Instruktionstexte - Weißensee Verlag Berlin

Transcription

Instruktionstexte - Weißensee Verlag Berlin
Nicole Neckermann
Instruktionstexte
Normativ-theoretische Anforderungen und empirische Strukturen
am Beispiel des Kommunikationsmittels Telefon
im 19. und 20. Jahrhundert
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Neckermann, Nicole:
Instruktionstexte : normativ-theoretische Anforderungen und empirische
Strukturen am Beispiel des Kommunikationsmittels Telefon im 19. und
20. Jahrhundert / Nicole Neckermann. - Berlin : Weißensee-Verl., 2001
Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., 2000
ISBN 3-934479-43-X
Gedruckt auf holz- und säurefreiem Papier, 100 % chlorfrei gebleicht.
© Weißensee Verlag, Berlin 2001
www.weissensee-verlag.de
e-Mail: [email protected]
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag: Chili Grafik-Design, Berlin, unter Verwendung eines Bildes aus der
„Anweisung zur Benutzung der Fernsprecheinrichtungen“ des Berliner Telefonbuches von 1881 (Quelle: Museum für Post und Kommunikation, Berlin)
Printed in Germany
ISBN 3-934479-43-X
Vorwort
Vorwort
Diese Untersuchung wurde in den Jahren 1996 bis 1999 am Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität Berlin durchgeführt.
Ich möchte mich an dieser Stelle bei meinem Doktorvater Prof. Dr. Franz
Simmler für seine Betreuung und umfassende Unterstützung dieser Dissertation, die Bereitstellung von Informationsmaterial sowie für kritische und konstruktive Anmerkungen bedanken. Auch meinem Zweitgutachter Prof. Dr.
Norbert Dittmar gilt für seine ausführliche Auseinandersetzung mit meiner Arbeit
mein Dank.
Diese Arbeit wäre weiterhin nicht ohne die Unterstützung verschiedener Unternehmen, Institutionen und Privatpersonen möglich gewesen. Die verschiedenen
Ansprechpartner bei der Deutschen Telekom, der DeTeWe, der SEL Alcatel,
der FMN-Fernmeldetechnik GmbH, dem Siemens-Museum München, den
Postmuseen in Berlin und Frankfurt, dem Museum für Verkehr und Technik, den
Mitgliedern der Sammler- und Interessen-Gemeinschaft für das historische
Fernmeldewesen e.V. sowie Dr. Clemens Schwender haben durch die Zusendung von verschiedenen Texten und informative Gespräche einen wichtigen
Beitrag zur Arbeit geleistet. Diese Arbeit wurde außerdem in den Jahren 1996
bis 1998 durch ein Stipendium der Stiftung der Deutschen Wirtschaft für Qualifizierung und Kooperation e.V. gefördert.
Nicht zuletzt möchte ich für kritische Diskussionen, unbegrenzte Geduld und unermüdliches Korrekturlesen besonders Dr. Christina Erdmann, Norbert Fuchs,
Anke Gillner, Swantje Küttner, Dr. Arthur Pelchen und Uta Wagner danken.
Bei den in dieser Arbeit genannten Firmen und Produkten erfolgen keine weiteren Hinweise auf Warenzeichen und sonstige Schutzrechte. Aus dem Fehlen
eines solchen Hinweises kann nicht geschlossen werden, daß der betreffende
Name frei sei. Weiterhin wird aus Gründen der Lesbarkeit die Unterscheidung
männlicher und weiblicher Formen vermieden. Dabei sind z.B. mit dem Begriff
„Mitarbeiter“ selbstverständlich auch Mitarbeiterinnen eingeschlossen.
Ich wünsche allen Lesern eine interessante und aufschlußreiche Lektüre.
Berlin, im Januar 2001
i
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
Inhaltsverzeichnis
1 Problemstellung, Zielsetzung und Methode............................................... 1
1.1 Problemstellung ....................................................................................... 1
1.1.1 Die Bedeutung von Instruktionstexten ........................................... 1
1.1.2 Verständlichkeitsforschung: Begriff und Forschungsansätze zur
Textverständlichkeit....................................................................... 2
1.1.3 Textsorten- und Fachsprachenforschung:
Klassifizierungsansätze und Textbeschreibung ............................. 3
1.1.4 Schlußfolgerung ............................................................................ 5
1.2 Ziele der Arbeit ........................................................................................ 6
1.3 Methodik .................................................................................................. 6
1.3.1 Auswahl des Untersuchungsgegenstandes ................................... 6
1.3.2 Wahl der Untersuchungsmethode ................................................. 7
1.3.3 Gliederung der Arbeit .................................................................... 7
2 Textsortenuntersuchungen in der wissenschaftlichen Literatur............ 10
2.1 Begriffsdefinitionen ................................................................................ 10
2.1.1 Fachsprache versus Gemeinsprache .......................................... 10
2.1.2 Einordnung der Instruktionstexte in die horizontale Gliederung
von Fachsprachen ....................................................................... 11
2.1.3 Einordnung der Instruktionstexte in die vertikale Schichtung von
Fachsprachen.............................................................................. 11
2.1.4 Textdefinition ............................................................................... 13
2.1.5 Anforderungen an eine Texttypologie .......................................... 14
2.1.6 Textsortendefinition ..................................................................... 16
2.1.7 Externe Variablen ........................................................................ 17
2.1.8 Makrostruktur, Initiator und Terminator........................................ 17
2.1.9 Textteil und Teiltext ..................................................................... 18
2.1.10 Text-Bild-Kombinationen ............................................................. 18
2.1.11 „Hypertext“ und „Hypermedia“ ..................................................... 19
2.2 Übersicht über bisherige Ansätze zur Textsortenklassifizierung ............ 21
2.2.1 Der Begriff der Instruktion............................................................ 21
2.2.2 GÖPFERICH: Klassifizierung von technischen Fachtexten ............. 23
2.2.3 GLÄSER: Klassifizierung von schriftlichen Fachtextsorten............. 28
2.2.4 MÖHN: Klassifizierung von Instruktionstexten............................... 31
2.2.5 Der Sammelbegriff „Technische Dokumentation“ ........................ 33
2.2.6 Auseinandersetzung mit den bisherigen
Klassifizierungsansätzen ............................................................. 35
2.3 Ermittlung der zu untersuchenden Textsorten........................................ 36
2.3.1 Produktbegleitende bzw. produktgebundene Texte, Anleitungen. 37
ii
Inhaltsverzeichnis
2.3.2 Aufklärungstext, Ratgeber, Testbericht und popularisierender
Zeitschriftenartikel....................................................................... 37
2.3.3 Lehrbuch ..................................................................................... 38
2.3.4 Technischer Werbetext und Produktinformation.......................... 39
2.3.5 Sachbuch .................................................................................... 40
2.3.6 Untersuchungskorpus ................................................................. 40
2.4 Textsortenmerkmale.............................................................................. 41
2.4.1 Die Textsorte Bedienungsanleitung............................................. 41
2.4.2 Die Textsorte Testbericht ............................................................ 46
2.4.3 Die Textsorte Ratgeber ............................................................... 47
2.5 Zusammenfassung ................................................................................ 48
3 Normativ-theoretische Anforderungen an Instruktionstexte.................. 49
3.1 Interdisziplinarität der Anforderungen .................................................... 49
3.2 Allgemeine theoretische Voraussetzungen............................................ 50
3.2.1 Leser- und Lernermerkmale ........................................................ 50
3.2.2 Leser-Text-Interaktion ................................................................. 51
3.2.3 Das menschliche Gedächtnis...................................................... 51
3.2.4 Wissensrepräsentation ............................................................... 53
3.2.5 Verarbeitungsebenen bei der Textrezeption................................ 54
3.2.6 Wissensvermittlung und Erwerb von Fertigkeiten........................ 56
3.2.7 Bewertung................................................................................... 58
3.3 Textaufbau und -struktur........................................................................ 59
3.3.1 Textsequenzierung und Inhaltsauswahl ...................................... 60
3.3.2 Allgemeiner Aufbau..................................................................... 61
3.3.3 Zusammenfassungen und Advance Organizers.......................... 62
3.3.4 Überschriften und Gliederung ..................................................... 63
3.3.5 Typographische Merkmale .......................................................... 64
3.3.6 Marginalien ................................................................................. 65
3.3.7 Bewertung................................................................................... 65
3.4 Syntaktische und lexikalische Merkmale ............................................... 66
3.4.1 Wahrnehmungsprozeß Lesen ..................................................... 66
3.4.2 Satzbau....................................................................................... 67
3.4.3 Terminologie ............................................................................... 68
3.4.4 Bewertung................................................................................... 69
3.5 Text-Bild-Kombinationen ....................................................................... 71
3.5.1 Komplementarität von Text-Bild-Informationen............................ 71
3.5.2 Informationstransfer bei Text- und Bild-Anleitungen.................... 72
3.5.3 Anordnung, Verknüpfung und Funktion von Text-BildKombinationen ............................................................................ 74
3.5.4 Bewertung................................................................................... 75
iii
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
3.6 Bilder ..................................................................................................... 76
3.6.1 Einteilung von Abbildern .............................................................. 76
3.6.2 Illustrationsarten .......................................................................... 77
3.6.3 Bildkomposition ........................................................................... 77
3.6.4 Bildstörungen .............................................................................. 78
3.6.5 Bewertung ................................................................................... 79
3.7 Rechtliche Anforderungen an Bedienungsanleitungen ........................... 79
3.7.1 Gesetzliche Vorschriften und Rechtsprechung ............................ 79
3.7.2 Normen ....................................................................................... 80
3.7.3 Bewertung ................................................................................... 82
3.8 Hypertext ............................................................................................... 83
3.8.1 Desorientierung und kognitive Überlast ....................................... 83
3.8.2 Bewertung ................................................................................... 84
3.9 Zusammenfassung ................................................................................ 85
4 Untersuchungsgegenstand und Methodik ............................................... 87
4.1 Auswahl und Abgrenzung der Textexemplare ........................................ 87
4.1.1 Geschichtliche Entwicklung und Zukunftsperspektiven des
Telefons ...................................................................................... 87
4.1.2 Abgrenzung der zu untersuchenden Textexemplare.................... 89
4.2 Untersuchungskriterien bei der empirischen Auswertung ...................... 95
4.2.1 Externe Merkmale ....................................................................... 95
4.2.2 Makrostrukturelle Analyse ........................................................... 95
4.2.3 Text-Bild-Kombinationen ............................................................. 95
4.2.4 Überschriften ............................................................................... 98
4.2.5 Syntax ......................................................................................... 99
4.2.6 Satzglieder und lexikalische Merkmale ...................................... 101
4.2.7 Vorgehen bei der empirischen Auswertung ............................... 102
4.3 Zusammenfassung .............................................................................. 104
5 Empirische Analyse ................................................................................. 106
5.1 Bedienungsanleitungen........................................................................ 106
5.1.1 Externe Merkmale ..................................................................... 106
5.1.2 Makrostrukturelle Merkmale ...................................................... 106
5.1.3 Text-Bild-Kombinationen ........................................................... 108
5.1.4 Überschriften ............................................................................. 118
5.1.5 Syntax ....................................................................................... 122
5.1.6 Satzglieder und lexikalische Merkmale ...................................... 129
5.1.7 Zusammenfassung .................................................................... 137
5.2 Bedienungsanleitungen in Telefonbüchern .......................................... 139
5.2.1 Externe Merkmale ..................................................................... 139
iv
Inhaltsverzeichnis
5.2.2
5.2.3
5.2.4
5.2.5
5.2.6
5.2.7
Makrostrukturelle Merkmale...................................................... 139
Text-Bild-Kombinationen ........................................................... 148
Überschriften............................................................................. 151
Syntax....................................................................................... 157
Satzglieder und lexikalische Merkmale ..................................... 170
Zusammenfassung.................................................................... 177
5.3 Elektronische Hilfetexte ....................................................................... 179
5.3.1 Externe Merkmale ..................................................................... 179
5.3.2 Makrostrukturelle Merkmale...................................................... 179
5.3.3 Text-Bild-Kombinationen ........................................................... 182
5.3.4 Überschriften............................................................................. 184
5.3.5 Syntax....................................................................................... 186
5.3.6 Satzglieder und lexikalische Merkmale ..................................... 190
5.3.7 Zusammenfassung.................................................................... 193
5.4 Testberichte......................................................................................... 195
5.4.1 Externe Merkmale ..................................................................... 195
5.4.2 Makrostrukturelle Merkmale...................................................... 195
5.4.3 Text-Bild-Kombinationen ........................................................... 199
5.4.4 Überschriften............................................................................. 203
5.4.5 Syntax....................................................................................... 207
5.4.6 Satzglieder und lexikalische Merkmale ..................................... 214
5.4.7 Zusammenfassung.................................................................... 221
5.5 Ratgeber.............................................................................................. 222
5.5.1 Externe Merkmale ..................................................................... 222
5.5.2 Makrostrukturelle Merkmale der Ratgeber in Zeitschriften ........ 224
5.5.3 Makrostrukturelle Merkmale der Ratgeberbücher ..................... 227
5.5.4 Text-Bild-Kombinationen in Ratgebern in Zeitschriften.............. 228
5.5.5 Text-Bild-Kombinationen in Ratgeberbüchern ........................... 232
5.5.6 Überschriften in Ratgebern in Zeitschriften ............................... 238
5.5.7 Überschriften in Ratgeberbüchern............................................. 241
5.5.8 Syntax der Ratgeber in Zeitschriften ......................................... 244
5.5.9 Syntax der Ratgeberbücher....................................................... 252
5.5.10 Satzglieder und lexikalische Merkmale der Ratgeber in
Zeitschriften .............................................................................. 258
5.5.11 Satzglieder und lexikalische Merkmale der Ratgeberbücher ..... 264
5.5.12 Zusammenfassung.................................................................... 270
5.6 Vergleich der Textsorten...................................................................... 273
5.6.1 Externe Merkmale ..................................................................... 273
5.6.2 Allgemeine makrostrukturelle Merkmale ................................... 273
5.6.3 Text-Bild-Kombinationen ........................................................... 276
5.6.4 Überschriften............................................................................. 281
v
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
5.6.5 Syntax im Textkorpus nach den Überschriften........................... 285
5.6.6 Satzglieder und lexikalische Merkmale ...................................... 292
5.7 Zusammenfassung .............................................................................. 299
6 Textsortentypologie ................................................................................. 305
6.1 Ermittlung der Textsortentypologie und der Textsorten ........................ 305
6.1.1 Textsortentypologie ................................................................... 305
6.1.2 Klassifizierung der Textsorten ................................................... 308
6.1.3 Die Textsortentypologie im Vergleich mit bisherigen
Textsorteneinteilungen und Textsortenmerkmalen .................... 315
6.2 Sprachliche und visuelle Umsetzung der theoretischen
Anforderungen ..................................................................................... 319
6.2.1 Bedienungsanleitungen ............................................................. 319
6.2.2 Aufklärungstexte........................................................................ 322
6.2.3 Ratgeberbücher......................................................................... 323
6.2.4 Textsortenspezifische Anforderungsprofile ................................ 325
6.3 Zusammenfassung .............................................................................. 326
7 Anhang...................................................................................................... 327
7.1 Abbildung ausgewählter Textexemplare............................................... 327
7.1.1 Bedienungsanleitungen G ......................................................... 327
7.1.2 Bedienungsanleitungen B.......................................................... 331
7.1.3 Testberichte T ........................................................................... 333
7.1.4 Ratgeber AR.............................................................................. 336
7.1.5 Ratgeberbücher R ..................................................................... 338
7.2 Abbildungsverzeichnis ......................................................................... 342
7.3 Tabellenverzeichnis ............................................................................. 347
7.4 Abkürzungsverzeichnis ........................................................................ 350
8 Literaturverzeichnis ................................................................................. 351
8.1 Titelabkürzungen der angeführten Zeitschriften ................................... 351
8.2 Materialgrundlage ................................................................................ 352
8.2.1 Bedienungsanleitung G ............................................................. 352
8.2.2 Bedienungsanleitung B.............................................................. 352
8.2.3 Bedienungsanleitung H.............................................................. 353
8.2.4 Testbericht T ............................................................................. 353
8.2.5 Ratgeber in Zeitschriften AR...................................................... 353
8.2.6 Ratgeberbücher R ..................................................................... 354
8.3 Literaturverzeichnis.............................................................................. 355
vi
Problemstellung, Zielsetzung und Methode
1 Problemstellung, Zielsetzung und
Methode
1.1 Problemstellung
1.1.1 Die Bedeutung von Instruktionstexten
In einer Welt, in der die Komplexität und Fülle technischer Produkte in immer
stärkerem Maße zunimmt, erlangen schriftlich fixierte Instruktionstexte wie z.B.
Bedienungsanleitungen, Betriebsanweisungen oder Testberichte eine immer
höhere Bedeutung. Entsprechende Texte in Papier- oder elektronischer Form
bieten die notwendigen Entscheidungs- und Instruktionshilfen für den Erwerb
sowie den sachgerechten Umgang und die effiziente Nutzung der entsprechenden Geräte.
Insbesondere für komplexe, computergesteuerte Geräte und Maschinen liegen
die Bedienungs- und Hilfetexte nicht mehr in Papierform, sondern als Bestandteil des Programms vor. So ist z.B. heute bei PC-Programmen die Einbindung
von Querverweisen in Form von Hypertext möglich, bei dem mit einem einfachen Mausklick auf ein Wort zu einem weiteren erklärenden Text gewechselt
wird. Weiterhin existieren Lernprogramme, die den Benutzer in die Bedienung
verschiedener Programme einführen, sowie Hilfefunktionen, Ratgeber oder
Assistenten, die den Benutzer unterstützen.
Gerade in den letzten Jahren sind die Anforderungen sowohl von Anwendern
als auch von Herstellern an die entsprechenden Texte gestiegen. Die Ursachen
hierfür finden sich in den unterschiedlichsten Bereichen, z.B. der Verschärfung
oder Neuschaffung gesetzlicher Regelungen, der Entstehung von weltweit anerkannten Empfehlungen zur Standardisierung und den gesteigerten Erwartungen
der Käufer und Nutzer entsprechender Texte.
Solche Texte stellen hier neben Schulungen und anderen Maßnahmen ein sehr
wichtiges Instrument dar, mit dem Anwender eine Hilfestellung in Auswahl und
Umgang mit modernen Technologien angeboten werden kann. Unzureichende
Texte, vor allem im Bereich der Bedienungsanleitung, haben häufig Kundenunzufriedenheit, Reklamationen und finanzielle Einbußen für den Hersteller zur
Folge. Diese betriebswirtschaftliche Erkenntnis hat dazu geführt, daß inzwischen auch Hersteller auf die Gestaltung dieser Texte einen immer größeren
Wert legen.
Daneben werden besonders Bedienungsanleitungen von der Wirtschaft zunehmend als Marketinginstrument eingesetzt. Informationen z.B. über Zusatzgeräte
fließen in Bedienungsanleitungen ein und verlangen daher möglichst ansprechende, gut verständliche Bedienungsanleitungen, um diese Marketingstrategie
zu unterstützen.1 Auch das Produkthaftungsgesetz2 hat entscheidend dazu
1
Hahn 1989, S. 86; Hahn 1991, S. 86; Budde 1990, S. 78f.; Bönsch 1986, S. 346f.; Hammer
1987, S. 52
1
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
geführt, daß einer Bedienungsanleitung durch den Hersteller besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muß. Ein Hersteller ist laut Produkthaftungsgesetz trotz aller aufgewandter Sorgfalt bei der Erstellung einer Bedienungsanleitung haftbar, wenn diese fehlerhaft oder mißverständlich ist.
1.1.2 Verständlichkeitsforschung: Begriff und Forschungsansätze zur Textverständlichkeit
Instruktionstexte haben die Aufgabe, Wissen zu vermitteln und den Benutzer bei
der Wissensaneignung durch produktbeschreibende und tätigkeitsleitende
Darstellungen zu unterstützen. Die Problematik entsprechender Texte liegt vor
allem im Bereich der (Text-)Verständlichkeit und den damit zusammenhängenden Schwierigkeiten, den potentiellen Käufer, Leser und Gerätenutzer zur
Kenntnisnahme, Lektüre und Anwendung zu motivieren. Bis heute zeigen Umfragen, daß Leser von Bedienungsanleitungen diese als schwer verständlich
einschätzen.3 Als Gründe für diese Schwerverständlichkeit werden häufig eine
unübersichtliche Textgliederung, zu komplexe technische Zeichnungen und
Bilder, die fehlende Eindeutigkeit von Text-Bild-Zuordnungen oder eine für den
Laien nicht verständliche Fachsprache genannt.4
Das Wissen um die Schwächen dieser Texte und die Notwendigkeit, sie den
neuen steigenden Anforderungen durch Hersteller und Benutzer anzupassen,
hat dazu geführt, daß sich unterschiedlichste Wissenschaftsdisziplinen mit der
Gestaltung und Klassifizierung entsprechender Texte auseinandersetzen. Darüber hinaus sind eine Reihe von normativ-theoretischen Anforderungen bekannt, die Aspekte bezüglich des Text- und Bildverständnisses des Lesers und
der daraus resultierenden sprachlichen und visuellen Anforderungen untersuchen und formulieren.
Die vielen mit dieser Thematik beschäftigten Forschungszweige werden häufig
unter der Rubrik „Verständlichkeitsforschung“ subsumiert. Dieser Begriff ist
jedoch heute nur eine Sammelbezeichnung für zum Teil sehr unterschiedliche
Forschungsbereiche mit entsprechend divergierenden Theorien und Methoden.
Zu diesen Forschungsbereichen gehören u.a. die Fachrichtungen Linguistik,
Psycholinguistik, Kognitionspsychologie, Künstliche-Intelligenz-Forschung, Rhetorik. Weiterhin gibt es rechtliche Anforderungen sowie nationale und internationale Normen.
Fast alle Forschungszweige greifen auf Methoden und Beschreibungskriterien
aus dem eigenen Forschungsbereich zurück, um sprachliche und visuelle Anforderungen aufzustellen.5 Diese Beschreibungskriterien der unterschiedlichen
Bereiche liefern allerdings häufig keine mit sprachwissenschaftlichen Methoden
nachvollziehbaren und meßbaren Kriterien zur empirischen Untersuchung von
Texten. Der oben angeführte Vorwurf der „Schwerverständlichkeit“ entsprechender Texte kann daher weder praktisch bewiesen noch widerlegt werden.
2
3
4
5
2
Das Produkthaftungsgesetz, im BGB veröffentlicht, ist 1990 in Kraft getreten.
Müller / Schniedewind 1998, S. 12
Untersuchung zu technischen Fachtexten von Schmalen 1990; Schmalen 1994.
Die wichtigsten dieser Ansätze werden in Kap. 3 vorgestellt und besprochen.
Problemstellung, Zielsetzung und Methode
Daneben existieren durch die häufige Beschäftigung mit einzelnen Teilaspekten
zur Verbesserung von Text- und Bildverständnis wenige systematische Zusammenstellungen entsprechender Kriterien, die sprachliche und visuelle Anforderungen auf allen Ebenen der Textgestaltung berücksichtigen. Dies führt dazu,
daß eine alle Textebenen erfassende empirische Untersuchung der praktischen
Umsetzung der theoretischen Anforderungen in Instruktionstexten bisher kaum
bzw. nur für wenige ausgewählte Texte erfolgt ist.
1.1.3 Textsorten- und Fachsprachenforschung:
Klassifizierungsansätze und Textbeschreibung
In den letzten Jahren erfolgte durch die Textsorten- und Fachsprachenforschung vermehrt der Versuch der Einordnung und Klassifizierung von sogenannten Gebrauchstexten in verschiedene Textsorten.6 Der Begriff des Gebrauchstextes orientiert sich an ROLF, der Gebrauchstexte wie folgt von literarischen Texten abgrenzt: „Gebrauchstexte dienen der intramundanen Problemlösung, literarische Texte sind gewissermaßen extramundan, sie sind welterschließender Art. Gebrauchstexte haben, mit anderen Worten, so etwas wie
einen Funktionswert, literarische Texte aber haben einen Eigenwert.“7
Der Untersuchungsgegenstand der Fachsprachenforschung war lange Jahre
überwiegend die Fachlexik und eingeschränkter die Fachsyntax. Erst in den
80er Jahren fand eine Hinwendung zur Textebene und zur Berücksichtigung von
Texttypen und Textsorten statt.8 Aufgrund der Methodenvielfalt zur Klassifizierung und Beschreibung von Texten innerhalb der Textlinguistik und Fachsprachenforschung zeigten sich hier ähnliche Probleme wie bei dem Versuch,
theoretische Anforderungen an Instruktionstexte systematisch zu erfassen.9
Bereits bei der Klassifizierung gleicher Textexemplare führt die unterschiedliche
Bezeichnung gleicher Klassifizierungsmerkmale oder Hierarchisierungsebenen
zu kaum vergleichbaren Untersuchungsergebnissen. So werden z.B. Gebrauchsanleitungen oder Bedienungsanleitungen in der stärker praxisorientierten Fachliteratur unter Bezeichnungen wie „Tätigkeitsleitende Texte“10, oder
„Technische Dokumentation“11 subsumiert. Daneben findet aus dem Bereich der
Textsorten- und Fachsprachenforschung eine Unterordnung von Gebrauchsanleitungen oder Bedienungsanweisungen u.a. unter Instruktionen12, informierende Texte,13 Texte mit Appellfunktion14, ergotrope Texte15, direktive Textsorten16 oder didaktisch-instruktive Texte17 statt.
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
Baumann 1995, S. 19f.
Rolf 1993, S. 128
Siehe zusammenfassend dazu Baumann 1995, S. 21f., Göpferich 1994, S. 1f., Hoffmann
1987, S. 91f., Skiba 1998
Simmler 1998, S. 736f.
Hacker 1990, S. 33
Hoffmann 1990, S. 11
Wehrlich 1975, S. 30
Schmidt 1981, S. 83
Brinker 1983, S. 139
Isenberg 1984, S. 266
Rolf 1993 S. 233
3
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
Ähnlich heterogene Ergebnisse wie bei den Klassifizierungs- und Typologisierungsversuchen zeigen sich bei den empirischen Untersuchungen, die textsortenspezifische Merkmale ermitteln. Unter den Arbeiten, die sich mit Instruktionstexten auseinandersetzen, sind insbesondere die Untersuchungen von GROSSE /
MENTRUP 1982, MÖHN / PELKA 1984 bzw. MÖHN 1991, GLÄSER 1979 bzw. 1990,
SCHULDT 1992, KLAUKE 1993, GÖPFERICH 1995, BUSCH-LAUER 1995 zu nennen.
Diese Untersuchungen werden jedoch auf der Basis divergierender Untersuchungsansätze bzw. Textsortendefinitionen durchgeführt, die durch das
Herangehen mit einem jeweils unterschiedlichen Merkmalkanon zu nur schwer
vergleichbaren Ergebnissen führen.
Weiterhin findet bei empirischen Untersuchungen eine starke Beschäftigung mit
Detailproblemen statt; dabei konzentrieren sich die Autoren auf spezielle
sprachliche Merkmale vor allem auf der Wortebene. Zu nennen sind hier z.B.
die Arbeiten von BORNETO / CORTELAZZO 1988, HENSEL 1989, DONCEVA 1990,
JAHR 1991. Andere textsortenspezifische und für die Ermittlung von Textsortenmerkmalen relevante Elemente wie Text-Bild-Kombinationen dabei werden fast
immer ausgeklammert.
Im Rahmen sprachwissenschaftlicher Untersuchungen werden in den Text
eingebettete Bilder vermehrt als Bestandteil des Textes angesehen.18 Die Bedeutung von Text-Bild-Kombinationen für das Textverständnis wird ebenfalls betont, jedoch liegen nur wenige sprachwissenschaftliche Untersuchungen vor, die
sich mit einer systematischen Erfassung von Text-Bild-Kombinationen beschäftigen.19 Einige der wenigen sprachwissenschaftlichen Untersuchungen zu TextBild-Kombinationen stammen von SIMMLER 1991, SIMMLER 1993, SIMMLER 1997,
MUCKENHAUPT 1981 und 1986, KLAUKE 1993.20
Die gewählten Ansätze genügen damit häufig nicht der Notwendigkeit einer textlinguistischen Klassifizierung, bei der distinktive Einheiten von der makro-strukturellen bis zur Wortebene zur Aufstellung eines Merkmalkanons und einer entsprechenden Merkmalshierarchie ermittelt werden.21 Untersuchungen zu Bedienungs- und Hilfetexten elektronischer Medien liegen fast nicht vor. Es kann
bisher nicht geklärt werden, ob die Texte unter bekannte Textsorten gefaßt
werden können oder ob aufgrund der spezifischen Merkmale dieser Texte eine
oder mehrere neue Textsorten angesetzt werden müssen.
Darüber hinaus finden sich vor allem produktbeschreibende Instruktionstexte
schon in den vergangenen Jahrzehnten, die vermutlich erste deutschsprachige
17
18
19
20
21
4
Göpferich 1995, S. 124
Simmler 1996, S. 613
Kalverkämper 1993, S. 215
Simmler beschäftigt sich mit Lehrbüchern (1991), der Zeitungssprache mit dem Ansatz einer spezifischen Textsortenvariante Text-Bild-Kombination (1993A) und mit der Textsortenvariante „Text-Bild-Kombination“ der Textsorte „Meldung“ (1997). Muckenhaupt (1981 und
1986) untersucht Fernsehnachrichten, Klauke (1993) berücksichtigt bei seiner Fachtextsortenuntersuchung die Text-Bild-Kombinationen in englischsprachigen Betriebs- und Wartungsanleitungen.
