisierung: a) Formelle Privatisierung = durch Eigengesellschaften der öffentlichen Hand (AG, GmbH) b) Funktionale Privatisierung = private Dritte werden bei der Leistungserbringung der öffentlichen Hand als Erfüllungsgehilfen einbezogen (Stichwort: Kooperation) c) Materielle Privatisierung = vollständige Aufgabenverlagerung privaten Bereich - 10 - in den Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Fallbeispiel: Gemeinde G beschließt, künftig nicht mehr den traditionellen Weihnachtsmarkt abzuhalten. Wenn daran ein Interesse bestehe, könne dieser künftig ja von interessierten Privaten veranstaltet werden. Um welche Art von Privatisierung handelt es sich? Ist diese Vorgehensweise mit Art. 28 II GG vereinbar? S. dazu BVerwG, DVBl 2009, 1382 ff.: Zusammenfassend folgt aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG auch eine Pflicht der Gemeinde zur grundsätzlichen Sicherung und Wahrung des Aufgabenbestandes, der zu den Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises gehört. Der Gemeinde ist es bei einem derartigen Aufgabenbereich verwehrt, sich der Verantwortung für Veranstaltungen dieser Art endgültig zu erledigen. Sie muss sich Steuerungs- und Einwirkungsmöglichkeiten zu einer dem Wohl der Gemeindeeinwohner verpflichteten Durchführung von traditionellen Weihnachtsmärkten vorbehalten (a. A. Teile der Literatur). - 11 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Momentan: Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Agieren des Staats vor dem Hinter- grund der aktuellen Wirtschaftskrise Tätigkeit und Verständnis der Verwaltung wird durch die jeweiligen politischen, sozialen, wirtschaftlichen, technischen und kulturellen Verhältnisse ihrer Zeit bestimmt! Zunehmende Internationalisierung und Europäisierung des Verwaltungsrechts: Europäisches Gemeinschaftsrecht wird vielfach durch die Mitgliedstaaten und deren Behörden vollzogen Gemeinschaftsrecht zeitigt Rückkoppelungseffekte auf das nationale Verwaltungsrecht Dienstleistungsrichtlinie: Ab 2010 echter Binnenmarkt für Dienstleistungen = stellt in diesem Kontext auf nationaler Ebene umzusetzende Verfahrensvorgaben auf - 12 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger 4. VwVfG-ÄndG: - Einfügung der §§ 71a ff. VwVfG Verfahren über eine einheitliche Stelle = soll vor allem als „unterstützender Mittler“ zwischen Bürger sowie Unternehmen und den entscheidungsbefugten Behörden fungieren = Vorschriften kommen nur zur Anwendung, wenn entsprechende Anordnung im Fachrecht = Bürger kann wählen, ob er Verfahren über diese Stelle abwickeln will Im Saarland ist das Gesetz Nr. 1705 über den Einheitlichen Ansprechpartner für das Saarland maßgeblich. Nach § 2 Abs. 2 dieses Gesetzes sind Träger des EA-Saar die IHK, die Handwerkskammer, die Ingenieurkammer, die Architektenkammer, die Steuerberaterkammern, die Rechtsanwaltskammer und die Tierärztekammer des Saarlandes. - 13 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger - § 42a VwVfG: Regelung der Genehmigungsfiktion §§ 8a–8e VwVfG Europäische Verwaltungszusammenarbeit - § 8a: soweit nach Maßgabe von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft geboten - § 8b: Sprachenproblem - 14 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Öffentliches Recht Privatrecht Bedeutung der Unterscheidung • § 40 I VwGO: Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs in sämtlichen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art andernfalls Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte (§ 13 GVG) • Amtshaftungsanspruch gegen den Staat nur bei öffentlich-rechtlicher Tätigkeit (Art. 34 GG, § 839 BGB) andernfalls deliktsrechtlicher Anspruch gegen den einzelnen Beamten • § 1 VwVfG: Das VwVfG gilt für die öffentlichrechtliche Tätigkeit der Behörden also nicht beim gewöhnlichen Bleistiftkauf! Für das Vorliegen eines Verwaltungsakts (§ 35 VwVfG) und eines öffentlich-rechtlichen Vertrags (§ 54 VwVfG) ist eine Maßnahme auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts erforderlich. • Die Verwaltung kann öffentlich-rechtliche Ansprüche selbst vollstrecken Bei zivilrechtlichen An- sprüchen ist erst ein gerichtliches Urteil zu erstreiten, welches dann z. B. durch den Gerichtsvollzieher vollstreckt werden kann. - 15 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Abgrenzungstheorien Subordinationstheorie Öffentliches Recht liegt bei einem Über- bzw. Unterordnungsverhältnis zwischen zwei Personen vor. Bsp.: Polizeilicher Platzverweis Interessentheorie (Ulpian) Öffentliches Recht liegt bei Normen vor, die einem öffentlichen Interesse dienen. Das Privatrecht schützt Individualinteressen. Modifizierte Subjektstheorie Öffentlich-rechtliche Normen wenden sich zwingend an den Staat oder einen Träger öffentlicher Gewalt in dieser Eigenschaft. Bsp.: Norm zur Entziehung einer Fahrerlaubnis - 16 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Fallbeispiel: B stellt in seinem Garten eine riesengroße Werbeanlage auf, die er nachts anstrahlt. Die Baurechtsbehörde gibt ihm die Entfernung der Anlage auf, weil dadurch das Stadtbild verunstaltet wird. Vor welchem Gericht muss B klagen? BVerwG NJW 2007, 2275 ff. zur Rechtsnatur der Streitigkeit: Dabei kommt es regelmäßig darauf an, ob die Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- /Unterordnung stehen und sich der Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient. Gleichordnungsverhältnisse sind öffentlich-rechtlich, wenn die das Rechtsverhältnis beherrschenden Rechtsnormen nicht für jedermann gelten, sondern Sonderrecht des Staates sind, das sich zumindest auf einer Seite nur an einen Hoheitsträger wendet. - 17 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Problemfälle Hausverbote Abwehr von Immissionen und Störungen Ehrenrührige Äußerungen von Beamten Benutzung öffentlicher Einrichtungen Bsp.: Ortsverein verlangt von der Gemeinde die Überlassung der Sporthalle •„Zweistufentheorie“ 1. Stufe Entscheidung über das Ob der Zulassung immer öffentlich-rechtlich 2. Stufe Betrifft das Wie der Zulassung Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses Wahlfreiheit der Gemeinde: o öffentlich-rechtlich z.B.: Benutzungssatzung, Gebühr o privatrechtlich z.B.: AGB, Entgelt o im Zweifel öffentlich-rechtlich - 18 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger • Ähnliches gilt für Subventionen: „Verlorene Zuschüsse“ sind nach ü. M. öffentlich-rechtlicher Natur. • Vergabe öffentlicher Aufträge BVerwG: Zwei-Stufen-Theorie nur bei einer Mehrphasigkeit der Aufgabenwahrnehmung! = Zuordnung zum Privatrecht • Zuordnung von Verträgen Bürger B verpflichtet sich in einem Vertrag, dem BND auftragsrelevante Informationen zu übermitteln. Im Laufe der Zeit entsteht Streit über das Rechtsverhältnis. Vor welches Gericht muss B im Streitfall ziehen? BVerwG NVwZ-RR 2010, 682 ff. - 19 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Privatrechtliches Handeln der Verwaltung • Soweit nichts anderes bestimmt ist, kann die Verwaltung wählen, ob sie öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich handeln will („Formenwahlfreiheit“). • Unmittelbare Erbringung von Verwaltungsaufgaben in Privatrechtsform (Verwaltungsprivatrecht) Bsp.: ÖPNV, Stadtwerke Uneingeschränkte Bindung an Grund- rechte und das sonstige öffentliche Recht. Die Privatrechtsordnung wird lediglich in einzelnen Punkten durch das öR überlagert, ohne dass das Verwaltungshandeln selbst dem öR zuzuordnen wäre. • Fiskalische Hilfsgeschäfte Bsp.: Verwaltung kauft Büromaterialien • Erwerbswirtschaftliche Betätigung Bsp.: Der Staat beteiligt sich an einem Unternehmen • Vermögensverwaltung meint den Staat als Eigentümer, z.B. wenn dieser ein Gebäude vermietet - 20 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger P: Inwieweit ist der Staat, wenn er sich des Privatrechts bedient, an die Grundrechte gebunden? BVerfG, Urt. v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06 (unbedingt nachlesen!) - Die Nutzung zivilrechtlicher Formen enthebt die staatliche Gewalt nicht von ihrer Bindung an die Grundrechte gem. Art. 1 Abs. 3 GG. - Nach Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Sie gelten nicht nur für bestimmte Bereiche, Funktionen oder Handlungsformen staatlicher Gewalt, sondern binden die staatliche Gewalt umfassend und insgesamt. Der Begriff der staatlichen Gewalt ist weit zu verstehen und erstreckt sich nicht nur auf imperative Maßnahmen. - Art. 1 Abs. 3 GG liegt dabei eine elementare Entscheidung zugrunde. Während der Bürger prinzipiell frei ist, ist der Staat prinzipiell gebunden. Der Bürger findet durch die Grundrechte Anerkennung als freie Person, die in der Entfaltung ihrer Individualität selbstverantwortlich ist. … Demgegenüber handelt der Staat in treuhänderischer Aufgabenwahrnehmung für die Bürger und ist ihnen rechenschaftspflichtig. Seine Aktivitäten verstehen sich nicht als Ausdruck freier subjektiver Überzeugung in Verwirklichung persönlicher Individualität, sondern bleiben in distanziertem Respekt vor den verschiedenen Überzeugungen der Staatsbürger und - 21 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger werden dementsprechend von der Verfassung umfassend an die Grundrechte gebunden. - Sobald der Staat eine Aufgabe an sich zieht, ist er bei deren Wahrnehmung an die Grundrechte gebunden. Dies gilt auch, wenn er für seine Aufgabenwahrnehmung auf das Zivilrecht zurückgreift. Eine Flucht in das Privatrecht mit der Folge, dass der Staat unter Freistellung von Art. 1 Abs. 3 GG als Privatrechtssubjekt zu begreifen wäre, ist ihm verstellt. Fragen: 1. Wie steht es mit der Grundrechtsbindung öffentlicher Unternehmen, die vollständig im Eigentum der öffentlichen Hand stehen? 2. Wie verhält es sich mit der Grundrechtsbindung bei gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen, an denen sowohl private wie öffentliche Anteilseigner beteiligt sind, wenn diese von der öffentlichen Hand beherrscht werden? - 22 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Hinweise zur Nachbearbeitung: • Detterbeck, Allgem. VerwR, Rn. 11–85, 895–908 • BVerfG, NJW 2006, 3701 ff.; BVerwG, NJW 2007, 2275 ff. Rechtsquellen des Verwaltungsrechts geschriebene ungeschriebene • GG • Gewohnheitsrecht • Gesetze • Verordnungen Grundgesetz • grundlegende Bestimmungen • erschwert abänderbar (Art. 79 GG) Gesetze im formellen Sinne • welche von den verfassungsrechtlich vorgesehenen Gesetzgebungsorganen im von der Verfassung vorgesehenen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden • „Parlamentsgesetze“ o „nur formelles“ Gesetz - 23 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger = regelt keine Rechte/Pflichten der Bürger, z. B. Haushaltsplan o formelles und materielles Gesetz = Parlamentsgesetz, das Rechte und Pflichten der Bürger regelt, z. B. BlmSchG Rechtsverordnungen • werden von der Exekutive (Regierung, Minister) aufgrund vorheriger Ermächtigung durch den Parlamentsgesetzgeber erlassen, s. Art. 80 GG, Art. 104 SVerf. • Beispiele: o Straßenverkehrsordnung o Polizeiverordnungen §§ 59 ff. SPolG BayVerfGH BayVBl. 2011, 173: Der Erlass von Rechtsverordnungen ist abgeleitete Rechtsetzung. Die Verordnung konkretisiert, ermächtigt durch den Gesetzgeber, den Willen des Gesetzgebers auf einer weiteren Stufe. Dem VO-Geber steht nach dem Maß der ihm delegierten Rechtsetzungsbefugnis ein Raum eigener Gestaltungsfreiheit zu. - 24 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Satzungen • von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, z. B. Gemeinde, Universität • in eigenen Angelegenheiten • Motive: o Aktivierung gesellschaftlicher Kräfte o Sachkunde • nur bei Verleihung von Satzungsautonomie, z. B. § 12 I KSVG o nur innerhalb Aufgabenbereich o Achtung: höherrangiges Recht o Gesetzesvorbehalt und Demokratieprinzip Hinweise zur Nachbearbeitung: Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 86–99 Verwaltungsvorschriften = abstrakt-generelle Regelungen, die von übergeordneten Stellen in der Verwaltung an nachgeordnete Stellen ergehen - 25 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Beispiel: Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Verdingungsordnungen (VOB) primär an Behördenmitarbeiter norminterpretierende • Auslegung von Gesetzesbegriffen ermessenslenkende • leiten die Ermessensausübung normkonkretisierende • z. B. TA Lärm TA Luft • ohne Außenwirkung • d. h. keine Bindung des Bürgers und der Gerichte • mittelbare Außenwirkung • über Art. 3 GG aber: keine Gleichheit im Unrecht • unmittelbare Außenwirkung Fall: Im Januar wurde auf der Autobahn eine Geschwindigkeitsmessung mittels Videoaufzeichnung durchgeführt. Von X wurde wegen einer - 26 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung ein Bußgeld verlangt. X hat Bedenken an diesem Vorgang. Die Videoaufzeichnung lasse sich auf keine gesetzliche Grundlage zurückführen, sondern sei allein aufgrund einer Anordnung in einer Verwaltungsvorschrift vorgenommen worden. Was ist von seinen Bedenken zu halten, falls sein Vortrag richtig ist? S. auch BVerfG, NJW 2009, 3293 f. - 27 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Verhältnis der Normen zueinander 1. Unionsrecht 2. Verfassung 3. Formelle Gesetze 4. Rechtsverordnungen -----------------------------------------------1. Bundesrecht 2. Landesrecht 3. Recht der Kommunen Beachte: Nach Art. 31 GG bricht Bundesrecht Landesrecht, d. h. entgegenstehendes Landesrecht ist nichtig. Seit der Föderalismusreform besteht nach Art. 72 III GG für die Länder in bestimmten Bereichen die Möglichkeit zur Abweichungsgesetzgebung. In diesem Fall kommt nicht Art. 31 GG, sondern Art. 72 III 3 GG zur Anwendung. Das jeweils spätere Gesetz geht vor. Da es sich nur um einen „Anwendungsvorrang“ handelt, lebt bei der Aufhebung des Landesrechts das Bundesrecht wieder auf! - 28 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Kollisionsregeln: • lex posterior derogat legi priori • lex specialis derogat legi generali _______________________________ Frage: Sachbearbeiter B soll über einen Genehmigungsantrag entscheiden. Bei der Bearbeitung des Falles gelangt er zunehmend zu der Ansicht, dass eine Norm gegen das Grundgesetz verstößt. Was soll er tun? Lektüre zum Nachbearbeiten der Rechtsquellen: • Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, §§ 63–66 • Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 115–136 - 29 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Gemeinschaftsrecht primäres sekundäres • EUV, AEUV, Grundrechtecharta • Art. 288 AEUV • Verordnung • ungeschriebene • Richtlinie Gemeinschafts- • Entscheidung grundsätze • Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts, s. Ableitung aus Art. 10 II EGV a.F. = jetzt Gebot der loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV sowie Erklärung 17 der Schlussakte zum Vertrag von Lissabon - 30 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger EuGH NVwZ 2010, 107 ff.: Das nationale Gericht muss das innerstaatliche Recht so weit wie möglich in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auslegen. Ist eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nicht möglich, ist die nationale Behörde verpflichtet, das Gemeinschaftsrecht in vollem Umfang anzuwenden und die Rechte, die dieses dem Einzelnen einräumt, zu schützen, indem es notfalls jede Bestimmung unangewandt lässt, deren Anwendung im konkreten Fall zu einem gemeinschaftsrechtswidrigen Ergebnis führen würde. EuGH NVwZ 2010, 1419 ff.: In Anwendung des Grundsatzes der Zusammenarbeit ist das unmittelbar geltende Unionsrecht uneingeschränkt anzuwenden und sind die Rechte, die es dem Einzelnen verleiht, zu schützen, indem es jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts, gleichgültig, ob sie früher oder später als die Unionsnorm ergangen ist, unangewandt lässt. =Jede Bestimmung einer nationalen Rechtsordnung oder jede Praxis, die dadurch zu einer Abschwächung der Wirksamkeit des Unionsrechts führen würde, dass dem für die Anwendung dieses Rechts zuständigen Gericht die Befugnis abgesprochen wird, bereits zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatl. Rechtsvorschriften beiseite zu lassen, die u. U. ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der unmittelbar geltenden Normen des Unionsrechts bil- 31 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger den, ist mit den in der Natur des Unionsrechts liegenden Erfordernissen unvereinbar. Vorliegend: BVerfG verwies darauf, dass es nur die Wirksamkeit der Norm am Maßstab des GG prüfen dürfe. EuGH: Aus dem Anwendungsvorrang und dem Grundsatz effektiven Rechtsschutzes folgt, dass ein solcher Umstand die Gerichte nicht daran hindern kann, die genannten Vorschriften in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit unangewendet zu lassen. Es kann nämlich nicht zugelassen werden, dass Vorschriften des nationalen Rechts, auch wenn sie Verfassungsrang haben, die einheitliche Geltung und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigen. P: Ausnahmsweise vorübergehende Anwendung der Rechtsvorschriften? Der Gerichtshof verfügt zwar im Zusammenhang mit Art. 264 Abs. 2 AEUV über die Befugnis, die Wirkungen der Nichtigerklärung oder der Feststellung der Ungültigkeit einer solchen Handlung auszusetzen, bis die festgestellte Rechtswidrigkeit mit einer neuen Handlung behoben wird (Motiv: kein regelungsfreier Zustand, gerechtfertigt durch zwingende Erwägung der Rechtssicherheit, die mit allen betroffenen Interessen zusammenhängen). EuGH lässt es offen, ob dies in analoger Anwendung ausnahmsweise auch bei unionswidrigem nationalem - 32 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Recht gelten könnte, wobei über eine solche Aussetzung nur der EuGH entscheiden könnte. BVerfG, DVBl. 2010, 1229 ff. Das Recht der EU kann sich nur wirksam entfalten, wenn es entgegenstehendes mitgliedstaatliches Recht verdrängt. Der Anwendungsvorrang führt zwar nicht dazu, dass entgegenstehendes nationales Recht nichtig wäre. Mitgliedstaatliches Recht kann vielmehr weiterhin seine Geltung entfalten, wenn und soweit es jenseits des Anwendungsbereichs des Unionsrechts einen sachlichen Regelungsbereich behält. Im Anwendungsbereich des Unionsrechts dagegen ist mitgliedstaatliches Recht grundsätzlich unanwendbar. Der Anwendungsvorrang folgt aus dem Unionsrecht, weil die Union als Rechtsgemeinschaft nicht bestehen könnte, wenn die einheitliche Wirksamkeit des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten nicht gewährleistet wäre. Anders als ein bundesstaatlicher Geltungsvorrang, wie ihn Art. 31 GG vorsieht, kann der Anwendungsvorrang nicht umfassend sein. S. Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 EUV. Das BVerfG ist deshalb befugt, Handlungen der europäischen Organe darauf zu überprüfen, ob sie aufgrund ersichtlicher Kompetenzüberschreitungen oder aufgrund von Kompetenzausübungen im nicht übertragenen Bereich der Verfassungsidentität erfolgen. Die Ultra-Vires-Kontrolle des BVerfG ist mit der vertraglich dem EuGH übertragenen Aufgabe zu koordinieren, die Verträge auszulegen und anzuwenden und dabei Einheit und Kohärenz des - 33 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Unionsrechts zu wahren. S. einheitliche Anwendung des Unionsrechts, andererseits darf Disposition über die vertraglichen Grundlagen nicht auf Unionsorgane verlagert werden. UltraVires-Kontrolle muss europarechtsfreundlich erfolgen: - Vor der Annahme eines Ultra-Vires-Akts der europäischen Organe ist dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens die Gelegenheit zur Vertragsauslegung sowie zur Entscheidung über die Gültigkeit der Rechtsakte zu geben. - Ultra-Vires-Kontrolle erfolgt nur, wenn ersichtlich ist, dass die Handlungen der europäischen Organe außerhalb der übertragenen Kompetenzen ergangen sind = der Kompetenzverstoß muss hinreichend qualifiziert sein = kompetenzwidriges Handeln muss offensichtlich sein + der angegriffene Hoheitsakt im Kompetenzgefüge zwischen Mitgliedstaat und Union im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und die rechtsstaatliche Gesetzesbindung erheblich ins Gewicht fallen = die Grenzen der Rechtsfortbildung werden durch den EuGH überschritten, wo die Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus politische Grundentscheidungen trifft oder durch die Rechtsfortbildung strukturelle Verschiebungen im System konstitutioneller Macht- und Einflussverteilung stattfinden. - 34 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Kontrollfrage: Eine niederländische Kapitalgesellschaft möchte in Saarbrücken eine Apotheke betreiben. Nach dem deutschen ApothG darf jedoch Kapitalgesellschaften keine Apothekenerlaubnis erteilt werden. Wie hat sich der zuständige Behördenmitarbeiter zu verhalten, wenn er davon überzeugt ist, dass die nationale Norm den Grundfreiheiten widerspricht? S. OVG Saarlouis NVwZ-RR 2008, 95 ff. Zum Europarecht als Rechtsquelle: • Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 141–162 • Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 62. - 35 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Das Verwaltungsverfahrensgesetz § 1 I VwVfG: Das VwVfG gilt nur für die öffentlich-rechtliche Tätigkeit der Behörden. • Für Bundesbehörden ist immer das VwVfG des Bundes maßgeblich. • Für Landesbehörden gilt das VwVfG des Landes bei der Ausführung des Landesrechts. P: Landesbehörden führen Bundesrecht aus o § 1 I Nr. 2 VwVfG Bund o § 1 II VwVfG Bund o Aber: § 1 III VwVfG Für die Ausführung von Bundesrecht durch die Länder gilt dieses Gesetz nicht, soweit die ör Verwaltungstätigkeit der Behörden landesrechtlich durch ein VwVfG geregelt ist! - 36 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Im Saarland ist das Saarländische Verwaltungsverfahrensgesetz (SVwVfG) maßgeblich = Vollgesetz, das weitestgehend mit dem VwVfG des Bundes übereinstimmt Beachte: Während auf Bundesebene in § 1 IV VwVfG normiert wird, was unter einer „Behörde“ zu verstehen ist, ergibt sich dies im Landesrecht aus § 1 II SVwVfG! Kontrollfrage: B bearbeitet im Landratsamt den Antrag des X auf Erteilung einer Baugenehmigung. Bei seiner Entscheidung muss er zum einen die LBO, zum anderen das BauGB beachten. Welche Verfahrensvorschriften muss er heranziehen? Lektüre zum Nachbearbeiten: • Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 72 • Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 • Gröpl, Lehrbuch Landesrecht, § 2 Rn. 55–58 - 37 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Gesetzmäßigkeit der Verwaltung Gesetzesvorrang: Die vollziehende Gewalt ist an Gesetz und Recht gebunden (Art. 20 III GG). Abweichungsverbot Anwendungsgebot Gesetzesvorbehalt • Die Verwaltung darf in bestimmten Fällen Maßnahmen nur treffen, wenn ihr dies in einem formellen Gesetz gestattet wurde. • kein Handeln ohne Gesetz o bei Eingriffen o Wesentlichkeitstheorie str. bei Subventionen - 38 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger BVerfG NJW 2010, 505 Rn. 136: Die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums muss durch ein Parlamentsgesetz erfolgen. Schon aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergibt sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Schließlich ist die Begründung von Geldleistungsansprüchen auch mit erheblichen finanziellen Auswirkungen für die öffentlichen Haushalte verbunden. BVerwG DVBl 2010, 1370 Der Vorbehalt des Gesetzes verlangt, dass staatliches Handeln in bestimmten grundlegenden Bereichen durch förmliches Gesetz legitimiert wird. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen, und darf sie nicht anderen Normgebern oder gar der Verwaltung überlassen. Wann es danach einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, lässt sich nur mit Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des jeweiligen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien sind dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten, zu entnehmen. - 39 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger P: Geltung in besonderen Gewaltverhältnissen (bspw. Schüler, Soldaten, Strafgefangene) Lektüre zum Nachbearbeiten: • Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Bedeutsame Grundsätze des Verwaltungshandelns Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns, § 37 I VwVfG S. dazu OVG Greifswald NVwZ-RR 2007, 21 ff. (Beseitigungsanordnung Müll) VG Gießen, Beschl. v. 15.12.2010: Eine gaststättenrechtliche Verfügung, durch die eine Musikveranstaltung untersagt werden soll, ist mangels hinreichender Bestimmtheit rechtswidrig, wenn ein Konzessionsinhaber über zwei gaststättenrechtliche Erlaubnisse verfügt und aus dem Untersagungsbescheid nicht hervorgeht, welche der beiden Gaststätten von der Verfügung betroffen ist. - 40 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns 1. Welches ist der Zweck des Handelns? 2. Maßnahme geeignet? 3. Maßnahme erforderlich? 4. Maßnahme angemessen? OVG Saarland LKRZ 2008, 102 ff.: Weil erst vor kurzem vereinzelte Fans des Fußballvereins X pyrotechnische Gegenstände während eines Fußballspiels gezündet haben, entschließt sich die Polizei zu einer härteren Gangart. Unter anderem muss sich der einen Vereinsschal tragende K, der zu den vielen Fans des X-Vereins gehört, beim nächsten Spiel bei einer polizeilichen Durchsuchung, die ergebnislos blieb, in einer Kabine völlig entkleiden. - 41 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger War diese Maßnahme korrekt, wenn man das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Durchsuchung unterstellt? Willkürverbot Lektüre zum Nachbearbeiten: • Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rechtsnormen Tatbestand Bestimmte Rechtsfolge Unbestimmte Rechtsbegriffe Rechtsbegriffe • voll überprüfbar • Grundsatz: voll überprüfbar - 42 - Gebundene Ermessen Entscheidung • voll überprüfbar • § 114 VwGO Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger • Ausnahme: Beurteilungsspielraum Bsp.: § 21 Nr. 1 SPolG Die Polizei kann eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren. - 43 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Rechtsbegriffe auf der Tatbestandsseite • bestimmte Bsp.: • Sonntag unbestimmte Bsp.: Unzuverlässigkeit, Allgemeinwohl, wichtiger Grund BVerfG NVwZ 2010, 114 ff.: Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ist grundsätzlich unbedenklich. Dem Bestimmtheitserfordernis ist genügt, wenn Auslegungsprobleme mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden können. • Ermittlung des Sinngehalts durch Auslegung • Problem: Wie weit reicht die Überprüfungsbefugnis der Gerichte? o Früher: Vertretbarkeitslehre o Heute: Grundsätzlich voll überprüfbar (Art. 19 IV GG) Ausnahme: Normative Einräumung eines Beurteilungsspielraums, z. B. § 71 V 2 GWB, § 3a S. 4 UVPG - 44 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Beurteilungsspielraum der Verwaltung • Prüfungsentscheidungen / prüfungsähnliche Entscheidungen (VG Saarland NVwZ-RR 2008, 791 f.: auch bei Grundschulempfehlungen) • Dienstrechtliche Beurteilungen • Entscheidungen unabhängiger, pluralistisch zusammengesetzter Gremien • Prognoseentscheidungen und Risikobewertungen im Umwelt- und Technikrecht BVerwG Urt. v. 24.11.2010 – 6 C 16/09 zur „KeK“ = Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich, welche die Einhaltung der Bestimmungen zur Sicherung der Meinungsvielfalt im Fernsehen überprüfen soll: Der Begriff der „vorherrschenden Meinungsmacht“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, bei dessen Konkretisierung die KEK über einen Beurteilungsspielraum verfügt. Zwar haben grds. die Gerichte die Rechtsanwendung der Verwaltungsbehörden uneingeschränkt zu überprüfen. Doch kann ein gesetzlich vorgegebenes Entscheidungsprogramm wegen der hohen Komplexität der geregelten Materie so vage und seine Konkretisierung im Nachvollzug der Verwaltungsentscheidung so schwierig sein, dass die gerichtliche Kontrolle an ihre Funktionsgrenze stößt. Vor diesem Hintergrund hat das BVerwG dem Gesetz u. a. dann eine Beurteilungser- 45 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger mächtigung für die Exekutive entnommen, wenn der von ihr zu treffenden Entscheidung in hohem Maße wertende Elemente anhaften und das Gesetz für sie deshalb ein besonderes Verwaltungsorgan für zuständig erklärt, das mit besonderer fachlicher Legitimation in einem besonderen Verfahren entscheidet, zumal wenn es sich um ein Kollegialorgan handelt, das mögliche Auffassungsunterschiede bereits in sich zum Ausgleich bringt und die zu treffende Entscheidung damit zugleich versachlicht. • Folge: reduzierte Kontrollkompetenz der Gerichte und zwar in Bezug auf o die Einhaltung von Verfahrensvorschriften o die zutreffende Sachverhaltsermittlung o die Beachtung allgemeiner Bewertungsmaßstäbe o keine sachfremden Erwägungen Kontrollfrage: Die Leistungen des S wurden in der 1. Juristischen Staatsprüfung mit 3,7 Punkten bewertet. S wendet ein, am zweiten Prüfungstag habe er wegen Baggerarbeiten keine volle Leistung erbringen können. In der vierten Klausur habe der Prüfer die von ihm eingenommene Position als - 46 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger falsch bewertet, obwohl diese in der Literatur mehrfach vertreten werde. Wie beurteilen Sie die Erfolgsaussichten des Gerichtsverfahrens? Lektüre zum Nachbearbeiten: • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 68 Rn. 1-5, 10-12 • Detterbeck, AVwR, Rn. 303-309, 348-379 - 47 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Die Rechtsfolgenseite • Gebundene Entscheidung o Bsp. § 6 I BImSchG: Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 ergebenden Pflichten erfüllt werden. • Ermessen o Die Verwaltung wird nicht auf eine bestimmte Rechtsfolge festgelegt, sondern kann zwischen verschiedenen Verhaltensweisen wählen. o Bsp. § 82 I LBO: Werden Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, kann die Bauaufsichtsbehörde ihre Beseitigung anordnen. Entschließungser- Auswahlermessen messen „Ob“ überhaupt - 48 - „Wie“ Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Anforderungen an die Ermessensausübung • § 40 VwVfG: Die Behörde hat ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. • Gerichtliche Überprüfung von Ermessensentscheidungen: § 114 VwGO keine Überprüfung der Zweckmäßigkeit Kontrolle hinsichtlich bestimmter Ermessensfehler: • Ermessensnichtgebrauch • Ermessensüberschreitung • Ermessensfehlgebrauch • Ermessensreduzierung auf Null = wenn nur eine einzige Entscheidung richtig ist - 49 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Kontrollfrage: B hat sein Auto falsch geparkt. Daraufhin ordnet Polizist P das Abschleppen des Fahrzeugs an. Er ist der Ansicht, in derartigen Fällen stets zum Einschreiten verpflichtet zu sein. Ist seine Entscheidung rechtmäßig? § 8 Abs. 1 SPolG: Die Polizei kann die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Kontrollfrage: Seit Monaten mehren sich Hinweise von Tierschutzvereinen und von Spaziergängern, dass Landwirt L seine Rinder völlig vernachlässigt und auch quält. Wie sieht es mit den Reaktionsmöglichkeiten des zuständigen Veterinäramts aus? § 16a TierSchG: Die zuständige Behörde trifft die zur Beseitigung der festgestellten Verstöße notwendigen Anordnungen. Sie kann insbesondere im Einzelfall die zur Erfüllung der Anforderungen des § 2 erforderlichen Maßnahmen treffen. S. dazu VG Saarland, LKRZ 2011, 61 ff. - 50 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Lektüre zum Nachbearbeiten: • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 69 • Detterbeck, AVwR, Rn. 311-336 Objektives Recht Summe aller Rechtssätze Subjektives öffentliches Recht Stellt einen Ausschnitt aus dem Kreis des objektiven Rechts dar. Rechtssatz des öffentlichen Rechts, der einer Person die Rechtsmacht verleiht, vom Staat ein bestimmtes Tun, Dulden oder Unterlassen zu verlangen. Große Bedeutung (s. § 42 II VwGO, Art. 19 IV GG) BVerfG BayVBl. 