Die Zwei Türme - Herr-der-Ringe

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Die Zwei Türme - Herr-der-Ringe
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DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
~ CD 1 ~
1 | „Glamdring“ – Glamdring
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ie Gemeinschaft des Rings ist zerbrochen. Während seine Gegner leiden, wird der Einfluss des Dunklen
Herrschers über Mittelerde immer größer. Und doch, verborgen von seinem Blick, stößt der Eine Ring
immer weiter den Flammen Mordors entgegen. „Der Herr Der Ringe: Die Zwei Türme“ wird mit Streichern
und Hörnern eröffnet, bis schließlich das Londoner Philharmoniker Orchester vertraute Töne erklingen lässt.
Howard Shores ‚Geschichte des Ringes‘-Thema tritt hervor. Diesmal in einer kalten bitonalen Einstellung,
die eine A-Moll-Melodie über eine F-Moll-Harmonie setzt und uns wieder in J.R.R. Tolkiens Mittelerde zurück holt.
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ber bevor die Handlung weitergehen kann, müssen wir uns erst wieder erinnern. So werden wir wieder
zurück nach Moria geführt, zur düstersten Stunde der Gemeinschaft, als diese gerade die Brücke von
Kazad-dûm passiert hat; gefesselt warten sie auf Gandalf den Grauen, der den Balrog zurückhält. Shores Musik spitzt sich zu und kehrt zurück zum selben Zwergenstil, der für das letzte Erscheinen der unterirdischen
Stadt genutzt wurde. Blöcke von Blechbläsern und Trommlern schaukeln sich gegenseitig hoch, als das Vordringen des Balrogs die Brücke zusammenfallen lässt. Howard Shore hat diese Sequenz für „Die Zwei Türme“
neu geschrieben, wählte aber gleiche Passagen wie in „Die Gefährten“. „Das Schlagwerk ist ähnlich und das
Ausrutschen Gandalfs wurde gleich untermalt“, erinnert sich der Komponist. Mit einem Zusammenzucken
des Orchesters lassen wir die Gefährten zurück und fallen mit dem Zauberer und dem Dämon die steinigen
Eingeweide Morias herab. Der Chor mit Philippa Boyens Text „The Abyss“ tritt ein, während die ansteigenden Kolonnaden des Moria-Themas und die stechenden Blechbläserpyramiden des ‚Dunkle Orte der Welt‘Themas um die Vorherrschaft kämpfen.
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er Soundtrack peitscht weiter auf zu einer rhythmischen Ekstase bis Gandalf und der Balrog in eine
gewaltige Höhle hinabstürzen. Die Beiden haben die Welt der Zwerge verlassen und der Soundtrack
wechselt schlagartig zu einem großartigen Akkord aus gemischten Chor und arpeggierten, tiefen Streichern.
Stimmen im 3/4-Takt singen in den elbischen Worten, Quenya, „The Fight“. Ein letzter gewaltiger Aufschlag
begleitet den Kampf in den See, sodass Frodo aus einem beunruhigenden Traum wachgerüttelt wird.
2 | „Elven Rope“ - Elbenseil
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in erster Auftritt der Roha-Fanfare, verkörpert durch verhaltene Streicher, eröffnet offiziell den zweiten Teil der Saga, „Die Zwei Türme“. Und
es wird ein düsterer Teil werden. Während Frodo und Sam versuchen, die
steilen Steinhänge herunter zu klettern, ruft Shore die schweren Zeilen des
‚Böse Zeiten‘-Motivs, eine Variation des ‚Die Suche nach dem Ring‘-Themas,
vereint mit dem Leid und der Anstrengung, die der Eine Ring über Mittelerde gebracht hat, auf den Plan. Dieses Motiv ist das einzige, das in „Die Zwei
Türme“ mehr als einmal vorkommt.
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rodo und Sam ertragen das eigentliche Leid dieser Geschichte: Sie müssen die Bürde des Ringes tragen, dessen Einfluss nun immer größer wird.