Simmler 1993B, S. 360
Problemstellung, Zielsetzung und Methode
„Bedienungsanleitung“ ist das „Feuerwerksbuch“ von 1420.22 Aus sprachhistorischer Sicht bietet es sich an, entsprechende historische Texte zu untersuchen,
um in einem diachronen Sprachvergleich Entwicklungstendenzen wie z.B. die
zunehmenden Verwendung von Text-Bild-Kombinationen23 oder bestimmter
syntaktischer Strukturen zur Handlungsaufforderung festzustellen. Gerade in
diesem Forschungsbereich, der Aufschluß über die Entstehung heute
gebräuchlicher Textsorten und deren spezifischen Merkmalen liefern kann,
liegen jedoch ebenfalls fast keine Untersuchungen vor.
1.1.4 Schlußfolgerung
Insgesamt lassen sich sowohl bei dem Versuch, sprachliche und visuelle Anforderungen an Instruktionstexte zu formulieren, als auch bei dem Versuch einer
Klassifizierung und Beschreibung dieser Texte erhebliche Defizite in der Systematik feststellen.
Auch führen die uneinheitlichen Analysekriterien, die den einzelnen Textsortenuntersuchungen zugrunde liegen, dazu, daß die Ergebnisse weitgehend nicht
miteinander verglichen werden können. Bei empirischen Untersuchungen werden nicht alle, sondern nur einige Untersuchungsebenen berücksichtigt, so vor
allem im Bereich der Wortebene. Dadurch wird der empirisch ermittelte Merkmalkanon lückenhaft und unvollständig. Daneben sind die Analyseergebnisse
durch die Untersuchung von einzelnen Texten oder statistisch nicht relevanten
Textkorpora eher als illustrierende Beobachtungen denn als empirisch verwertbare Ergebnisse zu sehen.24
Die fehlende Vergleichbarkeit der Einzeluntersuchungen führt dazu, daß die
Textsorten nicht zueinander in Beziehung gesetzt und gegeneinander abgegrenzt werden können. Eine Einteilung der verschiedenen Texte in unterschiedliche Textsorten und die Entwicklung einer strukturierten Typologie der einzelnen Textsorten ist nicht möglich. Durch die unterschiedliche Methodik führen
Klassifikationsversuche zu einer Vielzahl heterogener Ergebnisse. Daneben
finden sich wenige und nur unzureichende empirische Untersuchungen, die sich
mit der Umsetzung der theoretischen Anforderungen beschäftigen und konkrete
überprüfbare sprachliche und visuelle Anforderungen formulieren.
Große Defizite zeigen sich im Bereich der Untersuchungen zu elektronischen
Bedienungs- und Hilfetexten. Hier liegen kaum Ergebnisse zu deren spezifischer Struktur bzw. zu Einordnungsmöglichkeiten dieser Texte unter bekannte
oder neue Textsorten vor. Untersuchungen, die in einem diachronen Sprachvergleich Gemeinsamkeiten und Unterschiede heutiger und historischer Instruktionstexte herausarbeiten sowie auf Entwicklungstendenzen eingehen, sind
ebenfalls selten.
22
23
24
Zum Feuerwerksbuch siehe Plaumann 1997. Eine der wenigen Arbeiten, die sich mit der
Geschichte und Entwicklung von Gebrauchsanweisungen auseinandersetzt, stammt von
Schwender 1997.
Einen kurzen geschichtlichen Überblick über den Einsatz von Bildern liefert Eberleh 1990.
Fluck 1991, S. 208; Skiba 1998
5
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
1.2 Ziele der Arbeit
Aus den Forschungsdesideraten zu den Anforderungen an Instruktionstexte
sowie deren Klassifizierung lassen sich für die hier vorliegende Arbeit folgende
Erkenntnisziele ableiten:
1. Die Durchführung einer Textsortenuntersuchung zur Ermittlung einer Textsortentypologie auf empirischer Basis. Dafür wird zunächst im Vorfeld ein
Merkmalkanon auf der Basis bisher durchgeführter Textsortenanalysen bzw.
fachsprachlicher Untersuchungen zu Instruktionstexten erstellt und mit Hilfe
einer empirischen Textsortenuntersuchung die Korrektheit der bestehenden
Differenzierung der Instruktionstexte überprüft. Mit einbezogen werden hier
erstmals elektronische Hilfetexte. In einem zweiten Schritt werden fehlende
Merkmale ergänzt, die Differenzierung korrigiert bzw. erweitert oder eingeengt.
2. Die parallele Durchführung einer systematischen empirischen Untersuchung
der sprachlichen und visuellen Umsetzung der normativ-theoretischen Anforderungen. Dazu werden zunächst die an Instruktionstexte gestellten Anforderungen zusammengestellt und unter sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkten bewertet. Gleichzeitig werden daraus die zu untersuchenden Merkmale für die empirische Untersuchung abgeleitet. Auf die empirische Untersuchung aufbauend wird überprüft, inwieweit die Anforderungen tatsächlich
umgesetzt werden bzw. wo Grenzen der Umsetzbarkeit gegeben sind.
3. Beide Untersuchungsschritte werden synchron und diachron durchgeführt,
d.h. es werden aktuelle und historische Instruktionstexte untersucht, um neben gegenwärtigen Tendenzen auch sprachgeschichtliche Entwicklungen
aufzuzeigen.
Damit wird eine umfassende Analyse geliefert, die zu einer Überprüfung und
Korrektur der bestehenden Einteilung von Instruktionstexten unter Berücksichtigung der theoretischen sprachlichen Anforderungen führt. Gleichzeitig wird eine
Systematik für empirische Untersuchungen dieser Texte erarbeitet, die nicht nur
auf den Bereich des gewählten Untersuchungsbeispieles, sondern auch auf
andere technische Bereiche anwendbar ist.
1.3 Methodik
Auf der Basis der Ziele der Arbeit gilt es nun, bestimmte methodische Einschränkungen und Festlegungen bezüglich des Untersuchungsgegenstandes
und des Untersuchungsansatzes zu treffen. Diese sowie die darauf basierende
Gliederung der Arbeit werden im folgenden Abschnitt vorgestellt.
1.3.1 Auswahl des Untersuchungsgegenstandes
Als Basis für die empirische Untersuchung werden schriftlich fixierte Texte aus
dem Bereich des Kommunikationsmittels Telefon ausgewählt. Für eine Untersuchung entsprechender Texte aus dem Bereich der Telekommunikation sprechen
mehrere Gründe: Telefone haben heute eine sehr hohe Verbreitung und werden
in allen Gesellschaftsschichten genutzt. Die theoretischen Anforderungen an die
6
Problemstellung, Zielsetzung und Methode
Sprache entsprechender Instruktionstexte sind daher entsprechend umfangreich, da die zu vermittelnden Inhalte von jedem nur denkbaren Benutzer
verstanden werden müssen.
Durch die Entwicklung multimedialer PCs, die verschiedene Funktionen aus den
Bereichen der Nachrichtentechnik (z.B. Telefon), Datenverarbeitung (z.B. PC)
und Bürotechnik (z.B. Fax) integrieren, ist Telefonieren heute schon nicht mehr
nur mit „herkömmlichen“ Telefonen möglich.25 Entsprechend zur erweiterten
Funktionalität dieser PCs gibt es auch elektronische Hilfe- und Ratgeber, die in
das Telefonieren mit Hilfe des PCs einführen. Damit ist begründet, daß in die
Untersuchung auch neue elektronische Instruktionstexte einbezogen werden.
Daneben bieten sich Texte aus dem Bereich der Telekommunikation für einen
historischen Vergleich an: Das Telefon ist eines der ersten technischen Massenprodukte, das Händlern, Interessierten und Käufern in seiner Funktion und
Handhabung erklärt werden mußte. Aufgrund seiner schnell wachsenden Verbreitung konnte dies für den einzelnen Benutzer nicht mehr innerhalb eines persönlichen Gesprächs, durch Anlernen oder Vorführungen geschehen. Es mußte
auf die Form der (vielen zugänglichen) schriftlichen Erklärung zurückgegriffen
werden.
1.3.2 Wahl der Untersuchungsmethode
Um eine Vergleichbarkeit der ermittelten textsortenspezifischen Merkmale zu
gewährleisten, muß der Untersuchung eine Typologisierungsbasis zugrunde gelegt werden, die dazu geeignet ist, alle relevanten textuellen Merkmale sprachlich synchron und diachron systematisch zu erfassen. Die Probleme und Anforderungen an eine Texttypologie sowie Textsortenuntersuchung werden in
Kapitel 2 genauer dargestellt.
Eine empirische Untersuchung sowohl der Umsetzung der theoretischen Anforderungen als auch der einzelnen Instruktionstexte kann gleichzeitig mit Hilfe der
Textsortendefinition von SIMMLER geschehen.26 Diese liefert eine Merkmalshierarchie von der makrostrukturellen Ebene bis zur Wortebene, bei der systematisch auf jeder Hierarchieebene die sprachliche und visuelle Umsetzung,
aber auch die makrostrukturellen, syntaktischen und lexikalischen Merkmale der
einzelnen Textsorten ermittelt werden können.
1.3.3 Gliederung der Arbeit
Basierend auf den aufgezeigten Problemen und Zielen dieser Arbeit gliedert
sich das Vorgehen daher in die folgenden fünf wesentlichen Abschnitte:
1. Zusammenstellung der bereits bekannten Textsorten und deren Merkmale
Diese Zusammenstellung erfolgt in Kapitel 2, in dem zunächst für die Arbeit
relevante theoretische Grundlagen dargestellt werden. Dazu gehören Definitionen von Fachbegriffen sowie die für die später folgende Textsortenanalyse
25
26
Zu diesen Geräten siehe Fuchs / Stadtkowitz 1994.
Die Herleitung geschieht in Kap. 2.
7
Textsortenuntersuchungen in der wissenschaftlichen Literatur
Texte auf der Ebene C „Sprache der angewandten Wissenschaft und Technik“
angesiedelt werden.39
Deutlich wird, daß es das Modell HOFFMANNS teilweise nicht ermöglicht, eine
Textsorte eindeutig in eine Kategorie einzuordnen, noch schwieriger wird es bei
einer Gruppe von Textsorten mit sprachlich und pragmatisch ähnlichen Merkmalen wie den hier untersuchten Instruktionstexten. Sinnvoller erscheint es
daher, einen textsortenorientierten Ansatz zu wählen, bei dem zunächst Unterschiede und Gemeinsamkeiten der verschiedenen Textsorten ermittelt werden
und diese dann zu einer Einordnung der Textsorten in eine oder mehrere
vertikale Schichten mit ggf. graduellen Abstufungen dienen.
In dieser Arbeit wird daher erst nach abschließender Ermittlung der textsortenspezifischer Merkmale eine Gewichtung der einzelnen Instruktionstexte untereinander bezüglich ihres jeweiligen Fachsprachlichkeitsgrades vorgenommen.
Ein entsprechend textsortenorientierter Ansatz wird in unterschiedlicher Ausprägung u.a. von KALVERKÄMPER verfolgt.40
2.1.4 Textdefinition
Im folgenden werden die hier zugrunde gelegten Kriterien aufgezeigt, denen
sprachliche Gebilde entsprechen müssen, um als Text zu gelten. Ausgehend
von HARTMANN, der die Basis für zahlreiche weitere Untersuchungs- und Definitionsansätze lieferte, steht im Vordergrund der Textdefinition die Sprachfunktion
des Textes. Jede menschliche Kommunikation findet in Form von Texten statt:
„Der Text ist die Einheit, in der sich sprachliche Kommunikation organisiert.“41
Hinzu treten eine begrenzte Anzahl externer sprachlichen Merkmale wie z.B.
Sprecher / Schreiber oder Hörer / Leser. Jede Kommunikation ist in diese
Rahmenbedingungen eingebettet, jedoch ist nur eine begrenzte Anzahl externer
Merkmale zur Konstitution von Redekonstellationen notwendig.42 Dazu kommen
interne sprachliche Merkmale, die auf der Existenz eines Kodes und der damit
verbundenen Auswahl an sprachlichen Zeichen basieren.43
Darüber hinaus kann jeder Text nach der Intention des Senders und Empfängers als eine abgeschlossene sprachliche Einheit angesehen werden, ein weiteres wesentliches Merkmal von Text ist also die Kompletion.44 Innerhalb dieser
Einheit sind Zusammenhänge zwischen einzelnen Textkonstituenten auf verschiedenen sprachlichen Ebenen, die sogenannte Textkohärenz, zu erkennen.45
Basierend auf diesen Voraussetzungen kann „Text“ nach SIMMLER folgendermaßen definiert werden: „Ein Text ist ein Merkmalbündel, das aus den externen
Merkmalen Sprecher / Schreiber, Hörer / Leser, Ort und Zeit und einer begrenz-
39
40
41
42
43
44
45
Gläser 1990, S. 241f.
Kalverkämper 1983; siehe auch Skiba 1998, S. 163-173
Isenberg 1977, S. 144, Hartmann 1971
Simmler 1984, S. 28
Simmler 1984, S. 33
Simmler 1984, S. 30-32
Als Basiskriterium der Textualität u.a. bei Gülich / Raible 1977
13
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
ten Anzahl interner Merkmale besteht, die durch die Komponenten der
Kohärenz und Kompletion miteinander verbunden sind.“46
2.1.5 Anforderungen an eine Texttypologie
Bis heute ist die Aufstellung einer in sich stimmigen Texttypologie trotz zahlreicher Ansätze noch nicht gelungen. Ein wesentlicher Kritikpunkt ist die Typologisierungsbasis, die in den meisten Ansätzen zu heterogen und aus sprachtheoretischer Hinsicht nicht genügend abgesichert ist.47 Ebenso gibt es bisher keine
allgemein anerkannten Definitionen und Vorgehensweisen zur Untersuchung
und Festlegung von Textsorten.
Als grundlegend für den Aufbau einer Texttypologie werden insbesondere die
folgenden Anforderungen ISENBERGS gesehen:48
a. die Charakterisierung eines abgegrenzten Geltungsbereiches der Texttypologie;
b. die Schaffung bzw. das Heranziehen einer einheitlichen Typologisierungsbasis (eines Untersuchungsansatzes zur Textsortendifferenzierung), und darauf aufbauend
c. die Erstellung einer überschaubar begrenzten Menge von Texttypen
(oder Textsorten) und
d. zu jeder Textsorte eine Beschreibung der spezifischen Textsortenmerkmale.
Wesentlich ist also die Festlegung einer einheitlichen Typologisierungsbasis,
um eine homogene und vergleichbare Textsortenuntersuchung vornehmen zu
können. Dazu tritt die Forderung der Hierarchisierung der einzelnen Untersuchungsebenen.49 Nur dadurch kann eine Vergleichbarkeit einzelner Texte untereinander und eine überschaubare, nach gewünschtem Detaillierungsgrad vertiefbare Klassifikation gewährleistet werden. BRINKER fordert zusätzlich zu
diesen Anforderungen die Akzeptabilität der Typologisierung, „d.h. [die Typologisierung] muß zu Unterscheidungen führen, die die intuitiven alltagssprachlichen
Textsortenkonzepte der Kommunikationsteilnehmer bestätigen...“.50
Innerhalb der Forschung gibt es bisher drei Ansätze zur Erstellung von Textsortentypologien und Textsortendifferenzierungen:51 Nach überwiegend oder ausschließlich textinternen oder strukturellen Kriterien (so durch VAN DIJK oder
W EINRICH)52 oder nach textexternen bzw. funktionalen Kriterien (z.B. durch ISEN-
46
47
48
49
50
51
52
14
Simmler 1984, S. 38
Brinker 1983, S. 145, erneut in Brinker ³1993, S. 4
Isenberg 1984, S. 312f., vergl. auch Göpferich 1995 S. 78f.
Göpferich 1995, S. 75
Brinker 1993, S. 145
Einen Überblick über die verschiedenen textinternen und -externen Ansätze bietet Rolf
1993, S. 81f.
van Dijk 1980; Weinrich 1976
Textsortenuntersuchungen in der wissenschaftlichen Literatur
oder BRINKER)53. Klassifikationsansätze, die beide Kriterien berücksichtigen, sind eher selten und stammen z.B. von W EHRLICH54 oder SIMMLER55.
BERG
Problematisch erweisen sich ausschließlich textinterne bzw. textexterne Klassifizierungsansätze. Ein weit entwickelter textinterner Ansatz stammt von VAN DIJK,
der Texte aufgrund ihrer Makro- und Superstrukturen klassifiziert.56 Die (semantische) Makrostruktur repräsentiert die Bedeutungsstruktur des Textes, also
Thema und Inhalt. Die Superstruktur eines Textes ist eine globale Textstruktur,
d.h. die bestimmte formale Reihenfolge, in der die Information des Textes
präsentiert wird und die den Texttyp kennzeichnet. Textsortenklassifikationen,
die sich ausschließlich auf solche makrostrukturelle Merkmale stützen, erfassen
nur inhaltliche Strukturen, ohne textexterne, pragmatische Elemente zu berücksichtigen.57 Auch die Klassifizierung aufgrund von Superstrukturen ist nicht
möglich, da „Superstrukturen kein notwendiges Merkmal von Texten sind“58 und
entsprechende konventionalisierte Strukturmerkmale nicht bei allen Textexemplaren als Typologisierungsmerkmal vorliegen.
Bei rein textexternen Untersuchungsansätzen wird die Textfunktion als Basiskriterium für die Textsortenklassifikation herangezogen. Dies gilt insbesondere
bei den kommunikativ-pragmatischen Ansätzen, die zur Zeit innerhalb der Forschung am häufigsten als Untersuchungsansatz genutzt werden.59 Eine alleinige Ausrichtung auf textexterne Merkmale vernachlässigt jedoch die den Text
ebenfalls konstituierenden internen sprachlichen Merkmale wie Makrostruktur,
Syntax oder Lexik.
Textexterne Merkmale sind textinterne Untersuchungskriterien vorangestellt; sie
haben eine erste distinktive Funktion, da die Kommunikationsabsicht des Sprechers / Schreibers die internen sprachlichen Merkmale des Textes determiniert.60 Darüber hinaus aber liefern textinterne Merkmale ebenfalls distinktive
Analysekriterien, die eine Wiedererkennung bzw. Identifikation einzelner Textsorten und Textsortenexemplare ermöglicht: „D.h. daß die textexterne Variablenkonstellationen zwar erste Restriktionen im Hinblick auf mögliche Äußerungen ausüben und erste Klassifikationsmöglichkeiten bereitstellen, daß aber
die Identifikation mit Hilfe interner Merkmale zu bestätigenden oder korrigierenden, neuen Klassenbildungen führen kann.“61
Neben der Berücksichtigung der textexternen und textinternen Merkmale zur
Klassifikation von Texten muß in einem zweiten Schritt die Frage der Hierarchisierung der einzelnen Untersuchungsebenen berücksichtigt werden. Nicht-hierarchisierte Untersuchungsebenen führen zu heterogenen und nicht aufeinander
53
54
55
56
57
58
59
60
61
Isenberg 1984; Brinker 1993
Wehrlich 1975
Simmler 1984
van Dijk 1980; detailliertere Informationen zum Konzept der Superstrukturen und zur Kritik
daran siehe Kap. 4
van Dijk 1980, S. 87f.
van Dijk 1980, S. 152f.
Vergl. Göpferich 1995, S. 72f., Rolf 1993, S. 60f. Ein weit entwickelter Ansatz stammt von
Kotschi 1996, S., 241-271
Vergl. Göpferich 1995, S. 73f., Brinker 1985, S. 86f.
Simmler 1984, S. 34
15
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
beziehbare Untersuchungsergebnissen. Beim Versuch der Erstellung einer
Texttypologie können die so ermittelten Ergebnisse zueinander nicht in Bezug
gesetzt, voneinander abgegrenzt und eingeordnet werden. Es werden so eine
Vielzahl nicht vergleichbarer Textsorten ermittelt.
2.1.6 Textsortendefinition
Für die Textsortenuntersuchung und -typologisierung bietet sich ein Untersuchungsansatz an, der sowohl textexterne als auch -interne Merkmale berücksichtigt und auf ein hierarchisches Vorgehen bei der Untersuchungen einzelner
Textsorten zur Ermittlung einer einheitlichen Typologie aufbaut. Ich greife hier
auf die Textsortendefinition von SIMMLER zurück, die wie im folgenden gezeigt
wird, den eben formulierten Anforderungen genügt:
„Eine Textsorte ist eine nach dem Willen der beteiligten Kommunikationspartner abgeschlossene, komplexe α-Einheit, die aus einer begrenzten
Auswahl, einer besonderen Kombinatorik und einem regelmäßigen Vorkommen von externen und internen α-Einheiten, den textuellen Merkmalen,
besteht, die in konstituierender, identifizierender und differenzierender Sinnfunktion zu einem neuen, spezifischen Merkmalbündel zusammengeschlossen sind.“62
Auf der Basis dieser Definition wird ein Untersuchungsansatz zur Verfügung gestellt, bei dem Texte sowohl nach textinternen als auch textexternen Merkmalen
klassifiziert werden können und damit strukturelle bzw. semantische als auch
funktionale bzw. pragmatische Unterscheidungskriterien berücksichtigt werden.
Untersucht werden aufgrund dieser Definition:
a. externe Variablen: Sprecher / Schreiber, Leser / Hörer, Ort und Zeit;
f. makrostrukturellen Merkmalen, z.B. Initiatoren, Terminatoren, Gliederung in Kapitel, Absätze, Abschnitte; Text-Bild-Kombinationen;
g. Syntax, z.B. Satztypen wie Verbal- oder Nominalsätze, Satzglieder und
Satzgliedteile;
h. Lexik einschließlich wortbildungsmorphologischer Aspekte, z.B. Kompositions-/Derivationstypen, fachsprachliche Elemente.63
Gleichzeitig ergibt sich aus dieser Definition eine hierarchische Ordnung der
Untersuchungsmerkmale, wenn in einer kumulativen Textanalyse Frequenz und
Distribution der sprachlicher Merkmale in absteigender Richtung analysiert
werden.64 Eine entsprechende Hierarchisierung wird u.a. von GÖPFERICH oder,
insbesondere für die Untersuchung von Fachtexten, von HOFFMANN gefordert.65
Nach dieser Definition können alle untersuchten Textexemplare aufgrund ihrer
62
63
64
65
16
Simmler 1984, S. 37
Zur allgemeinen Vorgehensweise siehe u.a. Simmler 1997, S. 63-144, Simmler 1993A, S.
133-259; Simmler 1985, S. 66-96; Simmler 1981, S. 361-389; zur Makrostruktur siehe
Baumann 1987, S. 2-18; Simmler 1988, S. 213-305
Von Simmler im zeitungssprachlichen Bereich bereits durchgeführt. Simmler 1993A,
Simmler 1997
Göpferich 1994, S. 5; Hoffmann 1987, S. 96f.; Hoffmann 1992, S. 103f.
Textsortenuntersuchungen in der wissenschaftlichen Literatur
spezifischen externen und internen Merkmale einer Textsorte zugeordnet werden. Im folgenden wird auf die zentralen Begriffe der Textsortendefinition näher
eingegangen.
2.1.7 Externe Variablen
Das Vorkommen jedes Textexemplars ist an die Existenz einer externen Variablenkonstellation der Variablen Sprecher, Hörer, Ort und Zeit gebunden. Da sich
einzelne Kombinationen von Variablen gegenseitig ausschließen, besitzen diese
externen Merkmalbündel neben der identifizierenden auch eine differenzierende
Sinnfunktion. Kommunikationsakte finden innerhalb dieser Variablenkonstellation statt, wobei zwischen monologischer und dialogischer Kommunikation
unterschieden wird.
Bei der monologischen Kommunikation ist die Wahl des Kommunikationsmediums (bzw. den -medien) vom Willen des Sprechers / Schreibers abhängig. Bei
dialogischer Kommunikation (gesprochene Sprache; aber auch Briefwechsel
oder e-Mails) tritt zusätzlich der Wille des Hörers bzw. Lesers hinzu. Bei der
Auswahl der internen sprachlichen Merkmale wie bei der Selbständigkeit und
Abgeschlossenheit einer sprachlichen Äußerung entscheidet ebenfalls der Wille
der Kommunikationspartner.
2.1.8 Makrostruktur, Initiator und Terminator
Umfangreiche Texte bestehen nicht nur aus einer Verbindung von Initiatoren,
Terminatoren, Sätzen und Satzfolgen bzw. deren Verbindungsprinzipien, sondern es finden sich satzübergreifende Merkmale wie z.B. Überschriftgefüge, Absätze, Tabellen, Text-Bild-Kombinationen bis hin zu Elementen wie Inhalts- oder
Literaturverzeichnissen.
Diese Makrostrukturen „... sind textinterne, aus Ausdrucksseite und Inhaltsseite
bestehende satzübergreifende Einheiten der langue, die gegenüber anderen
satzübergreifenden Einheiten und hierarchisch gesehen kleineren Einheiten wie
Satztypen eine distinktive Funktion besitzen ...“.66 Makrostrukturen haben damit
eine textsortenkonstituierende, identifizierende und differenzierende Funktion.
Die Makrostruktur eines Textes kann bereits die Zugehörigkeit dieses Textes zu
einer bestimmten Textsorte signalisieren.67
Als Initiatoren und Terminatoren werden Textbegrenzungssignale bezeichnet,
die den Textanfang (Initiator) und das Textende (Terminator) kennzeichnen.
Diese Textbegrenzungssignale können z.B. durch Überschriftgefüge, verschiedene drucktechnische Mittel oder andere komplexere Einheiten gebildet werden.
Es können direkte und indirekte Initiatoren und Terminatoren unterschieden
werden. Indirekte Terminatoren sind z.B. in Zeitungen bei Kurzmeldungen der
Beginn einer neuen Kurzmeldung, so daß durch den direkten Initiator der folgenden Kurzmeldung das Ende der vorausgehenden Kurzmeldung angezeigt
wird.68
66
67
68
Simmler 1996, S, 612
Klauke 1993, S. 19
Simmler 1996, S. 588-625
17
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
Weiterhin werden die direkten Initiatoren / Terminatoren noch in allgemeine
bzw. spezifische Initiatoren / Terminatoren unterteilt. Allgemeine Initiatoren /
Terminatoren gelten für mehrere Textexemplare einer bzw. mehrerer Textsorten. So sind z.B. Zeitschriftentitel oder Spartentitel allgemeine Initiatoren für die
darauf folgenden unterschiedlichen zeitungssprachlichen Textsorten.
2.1.9 Textteil und Teiltext
Insbesondere komplexe Makrostrukturen in einer Textsorte wie z.B. mehrere
Kapitel- und Unterkapitelebenen können teilweise eigene Markierungen des Anfangs und des Endes haben. In Bezug auf die hier untersuchten Texte ist z.B.
das Inhaltsverzeichnis einer Bedienungsanleitung immer auf das gesamte
Textexemplar bezogen und hat keine autonome Funktion. Solche Makrostrukturen werden als Textteile bezeichnet; sie stellen keine eigenen Textexemplare
dar, weil sie nach dem Willen des Autors keine selbständige Funktionalität bzw.
keinen eigenen Textsinn besitzen.69
Es gibt jedoch einige makrostrukturelle Merkmale, denen eine potentielle Texthaftigkeit zukommen kann, so z.B. in einen Roman eingebundene Lieder. Dies
ist dann der Fall, wenn vergleichbare Makrostrukturen mit ähnlichen, jedoch
nicht gleichen internen und externen Variablenkonstellationen auch selbständig
vorkommen, so Briefe oder Gedichte. Ein Gedicht, das in einen Roman eingebettet ist, ist jedoch in eine größere Einheit integriert und erscheint nach dem
Willen des Autors nicht selbständig. Aufgrund der potentiellen Selbständigkeit
solcher Makrostrukturen wird ein solcher Textteil als Teiltext bezeichnet.70
2.1.10 Text-Bild-Kombinationen
In den hier untersuchten Texten treten vermehrt nonverbale Textelemente wie
z.B. Bilder, Diagramme oder Tabellen auf, die mit keinem Satzbegriff erfaßt
werden. Diese Elemente sind häufig eine notwendige Konstituente des Textes
und werden mit sprachlichen Textsegmenten verbunden, so z.B. in den hier untersuchten Bedienungsanleitungen.71
Entsprechende Elemente können aufgrund ihrer textkonstituierenden, identifizierenden und differenzierenden Sinnfunktion nicht aus einem Text bzw. einer
Textsortenuntersuchung ausgeklammert werden.72 Entsprechend eingebundene
nonverbale Textelemente stellen ein makrostrukturelles Merkmal dar und
werden entsprechend der Textsortendefinition von SIMMLER als Bestandteil des
Textes angesehen, wobei „Das Bild ... - im Gegensatz z.B. zur Semiotik - nur
insofern Gegenstand der Linguistik [ist], als es mit sprachlichen Mitteln
69
70
71
72
18
Simmler 1996, S. 616f., Göpferich 1995, S. 44
Dies geschieht in Abgrenzung zu Göpferich, die den Begriff Teiltext mit Gradunterschieden
für „Globaltexte“ (Göpferich 1995, S. 44), als auch für weitere aufgrund makrostruktureller
Merkmale unterscheidbare Einheiten benutzt. Simmler 1996, S. 621
Bilder können auch eine nur mögliche Konstituente darstellen, d.h. nicht zwingend in den
Text eingebettet sein; in ihrem Vorkommen können sie aber ebenfalls zur Textsortenklassifikation beitragen. Simmler 1996, S. 613f.