2009, 690: Allerdings eröffnet Art. 19 Abs. 4 GG nur demjenigen den Rechtsweg, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt ist. Es genügt weder die Verletzung nur wirtschaftlicher Interessen noch die Verletzung von Rechtssätzen, in denen der Einzelne nur aus Gründen des Allgemeininteresses begünstigt wird. Denn Art. 19 Abs. 4 GG garantiert dem Bürger keine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle - 51 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger der Verwaltung, sondern trifft eine Systementscheidung für den Individualrechtsschutz. Unter Umständen explizite Einräumung - § 3 I 1 BBesG: Die Beamten … haben einen Anspruch auf Besoldung. - § 1 I 1 (S)IFG Jeder … hat einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Sonst: Auslegung nach Schutznormtheorie: • Die Norm muss die Verwaltung zu einem bestimmten Verhalten verpflichten. • Die Norm muss zumindest auch den Schutz der Interessen des Einzelnen bezwecken, so dass er die Einhaltung des Rechtssatzes verlangen kann. kumulative Voraussetzungen Verwaltungsrechtsverhältnis = Die sich aus einem konkreten Sachverhalt aus einer verwaltungsrechtlichen Rechtsnorm ergebenden Rechtsbeziehungen zwischen zwei oder mehreren Rechtssubjekten. - 52 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Lektüre zum Nachbearbeiten: • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 71 • Detterbeck, AVwR, Rn. 394-416 Der Verwaltungsakt (§ 35 VwVfG) Funktionen: • Klarstellungs- und Stabilisierungsfunktion • Prozessuale Bedeutung o früher: Rechtswegeröffnung o heute: spezielle Klagearten bei VA auf Aufhebung eines VA: Anfechtungsklage § 42 I Alt. 1 VwGO auf Erlass eines VA: Verpflichtungsklage § 42 I Alt. 2 VwGO o bei beiden Klagearten: Erfordernis eines Vorverfahrens §§ 68 ff. VwGO - 53 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Klagefrist § 74 VwGO • Titelfunktion Die einzelnen Merkmale des VA Maßnahme • jedes Handeln mit Erklärungswert hoheitlich • wird einseitig erlassen • Gegenbegriff: Vertrag P: mitwirkungsbedürftiger VA wenn VA nur mit Zustimmung des Bürgers erlassen werden kann Behörde • § 1 IV VwVfG: Behörde ist jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt • funktionale Betrachtung - 54 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts • wenn die Maßnahme aufgrund einer öffentlichrechtlichen Norm erlassen wird • Gegenbegriff: privatrechtliches Handeln P: privatrechtsgestaltender VA Regelung • zur unmittelbaren Setzung einer Rechtsfolge, d. h. Begründung, Änderung, Aufhebung oder Feststellung von Rechten oder Pflichten • Gegenbegriff: unverbindliche Maßnahmen • Der Regelungscharakter wird verneint bei: o Realakten rein tatsächliche Verwaltungshandlungen, z. B. Beseitigung Verkehrshindernis, Auskünfte o Vorbereitungs- und Teilakten Ohne abschließende Regelung, z. B. Ladung zur mündlichen Prüfung P: Noten - 55 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger o rechtserheblichen Willenserklärungen ohne anordnenden Charakter z. B. Erklärung der Aufrechnung P: feststellender Verwaltungsakt BVerwG: Ob eine Maßnahme die Kriterien des § 35 VwVfG erfüllt, ist entsprechend den zu §§ 133, 157 BGB entwickelten Maßstäben nach ihrem objektiven Erklärungswert zu bestimmen. Maßgebend ist, wie der Empfänger die Erklärung unter Berücksichtigung der ihm erkennbaren Umstände bei objektiver Würdigung verstehen muss. Unklarheiten gehen zu Lasten der Verwaltung. Zu Recht stellt das Gericht darauf ab, dass feststellende Regelungen durch ein spezifisches Abgrenzungsbedürfnis gegenüber bloßen Begründungselementen eines Bescheides gekennzeichnet sind. Für einen feststellenden VA ist kennzeichnend, dass er sich darauf beschränkt, das Ergebnis eines behördlichen Subsumtionsvorgangs verbindlich festzuschreiben. Ist eine Erklärung im Verhältnis von Staat und Bürger darauf gerichtet, bestehende Unsicherheiten zu beseitigen, indem sie die generelle und abstrakte Regelung des Gesetzes verbindlich konkretisiert und/oder individualisiert, so legt die Verwaltung fest, was im Einzelfall rechtens ist, und trifft damit eine Regelung mit Außenwirkung. - 56 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger VG Köln, Urt. v. 19.7.2007: Student S wird bei seinem Antrag auf Immatrikulation ein Überweisungsauftrag / Zahlschein für die Studiengebühren ausgehändigt. Handelt es sich dabei um einen Verwaltungsakt? Einzelfall • Gegenbegriff: Rechtsnormen, die eine Regelung für eine unbestimmte Zahl von Personen in einer unbestimmten Zahl von Fällen enthalten („generell – abstrakt“). unmittelbare Außenwirkung • Gegenbegriff: verwaltungsinterne Regelungen, z. B. Anweisung an eine nachgeordnete Stelle, der Firma F die Verwendung bestimmter Chemikalien zu untersagen. - 57 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger P: Anordnungen gegenüber Beamten wenn hinsichtlich Grundverhältnis: VA (+) wenn hinsichtlich Betriebsverhältnis: VA (–) Kontrollfragen: Polizist P erhält ein Schreiben seines Dienstvorgesetzten. Darin wird er aufgefordert, seine Frisur zu ändern, weil sein Karl-Lagerfeld-Zopf nicht den Verwaltungsvorschriften über das Erscheinungsbild von Polizisten entspricht. Handelt es sich hierbei um einen VA? S. BVerwG NVwZ-RR 2007, 781 ff. Nach einem jähzornigen Anfall gegenüber seinem Vorgesetzten wird Polizist P die Dienstwaffe entzogen. Kann P dagegen mit einer Anfechtungsklage vorgehen? S. VG Wiesbaden NVwZ-RR 2007, 528 f. - 58 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger P: Rechtsnatur von Organisationsakten betreffen den Aufbau, die Struktur oder Kompetenzen juristischer Personen des öffentlichen Rechts P: Mitwirkung mehrerer Behörden beim Erlass eines VA bei Anhörung oder Einholung der Stellungnahme einer anderen Behörde: kein VA bei Zustimmung, Einvernehmen der anderen Behörde VA, wenn dieser aus- kein VA = in allen üb- schließlich die Wahr- rigen Fällen interner nehmung best. Ge- Natur sichtspunkte übertragen ist Lektüre zum Nachbearbeiten: • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 74 Rn. 1-17 • Detterbeck, AVwR, Rn. 420-463, 483-495 - 59 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Allgemeinverfügung § 35 S. 2 VwVfG = Sonderfall eines Verwaltungsakts • adressatenbezogene Allgemeinverfügung o richtet sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis o Bsp.: Auflösung einer Demonstration P: Abgrenzung zu Rechtsnormen, die abstrakt-generell sind OVG Saarland NVwZ 2011, 190 f.: Auch eine Allgemeinverfügung i.S.v. § 35 S. 2 VwVfG wird durch die Begriffsmerkmale des VA geprägt; sie weist lediglich hinsichtlich der Regelungsadressaten Besonderheiten auf. Maßgebliches Kriterium für die Abgrenzung eines VA von einer Rechtsnorm ist die Regelung eines Einzelfalls. Materiell-rechtlich liegt somit nur dann eine Allgemeinverfügung vor, wenn sachlich im Kern eine Einzelfallregelung getroffen wird, d. h. ein konkreter sachlicher Regelungsgehalt gegeben ist. Eine Allgemeinverfügung wird dadurch charakterisiert, dass zwar im Zeitpunkt ihres Erlasses die Zahl der Adressaten, die von ihr unmittelbar betroffen sind, nicht feststeht, sich jedoch alle von dieser Regelung Betroffenen durch ihre Beziehung zum konkreten Sachverhalt definieren lassen. Bei einer Allgemeinverfügung handelt es sich ihrem Wesen nach somit um eine generell-konkrete Regelung, d. - 60 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger h. eine Regelung, die sich an eine unbestimmte Anzahl von unmittelbaren personalen Adressaten für einen bestimmten Sachverhalt richtet. Wird hingegen eine abstrakt-generelle Regelung für eine unbestimmte Vielzahl von Sachverhalten und die Personen getroffen, ist die Wahl der Form Allgemeinverfügung rechtlich nicht zulässig. Die Konkretheit der Regelung unterscheidet die personenbezogene Allgemeinverfügung von der Rechtsnorm. • • sachbezogene Allgemeinverfügung o betrifft öffentl.-rechtl. Eigenschaft einer Sache o Bsp.: Widmung einer Straße Benutzungsregelung o regelt die Rechte und Pflichten der Benutzer einer Sache durch die Allgemeinheit o Bsp.: Bibliotheksbenutzungsordnung Beachte: Es gelten die Vorschriften über VAe! • Ausnahmen: § 28 II Nr. 4 VwVfG § 41 III 2 VwVfG § 39 II Nr. 5 VwVfG Kontrollfragen: - Welche Rechtsnatur haben Verkehrszeichen? - Im Amtsblatt des Saarlandes wird folgende Regelung veröffentlicht: - 61 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger „Das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glücksspiele in Telemedien- Angeboten privater Anbieter auf dem Gebiet des Saarlandes wird hiermit untersagt.“ S. dazu VG Saarland, ZfWG 2010, 226 f. einerseits und OVG Saarland, NVwZ 2011, 190 f. andererseits. Siehe dazu: • Detterbeck, AVwR, Rn. 464–473; • Maurer, AVwR, § 9 Rn. 29–36; • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 74 Rn. 19–22. - 62 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Typologie der Verwaltungsakte nach dem Inhalt des VA • befehlende VAe • rechtsgestaltende VAe • feststellende VAe nach den Rechtswirkungen des VA • begünstigende VAe • belastende VAe P: Verwaltungsaktsbefugnis für belastende VAe? Von einem VA mit Drittwirkung spricht man, wenn der VA seinen Adressaten begünstigt und zugleich andere belastet. Beispiele: - Baugenehmigung - Ernennung des in einem Stellenbesetzungsverfahren erfolgreichen Bewerbers, weil er zugleich in die Rechte der unterlegenen Bewerber eingreift, BVerwG ZBR 2011, 91 ff. Nach dem Regelungsobjekt des VA • personale VAe, z. B. Fahrerlaubnis • dingliche VAe, z. B. Baugenehmigung - 63 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Die Unterscheidung wird vor allem bei der Frage der Rechtsnachfolge relevant, etwa ob ein VA auf den Erben übergeht. Voraussetzung für den Eintritt der Rechtsnachfolge sind die Nachfolgefähigkeit der Rechtsposition und das Vorliegen eines Nach- folgetatbestandes. Zur Nachfolgefähigkeit: Keine Rechtsnachfolge bei höchstpersönlichen Verwaltungsakten, wohl aber, wenn sie auf eine vertretbare Handlung gehen. Zum Nachfolgetatbestand: Dieser kann sich aus dem Gesetz, einem Verwaltungsakt oder Rechtsgeschäft ergeben. Keine Probleme, wenn die Rechtsnachfolge wie in § 4 III BBodSchG spezialgesetzlich geregelt ist. Fehlt eine gesetzliche Regelung, vertritt die Rspr. den Standpunkt, dass dingliche VAe sozusagen an der Sache haften und mit dieser auf den Rechtsnachfolger übergehen. - 64 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Vorläufige VAe • § 11 I 1 GastG: Personen, die einen erlaubnisbedürftigen Gaststättenbetrieb von einem anderen übernehmen wollen, kann bis zur Erteilung der Gaststättenerlaubnis eine vorläufige Gaststättenerlaubnis erteilt werden. BVerwG GewArch 2010, 113 ff.: Auch der vorläufige VA ist ein VA i.S.d. §§ 35 ff. VwVfG. Seine Besonderheit liegt nicht in seiner Art oder Form, sondern allein in seinem Regelungsinhalt. Genauer ist daher nicht von einem „vorläufigen VA“ zu sprechen, sondern von einem VA, der eine nur vorläufige Regelung trifft. Es gibt im vorliegenden Zusammenhang keine gesetzliche Regelung, die der Behörde eine solche Entscheidung verbieten würde, insbes. ist die Aufzählung der Typen von Nebenbestimmungen in § 36 II VwVfG nicht abschließend. Die Behörde darf allerdings eine Regelung nicht beliebig nur vorläufig treffen, sondern nur, wenn ihr eine bestehende tatsächliche Ungewissheit hierzu sachlichen Grund gibt. Der Vorbehalt endgültiger Regelung bewirkt, dass die Behörde die vorläufige Regelung im Ausgangsbescheid durch die endgültige Regelung im Schlussbescheid ersetzen kann, ohne insoweit an die Einschränkungen der §§ 48, 49 VwVfG gebunden zu sein. - 65 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Der Adressat hat Anspruch darauf, dass die Behörde die vorbehaltene Nachprüfung unverzüglich vornimmt, sobald der Grund für den Vorbehalt entfallen ist. VAe in gestuften Verfahren • Vorbescheid o § 76 S. 1 LBO: Vor Einreichung des Bauantrags ist auf Antrag des Bauherrn zu einzelnen Fragen seines Bauvorhabens ein Vorbescheid zu erteilen. • Teil(bau-)genehmigung o gestattet die Realisierung des genehmigten Teils! o § 75 I LBO: Ist das Gesamtvorhaben grundsätzlich genehmigungsfähig, kann vorab für die Baugrube und für einzelne Bauteile … auf schriftlichen Antrag eine Teilbaugenehmigung erteilt werden. mehrstufiger VA • wenn für den Erlass des VA die interne Mitwirkung einer anderen Behörde erforderlich ist, z. B. gemeindl. Einvernehmen, § 36 BauGB. - 66 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger mitwirkungsbedürftiger VA • bezogen auf den Bürger (Beamtenernennung) Zusicherung § 38 VwVfG • Versprechen der Verwaltung, später einen bestimmten VA zu erlassen/unterlassen • bedarf der Schriftform • str., ob selbst VA Beachte: „Zusage“ = wenn ein sonstiges Verwaltungshandeln versprochen wird Im Gegensatz dazu beinhaltet eine Auskunft eine bloß unverbindliche informative Mitteilung. wiederholende Verfügung Zweitbescheid Lektüre zum Nachbearbeiten: a) Zur Typologie der Verwaltungsakte • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 77 • Detterbeck, AVwR, Rn. 497–536 b) Zur Rechtsnachfolge • Detterbeck, AVwR, Rn. 417 ff. - 67 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Nebenbestimmungen zum VA akzessorisch zum jeweiligen GrundVA Arten: s. § 36 II VwVfG • Befristung: zeitlich gewisses Ereignis • Bedingung: ungewisser Eintritt eines zukünftigen Ereignisses • Widerrufsvorbehalt • Auflage: dem Begünstigten wird ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben ist selbst ein VA! • Auflagenvorbehalt Abgrenzungsregel: Die Bedingung suspen- diert, zwingt aber nicht. Die Auflage zwingt, suspendiert aber nicht. Beachte: Die modifizierende Auflage ist keine Neben-, sondern eine Inhaltsbestimmung! • Bsp.: Beantragt wurde die Genehmigung eines Hauses mit Giebeldach, genehmigt wurde die Errichtung eines Hauses mit Flachdach. - 68 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Zulässigkeit von Nebenbestimmungen Spezialbestimmung z. B. § 5 GastG, § 13 WHG Ist die Regelung abschließend? Wenn nein bzw. keine spezielle Regelung Allgemeine Regelung § 36 VwVfG Absatz 1 Absatz 2 • wenn gebundener • wenn Ermessens- VA nur unter einen- VA genden Voraussetzungen • in beiden Fällen Ermessen, ob eine Nebenbestimmung beigefügt wird! - 69 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Frage: Die zuständige Behörde erteilt eine Baugenehmigung mit der Maßgabe, sechs PKWStellplätze zu schaffen. Worum handelt es sich bei diesem Zusatz? Ist er isoliert anfechtbar? Lektüre zum Nachbearbeiten: • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 78 • Detterbeck, AVwR, Rn. 643–664 - 70 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Der Erlass des VA Inhaltliche Bestimmtheit § 37 I VwVfG Form • § 37 II VwVfG: schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise o Nur wenn keine spezialgesetzlich besondere Formanforderung, § 73 II 1 LBO Schriftform der Baugenehmigung o Beachte beim elektronischen Verfahren § 3a VwVfG: – Nur wenn Empfänger einen Zugang eröffnet hat! – Bei durch Rechtsvorschrift angeordneter Schriftform bedarf es grundsätzlich einer qualifizierten elektron. Signatur! - 71 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger BVerwG NVwZ 2011, 364: Mit dieser Anforderung will der Gesetzgeber einen fälschungssicheren elektronischen Rechtsverkehr gewährleisten und sicherstellen, dass die Signatur des Dokuments durch die Person erfolgt ist, der diese zugeordnet ist. … bietet die qualifizierte elektronische Signatur den höchsten Grad an Sicherheit, während das bloße Anfügen einer eingescannten Unterschrift an ein Dokument eine sichere Authentifizierung nicht gewährleistet, da diese beliebig kopierbar ist und anderen Dokumenten angefügt werden kann. o Zum Teil wird die elektronische Form ganz ausgeschlossen, zum Teil werden niedrigere Anforderungen gestellt („schriftlich oder elektronisch“). Beachte § 71e S. 1 VwVfG n. F.: Das „Verfahren nach diesem Abschnitt“ wird auf Verlangen in elektronischer Form abgewickelt = wenn der Bürger einen entsprechenden Antrag stellt, muss elektronisch kommuniziert werden. - 72 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Begründung des VA § 39 VwVfG • Abs. 1: Bei schriftlichem oder elektroni- schem VA Begründungspflicht, Abs. 2: Ausnahmen • Beachte: Wurde dem VA keine Begrün- dung beigegeben, kann dieser Fehler nach § 45 I Nr. 2 VwVfG geheilt werden! Lektüre zum Nachbearbeiten: • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 79 Rn. 1–4 Bekanntgabe des VA § 41 VwVfG • wissentliche und willentliche Eröffnung des Inhalts des VA • Abs. 2: Bekanntgabezeitpunkt • Abs. 3, 4: öffentliche Bekanntgabe - 73 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger P: Bekanntgabe bei Verkehrszeichen = Allgemeinverfügungen BverwG JZ 2011, 152 ff. Die Bekanntgabe erfolgt nach den bundesrechtlichen Spezialvorschriften der StVO durch Aufstellen des Verkehrsschildes. Sind die Verkehrszeichen so aufgestellt und angebracht, dass sie ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt schon mit einem raschen und beiläufigen Blick erfassen kann, äußern sie ihre Rechtswirkungen gegenüber jedem von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer, gleichgültig, ob er das Verkehrszeichen tatsächlich wahrnimmt oder nicht. P: Ab wann läuft die Anfechtungsfrist? a) ab Aufstellung des Verkehrszeichens gegenüber jedem = Berücksichtigung späterer Änderungen über § 51 VwVfG - 74 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger b) BVerwG: Die Frist wird vielmehr