Predigt zu Matthäus 25,14-30, Evangelische Magnuskirche Worms

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Predigt zu Matthäus 25,14-30, Evangelische Magnuskirche Worms
Predigt
Stellvertretende Kirchenpräsidentin Ulrike Scherf
Evangelische Kirche in Hessen und Nassau
Predigt zu Matthäus 25,14-30
Evangelische Magnuskirche Worms, Sonntag, 2. August 2015
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus
Christus.
Liebe Gemeinde,
um von Gott zu erzählen, muss man manchmal ganz weltlich werden. Das wusste
Jesus. Er wusste auch, dass man mit einer Erzählung, einem Gleichnis, Gott nicht
ganz erfassen kann – aber er hat es trotzdem gewagt: ganz weltlich und
menschennah von Gott zu reden. Weil so etwas deutlich wird von Gott, von uns
Menschen, von unserem Glauben.
Das ist auch bei dem Gleichnis so, das uns heute im Predigttext begegnet. Jesus
erzählt dies, weil hier etwas von Gott deutlich und spürbar wird: Gott vertraut uns –
und Gott traut uns etwas zu.
Ich lese den Predigttext aus dem Matthäusevangelium, Kapitel 25, die Verse 14-30.
14
Denn es ist wie mit einem Menschen, der außer Landes ging: er rief seine Knechte
und vertraute ihnen sein Vermögen an; 15dem einen gab er fünf Zentner Silber, dem
andern zwei, dem dritten einen, jedem nach seiner Tüchtigkeit, und zog fort.
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Sogleich ging der hin, der fünf Zentner empfangen hatte, und handelte mit ihnen
und gewann weitere fünf dazu. 17Ebenso gewann der, der zwei Zentner empfangen
hatte, zwei weitere dazu. 18Der aber einen empfangen hatte, ging hin, grub ein Loch
in die Erde und verbarg das Geld seines Herrn.
19
Nach langer Zeit kam der Herr dieser Knechte und forderte Rechenschaft von
ihnen. 20Da trat herzu, der fünf Zentner empfangen hatte, und legte weitere fünf
Zentner dazu und sprach: Herr, du hast mir fünf Zentner anvertraut; siehe da, ich
habe damit weitere fünf Zentner gewonnen. 21Da sprach sein Herr zu ihm: Recht so,
du tüchtiger und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich
über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!
22
Da trat auch herzu, der zwei Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, du hast
mir zwei Zentner anvertraut; siehe da, ich habe damit zwei weitere gewonnen. 23Sein
Herr sprach zu ihm: Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht, du bist über wenigem
treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!
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24
Da trat auch herzu, der einen Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, ich
wußte, daß du ein harter Mann bist: du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst
ein, wo du nicht ausgestreut hast; 25und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg
deinen Zentner in der Erde. Siehe, da hast du das Deine. 26Sein Herr aber antwortete
und sprach zu ihm: Du böser und fauler Knecht! Wußtest du, daß ich ernte, wo ich
nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe? 27Dann hättest du
mein Geld zu den Wechslern bringen sollen, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich
das Meine wiederbekommen mit Zinsen. 28Darum nehmt ihm den Zentner ab und
gebt ihn dem, der zehn Zentner hat. 29Denn wer da hat, dem wird gegeben werden,
und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat,
genommen werden. 30Und den unnützen Knecht werft in die Finsternis hinaus; da
wird sein Heulen und Zähneklappern.
Liebe Gemeinde,
der Text – das Gleichnis – hat es in sich: Geht es um Geld? Um Kapitalismus?
Möchte Gott, dass wir uns dem Markt anpassen und möglichst gewinnbringend
handeln? Und beurteilt Gott am Ende die Ergebnisse?
Die Fragen lassen sich nicht schnell und einfach beantworten. Denn ein Gleichnis
lässt sich nicht immer sofort verstehen und eins zu eins übertragen. Nicht in allen
Punkten und direkt mit dem Reich Gottes gleich setzen oder mit unserem Leben.