Wie schon vorgekommen, so z.B. durch Rolf 1993, S. 9f.
Textsortenuntersuchungen in der wissenschaftlichen Literatur
verbunden ist.“73 Ergänzend gilt dies auch für weitere nonverbale Textelemente.
Neben Abbildern sind hier auch Elemente wie Ton, Simulationen oder Bewegtbilder denkbar, wie sie in Hypermedia-Darbietungen zu finden sind. Reine Bildanleitungen ohne Text werden nicht als Bestandteil einer textlinguistischen
Untersuchung aufgefaßt.
Text-Bild-Kombinationen werden im Rahmen der makrostrukturellen Untersuchung mit analysiert. Während es jedoch für die Analyse von Text bereits eine
hierarchische Ordnung der Untersuchungsmerkmale von der Makrostruktur bis
hin zur Phonologie existiert, merkt KALVERKÄMPER an, daß „... für die Untersuchung von Text-Bild-Kombinationen noch ein übergeordnetes Raster fehlt,
das es ermöglicht, allgemeinere Text-Bild-Beziehungen und funktionale Prozesse zwischen beiden Zeichenformen so aufzustellen, daß dann der Stellenwert
des mit ihm jeweils geprüften Einzelfalls deutlich wird und sich, gemeinsam mit
anderen vergleichbaren Vorkommen, ein typisches Erscheinungsprofil abzeichnet - dies dann im Sinne einer Phänomenologie der Text-Bild-Beziehungen in
fach- und wissenschaftssprachlichen Kontexten.“74 Ein solches Raster zur systematische Erfassung der Text-Bild-Kombinationen und ihren Funktionalitäten
muß noch entwickelt werden. Ein Ansatz wird in Kap. 4 aufgezeigt.
2.1.11 „Hypertext“ und „Hypermedia“75
Die Begriffe „Hypertext“ und „Hypermedia“ werden weitestgehend im kommunikationswissenschaftlichen und informationstechnischen Kontext genutzt und
umschreiben eine besondere Form der Verbindung einzelner Textteile. „Hypertext“ bzw. „Hypermedia“ ist nicht mit dem linguistischen Text- oder Textsortenbegriff gleichzusetzen. Zunächst wird eine Definition des Begriffs „Hypertext“ in
diesem nicht-linguistischen Kontext gegeben. Danach wird auf die potentielle
Texthaftigkeit von „Hypertext-Dokumenten“ bzw. die Möglichkeiten, entsprechend strukturierte Texte im Rahmen einer Textsortenuntersuchung zu analysieren, eingegangen.
„Hypertext“ wird als die Verknüpfung von einzelnen „Textdokumenten“ durch
hierarchische Relationen und / oder Verweisstrukturen definiert. Der Textinhalt
wird in einzelne Informationseinheiten aufgegliedert und in Form von Informationsknoten und Verbindungen bzw. Verknüpfungen zwischen diesen Knoten
elektronisch in einer Netzwerkform präsentiert.76 Die nonlineare Organisation
von „Hypertext“ unterstützt insbesondere das selektive Lesen77 bzw. ein geziel-
73
74
75
76
77
Simmler 1996, S. 613; Göpferich 1995, S. 42
Kalverkämper 1993, S. 218
Da es trotz intensiver Recherche nur gelungen ist, einen einzigen deutschen elektronischen Hilfetext zum computergestützten Telefonieren zu finden (siehe Kap. 4), werden
diese und alle folgenden Ausführungen zum Thema sehr knapp gehalten, da der Aufwand
sonst nicht angemessen zu der zu erwartenden statistischen Aussagekraft der Untersuchungsergebnisse wäre.
Tergan 1995, S. 123
Dieses Konzept wird von Nielsen auch als „verallgemeinertes Fußnotenkonzept“ bezeichnet. Ähnlich wie der Leser bei Fußnoten individuell entscheidet, ob er eine Fußnote liest,
werden dem Leser von Hypertextdokumenten üblicherweise mehrere Optionen („Links“)
angeboten, sich den Hypertext zu erschließen. Nielsen 1990, S. 2
19
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
tes Hin- und Herspringen zwischen einzelnen Textabschnitten des „HypertextDokumentes“.
Die folgende Grafik veranschaulicht die Hypertext-Struktur:
Knoten A
Verknüpfung
Knoten B
Abb. 1: Hypertext-Struktur
„Hypermedia“ basiert auf der Grundstruktur von Hypertext. Während jedoch
Hypertext die rein textuelle Darbietung eines Themas meint, wird bei „Hypermedia“ diese Form der Datenstrukturierung um Ton, Bewegtbild, Animation und
Simulation erweitert.78
„Hypertext“ kann gemäß der Textdefinition von SIMMLER als Text betrachtet werden. Externe Merkmale (Schreiber, Leser, Ort, Zeit, Medium) sind gegeben.
„Hypertext“ ist eine nach dem Willen des Senders und Empfängers sprachlich
abgeschlossene Einheit, auch wenn die zum Teil nonlineare Struktur des Textes
eine assoziative Navigation des Lesers zwischen einzelnen Textteilen ermöglicht. Mit dieser Abgeschlossenheit nach dem Willen des Autors / Lesers ist
zugleich auch die Existenz eines Textsinns gegeben, den sich der Leser erschließen muß.
Kohärenzbildende Merkmale sind ebenfalls vorhanden. Zum einen finden sich in
„Hypertext-Dokumenten“ satzübergreifende grammatische Beziehungen innerhalb eines Informationsknotens oder eines Textteils, zum anderen wirken
außerdem verschiedene Formen der Verknüpfung zwischen Knoten (Teiltexten
oder Textteilen) kohärenzbildend:79
a. Semantische Verknüpfungen wie z.B. Kataphora und Anaphora schaffen
eine semantische Kohärenz zum besseren Verständnis des Inhalts zwischen den Knoten;
b. Pragmatische Verknüpfungen durch z.B. die Nennung verwandter Themen oder Stichworte verbinden Knoten, die in einem funktionalen oder
kontextuellen Zusammenhang stehen.
Da die Texthaftigkeit von „Hypertext“ gegeben ist, können einzelne Textexemplare mit Hypertextstruktur in die Textsortenuntersuchung mit einbezogen werden. Das gleiche gilt für „Hypermedia-Dokumente“, wenn die Darbietung des
Themas nicht ausschließlich über z.B. Bilder und Ton, sondern mit Text kombiniert erfolgt.
78
79
20
Schnupp 1992, S. 18
Tergan 1995, S. 125f.
Textsortenuntersuchungen in der wissenschaftlichen Literatur
2.2 Übersicht über bisherige Ansätze zur Textsortenklassifizierung
Ziel dieses Abschnittes ist es, ein intersubjektiv nachvollziehbares Ordnungsschema für die zu untersuchenden Instruktionstexte festzulegen, um darauf aufbauend ein repräsentatives Textkorpus für die Untersuchung zu bilden, welches
wiederum die Grundlage für die empirische Analyse bildet.80 Zunächst wird der
Begriff der „Instruktion“ näher definiert. Darauf aufbauend werden Klassifizierungsansätze vorgestellt, die auf Textsorten der Instruktion eingehen.
Da es zahlreiche Typologisierungsansätze81 gibt, wähle ich zunächst die Ansätze von GLÄSER zu Fachtextsorten, GÖPFERICH zu Textsorten der Naturwissenschaft und Technik sowie MÖHN zu Instruktionstexten aus.82
Diese Ansätze, die sich detailliert mit den hier zu untersuchenden Texten auseinandersetzen, wurden alle in den letzten Jahren entwickelt und berücksichtigen vorangegangene Untersuchungen. Darüber hinaus belegen sie ihre Klassifikation durch praktische empirische Analysen. Im folgenden Abschnitt findet
eine kritische Auseinandersetzung mit diesen drei Typologien statt, um Defizite
in bisherigen Untersuchungen aufzuzeigen und den Geltungsbereich der eigenen Untersuchung abzugrenzen.
2.2.1 Der Begriff der Instruktion
Der Begriff der instruktiven Textfunktion wird in der Literatur unterschiedlich definiert und teilweise durch den Begriff der direktiven Textfunktion ersetzt bzw.
darunter subsumiert.
So sieht ROLF es als Funktion der direktiven Textsorten an, „ ... den Adressaten
zur Ausführung einer ganz bestimmten Handlung zu bewegen.“83 Bei seiner
Textsortentypologie unterscheidet er innerhalb der direktiven Textfunktion zwischen verschiedenen Verbindlichkeitsgraden, nämlich „Handlungen, die der
Adressat vollziehen soll ... [und Handlungen], die der Adressat von sich aus verwirklichen will bzw. verwirklichen wird.“84 Eine identische Konzeption verfolgt
W EISE, auch er faßt alle Texte mit aufforderndem Charakter unter dem Texttyp
der Direktive zusammen und unterscheidet die Textsorten durch unterschiedliche Grade der Verbindlichkeit.85
BRINKER folgt teilweise der Konzeption, unterscheidet nahezu gleichlautend die
Textklasse der „Appelltexte“ und zählt hierzu z.B. Werbeanzeige, Kommentar,
Gesetz, Antrag oder Bedienungsanleitung. Er verzichtet jedoch auf eine weitere
Differenzierung.86 GLÄSER greift 1979 ebenfalls auf den Begriff „direktiv“ zurück
80
81
82
83
84
85
86
Siehe zu diesem Ansatz auch Skiba 1998, S. 174f.
Eine Übersicht und einen eigenen Ansatz bietet Rolf 1993. Ausführlich zu Fachtextsorten
sind Göpferich 1995, S. 97-119, Klauke 1993, S. 29-56
Gläser 1990, Göpferich 1995, Möhn 1988
Rolf 1993, S. 223; Gläser 1979 S. 135f.
Rolf 1993, S. 223
Weise 1985, S. 20-26
Brinker 1992, S. 108
21
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
und definiert den „direktiven Fachstil“ als einen Fachstil, der „... eine direkte
oder indirekte verhaltenssteuernde Funktion“ ausübt. Weiterhin unterscheidet
sie eine „mittelbare Direktive“, also Textsorten, die nur indirekt zu einer Handlung auffordern (z.B. Werbetexte), und eine unmittelbare Direktive, Textsorten,
die direkt eine Handlung fordern wie z.B. Gesetze, Ratschläge o.ä.87
1990 gibt GLÄSER in ihren „Fachtextsorten im Englischen“ ihre Konzeption von
1979 auf und unterscheidet nun direktive und instruktive Textsorten als Subgruppen der „verhaltenssteuernden Textsorten“. GLÄSER beschreibt nun den
Begriff der „Instruktion“ als „Verhaltenssteuerung mit unterschiedlicher Stringenz“.88 Es findet sich jedoch keine Definition der „Direktive“. Sie faßt unter
instruktive Textsorten z.B. produktbegleitende Texte und Ratgeber, unter die
direktiven Texte z.B. Verordnungen und Gesetze .
MÖHN / PELKA bzw. MÖHN treffen ebenfalls eine Unterscheidung der instruktiven
und der direktiven Textfunktion, wobei direktive Texte zum Handeln auffordern
und freie Entscheidungen begrenzen (z.B. in Vorschriften, Verordnungen etc.),
instruktive Texte jedoch die Entscheidung über die Handlung offen lassen (z.B.
in Bedienungsanleitungen, Kochrezepten etc.).89
Nahezu alle Autoren, die ausschließlich auf den Begriff der „Direktive“ im Rahmen ihrer Typologie zurückgreifen, differenzieren die direktiven Textsorten
weiter nach dem „Grad der Verbindlichkeit“ der Direktive. In der Konzeption von
MÖHN / PELKA, MÖHN und GLÄSER hingegen wird durch die Unterscheidung von
direktiven und instruktiven Textsorten dieser unterschiedliche „Grad der Verbindlichkeit“ bereits durch die Textsortenbezeichnungen deutlich. Es wird daher
dieser Konzeption gefolgt und im folgenden die Begriffe und die Unterscheidung
instruktiv versus direktiv im Sinne MÖHN / PELKAS genutzt.
Daneben wird der Begriff der Instruktion selbst zum Teil unterschiedlich definiert. Daher soll aus den folgenden Begriffsbestimmungen eine eigene Definition für den Begriff der Instruktion bzw. der Funktion instruktiver Texte abgeleitet
werden.
MÖHN bezeichnet die „Bereitstellung von Handlungswissen, das abgefragt und
genutzt werden kann (z.B. Gebrauchs- und Bedienungsanleitungen, Kochrezepte, Beratungsgespräche)“90 als instruktiv. Der Textautor bietet ein Wissen
bzw. Kenntnisse an, das den Rezipienten zur Handlung befähigt oder befähigen
kann. In ihrer Texttypologie beschreibt GÖPFERICH didaktisch-instruktive Textsorten. Sie sieht deren kommunikative Funktion darin, „den aktuellen Wissensstand zur intellektuellen Bereicherung oder zum Zweck der praktischen Anwendung zu verbreiten.“91 Für die Festlegung des Begriffs „Instruktion“ ist der zweite
Teil der Definition von Bedeutung: der aktuelle Wissensstand wird so erläutert,
daß der Leser dieses Wissen praktisch anwenden kann.
87
88
89
90
91
22
Gläser 1979, S. 82
Gläser 1990, S. 241
Möhn 1991, S. 192f.; Möhn / Pelka 1984, S. 6.
Möhn 1991, S. 192f.
Göpferich 1995, S. 125
Textsortenuntersuchungen in der wissenschaftlichen Literatur
BRINKER betont, daß die Textsorten Gebrauchsanweisung oder Bedienungsanleitung den Leser „nicht zu einer bestimmten unmittelbaren Handlung veranlassen, sondern ihn über bestimmte Handlungsschritte und -möglichkeiten
informieren (z.B. über die Bedienung von Geräten oder über die Herstellung von
Gerichten)“ will.92
Zusammenfassend kann die Funktion instruktiver Texte wie folgt definiert werden: Instruktive Texte vermitteln ein dem aktuellen Wissensstand entsprechendes Handlungswissen und befähigen den Leser zu praktischen Handlungen.
2.2.2 GÖPFERICH: Klassifizierung von technischen Fachtexten
Ein Ansatz, der sich ausschließlich mit schriftlich fixierten Textsorten aus dem
Bereich der Naturwissenschaft und Technik beschäftigt, stammt von GÖPFERICH. GÖPFERICH erstellt eine Typologie basierend auf sprechakttheoretischen
Ansätzen; sie stützt sich bei der Erstellung einer eigenen Typologie auf die oben
formulierten Anforderungen ISENBERGS (1983) an eine Texttypologie.93 Ausgangspunkt ihres Ansatzes ist die Definition wesentlicher Begriffe wie Fachsprache, Text und Textsorte, um eine dem Ziel ihrer Arbeit entsprechende
„terminologische Klarheit“ zu schaffen, ohne daraus eine allgemeine Gültigkeit
ihrer Definitionen abzuleiten. Bei ihrer Textdefinition orientiert sie sich an derzeit
in der Literatur weitgehend anerkannten textuellen Merkmalen wie Kohärenz,
Kompletion, Kommunikationsabsicht / kommunikativer Funktion sowie inhaltlicher und funktionaler Abgeschlossenheit.94
Der Textbegriff GÖPFERICHS ist dabei mit der oben formulierten Textdefinition
vergleichbar.95 Ein Text besteht nach GÖPFERICH aus einem Globaltext (dem gesamten Textexemplar), der einen Haupttext oder Teiltext ersten Grades (Textthema des Globaltextes) und keinen, einen oder mehrere Auxiliartexte oder
Teiltexte zweiten Grades (Metainformationen wie z.B. Inhalts- und andere Verzeichnisse) enthält.96 Hier ist ihr eine erste terminologische Unschärfe vorzuwerfen. Inhalts- und andere Verzeichnisse sind keine „Texte“, sondern makrostrukturelle Elemente. Sie besitzen keine potentielle Texthaftigkeit und sollten
daher terminologisch eindeutig vom Textbegriff abgegrenzt werden.97
GÖPFERICH erkennt jedoch die Abhängigkeit eines Auxiliartextes vom Globaltext.
„Auxiliartexte“ bilden bei ihr keine Textsorten, eine Einordnung, die sich
teilweise immer noch in der Fachliteratur findet.98
In ihrer eigenen Untersuchungen legt sie verschiedene Textsortendefinitionen
zugrunde.99 Textsorten sind für sie demnach „überindividuelle Sprech- und
Schreibakttypen“, die durch sich wiederholende Kommunikationshandlungen
92
93
94
95
96
97
98
99
Brinker 1992, S. 110; Brinker bezeichnet entsprechende Texte jedoch als Appelltexte.
Isenberg 1984, S. 261-270, vergl. auch Göpferich 1995 S. 78.
Göpferich 1995, S. 40-42
Göpferich 1995, S. 56
Göpferich 1995, S. 42
Simmler 1996, S. 621
Rolf klassifiziert in seiner Typologie makrostrukturelle Merkmale wie Inhaltsverzeichnisse
oder Literaturangaben als Textsorten. Rolf 1993, S. 210
Göpferich 1995, S. 59.
23
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
charakteristische Sprachverwendungs- und Textgestaltungsmuster herausgebildet haben. Weiterhin besitzen sie eine strukturelle und pragmatische Kategorie. Bei der Analyse von Textsorten müssen daher die Textstruktur und der
Interaktionsprozeß, der durch die Verwendung des Textes festgelegt wird,
berücksichtigt werden.
GÖPFERICHS Textsortenbegriff beinhaltet zwar einige Elemente der oben vorgestellten Textsortendefinition, so die Erkenntnis, daß eine Textsorte sowohl textinterne als auch textexterne Merkmale beinhaltet. Sie legt jedoch keine Untersuchungsmerkmale zur Textsortenuntersuchung (externe Variablen, Makrostruktur
etc.) fest bzw. liefert auch keine mögliche Hierarchisierung der Untersuchungsebenen. 100
GÖPFERICH geht weiterhin auf unterschiedliche Ansätze ein, anhand derer die
Variationsbreite von Textsorten bestimmt werden kann. Sie stellt jedoch fest,
daß diese Ansätze bisher keine ausreichenden Kriterien liefern, anhand derer
Textexemplare einer Textsortenklasse, Textsorte oder Textsortenvariante zugeordnet werden könnten und greift für ihre eigene Klassifizierung auf ihre „individuelle Textsortenkompetenz“ zurück. Eine Textsortendefinition, die Untersuchungsmerkmale sowie Hierarchieebenen zur Textsortenuntersuchung liefert,
ermöglicht es jedoch, alle Textexemplare aufgrund ihrer spezifischen externen
und internen Merkmale einer Textsorte zuzuordnen. Ein Rückzug auf die „individuelle Textsortenkompetenz“ ist bei der Klassifizierung und Hierarchisierung
von Textsorten also nicht nötig.
Die Fachtexttypologie GÖPFERICHS unterscheidet fünf Hierarchieebenen, die aufgrund von textexternen kommunikativ-pragmatischen Merkmalen festgelegt
werden. Eine Untersuchung der textinternen Merkmale dient im zweiten Teil
ihres Buches zur Bestätigung ihrer zuvor aufgestellten Typologie. Diese Ebenen
werden im folgenden von der obersten zur untersten Ebene geordnet
wiedergegeben:101
I. Fachtexttypen, typologisiert nach der kommunikativen Funktion
II. Fachtexttypenvarianten ersten Grades, klassifiziert nach Theorie vs.
Praxis
III. Fachtexttypenvarianten zweiten Grades, klassifiziert nach Art der Informationspräsentation
IV. Primärtextsorten, klassifiziert nach der Primärfunktion
V. Sekundärtextsorten, gelegentlich Bestandteil der Primärtextsorten, jedoch auch selbständig vorkommend
Auf der ersten Ebene haben alle Texte zunächst „per definitionem“ eine informative Kommunikationsfunktion.102 GÖPFERICH lehnt sich bei der Festlegung dieser
Kommunikationsfunktion an eine Unterscheidung von REIß bzw. REIß / VERMEER
an.103 Die von REIß neben den informativen Texttypen weiterhin festgelegten ex100
101
102
103
24
Wie oben bereits aufgezeigt, fordert sie eine entsprechende Hierarchisierung. Göpferich
1995, S. 5
Göpferich 1992, S. 193; Göpferich 1995,. S. 123
Göpferich, S. 120 u. S. 123
Reiß 1983; Reiß / Vermeer 1984
Textsortenuntersuchungen in der wissenschaftlichen Literatur
pressiven, operativen sowie multi-medialen Texttypen grenzt sie aus ihrer Typologie aus.104 Die Unterscheidung eines multi-medialen Texttyps muß aber angezweifelt werden. Bedienungsanleitungen z.B. für Computerprogramme liegen
heute häufig nur noch als Hilfefunktion/-programm in Hypertextform vor. Ein
Nachweis, daß es sich deshalb um eine andere Textsorte als einen „regulären“
Anleitungstext und damit einen anderen Texttyp handelt, steht noch aus.
Bedauerlich ist auch, daß GÖPFERICH auf eine Auseinandersetzung mit der von
REIß vorgenommenen Unterteilung verzichtet, da REIß auch nichttechnisch-naturwissenschaftliche Texte als informativ klassifiziert, so z.B. Todesanzeigen.105
GÖPFERICHS ausgewählter Geltungsbereich der Textsorten der Naturwissenschaft und Technik stellt also eine Subgruppe der informativen Texte dar. Dies
ist eine Auswahl, die durch ein Klassifizierungskriterium der ersten Klassifikationsebene in ihrer Typologie zu begründen wäre.
Aufgrund der Art und dem Zweck der Information unterscheidet GÖPFERICH
weiter vier Fachtexttypen, die sie in Ihrem Schema der Fachtexttypologie von
links nach rechts anordnet: juristisch-normative Texte, fortschrittsorientiert-aktualisierende Texte, didaktisch-instruktive Fachtexte und wissenzusammenstellende Texte. Von links nach rechts ist auf ihrem Schema tendenziell eine Abnahme
des Fachlichkeits- und Abstraktionsgrades und eine Vergrößerung des Adressatenkreises angedeutet.
Sie verzichtet bei den juristisch-normativen Texten auf eine Differenzierung auf
den weiteren Ebenen und bei den fortschrittsorientiert-aktualisierenden und wissenzusammenstellenden Texten auf der Ebene zwei, da hier der Adressatenkreises relativ homogen ist und eine Differenzierung von ihr nicht als notwendig
erachtet wird.106 Sie führt hier nach der ersten Hierarchieebene als ein weiteres
Klassifizierungs- und Ordnungskriterium den Adressatenkreis ein, ohne dieses
explizit in ihrem Typologieschema kenntlich zu machen; Homogenität und
Heterogenität des (angenommenen) Adressatenkreis beeinflussen nicht nur die
Anordnung der Textsorten, sondern auch eine fehlende bzw. durchgeführte
weitere Klassifizierung. Um den oben formulierten Anforderungen ISENBERGS
nach homogenen Kriterien gerecht zu werden, sollte dieses zusätzliche
Klassifizierungsmerkmal Homogenität / Heterogenität in ihrem Schema nach der
ersten Typologiestufe sichtbar gemacht werden.
GÖPFERICH unterscheidet auf der zweiten Hierarchiestufe die didaktisch-instruktiven Texte weiter in zwei Fachtexttypenvarianten ersten Grades: theoretisches
Wissen vermittelnde (unidirektionale) und Mensch-/Technikinteraktionsorientierte (bidirektionale) Texte. Die „Bidirektionalität“ entsteht, da bei den interaktionsorientierten Texten Wissen vom Rezipienten zum Gegenstand (Bedienung)
„fließt“, zum anderen der Gegenstand auf diese Einwirkung „reagiert“ und den
Rezipienten „informiert“. Bei den unidirektionalen Texten fehlt dieser Austausch.
Auf der Ebene III differenziert sie nach der Art der Informationsrepräsentation
die fortschritts-aktualisierenden, die theoretisches Wissen vermittelnden und die
wissenzusammenstellenden Texte weiter. Die Differenzierung wird aufgrund der
104
105
106
Göpferich 1994, S. 120
Reiß 1977, S. 46-54
Göpferich 1995, S. 127
25
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
Darstellungsweise (faktenorientiert vs. repräsentativ) sowie der Gestaltung bzw.
der genutzten Sprache des Textes vorgenommen.107
Kritisch anzumerken ist, daß Gestaltungsmittel, die z.B. für ein leichtes Lernen
und Wiedererinnern eines Textes eingesetzt werden - also für die „mnemotechnisch organisierte Texte“ - ebenfalls für „Interesse weckende Texte“ genutzt
werden. Mögliche Elemente sind Zusammenfassungen, Einrückungen, TextBild-Kombinationen etc. So greift GÖPFERICH auf dieser Ebene auch zusätzlich
auf das Typologisierungskriterium der Ebene I - Zweck und Ziel des Textes zurück, um die Differenzierung eindeutig zu gestalten.
Auf der IV. Ebene schließlich legt GÖPFERICH eine Auswahl der Primärtextsorten
fest, d.h. die konkreten Textsorten (-klassen/-varianten) jeder Typologisierungskategorie. Diese Einteilung beruht auf GÖPFERICHS Textsortenkompetenz,
auf einer „mehr oder weniger intuitiven Vorgehensweise“108. Wie oben gezeigt,
ist jedoch fraglich, ob es sich bei den eingeteilten Gruppen tatsächlich um
„Textsorten“ im Sinne der Definition in Kap. 2.1.4 handelt. GÖPFERICH greift
lediglich auf ihre Textsortenkompetenz zurück, ohne bereits bekannte oder ermittelbare textsortenspezifische externe und interne Merkmale zu berücksichtigen. Die Typologie wird von GÖPFERICH erst im Anschluß anhand zunächst
kommunikativ-pragmatischer textexterner Kriterien und danach durch eine textinterne Untersuchung empirisch abgestützt.
Unter den Primärtextsorten finden sich die Sekundärtextsorten, die hierarchisch
unter die Primärtextsorten untergeordnet werden, da sie sowohl in Primärtextsorten eingebunden als auch unabhängig vorkommen können. Es handelt sich
hier um Texte, die „... durch Selektion, Komprimierung, Kommentierung und /
oder Evaluation der Informationen aus Primärtexten hervorgehen.“109 Dazu
werden Übungsbücher oder Rezensionen, Zusammenfassungen und Referenzmanuals oder Kurzanleitungen genannt. Ähnlich wie bei dem Versuch GÖPFERICHS, einen „Globaltext“ in Teiltexte und Auxiliartexte zu untergliedern, ist hier
ebenfalls eine terminologische Unschärfe vorhanden. Finden sich solche „Sekundärtexte“ innerhalb einer Textsorte, sollte von Teiltexten gesprochen werden, wenn diesen Makrostrukturen eine potentielle Texthaftigkeit zukommt.
Kommen sie isoliert vor, ist von einem Textexemplar oder ggf. von einer Textsorte zu sprechen.
Abb. 2 gibt einen Überblick über die einzelnen Hierarchisierungsebenen und
den didaktisch-instruktiven Texten zugeordneten Textsorten, unter die sich
zunächst auch Instruktionstexte einordnen lassen.110
Im Rahmen ihrer empirischen Analyse untersucht GÖPFERICH auf der Ebene der
didaktisch-instruktiven Texte überwiegend aus dem Bereich der Automobilindustrie die Textsorten:
107
108
109
110
26
Göpferich, S. 130f.
Göpferich, S. 189, zu den Problemen eines solchen Typologisierungsansatzes siehe
Simmler 1998, S. 741
Göpferich 1992, S. 202
Göpferich 1995, S. 124
Textsortenuntersuchungen in der wissenschaftlichen Literatur
a. Lehrbuch: Lehrbücher für auszubildende Kfz-Mechaniker auf Berufsschulniveau
b. popularisierender Zeitschriftenartikel: das Korpus umfaßt Testberichte
und allgemein über Automodelle informierende Texte; die Texte sollen
das Thema populär machen, ohne wissenschaftlichen Anspruch zu
haben111
c. populärwissenschaftlicher Zeitschriftenartikel: im Gegensatz zu den popularisierenden Zeitschriftenartikeln soll hier ein Thema wissenschaftlich,
aber allgemeinverständlich dargestellt werden; das Korpus umfaßt nur
englische Artikel
d. Werkstatthandbücher: Handbücher für geschultes Fachpersonal, das
Reparaturabläufe beschreibt
e. Betriebsanleitungen: Anleitungen, die bei Autos dem Fahrzeugkäufer
gegeben werden und Bedienungs- und Fahrhinweise sowie technische
Daten enthalten
f. Bedienungsanleitungen
Schriftliche Textsorten der Naturwissenschaften/Technik
I. Fachtexttypen
(Typologisierungsbasis:
kommunikative Funktion)
II. Fachtexttypenvarianten ersten Grades
(Klassifizikationskriterium: Theorie vs. Praxis)
III. Fachtexttypenvarianten zweiten Grades
(Klassifizikationskriterium: Art der Informationspräsentation)
didaktisch-instruktive
Texte
theoretisches Wissen
vermittelnde Texte
(undirektional)
mnemotechnisch
organisiert
IV. Primärtextsorten
(PT, klassifiziert nach
Primärfunktion)
Lehrbuch (z.B.
Schulbuch, Hochschullehrbuch
etc.)
V. Sekundärtextsorten
(gelegentlich Bestandteil von PT, jedoch
auch autonom)
Übungsbuch, Aufgabensammlung,
Rezension etc.
Mensch/Technikinteraktionsorientierte Texte
(bidirektional, praxisorientiert)
Interesse weckend
populärwissenschaftlicher Zeitschriftenartikel,
Sachbuch, Produktinformation
etc.
