Untersuchung über den Untergang der PAMIR

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Untersuchung über den Untergang der PAMIR
Kapitän Hans-Bernd Schwab
Dipl. Nautiker
ÜBERLEGUNGEN ZUM UNTERGANG
DER
PAMIR
Am 21. September 1957
NEUE BETRACHTUNGEN ZUM SEEUNFALL
IM ZUSAMMENHANG AUF EINE VERWENDUNG VON
SEGELSCHIFFEN FÜR BULKTRANSPORTE:
Rüsselsheim, 1999
Vor vier Jahrzehnten ist die PAMIR untergegangen, mit den Folgen, daß die
Segelschiffahrt ganz eingestellt wurde. Andere Erkenntnisse, wie unter anderen
Bedingungen Segelschiffe wieder eingesetzt werden könnten, hat man seinerzeit
nicht angestellt, zu groß war das Erschrecken über den Unfall. Mit den Folgen der
gegenwärtigen Umweltbelastung setzt sich der folgende Artikel auseinander, was
wir aus dem PAMIR - Unglück lernen können, um wieder Segelschiffe als
Frachtschiffe zu verwenden.
Wohl kein Seeunfall ist mit einer solchen Gründlichkeit untersucht worden, wie der
Untergang der PAMIR. Das lag auch darin begründet, daß Beteiligte (Schiffsführung)
fehlten, die genauere Aussagen über die letzten Maßnahmen machen konnten. Also
mußte man sich auf Expertenaussagen stützen.
Betrachtet man zu einer Untersuchung über Frachtsegler das Urteil und die Unterlagen
dieser Seeamtsverhandlung, so ergeben sich einige wichtige Hinweise, die für einen
zukünftigen Einsatz von Segelschiffen bedeutsam sind. Aus heutiger Sicht könnte die
Überprüfung dieser Punkte eine Lösung der offenen Sicherheitsfragen für Segler
erbringen. Ich denke, man sollte diese Fragen über die Sicherheit heute erneut stellen und
bearbeiten, ohne die Untersuchung erneut aufzurollen, oder irgend einer Person eine
Schuld zuweisen zu müssen. Im Gegenteil, nur durch die offene Bearbeitung und
Behandlung des Themas, kann über den Einsatz von Segelschiffen wieder neu
nachgedacht werden.
Das Seeamt hat in seiner Untersuchung verschiedene Ursachen festgestellt. Sie beziehen
sich auf die Rettungseinrichtungen, die Ladung, die schiffbaulichen Verhältnisse der
PAMIR und das nautische Verschulden.
Es gilt also zu klären, wie es passieren konnte, daß das Schiff untergegangen ist, obwohl
es schon früher einige Orkane und Wirbelstürme überstanden hatte?
Welche ursächlichen Fehler haben zum Untergang geführt?
Welche Maßnahmen müßten getroffen werden, um Segelschiffe sicher zu handhaben?
Den Gesichtspunkt der Rettungseinrichtungen kann man im Zusammenhang des
Untergangs und eines Einsatzes von Segelschiffen vernachlässigen. Die Bestimmungen
wurden den Erkenntnissen angepaßt.
Wenn auch die Ladung ihre schlechten Eigenschaften hat. Ändern kann man es nicht.
Man kann nur schiffbaulich dafür Sorge tragen, daß zukünftig keine Bulkladung mehr
übergehen kann. (Selbsttrimmer) Die schiffbaulichen Zustände der PAMIR waren
einwandfrei. Es wurde nichts gravierendes beanstandet. Es ist bezeichnend, daß die
Takelage bis zuletzt vollkommen in Ordnung war.
Bei der nautischen Beurteilung hat sich das Seeamt sehr viel Mühe gegeben, um die
Beweggründe für die nautischen Entscheidungen an Bord zu erkennen. Es wurden
verschiedene Eventualitäten verhandelt. Da leider keine Beteiligten anwesend waren und
man sich nur auf Zeugenaussagen von Junggraden stützen konnte, war eine Beurteilung
durch Experten erforderlich, eine Verurteilung ist nicht möglich.
Man hat drei wesentliche Ursachen festgestellt, die zum Untergang führten:
1. falsche Segelführung
2. Verschlußmaßnahmen nicht durchgeführt
3. Vermutlich keine Kenntnis der Großwetterlage, speziell des Hurrikans Carrie.
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1. Einwirkungen zum Untergang durch äußere Bedingungen, welche die
Schiffsführung nicht beeinflussen konnte.
1.1 Hurrikan Carrie
Zunächst ist als Hauptaspekt der herannahende Hurrikan zu nennen. Auf seine Zugbahn
und Zuggeschwindigkeit hat kein Mensch einen Einfluß. Man muß sein Verhalten ständig
beobachten, analysieren und navigatorische Sicherheitsmaßnahmen treffen. (Bild 2)
Daß Carrie eine solche Deviation von der üblichen Generallinie genommen hat, ist von
einer Schiffsleitung nicht vorherzusehen. Auch das sich ständig wechselnde Verhalten zu
den Prognosen, was Verlagerung und Verlagerungsgeschwindigkeit anbelangt, stellte die
Beurteiler vor fast unlösbare Aufgaben und immer neue Situationen. Dieses Verhalten
und die Deviationen ist auch einmalig in der bisherigen Beobachtung von Wirbelstürmen.
Zeugenaussagen von anderen Schiffen, die mit Carrie in Verbindung waren, haben das
bestätigt. (siehe Kommentare der anderen Schiffe in Bild 1)
Auch wenn man unterstellt, daß die Schiffsleitung alle Wetterberichte kannte und eifrig
Wetterkarten gezeichnet hat, so war das launenhafte Verhalten des Hurrikans Carrie nicht
vorherbestimmbar.
1.2 Anweisungen zum Beladen der Schiffe
Die Anweisungen zum Beladen der Schiffe wurden von der Schiffsleitung eingehalten.
Es wurden Getreideschotten gebaut und die Ladung wurde mit fünf (5) Lagen Sackgut
abgedeckt. Dies entsprach den Vorschriften, wie sie seinerzeit für Motorschiffe bestand
und eben auch für die PAMIR und übrigens auch für die PASSAT, die im gleichen Trade
fuhr, angewendet wurden.
Wenn diese Vorschriften für die Motorschiffe auch voll ausreichten, so waren sie doch
auf die Segler nicht voll übertragbar. Da Segler überwiegend mit Schlagseite oder einer
geringen Neigung segeln, wirkt eine längerfristige Druckbelastung auf die Längsschotten
ein. Man kann aber davon ausgehen, daß die Längsschotten noch am Unglückstag intakt
waren und erst in der oder den letzten Stunden gebrochen sind.
Vermutlich ist die praktizierte Beladung, wie sie früher für die Segler bestand in
Vergessenheit geraten; man hatte ja gute Erfahrungen mit den Motorschiffen gemacht.
Zu den Zeiten, als die Segelschiffahrt noch überwiegend angewendet wurde, hat man die
Ladungen nie (!) als Schüttgut verladen, sondern immer als Sackgut. Das mag an den
damals herrschenden Belademöglichkeiten in den Häfen gelegen haben; war aber letztlich
eine sichere Beladungsmethode für die Segler. Einen Einbau von Längsschotten brauchte
man daher nicht.
Ein Verschulden ist aus diesen Gründen der Schiffsführung der PAMIR nicht anzulasten.
Inwieweit das Sacken der Ladung während der Reise und das vielleicht schlechte
Trimmen des Getreides beim Beladen der Schiffsleitung bekannt war, ist nicht mehr
festzustellen. Einen Hinweis, daß die Laderäume besichtigt wurden, gibt es nicht. Man
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kann aber annehmen, und die Erfahrungen mit der Passat beweisen das, daß die Ladung
in die unteren Räume gesackt ist und leere Zwischenräume nur in den Zwischendecks
entstanden sind. (siehe auch Punkt 3.3)
Man kann daher annehmen, daß die Ladung aus den Zwischendecks durch die Trimmluken in die freien Räume der unteren Luken gerieselt ist. Üblicherweise wird das so
gehandhabt, daß das Zwischendeck als "Feeder" verwendet wird. Dadurch entstanden
zumindest in den unteren Laderäumen zwei, drei, mit Tieftank und in Raum vier keine
"freien Oberflächen".
Das Nachrieseln der Gerste aus den Zwischendecks zwei, drei und vier hat aber dort zu
freien Oberflächen geführt. (siehe Stauplan und Schiffsplan, Bild 7 und 8)
Das bedeutet,
in Luke 1 waren
in Luke 2 waren
in Luke 3 waren
in Luke 4 waren
275 to lose Gerste und 61 to Sackgut, ergibt
336 to Ladung
1270 to lose Gerste und 40 to Sackgut, ergibt 1.310 to Ladung
1228 to lose Gerste und 99 to Sackgut, ergibt 1.327 to Ladung
753 to lose Gerste und 54 to Sackgut, ergibt
807 to Ladung
gesamt 3.780 to Ladung.
Wenn man annimmt, daß bis zum Unglückstag 1000 Uhr morgens, also bis zu dem
Moment, als die Segel losgeworfen wurden, der Winddruck nachließ und das Schiff sich
wieder aufrichtete, etwa 50 bis 100 to Ladung in den Zwischendecks nach Backbord
übergegangen waren, dann bedeutet das noch keine wesentliche Gefährdung der
Schiffsstabilität. In den Unterräumen waren vermutlich durch das Nachriesen keine freien
Räume vorhanden; damit war die Ladung als mehr oder weniger homogen gestaut
anzusehen und die Längsschotten dürften bis dahin gehalten haben.
(erst der Wassereinbruch und die Verringerung der Reserveschwimmfähigkeit
verschlechterten das Stabilitätsmoment, siehe Punkt 2.3)
Daß die Stabilität nicht ausreichend war, stellte auch das Seeamt fest, ohne konkrete
Zahlen zu nennen (mangels ausreichender Informationen). In der Gegenüberstellung zur
PASSAT, bei der auch die Ladung übergegangen war, ergeben sich aber genügend
Vergleichsmöglichkeiten, daß die Schiffsleitung der PAMIR die Tieftanks entweder nicht
hätte beladen dürfen, oder aber in der Notsituation hätte fluten sollen, wie auf PASSAT
geschehen.
... Aussage Haselbach: der 2. Offizier Buschmann erwähnte ihm gegenüber eine Rollperiode von 20 Sekunden als ungenügende Stabilität, dieses Kurvenblatt habe er in
das Tagebuch eingeklebt....
1.3 Zustand der Takelage
Gleichlautende Aussagen vor dem Seeamt von Kochsmaat Dummer, Leichtmatrose
Haselbach, Leichtmatrose Fredrichs:
.... Es war alles heil, es ist nichts von oben gekommen. Das einzige was kaputt war, das
waren die Schoten, die sich kaputtgeschlagen haben, dann sind eben Gordings
gerissen und Geitaue; aber sonst, daß irgend etwas heruntergekommen ist oder
gebrochen, nein. .... (Dummer)
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2. Einwirkungen zum Untergang durch Bedingungen an Bord, welche die
Schiffsführung hätte beeinflussen können.
2.1 Frühzeitiges Erkennen des Wirbelsturms
Im zu späten Erkennen des Wirbelsturms scheint einer der ursächlichen Tatbestände zum
Untergang zu liegen.