Aber es zeigt etwas von Gottes Wirklichkeit, seinem Willen für diese Welt und für
unser Leben. Gilt das auch hier?
Die bekannten Gleichnisse Jesu sind andere – sie orientieren sich an Bildern und
Beispielen aus der Landwirtschaft. Der gute Hirten und seine Schafe; der Sämann,
der aussät. Solche Bilder kennen wird. Und wir fragen nicht, ob wir alle Schafe sind
oder Ackerboden und wie jedes Detail im Einzelnen zu verstehen ist.
Beim heutigen Gleichnis aber geht es um Geld, um Kapital, zumindest auf den ersten
Blick. Und da uns diese Geld-Welt doch vertraut ist und auch medial mit den Themen
Schutzschirm, Eurorettung und Schuldenerlass gerade eifrig diskutiert wird, kann es
schnell geschehen, dass wir uns die Logik dieser Welt zu eigen machen. Dann
verstehen wir das Gleichnis als Lob der Leistung und des Gewinns. Die Zögerlichen
bleiben auf der Strecke und denen, die mehr als genug haben, wird noch mehr
gegeben. Sie werden belohnt, weil sie Gewinne über Gewinne anhäufen.
So gelesen, verstört das Gleichnis. Wir spüren: da stimmt etwas nicht.
Mir fällt die Kritik Jesu am reichen Kornbauern ein, der sein Korn anhäuft und Gott
vergisst - ich denke an Jesu Option für die Armen, an die Sozialkritik, die bereits die
Propheten geübt haben und an das Scherflein der Witwe, die ihren letzten Groschen
für Arme gibt und das hoch geschätzt ist. Verstörend klingt der heutige Text, wenn er
als Lob der bloßen Gewinnmaximierung gelesen wird. So aber kann er nicht gemeint
sein.
Das Gleichnis von den anvertrauten Zentnern möchte etwas von Gott erzählen –
aber nicht alle Regeln des Marktes auf sein Reich übertragen.
Doch was erzählt das Gleichnis?
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Es erzählt von Vertrauen, von Anvertrauen und Zutrauen und von Erwartung.
Drei Menschen wird etwas anvertraut. Zentner übersetzt Luther, Talent oder Pfund
übersetzen andere. Es ist eine Maßeinheit, mit der Geld gemessen wird – ein
Zentner, ein Talent ist, nicht nur für die Knechte in unserem Gleichnis, sehr viel Geld.
Also auch der, der nur einen Zentner erhält, bekommt sehr viel.
Ganz unterschiedlich gehen die Menschen mit den ihnen anvertrauten Zentnern um.
Zwei setzen sie ein, handeln mit ihnen, vermehren sie. Einer tut nichts – er vergräbt
es und lässt es ruhen. Tut so, als hätte er es nicht.
Diesem letzten wird am Ende gesagt, dass er falsch gehandelt hat. Die anderen
beiden werden gelobt.
Das Gleichnis legt also das Augenmerk auf die Frage: Wie gehen wir Menschen mit
dem uns Anvertrauten um? Das uns Anvertraute beschränkt sich nicht auf Geld, auf
irdischen Güter – es umfasst mit den Gütern alles, was Gott uns anvertraut.
Und das ist viel: es sind unsere Talente – und diesmal verwende ich das Wort nicht
nur in seiner antiken Bedeutung der Maßeinheit des Geldes, sondern auch in der uns
geläufigen: Unsere Gaben und Begabungen, mit Geld nicht zu bezahlen.
Die fünf Talente oder Zentner sind in früheren Auslegungen auch als die 5 Sinne des
Menschen verstanden worden: das Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen.