Zusammenfassung, Rezension
etc.
Anleitung (z.B.
Bedienungsanleitung, Werkstatthandbuch, Software-Manual etc.)
Referenzmanual/karte, Kurzanleitung etc.
Abb. 2: Schriftliche Textsorten der Naturwissenschaft und Technik (Ausschnitt)
nach GÖPFERICH
111
Zur Unterscheidung popularisierend / populärwissenschaftlich siehe Göpferich 1995, S. 67
27
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
2.2.3 GLÄSER: Klassifizierung von schriftlichen Fachtextsorten
GLÄSER untersucht Fachtextsorten im Englischen und erstellt ein pragmatisch
begründetes Stufenmodell, das „Texte nach ihrer kommunikativen Funktion spezifiziert, Textsorten als prototypische Textbildungsmuster ausweist und sich
schließlich nach Kriterien der Textualität differenziert“.112 GLÄSER greift die
Mehrebenenklassifikation von HEINEMANN / VIEHWEGER auf und nutzt den dort
angesetzten Situationsbezug, den sie als Funktionsbezug beschreibt; die bei
HEINEMANN / VIEHWEGER weiter zur Typologisierung herangezogenen Verfahrenstypen und Textstrukturierungstypen entfallen jedoch, da sie „als Resultat des
Vertextungsvorganges eines fachspezifischen Sachverhaltes in die Textsorte
faktisch integriert sind“.113
Ihr Textbegriff orientiert sich u.a. an den Kriterien von DE BEAUGRANDE / DRESSLER114 und ist mit der oben aufgeführten Textdefinition vergleichbar. Als Textsorten gelten für sie „Klassen von Texten mit bestimmten strukturellen und funktionalen Merkmalen, die sich in konventionalisierten Mustern mit einer hohen
Gebrauchhäufigkeit verfestigt haben [...], wobei jeder Text neben den
spezifischen Merkmalen auf verschiedenen Systemebenen auch kompositorische Merkmale aufweist, die ihn einer bestimmten Textsorte zuweisen. Darüber
hinaus gibt es bei Textsorten auch übereinzelsprachliche Gemeinsamkeiten.“115
GLÄSER berücksichtigt, daß eine Textsorte sowohl textinterne als auch textexterne Merkmale beinhaltet. Die „spezifische Merkmale auf verschiedenen
Systemebenen“ deuten die Untersuchungsmerkmale zur Textsortenuntersuchung an. GLÄSER liefert jedoch keine Hierarchie der Untersuchungsebenen, die
die Einordnung von Textexemplaren zu einzelnen Textsorten systematisiert und
nachvollziehbar macht.
GLÄSER grenzt den Geltungsbereich ihrer Typologie für Fachtextsorten des
Englischen ein und unterscheidet auf oberster Ebenen aufgrund des fachlichen
Kommunikationsbereichs und der speziellen Kommunikationssphäre die fachinterne und die fachexterne Kommunikation. Fachinterne Kommunikation ist durch
einen hohen Spezialisierungs- und Fachlichkeitsgrad geprägt, fachexterne
Kommunikation durch einen abnehmenden Fachlichkeitsgrad, der z.B. durch
Didaktisierung oder Werbung beeinflußt wird. GLÄSER orientiert sich hierbei am
Ansatz von MÖHN / PELKA116.
Sie berücksichtigt dabei aber nicht die Ebene der interfachlichen Kommunikation, also Textexemplare, die einen mittleren Fachlichkeitsgrad wiedergeben.
Die interfachliche Kommunikation „... ergibt sich zumeist aus der Thematik des
konkreten Textexemplars einer Fachtextsorte.“117 Zurecht kritisiert GÖPFERICH,
daß GLÄSER damit „dem Umstand zu wenig Rechnung trägt, daß die Übergänge
von Texten der fachinternen zu solchen der fachexternen [...] fließend sind.“118
112
113
114
115
116
117
118
28
Gläser 1990, S. 46
Gläser 1990, S. 47; Heinemann / Viehweger 1991
Gläser 1990, S. 17-19.; de Beaugrande / Dressler 1981
Gläser 1990, S. 28f.
Möhn / Pelka 1984, S. 5
Gläser 1990, S. 47
Göpferich 1995, S. 142
Textsortenuntersuchungen in der wissenschaftlichen Literatur
GLÄSER muß eine eindeutige Zuordnung von Textexemplaren bzw. Textsorten
mit mittlerem Fachlichkeitsgrad treffen, obwohl z.B. bei der Textsortenvariante
„Fachschullehrbuch“ – von GLÄSER ebenso wie das „Schulbuch“ der fachexternen Kommunikation zugeordnet – auch eine Zuordnung zur fachinternen
Kommunikation denkbar wäre.119
Auf der nächsten Stufe ist die dominierende kommunikative Funktion für die
Klassifizierung ausschlaggebend, wobei GLÄSER auf der Ebene der fachinternen
Kommunikation
a.
b.
c.
d.
fachinformationsvermittelnde Textsorten
interpersonal / kontaktive Textsorten
direktive Textsorten
didaktisierende Textsorten
und auf der Ebene der fachexternen Kommunikation
a. didaktisierende Textsorten
b. popularisierende Textsorten
c. verhaltenssteuernde Textsorten (weiter untergliedert in instruktive und
direktive Textsorten).
unterscheidet.
Die Aufnahme didaktisierender Textsorten in den Bereich der fachinternen und
fachexternen Kommunikation verdeutlicht laut GLÄSER eine Übergangszone, da
es entsprechende Textsorten auf beiden Ebenen gibt. Auch hier zeigt sich, daß
GLÄSER durch den Miteinbezug der interfachlichen Kommunikation als Differenzierungskriterium eine solche „Verdoppelung“ der Ebenen und damit ein Problem der eindeutigen Zuordnung einzelner Textsorten hätte vermeiden können.
Auf die genaue Charakterisierung der Textsorten der fachexternen Kommunikation bzw. der didaktisierenden Textsorten im Schnittstellenbereich zwischen
fachinterner und fachexterner Kommunikation soll genauer eingegangen werden, da sich hier auch Instruktionstexte einordnen lassen. Als didaktisierende
Textsorten kennzeichnet GLÄSER Lehrbücher, Lehrbriefe und Vorlesungsskripte,
die „... sowohl Wissensspeicher als auch eine systematische Einführung in das
Kenntnissystem des Fachs und die darin angewandte Untersuchungsmethode
[sind].“120 Die populärwissenschaftliche Darstellung dient „der Vermittlung
aktuellen Fachwissens an fachexterne Rezipienten, für die dieses Wissen ein
oft als Freizeitbeschäftigung verstandenen Bildungswert hat...“121.
Verhaltenssteuernde Textsorten sind gekennzeichnet durch die „Strategie der
unmittelbaren Direktive, die als unmißverständliche Anweisung einer mehr oder
weniger ausführlichen Beschreibung des betreffenden Gegenstandes folgt.“122
Die auf der Ebene der fachexternen Kommunikation vorgenommene Unterscheidung von didaktisierenden und popularisierenden Textsorten erscheint problematisch, da diese Elemente sich zum Teil gegenseitig bedingen – Popularisierung ist fast immer mit Didaktisierung gekoppelt und umgekehrt.
119
120
121
122
Göpferich 1995, 142f.
Gläser 1990, S. 148
Gläser 1990, S. 174
Gläser 1990, S. 241
29
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
Anhand der informationsvermittelnden Textsorten führt GLÄSER exemplarische
eine weitere Differenzierung durch, ihr Kriterium hierfür ist der Standard der
Textualität. Sie differenziert zwischen Primärtextsorten, abgeleitete Textsorten,
Prä-Textsorten und Quasi-Textsorten. Quasi-Textsorten wie z.B. ein Arztrezept,
Krankenblatt etc. sind Textsorten, die nach GLÄSER kohäsionslos oder kohäsionsarm sind und nach „... strengen Textualitätskriterien nicht als Fachtexte
gelten dürfen [...], aber auf Grund ihrer Situativität, Informativität, Intentionalität
und Akzeptabilität als fachsprachliche Äußerungen durchaus ihren Zweck erfüllen.“123
„Abgeleitete Textsorten“ (u.a. Protokoll, Buchankündigung) bilden eine eigenständige Klasse von Textsorten, die von einem Basistext abgeleitet sind und
einen vorliegenden Text durch Auswahl, Verdichtung etc. neu vertexten. Im Gegensatz dazu beinhalten Prä-Textsorten (z.B. Exposé, Konferenzabstract) Informationen auf der Grundlage eines noch nicht ausformulierten Entwurfs; stellen
also eine „Vorstufe eines [...] Fachtextes“ dar.124
Auf der untersten Ebene in GLÄSERS Typologie finden sich dann die einzelnen
Textsorten als „konventionalisierte Textbildungsmuster und die ihnen zugeordneten Textexemplare“.125 Auf dieser Ebene wird deutlich, daß GLÄSER die Einheiten, die sie typologisiert, nicht einheitlich definiert und differenziert. So finden
sich unter den instruktiven Textsorten z.B. die Textsorte Aufgabensammlung im
Lehrbuch, gleichzeitig aber unter den didaktisierenden Textsorten das Schuloder das Fachschullehrbuch.126 Die Aufgabensammlung in einem Lehrbuch
kommt nicht als isoliertes Textexemplar vor, sondern ist in den Lehrbuchtext
eingebettet, also Teil einer größeren Einheit. Hier kann nur von einem makrostrukturellen Element, einem Textteil gesprochen werden, jedoch nicht von einer
Textsorte.
Ähnliches gilt beim Lexikonartikel, der als Primärtextsorte unter den fachinformationsvermittelnden Textsorten erscheint. Gleichzeitig ordnet GLÄSER das Kinder- und Jugendlexikon als eigene Textsorte unter den popularisierenden Textsorten ein. GLÄSER erhebt Lexikon und Lexikonartikel zu Textsorten. Sie berücksichtigt dabei weder die Einbettung des „Artikels“ in die Textsorte Lexikon und
auch nicht die Grade der Selbständigkeit der „Artikel“ je nach Lexikontyp.
Vergleichbar der Aufgabensammlung im Lehrbuch sind Lexikonartikel in eine
größere Einheit – das Lexikon – eingebettet und können daher nicht mit der
Textsorte Lexikon gleichgesetzt werden. Gleichzeitig besitzen Lexikonartikel
einen unterschiedliche potentielle Texthaftigkeit: Ein Handbuchartikel wird von
einem eingeladenen Verfasser in Handbüchern geschrieben und ist durch
andere makrostrukturelle Merkmale (z.B. Name des Verfassers als Terminator)
gekennzeichnet als ein Artikel in einem Lexikon für Kinder. Die potentielle Texthaftigkeit eines Handbuchartikels ist entsprechend größer als die eines Artikels
in einem Kinderlexikon.
123
124
125
126
30
Gläser 1990, S. 48
Gläser 1990, S. 48f.
Gläser 1990, S. 49
Gläser 1990, S. 50f.
Textsortenuntersuchungen in der wissenschaftlichen Literatur
Abb. 3 gibt einen Überblick über die von GLÄSER vorgenommene Hierarchisierung und Einordnung von Textsorten vor allem im Bereich der fachexternen
Kommunikation.127
Im Rahmen ihrer Untersuchung instruktiver Textsorten des Englischen analysiert GLÄSER folgende ausgewählte Textsorten:
a. produktbegleitende Texte: Gebrauchsanweisungen (Aufdrucke auf Verpackungen für Konsumgüter) und Bedienungsanleitungen
b. technischer Werbetext: Werbung für komplexe technische Produkte
c. Aufklärungstext: Broschüren, die z.B. über Erkrankungen, Zusatzstoffe in
Lebensmitteln etc. aufklären
d. Ratgebertext: Broschüren, die Verhaltensmaßregeln bei Erkrankungen
etc. geben
e. Schulprospekt: Informationsmaterial über Schultyp und Ausbildungs- und
Erziehungsziele mit einzelsprachlicher Geltung für England.
Aufgrund der einzelsprachlichen Geltung der Schulprospekte für englische Instruktionstexte wird diese Textsorte aus der weiteren Betrachtung von Instruktionstexten ausgeklammert.128
2.2.4 MÖHN: Klassifizierung von Instruktionstexten
Auch MÖHN baut auf dem illokutiven Ansatz der Sprechakttheorie auf und klassifiziert auf dieser Basis Instruktionstexte, wobei er davon ausgeht, daß das
Verhältnis zwischen Textfunktion und Textwirkung nicht spiegelbildlich sein
muß, sondern daß neben der Absicht des Autors auch die Lesers berücksichtigt
werden muß. Er setzt sich nicht mit einem Text- oder Textsortenbegriff
auseinander, sondern versucht eine Kategorisierung von „Texten“ als Instruktionstexte zunächst über textexterne, danach exemplarisch an einigen textinternen Merkmalen. Daraus kann zumindest abgeleitet werden, daß für MÖHN Text
und Textsorte durch funktionale und strukturelle Kriterien zu bestimmen sind. Es
wird jedoch nicht deutlich, ob die von MÖHN abschließend ermittelten „Instruktionstexte“ und die Subgruppen z.B. als Textsorte mit Textsortenvarianten
oder als einzelne Textsorten anzusehen sind.
Für MÖHN ist bereits die lexikographische Dokumentation des Begriffs „Instruieren“ mehrdeutig und läßt die dominierende Funktion der Instruktion, den
Appell, aber auch eine weitere Funktion, die Information, erkennen. Im Rahmen
dieser Modellierung unterscheidet MÖHN zunächst die dominierenden Textfunktion „appellativ“. Er greift hier auf die externen Variablen der Intention des
Autors bzw. des Lesers zurück und trennt dabei nach der unterschiedlichen Verbindlichkeit des Begriffs „appellativ“ bzw. aufgrund der unterschiedlichen Konsequenzen aus Annahme und Nichtannahme eines Appells für den Handelnden
folgende Teilfunktionen:129
127
128
129
Gläser 1990, S. 50f.
Gläser 1990, S. 233f.
Möhn 1991, S. 192f.
31
Textsortenuntersuchungen in der wissenschaftlichen Literatur
malen. Einige Textsorten finden sich auch nur bei einzelnen Autoren. Spezifische Merkmale, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der einzelnen Textsorten
werden vorgestellt. Dabei werden „Textsorten“ ausgegrenzt, die nicht im Sinne
der in Abschnitt 2.2.1 gegebenen Definition als „Instruktionstexte“ gelten können.
2.3.1 Produktbegleitende bzw. produktgebundene Texte, Anleitungen
Die Textsorte der produktbegleitenden / produktgebundenen Texte bzw. der Anleitungen wird von den drei Autoren in verschiedene Textsortenvarianten aufgeteilt. Übereinstimmend beschreiben alle drei Autoren die Textsortenvariante
Bedienungsanleitung. GLÄSER stellt als einzige empirisch Unterschiede
zwischen einer Textsortenvariante Bedienungsanleitung und der Textsortenvariante Gebrauchsanweisung fest. Als weitere Textsortenvarianten werden von
GLÄSER noch die Gebrauchsanleitung, die Montageanleitung, der Pflegehinweis,
der Arbeitshinweis und der Medikamentenbeipackzettel, die Betriebsanleitung
oder das Werkstatt-Manual genannt.
2.3.2 Aufklärungstext, Ratgeber, Testbericht und popularisierender Zeitschriftenartikel
Uneinheitlicher zeigt sich die Definition von Aufklärungstexten und Ratgebern,
Testberichten und populärwissenschaftlichen Zeitschriftenartikeln. MÖHN und
GLÄSER sehen Ratgebertexte als eigene Textsorte an und definieren sie als
Bücher, Broschüren, Segmente in Zeitungen etc., die für den eintretenden und
aktuellen Bedarf verfaßt wurden. Während MÖHN jedoch die Textsortenvarianten Ratgebertext und Testbericht festlegt, verzichtet GLÄSER auf eine solche
Unterscheidung. GÖPFERICH kennt die Textsorte der „popularisierenden Zeitungsartikel“, ihr Untersuchungskorpus beinhaltet aber Testberichte und Ratgebertexte im Sinne MÖHNS. Diese Annahme ist aus den Titeln der deutschen
Artikel des Untersuchungskorpus sowie aus den Textbeispielen in der Untersuchung GÖPFERICHS abzuleiten.136
GLÄSER wiederum differenziert aufgrund eines unterschiedlichen Fachlichkeitsgrades zwischen Aufklärungstexten und den allgemeinsprachlicheren Ratgebertexten, wobei sie ausschließlich medizinische Texte untersucht. Da GLÄSER hier
zahlreiche ähnliche Textsortenmerkmale ermittelt, stellt sich die Frage, ob Aufklärungs- und Ratgebertexte nicht vielmehr Varianten einer Textsorte darstellen.137 In einer Untersuchung von BUSCH-LAUER zu medizinischen deutschen
und englischen Ratgebertexten verzichtet diese auf eine Unterscheidung von
Aufklärungs- und Ratgebertexten.138 FRANKE bezeichnet Texte im Sinne der
Definition MÖHNS sogar als „ratgebende Aufklärungstexte“.139
Darüber hinaus setzt GÖPFERICH die Textsorte „populärwissenschaftlicher Zeitschriftenartikel“ an, die sie nur für englische Texte untersucht. Auch GLÄSER
136
137
138
139
Göpferich 1995, S. 481f.
Gläser 1992, S. 221
Busch-Lauer 1995, S. 128
Franke 1996, S. 249
37
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
beschreibt diese Textsorte und ihre Varianten, allerdings klassifiziert sie diese
als popularisierende Textsorte.140 Beide sehen hierin Aufsätze und Berichte, die
ein Thema im Sinne des Wissenstransfers zwischen Fachwelt und Öffentlichkeit
wissenschaftlich, aber allgemeinverständlich darstellen. Diese Texte sind jedoch
nicht im Sinne der o.g. Definition als instruktiv zu bezeichnen. Es wird ausschließlich Wissen dargestellt, das für den wissenschaftlichen Laien vereinfacht
wurde, es werden keine Handlungsanweisungen oder im Sinne eines Testberichts oder Ratgebers Handlungsempfehlungen gegeben. Die Textsorte populärwissenschaftlicher Zeitschriftenartikel und mögliche Textsortenvarianten werden
deshalb aus dem Textsortenspektrum der instruktiven Texte ausgegrenzt.
Als instruktive Texte klassifiziert werden die Textsorten Ratgeber und Testbericht. Da die Textsorte popularisierender Zeitschriftenartikel sich zumindest im
Korpus GÖPFERICHS aus Ratgeber- und Testberichten zusammensetzt, wird vorläufig auf die Annahme einer weiteren Textsorte verzichtet. Ebenso wird nicht
von einer Unterscheidung von Aufklärungstext und Ratgeber ausgegangen. Hier
wird jedoch aufgrund der Textsortenanalyse zu prüfen sein, ob Ratgeber
möglicherweise in zwei Subgruppen (Aufklärungstexte und Ratgeber) differenziert werden können, ob Ratgeber und Testberichte eigene Textsorten sind oder
unter einer Textsorte „popularisierender Zeitschriftenartikel“ zusammengefaßt
werden können.
2.3.3 Lehrbuch
GÖPFERICH setzt die Textsorte Lehrbuch als didaktisch-instruktive Textsorte an,
GLÄSER dagegen sieht in Lehrbüchern ausschließlich didaktisierende Textsorten. Lehrbücher enthalten häufig Handlungsanweisungen bzw. Arbeitsanweisungen, die wie in Bedienungsanleitungen als Schritt-für-Schritt-Anleitungen formuliert sind. Besonders auffällig ist dies in Lehrbüchern zu Computerprogrammen. Aber in Bedienungsanleitungen gibt es nicht nur ausschließlich Elemente, die zum Handeln anleiten, sondern z.B. Gerätefunktionen in einen Gesamtzusammenhang stellen.
Tatsächlich stehen in Lehrbüchern im Gegensatz zu Bedienungsanleitungen
weniger die Vermittlung von Handlungswissen, sondern eher die intellektuelle
Bereicherung bzw. die systematische Einführung in ein Fach und die dort genutzten Methoden im Vordergrund. Lehrbücher bieten eine Mischung aus der
Vermittlung von Fakten, immanenter Wiederholung und expliziter Wissenskontrolle. ROLF definiert Lehrbücher als Textsorte, die ein als gesichert geltendes
Wissen darstellen141, ähnliches findet sich bei GLÄSER.142 Entsprechend ordnet
GLÄSER Lehrbücher unter die didaktisierenden Textsorten, auch wenn die
Aufgabensammlung im Lehrbuch als instruktiv klassifiziert wird. Da sich in Lehrbüchern in einigen (wenigen) Teilen instruktive Elemente finden, hier jedoch
Texte untersucht werden, die überwiegend zur Vermittlung von aktuellem Handlungswissen dienen sollen, werden Lehrbücher aus dem Untersuchungskorpus
ausgegrenzt.
140
141
142
38
Gläser 1992, S. 183
Rolf 1993, S. 197
Zu didaktisierenden Textsorten siehe Gläser 1990, S. 148
Textsortenuntersuchungen in der wissenschaftlichen Literatur
2.3.4 Technischer Werbetext und Produktinformation
Als problematisch kann die von GLÄSER angesetzte Textsorte der technischen
Werbetexte angesehen werden. Technische Werbetexte sind nach GLÄSER
Texte, die für komplexe technische Produkte werben, „die in einer Fachzeitschrift oder in einem Spezialkatalog erscheinen und den Fachmann in sachlicher Weise über neue Verfahren, Geräte, Ausrüstungen, Systeme, Substanzen
oder Materialien in einem bestimmten Fachgebiet informieren.“143 GLÄSER nennt
als Beispiele Computeranlagen, medizinische und optische Geräte, Schiffsausrüstungen oder Lehrmittel für den Unterricht. Diese Texte stellen in konzentrierter Weise Fachinformationen zusammen und unterscheiden sich von der
Werbung für Konsumgüter des täglichen Bedarfs durch einen höheren Fachlichkeitsgrad.144
Auch MÖHN spekuliert, ob nicht eine solche Textsorte anzusetzen ist, da es in
der Werbeforschung zahlreiche textuelle Merkmale gibt, die auch für Instruktionstexte zutreffen (z.B. Unverbindlichkeit des Aufforderns zum Kauf). Er nimmt
diese Texte aber nicht in seine Typologie der Instruktionstexte auf.145 Dagegen
sieht BRINKER, der u.a. Werbung und Gebrauchsanweisungen als Appelltexte
klassifiziert, daß die Appellfunktion bei Anweisungen anders geartet ist als bei
Werbetexten. Während Werbung den Leser zu einer unmittelbaren Handlung
veranlassen will, informieren Gebrauchsanweisungen etc. den Leser nur über
bestimmte Handlungsschritte.146
Tatsächlich ist die Intention von Werbung, die „bewußte Beeinflussung von
Menschen auf einen bestimmten Werbezweck hin“147, also den Kauf eines Produktes, Besuch einer Veranstaltung etc. Es wird kein Handlungswissen vermittelt, sondern zu einer unmittelbaren Handlung angeregt. Auch wenn technische
Werbetexte zahlreiche Produktinformationen enthalten können, so ist das primäre Ziel die Beeinflussung; das Handlungswissen, wie z.B. mit dem gekauften
Produkt umzugehen ist oder welche Gefahren oder Fehlerquellen mit diesem
Produkt verbunden sind, wird nicht oder nur eingeschränkt vermittelt. Aus
diesem Grunde werden die technischen Werbetexte aus dem Textsortenspektrum der Instruktionstexte ausgegrenzt.
Ebenso verhält es sich mit der von GÖPFERICH angesetzten Textsorte Produktinformationen, die z.B. Texte aus der Werbung, aber auch Verpackungsaufdrucke
(im Sinne der „Gebrauchsanweisung“ GLÄSERS) beinhalten könnte. Welche
Variante(n) GÖPFERICH mit ihrer Textsortenbezeichnung meint, geht auch aus
ihrer Matrix zur Beschreibung der Pragmatik der Fachtextsorten nicht eindeutig
hervor. Daher wird auf den Ansatz einer eigenen Textsorte „Produktinformation“
verzichtet und Textexemplare, die dieser Textsorte entsprechen könnten,
werden unter die Textsorten Gebrauchsanweisung / Bedienungsanleitung bzw.
die ausgegrenzte Textsorte technische Werbung eingeordnet.
143
144
145
146
147
Gläser 1990, S. 249
Gläser 1990, S. 250
Möhn 1991, S. 209
Brinker bezeichnet diese spezifische Appellfunktion bei Bedienungsanleitungen als Instruktion. Zu den unterschiedlichen Appellfunktionen siehe Brinker 1991, S. 104f.
Bertelsmann Taschenlexikon 1992, Bd. 18, S. 109
39
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
2.3.5 Sachbuch
Weiterhin ist der Ansatz einer von GÖPFERICH in die Gruppe der didaktisch-instruktiven Texte mit aufgenommenen Textsorte „Sachbuch“ fraglich, da sie
diese Textsorte weder inhaltlich genau definiert, noch in ihr Untersuchungskorpus miteinbezieht. Als Sachbücher können alle Bücher bezeichnet werden,
die „im Unterschied zur Belletristik und zum Fachbuch sachbezogene Themen
allgemeinverständlich, belehrend oder unterhaltend für Nichtfachleute“148 darstellen. Dieser Begriff umfaßt also eine sehr heterogene Gruppe von Textexemplaren wie z.B. Ratgeber, Biographien, Tatsachen- oder Reiseberichte, geschichtliche Abhandlungen usw. Auch aus GÖPFERICHS Matrix zur Beschreibung
der Pragmatik der Fachtextsorten geht nicht eindeutig hervor, ob sie eine
besondere Variante oder alle Sachbücher meint. Eine Einzelanalyse wie für
einige andere Textsorten führt sie nicht durch.
In der Typologie GLÄSERS findet sich ebenfalls die Textsorte „Sachbuch“,
GLÄSER ordnet diese als popularisierenden Text ein. Sie stellt fest, daß Sachbücher sehr unterschiedliche Themen behandeln und es „offensichtliche Einordnungsschwierigkeiten und Definitionsprobleme“149 des Sachbuches als Textsorte gibt. Es ist zu fragen, ob es überhaupt eine Textsorte „Sachbuch“ gibt,
oder ob nicht zahlreiche Textsortenvarianten, wenn nicht eigene Textsorten
existieren. Dies ist aber nicht Gegenstand der hier vorgelegten Untersuchung.
Da also nicht eindeutig geklärt werden kann, ob und welche Sachbuch-Variante(n) als Textsorte „Sachbuch“ im Sinne der instruktiven Texte angesehen
werden können, wird auf den Einbezug einer Textsorte „Sachbuch“ das Untersuchungskorpus verzichtet. Textexemplare, die sich mit dem Thema Telefon
auseinandersetzten, werden - soweit sie instruktiv im Sinne der oben genannten
Definition sind - vorläufig unter die anderen Textsorten wie Ratgeber, Aufklärungstext etc. eingeordnet. Eine Überprüfung dieser Zuordnung erfolgt
anhand der sprachinternen und -externen Merkmale dieser Textexemplare nach
der empirischen Untersuchung.
2.3.6 Untersuchungskorpus
Zusammenfassend wird das Textkorpus der Untersuchung instruktiver Texte auf
der Basis der vorangegangenen Vorüberlegungen zu möglichen Textsortendifferenzierungen in der vorhandenen Literatur so aufgebaut:
•
produktbegleitende Texte: Bedienungsanleitungen
•
Testberichte
•
Ratgeber
Exemplarisch für die Textsorte produktbegleitender Text / Anleitungen wird auf
die Textsortenvariante Bedienungsanleitung eingegangen. Diese Variante läßt
sich zum Telefon über nahezu den gesamten Zeitraum seit 1879 am ausführlichsten und umfangreichsten belegen (siehe hierzu auch Kapitel 3). Eine Untersuchung der Textsortenvariante Gebrauchsanweisung ist aufgrund des ge148
149
40
Bertelsmann Taschenlexikon 1992, Bd. 14, S. 9
Gläser 1990, S. 209
Textsortenuntersuchungen in der wissenschaftlichen Literatur
wählten Produktes Telefon nicht möglich, da solche „Verpackungsaufdrucke“ im
Sinne GLÄSERS extrem selten vorkommen und immer durch eine dem Produkt
beigelegte Bedienungsanleitung ergänzt bzw. erweitert werden. Für das Produkt
Telefon ist ebenfalls die Untersuchung von Gebrauchsinformationen bzw.
Packungsbeilagen nicht möglich, da entsprechende Texte nur Medikamenten
beigegeben werden. Die textsortenspezifische Merkmale werden hier außerdem
weitgehend durch gesetzliche Regelungen bestimmt.150
2.4 Textsortenmerkmale
Die bisher in verschiedenen textlinguistischen Untersuchungen ermittelten distinktiven Merkmale zum Textsortenspektrum der instruktiven Texte werden im
folgenden Abschnitt knapp zusammengefaßt. Die in der Literatur als textsortenspezifisch eingeschätzten Merkmale dieser Texte werden dargestellt.
2.4.1 Die Textsorte Bedienungsanleitung
Die Textsorte Bedienungsanleitung (BDA) ist die Textsorte aller hier zu untersuchenden Textsorten, die am häufigsten Gegenstand von Textsortenanalysen
war.151 Da zu Anweisungs-/Anleitungstexten von vor ca. 1950 keine textlinguistischen Untersuchungen vorliegen, können hier eventuell abweichende textsortenspezifische Merkmale älterer Texte nicht vorgestellt werden.
