Frau fährt vor
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Frau fährt vor
31-34_FC Bayern_V06_Text 04.03.2009 10:52 Uhr Seite 31 12 11 10 09 08 07 06 05 04 03 02 2009 01 2008 Frau fährt vor Sie sorgt für Bewegung beim FC Bayern: Sandra König steuert den neuen Mannschaftsbus, einen MAN Lion’s Coach L Supreme. ie Fahrt zum Auswärtsspiel des FC Bayern München beginnt am Samstagmorgen um halb acht. Das Radio spielt Oldies, und Sandra König steht in der Küche des leeren MAN-Mannschaftsbusses und füllt den Kühlschrank auf. Nutella, Leerdamer, Grünländer, Schinken, Rindersalami – Sandras Jungs mögen es deftig und reichlich. Dann geht es los nach Gelsenkirchen. „Auf Schalke“ wartet morgen der nächste Gegner auf die Bayern- D ON THE WAY 31 31-34_FC Bayern_V06_Text 26.02.2009 16:02 Uhr Seite 32 Elf. Und wenn die Mannschaft heute Abend um sieben am Düsseldorfer Flughafen in den Bus einsteigt, werden sich auf den Servierplatten in der Küche liebevoll geschmierte Brote türmen. Dafür hat Sandra extra noch Bauernbrot besorgt – ohne das geht gar nichts. Nach 20 Jahren als Busfahrerin für den FC Bayern kennt sie sich aus: „Wenn die Fußballer im Bus sitzen, essen sie.“ Nach dem Spiel gern Lasagne, Geschnetzeltes, Schnitzel oder eben belegte Brote – was immer Sandra König in ihrer kleinen Küche hinten im MAN-Bus gezaubert hat, während im Stadion die Tore fielen. „Fußball interessiert mich eigentlich nicht so – die Mannschaft interessiert mich.“ Und beim Essen entspannen die Spieler sich und reden über alles Mögliche: Familie, Freundin, Freizeit, Fernweh. Dabei waren weder warme Verpflegung noch eine Frau an Bord von Anfang an selbstverständlich: Als Sandra König mit 20 Jahren zum ersten Mal als zweite Busfahrerin neben ihrem Vater im Cockpit des Mannschaftsbusses saß, kam das Essen kalt aus Hotelküchen. Zudem waren Trainer und Manager alles andere als begeistert, eine Frau dabeizuhaben. „Grausam war’s“, erinnert sich Sandra König. „Denen hat das gar nicht gefallen – so ein junges Mädchen beim Team zu haben. Da wurde gleich die Stirn gerunzelt, wenn ich mal mit einem Spieler gelacht habe.“ Spricht’s und kuschelt sich mit Kaffee und Leberwurstbrot in Jürgen Klinsmanns Ledersitz in der ers- 32 ON THE WAY 12 11 10 09 08 07 06 05 04 03 02 2009 01 2008 ten Reihe. Heute sind die Trainer zum Glück weniger streng, wenn sie mit einem Bastian Schweinsteiger herumalbert. Der Bus als Bastion Draußen zieht die deutsche Autobahnödnis an den abgedunkelten Scheiben vorbei. Es gibt nur wenige Kilometer, die Sandra König nicht kennt. Auf den ersten übernimmt heute Kollege Michael Lauerbach das Steuer des MAN Lion’s Coach Supreme, Sandra König kann sich zurücklehnen. Sie springt bald wieder auf, um eine CD einzulegen. Unaufdringlich schwappt eine Welle von Loungemusik durch den Bus. „Seitdem wir den neuen Bus mit den klasse Boxen haben, benutzen die meisten Spieler keine Kopfhörer mehr.“ Für den richtigen Mix ist Kapitän Mark van Bommel zuständig – eine Aufgabe, an der andere schon gescheitert sind: Torwart Michael 31-34_FC Bayern_V06_Text 26.02.2009 16:02 Uhr Seite 33 „Während die Jungs spielen, koche ich für sie. Deutsch, italienisch, asiatisch – zum Glück mögen sie alles“ Linkes Bild: Sandra König überlässt am Steuer nichts dem Zufall. Sorgfältig fährt sie vor jedem Spiel den Weg zum Stadion ab, um Staupotenziale zu prüfen. Rechtes Bild: Den guten Draht zur Mannschaft (hier mit Co-Trainer Martin Vasquez) musste König erst aufbauen. Anfangs fanden Trainer und Manager es eher ungewöhnlich, eine Frau dabeizuhaben. ON THE WAY 33 31-34_FC Bayern_V06_Text 26.02.2009 16:02 Uhr Seite 34 Rensing hat es ebenso versucht wie zuvor schon Mehmet Scholl. „Deren CDs haben keine zwei Lieder lang überlebt“, sagt Sandra König und grinst. Es