Aussage des Kochsmaaten Dummer vor dem Seeamt:
.... gegen 0830 (am Untergangstag) kam der Schlachter in die Kombüse und habe
bekannt gegeben:
"Also der Funker sagt, wir sollen alles bestens feststauen und Schlingerleisten
anlegen, denn ein Hurrikan ist gemeldet und wir werden wahrscheinlich in diesen
Hurrikan hineinkommen.".... (Dummer)
Der Schlachter war ein enger Freund des Funkers, somit hat diese Aussage eine
Wichtigkeit und Glaubwürdigkeit.
....Bald nach 0900 (am Untergangstag) habe ich gehört, daß die Pamir in einen Hurrikan
reinlief. Das hat sich herumgesprochen (Wirth)
.... es wurden weniger Wetterberichte genommen, als unter Kpt. Eggers....
.... Daß es sich um einen Hurrikan handelt, habe ich (am Untergangstag) erst um 1030
oder 1100 Uhr Bordzeit, vom zweiten Bootsmann, erfahren .... (Haselbach)
Das Seeamt stellt in seiner Beurteilung fest:
"Die Gefährlichkeit, voraussichtliche Zugrichtung und Marschgeschwindigkeit des
Hurrikans "Carrie" war seit Tagen von der für dieses Seegebiet maßgeblichen
Wetterfunkstation (NSS) in laufenden Warnmeldungen —wenn auch hinsichtlich
Zugrichtung auch nicht immer zutreffend- der Schiffahrt bekanntgegeben worden. Ob der
Schiffsleitung der PAMIR die bedrohliche Annäherung des tropischen Orkans bis zum
Morgen des Unglückstages unbekannt geblieben ist, konnte nicht geklärt werden. Die
technischen Voraussetzungen für den Empfang der Orkanwarnungen sind gegeben
gewesen.
Rückschauend betrachtet, wäre durch ein am 19. September durchgeführtes Beidrehen
der PAMIR oder durch Ausweichen in südliche oder östliche Richtungen eine gefährliche
Berührung mit dem Orkanfeld vermieden worden. Die gesteuerten Kurse widersprechen
auch dann nicht den Regeln der meteorologischen Navigation, wenn man davon ausgeht,
daß die Orkanwarnungen der Schiffsleitung bekannt gewesen sind. Die Segelführung in
den letzten Stunden widersprach jenen Regeln und hat sich sehr ungünstig ausgewirkt."
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2.2 Segelführung
Aussage vor dem Seeamt von Kochsmaat Dummer, Leichtmatrose Haselbach,
Leichtmatrose Fredrichs:
.... die Segel waren nach BB hart angebraßt. Sämtliche Unter- und Obermarssegel, die
Fock, Innenklüver, Vorstengestag, Großstängestag, Kreuzstängestag und Besanstagsegel haben gestanden. .... (Fredrichs)
Gleichlautende Aussagen auch von den anderen Zeugen.
In der Nacht zu 21.9. waren wieder aus Sicherheitsgründen einige Segel weggenommen
worden, die üblicherweise am nächsten Morgen hätten wieder gesetzt werden sollen. Der
1. Offizier Schmidt wollte morgens noch Segel setzen, hat das aber nach Rücksprache mit
Kapitän Diebitsch unterlassen. (Zeugenaussage)
Als (am Untergangstag) um sechs Uhr die Mannschaft an Deck gerufen wurde zum
Segelbergen, waren die Befehle zum erneuten Segelsetzen noch nicht erteilt worden.
Es hat den Anschein, daß die Maßnahmen vom vorherigen Abend und in der Nacht, die
Segel teilweise wegzunehmen, nichts mit dem herannahenden Hurrikan zu tun hatten,
sondern mit dem zunehmenden Wind im Zusammenhang standen, bzw. die übliche
abendliche nautische Sicherheitsmaßnahme war.
Jedenfalls waren am Morgen des 21.9. bei dem bevorstehenden Risiko einer gefährlichen
Annäherung an den Wirbelsturm noch zu viele Segel gesetzt.
Das deutet auf ein Nichtwissen der herankommenden Gefahr hin. Siehe auch die nicht
durchgeführten Verschlußmaßnahmen.
Als dann am Morgen der Befehl zum Segelbergen kam, war nur noch kurze Zeit, bis der
Orkan plötzlich (etwa 0930) über das Schiff fiel. Das Bergen der Segel dauerte dadurch
zu lange in Relation zu dem schnell zunehmenden Wind, so daß sich die Schiffsführung
dann entschloß die noch stehenden Segel loszuwerfen oder abzuschneiden.
Bei der Seeamtsverhandlung sagten ehemalige Segelschiffs-Kapitäne aus und empfehlen
nachfolgende Verhaltensweisen:
Für den 18.9. empfehlen Kpt. Römer und Kpt. Sietas auf NE-lichen Kurs auszuweichen
und S-Lich der Azoren zu segeln.
Für den 19.9. empfehlen Kpt. Bellehr, Kpt. Piening, Kpt. Schütze und Kpt. Wendt:
N-Kurs, um vor dem Hurrikan in dessen vorderen "fahrbaren" linken Quadranten zu
kommen. Daß dieser Quadrant noch schlechtere Wetterbedingungen hatte, konnte das
Schiffskommando am 19.9. noch nicht wissen.
Kpt. Claussen und Kpt. Lehmberg schlagen für den 19.9. vor, beizudrehen und die
Entwicklung abzuwarten, und dabei ev. auf S oder auf SE-Kurs zu gehen. (Vermutlich
wären sie dann am 20. oder 21. 9. auf N-Kurs gegangen, also hinter dem Hurrikan herum
und hätten dessen Bahn gekreuzt und hätten in den achteren Quadranten günstige Winde,
aus W — NW - N, gehabt und die "Wartezeit" wieder herausgeholt.)
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Für den 20.9. sagt Kpt. Schmidt: die Entscheidungsfreiheit vom 18. Und 19.9. besteht nun
nicht mehr; ein Ausweichen ist nun sinnlos geworden; man muß nun vor dem Hurrikan
vorbei, sonst landet man doch im vorderen rechten Quadranten.
Kpt. Hans Richard Wendt empfiehlt: Am 21.9. beim Lenzen ruhig weitere Segel bergen
und bei raumen Kursen zuletzt nur noch das Groß-Untermars Segel stehen lassen, selbst
wenn es aus den Lieken fliegt; bei 12 Bft macht man dann immer noch gute Fahrt. Man
kommt dann vom N-Kurs mit dem Drehen des Windes auf NW-Kurse, entfernt sich aber
weiter vom Zentrum.
Kpt. Lehmberg empfiehlt aber doch noch soviel Tuch wie möglich stehen zu lassen,
damit keine Resonanz mit den Wellen entsteht.
Zeittabelle:
PAMIR
Uhrzeit
OZ MGZ
20.9.
1130-1500
1430-1800
1500-1700
1800-2000
1700-1800
2000-2100
1800-2100
2100-2400
21.9.
2100-0000
0000-0300
0000-0300
0300-0600
0300-0600
0600-0900
0600-0800
0900-1100
0800-0900
1100-1200
0900-1000
1200-1300
1000
1300
1100
1400
CARRIE
Kurs Fahrt Strecke Wind +Stärke
kn
sm
Richtg + Bft
Uhrzeit Peilung Abstand
sm
10 °
7
24.5
SzE
5-6
1430
272°
320
10°
8
16
SzE
6
1800
280°
265
10°
9
9
SzE
6-7
-
-
-
0°
10
30
SSE
7
2100
280°
230
0°
10
30
SEzS
7
0000
275°
185
15°
10,5 31,5
SE
7
0300
267°
140
15°
10
30
ESE
8
0600
250°
105
15°
5
10
EzS
9-10
0900
220°
80
0°
2
2
EzN
11
1100
195°
70
350°
-
-
ENE
12
1200
177°
60
325°
-
-
NE
12
1300
159°
70
-
-
-
NE
12
1400
145°
75
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2.3 Verschlußrolle
Aussage vor dem Seeamt von Kochsmaat Dummer, Leichtmatrose Haselbach,
Leichtmatrose Fredrichs:
.... Wasser war durch die Lüfter auf dem Hochdeck in die Mittschiffsgänge eingedrungen.
Eine Eimerkette wurde gebildet ....
.... aber der Wassereindrang war so stark, daß das gar keinen Zweck mehr hatte ....
.... Da war nicht mehr reinzukommen, nichts mehr rauszuholen ....
.... Soviel ich weiß war das achtern in den Stammkammern genau dasselbe ....
.... Die Mittschiffskammern der Offiziere waren alle voll unter Wasser ....
.... Die Tür des Kühlraums ist über den Türgriff, also fast bis zur Hälfte mit Wasser
bedeckt. Selbst der Sockel, auf dem die Kühlmaschinen verankert sind, wird vom
Wasser umspült.
(Dummer)
.... Große Brecher haben das BB-Schott zur Poop eingeschlagen. Beide Eisen-Schutz
-Türen waren noch nicht eingesetzt. Die Räume waren alle halb voll mit Wasser ....
.... Dann haben wir die Bulleyblenden dichtgeschraubt ....
.... Gegen 1100 Uhr waren auch alle Mittschiffsgänge voll Wasser ....
.... Wasser sei nicht in den Maschinenraum gedrungen ....
(Wirth)
.... die Eimerkette war nutzlos gegen das eingedrungene Wasser in den BB-Gängen und
wurde aufgegeben ....
(Fredrichs)
.... Auf der BB-Seite habe man nachtsüber die Bullaugen offen gelassen. In der Zimmermannskammer und in den achteren Kammern auf BB-Seite sei Wasser durch die
Bullaugen eingedrungen. Darauf hätten sie alles fest verschließen und die Blenden
runtermachen müssen. ....
.... die eisernen Schutztüren waren nicht eingesetzt ....
(Kraaz)
.... sehr viel Wasser ist durch das Skylight beim Niedergang eingedrungen ....
.... die BB-Kammern achtern und mittschiffs haben bis Bullaugenhöhe unter Wasser
gestanden ....
(Haselbach)
Dies sind deutliche Hinweise, daß über verschiedene Quellen Wasser in das Schiff
eingedrungen ist und die Reserveschwimmfähigkeit und die Stabilität der PAMIR stark
reduziert wurden.
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3. Erkenntnisse
3.1 Information über den Hurrikan und Wetternavigation
Kpt. Diebitsch und Kpt. Schmidt hatten Erfahrungen über meteorologische Belange, auch
der 2. Offz. Buschmann war meteorologisch interessiert. Offensichtlich hat Kpt.
Diebitsch aber weniger Wetterberichte nehmen lassen als es unter Kpt. Eggers üblich
war. (Aussage Haselbach)
Die Schiffsleitung war also offensichtlich über den Hurrikan nicht, oder nur unzureichend
informiert. Dadurch waren ihre vorausschauenden Handlungen zur Begegnung der
Gefahr auf ein kleines Zeitfenster, am Morgen und am Vormittag des Unglückstages,
begrenzt.
Auf einem Schiff spricht es sich schnell herum, wenn im Seegebiet ein Hurrikan
gemeldet ist. So hätten die Geretteten also schon früher von einem Hurrikan hören
müssen und nicht erst am Unglückstag, etwa fünf Stunden vor dem Untergang, wenn
über die bevorstehende Begegnung mit Carrie etwas bekannt gewesen wäre. Auch das
Umschiften der Wachen, von drei Wachen auf zwei Wachen ab dem 21.9., war im
Zusammenhang mit dem Verlassen der Passatregion befohlen worden und ist nicht in
Verbindung mit dem Hurrikan zu betrachten. (Den Kadetten hätte man eventuell eine
solche Information vorenthalten, um keine Aufregung zu erzeugen, aber sicher nicht der
Stammbesatzung und den Leichtmatrosen. Der Funker hätte sicher schon früher dem
Schlachter einen Hinweis gegeben, wenn er es denn schon gewußt hätte.)