2.4.1.1 Begriffsdefinition: Anweisung vs. Anleitung
Die Bezeichnung einzelner Textexemplare der schriftlichen Anweisungen oder
Anleitungen für technische Geräte differiert stark. Es konkurrieren mehrere Benennungen miteinander, so z.B. Gebrauchsanweisung/-leitung, Bedienungsanweisung/-leitung oder Betriebsanweisung/-leitung bis hin zum allgemeiner gefaßten „produktbegleitenden Text“.152 Eine eindeutige Begriffsklärung liegt jedoch in den seltensten Fällen vor, Begründungen für die Begriffswahl werden
kaum gegeben. Im folgenden soll auf diese Begriffe näher eingegangen werden,
um sie voneinander abzugrenzen.
Mit der Textdeklaration als „Gebrauchsanweisung“ oder „Bedienungsanleitung“
wird ein expliziter Hinweis auf die Textfunktion gegeben. Paraphrasiert steht die
„Bedienungsanleitung“ für einen „Text, der die Bedienung [von etwas] anleitet“,
die Gebrauchsanweisung für einen „Text, der den Gebrauch [von etwas]
anweist“.153 PELKA versucht über diese Paraphrasierung eine Funktionsbestimmung und stellt fest, daß bei der Textsortenbezeichnung Bedienungsanleitung das „Anleiten“, das eher instruktiv zu verstehen ist, vorherrscht. Im
Gegensatz dazu sieht er die Funktion des „Anweisens“ direktiv.154 Mit dieser
Verschiedenartigkeit der Grundwörter „Anleiten“ bzw. „Anweisen“ wird aber in
150
151
152
153
154
Zur Textsorte der Gebrauchsinformation u.a. Schuldt 1993.
Pelka 1982; Möhn / Pelka 1984; Hensel 1989; Donceva 1990; Jahr 1991; Klauke 1993
Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Siehe dazu und zur
Problematik der eindeutigen Benennung und Definition Hensel 1989, S. 138f.; Pelka 1982,
S. 79 u. S. 83-84
Pelka 1982, S. 86
Pelka 1982, S. 86
41
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
der Regel keine Funktionsdifferenzierung vorgenommen, sondern die Begriffe
werden synonym genutzt.
Dies wird auch aus den folgenden Definitionen ersichtlich, die alle unabhängig
vom Begriff „Anleitung“ oder „Anweisung“ zu ähnlichen bis identischen Definitionsinhalten gelangen:155
a. „... eine Gebrauchsanleitung [bietet] für sich allein keinen Nutzen, ihr
Ziel ist es, den Gebrauch eines technischen Geräts überhaupt erst zu ermöglichen oder aber ihn zu vereinfachen ... bei der Gebrauchsanleitungen [geht es] darum, zur Handlung anzuleiten.“156
b. „BDA [Bedienungsanleitungen] vermitteln Informationen über die Bedienung technischer Geräte.“157
c. „Eine Gebrauchsanweisung ist eine Verhaltensanweisung ... des Herstellers, Einführers oder Lieferers eines technischen Erzeugnisses an
den Nutzer für die zweckmäßige und bestimmungsgerechte Benutzung
eines Gerätes.“158
d. Bedienungsanleitungen meinen „... oberbegrifflich jeden Text, der produktbegleitend die Handhabung technischer Geräte und Maschinen anleitet und / oder anweist.“159
Einzig GLÄSER unterscheidet Gebrauchsanweisungen und Bedienungsanleitungen als zwei verschiedene Textsorten; sie differenziert über die Makrostruktur, syntaktische und lexikalische Merkmale. Dabei beschreibt sie Gebrauchsanweisungen als Texte, die meist auf der Verpackung des Produkts
stehen; Bedienungsanleitungen wiederum finden sich auf Beipackzetteln, Broschüren etc., die dem Produkt beigegeben sind.
Weiterhin wird vom Deutschen Institut für Normung (DIN) mit der DIN V 8418
und der DIN V 66055 eine Unterscheidung zwischen „Benutzerinformationen“
für Industriegüter (DIN V 8418) und „Gebrauchsanweisungen“ für Konsumgüter
(DIN V 66055) vorgenommen, von der die Bezeichnung „Gebrauchsanweisung“
für Konsumgüter ableitbar ist.160
Rechtlich existiert kein Unterschied zwischen den Begriffen Bedienungsanleitung oder Gebrauchsanweisung. Abzugrenzen ist allerdings der Begriff der
Betriebsanweisung. Während Gebrauchsanweisungen / Bedienungsanleitungen
„die produktbegleitende hinweisende Sicherheit des Herstellers“ darstellen, sind
„Betriebsanweisungen ... arbeitsplatz- und tätigkeitsbezogene, verbindliche
schriftliche Anordnungen und Verhaltensregeln des Arbeitgebers an Arbeitnehmer zum Schutz vor Unfall- und Gesundheitsgefahren sowie zum Schutz der
Umwelt beim Umgang mit Gefahrstoffen.“161
155
156
157
158
159
160
161
42
Unterstreichungen durch die Autorin.
Kösler 1990, S. 11. Diese wie die folgenden Definitionen vernachlässigt allerdings den
Aspekt, daß Gebrauchsanweisungen auch zum sicheren und sachgemäßen Gebrauch des
entsprechenden Gerätes anleiten sollen.
Donceva 1990, S. 167
Gößner / Strohhöfer 1998, S. 1
Pelka 1982, S. 79-80
Siehe dazu Kapitel 4.7 Rechtliche Anforderungen.
Brendl 1991, S. 155
Textsortenuntersuchungen in der wissenschaftlichen Literatur
Da mit Ausnahme von GLÄSER keine eindeutige Abgrenzung zwischen den Begriffen der Gebrauchsanweisung und der Bedienungsanleitung besteht, wird im
Rahmen dieser Arbeit ausschließlich der Begriff „Bedienungsanleitung“ verwendet, ohne daß damit eine Festlegung für den zu erwartenden Inhalt der zu
untersuchenden Textexemplare getroffen wird.
2.4.1.2 Externe Variablen
Im Rahmen der makrostrukturellen Untersuchung unterscheidet PELKA drei
Typen von Anleitungstexten, die sich an unterschiedliche Zielgruppen richten,
d.h. ein Informationsgefälle zwischen dem Sprecher / Schreiber und dem Hörer
/ Leser signalisieren. Diese Unterscheidung kann auf alle Fachtextsorten übertragen werden:162
a. Texte mit fachexterner Kommunikation richten sich an technische Laien
mit wenigen oder keinen Fachkenntnissen zum Produkt;
b. Texte mit interfachlicher Kommunikation für Fachleute aus anderen
Fachbereichen;
c. Texte mit fachinterner Kommunikation für Fachleute aus dem eigenen
Fachbereich, aber aus einem anderen Betrieb.
Bei allen drei Varianten lassen sich allerdings fast identische Ergebnisse für die
Makrostruktur der Bedienungsanleitung sowie sprachliche Merkmale ermitteln,
so daß auf die weitere Unterscheidung der Anleitungen nach diesen Zielgruppen verzichtet werden kann.163
2.4.1.3 Makrostrukturelle Merkmale
Die äußere Form der Anleitungen ist je nach Zielgruppe und Komplexität des
Produktes sehr unterschiedlich. Je nach Umfang werden diese als Hefte oder
Bücher (Hoch- oder Querformat), meist in DIN A 5 gestaltet, weiterhin sind Faltblätter oder einzelne Seiten in den unterschiedlichsten Formaten und Falztechniken möglich.164
Auf dem Deckblatt (bei Heften oder Büchern) oder zu Beginn des Textes (bei
Faltblättern) wird die Textsorte Anleitung fast immer explizit benannt, hinzu
kommen eine Abbildung oder ein Foto und die Benennung des zu beschreibenden Geräts. Teilweise werden schon zusätzliche Funktionen des Geräts
benannt. Danach folgen - je nach Umfang und Qualität der Anleitung - eine
Kurzbeschreibung und -vorstellung des gekauften Produktes165, eine Bestätigung des Kaufentscheids oder besondere Warnhinweise sowie ein Inhaltsverzeichnis. Laut DONCEVA trifft das Kriterium der verbalen Produktbeschreibung in
Anleitungen nicht immer zu, eine Produktbeschreibung wird teilweise durch ein
Bild realisiert, ganz ausgespart oder die komplette Anleitung ausschließlich
bildlich gestaltet.166 Zusätzlich werden Marketingaspekte wie Informationen über
Zusatzgeräte o.ä. am Anfang oder Ende der Anleitung integriert.167
162
163
164
165
166
167
Pelka 1982, S. 85
Pelka 1982, S. 85; auch in der Matrix von Göpferich werden Bedienungsanleitungen ebenfalls in allen drei Typen fachlicher Kommunikation angesiedelt. Göpferich 1995, S. 203
Pelka 1982, S. 85f.
Borneto 1988, S. 208f.
Donceva 1990, S. 168
Klauke 1993, S. 176
43
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
Als Terminatoren dienen folgende Merkmale: Je nach Umfang der Anleitung
kann am Ende ein Stichwort-, Abkürzungs- und Fachwortverzeichnis stehen.
Danach folgen teilweise Registraturangaben wie die Seriennummer der Anleitung, der Stand und die Nennung der verantwortlichen Firma.
Typische makrostrukturelle Merkmale sind Hinweise zu Inbetriebnahme, Betrieb, Wartung und Instandhaltung im Anschluß an die Initiatoren. Danach
können weitere Hinweise auf Störfälle folgen.168 Anleitungen sind stark chronologisch in der Reihenfolge der durchzuführenden Handlungen gegliedert; diese
Gliederung variiert je nach Komplexität der Anweisung und des zu beschreibenden Produkts zwischen einer einfachen Aufzählung bis hin zu differenzierten
und strukturierten Anordnungen und Untergliederungen einzelner Abschnitte.
Die Textgliederung wird durch Ziffern oder (bezifferte) Überschriften und einer
größeren Schrift, Fettdruck und mit Abständen zum vorhergehenden Text kenntlich gemacht.169
Eine sprachliche bzw. typographische Trennung bestimmter Textpassagen wie
z.B. Sicherheitshinweise erfolgt durch Fett- oder Kursivschrift sowie außersprachliche Zeichen wie Bilder oder Symbole. Sprachliche und außersprachliche Kommunikationsmittel (Bilder, Tabellen u.ä.) werden - nicht nur im Zusammenhang mit Warnhinweisen - in fast allen Anleitungen miteinander kombiniert.170
Besonders im fachinternen und -externen Kommunikationsbereich werden unterschiedliche Visualisierungsmittel eingesetzt. Im fachinternen Bereich werden
„sinnbildliche, schematisierende und zeichnerisch-symbolische Mittel mit einem
hohen Abstraktionsgrad und nur gelegentlich Abbildungen gebraucht, ... im
fachexternen Bereich [werden] fast ausschließlich konkret-anschauliche Mittel
wie (Ganz- und Detail-)Fotos, perspektivisch-umrißhafte Zeichnungen und sinnfällige Symbole“ genutzt.171
Abbildungen haben kontaktive und deskriptive bzw. instruktive Funktionen,
dabei überwiegen die Abbildungen mit kontaktiver Funktion. Abbildungen stehen
neben oder über dem Text. Selten gibt es Abbildungen im Anhang oder auf
gesonderten Seiten oder Beiheften. Im Text wird regelmäßig auf die Abbildung
verwiesen, weiterhin finden sich Benennungen in / an der Abbildung, die im Text
wieder auftauchen.172
Neben der bloßen Anleitung oder Anweisung enthält eine Anleitung je nach
Intention des jeweiligen Textabschnitts auch gegenstands- und vorgangsbezogene Darstellungen und Beschreibungen, Informationen über Störfälle und werbende Passagen, die das Produkt aufwerten oder auf andere Produkte hinweisen sollen. Es existiert ein „Neben- und Ineinander von beschreibenden, erläuternden, anleitenden, vorschreibenden und empfehlenden Textteilen.“173 Der
168
169
170
171
172
173
44
Klauke 1993, S. 127f.
Pelka 1982, S. 93; Möhn 1991, S. 203; Möhn / Pelka 1984, S. 59; Klauke 1993, S. 147
Möhn 1991, S. 202
Pelka 1982, S. 93
Klauke 1993, S. 212-233
Pelka 1982, S. 81; Hensel 1989, S. 153; Möhn 1991, S. 200
Textsortenuntersuchungen in der wissenschaftlichen Literatur
Sprachduktus variiert zwischen einem sachlich-nüchternen und einem persönlich-verbindlichen Stil.174
2.4.1.4 Syntax
Kennzeichnend für die Syntax in Anleitungen sind folgende Merkmale:
a. Imperativsätze und Infinitivkonstruktionen in der Höflichkeitsform bzw.
weit häufiger in der Form des unpersönlichen Imperativs bzw. der Infinitivkonstruktion. „Der Infinitiv ist wegen seiner Kürze ... für diese Textsorte besonders charakteristisch. Die Infinitivform steht in der Endstellung. Typisch für diese Konstruktion ist der Wegfall des Artikels des Akkusativobjekts.“175
b. Passivkonstruktionen, wobei eine prinzipielle Austauschbarkeit der unpersönlichen Imperative mit Passivformen gegeben ist.176
c. Aktivsätze im Präsens Indikativ.177
d. Elliptische Satzkonstruktionen bestehend aus Substantiv und Verb; diese
Grundstruktur kann beliebig um weitere Satzglieder erweitert werden.178
Die finite oder infinite Verbform entfällt teilweise.179
e. Präpositionalfügungen in der Form Präposition + (Artikel) + deverbatives
Substantiv.180
Vor allem den ersten drei syntaktischen Merkmalen kommen appellative Funktionen zu.
2.4.1.5 Lexikalische Merkmale
Häufig auftretende Wortformen oder Besonderheiten der Wortwahl in Anleitungen sind:
a. Hohe fachsprachliche Anteile im Vokabular.181
b. Zwei- oder mehrgliedrige substantivische Determinativkomposita (inklusive Zusammenbildungen) zur Benennung konkreter Gegenstände. Die
so gebildeten Bezeichnungen werden in der Regel nicht sprachlich, sondern durch den Verweis auf Abbildungen erläutert. Determinativkomposita werden ebenso häufig im adjektivischen bzw. partizipial-adjektivischen Bereich eingesetzt, auch hier werden diese Wortbildungen nicht
näher verbal erläutert.182
174
175
176
177
178
179
180
181
182
Pelka 1982, S. 89
Donceva 1990, S. 172. Siehe ferner: Pelka 1982, S. 98f.; Möhn 1991, S. 201; Möhn / Pelka
1984, S. 59; Klauke 1993, S. 165
Donceva 1990, S. 172; Möhn 1991, S. 201
Donceva 1990, S. 172; Möhn 1991, S. 201
Pelka 1982, S. 96; Klauke 1993, S. 165
Donceva 1990, S. 172
Pelka 1982, S. 96; Möhn / Pelka 1984, S. 59
Pelka 1982, S. 83; Grosse / Mentrup 1982, S. 7
Pelka 1982, S. 94f.
45
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
c. Infinite Verben, besonders in imperativischen Infinitiv- und Passivkonstruktionen. Dies führt zu Substantivierungen dieser infiniten Verben, besonders in Überschriften, Übersichten und Präpositionalfügungen.183
d. Passivumschreibungen mit lassen (refl.) + Infinitiv; sein + zu + Infinitiv;
man-Konstruktionen.184
e. Präsens Indikativ der Modalverben sollen, müssen, dürfen, können, sowie Präteritum Konjunktiv von sollen + Infinitiv / Infinitiv Vorgangspassiv /
Infinitiv Zustandspassiv. Diese sowie die verbalen Formen drücken vor
allem Grade der Verbindlichkeit des gegebenen Appells aus.185
f. Verbale Formen wie empfiehlt sich, wird empfohlen, ist zu empfehlen, ist
empfehlenswert, ist ratsam, ist notwendig, ist erforderlich, ist möglich
u.ä.186
2.4.2 Die Textsorte Testbericht
Im Gegensatz zu den Bedienungsanleitungen liegen zu Testberichten kaum Untersuchungen vor, weder zu aktuellen noch zu älteren Texten. Die folgenden
Ausführungen stützen sich daher im wesentlichen auf die Erkenntnisse von
GÖPFERICH und MÖHN.187
2.4.2.1 Externe Variablen und makrostrukturelle Merkmale
Wie schon für die Bedienungsanleitungen gilt auch für Testberichte, daß diese
in allen drei Typen fachlicher Kommunikation angesiedelt sein können. In Testberichten wird über verschiedene konkurrierende Produkte informiert. Diese
Produkte werden verglichen und relationiert; Kaufempfehlungen werden entweder konkret gegeben oder können daraus abgeleitet werden. Weiterhin werden
unter verschiedenen Aspekten und Skalen Bewertungen durchgeführt, diese
gewichtet und zu einem Gesamturteil zusammengefaßt.
Der Text ist in die Abschnitte Einführung, Beschreibung(en) der Testobjekte,
Bewertungsaspekte und Bewertungsskala sowie eine Zusammenfassung / ein
Gesamturteil gegliedert. Weiterhin gibt es Abbildungen der untersuchten Geräte
oder Fotos, die der Beweissicherung und Argumentationsbegründung dienen,
sowie am Ende des Artikels eine Tabelle mit einer Übersicht über die
Testergebnisse. Teilweise werden diese Abschnitte durch Zwischenüberschriften, die durch Fettdruck hervorgehoben werden, markiert.
2.4.2.2 Syntax und lexikalische Merkmale
Zu den syntaktischen Merkmalen zählt eine häufige Nutzung von Relativsätzen
und die durchschnittliche Nutzung von Adverbialsätzen, überwiegend von
Temporal-/Konditionalsätzen sowie Kausalsätzen. Weiterhin wird die konkurrierende Marktsituation direkt oder indirekt thematisiert und teilweise mit Sport-
183
184
185
186
187
46
Pelka 1982, S. 95
Donceva 1990, S. 172
Donceva 1990, S. 172; Möhn 1991, S. 202
Donceva 1990, S. 172; Pelka 1982, S. 99; Borneto 1988, S. 211f.
Möhn 1991, S. 205f., Göpferich 1995, S. 262
Textsortenuntersuchungen in der wissenschaftlichen Literatur
metaphern auf den Test selbst übertragen. Passivumschreibungen, Passivoder Infinitivkonstruktionen finden sich relativ selten.
2.4.3 Die Textsorte Ratgeber
Wie schon bei den Testberichten, so finden sich auch zu Ratgebern kaum Textsortenuntersuchungen. Werden Ratgeber analysiert, dann handelt es sich meist
um medizinische Ratgeber.188 Um die Ratgeberbücher zu charakterisieren, wird
außerdem auf die Ergebnisse von GLÄSER zur Textsorte Sachbuch
zurückgegriffen, unter die GLÄSER Ratgeberbücher im Sinne dieser Untersuchung einordnet.189 Anhand der empirischen Analyse wird überprüft, inwiefern
diese Merkmale tatsächlich auf die Ratgeberbücher zutreffen; auf die Annahme
einer eigenen Textsorte Sachbuch wird verzichtet.
2.4.3.1 Externe Variablen und makrostrukturelle Merkmale
Ratgeber sind Texte „für den aktuellen oder eintretenden Bedarf ... Entscheidender Unterschied zum Subtyp 1 [Bedienungsanleitung] ist, daß hier die Instruktion selbst ein eigenständiges Produkt ist, somit durch Kauf erworben werden muß oder vor dem Angebot von interessierter Seite subventioniert wird.“190
Entsprechende Texte können in sehr unterschiedlicher Form vorliegen: als Zeitungs- oder Zeitschriftenartikel, als Broschüren sowie als Bücher. Die Zeitungsund Zeitschriftenartikel zeigen eine ähnliche Makrostruktur wie die Testberichte.
Bei Büchern dienen als Initiatoren auf dem Buchumschlag die Nennung von
Autor bzw. Herausgeber, Titel des Textes sowie die Angabe des Verlages. Dies
wiederholt sich auf der Titelseite des Buches, ggf. ergänzt um den Erscheinungsort und das Erscheinungsjahr, die CIP-Aufnahme und die ISBN-Nummer.
Diesen Angaben folgt teilweise ein Vorwort und ein Inhaltsverzeichnis. Direkte
Terminatoren sind teilweise verschiedene Verzeichnisse (Literatur-, Abkürzungs-, Schlagwortverzeichnis) sowie Werbung für andere Produkte des Verlages. Bei Taschenbüchern findet sich auf der Buchrückseite ein Klappentext mit
einer Kurzbeschreibung des Buches und teilweise Informationen über den Autor
und die Zielgruppe.
Die Ratgeber in Zeitungen oder Zeitschriften sind gegliedert in die Abschnitte
Einführung und Beschreibung des / der empfohlenen Objekte. Danach werden
besondere Eigenschaften des Objekts und deren Vor- und Nachteile beschrieben. Es folgt eine (Kauf-)Empfehlung, die sich je nach Verwendungszweck unterscheiden kann. Weiterhin finden sich sehr viele Abbildungen: Fotos der beschriebenen Produkte, motivierende Fotos und Zeichnungen von Personen, die
z.B. das Produkt nutzen.
Im Unterschied zu den Ratgebern in Zeitungen oder Zeitschriften ist die Makrostruktur von Sachbüchern nach GLÄSER „nicht verallgemeinerungsfähig“ und besteht aus einer „Folge von Einzelkapiteln“.191 Die jeweiligen Kommunikationsgegenstände werden chronologisch dargestellt. Es gibt kaum metakommunikative Äußerungen: Themenwahl, Inhalt und Umfang der Darstellung werden
188
189
190
191
Besonders Gläser 1990, S. 228 und Busch-Lauer 1995, S. 127-139
Gläser 1992, S. 207-221
Möhn 1991, S. 205
Gläser 1992, S. 220f.
47
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
nicht begründet, Zusammenfassungen und Verallgemeinerungen werden nicht
gegeben. Die Wechselwirkung zwischen Wort- und Bildtext ist hoch, es gibt
zahlreiche Abbildungen.
2.4.3.2 Syntaktische und lexikalische Merkmale
Bei Ratgeberbroschüren und Artikeln sind als typische Kommunikationsverfahren das „Beschreiben, Explizieren, Darlegen, Begründen, Fragen, Argumentieren und Widerlegen ... und das Warnen“192 hervorzuheben, nicht jedoch das
Definieren. Weiterhin ist eine häufige Nutzung des Imperativs, von Relativsätzen sowie ein geringer Passivanteil zu verzeichnen. Der Wortschatz hat eine
große Nähe zur Allgemeinsprache. Fachbegriffe werden häufig durch einen verständlicheren Äquivalenzbegriff in Klammern oder durch eine Parenthese
erläutert. Weiterhin finden sich besonders in medizinischen Ratgebern dialogische Strukturen in Form von Frage-Antwort-Sequenzen, die bestimmte Fragestellungen aus der Sicht eines fiktiven Nutzers beantworten und damit erklären.
In Sachbüchern wird der notwendige Fachwortschatz des jeweiligen Fachgebietes genutzt. Es gibt kaum Pronomen der 1. und 2. Person Singular; der Autor
beschreibt, berichtet und erörtert. Der Anteil finiter Verbformen liegt um die
20%. Es wird auf zahlreiche unterschiedliche sprachliche Stilmittel wie Vergleiche oder Personifizierungen zurückgegriffen.
2.5 Zusammenfassung
Die Textsortendefinition, die zur empirischen Analyse genutzt wird, stammt von
SIMMLER und ermöglicht ein hierarchisches Vorgehen bei der Textsortenuntersuchung von der Makrostruktur über die Syntax bis hin zur Lexik. Neben rein
sprachlichen Merkmalen werden auch Text-Bild-Kombinationen in die Untersuchung mit einbezogen. „Hypertext“ wird als Text im Sinne der Textdefinition
SIMMLERS betrachtet, Textexemplare mit Hypertext-Struktur können damit in die
Textsortenuntersuchung mit einbezogen werden.
Als wesentliche Merkmale von Instruktionstexten kann festgehalten werden,
daß diese ein dem aktuellen Wissenstand entsprechendes Handlungswissen
vermitteln; es sind Texte, die den Leser zu Handlungen bzw. zur praktischen
Anwendung befähigen. Nach der Untersuchung verschiedener Typologisierungsansätze von GÖPFERICH, GLÄSER und MÖHN, die sich mit Instruktionstexten
auseinandersetzen, können als „Instruktionstexte“ die Textsortenbezeichnungen
Bedienungsanleitung, Testbericht und Ratgeber festgehalten werden.
Bei der Zusammenstellung der textsortenspezifischen Merkmale aus bisherigen
Untersuchungen wird deutlich, daß die Textsorte „Bedienungsanleitung“ die am
häufigsten analysierte Textsorte ist. Spezifische Merkmale lassen sich aber
auch für die anderen Textsorten auf makrostruktureller, syntaktischer und Wortebene ermitteln, es liegen aber deutlich weniger Analysen vor.
192
48
Gläser 1990, S. 231
Normativ-theoretische Anforderungen an Instruktionstexte
3 Normativ-theoretische Anforderungen an
Instruktionstexte
3.1 Interdisziplinarität der Anforderungen
Instruktionstexte haben die Aufgabe, Wissen zu vermitteln bzw. den Benutzer
bei der Wissensaneignung durch tätigkeitsleitende Beschreibungen zu unterstützen. Bei der Untersuchung der theoretischen Anforderungen an Instruktionstexte können Textverstehen und Textgestaltung nur unter Berücksichtigung des
Entstehungsprozesses, des Verarbeitungsprozesses und des Reproduktionsprozesses von Texten im menschlichen Gehirn beschrieben werden.
Innerhalb der Fachliteratur werden an Instruktionstexte heute vielfältige Anforderungen bezüglich Aufbau, Sprache und Inhalten gestellt, die sich aus den
unterschiedlichsten wissenschaftlichen Ansätzen herleiten. Bereits im ersten
Drittel diese Jahrhunderts wurden vor allem im anglo-amerikanischen Raum
Theorien zur Lesbarkeit von Texten und zum Textverständnis entwickelt, die auf
einfachen Lesbarkeits- und Verständnisformeln basierten.193 Diese ”Verständlichkeitsforschung” ist heute jedoch eine Sammelbezeichnung für zum Teil sehr
unterschiedliche Forschungsbereiche mit entsprechend divergierenden
Theorien und Methoden. Diese lassen sich grob in folgende Gruppen unterteilen:194
a. Rezeptionsorientierte Arbeiten befassen sich mit der Modellierung von
Informationsverarbeitungsprozessen von Texten und der Imitation von
natürlicher Sprache. Diese stammen aus den Forschungsrichtungen der
Linguistik195, Psycholinguistik196, Psychologie197, Kognitionspsychologie198 und Künstliche-Intelligenz-Forschung;199
b. Stärker textorientierte Arbeiten bemühen sich um Präzisierung von
Fragestellungen und Problemlösungen. Hier gibt es textlinguistische und
–wissenschaftliche Ansätze zur Textualität, Kohärenz und Kohäsion von
193
194
195
196
197
198
199
Innerhalb der beginnenden Lesbarkeitsforschung werden zunächst Lesbarkeitsformeln zur
Erfassung von Textmerkmalen wie dem Verhältnis von Satz- zu Wortlänge oder die relative
Vorkommenshäufigkeit von Wörtern entwickelt. Da auch neuere Lesbarkeitsformeln wie
z.B. von Briest 1974 keine Hinweise zur sinnvollen Textgestaltung wie zur kognitiven Textgliederung oder zu Verstehensprozessen liefern, bleiben diese Ansätze hier unberücksichtigt. Einen Überblick über die zahlreichen Verständlichkeitsformeln bieten Kintsch / Vipond
1979. Zur Kritik u.a. Biere 1990, S. 15-24, Biere 1991, S. 7., Heringer 1979, S. 255-278
Becker / Schmalen 1990, S. 98
Einen Überblick liefert Aust 1983.
Einen sehr umfassenden Überblick liefern Rickheit / Strohner 1985, S. 1-78
Hier besonders die Arbeiten der Verständlichkeitskonzeption von Langer / Schulz von Thun
/ Tausch 1974; Groeben 1972; Kintsch / Vipond 1979. Diese Erkenntnisse fließen hier ein,
auch wenn z.T. aufgrund des gewählten Untersuchungsansatzes die theoretische Einbettung fehlt.
Einen Überblick liefert Hoppe-Graff 1984, S. 10-37; Mandl 1981; Anderson 1988
Habel 1985
49
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
Texten200, zu Makro- und Superstrukturen201 und Versuche der Textsortenbestimmung;202
c. Arbeiten aus dem Bereich der Textproduktion, insbesondere der
Schreibforschung, liefern Grundzüge einer Theorie des Schreibens. Teilweise wird hierbei auch auf Elemente der Rhetorik zurückgegriffen;203
d. Daneben existieren rechtliche Anforderungen und verschiedene deutsche und internationale Richtlinien und Normen zur Produkthaftung und
Gestaltung von Bedienungsanleitungen.204
Aufgrund der Vielzahl der Forschungsansätze werden hier nur kurz die wichtigsten Ansätze und die daraus resultierenden sprachlichen Anforderungen vorgestellt. Nicht-linguistische Untersuchungen greifen auf Beschreibungskriterien
aus dem eigenen Forschungsbereich zur Beschreibung sprachlicher Anforderungen zurück, die häufig nicht mit denen der Linguistik übereinstimmen. Diese
werden in einem ersten Schritt vorgestellt und im Anschluß daran die zu untersuchenden sprachlichen Anforderungen aus Sicht der Linguistik bewertet und
zusammengestellt.