erst dann ausgelöst, wenn sich der Verkehrsteilnehmer erstmals der Regelung des Verkehrszeichens gegenübersieht. Jedes andere Verständnis geriete in Konflikt mit Art. 19 Abs. 4 GG, der es verbietet, den Rechtsschutz in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Liefe die Anfechtungsfrist für jedermann schon mit der Aufstellung des Verkehrszeichens, könnte ein Verkehrsteilnehmer, der erstmals mehr als ein Jahr später mit dem Verkehrszeichen konfrontiert wird, keinen Rechtsschutz erlangen. Denn bis zu diesem Zeitpunkt war er an der Einlegung eines Rechtsbehelfs mangels individueller Betroffenheit nach § 42 Abs. 2 VwGO gehindert, danach würde ihm der Ablauf der einjährigen Anfechtungsfrist entgegengehalten. • Abs. 5: Zustellung o immer wenn gesetzlich vorgeschrieben (§ 73 III VwGO) oder von der Behörde angeordnet o s. dazu näher das VwZG - 75 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Achtung: VwZG Bund gilt für Bundesbehörden – für Landesbehörden ist LandesVwZG, im Saarland also das SVwZG maßgeblich! SVwZG ist ein Rumpfgesetz = verweist dynamisch auf das VwZG Bund! Mögliche Zustellungsformen • durch die Post mittels Postzustellungsurkunde, § 3 VwZG • durch die Post mittels Einschreiben, § 4 VwZG • durch die Behörde gegen Empfangsbekenntnis, § 5 VwZG o beachte die Vorschriften zur Heilung von Zustellungsmängeln (§ 8 VwZG)! - 76 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Achtung: Der VA wird gegenüber dem Einzelnen erst dann wirksam = verbindlich, wenn er ihm bekannt gegeben wurde (§ 43 I VwVfG). Ein VA ist aber bereits in dem Moment existent, in dem er auch nur einer Person gegenüber bekannt gegeben wurde = dann kann er angefochten werden. Lektüre zum Nachbearbeiten: • Detterbeck, AVwR, Rn. 551–562 • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 79 Rn. 13–15 - 77 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger § 42a VwVfG Genehmigungsfiktion Abs. 1 S. 1: Eine beantragte Genehmigung gilt nach Ablauf einer für die Entscheidung festgelegten Frist als erteilt, wenn dies durch Rechtsvorschrift angeordnet und der Antrag hinreichend bestimmt ist. Beispiel: § 64 III 1 LBO: Über den Bauantrag ist innerhalb von drei Monaten nach Eingang des vollständigen Antrags zu entscheiden. … Die Baugenehmigung gilt als erteilt, wenn über den Bauantrag nicht innerhalb der Frist entschieden worden ist. = obwohl keine Maßnahme, d. h. keine schriftliche Genehmigung vorliegt, wird nach Ablauf der Frist so getan, als hätte der Antragsteller eine Baugenehmigung erhalten = Fiktion eines VA - 78 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Auf diesen finden gem. § 42a I 2 VwVfG die Vorschriften über die Bestandskraft und über das Rechtsbehelfsverfahren entspr. Anwendung = der fingierte VA kann wie ein gewöhnlicher VA angefochten oder unter den Voraussetzungen des § 48 VwVfG zurückgenommen werden. § 42a III VwVfG: Auf Verlangen ist demjenigen, dem der VA hätte bekannt gegeben werden müssen, der Eintritt der Genehmigungsfiktion schriftlich zu bescheinigen. Merke: Bescheinigung holt nicht die fingierte Entscheidung nach – ist feststellender VA, da mögliche Zweifel über den Eintritt der Genehmigungsfiktion und den maßgeblichen Zeitpunkt beseitigt werden. S. dazu Schmitz/Prell, NVwZ 2009, 1, 7 f. - 79 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Wirksamkeit des VA § 43 I VwVfG: beginnt mit Bekanntgabe VA. § 43 II VwVfG: endet, wenn der VA zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Frage: Auswirkungen von Fehlern bei Nichtigkeits- bei den übrigen Feh- grund lern • § 43 III VwVfG ist • Einlegung von der VA unwirksam Rechtsbehelfen (+) Widerspruchs- (-) Bestandskraft behörde bzw. Gericht hebt den VA auf Lektüre zum Nachbearbeiten: • Detterbeck, AVwR, Rn. 542–550, 563–568 • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 81 Rn. 1–4 - 80 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Nichtigkeit eines VA Prüfungsreihenfolge 1. Liegt ein absoluter Nichtigkeitsgrund i.S.d. § 44 II VwVfG vor? 2. Liegt ein Fehler i.S.d. § 44 III VwVfG vor, der nie zur Nichtigkeit führt? 3. Nichtigkeit nach der Generalklausel des § 44 I VwVfG, weil es sich um einen Fehler handelt, der • besonders schwerwiegend für Rechtsordnung schlechthin unerträglich • offensichtlich für einen Durchschnittsbeobachter kumulative Voraussetzungen VG Saarland, Urt. v. 4.8.2010 – 5 K 662/09: Besonders schwerwiegend i.S.d. § 44 Abs. 1 SVwVfG sind dabei nur solche Rechtsfehler, die deshalb mit der Rechtsordnung unter keinen Umständen vereinbar sein können, weil sie tragenden Verfassungsprinzipien oder den der Rechtsordnung immanenten Wertvorstellungen widersprechen. - 81 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Der schwerwiegende Fehler muss darüber hinaus für einen verständigen Bürger offensichtlich sein. Die Nichtigkeit eines VA ist daher nur dann anzunehmen, wenn die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in so erheblichem Maße verletzt werden, dass von niemandem erwartet werden kann, den VA als verbindlich anzuerkennen. Dagegen ist die Nichtigkeit eines VA nicht schon deswegen anzunehmen, weil er einer gesetzlichen Grundlage entbehrt (sog. „gesetzloser“ VA) oder die in Frage kommenden Rechtsvorschriften unrichtig angewendet worden sind. Folgen der Nichtigkeit • § 43 III VwVfG: VA ist unwirksam • § 43 VwGO: Nichtigkeitsfeststellungsklage Lektüre zum Nachbearbeiten: • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 81 Rn. 5–11; • Beaucamp JA 2007, 704 ff. - 82 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Ausschluss der Aufhebbarkeit eines fehlerhaften Verwaltungsakts § 42 VwVfG Korrektur offenbarer Unrichtigkeiten, z. B. wenn sich Behördenmitarbeiter offensichtlich vertippt dazu Sodan/Ziekow, GKÖR, § 81 Rn. 12 f. § 45 VwVfG Heilung bestimmter Verfahrensund Formfehler • bei den in Abs. 1 genannten Fehlern BVerwG BayVBl 2009, 248 ff.: Die Vorschrift ist jedoch einer entsprechenden Anwendung auf andere, in § 45 Abs. 1 VwVfG nicht genannte Verfahrenserfordernisse zugänglich. Andere Verfahrenshandlungen können bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden, wenn und soweit der mit dem Verfahrenserfordernis verfolgte Zweck auch noch im gerichtlichen Verfahren erreicht werden kann. - 83 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 • Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Nachholung bis zum Abschluss der letzten gerichtlichen Tatsacheninstanz (Abs. 2) P: Nachholung immer nur aufgrund besonderer Aufforderung oder z. B. auch durch Einlegung eines Widerspruchs? BVerwG NVwZ 2011, 115: Unterbleibt die Anhörung, tritt eine Heilung aber nur ein, soweit die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten im gerichtlichen Verfahren stellen keine nachträgliche Anhörung i.S.d. Regelung dar. § 46 VwVfG Unbeachtlichkeit von Verfahrens- und Formfehlern kumulative Voraussetzungen • Verletzung der Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit - 84 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 • Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger offensichtlich, dass ohne Auswirkung auf die Sachentscheidung = dies kann nach BVerwG NVwZ 2011, 115 nur angenommen werden, wenn jeglicher Zweifel daran ausgeschlossen ist, dass die Behörde ohne den Verfahrensfehler genauso entschieden hätte. (+) (-) Gebundene Ent- Ermessens- scheidung entscheidung BVerwG NVwZ 2008, 795 f.: Es entspricht allgemeiner Ansicht, dass bei Ermessens-, Beurteilungs- und Planungsentscheidungen - eben wegen des ihnen immanenten Entscheidungsspielraums die von § 46 VwVfG vorausgesetzte Alternativlosigkeit der Entscheidung in der Regel nicht gegeben ist. Merke: Trotzdem ist stets im Einzelfall zu prüfen, ob die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Verfahrensfehler die Entscheidung anders ausgefallen wäre! - 85 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Merke: • In Deutschland überwiegt die Vorstellung von der dienenden Funktion des Verfahrens. • Andere Staaten sehen dagegen im Verfahren einen Garanten für die Richtigkeit der Verwaltungsentscheidungen. Es ist umstritten, inwieweit sich die deutsche Haltung mit den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben vereinbaren lässt. § 4 Abs. 1 URG Die Aufhebung einer Entscheidung i.S.d. § 1 I 1 Nr. 1 URG kann verlangt werden, wenn eine nach den Bestimmungen des UVPG … erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung nicht durchgeführt nicht nachgeholt worden ist. Lektüre zum Nachbearbeiten: • Detterbeck, AVwR, Rn. 629–639 • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 81 Rn. 14–17 - 86 - und Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Kontrollfrage: Nachdem es mehrmals zu Schlägereien in der Gaststätte des G gekommen ist, widerruft die sachlich zuständige, aber örtlich unzuständige Behörde seine Gaststättenerlaubnis. Da G vor Erlass der Maßnahme nicht angehört wurde, möchte er wissen, welche Konsequenzen dieser Fehler hat. Zugleich legt er Widerspruch gegen den ausführlich begründeten Bescheid ein. Wie ist nach ihrer Meinung die Rechtslage zu beurteilen? - 87 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger § 47 VwVfG: Umdeutung eines fehlerhaften VA Beispiel: Umdeutung einer fehlerhaften fristlosen Entlassung eines Beamten in eine rechtmäßige fristgerechte Entlassung • str., ob nur durch die Verwaltung oder auch die Gerichte Siehe zu § 47 VwVfG: • Detterbeck, AVwR, Rn. 640–642 • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 81 Rn. 18 - 88 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Aufhebung von VAen durch die Gerichte auf eine Klage hin durch die Verwaltung nach Einlegung eines Widerspruchs durch die Verwaltung außerhalb eines Rechtsbehelfsverfahrens • Gibt es eine Spezialregelung? z. B. §§ 21 BImSchG, 15 GastG, § 35 StAG • Wenn keine Spezialregelung §§ 48 ff. VwVfG Rücknahme: § 48 Widerruf: § 49 bei rechtswidrigem bei rechtmäßigem VA VA belastend begünsti- belastend gend • begünstigend Merke: Die Aufhebung ist selbst ein Verwaltungsakt! Lektüre zum Nachbearbeiten: • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 82 Rn. 1–2 • Detterbeck, AVwR, Rn. 673-689 - 89 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Rücknahme von VAen nach § 48 VwVfG • Vorliegen eines rechtswidrigen VA • wenn belastend nach pflichtgemäßem Ermessen der Verwaltung § 48 I 1 VwVfG der Gesetzgeber räumt weder dem Gesetzesvorrang noch der Rechtssicherheit einen generellen Vorrang ein = Abwägung dieser beiden Prinzipien! Bürger hat grundsätzlich nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. BVerwG: Allein die Rechtswidrigkeit des VA begründet keinen Anspruch auf Rücknahme, da der Rechtsverstoß lediglich Voraussetzung der Ermessensentscheidung ist! - 90 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger BVerwG NVwZ 2007, 709, 710 f.: Ausnahmefälle, in denen ein Anspruch auf Rücknahme des rechtswidrigen VA besteht: wenn das Festhalten an dem VA „schlechthin unerträglich“ ist • wenn die Verwaltung durch unterschiedliche Ausübung der Rücknahmebefugnis gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt • wenn die Berufung auf die Unanfechtbarkeit gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben verstößt • bei offensichtlichem Rechtsverstoß = wenn an dem Verstoß der Maßnahme gegen formelles oder materielles Recht vernünftigerweise kein Zweifel besteht und sich deshalb die Rechtswidrigkeit aufdrängt Im Unterschied zu § 44 VwVfG muss der VA nicht an einem besonders schwerwiegenden Fehler leiden. BVerwG lässt offen, ob Offensichtlichkeit auch aus der Perspektive des rechtskundigen Betrachters! - 91 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger VG Hannover DVP 2009, 85 f.: Die Behörde erlässt gegenüber K einen Festsetzungsbescheid zur Zweitwohnungssteuer. K legt dagegen keinerlei Rechtsbehelfe ein. Nach einigen Monaten stellt sich heraus, dass die dem Bescheid zugrunde liegende Satzung nichtig ist. Wie hat sich die Behörde hinsichtlich des Zweitwohnungssteuerbescheids zu verhalten? Siehe zu § 48 I VwVfG: • Detterbeck, AVwR, Rn. 690–693 • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 82 Rn. 3–6 - 92 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 • wenn Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger begünstigend Geld- oder Sachleis- sonstiger VA, § 48 tung, § 48 II VwVfG III VwVfG o Ausschluss der o Rücknahme nach Rücknahme, wenn Ermessen, aber auf den Bestand Entschädigung des VA vertraut und bei schutzwürdi- Vertrauen schutz- gem Vertrauen würdig o in der Regel nach Satz 2, wenn verbraucht oder Vermögensdisposition o nie in den Fällen des S. 3 z. B. Arglist - 93 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger BVerwG, NVwZ-RR 2010, 801 f. (zum Ausgleichsanspruch nach § 48 III 1 VwVfG): Bei dem mit dem Vertrauen des Betroffenen auf den Bestand des VA abzuwägenden öffentlichen Interesse handelt es sich nicht um das Rücknahmeinteresse, sondern um das fiskalische Interesse, den VA ohne Verpflichtung zum Nachteilsausgleich zurücknehmen zu dürfen. Entweder besteht der Ausgleichsanspruch nach § 48 Abs. 3 S. 1 VwVfG oder nicht = keine Schmälerung infolge Mitverschuldens. • Ausschlussfrist des § 48 IV VwVfG o gilt nicht, wenn das Vertrauen nicht schutzwürdig ist, da arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung o Ratio: Rechtssicherheit für den Bürger – Bezug auf „Tatsachen“, welche die Rücknahme eines VA rechtfertigen – Rücknahme binnen eines Jahres ab positiver Kenntnis P: Ab welchem Zeitpunkt läuft die Frist? - 94 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger P: Wessen Kenntnis ist maßgeblich? BVerwG LKV 2010, 510 ff.: Die Frist beginnt zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des VA erkannt hat und ihr die für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Es reicht nicht aus, dass die die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen aktenkundig sind. Die Jahresfrist beginnt erst, wenn diese Tatsachen vollständig, uneinge- schränkt und zweifelsfrei ermittelt sind. Die Entscheidungsfrist beginnt erst, wenn Entscheidungsreife eingetreten ist. Die Rücknahmebehörde muss sich die Kenntnis anderer Behörden nicht zurechnen lassen, weil sonst das mit § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG verfolgte Ziel, der zuständigen Behörde eine ausreichend lange Zeit für eine Prüfung und Entscheidung zu gewähren, verfehlt würde. Die zuständige Behörde erhält Kenntnis, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zur Rücknahme des VA berufene Amtswalter von den die Rücknahme des VA rechtfertigenden Tatsachen positive Kenntnis erlangt. - 95 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Siehe zu § 48 II–IV VwVfG: • Detterbeck, AVwR, Rn. 694–714 • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 82 Rn. 7–13 Kontrollfrage: X wurden 2003 von der zuständigen Behörde Subventionen in Höhe von 100.000 Euro bewilligt, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen. X ging von Anfang an davon aus, dass der Bescheid fehlerhaft ist. Trotzdem hat er das Geld sofort verbraucht. Obwohl der zuständige Sachbearbeiter seit 2004 alle für die Aufhebungsentscheidung relevanten Umstände kennt, ordnet er erst jetzt die Aufhebung der Bewilligung an. War dies korrekt? - 96 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Rücknahme von Subventionen, deren Rückforderung die Europäische Kommission angeordnet hat 1. Ermächtigungsgrundlage mangels speziellerer Regelung: § 48 VwVfG 2. Ausschluss der Rücknahme gemäß § 48 II VwVfG? EuGH: Das nationale Recht darf die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger Beihilfen nicht praktisch unmöglich machen. europarechtskonforme Rechtsanwendung Merke: Da die Überwachung von Beihilfen durch die Kommission nach dem EG-Vertrag zwingend vorgeschrieben ist, darf ein beihilfebegünstigtes Unternehmen auf die Ordnungsmäßigkeit der Beihilfen grds. nur dann vertrauen, wenn diese unter Einhaltung des darin vorgesehenen Verfahrens gewährt werden. Einem sorgfältigen Gewerbetreibenden ist es nämlich regelmäßig möglich, sich zu vergewissern, dass dieses Verfahren eingehalten wurde. - 97 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger 3. Ausschlussfrist nach § 48 IV VwVfG: nicht, wenn eine bestandskräftige Entscheidung der Kommission zur Rückgängigmachung der Subvention verpflichtet 4. Rücknahmeermessen: Reduzierung kraft Gemeinschaftsrechts Lektüre zum Nachbearbeiten: • Detterbeck, AVwR, Rn. 