Das spricht dafür, daß keine Erkenntnisse über den Hurrikan bestanden und man sich
noch ganz im Passatwetter wähnte; auch mag die Tatsache eine Rolle gespielt haben,
daß in diesem Seegebiet kaum Hurrikane auftauchen, die man ja rechtzeitig durch
Vorzeichen erkennen würde.
(Vielleicht hatte der Funker auch erst am Morgen den Befehl bekommen, einen
Wetterbericht zu nehmen, als über Nacht das Wetter unfreundlicher wurde.)
Am 19.9. hätte noch freie Handlungsmöglichkeit bestanden, die Entwicklung des
Hurrikans genauer zu analysieren und ggf. beizudrehen, obwohl Carrie laufend neue
Kapriolen schlug. Bei dann etwas besser gesicherten Erkenntnissen hätte man entweder
beidrehen können, auf die südlichen Azoren zuhalten können oder nach dem Beidrehen
hinter dem Hurrikan herumzufahren und die dann günstigen Winde nutzen können.
Zum Mittag des Vortages, des 20.9. war die Peilung und Distanz der PAMIR zum
Hurrikan noch etwa 272 °, 350 sm, also etwa sieben Strich am BB. Die Wetterlage war
aber nicht so, daß an Wolkenbildung, Dünung oder anderen Anzeichen, die Schiffsleitung
auf den Hurrikan hätte aufmerksam werden können. Das haben andere Schiffe in
unterschiedlicher Lage zum Hurrikan betätigt.
Zu dieser Zeit hatte man vermutlich noch keinen Wetterbericht genommen, geschweige
denn eine Wetterkarte von NSS. So ist man in der Nacht zum 21.9. von den Ausläufern
des Hurrikans überrascht worden und hat den zunehmenden Wind vermutlich einer
weniger gefährlichen Wetterlage zugeordnet. Erst am Morgen des 21.9., als der Wind
noch stärker zunahm, später dann bis zur Orkanstärke und vermutlich das Barometer stark
gesunken ist, wurden Wettermeldungen angefordert.
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3.2 Schlagseite und eindringendes Wasser
Die Zeit von der ersten allgemein bekannten Meldung an Bord der PAMIR über den
Hurrikan bis zum Untergang betrug etwa fünf (5) Stunden. Da diese Meldung über den
Hurrikan die Schiffsleitung offensichtlich völlig unvorbereitet traf, war für geeignete
Gegenmaßnahmen nicht genügend Zeit vorhanden. Hinsichtlich eines Befehls zum
Verschließen aller Öffnungen im Schiff , welche die Sicherheit des Schiffes betrafen
(Lüfter, Bullaugen, Türen), wurde er zu spät erteilt, oder nicht konsequent genug
durchgeführt.
Wegen des zunehmenden starken Windes konzentrierte man sich auf das Bergen der
Segel um die Schlagseite wegzubekommen und hat die Durchführung der Verschlußrolle
völlig vernachlässigt. Das Signal "Alle - Mann - Manöver" (ca. 0930 Uhr) hat solche ev.
eingeleiteten Schritte zunächst verhindert. Erst als schon viel Wasser in den Unterkünften
an BB-Seite war, hat man versucht noch geeignete Vorkehrungen zu treffen. Aber zu
diesem Zeitpunkt war die Reserveschwimmfähigkeit schon so stark eingeschränkt und die
Stabilität weitgehend abgebaut, daß eine Rettung sehr unwahrscheinlich wurde.
Nach Zeugenaussagen stand mittschiffs und achtern in den Unterkünften Wasser und
Wasser stand auch im Bereich des Proviantraums. Angenommen auf einem Drittel der
Schiffslänge der Pamir steht das Wasser in den Unterkünften an BB im Mittel etwa 1,5 m
hoch -Bullaugen ca. 1,7 m hoch, obere Schublade unter den Kojen ca. 60 cm hoch,
Abstand ca. 2,5 m -, dann ergibt das ein Wasservolumen von — 30 m x 2,5m x 1,5 m —
ca. 100 Tonnen. Im Bereich des Proviantraums waren ev auch noch einmal ca. 100 to.
Das bedeutet, oberhalb des Gewichtsschwerpunktes und stark seitlich der Mittschiffslinie
waren etwa 200 to krängendes Gewicht; oder anders gesagt, die ca. 200 Tonnen lagen
etwa über dem, durch die Schlagseite nach BB ausgewanderten, Formschwerpunkt und
haben dem aufrichtenden Moment entgegengewirkt.
Wenn man bedenkt, daß zu diesem Zeitpunkt noch einige Segel standen (Fock und einige
Obermarssegel, die aber zum Teil schon abgeschnitten oder weggeflogen waren) und die
PAMIR durch den Winddruck schon Schlagseite hatte, so hat das an BB eindringende
Wasser, das sich auf der BB-Seite sammelte, diese Schlagseite noch verstärkt.
Die zunehmende Neigung nach BB von zunächst 30° bis 35° am Vormittag, hat
vermutlich verursacht, daß von der Ladung zunächst ein kleiner Teil in die "freien
Räume" an BB im Zwischendeck, gerieselt ist, die durch das Sacken der Ladung seit dem
Beladen entstanden waren. Erst später, als die Schlagseite 40° Schlagseite (nach etwa
1100 Uhr) betrug, ergab sich ein enormer Druck auf die Getreideschotten. Es ist aber
anzunehmen, daß sie erst zu einem Zeitpunkt, als die Schlagseite noch größer wurde
(etwa 50° und mehr) und die BB-Rahen eintauchten, also kurz vor dem Kentern, brachen
und die Ladung ganz nach BB überging.
Warum man in der Notlage den Stb-Tieftank dann nicht flutete, um wenigstens ein
Moment zu erhalten, das die Stabilität verbessert und gleichzeitig die Schlagseite
beseitigt oder zumindest verringert (je nach dem zu welchem Zeitpunkt man sich
entschied) konnte auch das Seeamt nicht klären.
Auf SS PASSAT hat diese Entscheidung das Schiff gerettet. Später stellt man fest, daß es
nur ca. 160 bis 170 to Wasser waren.
Es ist anzunehmen, daß man diesen Gedanken auf PAMIR nicht erwogen hat, sei es
durch die Überraschung, im Hurrikan zu stecken, sei es, daß man sich ganz auf die Segel
konzentrierte und auf den Gedanken der besseren Stabilität nicht kam. (ähnlich, wie es
bei der Verschlußrolle geschehen ist.)
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3.3 Ladung Gerste
Die Ladung war in Bulk gestaut und mit fünf (5) Lagen Säcken abgedeckt. Die
Anweisungen zum Beladen der Schiffe wurden von der Schiffsleitung eingehalten. Es
wurden Getreideschotten gebaut. Offensichtlich waren diese Vorschriften, die für die
Motorschiffe auch voll ausreichten, auf die Segler nicht anwendbar. Da Segler
überwiegend mit Schlagseite oder einer geringen Neigung
segeln, wirkt eine
längerfristige Druckbelastung auf die Längsschotten ein. Offensichtlich haben sie diese
Belastung aber ausgehalten.
Ein Verschulden ist der Schiffsführung der PAMIR dadurch nicht anzulasten.
Inwieweit das anzunehmende Sacken der Ladung während der Reise der Schiffsleitung
bekannt war, ist nicht mehr festzustellen. Man kann aber annehmen, daß die Ladung
gesackt ist und leere Zwischenräume in den Luken entstanden sind. Man kann ferner
annehmen, daß die Ladung aus den Zwischendecks in die so entstandenen freien Räume
der unteren Luken gerieselt ist, ähnlich einem "Feeder". Dadurch entstanden zumindest
in den unteren Laderäumen zwei, drei, ohne Tieftank und vier keine "freien Oberflächen".
Das Nachrieseln der Gerste aus den Zwischendecks zwei, drei und vier hat aber dort zu
freien Oberflächen geführt. (siehe Punkt 1.2)
Es dürften also in den Unterräumen:
1 (eins)
freie Oberflächen gewesen sein.
2,3,4, (zwei, drei und vier) keine freien Oberflächen gewesen sein.
Die Tieftanks Stb und BB waren verschlossen. Es bestand keine Möglichkeit des
Nachrieselns. Die "Freien Oberflächen" in den Tieftanks hatten aber wenig Wirkung zu
Ausschlag gebender Schlagseite, da übergehende Ladung nur bis zur Mittschiffslinie
gekommen wäre.
Es dürften in den Zwischendecks vor der Schlagseite etwa 1/3 der Ladung eines jeden
Laderaums gelagert gewesen sein:
1 (eins) keine Ladung,
2 (zwei) 400 to, verbleiben durch Nachrieseln etwa 350 to (mit den 5 Lagen Säcken)
3 (drei) 350 to, verbleiben durch Nachrieseln etwa 300 to (mit den 5 Lagen Säcken)
4 (vier) 250 to, verbleiben durch Nachrieseln etwa 200 to (mit den 5 Lagen Säcken)
In den Zwischendecks 2,3,4 (zwei, drei, vier) waren freie Oberflächen entstanden.
Maximal waren dort ca. 850 to gelagert.
Gegen 1100 Bordzeit war die Schlagseite ca. 40° oder etwas mehr. Damit könnten also
geschätzt maximal ca. 200 to nach BB übergegangen sein. Auch wenn es 300 to gewesen
sein sollten, dann hat diese Gewichtsverlagerung das Schiff noch nicht gefährdet.
Wenn bis zum Unglückstag gegen morgens 1000 Uhr, also bis zu dem Moment, als die
Segel losgeworfen wurden und das Schiff sich wieder aufrichtete, weil der Winddruck zu
Krängung nachließ und -angenommen- etwa 100 bis 200 to Ladung waren verrutscht,
dann bedeutet das noch keine wesentliche Gefährdung der Schiffsstabilität. (erst der
Wassereinbruch und die Verringerung der Reserveschwimmfähigkeit verschlechterten
das Stabilitätsmoment, siehe Punkt 2.3)
Gegen 1045 Uhr dürfte eine Schlagseite von 35-37° gewesen sein; erst danach wurde die
Schlagseite über 40° und wurde nicht mehr ausgerufen (Zeugenaussage).
Erst das Zusammenwirken des eingedrungenen Wasser mit der verschlechterten
Reserveschwimmfähigkeit und der danach verrutschten Ladung hat das Schiff gefährdet.
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Daß die Stabilität nicht ausreichend war, stellte auch das Seeamt fest, ohne konkrete
Zahlen zu nennen (mangels ausreichender Informationen). Im Vergleich zur PASSAT
ergeben sich aber genügend Vergleichsmöglichkeiten, daß die Schiffsleitung der PAMIR
den Tieftank entweder nicht hätte beladen dürfen, oder aber in der Notsituation hätte
fluten sollen, wie auf PASSAT geschehen.
... Aussage Haselbach: der 2. Offizier Buschmann erwähnte ihm gegenüber eine Rollperiode von 20 Sekunden als ungenügende Stabilität, dieses Kurvenblatt habe er in
das Tagebuch eingeklebt....