3.2 Allgemeine theoretische Voraussetzungen
In einem ersten Schritt werden Theorien dargestellt, die Auswirkungen auf die
allgemeine Gestaltung und Strukturierung von Instruktionstexten haben. Ausgehend von Fragen der Leser-Text-Interaktion sowie Lesermerkmalen werden Aspekte der Gedächtnisforschung und Theorien zur Textverarbeitung vorgestellt.
3.2.1 Leser- und Lernermerkmale
Leser- oder Lernermerkmale spielen eine bedeutende Rolle bei der Textrezeption. Sie lassen sich nach folgenden Kriterien näher bestimmen, wobei die folgende Aufstellung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt:205
a. objektive Lesermerkmale: Dazu gehören die Funktionen der Wahrnehmungsorgane und des Gehirns bei der Aufnahme von Textinformationen, die Arbeitsweise des Gedächtnisses, die Art des Wissenserwerbs,
der Speicherung und Modifizierung. Diese Merkmale treffen auf jeden
Menschen in ähnlicher Weise zu;
b. subjektive / psychologische Lesermerkmale:
- affektiv-emotionale Kennzeichen wie Motivation, Absicht, persönliche
Interessen, Bedürfnisse und Konzentrationsfähigkeit;
- kognitive Kennzeichen wie Vorkenntnisse, Bildungsstand, Intelligenz,
Abstraktionsfähigkeit, sprachliche Fertigkeiten.
200
201
202
203
204
205
50
Einen Überblick bietet Simmler 1978, S. 22-29; Fritz 1982
Baumann 1987, S. 2-18; Jahr 1991, S. 35-39; van Dijk 1980, S. 128
Grosse / Mentrup 1982; Gülich / Raible 1972; Möhn 1991, S. 183-212
Antos 1990, S. 1-13
Brendl 1991; Holtmann 1990, S. 173-193; Streib / Riemer 1993
Becker / Schmalen 1990, S. 105
Normativ-theoretische Anforderungen an Instruktionstexte
Gerade die subjektiven Elemente der Verarbeitungsprozesse sind bedeutsam,
da sie entscheidenden Einfluß auf das Textverständnis haben können. Je nach
Vorwissen des Lesers zum Text steigt z.B. die Behaltens- oder die Verständnisleistung.206 Problematisch ist jedoch die methodische Erfassung aussagekräftiger Daten, die Rückschlüsse über spezielle subjektive oder psychologische
Lesermerkmale zulassen, die Auswirkungen auf das Textverständnis haben
könnten.207
3.2.2 Leser-Text-Interaktion
Textverständlichkeit ist eine relative Größe, die aus einer komplexen Interaktion
zwischen Text und Leser entsteht. Textverstehen kann daher nicht als passive
Sinnentnahme durch den Leser verstanden werden. Der Verstehens- und Erinnerungsprozeß ist eine aktive Konstruktionshandlung, der Verarbeitungsprozeß
wird durch das Vorwissen des Lesers, seine Zielsetzung und seine Motivation
beeinflußt.208
Dabei können zwei gegenläufige, interagierende Verarbeitungslinien unterschieden werden, die sich wechselseitig beeinflussen:209
a. Bottom-up-Prozeß: Eine aufsteigende, text- oder datengeleitete Verarbeitung, bei der explizite Textinformationen von unten den Aufbau von
Konzepten, Schemata und mentalen Modellen beim Leser steuern;
b. Top-down-Prozeß: Eine absteigende, schemageleitete Textverarbeitung,
bei der das Vorwissen des Lesers, repräsentiert in Modellen, Konzepten
und Schemata, die Grundlage der Interpretation und Deutung des
Textes ist.
Da das Textverstehen aus diesem aktiven Konstruktionsprozeß resultiert, müssen bei der Untersuchung der theoretischen Anforderungen zuerst diese Verarbeitungsprozesse näher untersucht werden, da sich daraus wesentliche Aspekte der Textgestaltung ergeben.
3.2.3 Das menschliche Gedächtnis
Bei Textverarbeitungsprozessen spielt das menschliche Gedächtnis eine wichtige Rolle, da es die kognitiven Leistungen wie sprachliches Verhalten oder die
Textrezeption beeinflußt. Fast alle Forschungsergebnisse zum Gedächtnis sind
umstritten. In einem jedoch bisher immer noch genutzten Ansatz wird das Gedächtnis durch ein Mehrspeichermodell mit drei funktional und kapazitativ unterschiedlichen Komponenten beschrieben: 210
206
207
208
209
210
Hoffmann 1990, S. 53f.
Hacker 1990, S. 34, Meutsch 1989, S. 14
Einen Überblick bietet Hoppe-Graff 1984, S. 10-37
Lindsay / Norman 1981, S. 372f.; Becker / Schmalen 1990, S. 104
Nach Ballstaedt et al. 1981, S. 86; Dieses Modell zum Gedächtnisaufbau wird für das
Langzeitgedächtnis (LZG) in der Regel noch um das episodische (persönliche
Erfahrungen) und semantische (Weltwissen, von persönlichen Erfahrungen gelöst)
Gedächtnis erweitert, kann aber hier für die Erklärung der Textverarbeitung genügen. Rich
/ Knight 1991, S. 540f.; Ballstaedt et al. 1981, S. 90
51
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
Umweltinformation
UKZG
KZG
LZG
Vergessen
Abb. 4: Mehrspeichermodell zum menschlichen Gedächtnis
Der Mensch verfügt über ein Ultrakurzzeit- (UKZG), ein Kurzzeit- (KZG) und ein
Langzeitgedächtnis (LZG). Im Ultrakurzzeitgedächtnis werden Umweltreize aufgenommen und kurzfristig gespeichert, in der Regel aber nicht bewußt wahrgenommen. Bestimmte Eindrücke wie z.B. gelesene Informationen überschreiten
je nach Aufmerksamkeit, Konzentration und Interessenfokus der wahrnehmenden Person diese Bewußtseinsschwelle (siehe auch Leser- und Lernermerkmale) und werden im Kurzzeitgedächtnis verarbeitet, welches daher für die
Behaltens- und Ausführungsleistung bei der Textverarbeitung maßgeblich ist.211
Die Behaltensleistung des Kurzzeitgedächtnisses ist nur sehr gering, gelesene
Informationen werden nach ca. 20 Sekunden wieder vergessen. Dies trifft auch
für die Kapazitäten des KZG zu, es können nur 7 ± 2 „Einheiten“ gespeichert
werden. Das Gedächtnis speichert jedoch nicht nur 7 ± 2 Buchstaben, sondern
bedeutungshaltige Elemente, sogenannte Chunks. Diese bedeutungshaltigen
Elemente werden aus Buchstaben, Silben, bei Wörtern aus „bedeutungshaltigen
Wortteilen”, bei Sätzen aus bedeutungshaltigen Wortgruppen oder Phrasen
gebildet.212
Innerhalb der Chunks können Informationen gebündelt und hierarchisch strukturiert werden, dadurch erhöht sich die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses bei
komplexen Informationen. Kleinere Informationseinheiten erscheinen dabei als
Chunks innerhalb von größeren Informationseinheiten. Werden Informationen
jedoch nicht entsprechend umstrukturiert, gebündelt und in das Langzeitgedächtnis übertragen, gehen sie für eine weitere Verarbeitung verloren. Abb. 5
verdeutlicht die Strukturierung der Informationen.
Erfahrungen, Welt- und Sprachwissen des Menschen werden im Langzeitgedächtnis aufbewahrt. Die Prinzipien, nach denen dieses Wissen geordnet und
verwaltet wird, sind strittig.213 Informationen des Langzeitgedächtnisses werden
im Vergleich zum Kurzzeitgedächtnis bei einer reinen Reproduktionsleistung
über einen erheblich längeren Zeitraum wieder vergessen; der Verfall der
Informationen verläuft exponentiell. Beim Wiedererlernen bereits ”vergessener”
Informationen werden einmal erlernte Zusammenhänge besser behalten als neu
zu erlernende Informationen.214
211
212
213
214
52
Kintsch 1982, S. 141; Wettler 1980, S. 12; Becker / Schmalen 1990, S. 105f.
Kintsch 1982, S. 163; Kösler 1990, S. 40
Ballstaedt et al. 1981, S. 86
Kösler 1990, S. 44
Normativ-theoretische Anforderungen an Instruktionstexte
Information
Komplexität
nimmt zu
Detaillierungsgrad
nimmt zu
= Chunk
Abb. 5: Hierarchische Strukturierung von Informationen
Zur Unterstützung des Kurzzeitgedächtnisses müssen also Informationen möglichst kurz unter Berücksichtigung der Merkleistung gegeben werden, Sätze und
Bilder sollten nicht mehr als fünf bedeutungshaltige Elemente enthalten. Hervorhebungen sollten nur sparsam eingesetzt werden. Die Gliederung muß Informationen bündeln: Unter- und übergeordnete Informationseinheiten (Chunks)
müssen angeboten werden.
Dies gilt ebenso für die Unterstützung des Langzeitgedächtnisses: Informationen müssen für ein einfaches schnelles Wiederfinden und Erinnern übersichtlich und hierarchisch gegliedert sein. Insbesondere „Gebrauchsanleitungen sollten so geschrieben werden, daß der Benutzer nur noch eine Reihe von Handlungsschritten nacheinander ausführen und keine Fakten mehr lernen muß.”215
Die Handlungsanweisungen müssen so strukturiert sein, daß sie nach wenigen
Durchgängen ohne Einsicht in den Text selbständig ausführbar sind.
3.2.4 Wissensrepräsentation
Die Annahme, das menschliche Gedächtnis arbeite mit Organisationsprinzipien
zur Aufbewahrung von Wissen, hat zu einer Vielzahl ähnlicher Modelle der
Wissensrepräsentation vor allem im Bereich der kognitiven Psychologie geführt.
Besondere Bedeutung haben hier die Modelle zu sogenannten Semantischen
Netzwerken erlangt.216
Das menschliche Wissen kann als ein semantisches Netzwerk aufgefaßt werden, das aus einer geordneten Menge von Knoten und gerichteten Pfeilen
besteht. Die Knoten repräsentieren Begriffe (oder synonym Konzepte), die
Pfeile die Beziehungen zwischen den Knoten. Einzelne Konzepte sind allgemeineren Konzepten untergeordnet, so daß eine hierarchische Gliederung entsteht.217 Die folgende Zeichnung verdeutlicht die Grundstruktur eines Netzwerkes.218
215
216
217
218
Kösler 1990, S. 31
Eine Übersicht über die verschiedenen Modelle bieten Rickheit / Strohner 1985, S. 10;
Lindsay / Norman 1981, S. 291
Lindsay / Norman 1981, S. 296; Becker / Schmalen 1990, S. 107
Nach Ballstaedt et al. 1981, S. 23
53
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
A
r
B
A, B = Konzept
r = semantische Relation
Abb. 6: Grundbaustein eines Netzwerkes nach BALLSTAEDT ET AL.
Da semantische Netzwerke nur die Beschreibung einer ruhenden Wissensstruktur darstellen, werden die Aktivitäten der Netzwerke mit Hilfe der Schematheorie
erklärt.219 Ein Schema ist „ein ausgrenzbares konzeptuelles Teilsystem im
Netzwerk, in dem aufgrund von Erfahrungen typische Zusammenhänge eines
Realitätsbereichs repräsentiert werden.“220 Ein Schema beinhaltet keine
ruhende Wissensstruktur, sondern hat eine aktive Rolle bei der Informationsaufnahme und Verhaltenssteuerung. Erfahrungen über einen Realitätsbereich
sind in einem Schema verallgemeinert enthalten; wird das Schema aktiviert,
steuert es Handlungssequenzen und erleichtert die Informationsaufnahme durch
das Hervorrufen bestimmter Erwartungen. Wie die Netzwerke, so sind auch
Schemata hierarchisch organisiert.
Werden dem Leser also unbekannte Informationen übermittelt, müssen bereits
bekannte Schemata angesprochen werden, mit denen die neuen Informationen
verbunden werden können. Das Vorwissen des Lesers muß aktiviert werden.
Existierende Schemata dürfen nicht ignoriert werden, da dies verwirrt bzw. das
alte Verständnis- und / oder Handlungsschema aktiviert wird. Dies kann zu
Verständnis- bzw. in Folge zu Bedienungsfehlern führen. Existieren keine bekannten Handlungsschemata, müssen die Informationen schemaorientiert und
hierarchisch organisiert angeboten werden, um den Wissenserwerb bzw.
Handlungsablauf zu beschleunigen und zu erleichtern.221
3.2.5 Verarbeitungsebenen bei der Textrezeption
Textinhalte werden erst durch die Lektüre der Leser gebildet. Dabei beeinflussen das Weltwissen und das sprachliche Wissen der Leser den Rezeptionsvorgang. Diese Leser-Text-Interaktion kann in verschiedene Teilprozesse gegliedert werden, die Anhaltspunkte für die Möglichkeiten der Beeinflussung von
Verarbeitungsprozessen durch Textgestaltung und Lernstrategien geben.
Die Verarbeitungsebenen stehen in hierarchischer Ordnung zueinander: Zuerst
die semantischen Verarbeitungsprozesse, dann die Propositionen (Satzaussagen), die lokale Kohärenz, die Makrostrukturen und zuletzt die Superstrukturen:222
219
220
221
222
54
Hoppe-Graff 1984, S. 16
Ballstaedt et al. 1981, S. 27
Kösler 1990, S. 120f.
Zusammenfassend Rickheit / Strohner 1985, S. 41
Normativ-theoretische Anforderungen an Instruktionstexte
Semantische Verarbeitungsprozesse
Propositionen
Kohärenz
Makrostrukturen
Superstrukturen
Abb. 7: Verarbeitungsebenen bei der Textrezeption
Durch eine graphemische Analyse und die Worterkennung werden erste Elemente für eine Textrepräsentation - Wörter mit einem festen Bedeutungskern
und kontextabhängigen Bedeutungselementen - ermittelt. Da die Ergebnisse der
semantischen Verarbeitungsprozesse besonders für Satzbau und Wortwahl
sowie die drucktechnische Gestaltung von Texten relevant sind, wird auf die
einzelnen Prozesse wie die Blickbewegung und die Buchstaben- und Worterkennung im Kap. 3.4.1 detaillierter eingegangen. Propositionen werden über
eine sich ergänzende semantische und syntaktische Analyse ermittelt. Diese
Satzaussagen stellen wichtige Elemente für den Aufbau der Textstruktur und
des Gesamtinhalts dar. Da die semantisch-syntaktische Verarbeitung von
Texten relevante Ergebnisse im Bereich des Satzbaus liefert, wird in Kap. 3.4.2
detaillierter darauf eingegangen.
Die sogenannte lokale Kohärenz stellt die Verknüpfung zwischen den einzelnen
Propositionen dar. Die Verknüpfungen zwischen einzelnen „Satzteilen“ können
in bestimmten Relationen zueinander stehen (Unterordnung, Überordnung,
Reihung). Sprachliche Mittel, die Bezüge zwischen den einzelnen Satzteilen
herstellen (siehe 3.4 Syntax und lexikalische Merkmale), unterstützen die lokale
Kohärenz.223 Ähnlich den Beziehungen zwischen den „Satzteilen“ weisen auch
größere Textteile wie Sätze, Absätze und Kapitel Beziehungen zueinander auf.
Bei der Erarbeitung von einzelnen Textinhalten verdichten sich diese auf die
Kernaussagen und bilden sogenannte Makropropositionen. Der Leser überführt
den so ermittelten Textinhalt in ein Ordnungsschema, die „semantische Makrostruktur“, um das Thema des Textes zu erfassen.224
Der Text wird jedoch nicht allein über die Textinhalte, also die semantischen
Makrostrukturen, sondern auch über die Superstrukturen erschlossen. Informationen in Texten werden bei unterschiedlichen „Textgruppen“ in einer bestimmten formalen Reihenfolge präsentiert. Der Leser einer Sprachgemeinschaft
bringt durch seine Leseerfahrung mit dieser oder einer ähnlichen Textgruppe
Vorkenntnisse über die Reihenfolge der Informationspräsentation mit und erwartet einen bestimmten Ablauf der Informationen.
223
224
Becker / Schmalen 1990, S. 108; Ballstaedt et al. 1981, S. 41
Zur Überführung von Makropropositionen in die Makrostruktur siehe Ballstaedt et al. 1981,
S. 77
55
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
Dieser erwartete formale Ablauf kann als Superstruktur bezeichnet werden, die
unabhängig vom Textinhalt existiert. Eine Superstruktur hat sich in der Regel
innerhalb einer Sprachgemeinschaft konsolidiert und konventionalisiert.225 Ein
Beispiel für die Superstruktur einer Geschichte verdeutlicht die Reihenfolge der
Informationspräsentation:226
Geschichte
Setting
Episode
Ereignis
Ereignis
Ereignis
Reaktion
Veränderung
eines Zustandes
Innere
Reaktion
Äußere
Reaktion
Ereignis
Abb. 8: Beispiel für die syntaktische Struktur einer Geschichte nach RUMELHART
Superstrukturen und semantische Makrostrukturen stellen verschiedene globale
Textstrukturen dar: „Während die semantische Makrostruktur eine kondensierte
Repräsentation des Textinhaltes ist, betrifft die Superstruktur eines Textes die
Form der Darstellung.“227 Semantische Makrostrukturen können nicht konventionalisiert werden, da sie einen textspezifischen Mitteilungsgehalt repräsentieren.
Beim Wiedererinnern bereits gelernter Informationen findet eine Rekonstruktion
von (Makro-)-Propositionen statt. Dabei können Gedächtnisspuren aller oben
aufgeführten Textverarbeitungsebenen vorliegen; nach längeren Behaltensintervallen sind jedoch Spuren höherer Verarbeitungsebenen, vor allem die der
semantischen Makrostruktur, vollständiger erhalten. Die Kenntnis einer Superstruktur erleichtert das Textverständnis, da sie hilft, Leerstellen in der semantischen Makrostruktur zu füllen. Diese Beziehung gilt auch umgekehrt. Da eine
unkonventionelle Darstellung aber zu Irritationen führen kann, sollten Textform
und Inhalte übereinstimmen. Für Instruktionstexte gibt es allerdings noch keine
feste Superstruktur.228
3.2.6 Wissensvermittlung und Erwerb von Fertigkeiten
Instruktionstexte dienen zum Erwerb von Wissen und von Fertigkeiten. Der Leser einer Bedienungsanleitung soll Handlungsschritte nachvollziehen, die ihn
befähigen, bestimmte Probleme zu lösen, und seinem Wissensbestand diese
Schritte hinzufügen. Die Vermittlung von Wissen kann durch verschiedene Modelle erklärt werden, die jedoch nicht scharf voneinander getrennt werden kön-
225
226
227
228
56
van Dijk 1980, S. 128
Entnommen aus Kösler 1990, S. 73, nach Rumelhart 1975, S. 217
Ballstaedt et al. 1981, S. 77; zur Unterscheidung siehe auch Rickheit / Strohner 1985, S. 46
Hacker 1990, S. 52f.; Kösler 1990, S. 79; van Dijk vermutet die Existenz einer Superstruktur für die Textsorte Gebrauchsanweisung, weist diese aber nicht nach. van Dijk 1980, S.
154
Normativ-theoretische Anforderungen an Instruktionstexte
nen; die verschiedenen Vorgehensweisen bei der Wissensvermittlung werden in
der Regel miteinander kombiniert.
Mögliche Strukturen, in denen Wissen angeboten werden kann, werden durch
systemvermittelndes und entdeckendes Lernen beschrieben. Beim systemvermittelnden Vorgehen ist der zu vermittelnde Lehrstoff ein fertiges System, wobei
die Reihenfolge der Vermittlung durch die logischen Zusammenhänge innerhalb
dieses Systems vorgegeben ist. Die Wissensstruktur muß also möglichst
eindeutig vermittelt werden. Beim entdeckenden Lernen soll sich der Lernende
die Wissensstruktur weitgehend selbst aneignen, er wird angeregt, den entsprechenden Sachverhalt selbst zu strukturieren, Zusammenhänge zu entdecken usw.229 Induktives und deduktives Vorgehen beschreiben die Reihenfolge, in der Wissen erworben wird. Beim deduktiven Vorgehen werden Hypothesen anhand von Beispielen überprüft, beim induktiven Vorgehen werden auf
der Basis von Beispielen Hypothesen gebildet.
Für die hier untersuchten Instruktionstexte gilt, daß weniger ein entdeckendes,
sondern eher ein systemvermittelndes Lernen stattfinden sollte, d.h. entsprechende Texte sollten, um eine schnelle und sichere Handhabung zu erreichen,
in der logischen Reihenfolge des Vorgehens (Installation, Inbetriebnahme etc.)
aufgebaut sein. Ein zusätzliches deduktives Vorgehen in diesen Texten ermöglicht es, zuerst allgemein z.B. eine Funktion zu beschreiben und dann die Bedienung zu erläutern. Daneben hat systemvermittelndes, deduktives Vorgehen den
Vorteil für den Leser, daß das neu zu erlernende oder neu vermittelte Wissen
schneller in bekannte Handlungsschemata eingeordnet werden kann.230 Ein
stärker entdeckendes Vorgehen ist eher für Lehrbücher zu empfehlen.
Nicht nur die Wissensvermittlung, sondern auch der Erwerb von Fähigkeiten
kann modelliert und in drei aufeinanderfolgende Phasen unterteilt werden:231
a. Kognitive Phase: Hier wird eine deklarative Kodierung der Fertigkeiten
entwickelt. „Deklaratives Wissen bezieht sich auf Tatsachen und Gegenstände. Im Gedächtnis wird eine Reihe von Fakten gespeichert, die für
die Fertigkeit wichtig sind“232, ein anfängliches Verständnis der Handlungsschritte wird erworben. Dabei werden vom Benutzer (unbewußt)
Ziele formuliert, Teilziele zur Erlangung dieses Gesamtziels ermittelt und
Operatoren bzw. Handlungsschritte ausgewählt, um zu diesem Ziel zu
gelangen;
b. Assoziative Phase: Versteckte Fehler im in der Anfangsphase erworbenen Wissen werden entdeckt und die Reihenfolge der richtigen Handlungsschritte verstärkt. Es werden also Prozeduren für ein erfolgreiches
Handeln festgelegt;
c. Autonome Phase: Der Ablauf der Handlungsschritte wird immer stärker
automatisiert und ist damit immer schneller und genauer durchführbar.
229
230
231
232
Lehner 1981, S. 518; Ballstaedt et al. 1981, S. 110
Ballstaedt et al. 1981, S. 110-116
Kösler 1990, S. 19
Kösler 1990, S. 19
57
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
Instruktionstexte müssen zumindest die gewünschten Ergebnisse der kognitiven
Phase in die Gestaltung der Gliederung einbeziehen, um dem Leser des Textes
Handlungsschritte vorzugeben. Aufgrund rechtlicher Anforderungen besonders
bei Bedienungsanleitungen (vergl. Kapitel 3.7) ist es jedoch unumgänglich, auch
die Ergebnisse der assoziativen Phase einzubeziehen und von vornherein auf
mögliche Bedienungsfehler hinzuweisen bzw. Hilfestellung bei aufgetretenen
Gerätefehlern zu geben.
3.2.7 Bewertung
Bezüglich der Lesermerkmale wird die Anforderung erhoben, speziell für Leser
mit geringen Vorkenntnissen zum Thema die Texte sprachlich und inhaltlich
möglichst einfach zu gestalten. Diese Anforderung hat Auswirkungen auf alle
Ebenen des Textes; im Rahmen der makrostrukturellen Untersuchung bzw. der
Analyse der syntaktischen und der lexikalischen Merkmale wird daher zu überprüfen sein, ob Aufbau und Inhalt diesen Anforderungen entsprechen. Diese
Anforderungen werden in späteren Kapiteln noch präziser herausgearbeitet.
Anforderungen, die sich aus dem Wissen um das menschliche Gedächtnis
ergeben, können im Rahmen der makrostrukturellen und Syntaxanalyse untersucht werden: Informationen müssen gebündelt angeboten werden. Für die
makrostrukturelle Analyse bedeutet dies eine deutliche Gliederung des Textes
durch Kapitel, Unterkapitel etc. oder entsprechend deutlich strukturierte Absatzfolgen. Diese Makrostrukturen sollen eine einprägsame Übersicht bieten und ein
schnelles Wiederfinden ermöglichen. Sätze sollten möglichst kurz gehalten
werden. Im Rahmen der Syntaxanalyse sollten einfache isolierte Sätze mit möglichst wenigen Satzgliedern ermittelt werden, wobei bei Verbalsätzen die
mögliche Länge u.a. von der Verbvalenz abhängig ist. Auch hier werden die
Anforderungen in den späteren Kapiteln präzisiert.
Die Frage, inwieweit Instruktionstexte bekannte Handlungsschemata ansprechen bzw. schemaorientierte Informationen bieten, ist mit linguistischen Mitteln
schwer zu beantworten. Es muß anhand der Makrostruktur überprüft werden,
inwieweit Informationen strukturiert angeboten und ob diese durch Schlüsselund Verweiswörter in einen logischen Zusammenhang gebracht werden. Dies
kann im Rahmen der Untersuchung der lexikalischen Merkmale geschehen.
Bei der Gliederung des Textes sollten existierende Superstrukturen berücksichtigt werden. Der Zusammenhang zwischen Superstruktur und Textsorte ist umstritten, zumal es unterschiedliche Textsortenbegriffe gibt.233 So merken BALLSTAEDT ET AL. an, daß „... keine eindeutige Beziehung zwischen Textsorte und
Superstruktur [besteht], da nicht jede Textsorte notwendig auch auf der Ebene
der Darstellungsstruktur konventionalisiert ist ... Es kann Texte geben, die eine
bestimmte Kommunikationsfunktion haben, einer bestimmten Textsorte zugehören, ohne daß ihre spezifische Darstellungsstruktur per Konvention festgelegt
ist.“234
Nach der Textsortendefinition von SIMMLER dagegen weist jede Textsorte spezifische distinktive Merkmale auf, die eine eindeutige Abgrenzung gegenüber an233
234
58
Gülich / Raible 1972; Gülich / Raible 1977
Ballstaedt et al. 1981, S. 74
Normativ-theoretische Anforderungen an Instruktionstexte
deren Textsorten ermöglichen. Textsorten können daher aufgrund dieser Merkmale als konventionalisiert angesehen werden. Der Unterschied zwischen Textsorte und Superstruktur liegt vielmehr darin begründet, daß sich die Ermittlung
der Superstruktur auf formalisierte Textinhalte und -reihenfolgen stützt, während
bei der Ermittlung der Textsorte makrostrukturelle, syntaktische und lexikalische
Merkmale herangezogen werden.235
Diese Ermittlungsmethode schließt die Festlegung einer formalen Reihenfolge
bestimmter Textinhalte, d.h. ihrer Distribution, mit ein und geht vor allem durch
die syntaktische und lexikalische Analyse noch weit darüber hinaus. Gerade die
Untersuchung der Syntax und Lexik kann zusätzlich zu einer makrostrukturellen
Analyse differenzierende Merkmale zu anderen Textsorten liefern.236
Deshalb wird nicht das Vorkommen von Superstrukturen für Instruktionstexte
untersucht. Nachgeprüft wird, ob und inwieweit die hier untersuchten Textexemplare den bisher bekannten makrostrukturellen, syntaktischen und lexikalischen
Merkmalen entsprechen, die bereits im Rahmen der vorläufigen Textsortenbestimmung aufgezeigt wurden.
Um die Wissensvermittlung zu unterstützen, wird ein systemvermittelndes deduktives Vorgehen gefordert; der Erwerb von Fertigkeiten kann durch die Unterstützung der kognitiven und assoziativen Phase erleichtert werden. Diese
Anforderungen inhaltlicher Art können durch eine Kombination der drei zu untersuchenden Ebenen überprüft werden: Die Gliederung des Textes sollte in der
Reihenfolge des Vorgehens gehalten sein (Makrostruktur). Bevor eine Handlungsanweisung gegeben wird, sollte ein Handlungsziel formuliert werden, die
Handlungsschritte selbst sollten als Anweisungen formuliert werden und logisch
aufeinander aufbauen. Auf syntaktischer Ebene sollten hier Imperativsätze zu
finden sein, auf lexikalischer Ebene Schlüsselwörter.
Wie eben gezeigt, sind die allgemeinen theoretischen Voraussetzungen mit linguistischen Untersuchungsmethoden teilweise nur schwer erfaßbar und bewertbar, da sich aus ihnen zum Teil nur vage Anforderungen an Instruktionstexte ergeben. Diese Anforderungen werden in den folgenden Abschnitten
konkretisiert, darauf aufbauend können präzisere sprachwissenschaftliche
Untersuchungskriterien festgelegt werden.
3.3 Textaufbau und -struktur
Im Bereich des allgemeinen Textaufbaus und der Grobstruktur gilt es, eine
Reihe von Anforderungen zu beachten, wie die formale Darbietung der zu vermittelnden Inhalte, die Inhaltsauswahl und die Einteilung des Textes in verschiedene Kapitel sowie sprachliche Hilfsmittel für Verweise und Hervorhebungen. Diese werden im folgenden Abschnitt vorgestellt.
235
236
Simmler 1984, S. 32.
