Fahreignung bei neurologischen Erkrankungen - Schulz

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Fahreignung bei neurologischen Erkrankungen - Schulz
Urheberrechtlich geschütztes Material. Copyright: Schulz-Kirchner Verlag, Idstein. Vervielfältigungen jeglicher Art nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung des Verlags gegen Entgelt möglich. [email protected]
Jutta Küst
Fahreignung bei neurologischen Erkrankungen
Informationen für Betroffene, Angehörige und Therapeuten
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Ratgeber
für Angehörige, Betroffene und Fachleute
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Jutta Küst
Fahreignung bei
neurologischen Erkrankungen
Informationen für
Betroffene, Angehörige und
Therapeuten
Das Gesundheitsforum
SchulzKirchner
Verlag
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
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Die Informationen in diesem Ratgeber sind von der Verfasserin und dem
Verlag sorgfältig erwogen und geprüft, dennoch kann eine Garantie nicht
übernommen werden. Eine Haftung der Verfasserin bzw. des Verlages und seiner
Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.
Besuchen Sie uns im Internet: www.schulz-kirchner.de
2. überarbeitete Auflage 2011
1. Auflage 2006
ISBN 978-3-8248-0354-5
Alle Rechte vorbehalten
 Schulz-Kirchner Verlag GmbH, Idstein 2011
Mollweg 2, D-65510 Idstein
Vertretungsberechtigter Geschäftsführer: Dr. Ullrich Schulz-Kirchner
Lektorat: Doris Zimmermann
Layout: Susanne Koch
Umschlagentwurf und Titelfoto: Petra Jeck
Umschlagfoto: Archiv Schulz-Kirchner Verlag
Fotos S. 32: Mobilcenter Zawatzky GmbH
Druck und Bindung:
wd print + medien GmbH, Elsa-Brandström-Str. 18, 33578 Wetzlar
Printed in Germany
Auch als E-Book oder App erhältlich unter der ISBN 978-3-8248-0672-0
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort zur Reihe
Einleitung
7
9
Fahren und neurologische Erkrankungen
Was ist Autofahren?
11
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Rechtliche Rahmenbedingungen
Vorsorgepflicht Aufklärung durch den Arzt oder Therapeuten
Abklärung der Fahreignung
Konsequenzen
16
17
17
18
19
Grundlagen der Beurteilung der Fahreignung
Fahreignung bei demenziellen Erkrankungen
Komorbiditäten
Bewegungsbehinderungen 21
28
31
31
Psychische Leistungsfähigkeit, Begutachtung und Therapie
Anforderungen an die psychische Leistungsfähigkeit (Anlage 5 der FeV)
Kognitive Funktionen / Neuropsychologie
Praktische Fahrverhaltensprobe
Beratung und Begutachtung
Therapiemöglichkeiten
Kompensation
Verzicht
Die Rolle der Angehörigen
Ausblick
35
Literatur
58
Adressen und weiterführende Informationsmöglichkeiten
59
Anhang 1
Fahrerlaubnisklassen
63
Anhang 2
Auswahl an Schlüsselzahlen für Auflagen, Beschränkungen und
Zusatzangaben
35
37
46
47
50
54
56
57
57
68
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Vorwort zur Reihe
Die RATGEBER für „Angehörige, Betroffene und Fachleute“
vermitteln kurz und prägnant grundlegende Kenntnisse (auf
wissenschaftlicher Basis) und Hilfestellungen zu ausgewählten
Themen aus den Bereichen der Gesundheit, der Medizin und
der Therapieberufe. Die Autorinnen und Autoren der Reihe sind
ausgewiesene Fachleute mit langjähriger Erfahrung in Klinik,
Therapie, Beratung und Lehre.
Unabhängigkeit und Mobilität sind für viele Menschen ein
hohes Gut, das für die eigene Lebensqualität als sehr wichtig
eingeschätzt wird. Wenn durch Krankheit oder Unfall Menschen nicht mehr Auto fahren dürfen oder können, dann ist
das für die Betroffenen entsprechend belastend. Deshalb ist
es wichtig, dass man als Fachperson, Angehöriger oder Betroffener die Wege und Möglichkeiten zum Thema „Fahreignung“
kennt, um sachgerecht informieren oder notwendige Schritte
einleiten zu können.
Mit meiner Kollegin, Frau Dr. Jutta Küst, konnte eine erfahrene
Expertin zum Thema „Fahreignung“ gewonnen werden, um die
relevanten Informationen auf aktuellem Stand darzustellen.