3.4 Takelage
Die Takelage war so ausreichend dimensioniert, daß sie noch nach 50 Jahren den
ungeheuren Beanspruchungen standgehalten hat und keine Beschädigung eingetreten ist.
Es kann also behauptet werden, daß die schiffbaulichen Anforderungen voll erfüllt waren
und daß auch noch eine zusätzliche Sicherheit im Schiff war, die aber durch die falschen
Segelmanöver negativ ausgeglichen wurde. Die gleichzeitige starke Verminderung der
Reserveschwimmfähigkeit konnte aber nicht auch noch ausgeglichen werden.
12
3.5 Schiffsführung
Kapitän Diebitsch scheint kein leichter Vorgesetzter gewesen zu sein. Man tritt diese
Stellung auch nicht an, um einen Beliebtheitsgrad zu erringen, aber zwischen den beiden
Extremen gibt es eine Fülle von Führungsmöglichkeiten. Er scheint recht kleinlich und
überheblich gewesen zu sein, er hat die Fingernägel der Mannschaft kontrolliert und war
(nach Zeugenaussagen) recht unbeliebt.
Als Kpt. Eggers ihn auf die zu erwartenden Wetterlagen hinweisen will, winkt er
unwirsch ab.
Er läßt Kpt. Eggers ein Manöver fahren, um zu sehen, wie die Mannschaft trainiert ist, an
sich ist nichts dabei, aber warum macht er es nicht selbst ?
Vielleicht will er damit nur überspielen, daß er sich mit dem Kommando etwas
übernommen hat und doch nicht die erforderlichen Voraussetzungen hat; dem erfahreren
Kollegen will er das natürlich nicht zeigen.
Er läßt den Funker und den Schlachter (!) die Wetterkarten zeichnen, statt von einem
Nautiker und einem Offiziersanwärter.
Die Kommunikation zwischen ihm und dem Funker scheint erheblich gestört gewesen zu
sein, sonst hätte er ihn vom Zeichnen der Wetterkarten entlastet und mehr Wetterberichte
verlangt. Vielleicht war es auch so, daß er in der Passatregion auf Wettermeldungen
verzichten wollte, weil er das Wetter selbst gut beobachtet. Wie sehr man sich dabei
täuschen kann zeigt der Verlauf der Reise. Andere Kapitäne, die zur gleichen Zeit
Kontakt zu Carrie hatten, konnten die meteorologischen visuellen Warnzeichen trotz
Hinweisen durch die Wetterkarten nicht erkennen, sie liegen als Zeugenaussagen dem
Seeamt vor.
Funker,
ist bei der Mannschaft beliebter als bei seinen Patent-Kollegen; auch scheint er von der
Verwaltungsarbeit überfordert gewesen zu sein.
(vermutlich hat er wg. der Monatsabrechnung zum 30.9. die Funkaufgaben
vernachlässigt. Es ist anzunehmen, daß in der Passatregion keine Wetterkarten gezeichnet
wurden und auch keine Wetterberichte von NSS empfangen wurden; ev. wurde aber
Portishead empfangen. Durch seine frühere Tätigkeit in der Fischerei scheint ihm
Portishead etwas "näher" gewesen zu sein, als NSS. Das Passieren anderer Schiffe in der
Nähe hat ihn nicht veranlaßt, Kontakt aufzunehmen, wie das üblicher Weise geschieht; er
war vermutlich mit der Monatsabrechnung beschäftigt)
Nautischen Offiziere,
sie scheinen allgemein anerkannt gewesen zu sein. Die Zeugen betonen ausdrücklich
Hr.Buschmann und Hr.Schmidt "auf die lassen wir nichts kommen".
Hr. Buschmann klebt eine Stabilitätsberechnung in das Tagebuch, eine ungewöhnliche
Maßnahme (zeugt sie von Spannungen zum Kapitän ?)
13
4. Zukünftige Maßnahmen
(Forderungen an zukünftige Segelschiffe)
Zusammenfassung
Betrachtet man den Untergang der PAMIR, so ergeben sich einige nautische Fehler, die
dem Schiffskommando unterlaufen sind und die dann zum Untergang des Schiffs geführt
haben.
Jedenfalls sind es vermeidbare Fehler gewesen. Die falschen (Segel)manöver, kein
Durchführen der Verschlußrolle, keine oder nur geringe Kenntnis über den Wirbelsturm,
sind nautische Fehler, die auch auf einem Motorschiff hätten geschehen können und nicht
ursächlich gegen die Segelschiffahrt sprechen.
Was liegt also näher als eine bereits bekannte und vielfach bewährte, umweltfreundliche
und saubere Transportart erneut aufzugreifen und dort mit Verbesserungen anzusetzen,
wo die letzten Groß-Seglern aufgehört haben.
Durch technische Einrichtungen lassen sich problemlos Wetterkarten anfordern.
Durch bauliche Maßnahmen läßt sich zukünftig ein Eindringen von Wasser vermeiden.
Durch bauliche Maßnahmen läßt sich zukünftig ein Übergehen der Ladung vermeiden.
Durch bauliche Maßnahmen läßt sich zukünftig eine Krängung durch Segeldruck
vermeiden.
Segler waren über Jahrhunderte das wichtigste Transportmittel über See. Bei
Massengütern, die sie in großen Mengen transportierten, spielte die Transportzeit,
genauer gesagt die Anlieferzeit, weniger eine Rolle, als in der gegenwärtigen Situation
und bei den heutigen Erfordernissen der industriellen Versorgung. Dennoch war man
auch damals schon aus wirtschaftlichen Überlegungen bestrebt, daß die Segler möglichst
schnelle Reisen machten, um den Segler für einen neuen Einsatz wieder zu Verfügung zu
haben. Man hat durch laufende Verbesserungen auch tatsächlich erreicht, daß die Segler
größer wurden und ihre Fahrzeiten reduzieren konnten.
Die Auswertung der Reisen von PREUSSEN und POTOSI ergeben eine Abweichung von
+/- 4 Tagen bei etwa 80 tägigen Seereisen, ohne Motorunterstützung !
Auf den Reisen um Kap Horn benötigten POTOSI im Mittel 78 Tage und PREUSSEN im
Mittel 67 Tage. Bei den Seglern wären also schon mit den damaligen technischen Mitteln
die Möglichkeiten vorhanden gewesen, die Rentabilität zu verbessern.
Strecke: Taltal/Chile nach Hamburg:
R.C. RICKMERS:
57 Tage
PREUSSEN :
73 und 61,2 Tage
POTOSI :
72 und 84 Tage
(von Tocopilla: 74 und 80,3 Tage)
63 weitere Untersuchungen von verschiedenen Segelschiffreisen in diversen
Fahrtgebieten ergaben, daß sich allein durch den Einbau von technischen Hilfsmitteln,
wie zum Beispiel eine kleinere Antriebsmaschine, die Reisezeiten auf den damaligen
weiten Seglerwegen zwischen zehn (10) v.H. und vierzig (40) v.H. reduzieren lassen. Das
rechnerische Mittel lag bei ca. fünfundzwanzig (25) v.H., wobei die kurzen Distanzen
meist im Bereich der geringen Prozentzahlen lagen. Dagegen lagen die höheren Werte bei
14
den langen Strecken, nämlich dort, wo auch der wirtschaftliche Effekt am größten ist.
Zwei (2) Groß-Segler mit Motorunterstützung, die R.C.RICKMERS (1150 PS) und die
KOBENHAVN (500 PS) bestätigen diese Untersuchungen. So hat die R.C. RICKMERS
in zehn (10) Reisen, wobei sie 603 Tage auf See war 100.310 sm zurückgelegt, das
bedeutet mit der schwachen Maschine eine durchschnittliche Reisegeschwindigkeit von
7 Knoten.
So hat die KOBENHAVN im Jahr 1925 die Reise von London nach Bangkok durch den
Suez-Kanal in 64 Tagen zurückgelegt, üblicherweise wurden dazu auf der Reise um
Afrika etwa 90 Tage benötigt. 1927 fuhr die KOBENHAVN von Liverpool nach NordChile durch den Panama-Kanal in 46 Tagen.
Ein Motorschiff (mit 5.000 PS) würde diese Reisen heute in etwa 25 Tagen (Bangkok)
und 29 Tage (Chile) zurücklegen.
Zurück zur PAMIR, dort wurde auf der letzten Reise buchstäblich so navigiert, wie es um
die Jahrhundertwende praktiziert wurde. Jedoch war bei allen Wachoffizieren nicht die
praktische Erfahrung vorhanden, wie sie im Umgang mit dem Wetter und den Segeln
erforderlich gewesen wäre. Heute stehen den Schiffsleitungen navigatorische, informative
und technische Hilfsmittel zur Verfügung, die ein sicheres Navigieren nach Wettergegebenheiten gewährleisten. Man kann Elektronik und elektrische Hilfsmaschinen
einsetzen, Wetterkarten und Wetterberichte über Funk erhalten. Damit können
meteorologisch orientierte Kurse gewählt worden, die einer Großwetterlage und der
günstigen Reisedauer besser entsprechen und Schiff, Besatzung und Ladung nicht in
Gefahr brinngen.
Mit den technischen Möglichkeiten, wie sie heute zur Verfügung stehen, sind die
Frachtsegler in der Lage, die windarmen Gebiete oder Panama/Suez-Kanal mit
Hilfsmotor zu durchfahren und innerhalb akzeptabler Zeitspannen Versorgungsaufgaben
erledigen. Technische Einrichtungen an Bord (Elektromotore) sorgen für einen
anforderungsgerechten Bedienungskomfort bei der Takelage und den Segeln und halten
die Personalkosten in einem wirtschaftlich vertretbaren und wettbewerbsfähigen Rahmen.
Unter bestimmten Voraussetzungen kann man daher behaupten, daß Segler ebenso
wirtschaftlich, oder noch wirtschaftlicher sind als Motorschiffe. Bewiesen ist zumindest,
daß die Seglertechnik funktioniert hat und problemlos übernommen werden kann.
Wenn die Betreiber und Nutzer bereit sind in terminlicher Hinsicht kleine Kompromisse
bei den Transportzeiten einzugehen, ohne daß ihre Versorgungsaufgaben und -interessen
vernachlässigt werden, indem sie "nur" einen genügenden Dispositionszeitraum zugestehen, können sie durch preiswerte Transporte Vorteile erzielen. Erforderlich ist in
diesem Zusammenhang, daß man gedanklich nicht nur bei den Transportkosten stehen
bleibt, sondern daß ein sicheres, kundenfreundliches, servicegerechtes, wirtschaftliches
und ökologisches Versorgungskonzept eingebettet ist in ein logistisches Gesamtkonzept.
Dieses Konzept soll sicherstellen, daß langfristig der Rostoffbedarf der Industrie gesichert
ist.
Von diesen Überlegungen ausgehend, dürfte daher der wirtschaftliche Einsatz von
Frachtseglern heute wieder realisierbar sein, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt
werden:
* Seglern mit modernen technischen Einrichtungen
* Transporte von Bulk- und Schüttgutladungen, innerhalb einer logistischen Konzeption.
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Heute wissen wir, daß die absolute Ausrichtung der Transportkapazitäten auf den Motorantrieb weltweit zu ökonomischen und ökologischen Problemen geführt hat; Probleme,
die wir für die Zukunft auf breiter Basis zu revidieren versuchen, um durch Forschungen
die ökologischen Verhältnisse weltweit zu verbessern. Die Umwelt wird durch das
Verbrennen fossiler Stoffe für Transportaufgaben viel zu stark belastet. Bei solchen
Verwendungen regenerierbare Antriebskräfte zu nutzen, wäre als Ziel sinnvoll, wie das
bei Segelschiffen geschehen kann. Die fossilen Brennstoffe können statt dessen in
hochwertigeren Anwendungen als Endprodukte zu verwenden.