Am Anfang dieses Kapitels beginnt das Hobbitduo, dies zu begreifen. Shore
wechselt hier zwischen Hoffnung und Verbissenheit, die durch verwahrloste
Interpretationen des Auenlandthemas rotieren, dennoch sind dessen leise,
jubelnde Klänge immer noch vertreten. Der Ring hat jedoch schon begon-
In der Entstehung
Im fertigen Film wurde
das
Auenland-Thema,
das direkt nach den aufgeweckten Phrasen unter Sams unbeständigen
Knoten einsetzt, durch
eine Version den ‚Böse
Zeiten‘-Themas auf dem
Englischhorn
ersetzt.
Auf dieser CD wurde die
warme, wenn auch kurzweilige Ruhe durch das
Auenland-Thema wiederhergestellt.
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DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
nen, seine Wundstellen an Frodo zu hinterlassen. Als der Hobbit die Vision von Saurons lidlosem Auge hat,
drängen die Töne Mordors die bisher herrschende Lebhaftigkeit mit denselben Akkorden, die bei den Ringgeistern benutzt wurden, zurück.
3 | „Lost In Emyn Muil“ - Verloren In den Emyn Muil
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uf ihrem Weg gönnen sich Frodo und Sam für einen Augenblick einige für
Hobbits grundlegende Annehmlichkeiten - etwas Ruhe und etwas zu Essen
-, als Sams kulinarischer Enthusiasmus den Geist seines Freundes stärkt. Klarinetten vertonen eine nachdenkliche Abwandlung des Auenland-Themas und
Shore erlaubt dem Thema, sich unverfälscht zu entfalten. „Manchmal verarbeite
ich die Themen fast unmerklich, und manchmal gebe ich sie direkt wieder.“
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ie Annehmlichkeiten dauern aber nicht lange an. Früh setzt eine gewundene Passage einer Altflöte und einem Englischhorn ein und erinnert
uns daran, dass die beiden Hobbits immer noch verfogt werden. Das ‚Mitleid
mit Gollum‘-Thema (‚Sméagol‘-Thema) setzt ein, wird aber kurz darauf von
Blechbläsern und Streichern verdrängt. Die ominöse Stille der Umgebung
wird durch eine kurze Choreinlage beschrieben, mit dem Text aus „The Road
To Mordor“, einer Sindarin-Übersetzung derselben Zeilen, die Gollum später im Film sprechen wird.
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Ungenutztes Konzept
Shore komponierte und
spielte eine frühe Version dieser Szene ein, die
im Inhalt beträchtlich
anders war. Im originalen Entwurf stellten sich
progressive Chöre über
statische Einblendungen
tiefer Streicher. Ungefähr
die Hälfte dieses Materials wurde im endgültigen
Soundtrack eingebunden,
um die felsige Landschaft
genauer zu beschreiben.
„Die Wahl fiel auf ein daraus zusammen gesetztes
Stück“, führt er an.
ie geschundene Kreatur kehrt zurück, um seinen geliebten Schatz wieder zu bekommen. Er ist kein passiver Charakter mehr und wird nun
von dem neuen ‚Bedrohung durch Gollum‘-Thema begleitet, untermalt von
nervösen Tönen eines Cimbaloms. Gollums Plan jedoch bleibt nicht unbemerkt: Als er über den Hobbits auftaucht, entsteht ein hektischer Kampf, begleitet von lauten, chaotischen
Blechbläsern, die sich gegen ansteigende Streicher wehren. Nach einem Ausbruch des Beißens, Schlagens
und Kratzens findet sich Gollum an Bilbos altem Schwert Stich wieder. Als er nun der Gnade der Hobbits
ausgeliefert ist, zittert und schluchzt Gollum, und ein weiteres Mal bebt das Cimbalom unter ihm.