Wir hoffen, mit unserem RATGEBER indirekt zur Lebensqualität
von Menschen in unserer (auto)mobilen Gesellschaft beitragen
zu können.
Prof. Dr. Jürgen Tesak †
(Vorwort zur 1. Auflage 2006)
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Einleitung
Neurologische Erkrankungen wie Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma oder Multiple Sklerose können zu körperlichen und geistigen Einschränkungen führen.
Nachdem die Akutphase überstanden ist, gilt es, sich mit diesen Leistungseinbußen und ihren Auswirkungen auf das Alltagsleben auseinanderzusetzen. Neben
der Frage der Bewältigung des häuslichen Alltags oder der Wiederaufnahme der
Berufstätigkeit stellt sich auch die Frage nach dem Autofahren. Häufig erfahren
Sie erst durch Ärzte oder Psychologen, dass durch einen Schlaganfall oder ein
Schädelhirn-Trauma die Fahreignung eingeschränkt oder nicht mehr gegeben sein
kann. Nach einer schweren Krankheit, an deren Folgen man noch leidet, wird so
möglicherweise die Mobilität stark eingeschränkt.
Thema des vorliegenden Ratgebers sind die Grundlagen der Fahreignung, deren
Beurteilung und die in der BRD geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen. Weiter
werden störungsspezifische Merkmale dargestellt, besonders wird dabei auf die
körperlichen und geistigen Leistungseinbußen eingegangen. Abschließend werden
Möglichkeiten der Therapie und die Rolle von Angehörigen dargestellt.
Der Ratgeber ist auf dem Hintergrund langjähriger Arbeit mit Patienten entstanden,
aber auch durch die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Frage des Fahrens
bei neurologischen Erkrankungen. In zahlreichen Beratungs- und Aufklärungsgesprächen habe ich die Betroffenheit und teilweise auch die Hilflosigkeit erlebt,
welche dieses Thema auslöst. Absicht dieses Ratgebers ist es, allen Betroffenen
eine umfangreiche Informationsmöglichkeit zur Verfügung zu stellen, um als
informierte Beteiligte an dem Prozess der Klärung der Fahreignung oder der
Therapie der Fahreignung teilzunehmen, oder aber auch zu verstehen, warum die
Fahreignung nicht mehr erreichbar ist.
Mein Dank gilt zunächst allen Patienten, mit denen ich dieses Thema besprochen
habe. Weiter möchte ich allen Mitgliedern des Arbeitskreises ‚Fahreignung’ der
Gesellschaft für Neuropsychologie danken, die sich mit hohem Engagement diesem
Thema verschrieben haben und darüber gerne kritisch diskutieren. Für ihre wertvolle Unterstützung danke ich meiner Kollegin Frau Dipl.-Psych. Ursula Jacobs.
Schließlich danke ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Schulz-Kirchner
Verlages, die mein Werk freundlich und geduldig betreut haben; besonderer Dank
geht an den Herausgeber Herrn Professor Jürgen Tesak für die angenehme und
konstruktive Zusammenarbeit.
Jutta Küst
Bonn, Januar 2006
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Fahren und neurologische Erkrankungen
Autofahren dient dem Erhalt der Mobilität, ermöglicht Eigenbestimmtheit und
Unabhängigkeit von anderen. In unserer Gesellschaft stellt es einen wichtigen
Aspekt der Lebensqualität dar, häufig ist es auch Voraussetzung für das Ausüben
einer Berufstätigkeit. In der BRD gibt es aufgrund der mangelnden Meldepflicht
bei Erkrankungen keine Statistiken darüber, inwieweit bestimmte Krankheiten
die Fähigkeit, Auto zu fahren, einschränken. Wir erfahren lediglich in Einzelfällen
aus der Presse, dass ein Unfall durch einen epileptischen Anfall oder einen Herzinfarkt am Steuer verursacht wurde. Ob bestimmte Krankheiten die Fahreignung
tatsächlich einschränken, kann man aufgrund von Untersuchungen aus anderen
Ländern abschätzen; dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Fahreignung landesspezifisch unterscheiden. Untersuchungen haben ergeben, dass ca. 50% aller hirngeschädigten Patienten ihre
Fahreignung wieder erlangen. Für den Einzelfall lassen sich daraus jedoch kaum
Prognosen ableiten, da in diesen Studien Patienten mit sehr unterschiedlichen
Schädigungen und Schweregraden der Beeinträchtigungen untersucht wurden.