Die Beweggründe und Interessenlagen der verschiedenen Beteiligten sind mannigfaltig,
lassen sich aber auf vier Kernpunkte zusammenfassen:
Erstens: (REEDER) Produkt SCHIFF, neue Aufgaben, neue MÄRKTE
Durch Kostensenkung im Energiebereich läßt sich ein besseres Betriebsergebnis für die
Schiffe erzielen. Mit günstigeren Transportkosten kann er an den Markt gehen.
(Daß er preiswerte Transportmöglichkeiten im Rahmen einer gesamtlogistischen
Dienstleistung anbieten und sich durch qualifizierte Erledigung der Aufgabe von
Wettbewerbern (Billigflaggen) abheben kann.)
Zweitens: (UMWELTSCHUTZ) Regenerative Arten der Energienutzung zu verwenden
und zukünftig besser zu nutzen, einzusetzen und die Windkraft anzuwenden.
Die Sicherung von fossilen Ressourcen für andere, höher zu bewertende Verwendungen
hätte Vorrang, als das Verfeuern zum Antrieb. Es wird mehr Umweltfreundlichkeit
erreicht mit Hilfe von der Reduzierung von Luftverschmutzung durch verminderte
Abgasbelastungen.
Drittens: (INDUSTRIE und HANDEL) Interesse an kostengünstigen Bezugskosten.
Sie wollen die Bezugskosten der Rohstoffe senken. Die Endprodukte können weltweit
kostengünstiger angeboten werden, (Materialpreis plus 2/3 des heutigen Transportpreises) weil die Rohstoffe günstiger bezogen werden.
Viertens: (POLITIK und Regierung)
Schaffung von Arbeitsplätzen, technischer Fortschritt, Wirtschaftsbelebung und
Verbesserung der Handelsbilanz, Belebung der Seeschiffahrt und der Schiffbauindustrie,
Werften : neue Technologien, Wettbewerbsvorteile, neue MÄRKTE. Arbeitsmarkt,
Technologievorsprung, Handelsbilanz.
So gesehen können die Beteiligten - Industrie - Handel - Seeschiffahrt - Regierung - aus
unterschiedlichen Erwägungen heraus, aber koordiniert auf ein Ziel, ein solches
logistisches Konzept für eine rentable, servicegerechte und kundenfreundliche
Verwendung von Frachtseglern im Bereich der Trampschiffahrt befürworten und
fördern, soweit die Segler mit dem Transport von Massengütern beschäftigt sind.
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Der Umfang der gesamten Dienstleistung könnte zum Beispiel so aussehen:
1. Laufende Disposition in enger Abstimmung mit der Produktion,
2. Übernahme der Ware in Nähe der Produktionsstätte,
3. Verladung und Hafenabwicklung im Ladehafen,
4. Transport zum Bestimmungshafen, so nahe der Verwendungsstelle, wie möglich,
5. Entladen und Hafenabwicklung im Bestimmungshafen,
6. Transport zur Verwendungsstelle,
7. Qualitätsüberwachung und Sicherstellen einer produktgerechten Behandlung,
Es versteht sich von selbst, daß diese Punkte nur die Struktur eines Angebots sein
können, und daß im Einzelfall noch eine Anzahl von Aufgaben hinzukommen können,
die im Moment noch nicht abzusehen sind. Wichtig ist aber in diesem Zusammenhang,
daß der Dienstleister die jeweiligen Kundenwünsche aufgreift und sie in seine
Produktpalette integriert.
Als Zielgruppen für die Akquisition kämen Kunden in Frage, die sich mit dem Verkauf,
dem Handel und der Verarbeitung von trockenen und flüssigen Bulkladungen
beschäftigen. Diese Güter werden meistens über einen längeren Zeitraum geordert. Das
kann bedeuten, daß sie nicht tagesscharfen Ablieferterminen unterliegen, aber innerhalb
fester Termine zur Verfügung stehen müssen. Als gemeinsamen Nenner haben sie
"günstige Bezugskosten" .
Zu einem solchen Marketingkonzept lassen sich als Produktaussage festhalten :
1. kostengünstiger Transport von Bulkladungen, damit verbunden
sind günstigere Bezugskosten und entsprechende
Wettbewerbsvorteile bei Fertigprodukten;
2. umfassende logistische Dienstleistungen, als neues
Dienstleistungsangebot für die Seeschiffahrt;
3. Wettbewerbsvorteile für Rohprodukte und Fertigwaren;
4. Nutzung der Windkraft, geringe Umweltbelastung;
5. Nutzung der vorhandenen Infrastruktur;
6. Kostenreduzierung beim Transport ( ca. 30 v.H.)
Um Segelschiffe zukünftig als Transportmittel wieder zu verwenden, sind neben
politischen auch verschiedene kaufmännische Gesichtspunkte zu prüfen.
Ausschlaggebend für die Entscheidung, ob man diese Transportart neu beleben will oder
nicht, dürften letztlich die zu erwartenden Gewinne sein.
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Nachwort
Einige Zeit, nachdem ich die vorliegende Analyse beendet hatte, wurde ich von interessierten
Kreisen in Bremen auf das Buch von Herrn Willner angesprochen:
„PAMIR, ihr Untergang und die Irrtümer des Seeamtes“.
Offensichtlich geschah dies in der Annahme, ich wolle dem Schiffskommando etwas am Zeug
flicken. Dies ist und war nicht meine Absicht, nicht mein Begehren und auch nicht der Inhalt der
vorliegenden Untersuchung. – Auch wenn ich die Ausführungen Herrn Willner’s großenteils nicht
teile, so widersprechen seine Darlegungen grundsätzlich nicht meinen Erkenntnissen aus dem
„Pamir“ – Unfall, was den erneuten Einsatz von Groß-Seglern anbelangt.
Ich habe das Buch von Herrn Willner daraufhin gelesen und will nachfolgend meine Gedanken
dazu niederlegen. Wenn auch das Buch mehr eine Ehrenrettung für den Kapitän der PAMIR Herrn
Diebitsch ist, so stimme ich doch im wesentlichen mit seinen Aussagen überein, sofern sie die
nautischen und seemännischen Belange betreffen. Als juristischer Interessenvertreter der Kreise
um den Kapitän war es sein gutes Recht die Dinge aus seiner Sicht zu begründen und seine
juristischen Bedenken geltend machen will, zumal er sich offensichtlich in dem Urteil mit seiner,
nach meiner Meinung aber einseitigen Argumentation, nicht wiederfindet. Das sei Herrn Willner
unbenommen. Leider veröffentlicht er diese Meinung erst in 1991, 34 Jahre nach dem
Urteilsspruch. Eine frühere Veröffentlichung wäre für die öffentliche Diskussion hilfreicher gewesen
und hätte sicherlich dazu geführt, daß die „Angeklagten“ sich hätten wehren können. Es ist nicht
mein Anliegen Herrn Willner’s Aussagen zu widersprechen oder das Schiffskommando anzuklagen;
seine subjektiven Bedenken seien ihm gestattet. Als Prozeß-Beteiligter war er direkt vor Ort und hat
die gesamte Seeamtsverhandlung, alle Aussagen und Einwendungen schriftlich vorliegen,
denn von zwei (2) Stenographen hat sie mitschreiben lassen.
Ich habe eine andere Motivation und die liegt darin, für die Zukunft die Verfügbarkeit und
Einsatzfähigkeit von Windschiffen / Segelschiffen nachzuweisen und darzulegen, daß heute mit
den entsprechenden Einrichtungen ähnliche Seeunfälle nicht mehr passieren können. Es lag
jedenfalls in meiner Untersuchung der Wunsch, das Unglück dahingehend zu beleuchten, was
zukünftige Windschiffe an Voraussetzungen erfüllen müssen und es war nicht mein Anliegen mit
Herrn Willner nachträglich zu streiten oder das Schiffskommando anzuklagen oder zu belasten und
die Sache nochmals aufzurühren. Auch wenn diese Stellungnahme wiederum recht spät kommt, so
habe ich den Inhalt bereits in der Mitte der 1990er Jahre veröffentlicht und mehrfach vorgetragen.
So dreht sich ein großer Teil seines Buchs um die Ehrenrettung des Kapitäns und der
Schiffsleitung. Herr Willner erwähnt aber nicht die kritische Schiffsstabilität, die den 2. Offizier
Herrn Buschmann veranlaßte im Tagebuch eine Eintragung darüber zu machen, was eine absolut
unübliche Maßnahme darstellte. Oder, er geht nur zum Teil, die Äußerungen des Jungen Wirth ein,
die Verschlußrolle betreffend; oder gar auf die Aussagen von Kapitän Claußen, Kapitän Lemberg
und anderer Segelschiffs-Kapitäne, daß sie schon einige Tage früher abgedreht hätten, aufgrund
der Wetterlage (siehe hierzu auch weiter unten). Oder, was hat das Alter des Bootsmanns mit dem
Untergang zu tun? Er war ein allgemein geschätzter, qualifizierter und beliebter Seemann und
letztlich gab es zwei Bootsleute an Bord, einen älteren und einen jüngeren. (Ich habe etliche Jahre
später den Sohn von Herrn Kühn an Bord gehabt.)
Herr Willner versucht in seinem Buch den Spruch des Seeamts mit mancherlei juristischen
Überlegungen anzuzweifeln. Ich kann allerdings manchen Gedanken nicht folgen, siehe
nachfolgend und so zum Beispiel, daß die Beisitzer (Kapitäne) keine Seglerkapitäne waren.
Seinerzeit waren für alle Nautiker Fahrzeiten und Ausbildung auf Segelschiffen zwingend
vorgeschrieben. Das erforderliche Wissen war also schon vorhanden, auch bei Kapitän Diebitsch,
auch wenn er große Segler noch nicht geführt hatte. Außerdem waren genügend Seglerkapitäne
als Zeugen mit ihrem Sachverstand und ihren Aussagen anwesend und wurden gehört. Das
Seeamt hat dies in seinem Spruch berücksichtigt.
Zum Fall des ÜBERGEHENS DER LADUNG bin auch ich seiner Ansicht, daß dies nicht
ursächlich für den Untergang war und daß die Ladung erst kurz vor dem Untergang, bei großer
Schlagseite übergegangen sein kann. Er würdigt richtig die Zeugenaussagen, daß sich PAMIR
wieder aufrichtete, als der Winddruck aus der Takelage genommen war. Das spricht nicht für ein
Verrutschen der Ladung. (bis etwa 10:00 Uhr)
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Bei der Beurteilung über die Durchführung der VERSCHLUSSROLLE stimme ich nicht mit
Herrn Willner überein. Die Zeugenaussagen lassen darauf schließen, daß die Verschlußrolle nicht
konsequent durchgeführt wurde, daß sie vorzeitig abgebrochen wurde (etwa 0830 mit dem Befehl
„alle Mann auf das Hochdeck“) und es keine Vollzugsmeldung an den Kapitän gab. (In dem Fall
hätte die Meldung lauten müssen: Die Bullaugen an Backbord sind noch nicht alle geschlossen.)