Auch wenn eine solche Allegorie, ein Sinnbild nicht überstrapaziert werden darf,
verdeutlicht es: Talente sind nicht nur finanzielle Güter, auch nicht nur die
besonderen Begabungen, die uns von anderen unterscheiden. Nein: von Gott
anvertraut sind uns alle unsere Sinne und alles, was sie wahrnehmen - unser Leben,
alles, was uns ausmacht, unsere Welt, unser Miteinander.
Von Gott anvertraut – überlassen zur eigenen Gestaltung.
Das Vertrauen Gottes in uns Menschen ist verknüpft mit der Erwartung, dass wir
aktiv werden: unsere Möglichkeiten sehen, annehmen und nutzen, unser Leben
gestalten, egal, ob es gerade gut läuft oder schlecht. Wir können nicht so tun, als
wären wir nicht, als könnten wir nicht. Wir sollen uns nicht vergraben und
untertauchen, den Kopf in den Sand stecken.
Wir sind da, um unser Leben zu gestalten – unsere Begabungen zu entdecken und
weiter zu entwickeln. Sie einzubringen in die Gemeinschaft.
Wenn wir das tun, werden wir entdecken, dass sie sich entfalten, mehr werden. Weil
sie sich mit den Gaben und Begabungen von anderen ergänzen oder an ihnen
reiben. Weil andere sie sehen, darauf reagieren.
Es ist nicht egal, was wir mit uns, unseren Gütern und unseren Begabungen machen
– das sagt das Gleichnis. Aus den biblischen Texten gewinnen wir Orientierung, wie
wir unsere Begabungen zum Nutzen aller und zum Lobe Gottes einsetzen.
Z.B. indem wir uns den Geringsten, den Menschen, die am Rand stehen oder aus
dem Blick geraten, zuwenden. So heißt es im Anschluss an unseren Predigttext:
„Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern (ich ergänze: und
Schwestern), das habt ihr mir getan.“
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Unsere Gaben zum Nutzen aller und zum Lobe Gottes einsetzen, das kann durch
unsere finanzielle Unterstützung von Brot für die Welt geschehen, um Menschen in
Armut Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Oder durch den Einsatz für ein Kirchenasyl, das
einen Menschen vor einer Abschiebung in menschenunwürdige Verhältnisse schützt.
Unser Auftrag kann sein, einem Menschen einfach zuzuhören, Schweres mit
auszuhalten, Tränen zu trocknen. Oder ein Kind gut und mit Vertrauen gestärkt ins
Leben zu begleiten, zu Hause oder im Kindergarten.
Unser Auftrag kann aber auch sein, öffentlich unsere Stimme zu erheben, wenn
Unrecht geschieht oder das Leben von Menschen bedroht oder beeinträchtigt wird.
Wir nehmen nicht hin, wenn Flüchtlingsunterkünfte brennen, Flüchtlinge bedroht oder
rechtsradikale Parolen verbreitet werden und machen stattdessen die Würde des
Menschen stark, die unantastbar ist. Unser Auftrag kann ebenso sein, der
Ökonomisierung des Lebens entgegenzutreten und für Freiräume einzutreten, etwa
beim arbeitsfreien Sonntag, der Leib und Seele guttut, nicht nur, weil wir gemeinsam
Gottesdienste wie heute feiern können. Denn auch der Sonntag – der Ruhetag – ist
uns von Gott anvertraut. Er soll für die ganze Schöpfung gelten – in ruhigen wie in
turbulenten Zeiten.