Siehe dazu die von Simmler ermittelten Ergebnisse zu den unterschiedlichen Textsorten
Volksmärchen und Kunstmärchen. Simmler 1981, S. 361-389; Simmler 1985, S. 66-96
59
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
3.3.1 Textsequenzierung und Inhaltsauswahl
Instruktionstexte sollen das Bearbeiten von Aufgaben unterstützen, die Organisation des Textes muß daher aufgabenbezogen angelegt sein. Aufgaben und
einzusetzende Arbeitsmittel haben eine eigene Logik, die selbsterklärend sein
kann und so einen Anleitungstext erübrigen. Dies gilt auch, wenn die Freiheitsgrade bei der Ausführung der Tätigkeit stark eingeengt sind. Eine Analyse „des
Tätigkeitsspielraums und der Selbsterklärungsfähigkeit der auszuführenden Aufgaben und der einzusetzenden Arbeitsmittel“237 ist also im Vorfeld durchzuführen.
Dies hat Einfluß auf die Sequenzierung des Textes. Eine Grobsequenzierung
des Textes ergibt sich durch die gewählte Form der Wissensvermittlung. Für
eine Feinsequenzierung stehen verschiedene Darstellungsformen zur Verfügung, die sich allerdings an den Vorgaben des konventionalisierten Textschemas orientieren müssen.238
Bei wechselnden Aufgaben und Anforderungen an Anwender und Arbeitsmittel
empfiehlt sich die begriffsorientierte Darstellung des Textes. Die Wissensstruktur wird dabei nicht auf einer Anforderungssituation aufgebaut, sondern auf
einer vielfältigen Verknüpfung von Konzepten untereinander in vielfältigen Situationen. Die Sequenzierung lehnt sich nicht an eine bestimmte Verwendungssituation, sondern an die Wissenstruktur selbst an („how-it-works“).239 Je nach
Komplexität des Produktes und der möglichen Arbeitsschritte kann sich der
Einsatz einer begriffsorientierten Darstellung in Lehrbüchern für Leser mit entsprechender Vorbildung empfehlen.
Bei gleichartigen oder singulären Aufgaben, wie dies bei Anleitungstexten für
einfache technische Produkte vorkommt, bietet sich eine gebrauchsorientierte
Darstellung an. In der Regel werden dabei die Informationen in der Reihenfolge
des Handlungsablaufes vermittelt („how-to-do-it“). Bei der Vermittlung mehrerer,
voneinander unabhängiger Wissenskomplexe, die in beliebiger Reihenfolge
dargestellt werden können, sollte der am häufigsten benötigte Inhalt zuerst
erläutert werden. Dies gilt nicht nur für die allgemeine Gliederung der
Tätigkeiten. Auch die Aufgabenanleitung sollte „sequentiell-hierarchisch in ihre
Ziel-Teilziel-Abfolgen (Handlungsabfolgen) organisiert sein“.240
Ziel eines Instruktionstextes ist es, Informationen so darzubieten, daß
a. ”Aufgaben und Ziele deutlich sind,
b. Teilziele den Weg zum Gesamtziel aufzeigen und nachvollziehbar
machen und
c. Anweisungen zum Handeln gegeben werden, um diese Teilziele zu erreichen.”241
Dabei sollten aber nur unerläßliche Handlungsschritte, nicht aber selbsterklärende Operationen dargestellt werden. Vorteil dieses Verfahrens ist die geringe
237
238
239
240
241
60
Hacker 1990, S. 37
Ballstaedt et al. 1981, S. 156
Hacker 1990, S. 39f.; Ballstaedt et al. 1981, S. 163
Hacker 1990, S. 53
Kösler 1990, S. 29
Normativ-theoretische Anforderungen an Instruktionstexte
Anforderung an den Leser und die schnelle Durchführbarkeit, der Nachteil liegt
in der mangelnden Vermittlung der funktionalen Struktur des Geräts.
Instruktionstexte sollen Wissensdefizite schließen, die bei der Handhabung von
Arbeitsmitteln und der Aufgabenerfüllung auftreten. Dies gilt nicht nur für die
unterstützbaren Aufgaben (z.B. werden im Falle von Werkzeugen die Tätigkeiten des Menschen angegeben, die durch diese Werkzeuge unterstützt werden können). Ebenfalls berücksichtigt werden sollen die zusätzlich entstehenden Aufgaben wie Aufstellen oder Warten und die Modifikation der Haupttätigkeit im Falle von Maschinen (zusätzliches Bedienen und Überwachen).242
Die verschiedenen denkbaren Nutzungstypen wie
a. Erstbearbeitung / Erstnutzung;
b. gelegentliche Aufgabenbearbeitung, die ein gelegentliches Nachschlagen erfordert, und
c. ständige Aufgabenbearbeitung, die Informationen über seltene Teilaufgaben und Konstellationen (Fehlermeldungen etc.)
müssen dabei anforderungsanalytisch berücksichtigt werden. Ein Anleitungstext
sollte daher mit ausreichendem Informationsangebot bei einem minimalem
Suchaufwand gestaltet werden.
3.3.2 Allgemeiner Aufbau
Instruktionstexte sind nicht immer für eine längere, zeitaufwendige Lektüre bestimmt, sondern dienen besonders beim häufigeren Lesen als Nachschlagewerk. Gewünschte Informationen sollen schnell zu finden sein; es ist ein Gesamtaufbau notwendig, der diesen Prozeß unterstützt.
Speziell für Bedienungsanleitungen empfiehlt sich daher ein Aufbau, in dem die
Handlungsschritte in der Reihenfolge ihres Ablaufs dargestellt werden: Zuerst
die Installation / Inbetriebnahme, dann die Beschreibung des Normalbetriebs
und danach Hinweise zur Wartung und Fehlerbeseitigung. Je nach Umfang des
Textes und nach der Komplexität des beschriebenen Produkts sollten ein Inhaltsverzeichnis sowie ein Stichwort-, Abkürzungs- und Fachwortverzeichnis
hinzukommen.243 In allen Teilen des Textes sollten Sicherheitshinweise an den
entsprechenden Stellen integriert sein. Zuerst sollte allerdings immer der
Normalfall beschrieben und dann auf Ausnahmen hingewiesen werden.244
Verständnishemmende Störstellen werden z.B. für Lehrbuchtexte am häufigsten
auf der Textebene (50%), dann auf der Satzebene (35%) und danach auf der
Wortebene (15%) ermittelt. Werden diese beseitigt, verbessert sich die Reproduktionsleistung erheblich.245 Da diese Ergebnisse auf Instruktionstexte übertragen werden können, sollten Konsequenzen für die Textgestaltung von
Instruktionstexten gezogen werden.
242
243
244
245
Hacker 1990, S. 45
Hoffmann 1990, S. 70f.; Donceva 1990, S. 167
Noack 1990, S. 201
Hacker 1990, S. 56f.
61
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
Um ein größtmögliches Maß an Verständlichkeit zu erreichen und beim Leser
Interesse für das Produkt zu wecken, können vier wichtige Kriterien genannt
werden:246
a.
b.
c.
d.
Ordnung: äußere Gliederung und innere Ordnung;
Wortwahl / Satzbau;
Prägnanz: inhaltliche und sprachliche „Entbehrlichkeiten“;
Stimulanz: Vergleiche, Beispiele, Analogien.
3.3.3 Zusammenfassungen und Advance Organizers
Zusammenfassungen sind je nach Position zum Text vorangestellte oder
nachgestellte Organisationshilfen für den Leser. Zwischen beiden Arten besteht
bezüglich formaler Struktur und Inhalt kein relevanter Unterschied. Die Wirksamkeit einer Zusammenfassung hängt jedoch vom Leser / Lerner ab. Beide
Typen bieten die Möglichkeit, Texte selektiv zu lesen, was individuelle Lesestrategien fördert. Darüber hinaus haben Zusammenfassungen folgende Funktionen:247
a. Vorangestellte Zusammenfassungen unterstützen Leser mit geringen
Vorkenntnissen zum Text durch die Herausstellung relevanter Makropropositionen.
b. Nachgestellte Zusammenfassungen haben primär eine Wiederholungsfunktion; bereits aufgebaute Wissensstrukturen werden verbessert. Insbesondere bei langen Texten werden außerdem semantische Relationen
zischen einzelnen Textteilen hergestellt.
„Advance organizer“ sind kurze Informationen, die dem eigentlichen Lehrmaterial vorangestellt werden und die wichtigsten Konzepte des Lehrmaterials
in allgemeiner, abstrakter Form beinhalten. Diese Inhalte sollen - im Gegensatz
zu einer Zusammenfassung - auf die Wissensstruktur des Lesers bezogen sein.
Eine eindeutige Unterscheidung zwischen einer vorangestellten Zusammenfassung und einem Advance Organizer ist jedoch bisher noch nicht möglich. Der
Vorteil der „advance organizer“ soll darin liegen, daß neue Lerninhalte in die
kognitiven Wissenstrukturen des Lesers leichter integriert werden können.
Diese Integration neuer Informationen wird auch als Subsumtion bezeichnet.248
Es können dabei zwei Arten von Organizern unterschieden werden:249
a. Expositionsorganizer: Sie bieten Konzepte („subsumers“) an, die sich auf
bereits in der Wissenstruktur vorhandene Konzepte und zusätzlich auf
Informationen im zu lernenden Text beziehen. Diese Organizer bieten
sich an, wenn das Lernmaterial dem Lernenden unvertraut ist.
b. Komparativer Organizer: Er stellt übergeordnete Konzepte für die Integration der neuen Information bereit und soll zusätzlich eine bessere
Unterscheidung zwischen neuen und gelernten Konzepten ermöglichen,
246
247
248
249
62
Pelka 1982, S. 82
Ballstaed et al 1981, S. 132f.
Ausubel 1974, S. 141f.; Biere 1990, S. 26
Ballstaedt et al. 1981, S. 141
Normativ-theoretische Anforderungen an Instruktionstexte
indem auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der jeweiligen Konzepte hingewiesen wird.
Eine Hervorhebung der advance organizer durch typographische Mittel verdeutlicht die Funktion als Organisationshilfe. Besitzt ein Text allerdings eine einfach
und verständliche Struktur, so ist durch advance organizer keine lernfördernde
Wirkung zu erwarten.250
3.3.4 Überschriften und Gliederung
Überschriften haben Einfluß auf das Textverstehen, da sie das Verständnis für
Satzaussagen und Textzusammenhänge unterstützen bzw. ein selektives Lesen
des Textes ermöglichen können. Bei normal strukturierten Texten verbessern
Überschriften die Textwiedergabe signifikant und haben daher einen lernerleichternden Effekt. Die Wirksamkeit zusätzlicher Kennzeichnungsmittel wie
Überschriften u.ä. sinkt aber mit inhaltlich gut strukturierten und sequenzierten
Texten.251
Für alle hier vorgestellten Gestaltungsmittel zur Textstrukturierung gilt, daß sie
sparsam eingesetzt werden müssen, da die gewünschten Effekte sonst verschwinden oder sich sogar nachteilig auf das Textverständnis auswirken.252
Überschriften gliedern sich in thematische und nicht-thematische Überschriften:253
a. Thematische Überschriften: Sie haben einen Bezug zum nachfolgenden
Text und werden für eine schnellere Informationsaufnahme durch selektives Lesen oder zum Abruf von Schemata eingesetzt. Sie aktivieren
beim Leser einen bestimmten thematischen Rahmen und inhaltsbezogene Erwartungen. Die semantische Makrostruktur des Textes wird
akzentuiert wiedergegeben.
b. Nicht-thematische Überschriften: Sie haben keinen direkt nachvollziehbaren Bezug zum nachfolgenden Text und spiegeln einzelne Kategorien
der Superstruktur des Textes wider. Beispiele für diese Überschriften
sind Überschriften von einzelnen Zeitungsartikeln.
Überschriften beeinflussen die Textwahrnehmung, da sie Orientierungshinweise
darstellen, die das Aufmerksamkeitsverhalten steuern. Durch Überschriften wird
die Aufmerksamkeit des Lesers auf Sätze gelenkt, die zu den Überschriften
passen, es werden Informationen über die Wichtigkeit bestimmter Aussagen
gegeben, die nachhaltig die Textverarbeitung und die gedächtnismäßige
Repräsentation von Texten beeinflussen können.254 Besonders thematische
Überschriften stellen die Makrostruktur des Textes bereit, helfen bei Textver-
250
251
252
253
254
Ballstaedt et al. 1981, S. 154
Hacker 1990, S. 54f.; Ballstaedt et al. 1981, S. 179
Ballstaedt et al. 1981, S. 179
Ballstaedt et al. 1981, S. 171f.
Bock 1981, S. 63-107; Ballstaedt et al. 1981, S. 175f.; Hacker 1990, S. 57
63
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
arbeitungs- und Erinnerungsprozessen und können auch in gewissem Maße bei
schwerverständlichen Texten Unzulänglichkeiten kompensieren.255
Überschriften sollten also die Grobstruktur (Makro- oder Superstruktur) des
nachfolgenden Textes widerspiegeln, bei thematischen Überschriften sollen
Haupt- und Zwischenüberschriften miteinander eine Bedeutung ergeben. Überschriften sollen leicht verständlich sein: Sie sollten darauf überprüft werden,
inwieweit sie die Textstruktur widerspiegeln; die Mittel zur Gestaltung von
Überschriften entsprechen im wesentlichen der Textgestaltung.
Zusätzlich zur inhaltlichen Gestaltung von Überschriften können diese durch
verschiedene Gliederungskennzeichen explizit kenntlich gemacht werden:256
a. Schriftgröße: Je höher die Stufe der Überschrift, desto größer / fetter
sollte die Schrift sein, um die logisch-hierarchische Gliederung deutlich
zu machen;
b. Explizite Gliederung: Diese ist möglich durch eine Dezimalklassifikation
der Überschriften oder durch Gliederungssymbole;
- Dezimalklassifikation: Es sollten nicht mehr als drei Dezimalstellen
genutzt werden, um die Gliederung nicht zu unübersichtlich werden
zu lassen;
- Gliederungssymbole: Sie bieten sich an, wenn die Dezimalklassifikation ausgereizt ist.
Wird keine Dezimalklassifikation vorgenommen, muß durch Schriftgröße und
Abstand zum Text die Überschrift deutlich gemacht werden.
3.3.5 Typographische Merkmale
Daneben haben weitere typographische Merkmale wie Schriftgröße, Schriftart,
Zeilenlänge, Randbreite u.a. sowie die Anordnung der Textteile Einfluß auf die
Lesbarkeit von Texten.257
Für das Schriftbild (Schriftart, Schriftgröße, Schriftschnitt) gilt: Eine häufig genutzte und gelesene Schrift wie Helvetica bzw. Arial oder Times New Roman
erleichtert die Lesbarkeit und steigert die Lesegeschwindigkeit. Dies gilt ebenfalls für eine gerade Schriftlage und eine magere Schriftstärke (entspricht der
normalen Schrift) in der Druckfarbe schwarz auf weißem Papier. Die Schriftgröße sollte zwischen acht und vierzehn Punkt liegen, der Zeilenabstand einbis eineinhalbzeilig sein.
Gleiche Schriften sollten für den gleichen Textteil gewählt werden, um die Zusammenhänge zu verdeutlichen. Betonungen können durch eine fette oder kursive Schrift realisiert werden. Insgesamt sollten jedoch nicht zu viele unterschiedliche Schriften gewählt werden, um den Text nicht unübersichtlich werden
zu lassen. Für die räumliche Anordnung der Textteile auf dem Papier kann
festgehalten werden, daß die Spaltenbreite sich verringern sollte, je enger die
Textzeilen zusammenstehen.
255
256
257
64
Ballstaedt et al. 1981, S. 177
Noack 1990, S. 213f.
Noack 1990, S. 215; Kösler 1990, S. 147f.; Ballstaedt et al. 1981, S. 224
Normativ-theoretische Anforderungen an Instruktionstexte
3.3.6 Marginalien
Zur besseren Orientierung des Lesers können Aufmerker oder Marginalien als
Orientierungshinweise am Textrand integriert werden. Es werden sprachliche
und nicht-sprachliche Marginalien unterschieden. Sprachliche Marginalien werden weiterhin in formale und inhaltliche Marginalien aufgeteilt. Formale Marginalien „...betreffen die Darbietungsstruktur eines Textes, indem sie Aspekte der
zugrundeliegenden Superstruktur herausstellen.“258 Inhaltliche Marginalien
bieten stichwortartig Aspekte der „Makrostruktur“ des Textes.
Die folgende Tabelle bietet einen Überblick über mögliche Marginalien:
Form
Nicht-sprachliche Marginalien
Sprachliche
Marginalien:
Beispiele
Symbole, Abbildungen, Tabellen, Hinweiszeichen, Piktogramme
- formal
Definition, Theorie, Fragestellung, Ergebnis,
Beispiel, Problem, Lösung, Querverweis
- inhaltlich Textabhängig
Tab. 2: Beispiele für Marginalien
Marginalien bieten Strukturierungshilfen und können auf bestimmte Abschnitte
aufmerksam machen. Um einen zusätzlichen Lernaufwand zu vermeiden, sollten nicht-sprachliche Marginalien nur sparsam eingesetzt und am Anfang des
Instruktionstextes erläutert werden.259
3.3.7 Bewertung
Die Textsequenzierung sollte gebrauchsorientiert ausgerichtet, Informationen
also in der Reihenfolge des Handlungsablaufs gegeben werden. Eine Überprüfung dieser Anforderungen kann nur bedingt stattfinden: Da nur die Instruktionstexte, nicht aber die beschriebenen und getesteten Geräte vorliegen, kann
nicht überprüft werden, ob die Handlungsschritte tatsächlich in der richtigen
Reihenfolge präsentiert werden. Daher können nur grobe logische Fehler erkannt werden. Auf lexikalischer Ebene kann der Gebrauch von Schlüsselwörtern usw. untersucht werden (siehe dazu auch die Bewertung der allgemeinen
theoretischen Voraussetzungen, Kapitel 3.2.7).
Anforderungen an Aufbau, Lernziel, Zusammenfassungen und Advance Organizers, Überschriften und Gliederung, typographische Merkmale und Marginalien sind einfach durch linguistische Kriterien erfaßbar und entsprechen den Kriterien, die im Rahmen der makrostrukturellen Untersuchung überprüft werden.
Speziell der Aufbau einer Bedienungsanleitung sollte sich gliedern in Inhaltsverzeichnis, Angaben über Erzeugnis und Einsatzort, Inbetriebnahme, Normalbetrieb, Instandhaltung / Fehlerbeseitigung sowie Stichwort-, Abkürzungs- und
Fachwortverzeichnis. In allen Teilen der Bedienungsanleitung sollten Sicherheitshinweise an den entsprechenden Stellen integriert sein. Da die Bedienungsanleitung nicht sehr umfangreich, die beschriebenen Geräte nicht allzu
258
259
Ballstaedt et al. 1981, S. 182
Hoffmann 1981, S. 89
65
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
komplex sind, kann ein Stichwort- und Abkürzungsverzeichnis entfallen. Dies
gilt auch für Lernzielangaben oder Zusammenfassungen. Werden sehr viele
Fachbegriffe benutzt, sollte ein Fachwortverzeichnis vorkommen.
Der Aufbau eines Testberichtes ist variabler, sollte aber auf jeden Fall die
Erläuterung der Untersuchungskriterien, sowie eine Übersicht über die untersuchten Produkte und die Ergebnisse enthalten. Da Testberichte i.d.R. nicht
umfangreich sind, können Verzeichnisse etc. entfallen.
Die Gliederung soll durch thematische Überschriften die Grobstruktur des Textes widerspiegeln; Haupt- und Zwischenüberschriften sollen miteinander eine
Bedeutung ergeben. Die Gliederung muß hierarchisch, übersichtlich und leicht
verständlich aufgebaut sein. Verschiedene Gliederungskennzeichen können zur
Verdeutlichung der Struktur genutzt werden. Entsprechende Hervorhebungen /
Gliederungsmerkmale sollten nur sparsam und bei identischen Zusammenhängen eingesetzt werden, besonders wenn der Gesamttext nur kurz oder das
Seitenformat klein ist (z.B. bei BDA kleiner als DIN A 5 nicht mehr als ein bis
zwei Hervorhebungen pro Seite). Dies gilt in ähnlichem Umfang vor allem für
nicht-sprachliche Marginalien.
3.4 Syntaktische und lexikalische Merkmale
Bei den hier vorgestellten Anforderungen wird in einem ersten Schritt auf Abläufe beim Leseprozeß eingegangen, um darauf aufbauend die Anforderungen
an den Satzbau und den Wortschatz auszuführen.
3.4.1 Wahrnehmungsprozeß Lesen
Die semantischen Verarbeitungsprozesse, die beim Lesen eines Textes ablaufen, können unterschieden werden in Blickbewegungen sowie Buchstabenund Worterkennung. Beim Lesen springt das Auge mit sogenannten saccadischen Augenbewegungen von Textstelle zu Textstelle. Danach folgt eine Stillstandsphase, in der das Auge fixiert und Informationen aufnimmt. Bei ungeübten Lesern kommt es außerdem zu Regressionen, in denen bereits gelesene
Textstellen nochmals gelesen werden.260
Bei der Informationsaufnahme, also bei der Buchstaben- und Worterkennung,
werden in der Regel Einheiten aufgenommen, die größer als einzelne Buchstaben sind. Bei ungeübten Lesern oder ungeläufigen Wörtern wird Buchstabe
für Buchstabe gelesen.
Je nach Übung des Lesers, dem allgemeinen Sprachverständnis und dem
Schwierigkeitsgrad des Textes können unterschiedliche Lesegeschwindigkeiten
ermittelt werden.261 Da Instruktionstexte i.d.R. für den Leser neue Informationen
enthalten, sinkt die Informationsaufnahme und damit auch die Lesegeschwindigkeit. Entsprechend müssen die Texte eindeutig und kurz formuliert
260
261
66
Quantitativ läßt sich der Lesevorgang mit drei Variablen beschreiben: 1. Anzahl der Fixationen pro Zeile / pro gelesene Wörter, 2. Dauer der Fixation, 3. Anzahl der Regressionen pro
Zeile / pro gelesene Wörter. Ballstaedt et al. 1981, S. 42
Zielke 1968, S. 14; Kösler 1990, S. 96
Normativ-theoretische Anforderungen an Instruktionstexte
werden, um das Textverständnis schon beim Lesevorgang zu erleichtern und zu
beschleunigen.
3.4.2 Satzbau
Bei der Extraktion von Propositionen werden Sätze beim Lesen unbewußt nach
semantischen und syntaktischen Regeln bewertet. In der Regel werden beide
Konzepte bei der Textverarbeitung gleichzeitig angewandt, sollen jedoch hier
zunächst getrennt erläutert werden.
Bei der semantischen Analyse werden die Wortkonzepte einzelner zentraler
Wörter erkannt und aufgrund des Vorwissens des Leser weitere Argumente in
bestimmten semantischen Rollen erwartet.262 Ein Satz kann allein durch die
semantische Analyse entschlüsselt werden, jedoch kann bei Mehrdeutigkeiten
eine syntaktische Analyse erforderlich sein.263
Unter syntaktischen Gesichtspunkten werden nach BALLSTAEDT ET AL. Sätze in
Worte und Wortgruppen, in komplexeren Sätzen auch in Phrasen oder Konstituenten (größere Wortgruppen) zerlegt und diese interpretiert.264 Im Satz läßt sich
die Phrasengrenze durch die Zeichensetzung, syntaktische Hinweise wie
Relativpronomen und Konjunktionen oder durch Sprechpausen ermitteln, wobei
komplexe Sätze teilweise in Haupt- und Unterphrasen zerlegt werden können.
Als Beispiel für die Untergliederung in Phrasen kann der folgende Satz
dienen:265
”Das stille Dorf
mit seinen stillen Gassen,
das jenseits des Tales lag,
war verlassen.
Nominalphrase
Adverbialphrase
Adverbialphrase
Verbalphrase”
Jeder Satz wird aus einer begrenzten Anzahl von Phrasen gebildet. Bei der
Analyse eines Satzes werden die einzelnen Phrasen der Reihe nach interpretiert und die Propositionen extrahiert. Der exakte Wortlaut des Satzes wird
danach vergessen, die Satzbedeutungen (semantische Relationen) werden
jedoch behalten. Dabei werden in der Regel nur zwei Phrasen im Kurzzeitgedächtnis gespeichert, d.h. Sätze mit mehreren Phrasen werden erst nach und
nach sequentiell verarbeitet.266
Bei der semantischen Analyse greift der Leser auf „ein Vorwissen oder seine
Schemata über Zusammenhänge der Realität zurück, bei der syntaktischen
Analyse benutzt er Wissen über konventionalisierte Verbindungen von Worten
durch die Syntax.”267 Gelangt der Leser bei der semantischen Analyse zu Mehr262
263
264
265
266
267
Ballstaedt et al. 1981, S. 47
Kösler unterscheidet permanente Mehrdeutigkeiten, bei denen am Ende des Satzes noch
mehrere Bedeutungen möglich sind, und vorübergehende Mehrdeutigkeiten, bei denen
nach dem Satzanfang mehrere Möglichkeiten bestehen, den Satz zu beenden. Kösler
1990, S. 107
Hier ist zu beachten, daß der Phrasenbegriff nicht mit dem linguistischen Satzgliedbegriff
gleichgesetzt werden kann. Weiteres siehe in 3.4.4
Aus Ballstaedt et al. 1981, S. 50. In 3.4.4 wird für den Beispielsatz eine linguistische Spezifizierung des sehr allgemeinen Phrasenbegriffs gegeben.
Kösler 1990, S. 104f.
Ballstaedt et al. 1981, S. 51
67
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
deutigkeiten, so wertet er die Syntax aus. Gelingt keine syntaktische Analyse,
so hilft die Berücksichtigung semantischer Zusammenhänge.
Texte in Instruktionstexten sollten also nur wenige Phrasen enthalten, um so die
Satzanalyse zu erleichtern. Mehrdeutigkeiten müssen unbedingt vermieden
werden, da der Leser bei Instruktionstexten gerade beim wiederholten Lesen
häufig mitten im Text mit seiner Lektüre beginnt. Alle Textpassagen müssen
eindeutig formuliert werden. Komplexe Sätze mit vielen „Verschachtelungen“
(also Sätze mit einer komplexen Hierarchie der Teilsätze, Verschränkung der
Teilsätze oder Parenthesen), Attributsätzen oder Sätze mit „auseinandergezogene Verben” (d.h. analytische Verben) erschweren das Textverständnis.268
Es gibt verschiedene Untersuchungen, die sich damit beschäftigen, welche
Aspekte der Satzgestaltung Einfluß auf die Textverständlichkeit haben. Dabei
wurde festgestellt, daß die generelle Empfehlung, Sätze möglichst kurz zu gestalten, nicht unbedingt sinnvoll ist: In einem einfachen Satz können auch nur
einfache Gedanken ausgedrückt werden, komplexe Inhalte verlangen oft nach
syntaktisch komplexeren Formulierungen. Zu komplexe Sätze überschreiten die
kognitiven Kapazitäten, zu kurze Sätze wirken kurzatmig und langweilig.
Außerdem sollten Sätze in Instruktionstexten möglichst aktiv konstruiert werden.
Durch einen Passivsatz wird häufig der „handelnde Teil“ des Satzes verschleiert
oder sogar weggelassen. Dies erschwert das Textverständnis oder macht es
sogar unmöglich.269 Aktive Formen haben den zusätzlichen Vorteil, den Leser
sofort zur Handlung anzuregen.
Entscheidenden Einfluß auf das Textverständnis haben außerdem Substantivierungen. Besonders Verbsubstantivierungen führen dazu, daß sich Lernerfolg
und Behaltensleistung des Lesers verschlechtern. Die Auflösung von Nominalisierungen führt häufig zu aktiven Satzkonstruktionen und zu Sätzen mit kürzeren Satzphrasen, was wiederum das Textverständnis erleichtert.270 Fragesätze
können zur Bezugsherstellung zwischen einzelnen Sätzen oder Absätzen
genutzt werden, auch dies verbessert das Textverständnis, da Textzusammenhänge deutlicher werden.
3.4.3 Terminologie
Sätze, Teilsätze, Satzglieder, Satzgliedteile und Wörter sollen sich entsprechend den Verarbeitungsebenen der Textrezeption aufeinander beziehen und
das Textverständnis erleichtern. „Schlüsselwörter, die in dem darauffolgenden
Satz wiederholt werden, schaffen einen direkten Bezug; der Übergang ist
nahtlos.“271 Konjunktionen stellen Beziehungen zwischen Sätzen und Teilsätzen
her und machen Bezüge zwischen den jeweiligen Satzinhalten deutlich.
268
269
270
271
68
Noack 1990, S. 200; Hoffmann 1990, S. 77. Auf die korrekte linguistische Terminologie
wird in der Bewertung eingegangen.
Hoffmann 1990, S. 78; Noack 1990, S. 201
Ballstaedt et al 1981, S. 208f.
Noack 1990, S. 199
Normativ-theoretische Anforderungen an Instruktionstexte
Wichtige Konjunktionen sind:
a. ”die kausalen Konjunktionen: denn, da, weil;
b. die konditionalen Konjunktionen: wenn, falls, sofern;
c. die temporalen Konjunktionen: während, sobald, solange, indem, nachdem”.272
Nach Untersuchungen zur Worthäufigkeit und zu der damit verbundenen Bekanntheit von Wörtern wird ein leichterer Zugang zum Wortgedächtnis nicht
durch die tatsächliche statistische Worthäufigkeit, sondern durch die Bekanntheit der Wörter beim Leser, also eine subjektive Worthäufigkeit, verursacht.