Herr Willner bestätigt das teilweise, betont aber, ohne einenNachweis anzuführen, die
Verschlußrolle sei dann zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt worden. Dafür gibt es keine
Anhaltspunkte und die Zeugenaussagen lassen auch nicht darauf schließen. Von einem zweiten
Befehl die Verschlußrolle durchzuführen ist nichts bekannt, das hätten der Zeuge, der Junge Wirth,
der dafür zuständig war, gewußt und gemeldet. Es ist nicht anzunehmen, daß der Kapitän noch
einmal jemand anderen damit beauftragt hätte, denn es waren alle Personen auf dem Hochdeck
versammelt. Sicher ist, daß sehr viel Wasser in das Schiff gekommen ist durch die (noch) offenen
Bullaugen an BB-Seite des Hochdeck und, daß dadurch die Reserveschwimmfähigkeit des Schiffes
eingeschränkt wurde. Durch dieses eindringende Wasser entstanden „Freie Oberflächen“, die sich
dann durch die Neigung des Schiffes an BB-Seite sammelten und die anfängliche Schlagseite nach
10:00 Uhr, nachdem alle Segel abgeschnitten waren und sich das Schiff wieder aufgerichtet hatte,
noch weiter erhöhte. Ob dieses eindringende Wasser durch einen Unterwasserschaden oder durch
eine nicht konsequent durchgeführte Verschlußrolle in das Schiff eingedrungen ist, kann kein
Mensch begründen. Die Zeugenaussagen deuten jedoch darauf hin, daß die Verschlußrolle nicht
oder nur teilweise durchgeführt wurde, was für die Annahme des Wassereinbruchs über die
Bullaugen spricht. Wichtig für den Untergang ist nur, es war Wasser im Schiff, die
Reserveschwimmfähigkeit des Schiffes war eingeschränkt und es gab „Freie Oberflächen“, die
verursachten, daß mehr und mehr Wasser einströmte uns sich das Wasser an der geneigten Seite,
Backbord (BB), sammelte und das Schiff noch weiter nach BB drückte. Hierin kann eine
wesentliche Ursache für den Untergang der PAMIR gesehen werden.
Bei der SEGELFÜHRUNG IM STURM kann man zugunsten des Schiffskommandos annehmen,
daß es meinte, offensichtlich die Kurslinie des Orkans schon überschritten zu haben. Man wollte
wohl mit möglichst viel Segelfläche gute Fahrt machen, um weiter nach Norden zu kommen. Daß
die Segel noch zur falschen Seite gebraßt waren, hat mit der früheren Annahme, man sie noch im
Nordost-Passat zu tun. Daß sie nun ausgerechnet in den schlimmeren Quadranten (links vorne zur
Zugbahn) vertrieben, nachdem die Segel abgeschnitten waren, konnten sie weder wissen, noch
voraussetzen. Insofern ist ihnen auch aus dieser Tatsache kein Vorwurf zu machen. Die
Segelschiffkapitäne, die als Zeugen oder als Sachverständige an der Seeamtsverhandlung
teilnahmen, haben sich in ähnlicher Weise geäußert. Warum aber die Segel nach BB angebraßt
waren und nicht nach Steuerbord (STB) und die SS PAMIR offensichtlich auf dem BB-Bug statt auf
dem STB-Bug segelte, ist nur damit erklärbar, daß sich die Schiffsleitung noch im Nordost-Passat
wähnte. Also die Großwetterlage und ihre Position zum Azoren-Hoch nicht kannten, geschweige
denn über den herannahenden Hurrikane etwas wußten, Denn diese Lage – Segel nach BB - hätte
sie noch weiter in das Sturmzentrum gebracht. Am Morgen des Unglückstages hatte man noch
versucht den Besan zu setzen, um auf den anderen Bug zu kommen, was dann aber nicht
gelungen ist. (Das erwähnt Herr Willner nicht.) Auch diese Segelstellung war für den Untergang nicht
ursächlich, denn zwei Stunden vor Untergang waren keine Segel mehr gesetzt. Es ist zweifellos
richtig, daß der Kapitän und die anderen Schiffsoffiziere mit der Schubartschen Orkankunde
vertraut waren. Daß die PAMIR dann doch in diese Lage kam, ergibt sich aus dem nächsten Punkt.
Die Einschätzung der sichtbaren WETTERLAGE von Bord aus und das Beobachten der
Bordgeräte wird an Bord gut praktiziert worden sein. Dagegen dürfte die Beurteilung der GroßWetterlage nur unvollkommen betrieben worden sein, womöglich war sie gar nicht bekannt; nach
obigen Beweisen und nach den Aussagen der Überlebenden. Ihnen war durch das Azoren-Hoch
die Sicht auf die ausgeprägten Wolkenbilder von dem Hurrikane „Carrie“ genommen, weil sie auf
der „falschen“ Seite des Azoren-Hochs standen. Ein Blick in die Wetterkarte, die offensichtlich nicht
vorhanden war, hätte sie darüber aufgeklärt: Erstens daß sie auf der falschen Seite stehen und der
Wind nicht der Passatwind ist, sondern der Wind des Azoren-Hochs und zweitens, daß ein
Huerrican am Anrollen ist. Als das Azoren-Hoch in der letzten Nacht vor dem Unfall nach Osten zog
und die ausgeprägten Wolkenbilder des Hurrikane sichtbar wurden, war es zu spät für eine
wesentliche Kursänderung. Entsprechende Erfahrungen mit dem Einschätzen von
Wettersituationen hatten mehrere der Patentinhaber an Bord. Sie hatten auch die Sturmlehre von
Herrn Rodewald gut gekannt. Aber solange sie weder die Sicht auf die Umstände noch die
Informationen hatten, konnten sie auch nicht aktiv werden.
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Es ist ferner stark anzunehmen, daß die METEOROLOGISCHE NAVIGATION anhand von
Wetterkarten augenscheinlich vernachlässigt wurde. Einmal lag zwischen PAMIR und CARRY das
Azoren-Hoch. Nach Aussage einiger Kapitäne, die zur gleichen Zeit in dem gleichen Gebiet waren,
ließen die Wolkenausbildungen nicht auf einen Hurrikan schließen. Insofern waren die
Bordbeobachtungen auf PAMIR richtig, aber sie ließen keine Beurteilung der Großwetterlage zu.
Also haben sie auf PAMIR den Kurs gewählt, den sie steuerten. So segelt PAMIR auf der Ostseite
(!) des Hochs bei etwa NE-Wind nach Norden, ohne einen Hinweis auf den Hurrikan zu haben, in
der Annahme, „der Passat weht aber dieses Mal doch recht nördlich“, war aber in Wirklichkeit der
Wind, der durch das Azoren-Hoch gesteuert wurde. Damit segelte PAMIR auf der Ostseite des
Hochs, mit NE-lichen Winden, auf BB-Bug und hart angebraßt nach Norden, statt auf der Westseite
des Hochs, wo sie achterlichen Wind gehabt hätte. Offensichtlich hat man an Bord von der Position
des Azoren-Hochs nichts gewußt, sonst hätten die PAMIR fünf Längengrade weiter westlich
gestanden. Dies läßt darauf schließen, daß eine Information über die gesamte Wetterlage im
Atlantik, auch über den Hurrikan, an Bord nicht vorhanden war. Dies deckt sich auch mit den
Zeugenaussagen, die behaupten „unter Kapitän Eggers wurden mehr Wetterkarten gezeichnet“.
Herr Willner versucht zu beweisen, daß das Kommando über die Wetterlage informiert war, kann
aber keine Beweise vorlegen, nur Annahmen. Die obigen Umstände erwähnt er nicht.
Das DURCHBRECHEN DES SCHIFFES, wie es von Herr Willner konstruiert wird und was er
beweisen will, erscheint sehr unwahrscheinlich zu sein, zumal die weitaus stärker belastete
Takelage bis zuletzt gehalten hat. Bei einem Durchbrechen des Schiffs hätten sich die Masten mit
den Teilen des Schiffes „verschoben“ und wären nicht „gleichmäßig“ untergegangen. (Aussagen:
An der Takelage ging nichts kaputt“) PAMIR hatte schon viele Stürme ohne Schaden überstanden
und galt als „starkes Schiff“. Bei der erneuten Indienststellung als „Schulschiff“ hat man auch im
Hinblick auf die zukünftige Verwendung alle erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen durchgeführt
und auch verschiedene Platten am Schiffsrumpf ausgewechselt. Es dürfte daher keine
„Schwachpunkte“ gegeben haben, zumal die Klassevorschriften eingehalten und die Fahrterlaubnis
genehmigt wurden. Die angebliche „Staubfontäne“, von der ein Zeuge berichtete und die Herr
Willner als Beweis für seine Theorie heranzieht, mag vielleicht daher rühren, daß beim endgültigen
Umkippen des Schiffes (also über 90 ° Schlagseite), sich die Ladung mitsamt der Luft aus den
Luken oder aus einer Luke wälzte, die Lukendeckel und die Persenning durchbrach und so die
Staub-vermischte Luft nach oben entwich. (meine Vermutung)
Wie in meinem Gutachten dargelegt, kam der Funker aus der Fischerei und war gewohnt
Portishhead-Radio abzuhören. Das hat er vermutlich auch auf PAMIR so gemacht und so keine
Notiz über den westlichen Teil des Atlantiks erhalten, wo der Hurrikan schon seit längerem stand.
Denn Portishhead hat den Hurrikan erst zu einem späteren Zeitpunkt bekanntgegeben, als er in
das Vorhersagegebiet kam. Es ist daher unmißverständlich daraus zu schließen, daß das
Schiffskommando nur wenige Wetterinformationen eingeholt hat. Dies deckt sich auch mit den
Zeugenaussagen, die behaupten „unter Kapitän Eggers wurden mehr Wetterkarten gezeichnet“.
Herr Willner versucht zu beweisen, daß das Kommando über die Wetterlage informiert war, kann
aber keine Beweise vorlegen, nur Annahmen. Die obigen Umstände erwähnt er nicht. Desweiteren
ist an Bord über den Hurrikan erst am Morgen des Untergangstages gesprochen worden.
Üblicherweise spricht sich so was schon früher herum, wenn es bekannt ist. So kam es, daß dann
eilig alle entsprechenden Manöver eingeleitet wurden. Daß das Schiff in seinen Teilen seetüchtig
war (Lukenabdeckung usw.) ist wohl richtig, dem ist auch nicht zu widersprechen. Wichtig ist aber,
daß nicht schon am Vortage einleitende Vorbereitungen für ein Annähern zum Sturm
(Lüfterabdeckung, Türschotten) getroffen wurden, sondern erst am Morgen des Unglückstages, als
bekannt wurde, daß ein Hurrikan kommt. Ein vorsichtiger Schiffsführer, der während der Nacht die
Segelfläche reduziert, wie geschehen, hätte solche einleitenden Maßnahmen und Vorbereitungen
unternommen. In dieser Sachlage unterscheiden sich Herr Willner und ich wesentlich. Denn ich
gehe von eine Meteorologischen Navigation aus, die so nicht stattfand. Danach hätte PAMIR weiter
westlich stehen müssen, was auch für den weiteren Reiseverlauf (Ansteuerung Englischer Kanal)
wesentlich besser gewesen wäre.
Wichtig ist, daß bei einem zukünftigen Einsatz von Segelschiffen großer Wert auf die
meteorologische Beratung gelegt werden muß, sei es direkt an Bord mit qualifizierten Leuten oder
über meteorologisches Routing von Land aus, wie es bereits bei verschiedenen Motorschiffen auch
der Fall ist und erfolgreich praktiziert wird.