749–765 • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 82 Rn. 14–15 - 98 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Widerruf von VAen nach § 49 VwVfG • bei rechtmäßigen VAen • erst recht, wenn rechtswidriger VA • wenn belastend § 49 I VwVfG: Widerruf nach pflichtgemäßem Ermessen, außer der VA wäre erneut mit demselben Inhalt zu erlassen • wenn begünstigend und mit Wirkung für die Zukunft o nur bei Vorliegen einer der in § 49 II VwVfG genannten Widerrufsgründe o Rechtsfolge: Ermessen o Es gilt die Ausschlussfrist des § 48 IV VwVfG entsprechend • wenn begünstigend und mit Wirkung für die Vergangenheit: § 49 III VwVfG o VA auf eine Geld- oder teilbare Sachleistung für einen bestimmten Zweck o keine zweckentsprechende Verwendung bzw. Nichterfüllung einer Auflage o § 48 IV VwVfG gilt entsprechend - 99 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Rechtsfolge: Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Ermessen „kann“ – aber: OVG Saarland, Beschl. v. 19.2.2010, 3 A 282/09: Zweck des § 49 III 1 Nr. 1 SVwVfG ist es, den Widerruf von VAen, die eine Geldleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks gewähren, zu ermöglichen, wenn der mit der Leistung verfolgte Zweck nicht erreicht wird. Vor dem Hintergrund des in § 7 I LHO und § 6 I HGrG verankerten Gebots, bei der Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten, entspricht es dem Zweck des § 49 III 1 Nr. 1 SVwVfG, dass bei Verfehlung des mit der Gewährung öffentlicher Zuwendungen verfolgten Zwecks im Regelfall das Ermessen nur durch eine Entscheidung für den Widerruf fehlerfrei ausgeübt werden kann. = intendiertes Ermessen! • D. h. im Regelfall ist zu widerrufen, außer es würden außergewöhnliche Umstände vorliegen • Liegt kein atypischer Sachverhalt vor, bedarf es keiner besonderen Ermessenserwägungen • Bei der Regelentscheidung ist keine Begründung des VA nach § 39 I 3 VwVfG erforderlich - 100 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Kontrollfrage: Landwirt L wird im Jahr 2006 ein Zuschuss in Höhe von 20.000,- Euro unter der Maßgabe bewilligt, dass er seine Weideflächen für die Dauer von zwei Jahren als Grünbrache nutzt. Nach einem Jahr ändert er seinen Entschluss und lässt wieder Tiere weiden. Die Behörde will sich rückwirkend von ihrer Bewilligung lösen. Ist dies möglich? Lektüre zum Nachbearbeiten: • Detterbeck, AVwR, Rn. 715–728 • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 82 Rn. 16–22 - 101 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger § 49a VwVfG: Rückerstattungsanspruch • Abs.1: Festsetzung der zu erstattenden Leistung o durch einen schriftlichen VA o gebundene Entscheidung? • Abs. 2: Sonderregelung zum Wegfall der Bereicherung • Abs. 3: Zinsen BVerwG, Urt. v. 3.3.2011 – 3 C 19/10 zum Problem, ob der Erstattungsanspruch auch gegen eine Person geltend gemacht werden kann, die erst nachträglich einen Schuldbeitritt vorgenommen hat: Die Vorschrift ermächtigt die Behörde dazu, den Erstattungsanspruch gegen jeden Erstattungsschuldner mit den Mitteln hoheitlicher Verwaltung geltend zu machen. Voraussetzung ist nur, dass der Erstattungsanspruch besteht und er sich gegen den Adressaten des Leistungsbescheids richtet. Voraussetzung ist nicht, dass der Erstattungsschuldner auch der Zuwendungsempfänger ist. Es genügt, dass der Erstat- 102 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger tungsanspruch seine Wurzel in der Zuwendung hat. Natürlich kommt der Zuwendungsempfänger in erster Linie als Erstattungsschuldner in Betracht. Sofern neben ihm oder an seiner Stelle aber Dritte die Erstattung schulden, ermächtigt § 49a Abs. 1 VwVfG auch zu deren Inanspruchnahme. Dem Wortlaut lässt sich keine Einschränkung auf den Zuwendungsempfänger entnehmen. Die Verwaltung soll im Interesse der wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel berechtigt und grundsätzlich sogar verpflichtet sein, zu Unrecht ausgereichte Subventionen möglichst rasch und effektiv wieder einzuziehen. Das Gesetzesziel würde aber nur unvollkommen erreicht, dürfte die Verwaltung dieses Mittel nur gegenüber dem Begünstigten einsetzen, nicht aber gegenüber Dritten, die gleichermaßen erstattungspflichtig sind. Richtig ist, dass der Leistungsbescheid gegenüber der Leistungsklage für die Verwaltung den Vorteil mit sich bringt, sich selbst einen vollstreckbaren Titel verschaffen zu dürfen = Gegner muss gegen den Bescheid ggf. mit Klage vorgehen. Sollte hierin überhaupt ein Nachteil zu sehen sein, so stünden diesem doch erhebliche Vorteile gegenüber. Ein Leistungsbescheid - 103 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger kann nur auf der Grundlage eines Verwaltungsverfahrens ergehen, in dem der Betroffene bestimmte Verfahrensrechte wie insbes. das Recht auf Anhörung genießt. Er unterliegt im Regelfall der Überprüfung in einem Widerspruchsverfahren. Das führt dazu, dass Einwände des Betroffenen schon im Leistungsbescheid Berücksichtigung finden, so dass es der zeitaufwendigen und teuren Inanspruchnahme der Gerichte oft nicht mehr bedarf. Lektüre zum Nachbearbeiten: • Detterbeck, AVwR, Rn. 729–733 • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 82 Rn. 23 - 104 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Wiederaufgreifen des Verfahrens • betrifft die verfahrensrechtliche Frage, ob die Behörde dazu berechtigt bzw. verpflichtet ist, sich mit der Aufhebung eines VA zu befassen A. Wiederaufgreifen im engeren Sinn o Antrag o Statthaft: Unanfechtbarer VA o Geltendmachung eines Grundes zum Wiederaufgreifen nach § 51 I VwVfG o Binnen drei Monaten ab Kenntnis des Wiederaufgreifensgrundes o Kein Verschulden Verwaltung prüft, ob tatsächlich ein Wiederaufgreifensgrund vorliegt! Nein Ja • Antrag wird ab- • Inhaltliche Prügelehnt fung, ob der VA aufzuheben ist - 105 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger B. Wiederaufgreifen nach pflichtgemäßem Ermessen o Rechtsgrundlage: § 51 V VwVfG o Grundsätzlich verfügt der Einzelne nur über ein subjektives Recht auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens. o Ausnahmsweise Ermessensreduzie- rung auf Null: – offensichtlicher Fehler – Selbstbindung der Verwaltung BVerwG DVBl. 2010, 254: „Nach der Rspr. des BVerwG kann die Behörde, auch wenn die in § 51 Abs. 1 Nr. 1–3 VwVfG normierten Voraussetzungen nicht vorliegen, ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen zugunsten des Betroffenen wiederaufgreifen und eine neue Sachentscheidung treffen. Diese Möglichkeit des Wiederaufgreifens findet ihre Rechtsgrundlage in § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG. Für die Durchbrechung der Bestandskraft ist zunächst eine Positiventscheidung der Behörde zum Wiederaufgreifen erforderlich (Stufe 1). - 106 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Erst wenn eine solche Positiventscheidung getroffen ist, wird der Weg für eine erneute Sachentscheidung eröffnet (Stufe 2). Auf dieser zweiten Stufe ist die Behörde nicht auf die in § 48 I 1 und § 49 I VwVfG normierten Möglichkeiten der Aufhebung des VA ex tunc oder ex nunc beschränkt, sondern sie hat zu entscheiden, ob der VA zurückgenommen, geändert oder im Wege eines Zweitbescheids bestätigt werden soll.“ VGH BW, VBlBW 2009, 226 f.: „Die Entscheidung über den Wiederaufgreifensantrag ist damit allein verfahrensrechtlicher Natur und erschöpft sich in dem Regelungsgegenstand, ob sich die Behörde auf die Bestandskraft beruft und es so bei der bereits getroffenen Entscheidung bleibt (sog. wiederholende Verfügung), oder ob diese aufgehoben und anschließend eine neue Sachentscheidung getroffen wird (sog. Zweitbescheid).“ - 107 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger P: Kann sich aus dem Gemeinschaftsrecht eine Pflicht zum Wiederaufgreifen des Verfahrens ergeben? Nach dem EuGH gebietet der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 III EUV) ein Wiederaufgreifen unter folgenden Voraussetzungen: 1. die Behörde muss nach nationalem Recht befugt sein, die Entscheidung zurückzunehmen, 2. die Entscheidung ist infolge eines Urteils eines letztinstanzlich entscheidenden Gerichts be- standskräftig geworden, 3. dieses Urteil beruht auf einer unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die erfolgt ist, weil das Gericht trotz Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 267 III AEUV kein Vorabentscheidungsgesuch an den EuGH gestellt hat, 4. der Betroffene sich unmittelbar nach Kenntnis der Entscheidung des EuGH in einem anderen Rechtsstreit an die Verwaltungsbehörde gewandt hat. Lektüre zum Nachbearbeiten: • Detterbeck, AVwR, Rn. 766–773 • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 82 Rn. 25–29 - 108 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Fallbeispiel: A wurde am 1.2.2007 durch Bescheid zur Zahlung von 500,- Euro aufgefordert. Am 1.7.2007 treten rückwirkend neue Rechtsvorschriften in Kraft, nach denen er nur 200,- Euro zu zahlen hat. Am 14.7.2007 wendet er sich an die Behörde, mit dem Anliegen, den Bescheid zu ändern. Wie ist die Rechtslage? Abwandlung 1: Es ändert sich am 1.7.2007 lediglich die Rechtsprechung zu seinen Gunsten. Abwandlung 2: A bringt am 1.7.2007 ein neues Sachverständigengutachten bei, aus dem sich die Unrichtigkeit der behördlichen Berechnung ergibt. - 109 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Der öffentlich-rechtliche Vertrag Definition in § 54 S. 1 VwVfG: • Vertrag übereinstimmende Willenserklärungen • auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts BGH, Beschl. v. 20.5.2009: Die Rechtsnatur eines Vertrags bestimmt sich danach, ob der Vertragsgegenstand dem öffentlichen oder dem bürgerlichen Recht zuzurechnen ist P: zusammengesetzte Verträge P: gemischte Verträge • Begründung, Änderung, Rechtsverhältnisses - 110 - Aufhebung eines Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Arten von Verträgen • subordinationsrechtlicher/koordinationsrechtlicher Vertrag subordinationsrechtlich = anstatt einen VA zu erlassen, § 54 S. 2 VwVfG • Vergleichsvertrag: § 55 VwVfG • Austauschvertrag: § 56 VwVfG Rechtmäßigkeit eines öffentlich-rechtlichen Vertrags • Grundsatz: Ermessen der Verwaltung hin- sichtlich Vertragsabschluss • Ausnahme: „soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen“ o Bsp.: Beamtenernennung § 10 II BBG, Einberufung zum Wehrdienst § 21 WPflG - 111 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 • Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Schriftform § 57 VwVfG eigenhändig unterschrieben, § 62 VwVfG i.V.m. § 126 II BGB auf derselben Urkunde • Zustimmung Drittbetroffener: § 58 I VwVfG • Mitwirkung anderer Behörden: § 58 II VwVfG • Wegen der Gesetzesbindung der Verwaltung darf kein Vertrag abgeschlossen werden, dessen Inhalt gesetzeswidrig ist! Fehler beim öffentlich-rechtlichen Vertrag Nichtigkeitsgrund Sonstiger Fehler • Vertrag ist unwirk- • Vertrag ist rechtsbe- sam ständig • ggf. Rückabwicklung - 112 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Prüfung der Nichtigkeit 1. Spezieller Nichtigkeitsgrund im Sinne des § 59 II VwVfG? • nur bei subordinationsrechtlichem Vertrag 2. Nichtigkeit nach § 59 I VwVfG • bei allen Verträgen, wenn sich die Nichtigkeit aus der entsprechenden Anwendung des BGB ergibt • z.B.: § 125 BGB, § 138 BGB, § 142 BGB P: § 134 BGB – Nichtigkeit bei Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot „qualifizierter Rechtsverstoß“ - 113 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger OVG Magdeburg NVwZ 2010, 396 f.: Öffentl. Abgaben dürfen grds. nur nach Maßgabe der Gesetze erhoben werden. Diese strikte Bindung an das Gesetz (Art. 20 III GG) ist im Abgabenrecht von besonderer und gesteigerter Bedeutung. Dies schließt aus, dass Abgabengläubiger und -schuldner abweichende Vereinbarungen treffen, sofern nicht das Gesetz dies ausnahmsweise gestattet. Der Grundsatz, dass die Abgabenerhebung nur nach Maßgabe der Gesetze und nicht abweichend von den gesetzlichen Regelungen aufgrund von Vereinbarungen erfolgen kann, ist für einen Rechtsstaat so fundamental und für jeden rechtlich Denkenden so einleuchtend, dass seine Verletzung als Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot zu betrachten ist, der Nichtigkeit zur Folge hat. BVerwG, Urt. v. 3.3.2011 – 3 C 19/10: Durch Vertrag begründete Pflichten dürfen grds. nicht durch den Erlass von Verwaltungsakten durchgesetzt werden, wenn nicht eine zusätzliche gesetzliche Grundlage dies erlaubt. - 114 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Kontrollfrage: Das Land L schließt mit dem Angestellten A eine Vereinbarung. In dieser verpflichtet er sich zur monatlichen Zahlung von 200,- Euro, damit er nach zwei Jahren in das Beamtenverhältnis übernommen wird. Kann er aufgrund dieses Vertrags seine Ernennung zum Beamten verlangen? - 115 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Rückabwicklung erbrachter Leistungen aufgrund eines nichtigen öffentl.-rechtl. Vertrags: Rechtsgrundlage: Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch BVerwG DVBl 2009, 782 ff.: Der Grundsatz von Treu und Glauben steht der einseitigen Rückabwicklung eines nichtigen Austauschvertrags nicht allein deshalb entgegen, weil eine erbrachte Leistung nicht mehr rückgängig zu machen ist. Es müssen vielmehr besondere, in der Person oder im Verhalten des um Erstattung begehrenden Bürgers liegende Umstände hinzutreten, die sein Rückforderungsbegehren als treuwidrig erscheinen lassen. Lektüre zum Nachbearbeiten: • Detterbeck, AVwR, Rn. 775–823 • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 83 - 116 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Weitere Handlungsformen der Verwaltung kein numerus clausus der Handlungsformen Realakte •sind nicht auf die Herbeiführung eines bestimmten rechtlichen, sondern eines tatsächlichen Erfolgs gerichtet • z. B. Instandsetzung eines Weges, Auskünfte P: Die Bundesregierung veröffentlicht eine Liste, in der sie eine Sekte als destruktiv einordnet. Kompetenz der Bundesregierung zur Warnung Vereinbarkeit mit den Grundrechten o mittelbarer Eingriff o spezielle Ermächtigungsnorm o Verhältnismäßigkeit Informelle Absprachen Lektüre zum Nachbearbeiten des schlichten Verwaltungshandelns: • Detterbeck, AVwR, Rn. 297–300, 885–890 • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 73 • Remmert JURA 2007, 736 ff. - 117 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Das Verwaltungsverfahren Entscheidungsfindungsmodus der Verwaltung „Wie“ und nicht „Was“ des Verwaltungshandelns § 9 VwVfG: Enger Verfahrensbegriff nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf den Erlass eines VA oder den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtet ist Arten von Verwaltungsverfahren • nichtförmliches Verwaltungsverfahren § 10 VwVfG einfach, zweckmäßig, zügig • förmliches Verwaltungsverfahren §§ 63 ff. VwVfG ähnlich wie ein Gerichtsverfahren • Planfeststellungsverfahren §§ 72 ff. VwVfG bei komplexen Vorhaben, bei denen eine Vielzahl von Belangen auszugleichen ist • Widerspruchsverfahren §§ 68 ff. VwGO Lektüre zum Nachbearbeiten: Sodan/Ziekow, GKÖR, § 72 Rn. 1–6 Detterbeck, AVwR, Rn. 923–938 - 118 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Zuständigkeit der Behörde sachliche örtliche instanzielle • Bauangele- • Landrats- • welche Be- genheiten amt in X hörde im • Schulangele- • Landratsgenheiten amt in Y mehrstufigen Behördenaufbau • Wenn keine Spezialnorm § 3 VwVfG Beginn des Verwaltungsverfahrens • Grundsatz: § 22 S. 1 VwVfG o Offizialprinzip, d. h. von Amts wegen o Ermessen • Ausnahmen: o Gesetzliche Pflicht zum Tätigwerden o Tätigwerden nur auf Antrag - 119 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Die am Verwaltungsverfahren teilnehmenden Personen: • Behörde = „Herrin des Verfahrens“ • Beteiligte o § 11 VwVfG: Beteiligtenfähigkeit = abstrakte Festlegung derjenigen Personen, die am Verfahren teilnehmen können. o § 12 VwVfG: Handlungsfähigkeit = bestimmt, wer zur Vornahme von Verfahrenshandlungen, z. B. zur Abgabe von Erklärungen, fähig ist. o § 13 VwVfG: Beteiligte im konkreten Fall = Nr. 1–3: kraft Gesetzes = Nr. 4: aufgrund Beschlusses verfahrensführender Behörde - 120 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Kontrollfrage: Die X-GmbH beantragt bei der zuständigen Behörde die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. Nachbar N und eine Bürgerinitiative sind damit gar nicht einverstanden. Wen wird die Behörde an dem Verfahren beteiligen? Lektüre