klingt ein bisschen, als erzählte sie von der letzten Klassenfahrt. Hinten auf den Tischen liegen Spielkarten: ein bayerisches Blatt für die Schafkopfler um Philipp Lahm und Andreas Ottl, ein internationales für die anderen. Denn bei den Südamerikanern in der Mannschaft steht Brasilien-Skat gerade hoch im Kurs. Nicht nur beim Kartenspielen entsteht eine familiäre Atmosphäre. „Der Bus ist wie ein Clubtreff, ein geschützter Raum“, erläutert die Fahrerin. Ein Raum, der sich nicht selten in der Karriere der Mannschaft in eine Festung verwandelt hat, denn als Rekordmeister hat man nicht nur Freunde. Die erste wütende Geste aus einem Autofenster streckt sich ihr heute kurz nach Würzburg entgegen. Doch Sandra König hat sich inzwischen ein dickes Fell zugelegt. Rollender Rundum-Service Draußen hat die Sonne sich durch den Nebel gekämpft, Sandra König greift nach ihrer Sonnenbrille und übernimmt das Steuer. Ihr Kollege vergräbt sich in einen der Fenstersitze am Tisch. Erst vorgestern sind die beiden aus Florenz zu- 12 11 10 09 08 07 06 05 04 03 02 2009 01 2008 rückgekommen, sind abwechselnd gefahren, auch über Nacht. Sie sind der Mannschaft immer ein Stück voraus und gleichzeitig ein Stück hinterher. Vom Flughafen zum Hotel, vom Hotel zum Stadion und retour sind sie der Ruhepol im Jet-Set-Leben des Bayernteams. Sie befördern 34 Paar Schuhe, Trikots, Sportkleidung und Anzüge, medizinisches Equipment („Ein Krankenhaus ist nichts dagegen!“), sogar Massagebänke und bei Auslandsspielen das Verpflegungsteam aus der Sterneküche von Alfons Schuhbeck. Im Zweifel bis ins Trainingscamp nach Marbella. „Die Mannschaft fährt nur nach Stuttgart und Nürnberg mit dem Bus“, sagt Sandra König und winkt schnell einem kleinen Jungen zu, der mit seiner Hand strahlend aus einem überholenden Wagen wedelt. Über mangelnde Aufmerksamkeit kann man sich als Busfahrerin des FC Bayern nicht beklagen. So oder so. Der Fahrer im Wagen vor ihr hat angefangen, sie auszubremsen, um seinen Borussia-Dortmund-Schal zur Geltung zu bringen. Sandra König steigt aufs Gaspedal. „Gut, dass jetzt das Team nicht an Bord ist, da gäbe es gleich Kommentare.“ Vorbereitung ist alles Als FC Bayern München lässt man sich nicht gerne ausbremsen. Jede Baustelle, jeder Unfallstau, jede ungeplant rote Ampel bringt Sandra König ins Schwitzen. „Paris ist mein Albtraum. Die Stadionanfahrt ist furchtbar.“ Auf Polizeieskorten verlässt sie sich schon lange nicht mehr. Schon gar nicht bei Champions-League-Spielen. „Wenn du gewonnen hast, lassen sie dich im Stich.“ Im Straßendschungel von Florenz, Barcelona und Co. bleibt Sandra König dann nur ihr eigenes hart erkämpftes Recherchewissen. Akribisch werden am Tag vor einem Spiel sämtliche möglichen Wege vom Hotel ins Stadion und wieder zurück abgefahren, Baustellen ausfindig gemacht, Staupotenziale überprüft und Stadionordner sowie gegnerische Mannschaftsbusfahrer interviewt – selbst wenn es den Nachtschlaf kostet. „Ich schlafe lieber zwei Stunden ruhig, als mich sieben Stunden lang im Bett mit Was-wäre-wenn’s zu wälzen“, sagt Sandra König und setzt den Blinker für die Ausfahrt Essen. Das Navigationsgerät gibt zwar Anweisungen, aber den komplizierten Weg zum Hotel kennt sie hier wie im Schlaf. Den Weg zum Stadion in Gelsenkirchen und von dort aus zum Flughafen in Düsseldorf wird sie heute Abend trotzdem noch einmal mit ihrem Kollegen abfahren. Zur Sicherheit, damit es morgen nach dem Spiel keine bösen Überraschungen gibt, wenn sie selbst während der Fahrt in der Küche steht. Vorbereitung ist alles – nicht nur, wenn Luca Toni wieder einmal neugierig den Kopf in die Kochtöpfe steckt und fragt „Was gibt essen?!“ ■ Während sie auf die Bayern-Stars wartet, gönnt sich Sandra König eine Pause in Klinsmanns „Chefsessel“. 34 ON THE WAY