Statistisch seltene Wörter können einem entsprechenden Fachmann geläufig
sein. Worterkennung und damit der Zugang zum Gedächtnis ist bei bekannten
Wörtern einfacher, wobei strittig ist, auf welche Verarbeitungsprozesse im
Gedächtnis sich die Bekanntheit auswirkt.273
Entsprechend sollten also nur bekannte Wörter bzw. wenige Fremdwörter und
fachsprachliche Elemente genutzt werden.274 Werden neue Begriffe eingeführt,
so sollte an das Vorwissen des Lesers durch die vorherige Umschreibung mit
bekannten Begriffen angeknüpft werden. Daneben unterstützt die Verwendung
von konkreten oder bildhaften Wörtern die Zunahme von Vorstellungen und
damit ein schnelleres und besseres Verstehen und Behalten.275
3.4.4 Bewertung
Die aus dem Ablauf des Leseprozesses resultierende Anforderung, daß Textexemplare eindeutig und kurz formuliert werden sollen, kann nur zum Teil überprüft werden. Hierzu wird zunächst die Syntaxanalyse eingesetzt: Sätze sollten
als einfache isolierte Sätze mit einer geringen Anzahl von Satzgliedern oder als
Gesamtsatz aus zwei bis drei parataktisch oder hypotaktisch verknüpfte Teilsätzen vorkommen.276 Schwieriger zu überprüfen ist das Kriterium der Eindeutigkeit: Schlüsselwörter sollten mehrfach genannt und wichtige Begriffe identisch genutzt werden. Dies gilt ebenfalls für die Anforderung, Mehrdeutigkeiten
zu vermeiden.
Weiterhin sollten Instruktionstexte nur wenige Phrasen enthalten. Diese Anforderung kann in dieser Form nicht untersucht werden, da der in 3.4.2 erläuterte
Phrasenbegriff nicht mit dem linguistischen Satzgliedbegriff gleichgesetzt
werden kann. Phrasengrenzen werden durch syntaktische Hinweise oder
Sprechpausen ermittelt, wobei diese Verfahren ungenau sind, z.B. können sich
Sprechpausen je nach Leser (bzw. Sprecher) unterscheiden. Zur sprachwissenschaftlichen Ermittlung von Teilsätzen, Satzgliedern und Satzgliedteilen wird auf
die Verfahren der Permutation, Substitution, Eliminierung, Transformation oder
Paraphrasierung zurückgegriffen, mit denen eindeutige Ergebnisse erzielt
werden können.277
272
273
274
275
276
277
Noack 1990, S. 200
Ballstaedt et al. 1981, S. 203f.
Ehlich 1994, S. 119
Noack 1990, S. 203; Ballstaedt et al. 1981, S. 205f.
Sitta, in: Duden 1995, S. 597-600
Sitta, in: Duden 1995, S. 600-604
69
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
Wendet man diese Methoden an, ist der in 3.4.2 genannte und in Phrasen eingeteilte Satz in folgende Teilsätze, Satzglieder und Satzgliedteile zu zerlegen:
”Das stille Dorf
mit seinen stillen Gassen,
das jenseits des Tales lag,
war verlassen.
Nukleus (zus. mit folgendem Attribut Subjekt)
Attribut
Teilsatz
Satzglied / Prädikat
Aus der Herleitung der Anforderung, nur wenige Phrasen zu verwenden, wird jedoch folgendes ersichtlich: Komplexe Sätze (z.B. Satzgefüge bestehend aus
mehreren Teilsätzen) werden langsamer verarbeitet und verstanden als einfache isolierte Sätze (z.B. Imperativsätze mit einem Satzglied), da mehr Informationen im Kurzzeitgedächtnis verarbeitet werden müssen. Diese Erkenntnis
kann auch auf Satzglieder übertragen werden: Ein Satz mit vielen Satzgliedern
und zusätzlich mit vielen mehrwortigen Attribuierungen enthält mehr Informationen als z.B. ein Imperativsatz und wird deshalb langsamer verarbeitet und verstanden.
Isolierte einfache Sätze mit nur wenigen Satzgliedern und wenigen Attribuierungen sind also besser verständlich als solche Sätze mit vielen Satzgliedern
und Satzgliedteilen. Entsprechend sind komplexe Sätze mit einer größeren
Anzahl von Teilsätzen weniger verständlich als einfache, isolierte Sätze. Daher
kann hier zumindest untersucht werden, inwieweit der Satzbau überwiegend
aus einfachen isolierten Sätzen bzw. aus komplexen Sätzen mit nur zwei
Teilsätzen besteht; diese Sätze sollten sich jeweils aus nur wenigen Satzgliedern zusammensetzen. Eine Obergrenze für die Anzahl der Satzglieder in isolierten einfachen Sätzen kann jedoch nicht unabhängig von der Verbvalenz bei
Verbalsätzen festgelegt werden. Außerdem ist zu beachten, daß der Umfang
der Satzglieder nicht nur auf einen Nukleus beschränkt werden kann, da Satzgliedteile ebenfalls einen Einfluß auf den „Informationsgehalt“ eines Satzes
haben. Weiterhin ist zu berücksichtigen, daß der Umfang einzelner Satzglieder
nicht nur auf einen Nukleus beschränkt werden kann.
Syntaktisch komplexe Sätze mit vielen „Verschachtelungen“ erschweren das
Textverständnis, zu „kurze“ Sätze wirken kurzatmig und langweilig. Auch hier
kann die Anforderung mit Hilfe der Syntaxanalyse untersucht werden, bei der
die verschiedenen Verbal- und Nominalsatztypen ermittelt werden. Dabei sollten
bei den komplexen Sätzen Satzverbindungen und Satzgefüge mit nur zwei bis
drei Teilsätzen vorherrschen.278
Weiterhin dienen Fragesätze und Konjunktionen der Bezugsherstellung zwischen einzelnen Teilsätzen, einfachen oder zusammengesetzten Sätzen oder
Absätzen. Das Vorkommen von Fragesätzen ist ebenfalls durch eine Syntaxanalyse, hier der Satzarten, zu ermitteln. Es ist allerdings keine hohe Frequenz
erwünscht, sondern der sinnvolle Einsatz zur Bezugsherstellung ist zu untersuchen. Dies kann jedoch nur exemplarisch für einige Fragesätze geschehen, da
der gesamte Kontext berücksichtigt werden muß.
Die Anforderung, „auseinandergezogene Verben“ (analytische Verben) und
Attribute zu vermeiden bzw. „aktive Verbformen“ in Aktivsätzen zu gebrauchen,
erfordert ebenfalls neben der Syntax- eine Satzgliedanalyse. Dabei müssen die
278
70
Sitta, in: Duden 1995, S. 598-600
Normativ-theoretische Anforderungen an Instruktionstexte
Stellungen vor allem der Verbformen ermittelt werden: Besonders häufig sollten
Aufforderungssätze mit dem Verb in Spitzenstellung genutzt werden; analytische Verbformen sollten vermieden werden. Die Satzklammer sollte beim Vorkommen der analytischen Verbformen nicht zu viele nominale Satzglieder umfassen.279 Weiterhin ist auf die Vermeidung von Attribuierungskombinationen in
Satzgliedern zu achten, d.h. auf Satzglieder, die aus mehr als zwei Attributen
bestehen.
Positiv bewertet wird auch der Verzicht auf Substantivierungen. Dies kann durch
eine Untersuchung der Wortbildung, speziell der Konversion von Verbformen
und anderen Wortarten, überprüft werden. Schlüsselwörter sind in das einen
Satzinhalt konstituierende Beziehungsgefüge integriert. Diese Ermittlung von
Schlüsselwörtern und deren Einsatz im Text kann nur exemplarisch behandelt
werden.
In einem Instruktionstext soll auf bekannte Wörter und wenige Fremdwörter
bzw. fachsprachliche Ausdrücke zurückgegriffen werden. Hier kann der genutzte Fachwortschatz (aus dem Bereich der Fachsprache der Elektronik oder
des Nachrichtenverkehrs) untersucht werden; erwünscht ist ein möglichst begrenzter Einsatz von Fachwörtern. Besonders hier bietet sich eine Untersuchung an, inwieweit Fachbegriffe in Schlüsselwortfunktionen vorkommen und
welche Auswirkungen dieser Einsatz auf das Textverständnis hat.
3.5 Text-Bild-Kombinationen
Bilder, Grafiken, Tabellen, Diagramme sowie andere Illustrationsmöglichkeiten
wurden bis in die achtziger Jahre häufig nur unter dem Aspekt betrachtet, daß
sie Texte interessanter machen und den Leser motivieren. Heute weiß man,
daß dies der Bedeutung von Bildern nicht gerecht wird. So wie eine bildhafte
Sprache das Textverständnis erleichtert und die Behaltensleistung steigert, sind
Bilder in Kombination mit Text hilfreich für das Textverständnis.280
Leider gibt es nur wenig Literatur, die sich mit Text-Bild-Kombinationen beschäftigt; Literatur zu wahrnehmungspsychologischen Grundlagen und zum
Einsatz der verschiedenen graphischen Mittel existiert häufiger.281 Im folgenden
soll zuerst auf die verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten von Text und Bild
eingegangen werden, um danach die Darstellungsformen in Instruktionstexten
genauer zu untersuchen.
3.5.1 Komplementarität von Text-Bild-Informationen
Nach BALLSTAEDT ET AL. können vier Text-Bild-Kombinationen unterschieden
werden, die in der folgenden Tabelle dargestellt werden.282 Diese Kombina-
279
280
281
282
Sitta, in: Duden 1995, S. 784-788
Reichert 1990, S. 232-250. Einen kurzen geschichtlichen Überblick über den Einsatz von
Bildern liefert Eberleh 1990, S. 67-70, Kalverkämper 1993, S. 215-218
Stöckl 1992, S. 50f.; Kösler 1990, S. 49; Ballstaedt et al. 1981, S. 234, Kalverkämper 1993,
S. 215-238
Ballstaedt et al. 1981, S. 234f.; siehe auch Eberleh 1990, S. 73
71
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
tionen werden u.a. von NOACK auch als besonders geeignete Darstellungsmittel
für den jeweiligen Fall besonders in einer Bedienungsanleitung empfohlen.283
Text
Beschreibung eines Gegenstands
Darstellung von Untersuchungsbefunden
Darstellung konzeptueller
Zusammenhänge
Beschreibung von Vorgängen und
Prozessen
Visualisierungsmittel
Foto oder Zeichnung des Gegenstands
Präsentation von quantitativen Daten in
Tabellen und Diagrammen
Abbildung in Diagrammen und netzwerkartigen Darstellungen
Abbildung von Vorgängen und Prozessen
in Flußdiagrammen und Algorithmen
Tab. 3: Text-Bild-Kombinationen nach BALLSTAEDT ET AL.
Natürlich gilt hierbei, daß auch andere Visualisierungsmittel denkbar sind, so
könnte z.B. für die Darstellung von Vorgängen auch eine Bilderfolge eingesetzt
werden.
Informationen in Bild und Text können mehr oder weniger komplementär zueinander sein und sich auf folgende Weise ergänzen:284
a. Redundanz: Satz und Bild enthalten die gleiche Information.
b. Komplementarität: Satz und Bild bilden zusammen eine eindeutige Einheit; Bild und Text ergänzen sich gegenseitig, sowohl Text, als auch Bild
enthalten notwendige Informationen.
c. Mehrdeutigkeit / Diskrepanz: Satz und Bild enthalten unterschiedliche,
nicht aufeinander bezogene Informationen.
Bildinformationen haben nur bei Komplementarität, also bei sich gegenseitig
sinnvoll ergänzenden Informationen, einen positiven Einfluß auf die Textverarbeitung und die Problemlösung. Sie führen durch eine integrative Verarbeitung
zu einem tieferen Textverständnis und zu einer besseren Texterinnerbarkeit.
Dabei sollte ein Bild jedoch mehr beinhalten als der zugehörige Text oder umgekehrt. Bilder, Grafiken u.ä. zusammen mit Text können also den Verständnisprozeß unterstützen, wenn sie in richtiger Kombination zueinander eingesetzt
werden.
3.5.2 Informationstransfer bei Text- und Bild-Anleitungen
Bei Text- und Bild-Anleitungen können neun verschiedene Informationsarten
vorkommen, die genau gegeneinander abgrenzbar sind. Es handelt sich um
folgende Informationsklassen:285
a. Inventarische Information: Eine Beschreibung von Objekten oder Konzepten durch Namen oder eine bildliche Darstellung. Bildliche Darstellung und Textanweisung stehen in der Regel in engem Zusammenhang;
283
284
285
72
Noack 1990, S. 220; Hoffmann 1990, S. 88
Meutsch 1989, S. 33; Eberleh 1990, S. 74; siehe dazu auch die Textsortenvariante TextBild-Kombination bei Simmler 1993, 1997
Kösler 1990, S. 53-57
Normativ-theoretische Anforderungen an Instruktionstexte
b. Deskriptive Information: Information über das Aussehen von Objektteilen
oder nähere Erläuterung zu Konzeptbestandteilen;
c. Operationale Information: Veranlaßt zur Handlung, z.B. Explosionsdarstellung, die die Reihenfolge einer Montage darstellt;
d. Räumliche Information: Gibt Auskunft über Ort, Richtung und Raumaufteilung eines Objekts;
e. Kontextuelle Information: Übersichtsinformation über den Gesamtzusammenhang oder die Organisationsform in Bezug auf vorangegangene
oder nachfolgende Informationen;
f. Kovariante Information: Beschreibt die Beziehung zwischen mehreren
Objekten, die sich gleichzeitig miteinander verändern;
g. Zeitliche Information: Kennzeichnet den zeitlichen Ablauf einer Reihe von
Zuständen und Ereignissen;
h. Qualifizierende Information: Präzisiert andere Informationen, indem sie
die Art und Weise, die Merkmale und die Grenzen dieser Information
genauer beschreibt;
i. Emphatische Information: Lenkt die Aufmerksamkeit auf andere Informationen.
Besonders bei Bedienungsanleitungen, die sich mit der Montage bestimmter
Gegenstände beschäftigen, werden nur vier Informationsklassen unbedingt
benötigt: Inventarische, operationale, räumliche und kontextuelle Informationen.
Diese Informationsklassen können auf unterschiedliche Weise in Text und Bild
miteinander kombiniert werden, wobei verschiedene Darstellungs- und Kombinationsformen Einfluß auf Schnelligkeit und Genauigkeit der Ausführung haben.286
Die Auswirkungen verschiedener Kombinationen werden in den folgenden Übersichten dargestellt, wobei die Kenntnis der inventarischen Informationen in allen
Fällen vorausgesetzt wird. Genauigkeit bei der Ausführung wird erreicht durch
folgende Darstellungen und Kombinationen von Informationsklassen.
Operational
Räumlich
Operational
Text / Bild
----
Räumlich
Text
-----
Kontextuell
Bild
Text
Tab. 4: Kombination von Informationsklassen für eine hohe Ausführungsgenauigkeit
Geschwindigkeit bei der Ausführung wird erreicht durch folgende Darstellungen
und Kombinationen von Informationsklassen:
286
Auch im folgenden Kösler 1990, S. 57-60
73
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
Operational
Räumlich
Operational
Text / Bild
-----
Räumlich
Bild
-----
Kontextuell
Bild
Bild
Tab. 5: Kombination von Informationsklassen für eine hohe Ausführungsgeschwindigkeit
Informationen besonders in Bedienungsanleitungen sollten also nach Möglichkeit in Form aller vier Informationsklassen gegeben werden. Operationale Informationen können wahlweise als Text oder Bild gegeben werden. Wird eine hohe
Ausführungsgeschwindigkeit gewünscht, empfiehlt sich eine bildliche Darstellung räumlicher Informationen.
Soll eine hohe Ausführungsgenauigkeit erzielt werden, sollten räumliche Informationen als Text gegeben werden. Eine Kombination von Bild und Text bei
allen Informationsklassen ermöglicht eine relative schnelle und immer noch sehr
genaue Bedienungsanleitung. Entsprechend gilt, daß der Einsatz von Text-BildKombinationen in allen anderen Instruktionstexten ebenfalls die Informationsaufnahme und das Textverständnis fördert.
3.5.3 Anordnung, Verknüpfung und Funktion von Text-BildKombinationen
Für Informationen gibt es nur ein Leitmedium, entweder Text oder Bild. Aufgrund der europäischen Leserichtung von links oben nach rechts unten wird die
Informationsaufnahme immer entsprechend erfolgen. Textelemente und Bilder
lassen sich daher in drei verschiedenen Anordnungen kombinieren:287
d. Vertikalverteilung: Das Leitmedium wird oben, darunter das Hilfsmedium
angeordnet.
e. Horizontalverteilung: Das Leitmedium steht links, das Hilfsmedium rechts
daneben.
f. Streuverteilung: In einem durchlaufenden Text werden Bilder eingebaut
oder in Bilder entsprechende Textelemente integriert (z.B. bei Comics).
Dabei sollen zusammengehörende Texte und Bilder in räumlicher Nähe zueinander stehen, um den Bezug zu verdeutlichen. Auch die Rolle des Layouts ist
dabei zu beachten. Wie bei den Verarbeitungsmöglichkeiten des menschlichen
Gedächtnisses für Texte, so gilt auch für Bilder, daß in einem Bild nicht mehr
als 7±2 (eher weniger) Elemente hervorgehoben bzw. durch Verweispfeile u.ä.
erklärt werden sollten, da sonst die wichtigsten Informationen nicht mehr auf
einen Blick erfaßt werden können.288
Für Verknüpfungen bzw. Verweise zwischen Text und Bild gibt es folgende
Möglichkeiten:289
a. Im visuellen Bereich Pfeile, Verbindungslinien oder Hervorhebungen,
b. im Bereich der Textgestaltung Fettdruck, Unterstreichungen,
c. im sprachlichen Bereich
287
288
289
74
Kösler 1990, S. 80
Kösler 1990, S. 86
Zu den sprachlichen Bereichen Kalverkämper 1993, S. 227
Normativ-theoretische Anforderungen an Instruktionstexte
-
Suchverweise, z.B. ”Vergl. Abb. 9”, ”Siehe Abb. 9”
direkte Anbindungsverweise, z.B. ”Wie in Abb. 9 dargestellt”
die didaktische Stiftung von semantischen Determinationsgemeinschaften oder die direkte Benennung eines Bildelementes (Identifizierung durch Referenzialisierung mit Terminus).
Bei visuellen Verweisen zwischen Text und Bildern sollte nur auf ein Mittel der
Hervorhebung zurückgegriffen werden. Pfeile und Linien sollten Richtungen und
Konzeptfolgen anzeigen, Kästchen, Kreise oder ähnliche Elemente der
Signalisierung von Konzeptgemeinschaften oder -unterschieden dienen.290 Bei
textuellen Verweisen sind mehrere Varianten denkbar; auch hier gilt es, die
Verweisformen möglichst eindeutig und gleichbleibend zu nutzen.
Die Gestaltung der Bildaussage kann mit jeweils zwei Extrempunkten beschrieben werden. Zunächst kann ein Bild statisch sein – also mit einfacher Darstellung eines Ist-Zustandes – oder dynamisch die Inhalte mit der Darstellung
von Abläufen, Abfolgen und Entwicklungen vermitteln. Weiterhin kann das
Dargestellte punktuell, als Detail bzw. Ausschnitt oder isoliertes Objekt dargestellt werden. Oder die Abbildung kann in Form einer Übersicht, in Anordnung
mit anderen Objekten oder in Bezug auf andere Abbildungen gestaltet sein. Die
folgende Grafik verdeutlicht den Zusammenhang der jeweiligen Extrempole und
ihrer Relationen zueinander: 291
Statisch
(Ist-Zustand)
Dynamisch
(Ablauf, Richtung)
Detail
(Ausschnitt)
Übersicht
(Anordnung, Vernetzung)
Abb. 9: Gestaltung der Bildaussage
3.5.4 Bewertung
Alle Anforderungen an Text-Bild-Kombinationen können im Rahmen der makrostrukturellen Analyse bzw. der Syntaxanalyse ermittelt werden.
Komplementär zueinander eingesetzte Text-Bild-Kombinationen sollen den Verständnisprozeß unterstützen. Text oder Bild sollen sich in ihren Informationen
ergänzen, der Informationsgehalt des jeweiligen Mediums muß überprüft
werden. Da Bilder insgesamt das Textverständnis, die Ausführungsgenauigkeit
und Ausführungsgeschwindigkeit besonders in Bedienungsanleitungen fördern
können, ist ein hoher Anteil an Text-Bild-Kombinationen wünschenswert. Daneben ist die Verwendung von entweder Text oder Bild als Leitmedium sinnvoll.
Dies kann durch die Anordnung von Text und Bild auf einer Seite überprüft wer-
290
291
Meutsch 1989, S. 22
Kalverkämper 1993, S. 224f.
75
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
den; Instruktionstexte sollten auf eine möglichst einheitliche Art der Medienaufteilung zurückgreifen.
Die im Bild gegebenen Informationen sollen auf fünf bis sieben Hervorhebungen
beschränkt bleiben, also nicht mehr als sieben Elemente z.B. durch Verweispfeile erklärt werden. Hier können die Bilder auf einen entsprechenden Informationsgehalt hin untersucht werden. Bei Verweisen zwischen Text und Bild soll
nur auf ein Mittel zur Verweisherstellung zurückgegriffen werden. In Sätzen können im Rahmen der Untersuchung lexikalischer Merkmale Wörter (z.B. Lokaladverbien) oder Satzglieder zur Bezugsherstellung ermittelt werden. In Bildern
können Pfeile oder Linien zum entsprechenden Wort als Verweismittel dienen.
3.6 Bilder
Bilder werden aus zwei Gründen eingesetzt: Sie sollen Informationen (zusammen mit dem Text) übermitteln oder Aufmerksamkeit, Interesse und Motivation
hervorrufen. Motivierend wirken vor allem Fotos, Zeichnungen oder Comics, die
entsprechend häufig in der Werbung oder in pädagogischen Texten eingesetzt
werden.292 Sowohl verschiedene Illustrationsarten als auch Bildstörungen
können Einfluß auf das Textverständnis haben und werden im folgenden Abschnitt vorgestellt.
3.6.1 Einteilung von Abbildern
Nach SCHRÖDER können Abbilder in drei Gruppen unterteilt werden, wobei die
Ikonizität von oben nach unten abnehmend ist:293
a. ikonische Zeichen: gegenstandsbezogene Abbildungen mit naher Realitätsbezogenheit wie z.B. Fotos, Zeichnungen oder Skizzen
b. schematische Zeichen: hinweisende Zeichen, abstrahierende Bilder wie
z.B. mathematische Kurven, Flußdiagramme oder statistische Grafiken
c. symbolische Zeichen: konventionalisiert und arbiträr wie z.B. Piktogramme, Logos, Symbole
Insbesondere zu ikonischen Zeichen - zur Gestaltung von Zeichnungen oder
Fotos - liegen mehrere Untersuchungen vor, die sich mit der optimalen
Gestaltung bzw. Bildstörungen befassen. In den folgenden Abschnitten wird
daher im wesentlichen die Gestaltung ikonischer Zeichen behandelt. Ikonische
Zeichen werden im folgenden vereinfachend als „Bilder“ bezeichnet, bei der
Behandlung von schematischen oder symbolischen Zeichen werden diese Bezeichnungen beibehalten.
292
293
76
Weidenmann 1995, S. 108; Eberleh 1990, S. 71
In Schröder 1993, S. 203-205 Dazu auch Kalverkämper 1993, S. 219. Der Ansatz von
Schröder bietet im Gegensatz zu anderen Ansätzen die Möglichkeit, auch Diagramme oder
Symbole in ein sinnvolles Zeichensystem einzubinden und Abbilder entsprechend ihrer
Ikonizität zu klassifizieren.
Normativ-theoretische Anforderungen an Instruktionstexte
3.6.2 Illustrationsarten
Wie oben schon ausgeführt, gibt es eine Reihe von Illustrationsmöglichkeiten in
Instruktionstexten. Illustrationen eignen sich besonders gut zum schnellen Erfassen von Größenordnungen, Vergleichen, Erkennen von Abweichungen, Verläufen, Veränderungen und Tendenzen. Gerade der Einsatz von Bildern und
Zeichnungen muß jedoch noch näher untersucht werden, da hier acht verschiedene Darstellungsformen möglich sind:294
a.
b.
c.
d.
e.
f.
g.
h.
einfache Strichzeichnungen (schwarz-weiß);
einfache Strichzeichnungen (farbig);
detaillierte räumliche Zeichnungen (schwarz-weiß);
detaillierte räumliche Zeichnungen (farbig);
Fotografie eines Modells (schwarz-weiß);
Fotografie eines Modells (farbig);
Fotografie eines realen Gegenstands (schwarz-weiß);
Fotografie eines realen Gegenstands (farbig).
Da besonders in Bedienungsanleitungen eine schnelle Informationsaufnahme
gewünscht wird und nicht zu viele Details in einem Bild vorkommen sollten,
empfiehlt sich der Einsatz von Strichzeichnungen. Dabei werden einfache
Strichzeichnungen besser aufgenommen als detaillierte Zeichnungen. Fotos
werden zwar normalerweise noch besser aufgenommen und wiedererinnert als
Strichzeichnungen, jedoch können eine falsche Perspektive, die Beleuchtung,
die hohe Informationsdichte sowie fehlerhafte Details störend wirken.295
3.6.3 Bildkomposition
Bei der Bildbetrachtung wird eine Figur sofort aus ihrem Hintergrund herausgelesen. Dieser Prozeß kann vereinfacht werden, indem die Hintergrundfläche der
Zeichnung durch Farbe oder eine Graustufe kenntlich gemacht wird. Dabei
haben bei Schwarz-Weiß-Druck Objekte weiße Flächen, Kanten werden
schwarz, der Hintergrund grau dargestellt.296
Eine Betonung bestimmter Details im Bild kann ähnlich wie in einem Text notwendig sein, um diese Details prägnant herauszuarbeiten. Um bestimmte Bildelemente zu betonen, kann mit Verzerrungen und mit unterschiedlicher Strichstärke gearbeitet werden.
Größenänderungen bieten die Möglichkeit, kleine Bildelemente wie z.B. Schrauben, Schalter oder Hebel deutlicher zu visualisieren. Durch den Betrachter
werden Größenänderungen bzw. Verzerrungen in der Darstellung eines Bildes
bis zu einem Faktor von 1,5 : 1 (150%) als nur unwesentliche Abweichung beim
Erkennen des Gegenstandes wahrgenommen. Darüber hinausgehende Verzerrungen werden als Bildstörung empfunden.
Bei der Wahl der Strichstärke haben Untersuchungen ergeben, daß wichtige,
bedeutungshaltige Elemente mit einer Strichstärke zwischen 0,73 mm und
294
295
296
Kösler 1990, S. 169
Dwyer 1972; Spoehr / Lehmkuhle 1982, S. 178; Kösler 1990, S. 173
Hier und im folgenden Kösler 1990, S. 204-222
77
Nicole Neckermann: Instruktionstexte
1,1 mm dargestellt werden sollten. Weniger wichtige Bildelemente sollten fünfmal schmaler, also zwischen 0,15 und 0,25 mm gestaltet werden.
Eine Bildgröße, die noch auf den ersten Blick durch den Leser erfaßbar ist und
damit einen schnellen Informationstransfer ermöglicht, wird durch verschiedene
Kriterien bestimmt. Dabei spielen der Betrachtungsabstand, die Strichstärke,
das Auflösungsvermögen des Auges und das Sehfeld eine Rolle. Wird eine
Illustration im normalen Leseabstand von 25 cm betrachtet, so sollte diese
Illustration höchstens 5 cm hoch und 7 cm breit sein.
3.6.4 Bildstörungen
Beim Betrachten eines Bildes werden die Bildelemente sofort in Einheiten oder
Elemente eingeteilt. Diese Einheiten werden zueinander in Beziehung gesetzt,
es wird erkannt, daß einige Bildelemente eine gemeinsame Eigenschaft haben
und ein Objekt bilden. Erst wenn alle zusammengehörigen Elemente identifiziert
worden sind, kann eine Analyse der Struktur des Objekts erfolgen und die Bildaussage ermittelt werden.297
Genau wie es bei der Textrezeption zu Mehrdeutigkeiten kommen kann, besteht
bei der Bildanalyse von Fotos und Zeichnungen die Gefahr, daß Fehlerquellen
auftreten, die die Informationsübertragung zum Betrachter stören. Insgesamt
können fünf mögliche Beziehungsstörungen auftreten:298
Regel
Physikalische Bezüge Unterlage
des Objekts zur
Umgebung
Überlagerung
Beziehungen des
Objekts zur
Umgebung
Störung
Das gezeichnete Objekt ruht nicht auf
einer Unterlage
Der Hintergrund ist durch das davorstehende Objekt sichtbar
Wahrscheinlich Das Objekt ist unpassend in der
keit
Szene
Ort
Das Objekt paßt in die Szene, ist aber
am gezeigten Ort unwahrscheinlich
Größe
Das Objekt ist zu groß / klein im Bezug zu anderen Objekten der Szene
Tab. 6: Beziehungsstörungen in Bildern
Verstöße gegen diese Regeln stören bei der Entdeckung von Objekten alle in
gleichem Maße. Bildstörungen verlangsamen die Interpretation eines Bildes, je
mehr Störungen gleichzeitig vorliegen, desto mehr wird die Wahrnehmung beeinflußt. Entsprechend müssen alle Arten der Bildstörung vermieden werden, da
alle einen negativen Einfluß auf das Illustrationsverständnis haben und sich im
Zusammenhang mit einem Text auch auf das Textverständnis auswirken
können.
297
298
78
Kösler 1990, S. 204f.
Spoehr / Lehmkuhle 1982 S. 202; Kösler 1990, S. 177

Documents pareils