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Anmerkungen zur Buchbesprechung „Sturmlegende“,
von Herrn Soyener
Briefe an das “Rüsselsheimer - Darmstädter Echo, Sonntags-Echo, Darmstadt
SEP-OKT: 2007
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich habe den Bericht über den Untergang der PAMIR gelesen und möchte mich bei Ihnen für Ihre ausführliche
Berichterstattung danken. Da ich am Rande auch mit dem Untergang betroffen war (ausgebildet und
angemustert für PAMIR, aber dann zum Dienstantritt verhindert, zwei Freunde verloren) lassen Sie mich bitte zu
einigen Dinge Stellung nehmen. Ich besitze die höchste Qualifikation für einen Kapitän und darf jedes Schiff auf
allen Meeren führen, auch große Segelschiffe. Ich habe also nicht nur die erlebte Kompetenz, sondern auch die
erworbene. Sie können meine Untersuchung über die Umstände, die zum Untergang der PAMIR geführt haben
unter www.saillog.de nachlesen. Vielleicht können Sie mein Schreiben auch an die erwähnten Angehörigen
weiterleiten; so schmerzhaft deren Verlust auch für sie sein mag, doch die Wahrheit, soweit wir sie nachträglich
erkennen können, kann vielleicht auch ihnen helfen.
Seeamtsuntersuchung
Das Seeamt (offizielle Untersuchungsbehörde für Seeunfälle) ist seiner Aufgabenstellung voll gerecht
geworden, auch wenn Herr Willner erst Jahrzehnten (!) später versucht hat das Gegenteil zu behaupten, indem
er u.a. wichtige Zeugenaussagen unterschlägt und indem er die Qualifikation der Beisitzer beim Seeamt falsch
darstellt. Auffallend spät erschien sein Buch, erst, nachdem von den Anwesenden der Seeamtsuntersuchung
keiner mehr Stellung nehmen konnte. Auch wenn aus Sensationslust Herr Willner immer gerne zitiert wird, so
wird die Falschaussage dadurch nicht richtiger.
Fehler der Schiffsführung
Dem Autor Soyener ist zuzustimmen, was die Fehler der Schiffsführung anbelangt: falsche Segelmanöver im
Sturm, keine Wetterberichte auswerten und das Nichtdurchführen der Verschlußrolle (Bullaugen, Lüfter usw.);
sogar was die Stabilität anbelangt. Dies geht eindeutig aus dem Urteilsspruch des Seeamts hervor.
Hierbei handelt es sich um nautische Fehler, die einer besonderen Versicherungslage unterworfen sind und in
einem Zivilprozess –gegen den Kapitän- geltend gemacht werden können. Da Kapitän Diebitsch nicht überlebt
hat, konnten die Ansprüche nicht geltend gemacht werden. Eine Reederei kann man für nautischen Fehler nicht
haftbar machen, das ist internationales (See-) Recht.
Das Seeamt hat bei seiner Untersuchung über den Unfall der PAMIR den nautischen Offizieren und den
Kapitän die Befähigung ein Segelschiff zu führen nicht abgesprochen, beziehungsweise deren Qualifikation
nicht beanstandet. Im Gegenteil, es wurde ausdrücklich und positiv erwähnt, dass die Schiffsleitung in der
Orkankunde gut bewandert war Alle nautischen Patentinhaber mussten seinerzeit praktische Erfahrungen
(Fahrzeiten) auf Segelschiffe nachweisen, sonst hätten sie ihre Berufsbefähigung nicht erhalten. Außerdem
möchte ich darauf hinweisen, dass die Überlebenden besonders die beiden nautischen Offiziere, 1. Offz.
Schwarz und 2. Offz. Buschmann wegen ihrer Tüchtigkeit besonders gelobt haben. Herr Buschmann hat als
Offizier mehrere Reisen auf PAMIR absolviert, er kannte sein Handwerk besonders gut und war meines
Wissens als 2. Offiz. für die Beladung des Schiffes zuständig (unter Anweisung und Verantwortung des
Kapitäns) und, das scheint mir besonders wichtig, im Rahmen der geltenden Unfallverhütungsvorschriften und
der Beladungsanweisungen.
Daß der Kapitän den Tieftank hat beladen lassen zeugt von seiner Unerfahrenheit mit diesem speziellen Schiff,
es wäre aber unter dem Gesichtspunkt zu rechtfertigen, möglichst viel Ladungen in die unteren Räume des
Schiffes zu verbringen, um damit die Stabilität zu erhöhen, gedanklich also nicht verkehrt. Das zusätzliche
Fluten des Tieftanks bei vollem und abgeladenem Schiff hätte bedeutet, dass das Schiff über sein
Beladungslimit hinausgekommen wäre (Überladung). Eine solche Maßnahme wäre nur für Notfälle zu
rechtfertigen gewesen; sie stand dann im Entscheidungsfall auch nicht mehr zur Verfügung.
Versicherung
Alle Seeleute waren seinerzeit bei der See-Berufsgenossenschaft versichert. Sofern die Besatzungsmitglieder
verheiratet waren, oder in ähnlicher Weise Fürsorge geleistet haben (Eltern, Kinder; Sohn vom Bootsmann
Kühl, den ich gekannt habe) erhielten die Angehörigen Versorgungsaufwendungen. Auch wenn das kein Ersatz
für den Verlust ist, darüber bin ich mir im Klaren. Besatzungsmitglieder, die keine Versorgungsaufwendungen
leisteten, hatten keinen Anspruch auf Versorgung, an wen denn?
Zeichen der Wetterkarten / meteorologische Navigation
Zum Zeichen der Wetterkarten möchte ich bemerken, daß es allgemein üblich war, daß nautische Offiziere (auf
PAMIR die Kadetten unter Anleitung der Offiziere) die Wetterkarten zeichneten. Jedenfalls ist es unüblich dies
den Funker machen zu lassen; daß die übliche Praxis auf PAMIR nicht so gehandhabt wurde, ist vielleicht in
dem Verhältnis Kapitän – Funker zu vermuten. Jedenfalls stand PAMIR meteorologisch gesehen auf der
falschen Seite des Azoren-Hochs, was sehr stark darauf hinweist, daß man an Bord die Großwetterlage nicht
kannte. Ferner wurde erst am Morgen des Unglückstages an Bord bekannt, daß ein Hurrican in der Nähe sei.
So etwas spricht sich sofort an Bord sofort herum, wenn es bekannt wird; also hat man vor diesem letzten
Morgen an Bord nichts von „Carrie“ gewußt.
21
Der aufgabebezogenen Überbelastung des Funkers (vier mal zwei Stunden am Tage Funkwach auf See und
Verwaltungsdienst) kann ich ohne weiteres zustimmen. Ein zusätzlicher Zahlmeister an Bord wäre besser
gewesen. Es war üblich, daß der Funker zum Monatsende für die Besatzung von etwa 40 bis 45 Personen die
Abrechnungen machte; auf PAMIR waren es 86 (!) Personen. Das war eine starke Belastung für ihn, zumal er
fast die doppelte Besatzung an Bord hatte. Andererseits hatte er im Hafen dann Freizeit, weil er beruflich nicht
gefordert wurde und die Abrechnungen vorbereiten konnte. Insofern kann man der Reederei den Vorwurf der
bewußten Überbelastung machen. (Es war damals aber auch üblich neben der normalen 56-Stundenwoche –
sieben Tage mit jeweils zwei Seewachen a vier Stunden Seewache - noch zusätzlich erhebliche Überstunden
an Bord zu machen, teilweise 120 bis 140 Stunden im Monat, siehe meine vorliegenden Abrechnungen.)
Stahlplanken der Außenhaut / Rostflecken
Der Autor Soyener schreibt, daß die Stahlplanken der Außenhaut schadhaft gewesen seien. Dazu ist
festzustellen, daß sowohl bei PAMIR als auch bei PASSAT vor der erneuten Indienststellung unter Aufsicht des
Germanischen Lloyd (TÜV) diverse Platten der Außenhaut ausgewechselt wurden und beide Schiffe die
höchste Klasse (TÜV) und damit den Fahrt-Erlaubnisschein erhalten haben. Die Seetüchtigkeit von PAMIR wird
auch dadurch dokumentiert, daß beim Untergang die Takelage noch vollkommen intakt gewesen war
(Zeugenaussage). Dies wurde auch durch PASSAT unterstrichen, die einige Wochen später in eine ähnliche
Situation geraten sollte. Übrigens hatte PAMIR etliche Jahre vorher, noch unter neuseeländische Flagge, einen
Wirbelsturm heil überstanden. (Es ist also nicht das Märchen der PAMIR, dass sie nicht seetüchtig gewesen
sei, sondern eher die etwas eigenwillige Behauptung von Herrn Soyener.)
Jedes Schiff hatte Rostflecken, das weiß ich aus eigener Erfahrung nur zu gut. Das bedeutet aber noch lange
nicht, daß die Stahlplatten durchgerostet waren und das Schiff gefährdet war. Es war seinerzeit üblich, dass die
Schiffsbesatzungen auf den Seereisen die Roststellen fachmännisch entfernt haben. daß die Schiffsleitung auf
PAMIR auch in den Laderäumen hat Roststecken (seemännisch für Rostklopfen) durchführen lassen, also im
Innern des Schiffes, zeigt nur an, daß die Außenflächen in Ordnung waren, sonst hätte man dort arbeiten
lassen.
Von Leckagen im Schiff, abgesehen von dem bekannten Nichtdurchführen der Verschlussrolle, siehe oben,
haben die überlebenden Seeleute bei der Seeamtsverhandlung nichts berichtet. Diese Behauptung tauchte erst
bei Herrn Soyener auf.
Kommerzielle Belange
Die Bemerkung, daß das Seeamt bei seiner Untersuchung die kommerziellen Belange nicht gekannt hat, kann
richtig sein, ist aber für die Seeamts-Untersuchung überhaupt nicht relevant, denn vor dem Seeamt werden nur
nautische Angelegenheiten untersucht. Sie bilden dann die Grundlage für eventuelle spätere Forderungen.
Solche sind meines Wissens niemals erhoben worden.
Über die finanzielle Schieflage der Stiftung ist seinerzeit nichts bekannt geworden. Die Schriftstücke die Herr
Soyener zitiert, weisen lediglich darauf hin, daß die Stiftung weitere Mittel für Reparaturen benötigt. Das ist
meines Erachtens auch ganz normal, denn einmal verfügt eine Stiftung nicht über umfassende liquide Mittel, die
über das normale Maß hinausgehen und zum andern stand nach vier Jahren Dienstzeit wieder eine neue
Werftzeit und eine weitere Klassifizierung in der höchsten Stufe an.
In dem Zusammenhang möchte ich die Frage stellen, ob die beteiligten Reeder denn im Nachhinein ihren
Verpflichtungen nachgekommen sind oder nicht. Diese Antwort scheint mir wichtig zu sein für die kommerzielle
Beurteilung der Geschäftslage der Stiftung. Die Stiftung ist liquidiert worden, mangels Geschäftsgrundlage, die
Schiffe gab es für einen weiteren Einsatz nicht mehr; von einem (betrügerischen) Bankrott habe ich seinerzeit
nichts gehört.