zum Nachbearbeiten: • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 72 Rn. 7, 14–17 • Detterbeck, AVwR, Rn. 571–576, 939 f. - 121 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger §§ 20, 21 VwVfG sichern die Neutralität der Verwaltung a) § 20 VwVfG: Ausschluss kraft Gesetzes, z. B. wenn Angehöriger eines Beteiligten; Satz 2 wenn der für die Verwaltung Tätige einen unmittelbaren Vor-/Nachteil erlangen kann P: Was heißt „unmittelbar“? OVG - formale Betrachtung - Sonderinteresse Münster, Beschl. v. 17.6.2010 – 13 A 2557/09: § 20 VwVfG ist Ausdruck des bereits im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Unbefangenheitsgebotes, das sachfremde Entscheidungen im Verwaltungsverfahren verhindern soll. Dabei soll bereits der böse Schein voreingenommenen Verhaltens vermieden werden. b) § 21 VwVfG: keine Mitwirkung aufgrund Anordnung des Behördenleiters - 122 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Anhörung: • Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger § 28 VwVfG Abs. 1: Vor Erlass eines VA, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift P: auch bei begünstigendem VA? • Abs. 2: Absehen von einer Anhörung nach pflichtgemäßem Ermessen o sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug / im öffentlichen Interesse VG Meiningen, Beschl. v. 8.2.2011 – 2 K 453.09: Gefahr im Verzug i.S.d. Vorschrift liegt vor, wenn durch eine vorherige Anhörung auch bei Gewährung kürzester Anhörungsfristen ein Zeitverlust einträte, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Folge hätte, dass die durch den VA zu treffende Regelung zu spät käme, um ihren Zweck zu erreichen, was in jedem Einzelfall „ex ante“ zu beurteilen ist. o kein nachteiliges Abweichen o Allgemeinverfügung o Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung Achtung: Aufzählung ist nicht abschließend („insbesondere“)! - 123 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 • Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Abs. 3: Keine Anhörung, wenn zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen. • Heilungsmöglichkeit § 45 I Nr. 3, II VwVfG Lektüre zum Nachbearbeiten: • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 72 Rn. 18–23 • Detterbeck, AVwR, Rn. 942–952 - 124 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Zugang zu Verwaltungsinformationen Seit Inkrafttreten des VwVfG: Prinzip der be- schränkten Aktenöffentlichkeit • § 29 VwVfG: Akteneinsichtsrecht o nur Beteiligte o nur während Verwaltungsverfahren o in die das Verfahren betreffenden Akten o nur bei rechtlichem Interesse o Abs. 2: • Ansonsten: Verweigerungsgründe Gewährung der Akteneinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen bei berechtigtem Interesse. Umsetzung von EG-Recht im Bereich des Zugangs zu Umweltinformationen a) UIG Bund: § 3 I UIG: Jede Person hat Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen. BVerwG NuR 2008, 781 ff. - 125 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 - Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Der Begriff der Umweltinformationen ist weit auszulegen = auch Angaben, die die wirtschaftliche Realisierbarkeit einer umweltrelevanten Maßnahme betreffen - Weite Auslegung von „jede Person“ = auch eine Bürgerinitiative, sofern sie organisatorisch hinreichend verfestigt ist = auch Kirchengemeindeverband = auch Gemeinde, soweit ihr Selbstverwaltungsbereich berührt ist b) S. § 6 UIG zum Rechtsschutz! Saarländisches Umweltinformationsgesetz vom 3.11.2007 (SUIG) = Vollgesetz, stark an Bundesrecht angelehnt • § 1 II SUIG Anwendungsbereich: Nur gegenüber informationspflichtigen len, die dem Land zuzurechnen sind. - 126 - Stel- Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 • Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger § 3 I 1 SUIG: Jede Person hat Anspruch auf Zugang zu Umweltinformationen, ohne ein rechtliches Interesse darlegen zu müssen. BVerwG NVwZ 2010, 189: Nach § 3 I 1 UIG ist anspruchsberechtigt „jede“ Person, worunter natürliche als auch juristische Personen zu verstehen sind. Der Begriff der juristischen Person ist nicht auf Organisationen beschränkt, die sich Zielen des Umweltschutzes widmen, sondern erfasst ohne weiteres auch gewerbliche Unternehmen. • §§ 8 ff. SUIG: Ablehnungsgründe BVerwG NVwZ 2010, 189 zu § 9 I 1 Nr. 3 UIG: Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat. Betriebsge- 127 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger heimnisse umfassen i. W. technisches Wissen; Geschäftsgeheimnisse betreffen vornehmlich kaufmännisches Wissen. Ein berechtigtes Interesse an deren Nichtverbreitung besteht, wenn die Offenlegung der Informationen geeignet ist, exklusives technisches od. kaufmännisches Wissen den Marktkonkurrenten zugänglich zu machen und so die Wettbewerbsposition des Unternehmens nachteilig zu beeinflussen. • § 6 SUIG: Für Streitigkeiten nach diesem Gesetz ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Gegen die Entscheidung durch eine Stelle der öffentlichen Verwaltung ist ein Widerspruchsverfahren durchzuführen, auch wenn die Entscheidung von einer obersten Landesbehörde getroffen worden ist = Abweichung von § 68 I 2 Nr. 1 VwGO. - 128 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger 1.1.2006: Inkrafttreten des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes • § 1 IFG Grundsatz o Abs. 1: voraussetzungsloser Anspruch für jedermann P: Auch für Bürgerinitiativen o Abs. 3: grundsätzlich subsidiär gegen- über anderen Informationsansprüchen • §§ 3, 4 IFG: Ablehnung aus Gründen des öffentlichen Interesses • §§ 5, 6 IFG: Ablehnung aus Rücksichtnahme auf private Interessen • §§ 7, 8 IFG: Verfahren • § 9 IFG: Antragsablehnung, Rechtsschutz Saarländisches Informationsfreiheitsgesetz • ab 15.9.2006 • verweist im Wesentlichen auf das IFG des Bundes: „Rumpfgesetz“ - 129 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 • Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Anspruchsberechtigt: § 1 S. 1 SIFG „jeder“; S. 2 auch juristische Personen des ÖR, soweit Grundrechtsträger • § 1 S. 4 SIFG: Schulen und Bildungseinrichtungen sind nur informationspflichtig, soweit sie nicht im Bereich von Forschung, Lehre, Leistungsbeurteilungen und Prüfungen tätig werden • § 4 SIFG: Landesbeauftragter für Informationsfreiheit • § 5 SIFG: Gebühren und Auslagen Seit Ende 2006: Bundesgesetz über die Weiterverwendung von Informationen öffentlicher Stellen. Lektüre zum Nachbearbeiten: • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 72 Rn. 19–20 • Detterbeck, AVwR, Rn. 945-947 - 130 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Verwaltungsvollstreckung Verwaltungsakt hat die Funktion eines Vollstreckungstitels! Verwaltungsvollstreckung ist die zwangsweise Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen durch Verwaltungsbehörden Schlagwort: „Grundsatz der Selbstvornahme“ Rechtsgrundlagen • für Bundesbehörden VwVG des Bundes • für Landesbehörden SVwVG • Prüfe immer, ob nicht Spezialvorschriften, z. B. im SPolG! P: Wann wird eine Verfügung nach dem SVwVG und wann nach dem SPolG vollstreckt? - 131 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger § 1 III SVwVG: Die Vorschriften des SPolG zur Durchsetzung polizeilicher Verfügungen bleiben unberührt. VAe der Polizei, mit denen eine Geldleistung gefordert wird, werden nach den Vorschriften dieses Gesetzes vollstreckt. = VAe der Polizeibehörden werden nach dem SPolG vollstreckt, außer sie sind auf eine Geldleistung gerichtet. Voraussetzungen 1. VA mit einem vollstreckungsfähigen Inhalt nicht feststellend und nicht gestaltend. 2. Dieser muss unanfechtbar oder sofort vollziehbar sein. Anmerkung: Richtet sich nach der VwGO, d. h. wenn Widerspruchs- bzw. Klagefrist verstrichen oder ein Fall des § 80 II VwGO vorliegt. Beachte: Für die Vollstreckung reicht das Vorliegen eines wirksamen VA! = auch ein rechtswidriger VA kann vollstreckt werden; ein nichtiger VA ist gem. § 43 III VwVfG unwirksam und kann daher nicht als Vollstreckungstitel fungieren. - 132 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Zwei Formen der Vollstreckung • Beitreibung von Geldforderungen §§ 1 ff. BVwVG, §§ 29 ff. SVwVG o Leistungsbescheid o Fälligkeit o Grundsätzlich Mahnung • Erzwingung von Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen §§ 6 ff. BVwVG, §§ 13 ff. SVwVG Arten der Zwangsmittel o Ersatzvornahme bei vertretbaren Handlungen, auf Kosten des Pflichtigen, z. B. wenn eine Person Müll von ihrem Grundstück entfernen soll o Zwangsgeld bei Nichterfüllung einer Verpflichtung zu einer Handlung, Duldung, Unterlassung o unmittelbarer Zwang Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel (Waffen nur als ultima ratio!), z. B. Wegtragen eines Demonstranten, Aufbrechen einer Tür o Erzwingungshaft - 133 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger VG Saarland, Urt. v. 24.2.2010, Az. 5 K 531/09: zum Auswahlermessen in Bezug auf die Zwangsmittel Zwangsmittel sind Beugemittel. Sie sind nicht dazu da, den Vollzugswillen der Behörde zu dokumentieren, sondern allein dazu, den entgegenstehenden Willen des Pflichtigen zu brechen. Hieran hat sich die Auswahl unter den zur Verfügung stehenden Zwangsmitteln zu orientieren. Wie sich aus § 22 SVwVG zum unmittelbaren Zwang ergibt, müssen nicht zunächst „mildere“ Zwangsmittel angewandt werden, wenn nach Lage der Dinge Zwangsgeld oder Ersatzvornahme nicht in Betracht kommen oder keinen Erfolg versprechen oder unzweckmäßig sind. - 134 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Das Vollstreckungsverfahren: Verwaltungsvollstreckung Gestrecktes Verfahren = mehrere Schritte Sofortiger Vollzug = Schnellverfahren I. Zum gestreckten Verfahren 1. vollstreckungsfähiger GrundVA 2. Androhung § 13 VwVG/§§ 19, 22 b SVwVG • soll den Pflichtigen zur freiwilligen Befolgung des VA veranlassen P: Rechtsnatur? • Beachte hinsichtlich § 18 I 1 VwVG! - 135 - der Rechtsmittel Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger 3. Festsetzung des Zwangsmittels § 14 SVwVG • Achtung: Findet im Saarland nur bei Zwangsgeld statt (§ 20 II 1 SVwVG)! P: Rechtsnatur? 4. Anwendung des Zwangsmittels P: Rechtsnatur? a) Rspr. konstruiert oftmals eine konkludente Duldungsverfügung. b) Lit. ist dagegen für Realakt, d. h. rein tatsächlichen Vorgang. - 136 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger OVG Saarland, NVwZ 2009, 602 hins. § 10 I Nr. 4 SVwVG: Bei einer Ersatzvornahme kann es geboten sein, mit der Anwendung dieses Zwangsmittels zuzuwarten, wenn sich abzeichnet, dass sich der Pflichtige doch noch entschließt, die durchzusetzende Anordnung zu erfüllen. Die Behörde kann einen weiteren Aufschub ablehnen, wenn im Zeitpunkt des Beginns der Ersatzvornahme eine den Aufschub der Vollstreckung rechtfertigende Befolgung der Anordnung auch mit Blick auf die Vorgeschichte nicht zu erwarten ist. Gestrecktes Verfahren 1. Grund-VA • vollstreckungsfähig, insb. nicht nichtig • vollstreckbar 2. Androhung 3. Festsetzung • im Saarland nur beim Zwangsgeld 4. Anwendung - 137 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger II. Zum Sofortvollzug • § 6 II VwVG • § 18 II SVwVG: Verwaltungszwang kann ohne vorausgehenden VA angewendet werden, wenn der sofortige Vollzug zur Abwendung einer unmittelbar drohenden Gefahr notwendig ist und die Behörde innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse handelt. P: Rechtsnatur? Sofortvollzug 1. Grund-VA nicht vorhanden, aber: • unmittelbar drohende Gefahr und • Rechtmäßigkeit eines fiktiven Grund-VA 2. keine Androhung 3. sofortige Anwendung Lektüre zum Nachbearbeiten: • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 80 • Detterbeck, AVwR, Rn. 1005–1016, 1028–1045 • Gröpl, Landesrecht Saarland– Studienbuch, § 2 Rn. 62 ff. - 138 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Abschließendes Fallbeispiel: Die zuständige Behörde untersagt K sofort vollziehbar den Betrieb eines Seniorenheims. Mit weiterem Bescheid wird ihm für den Fall der Zuwiderhandlung die Schließung des Heims und seine Versiegelung angedroht. Ist diese Maßnahme rechtmäßig? - 139 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Verwaltungsorganisationsrecht = Gesamtheit der rechtlichen Regelungen, die sich mit dem Aufbau, den Einrichtungen und Zuständigkeiten der Verwaltungsbehörden befassen. Einige Grundbegriffe des Organisationsrechts: Verwaltungsträger • ist das Zurechnungssubjekt von Rechten und Pflichten rechtsfähig • z. B. Bund, Land, Gemeinde, rechtsfähige Anstalt Bildung von Organen • Ihnen wird die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben des Verwaltungsträgers zugewiesen, sie sind in ihrem Bestand von den jeweils handelnden Menschen unabhängig. • z. B. Gemeindevertretung Organwalter • Menschen, welche die dem Organ zugewiesenen Aufgaben tatsächlich wahrnehmen. • z. B. einzelner Gemeinderat - 140 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Aufsicht • Wegen des Demokratieprinzips müssen Einwirkungsmöglichkeiten auf alle Stellen der Verwaltung bestehen. • Beobachtung, Begleitung und Beeinflussung des Beaufsichtigten durch generelle oder im Einzelfall wirkende Maßnahmen des Auf- sichtsführenden. Arten der Aufsicht Fachaufsicht Rechtsaufsicht o Kontrolle der o Lediglich Überprü- Recht- und fung der Recht- Zweckmäßigkeit mäßigkeit von der Verwaltungsent- Verwaltungsent- scheidungen scheidungen o in Selbstverwaltungsangelegenheiten - 141 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Verwaltungsaufbau I. Allgemeines Man unterscheidet zwischen der unmittelbaren und mittelbaren Staatsverwaltung. • Unmittelbare: Gemeint ist durch bundes- bzw. landeseigene Behörden • Mittelbare: Erfolgt durch verselbständigte Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öR o Bsp.: Gemeinde, rechtsfähige Anstalt Verhältnis zwischen Bundes- und Landesverwaltung: Grundsätzlich gilt das Verbot der Mischverwaltung. - 142 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger BVerfG NVwZ 2009, 171 ff.: Insbesondere gebietet das Rechtsstaatsprinzip eine hinreichend klare und in sich widersprüchliche Bestimmung der Verwaltungszuständigkeit. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Kompetenzverteilung der Art. 30 und Art. 83 ff. GG, die eine wichtige Ausformung des bundesstaatlichen Prinzips und zugleich ein Element zusätzlicher Gewaltenteilung ist. Nach den Art. 83 ff. GG sind die Verwaltungen des Bundes und die Verwaltungen der Länder zwar grds. organisatorisch und funktionell getrennt. Die genannten Regelungen lassen jedoch auch erkennen, dass die Verwaltungsbereiche von Bund und Ländern nicht starr voneinander geschieden sind. Ein Zusammenwirken von Bund und Ländern bei der Verwaltung ist in vielfältiger Form vorgesehen. Aber: Weisungs- und Mitentscheidungsbefugnisse, die von den im GG für den jeweiligen Sachbereich vorgegebenen Verwaltungstypen abweichen, sind daher unzulässig. - 143 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Beachte: Einführung des Art. 91e Abs. 1 GG: „Bei der Ausführung von Bundesgesetzen auf dem Gebiet der Grundsicherung für Arbeitssuchende wirken Bund und Länder oder die nach Landesrecht zuständigen Gemeinden und Gemeindeverbände in der Regel in gemeinsamen Einrichtungen zusammen.