30-50% aller Patienten mit neurologischen Erkrankungen in der BRD nehmen
ohne vorherige Untersuchungen das Fahren wieder auf. Mehr als die Hälfte der
Betroffenen, bei denen die Fahreignung nicht mehr gegeben ist, geben an, nicht
informiert zu sein. Bei der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU) stellen
neurologische Patienten nur einen geringen Anteil der Untersuchten (0,8% im Jahr
2002). Im Akutkrankenhaus kann der Zeitpunkt für eine Aufklärung durchaus noch
zu früh sein, da andere Probleme vorrangiger sind; die Frage nach der Fahreignung
stellt sich meist am Ende einer stationären Rehabilitationsmaßnahme.
Ein Weg, zu Erkenntnissen über Einschränkungen der Fahreignung durch neurologische Erkrankungen zu gelangen, besteht darin, zu untersuchen, welche Probleme
bei einer praktischen Fahrverhaltensprobe auftreten können. In der folgenden
Tabelle werden die Ergebnisse einer solchen Untersuchung dargestellt. Sie geben
Aufschluss über häufig auftretende Probleme, aber auch über begünstigende Faktoren, die wichtige Grundlagen der Therapie der Fahreignung darstellen können.
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Tabelle 1: Qualitative Analysen des Fahrverhaltens nach Hirnschädigung
(nach Lundquist et al., 2001)
Fahrprobleme
 Geschwindigkeit: eingeschränkte Geschwindigkeitskontrolle, Missachtung
der Geschwindigkeitsbegrenzungen
 Handhabung des Fahrzeugs: unbeständige Brems- & Gaspedalbedienung
 Position des Kfz: Probleme mit der Wahrnehmung der Fahrzeuggröße, Position
auf Straße, im Kreisverkehr, in engen Straßen, schlechtes Spurhalten
 Aufmerksamkeit: mangelnde Aufmerksamkeit gegenüber Fußgängern, in
Wohngebieten, im Kreisverkehr, bei Verkehrsschildern und Ampeln
 Verkehrsverhalten: mangelnde Beachtung anderer Verkehrsteilnehmer, Verstoß gegen Vorfahrtsregeln
Weitere problematische Bereiche
 Orientierung: in komplexen Verkehrssituationen geht die Orientierung verloren, mangelnder Überblick an freien Kreuzungen, häufige Fragen um Rat
 Entscheidungsfindung: Schwierigkeiten, selbstständig Lösungen für komplexe
Situationen zu finden
 Vertrauen in die Fahrsituation: auch erfahrene Fahrer wirken wie Anfänger
Kompensationsmöglichkeiten
 Antizipation: sorgfältige Planung der Fahrt, Zeitfenster für Entscheidungen
ermöglichen
 Langsamere Fahrweise: Abstandhalten, Verlangsamen des Tempos bei Gesprächen
 Interesse an sicherem Fahren
 Fahrerfahrung
Diese Untersuchung zeigt die Vielfältigkeit möglicher Probleme. Gleichzeitig
werden aber auch Möglichkeiten zum Ausgleich (Kompensation) dieser Probleme aufgezeigt. Darauf wird in dem Kapitel zur Therapie der Fahreignung und zur
Kompensation (s.u.) näher eingegangen.
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Exkurs zur Häufigkeit von Fahreignungseinschränkungen
bei neurologischen Erkrankungen
Aufgrund der unzureichenden Datenlage über das Ausmaß der Fahreignungseinschränkungen bei neurologischen Erkrankungen haben wir im Jahr 2005 eine
Studie durchgeführt, in die wir 694 Patienten mit gültiger Fahrerlaubnis aufgenommen haben (Küst et al., 2008). Diese Patienten gehörten entsprechend dem
Phasenmodell der neurologischen Rehabilitation der Phase D an, d.h., sie waren
weitgehend selbstständig mobil und unabhängig von pflegerischen Maßnahmen.
Die Altersobergrenze lag bei 65 Jahren. Die Fahreignung war nach den medizinischen Beurteilungskriterien bei 45% aller Patienten, nach den Kriterien für die
psychische Leistungsfähigkeit bei 53% nicht gegeben. Dies stellte für 61% der
Patienten eine deutliche Einschränkung bei der Erreichung des Arbeitsplatzes dar.