Ich habe persönlich die nautischen Inspektoren, übrigens alle Kapitäne mit entsprechender Fahrtzeit, gekannt:
Kapitän Dominik (Zerssen), Kapitän Lomnitz (Norddeutscher Lloyd). Kapitän Jakob (Hapag), Ihre persönliche
Integrität, ihr Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Schiffsbesatzungen war beispielhaft und ich kann mir
nicht vorstellen, daß diese Herren, die über einen Flottenprogramm von mehreren hundert Millionen DM
entschieden haben, daß diese Herren bei einer Summe von 100.000 DM „zugeknöpfte Taschen“ gehabt haben
sollten.
Dankenswerterweise haben Sie keinen „reißerischen“ Artikel geschrieben, denn in früheren und anderen
Publikationen hatte ich den Eindruck, dass es nach dem Klischee ging „verantwortungslose Reeder,
Seelenverkäufer“. Man muss bei dieser Angelegenheit die nautische Seite und die kommerzielle Seite streng
voneinander trennen, sofern dies auch schwer fallen mag.
Mit freundlichen Grüßen verbleibe ich, Ihr H.-B. Schwab
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Brief an Herr Soyener, OKT 2007
Sehr geehrter Herr Soyener,
ich bedanke mich nochmal bei Ihnen für unser ausführliches Gespräch vom Montag, 1.10. 2007.
Ich habe mir Ihre Internetseite angesehen und war erfreut, so viel ausführliches Material gesehen zu haben.
Dabei habe ich festgestellt, daß Ihnen noch einige Bilder fehlen, die Sie auf verschiedenen Seiten noch
ankündigen. Damit Sie es etwas leichter haben, habe ich mir erlaubt Ihnen in der Anlage einige diesbezügliche
Bilder zu übermitteln.
Es war für mich erstaunlich zusehen, wie im Hintergrund von einigen verantwortlichen Herren "gefingert "
wurde. Offensichtlich hat das auch der Vorsitzende des Seeamts gemerkt und hat dann Herrn Platzoeder (er
war damals Lehrer an der Seefahrtschule Hamburg) zum Gutachter des Seeamts gemacht und ihn nicht als
Gutachter der Reederei zugelassen. Übrigens ein sehr gutes Gutachten von ihm, das von niemandem
angezweifelt wurde.
Erstaunlich war für mich auch zu lesen, wie Herr Willner, als Jurist, im Hintergrund der Reederei juristische
Argumente vermittelt, dann aber drei Jahrzehnten später ein Buch veröffentlicht, in dem er dem Seeamt
Vorwürfe macht, nicht richtig geurteilt zu haben.
Zu dem meteorologischen Gutachten will ich mich nicht näher äußern. Es wurde von der Reederei bezahlt und
die Aktivitäten im Hintergrund sprechen für sich. Stattdessen lege ich eine Vorlage diesem Schreiben bei, aus
dem Sie ersehen können, daß Schiffsleitung offensichtlich die Großwetterlage nicht kannte, denn sonst hätte
sie weiter westlich stehen müssen. (Bild 2)
Wie das Seeamt richtig vermerkt, führten unter anderem falsche Segelmanöver zum Untergang des Schiffes. In
Bild drei (3) sehen Sie die Lage der PAMIR und wie sie möglicherweise hätte erliegen sollen, um den Sturm
abzuwettern.
In Bild 4 ist zusehen, wie das eindringende Wasser die Schlagseite nach Backbord verursacht hat. Dazu gibt es
nähere Ausführungen und Berechnungen unter www.saillog.de.
Wie Sie aus meinen Unterlagen ersehen, war der Anlaß meiner Untersuchung nicht das Unglück nochmal neu
zu beleuchten, sondern daraus Schlüsse zuziehen, inwieweit die gemachten Fehler für zukünftige Segelschiffe
vermieden werden können. Deshalb waren auch die kommerziellen Belange der Reederei, die mir bislang in
dieser Form so nicht bekannt waren, auch nicht weiter relevant. Wie wir schon am Telefon besprochen haben,
hat sich Kapitän Dominik aufopfernd um beide Segelschiffe gekümmert und hat versucht die kommerzielle Lage
zu regeln. Dies unterstreicht nur die von mir schon früher erwähnten Ehrenhaftigkeit von ihm und den anderen
Herren, die in Ihren Unterlagen, Umstände bedingt, nicht näher auftauchen.
Andererseits muß man sich auch vergegenwärtigen, daß eine Reederei in einem zu erwartenden Rechtsstreit
(Seeamt - Strafgericht - Zivilgericht) alles Mögliche tut um eventuelle Ansprüche abzuwehren, auch wenn das
für die Hinterbliebenen schmerzvoll ist.
Die Briefe der Schiffsbesatzung über die Zustände an Bord haben mich erschüttert. Die Rückschlüsse der
Klagegemeinschaft über das nicht-zeitgemäße Ausbildungsprogramm kann ich nachempfinden und muß den
Leuten recht geben. Ich selbst habe verschiedene Kapitäne, mit den unterschiedlichsten
Charaktereigenschaften erlebt, als ich noch vor dem Mast fuhr. Doch so weit, wie Kapitän Diebitsch, ist dann
keiner gegangen. Insofern kann ich meinem Schutzengel nur ein zweites Mal dankbar sein, daß ich auf dieser
Reise nicht mit durfte und Herr Kapitän Dominik mich für eine Reise zurückgestellt hat.
Beim Lesen der Briefe von Kapitän und Besatzung ließ mich der Gedanke nicht los, daß der Kapitän versucht
hat "es allen nochmals zu zeigen ". Denn einmal macht er die eingespielte Besatzung schlecht, wertet sie ab,
um dann an anderer Stelle zu betonen daß er dem Schulschiffverein eine neue Mannschaft präsentieren will.
Erfreulich ist hingegen, daß er den alten Bootsmann Kühl, einen alten, erfahrenen Seemann, richtig würdig,
denn ich bin seinerzeit mit dessen Sohn zusammen gefahren.
Andererseits sollte man auch die Äußerungen der Schiffsbesatzung (im wesentlichen handelt es sich wohl um
die Junggrade) nicht überbewerten. Am Jargon kann man manche Äußerung als Geschwätz der
Mannschaftsmesse erkennen. Der eine Junge schreibt denn auch, die Eltern sollten das Geschriebene nicht
überbewerten, denn es gibt nur Ärger. Dennoch geben einige Beschreibungen der Tatbestände Anlaß sich
ernsthaft Sorgen zumachen. Dies liegt offensichtlich in der Widersprüchlichkeit des Kapitäns, siehe unten. Die
Angelegenheit mit den unterschiedlichen Speisen in den Messen ist eine Sauerei, wenn sie denn so stimmt. Ich
habe seinerzeit des öfteren erlebt, daß in der Mannschaftsmesse eine solche Behauptung aufgestellt wurde.
Die näheren Überprüfungen haben aber keine gravierenden Unterschiede gezeigt. (Auch als Mannschaftsgrad
konnte man sich in der Kombüse überzeugen was für wen gekocht wurde; wenn man dies auch für PAMIR mit
unterstellt, dann scheint der Wahrheitsgehalt der Aussage sehr hoch zu sein.)
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Aus Ihren Unterlagen geht ebenfalls nicht deutlich genug hervor, daß sich Kapitän Diebitsch auf der Ausreise
von Kapitän Eggers die Segelmanöver hat vorführen lassen, mit dem Argument, einen Überblick über die Crew
zu bekommen. Das zeugt davon, daß er tatsächlich wenig Erfahrung in der Segel-Führung des Schiffes hatte;
ein besser qualifizierter Kapitän hätte die Manöver vorher besprochen, durchgeführt und anschließend mit dem
Kollegen eine Manöverkritik gemacht.
Ich selbst habe über mehrere Reisen, noch als junger Offizier, Ausbildung für die Junggrade gemacht; der
Unterricht war offensichtlich so interessant, daß auch die Vollgrade daran teilnehmen wollten. Daß der Kapitän
den Kadetten astronomische Berechnungen beibringen will, hat mit Lehrlingsausbildung überhaupt nichts zu
tun; das ist erst einer Angelegenheit der Offiziersanwärter bzw. der jungen Offiziere. Daß dabei dann auch noch
ein Abiturient ihm Fehler nachweist ist äußerst ungeschickt unterstreicht nur meine Meinung. - Wetterkarten
zeichnen, das wäre es doch gewesen! Das hätte vielleicht alle gerettet. Das Wetter muß man erspüren lernen,
die Zusammenhänge müssen einem Kapitän in Fleisch und Blut übergehen, mit einer solchen Ausbildung kann
man nicht früh genug anfangen. Wir haben in Deutschland ein ganz besonderes Beispiel in dieser Beziehung
mit Kapitän Hilgendorf von der POTOSI.
Die Widersprüchlichkeit in der Person des Kapitäns Diebitsch wird in diesen Briefen überaus deutlich.
- Einerseits eine schnelle Reise machen, andererseits Sicherheitsstandards, Gesundheit Standards nicht
berücksichtigen.
- Einerseits Sicherheitsmaßnahmen anzuordnen (für die Masten) und dann wieder keinen Wert darauf zulegen.
- Einerseits die Wetterbeobachtungen nach der herkömmlichen Art (Bordbeobachtungen und Barometer) zu
analysieren, den aktuellen Wind noch "als weit nördlich stehenden Passat" einzuschätzen, wogegen dieser
schon längst ein Teil des östlichen Windes des Azoren-Hochs war und parallel auf Wetterkarten zu verzichten.
(siehe Bild 2)
- Befehle ausführen zulassen und die Vollzugsmeldungen nicht abzuwarten (Verschlußrolle) - Ein tödlicher
Fehler, wie wir aus dem späteren Geschehen lernen können. Das ist aber auch auf anderen Schiffen passiert,
z. B. SS Oldenburg (Mann fällt aus dem Mast)
Aus ihren Unterlagen ersehe ich ebenfalls, daß die Versicherungssumme dazu benutzt wurde, um die offenen
Posten der Reederei zu begleichen. Das bedeutet, man hat das Unternehmen ordnungsgemäß liquidiert. Das
deckt sich auch mit meinen Erinnerungen, denn von einem Bankrott habe ich seinerzeit nichts gelesen. Daß die
Hinterbliebenen von der Versicherungssumme nichts erhalten haben, war damals üblicher Geschäftsgebrauch,
denn sie wurden über die See-Berufsgenossenschaft versorgt, so weit die Familien den Ernährer verloren
hatten. Mir ist kein Fall bekannt, wo eine Reederei Abfindungen bei Seeunfällen an Hinterbliebe oder
Angehörige der Opfer gezahlt hat; das mag in späteren Jahren möglich gewesen sein, damals war es aber
absolut unüblich und für uns Seeleute mit dem Mantel des Berufsrisikos abgedeckt.
Für weitere Fragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Andererseits melde ich mich, wenn mir noch etwas
einfällt.
Mit freundlichen Grüßen verbleibe ich, Ihr
Hans-Bernd Schwab
Quellenangaben zum UNTERGANG DER PAMIR
Bemastung und Takelung der Schiffe;
Hamecher Verlag, Kassel
Der Untergang der PAMIR;
Bericht des Seeamts Lübeck
Mayday, Mayday... Schiffskatastrophen
„Die Viermastbark PAMIR“ ,
H. Hintermayer
"PAMIR .. ein Schicksal"
Brennecke - Dummer;
„PAMIR, ihr Untergang und die Irrtümer des Seeamtes“ Horst Willner
Diverse Zeitungsberichte
(Darmstädter Echo – Frankfurter Rundschau – Hamburger Abendblatt – Weserkurier)
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