Die Fragen rund um die Schuldenkrise und Griechenland sind komplex. Sind die
Forderungen der Geberländer zu hart – oder eher nicht weitgehend genug? Einfache
Antworten gibt es nicht. Und ich will hierzu jetzt nicht Stellung nehmen. Was mich
aber schockiert hat, ist, dass zum Forderungskatalog der Geldgeber gehört, die
Geschäfte in Griechenland nun sieben Tage die Woche zu öffnen, also auch am
Sonntag. Der Schutz des freien Sonntags soll ausgehöhlt werden, um die Wirtschaft
zu beleben. Aber: Gilt nicht auch dort, dass Leib und Seele aufatmen müssen und
der Mensch nicht der Ökonomie gehört? Dass gemeinsame Auszeiten Würde spüren
und Kraft schöpfen lassen, um dann mit neuer Frische und Motivation in den Alltag
zu gehen? Gemeinsame freie Zeiten sind auch für den Zusammenhalt in Familie und
Gesellschaft von zentraler Bedeutung. Der Sonntag ist international ein besonderer
Tag. Wenn in Deutschland der freie Sonntag Verfassungsrang hat und vom
Grundgesetz ausdrücklich geschützt wird, dann sollten deutsche Politiker den
Sonntag als Tag der Arbeitsruhe auch den Griechen nicht verwehren. Er gehört zu
den gemeinsamen Werten, auf denen Europa basiert.
Hier sind wir gefragt, Stellung zu beziehen und uns einzubringen. Und nicht aus
Angst unseren Mund zu halten und ängstlich unser Talent zu vergraben. Nein.
Gott vertraut uns. Er vertraut uns etwas an, lässt uns gestalten, traut uns etwas zu –
und er erwartet etwas von uns. „Du hast einen Auftrag. Du kannst etwas bewirken.
Das, was Du tun kannst, ist wichtig. Du hast eine Berufung.“ Das ist die Botschaft
des heutigen Predigttextes.
Und Gott (nicht wir Menschen) ist auch derjenige, der am Ende schauen wird, was
wir aus unseren Begabungen und Talenten gemacht haben – und wir dürfen den
vielen biblischen Texten vertrauen, die von der liebevollen Zuwendung Gottes, von
seiner Gnade und Barmherzigkeit reden.
Gott erwartet nicht, dass wir perfekt sind, immer alles richtig machen, die richtigen
Entscheidungen treffen und den richtigen Weg gehen. Aber er erwartet, dass wir
etwas tun mit unseren Gütern, Gaben und Begabungen, mit unserem Leben – mit
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unserem Gauben und der Vision vom Reich Gottes, in dem Frieden und
Gerechtigkeit sein werden.
Ein Text von Marianne Williamson, einer amerikanischen Friedensaktivistin, will uns
genau dazu ermutigen: den eigenen Gaben und Begabungen zu vertrauen – Gott zu
vertrauen, der uns alle mit Talent ausgestattet hat:
Wir fragen uns:
Wer bin ich denn eigentlich,
dass ich leuchtend, hinreißend, begnadet
und phantastisch sein darf?
Wer bist Du denn,
dass Du das NICHT sein darfst?
Du bist ein Kind Gottes.
Wenn Du Dich klein machst, dient das nicht der Welt.
Es hat nichts mit Erleuchtung zu tun,
wenn Du Dich einkringelst,
damit andere um Dich herum
sich nicht verunsichert fühlen.
Du wurdest geboren,
um die Ehre Gottes zu verwirklichen,
die in uns ist.
Sie ist nicht nur in einigen von uns
sie ist in jedem Menschen.
Und wenn wir unser Licht erstrahlen lassen,
geben wir unbewusst den anderen Menschen
die Erlaubnis, dasselbe zu tun.
Wenn wir uns von unserer Angst befreit haben,
wird unsere Gegenwart
ohne unser Zutun
andere befreien.
(Marianne Williamson (1952 in Houston, Texas, USA, Buchautorin und Gründerin der 'The Peace Alliance' - Das Zitat stammt
aus dem Buch "A Return To Love: Reflections on the Principles of A Course in Miracles")
Gott vertraut uns – Gott traut uns etwas zu. Trauen wir uns.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und
Sinne in Christus Jesus. Amen.
DIE STELLVERTRETENDE KIRCHENPRÄSIDENTIN
Pfarrerin Ulrike Scherf
Paulusplatz 1 64285 Darmstadt