Von wesentlich größerer Bedeutung war jedoch die Tatsache, dass 44% aller untersuchten Patienten ein Kfz im Rahmen ihrer Berufstätigkeit nutzen müssen. Die
Möglichkeit therapeutischer Interventionen wurde dadurch sichtbar, dass vorwiegend
behandlungsfähige Störungen wie solche der Aufmerksamkeit für das Fehlen der
Fahreignung verantwortlich waren. Hingegen traten Erkrankungen, die das Führen
eines Kfz sicher ausschließen, wie Anfallsleiden, nur in deutlich geringerem Maße
auf. Bei Inhabern eines Führerscheins der Gruppe 2 (vereinfachend LKW größer 3,5
t und Personenbeförderung) war bei 85% die Fahreignung nicht gegeben. Der hohe
Prozentsatz ist vor allem dadurch bedingt, dass nach Schlaganfällen die Fahreignung der Gruppe 2 aus medizinischer Sicht nicht mehr gegeben ist, unabhängig
von den resultierenden Funktionsstörungen. Neben den Einschränkungen bei der
Berufsausübung erwartete die überwiegende Mehrheit der Patienten auch deutliche Einschränkungen der Lebensqualität durch einen Verlust der Fahreignung (vgl.
Abb. 1). Dabei wurden Probleme überwiegend in den Bereichen Einkaufen, soziale
Kontakte pflegen und Freizeitgestaltung gesehen.
Abbildung 1:
Persönliche Empfindung bei
Führerscheinverlust
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Was sind die Gründe für die Einschränkung der Fahreignung?
Die neuropsychologischen Defizite, welche die Fahreignung einschränken, sind in
Abb. 2 dargestellt (Mehrfachnennungen waren möglich). Dabei überwiegen Störungen der Aufmerksamkeitsfunktionen, welche grundsätzlich durch therapeutische
Maßnahmen verbesserbar sind.
Abbildung 2: Neuropsychologische Störungen
Die medizinischen Einschränkungen der Fahreignung sind in Abb. 3 dargestellt
(Mehrfachnennungen waren möglich). Unter der Kategorie ‚Sonstiges’ wurden
andere Störungsbilder erfasst, welche die Fahreignung einschränken. Dazu gehören
z.B. Herz- oder psychiatrische Erkrankungen.
Abbildung 3: Medizinische Störungen
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Was ist Autofahren?
Beim Autofahren muss eine Vielzahl von Aufgaben gleichzeitig bewältigt werden. Diese Aufgaben werden entsprechend einer Modellvorstellung des Fahrens
hierarchisch entlang folgender Ebenen eingeordnet:
 operationale Ebene: Hier kommt es auf basale Wahrnehmungs- und Reaktionsleistungen an, Beispiele sind das Spurhalten, einem parkenden Auto
ausweichen; diese Ebene wird von einem hohen Zeitdruck bestimmt.
 taktische Ebene: Vorbereitende Handlungen während des Fahrens, wie z.B.
den Abstand zum vorausfahrenden Auto vergrößern, langsam an Kreuzungen
heranfahren, sind auf dieser Ebene angesiedelt; auf dieser Ebene besteht
leichter Zeitdruck.
 strategische Ebene: Entscheidungen hinsichtlich Fahrtroute, Tageszeit der
Fahrt etc. werden üblicherweise vor der Fahrt und somit ohne Zeitdruck getroffen.
Führt man sich mögliche kognitive Defizite nach Hirnschädigungen vor Augen,
so kann dieses – sicherlich stark vereinfachende – Modell zeigen, dass an der
Fahreignung nicht nur Aspekte der visuellen Wahrnehmung und der Aufmerksamkeit beteiligt sind, obwohl diese in der Begutachtungspraxis, aber auch in der
Forschung häufig den Schwerpunkt darstellen.
Aus der Betrachtung der taktischen und strategischen Ebene lassen sich Kompensationsmöglichkeiten ableiten. Fahreignung ist eine Domäne des Expertenwissens.
Die Fertigkeit, Auto zu fahren, wird erworben und durchläuft unterschiedliche
Stadien. Zu Beginn sind viele Aspekte des Fahrens noch auf einer bewussten und
rein verbalen Ebene. Mit der Routine wird dieses Wissen jedoch eher in das sog.
prozedurale Gedächtnis verlagert, d.h., wir müssen nicht mehr bewusst darüber
nachdenken, wo sich welcher Gang befindet und wann wir schalten müssen. Eine
größere Fahrerfahrung kann die negativen Folgen einer Hirnschädigung auf die
Fahreignung reduzieren.
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