“ Zuständigkeit der Landesverwaltung - für den Vollzug der Landesgesetze - für den Vollzug der Bundesgesetze als eigene Angelegenheit (Art. 84 GG) - für den Vollzug der Bundesgesetze im Auftrag des Bundes (Art. 85 GG) BVerfGE 126, 77 ff.: Bei der Bundesauftragsverwaltung bedürfen bundesgesetzliche Regelungen zur Einrichtung der Behörden der Zustimmung des Bundes dient dem Schutz der Verwaltungshoheit der Länder. Bundesregelungen zum Verwaltungsverfahren sind nicht zustimmungspflichtig. S. den Wortlaut. Die Bundesauftragsverwaltung zeichnet - 144 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger sich dadurch aus, dass den Ländern schon nach der Ausgestaltung dieses Verwaltungstyps in Art. 85 GG nur die Wahrnehmungskompetenz uneingeschränkt zusteht. Die Sachkompetenz ist ihnen von vornherein nur unter dem Vorbehalt zugewiesen, dass nicht der Bund die konkurrierende Sachkompetenz in Anspruch nimmt, die ihm nach Art. 85 Abs. 3 GG in Gestalt einer umfassenden Weisungsbefugnis zusteht. II. Aufbau der Landesverwaltung • In den meisten Bundesländern 3-stufig: 1. Ministerium 2. Mittelbehörde Regierungspräsidium, Bezirksregierung 3. Untere Verwaltungsbehörde • Im Saarland: Art. 112 S. 1 SVerf: Die Organisation der allgemeinen Staatsverwaltung und die Regelung der Zuständigkeiten erfolgen durch Gesetz. - 145 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger (= organisatorischer Gesetzesvorbehalt). S. 2: Die Einrichtung der Behörden im einzelnen obliegt der Landesregierung und den ermächtigten Ministern. Maßgeblich ist das Landesorganisationsgesetz (LOG), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18.10.2010! Oberste Landesbehörden §§ 3, 4 LOG: Landesregierung, Ministerpräsident, Ministerien Landesämter § 7 LOG: Sie sind den obersten Behörden unmit- telbar nachgeordnet, für das gesamte Gebiet zuständig, ohne dass ihnen untere Landesbehörden nachgeordnet sind z.B.: Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz Landesamt für Verfassungsschutz Landesverwaltungsamt - Sitz in St. Ingbert - Zentralisierte Aufsicht über alle saarländischen Kommunen, s. § 128 I KSVG - Ist zentrale Bußgeldbehörde Achtung: Das Landesamt für Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz wurde in das Landesamt für - 146 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Soziales und das Landesamt für Gesundheit und Verbraucherschutz „aufgesplittet“. Landesmittelbehörden § 6 LOG: Sie sind der obersten Behörde unmittel- bar nachgeordnet, es folgt die untere Behörde, z.B.: Oberbergamt. Untere Landesbehörden § 8 LOG: Abs. 1 Definitionen Abs. Landräte, Regionalverbandsdirektor als untere Behörde, Bergamt SB, Finanzämter o Achtung: Der Landrat hat eine janusköpfige Stellung. – Organ des Landkreises erfüllt Kreisaufgaben; da Selbstverwaltung nur Rechtsaufsicht – Organ des Landes wird als untere staatliche Verwaltungsbehörde und damit für das Land tätig = er wird nicht, wie sonst üblich, im Namen des Landkreises, - 147 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger sondern des Landes tätig! = hier weitergehende Aufsichtsbefugnisse des Landes! Merke: Die Bergverwaltung ist die einzige Verwaltung im Saarland, die dreistufig aufgebaut ist! In allen anderen Bereichen zweistufiger Aufbau. Lektüre zum Nachbearbeiten: • Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 58 Rn. 1 f., 5-111, § 59 • Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 175-225 • Gröpl, Landesrecht Saarland – Studienbuch, § 2 Rn. 3 ff. - 148 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger III. Mittelbare Staatsverwaltung • Erledigung von Verwaltungsaufgaben durch gegenüber dem Staat verselbständigte Verwaltungsträger. • Körperschaften o Errichtung durch oder aufgrund Gesetzes o „Mitglieder“ - Gebietskörperschaften z. B. Gemeinde - Personalkörperschaften z. B. Rechtsanwaltskammer • Realkörperschaften Anstalten o Zusammenfassung von Sach- und Personalmitteln zur Verfolgung eines bestimmten Zwecks „Benutzer“ • Stiftungen o rechtsfähige Verwaltungseinheit, der die Verwaltung eines bestimmten Vermögens zu einem bestimmten öffentlichen Zweck obliegt „Nutznießer“ - 149 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Gemeinden im Saarland: Gehören als Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts zur mittelbaren Staatsverwaltung. Zweigeteiltes Aufgabenspektrum: • Wahrnehmung örtlicher Selbstverwaltungsangelegenheiten in eigener Verantwortung s. Art. 117, 118 SVerf Art. 122 SVerf: Die Gemeinden und Gemeindeverbände unterstehen der Aufsicht des Staates. In Selbstverwaltungsangelegenheiten sich die Aufsicht auf die beschränkt Sicherstellung der Rechtmäßigkeit. • Im Selbstverwaltungsbereich nur Rechtsaufsicht gemäß § 127 I KSVG, d. h. ob Tätigwerden im Einklang mit den Gesetzen. • Wahrnehmung von Auftragsangelegenheiten – dann regelmäßig Fachaufsicht = Kontrolle der Recht- und Zweckmäßigkeit des Tätigwerdens. • Zuständig für die Kommunalaufsicht ist seit 2008 das Landesverwaltungsamt in St. Ingbert, § 128 I KSVG. - 150 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger IV. Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch Private • Beliehener o Person des Privatrechts, die zur Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben durch/aufgrund Gesetz mit Hoheitsbefugnissen ausgestattet ist. o Handelt ggü dem Bürger im eigenen Namen! o Bsp. § 33 I PostG: Ein Lizenznehmer, der Briefzustellungsdienstleistungen erbringt, ist verpflichtet Schriftstücke unabhängig von ihrem Gewicht nach den prozessualen Vorschriften zuzustellen. Im Umfang dieser Verpflichtung ist er mit Hoheitsbefugnissen ausgestattet. BVerwG NVwZ 2011, 368 ff.: Es entspricht allgemeiner Überzeugung, dass eine Beleihung nur durch oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen darf. Dies findet seine Grundlage zunächst in Art. 33 Abs. 4 GG, demzufolge hoheitliche Befugnisse in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen sind. Die Beleihung Privater - 151 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger stellt auch unabhängig hiervon eine Maßnahme der Staatsorganisation dar, die vom Regelbild der Verfassungsordnung abweicht und dabei die Verfassungsgrundsätze des Rechtsstaats- und Demokratiegebots berührt. Auch deshalb ist sie dem Gesetzgeber vorbehalten. 1.Gesetzliche Regelung zum „Ob“ der Beleihung: Der Gesetzgeber muss beurteilen, ob für eine Indienstnahme Privater Gründe sprechen, die gewichtiger sind als der Ertrag, den die Rechtsgüter des Art. 33 Abs. 4 GG, das Rechtsstaats- oder Demokratiegebot erleiden. 2. Zum „Wie“ der Beleihung: Auch Modalitäten der einzelnen Beleihung können derart wesentlich sein, dass sie der Entscheidung des Gesetzgebers vorbehalten sind. Was in diesem Sinne wesentlich ist, lässt sich nicht allgemein feststellen. Maßgeblich ist jeweils, ob und in welchem Maße die Grundsätze des Staatsorganisationsrechts oder andere Verfassungsgrundsätze betroffen sind. - 152 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 • Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Verwaltungshelfer o Handelt im Auftrag und nach Weisung einer Behörde. o Bsp. Schülerlotse Lektüre zum Nachbearbeiten: • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 60 Rn. 1-3, 26-32 • Detterbeck, AVwR, Rn. 175-225 - 153 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Kontrollfrage: B ist als Gewerbetreibender kraft Gesetzes Mitglied der Industrie- und Handelskammer. Als er von dieser zur Zahlung von Mitgliedsbeiträgen herangezogen wird, fragt er sich, ob diese „Zwangsmitgliedschaft“ verfas- sungsgemäß ist. Lesenswert: • VG Stuttgart, Urt. v. 7.4.2011 – 4 K 5039/10, zu einem Plakat der IHK Region Stuttgart mit der Beschriftung „S 21, mehr Jobs, mehr Tempo, mehr Stadt, mehr Zukunft“ - 154 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Öffentliche Sachen Dienen unmittelbar einem öffentlichen Zweck. Haben aufgrund eines besonderen Rechtsakts einen öffentlich-rechtlichen Status erhalten. Widmung tatsächliche Indienststellung Realakt, z. B. Eröffnung Schwimmbad Arten: • Öffentl. Sachen im Verwaltungsgebrauch • Öffentl. Sachen im Zivilgebrauch Widmung Hoheitlicher Rechtsakt zur Bestimmung des öffentlichen Zwecks. Erfolgt in den unterschiedlichsten Rechtsformen. § 6 Abs. 1 SaarlStrG: Widmung ist die Verfügung, durch die die Straße die Eigenschaft einer „öffentlichen“ Straße erhält. - 155 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Folgen der Widmung: Die Gegenstände bleiben grundsätzlich im privaten Eigentum. Aber: § 11 SaarlStrG: Dem Träger der Straßenbaulast steht die Ausübung der Rechte und Pflichten des Eigentümers in dem Umfang zu, wie es die Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs erfordert. OVG Saarland: Eigentümer beanstandet zunehmenden Durchgangsverkehr. Da sich dieser auf den Gemeingebrauch auswirkt, obliegt es aber nicht dem Eigentümer, sondern dem Baulastträger, die auf ihn übergegangenen Abwehrrechte des Eigentümers auszuüben, um die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs aufrechtzuerhalten bzw. wiederherzustellen. Der Widmungsakt begründet eine öffentlichrechtliche Dienstbarkeit. - 156 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Gemeingebrauch Infolge der Widmung wird die öffentliche Sache einer unbeschränkten Öffentlichkeit unmittelbar und ohne besonderen Zulassungsakt zur zweckbestimmten Nutzung zugänglich gemacht. § 14 I 1 SaarlStrG: „Der Gebrauch der öffentlichen Straßen ist jedermann im Rahmen der Widmung und der Straßenverkehrsvorschriften innerhalb der verkehrsüblichen Grenzen gestattet.“ Sondernutzung: § 18 I 1 SaarlStrG: Die Benutzung der Straßen über den Gemeingebrauch hinaus ist Sondernutzung: Sie bedarf der Erlaubnis der Straßenbaubehörde. OVG Saarl., KommJuR 2009, 19 ff.: Allgemein anerkannt ist in diesem Zusammenhang, dass dem Gemeingebrauch an einer Straße durch deren bau- und verkehrstechnische Beschaffenheit Grenzen gezogen werden und ein Verkehr, der diese Grenzen überschreitet, sich als Sondernutzung darstellt. - 157 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Über deren Erteilung entscheidet die Verwaltung grundsätzlich nach ihrem Ermessen. Oft Ermessensreduzierung infolge der Grundrechte (z. B. Art. 5 Abs. 3 GG bei Straßenkunst, Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG bei Presseerzeugnissen). OVG Saarl., SKZ 2009, 114 ff.: - Die Bedeutung von Wahlen für einen demokratischen Staat und die Bedeutung der Parteien für solche Wahlen schränken das behördliche Ermessen bei der Entscheidung über die Erlaubnis zum Aufstellen von Wahlplakaten durch Parteien in so erheblichem Umfange ein, dass jedenfalls für den Regelfall ein Anspruch auf Erlaubniserteilung besteht. - Der Anspruch ist anerkanntermaßen auf die heiße Wahlkampfphase beschränkt, zu der die letzten sechs Wochen vor dem Wahltermin gerechnet werden können. In welcher Weise die Gemeinden dem Gebot auf Einräumung von Stellplätzen für Werbetafeln in einem für die Selbstdarstellung der jeweiligen Partei notwendi- 158 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger gen und angemessenen Umfang Rechnung tragen, ist ihre Sache. Es muss aber sichergestellt sein, dass die Parteien angemessene und wirksame Wahlwerbemöglichkeiten haben. __________ Fallbeispiel: A stellt seinen PKW schräg an einer Gemeindestraße auf, so dass er mit seiner grellen Werbeaufschrift für jedermann sichtbar ist. Das Auto steht fünf Wochen in dieser Position. Handelt es sich hierbei um eine Sondernutzung? - 159 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Anliegergebrauch Anlieger sind auf eine stärkere Nutzung der Straße angewiesen (z. B. Aufstellen Mülltonne). Soweit die angemessene Nutzung eines Anliegergrundstücks die Inanspruchnahme der Straße erfordert, wird der Anliegergebrauch von den dazu erlassenen einfachgesetzlichen Rechtsvorschriften (= Ausformung des Art. 14 Abs. 1 GG) geschützt. Lektüre zum Nachbearbeiten: • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 84 Rn. 1–5, 12–25 • Detterbeck, AVwR, Rn. 961–1003 - 160 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Die öffentlich-rechtliche Geschäftsführung ohne Auftrag Wenn eine Person für eine andere Person ein Rechtsgeschäft tätigt, ohne von dieser beauftragt oder sonst berechtigt zu sein. P: Abgrenzung zur privatrechtl. GoA 1. Öffentliches Recht, wenn der Geschäftsführer öffentlich-rechtlich handelt. 2. Öffentliches Recht, wenn der Geschäftsherr öffentlich-rechtlich gehandelt hätte. 3. Abstellen auf den Handlungszusammenhang. Achtung: Auf das Institut der GoA darf nur zurückgegriffen werden, wenn es keine abschließende gesetzliche Regelung gibt! - 161 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Verschiedene Konstellationen: • Hoheitsträger Hoheitsträger Eine Inanspruchnahme aus GoA wird wegen der gesetzlichen Zuständigkeiten abgelehnt. Ausnahme: • Echte Notfälle. Hoheitsträger Bürger Auch hier wird die GoA meistens für unanwendbar gehalten, weil diese keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage bietet. • Bürger Hoheitsträger Gegenargumente: o Infragestellung der Kompetenzordnung. o Verwaltung darf die Prioritäten selbst setzen. Ausnahme: Dringlichkeitsfälle - 162 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Kontrollfrage: Die Feuerwehr löscht das brennende Haus des B. Nach dem Einsatz fragt sich der Träger der Feuerwehr, ob er von B Ersatz seiner Aufwendungen verlangen kann, obwohl es hierfür keine gesetzliche Grundlage gibt. Lektüre zum Nachbearbeiten: • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 90 Rn. 1–8 - 163 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger • Detterbeck, Allg. VerwR, Rn. 1279–1295 - 164 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch Zielt auf die Rückgängigmachung einer ohne Rechtsgrund erlangten Vermögensverschiebung im öffentlichen Recht. Anspruchsgrundlage: • Teilweise spezialgesetzlich geregelt, z. B. § 49 a I VwVfG • Sonst: Ungeschriebenes Rechtsinstitut Ableitung ist umstritten: o Analog §§ 812 ff. BGB o Gesetzmäßigkeit der Verwaltung o Grundrechte o Gewohnheitsrecht - 165 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger BVerwG NVwZ 2008, 1369: In der Rspr. ist geklärt, dass es sich bei dem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch um ein aus Grundsätzen des Verwaltungsrechts, insbes. der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, abgeleitetes eigenständiges Rechtsinstitut des ÖR handelt, dessen Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen, soweit sie nicht spezialgesetzlich geregelt sind, denen des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs entsprechen. Ausnahmen gelten nur, wenn den §§ 812 ff. eine abweichende Interessenbewertung zu Grunde liegt, die in das ÖR nicht übertragbar ist. Voraussetzungen: • Öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehung • Vermögensverschiebung • Ohne Rechtsgrund Rechtsfolge: • Herausgabe des Erlangten - 166 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 • Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Berufen auf Entreicherung? o Staat: Nein! o Bürger: Parallele zu § 49 a II VwVfG Nein, wenn er die Umstände hinsichtlich des fehlenden Rechtsgrunds kannte bzw. infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Geltendmachung des Erstattungsanspruchs • Kehrseitentheorie • Im Übrigen: Umstände des Einzelfalls - 167 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Fall: An den Landkreis K wurden öffentlich- rechtliche Gelder abgeführt, die nach inzwischen geklärter Rechtslage dem Land zustehen. Kann K dem Rückforderungsbegehren entgegenhalten, dass die Gelder verbraucht wurden? Lektüre zum Nachbearbeiten: • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 90 Rn. 9–15 • Detterbeck, Allg. VerwR, Rn. 1235–1261 - 168 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger BVerwG NVwZ 2008, 212: Auch beim öffentlich-rechtlichen Erstattungsan- spruch erfolgt wie im Zivilrecht der Erstattungsanspruch grundsätzlich nur innerhalb des jeweiligen Leistungsverhältnisses. Die steuerrechtliche Beurteilung ist davon grundsätzlich zu trennen und betrifft allein das Verhältnis des jeweiligen Steuerschuldners zu den Steuerbehörden. - 169 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch Ziel: Wiederherstellung des früheren Zustands AGL: Ungeschriebenes Rechtsinstitut, dessen dogmatische Herleitung umstritten ist: • Rechtsstaatsprinzip, Gesetzmäßigkeit • Grundrechte • Analog §§ 812, 862, 1004 BGB • Richter-/Gewohnheitsrecht Voraussetzungen: • Öffentlich-rechtliches Handeln • Eingriff in ein subjektives öffentliches Recht • Schaffung eines rechtswidrigen, noch andauernden Zustands • Unmittelbare Folge des öffentlich-rechtlichen Handelns - 170 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 • Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Wiederherstellung möglich und zumutbar Rechtsfolge: Wiederherstellung kein Anspruch auf Geld P: Berücksichtigung mitwirkenden Verschuldens VG Berlin NVwZ 2009, 124 ff.: Der FBA leitet sich insbesondere aus dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten ab. Seine Voraussetzungen sind, dass durch einen hoheitlichen Eingriff in ein subjektives Recht ein rechtswidriger Zustand geschaffen wurde und dieser Zustand noch andauert. Der Anspruch richtet sich dann auf die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands durch Beseitigung der Folgen des rechtswidrigen Verwaltungshandelns, wobei die Wiederherstellung des früheren Zustands noch tatsächlich möglich, rechtlich zulässig und für die Verwaltung zumutbar sein muss. - 171 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Im Fall: Rechtswidrige Abschiebung – Folgenbeseitigung durch Gestattung der Wiedereinreise