4 | „My Precious“ – Mein Schatz
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n ein Seil gebunden versucht Gollum mit den Hobbits zu verhandeln. Als er wieder seine untertänige Gestalt annimmt und um Barmherzigkeit bittet, wird sein trauriges ‚Mitleid‘-Thema wieder eingespielt. Er
ist immer noch zwiegespalten in den armen Sméagol und den fiesen Gollum. Altflöte und Englischhorn spielen das ‚Mitleid‘-Thema bis Gollum seine Hilfe anbietet und damit auf den Ring schwört. Die Oboe schafft
den Übergang in das ‚Geschichte des Ringes‘-Thema und verbindet auf diese Weise zum ersten Mal Gollums
‚Mitleid‘-Thema mit dem ‚Geschichte des Ringes‘-Thema.
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am ist argwöhnisch. Er hetzt den Gefangenen zu einem auf tiefen Streichern gespielten Ausläufer des ‚Mitleid für Gollum‘-Themas, während
Frodo mehr Verständnis für Gollums missliche Lage zeigt. Er sieht in Gollum sein eigenes Leiden und seinen inneren Zwist – und womöglich seine
eigene Zukunft. Er fordert Gollum auf, sie nach Mordor zu geleiten und
passend dazu führt Shore ‚Der Weg nach Mordor‘ ein – ein neues Mitglied
des musikalischen Arsenals um Sauron; dazu spielt ein Waldhorn über ungeduldig Tremolo spielende Streicher. Gollum stimmt der Aufgabe zu und
führt sie in Saurons Land.
In der Entstehung
Der Ausbruch des Chores
„The Missing“ am Ende dieses Titels wurde im Film
nicht verwendet, ist hier
aber an seiner zugedachten
Stelle zu hören.
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ährend Gollum befreit ist und schnellen Schrittes durch die messerscharfen Felsen der Emyn Muil
prescht, wird er von einer grotesken Variante seines ‚Bedrohung durch Gollum‘-Themas begleitet, welches gleichermaßen die Reisemusik darstellt; erst auf dem Cimbalom, dann auf einem gestopften Waldhorn.
Bläser und Streicher nehmen die ersten drei Noten des ‚Mitleid für Gollum‘-Themas auf und schleudern sie
durch ein harmonisches Spektrum, während Gollum die Hobbits anführt und das Trio von der Bildfläche
verschwindet.
5 | „Uglúk’s Warriors“ – Uglúks Krieger
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errys und Pippins Reise aus dem Auenland in südöstlicher Richtung war keinesfalls einfacher. Die
Zwei wurden von den Uruk-hai am Ende von „Die Gefährten“ gefangen genommen, gefesselt und auf
derbe Art und Weise auf den Schultern der Uruks durch Mittelerde getragen. Während die Horde voranschreitet, lebt Shores Komposition mit schroffen, grunzenden Blechbläsertönen auf; Waldhörner hallen in
ihren tiefsten und kehligsten Tonlagen, Klarinette und Fagott nehmen den Anfang einer entschlossenen aber
angespannten Variante des ‚Auenland‘-Themas auf. Merry und Pippin wurde bisher noch kein Leid zugetan.
Diese stolze Variation wird durch nachhallende Blechbläser beendet, denn die Uruks sind wieder in Bewegung. Die Partitur begleitet die brutalen Absichten, als sich die Hammerschläge des Fünfvierteltaktes in die
musikalische Umgebung zwängen und das ‚Isengard/Ork‘-Thema zurück in die Partitur einschleusen.
6 | „The Three Hunters“ – Die drei Jäger
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in Mensch, ein Elb und ein Zwerg bilden den Rest der Gefährten, die nun
Merry und Pippin hinterherjagen, während Frodo und Sam den Ring
hüten. Obwohl sie ihre Reise dezimiert fortsetzen, ist ihre Aufgabe nicht weniger nobel. Daher wird dieses interkulturelle Trio von der energischsten
Auslegung des ‚Gefährten‘-Themas in „Die Zwei Türme“ begleitet. Passend
im Dreiertakt komponiert, beginnt das ‚Gefährten‘-Thema unausgeglichen
und passiert dann für Gimlis Erscheinen eine eher zwergische Variation.