in das Bundesgebiet. Lektüre zum Nachbearbeiten: • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 89 • Detterbeck, Allg. VerwR, Rn. 1201–1234 - 172 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Fallbeispiel: G hat ein Grundstück mit exotischen Blumen angelegt. Bei Straßenbauarbeiten werden ohne sein Wissen Materialien auf dem Grundstück abgelegt und die Blumen zerstört. Kann G von der öffentlichen Hand Wiederherstellung verlangen? Zum öffentlich-rechtlichen Unterlassungsan- spruch: Bei Altglascontainer in Wohngebiet: OVG Koblenz, BauR 2010, 1907 ff.: Mit einem solchen Anspruch, dessen Grundlage sich aus einem grundrechtlichen Abwehranspruch oder einer analogen Anwendung des § 1004 BGB ergibt, kann sich der Betroffene gegen eine Beeinträchti- 173 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger gung zur Wehr setzen, die Folge eines schlichthoheitlichen Handelns der Verwaltung ist und sich als unzumutbar erweist. BVerwG, Beschl. v. 11.11.2010 – 7 B 54/10 zu Anspruch auf Unterlassen einer amtlichen Äußerung: Der allgemein anerkannte öffentlich-rechtliche Anspruch auf zukünftige Unterlassung einer getätigten Äußerung setzt voraus, dass - ein rechtswidriger hoheitlicher Eingriff - in grundrechtliche geschützte Rechtspositionen oder sonstige subjektive Rechte des Betroffenen erfolgt ist - die konkrete Gefahr der Wiederholung droht. In der Rspr. ist geklärt, dass sich amtliche Äußerungen an den allgemeinen Grundsätzen für rechtsstaatliches Verhalten in der Ausprägung des Willkürverbots und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu orientieren haben = Sachlichkeitsgebot. - 174 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Die Amtshaftung Rechtsgrundlage: Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB • Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes o Öffentlich-rechtliche Tätigkeit o Beamter im haftungsrechtlichen Sinne alle Personen, die eine öffentlich- rechtliche Tätigkeit wahrnehmen auch Gemeinderäte P: Polizei schaltet privatrechtlich beauftragten Abschleppunternehmer dazwischen BVerwG NVwZ 2011, 368 ff. Es entspricht mittlerweile allgemeiner Ansicht, die Anwendung des Art. 34 S. 1 GG auf Beliehene zu erstrecken. Auch ein Beliehener handelt i. S. d. Vor- 175 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger schrift als jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes unter Einsatz hoheitlicher Befugnisse. Die Erstreckung findet ihren Grund in der Erwägung, dass es für den Geschädigten keinen Unterschied machen dürfe, ob der Schaden durch hoheitliches Handeln eines öffentlichen Bediensteten oder eines beliehenen Privaten verursacht wird. In beiden Fällen soll ihm die Überleitung der Einstandspflicht auf den Staat eine genügende Haftungsgrundlage sichern. BGH VersR 2010, 768 ff.: Ob sich das Handeln einer Person als Ausübung eines öffentlichen Amtes darstellt, bestimmt sich danach, ob die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn der Betreffende tätig wurde, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist und ob zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die Handlung ebenfalls noch dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden muss. Dabei ist nicht auf die Person des Handelnden, son- 176 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger dern auf seine Funktion, d. h. auf die Aufgabe, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit dient, abzustellen. Die ärztliche Heilbehandlung von Kranken ist regelmäßig keine Ausübung eines öffentlichen Amtes. Ausnahme: Tätigkeit eines Durchgangsarztes hins. der Entscheidung, ob eine besondere unfallmedizinische oder Berufskrankheiten-Versorgung einzuleiten ist, da er eine der Berufsgenossenschaft obliegende Pflicht erfüllt. o Nicht bloß bei Gelegenheit BGH, Urt. v. 14.5.2009: Ob sich das Handeln einer Person als Ausübung eines öffentlichen Amtes darstellt, bestimmt sich danach, ob die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn der Betreffende tätig wird, hoheitlicher Tätigkeit zugehört und ob zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die Handlung - 177 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger ebenfalls noch dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden muss. Dabei ist nicht auf die Person des Handelnden, sondern auf seine Funktion abzustellen, d. h. auf die Aufgabe, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall auszuübende Tätigkeit dient. • Verletzung einer Amtspflicht im Innenverhältnis zum Staat, die zugleich dem Schutz des geschädigten Dritten dient. BGHZ 187, 151 ff.: Im Baugenehmigungsverfahren obliegen der Gemeinde bei der Verweigerung ihres gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 Abs. 1 BauGB keine den Bauwilligen schützenden Amtspflichten, wenn die Baugenehmigungsbehörde nach § 36 Abs. 2 S. 3 BauGB i. V. m. landesrechtlichen Vorschriften das rechtswidrig verweigerte Einvernehmen ersetzen kann. • Kausalität der Amtspflichtverletzung für den Schaden. - 178 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger • Verschulden hins. Amtspflichtverletzung. • Keine Ausschlussgründe o § 839 I 2 BGB: Bei fahrlässigem Verhal- ten nur, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu verlangen mag. P: Verkehrsteilnahme o § 839 II BGB: Richter haften nur, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. BGH NJW 2011, 1072 ff: Das Richterspruchprivileg des § 839 II 1 BGB erfasst auch prozessleitende Maßnahmen, die objektiv darauf gerichtet sind, die Rechtssache durch Urteil zu entscheiden, also die Grundlagen für die Sachentscheidung zu gewinnen. Auch außerhalb dieses Anwendungsbereichs ist der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit zu beachten = Prozessführung wird nur auf Vertretbarkeit hin überprüft. Bei der Würdigung, ob dem Richter pflichtwidrige Verzöge- 179 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger rungen anzulasten sind (s. § 839 II 2 BGB), ist zu beachten, dass sich bei zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet. Der Zeitfaktor ist aber auch bei langer Verfahrensdauer nicht der allein entscheidende Maßstab. o § 839 III BGB: Vorrang des Primär- rechtsschutzes o BGH DÖV 2007, 1018: Die Amtshaftung kann ohne besondere gesetzliche Grundlage nicht durch eine gemeindliche Satzung beschränkt werden. Rechtsfolge • Schadensersatz in Geld • U.U. Schmerzensgeld § 253 BGB • § 254 BGB bei mitwirkendem Verschulden - 180 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger BGH NJW-RR 2010, 167: Um seinen Funktionen der Genugtuung, der Sanktion und der Prävention – in dem Sinne, dass der Staat dazu angehalten wird, menschenunwürdige Haftbedingungen zu vermeiden oder alsbald zu beseitigen – wirksam wahrnehmen zu können, muss der Geldentschädigungsanspruch für den ersatzpflichtigen Staat spürbare Auswirkungen haben. Daran fehlte es vielfach, wenn die Erfüllung des Geldentschädigungsanspruchs im Wege der Aufrechnung mit einer Gegenforderung auf Erstattung offener Strafverfahrenskosten herbeigeführt werden könnte. Problem: Anspruchsgegner • Anstellungstheorie • Funktionstheorie • Anvertrauenstheorie Art. 34 S. 3 GG: Geltendmachung des Anspruchs im ordentlichen Rechtsweg. - 181 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Beachte Art. 34 S. 2 GG: Rückgriff des Staates gegen den handelnden Beamten nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit. BVerwG NVwZ 2011, 368 ff.: Dahinter stehen zwei Zwecke. Zum einen soll die Entschlussfreude des Amtsträgers gestärkt und damit die Effektivität des hoheitlichen Handelns gefördert werden. Zum anderen wird der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Bediensteten Rechnung getragen = Letzteres passt nicht bei Handeln von Privatpersonen in öffentlichrechtlicher Eigenschaft. Daher gilt bei diesen Art. 34 S. 2 GG nicht. Lektüre zum Nachbearbeiten: • Sodan/Ziekow, GKÖR, § 86 • Detterbeck, Allg. VerwR, Rn. 1053–1107 - 182 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger LG Wiesbaden KommJuR 2009, 154 ff.: - Weil die Sicherung eines einmal eröffneten Verkehrs dem Verkehrssicherungspflichtigen möglich und zumutbar sein muss, genügt eine Gemeinde ihrer Verkehrssicherungspflicht, wenn sie potenzielle Gefahrenstellen in der Laubzeit in regelmäßigen Abständen reinigen lässt. Eine Pflicht zur täglichen Entfernung von Laub besteht schon aus fiskalischen Gründen nicht. - Das Vorhandensein von Laub muss jeder Passant zum Anlass nehmen, sich mit besonderer Vorsicht fortzubewegen. - Dass Bordsteinkanten an Fußgängerüberwegen unterschiedlich stark abgesenkt sind, stellt eine gewöhnliche und weit verbreitete Erscheinung dar, auf die sich jeder Fußgänger einzustellen hat. - 183 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Kontrollfrage: Polizist P nimmt mit Billigung seines Dienstherrn seine Dienstwaffe mit nach Hause und legt sie auf der Kommode ab. Unbemerkt nimmt sein Sohn die Pistole und schießt mit ihr auf seinen Spielkameraden K. Steht K ein Amtshaftungsanspruch zu? Zur Staatshaftung der Mitgliedstaaten wegen Verletzung des Gemeinschaftsrechts, BGHZ 181, 199 ff. Eine Haftung des Mitgliedstaats kommt in Betracht, wenn - er gegen eine Gemeinschaftsrechtsvorschrift verstoßen hat, deren Zweck darauf gerichtet ist, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, + - der Verstoß hinreichend qualifiziert ist, + - 184 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 - Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger zwischen diesem Verstoß und dem dem Einzelnen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht. Es ist umstritten, ob a) die Anspruchsgrundlage sich direkt aus dem Gemeinschaftsrecht ergibt und b) die europäischen Vorgaben in den nationalen Amtshaftungsanspruch hineinzulesen sind, wobei z. B. an die Stelle des Verschuldens der hinreichend qualifizierte Verstoß tritt. Nationale Rechtsvorschriften, etwa zur Verjährung des Anspruchs, können ergänzend herangezogen werden, wenn - der Äquivalenzgrundsatz gewahrt wird und - die Effektivität des Gemeinschaftsrechts nicht beeinträchtigt wird. - 185 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Verletzt der Mitgliedstaat das Gemeinschaftsrecht, indem er über mehrere Jahre die volle Umsetzung einer Richtlinie unterlässt, beginnt die Verjährungsfrist nicht erst in dem Moment, in dem der Mitgliedstaat seinen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht beendet hat. - 186 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Entschädigungsansprüche Ziel: Angemessene Entschädigung. Anders als beim Schadensersatz kein Ersatz des entgangenen Gewinns! Enteignungsentschädigung • Art. 14 III GG regelt, unter welchen Voraussetzungen eine Enteignung möglich ist. • Problem: Abgrenzung zur Inhalts- und Schrankenbestimmung o Enteignung: vollständiger bzw. teilweiser Entzug einer durch Art. 14 I GG geschützten Rechtsposition. o Bei der Inhalts- und Schrankenbestimmung werden demgegenüber generell und abstrakt die Rechte und Pflichten des Eigentümers festgelegt. - 187 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger BVerfGE 126, 331 ff.: Mit der Enteignung greift der Staat auf das Eigentum des Einzelnen zu. Diese ist beschränkt auf solche Fälle, in denen Güter hoheitlich beschafft werden, mit denen ein konkretes, der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienendes Vorhaben durchgeführt werden soll. • Voraussetzung der Enteignung: o Nur zum Wohle der Allgemeinheit o Ultima ratio/Verhältnismäßigkeit o Gesetzliche Grundlage o Junktimklausel: Gesetzgeber muss Art und Ausmaß der Entschädigung selbst regeln. Ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung • Wenn keine Enteignung, sondern generell abstrakte Ausgestaltung des Eigentums. - 188 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 • Wegen Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 II GG) sind Beschränkungen grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmen. • Ausnahme: Einzelne Personen werden unverhältnismäßig belastet! • Vorrangig sind Ausnahmen, nur subsidiär Entschädigung. Frage: Um welchen Entschädigungsanspruch handelt es sich bei § 19 III WHG a.F.? Abs. 2: In den Wasserschutzgebieten können bestimmte Handlungen verboten oder für nur beschränkt zulässig erklärt werden, sowie die Eigentümer und Nutzungsberechtigten von Grundstücken zur Duldung bestimmter Maßnahmen verpflichtet werden. Abs. 3: Stellt eine Anordnung nach Abs. 2 eine Enteignung dar, so ist dafür eine Entschädigung zu leisten. - 189 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Enteignungsgleicher/Enteignender Eingriff Enteignungsgleicher Enteignender Eingriff Eingriff Bei rechtswidrigem Bei atypischen Folgen Staatshandeln, wenn rechtmäßigen Staats- Sonderopfer. handelns. Herleitung: • BGH früher: Art. 14 III GG Wurde von BVerfG verworfen. • Heute: o Aufopferungsgedanke in seiner richterrechtlichen Ausformung (§§ 74, 75 Einl. PreußALR). o Gewohnheitsrecht - 190 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Achtung: Diese Entschädigungsansprüche gewähren keinen vollen Schadensausgleich, sondern lediglich eine „angemessene Entschädigung“. = Entschädigung für den Substanzverlust Entschädigung wegen enteignungsgleichen Eingriffs BGH: Ein Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff setzt voraus, dass rechtswidrig in eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition von hoher Hand unmittelbar eingegriffen wird, die hoheitliche Maßnahme also unmittelbar eine Beeinträchtigung des Eigentums herbeiführt, und dem Berechtigten dadurch ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit auferlegt wird. - 191 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger • Durch Art. 14 I GG geschützte Rechtsposition. • Eingriff o Hoheitliches Handeln o Rechtswidrigkeit o Gemeinwohlmotivation o Unmittelbarkeit • Sonderopfer Wird durch Rechtswidrigkeit indiziert! • Kein Ausschluss durch Mitverschulden. Unterlassen von Rechtsschutzmaßnahmen? Entschädigung wegen enteignenden Eingriffs SaarlOLG, Urt. v. 19.4.2011: Das Rechtsinstitut des enteignenden Eingriffs betrifft Fallgestaltungen, bei denen eine an sich rechtmäßige hoheitliche Maßnahme auf eine Rechtsposition des Eigentümers einwirkt und zu Nebenfolgen und Nachteilen führt, die die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren überschreiten. Der Entschädigungsanspruch setzt anders als der sog. enteignungsgleiche Eingriff eine rechtmäßige - 192 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger hoheitliche Maßnahme voraus. Das Sonderopfer ist das für den enteignenden Eingriff prägende Tatbestandsmerkmal. Während für rechtswidrige Eingriffe ohne Rücksicht auf den Grad und die Intensität der Rechtswidrigkeit Entschädigung verlangt werden kann, ist das bei rechtmäßigen Eingriffen nur möglich, wenn die Einwirkungen eine bestimmte Opferschwelle überschreiten. Die Opferschwelle bestimmt sich in wertender Betrachtung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls. • Eigentumsbeeinträchtigung • Rechtmäßige hoheitliche Maßnahme • • Gemeinwohlmotivation Unmittelbarkeit Sonderopfer Unzumutbare Nachteile Schwere Kein Ausschluss durch Mitverschulden. - 193 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Fall: Autofahrer A bringt sein Auto zur Abgasuntersuchung zum TÜV. Als er seinen Wagen abholt, bleibt dieser wenige Meter nach Verlassen des Geländes mit einem Getriebeschaden liegen. Schadensursache ist das mehrfache Beschleunigen des Motors während der ASU. Kann A Entschädigung verlangen? Lektüre zum Nachbearbeiten: • Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 87 - 194 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Aufopferungsanspruch • Wenn immaterielle Rechtsgüter beeinträchtigt werden. • Anspruchsgrundlage: 1. Spezialgesetzliche Ausformung? 2. Ansonsten Rückgriff auf das Richterrecht! o Öffentlich-rechtliches Handeln o Eingriff in immaterielles Recht, d. h. Leben, Gesundheit, körperliche Bewegungsfreiheit Unmittelbarkeit Gemeinwohlmotivation o Sonderopfer o Mitverschulden - 195 - Allgemeines Verwaltungsrecht Sommersemester 2011 Univ.-Prof. Dr. Annette Guckelberger Fall: S weigert sich, am Stufenbarren mitzuturnen. Seine Sportlehrerin bezeichnet ihn deshalb vor den anderen als Versager. S unternimmt daher einen Versuch und bricht sich den Arm. Kann er Entschädigung wegen Aufopferung verlangen? Lektüre zum Nachbearbeiten: • Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, § 88 - 196 -