Während die drei Jäger mutig voraus eilen, überwiegen majestätische Blechbläser-Variationen des ‚Gefährten‘-Themas wobei die Streicher heftig durch
die Begleitungen fliegen. Die Melodie hat seit dem ersten Film einiges an
Glanz verloren, ist aber noch nicht bereit, eine Niederlage einzustecken. „Es
ist nicht ganz so heroisch wie in Moria“, sagt Shore. „Es ist immer noch energisch, aber dies hier ist nur ein Teil der Gemeinschaft, und ihr Abenteuer
verläuft momentan nicht gerade gut.“
In der Entstehung
In der Extended Edition
des Filmes bleiben die
ersten Aufnahmen Isengards ohne Musik, um
den Fünfvierteltakt für
eine spätere Sequenz, in
der die Uruk-hai den Fangornwald abholzen, aufzusparen. Hier ertönt das
Schema an seiner dafür
vorgesehenen Stelle.
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ie ‚Gefährten‘-Variationen werden in ihrer Intensität gedrosselt, als das Trio auf einem Hügel Halt macht
und über die Ebenen von Rohan schaut. Die erste Hälfte des ‚Rohan‘-Themas verkündet das neue Land
in einer einfachen, bescheidenen, royalen Weise. Doch das Klangbild verbittert, als Legolas den Pfad der
Uruks entdeckt. Die Kreaturen bringen die Hobbits zu Saruman nach Isengard. Einem feindlichen Übergriff
nahekommend, erfasst die dichte, schief klingende Musik Isengards und Mordors die feine Symmetrie des
‚Gefährten‘-Themas.
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sengards Fünfvierteltakt beginnt als geschichtetes Klangmuster unter zunehmenden Blechbläserakkorden,
wird aber binnen kurzer Zeit von dem schneller werdenden Skip-Beat [der erste Schlag eines jeden Taktes
wird ausgelassen und durch eine Achtelpause ersetzt] verdrängt, der wiederum von der Musik Mordors übertrumpft wird. Von diesen schartigen Tönen ummantelt entbrennt Saurons exotisches Thema; zuerst in den
Waldhörnern, dann in gedämpften Trompeten und in der marokkanischen Rhaita. Saruman lässt von der
Vision in seinem Palantír ab, um seine Armee zu mobilisieren; das ‚Isengard‘-Thema und der Fünfvierteltakt
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treten wieder in den Vordergrund. Aber der Weiße Zauberer wird nun durch einen neuen musikalischen Verbündeten ermutigt: Kratzende Bruchstücke der absteigenden Terz Mordors vermischen sich mit einem deformierten ‚Isengard‘-Thema. Sarumans Bindung zu Sauron hat sich seit „Die Gefährten“ verstärkt. Obwohl
sich musikalische Phrasen wie ‚Die Bedrohung durch Mordor‘ oder die ‚Mordor‘-Skizze einst in der Nähe des
Isengard-Materials bewegten, vermischt sich die absteigende Terz nun direkt damit.
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s ist ein gefahrenbringendes Bündnis, auf das Saruman bereits prahlt: „Wer behauptet sich nun noch
gegen das Heer von Isengard und Mordor. Wer behauptet sich gegen die Macht Saurons und Sarumans
und gegen das Bündnis der zwei Türme?“
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sengards Armeen wurde befohlen, ein kleines Dorf in den
Randgebieten Rohans anzugreifen. Als eine Mutter ihre
zwei kleinen Kinder voraus schickt, um deren Leben zu retten, ertönt ein Chor im ‚Gefährliche Zeiten‘-Motiv und stimmt
ein Klagelied in der Sprache der Rohirrim, Altenglisch, an.
„Rohan, mein Herr, steht kurz vor dem Fall“, verspricht der
Weiße Zauberer.
7 | „The Banishment of Éomer“ – Die Verbannung Éomers
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omer entdeckt den verwundeten Sohn des Königs und
bringt ihn zurück nach Edoras. Er bittet Théoden eindringlich, Rohan ordnungsgemäß vor Sarumans Vormarsch
zu schützen. Aber der König bleibt stumm. Während dieser
gesamten Rohansequenz meidet Shore, bis auf eine frühe
Fassung des ‚Éowyn‘-Themas, sämtliche Leitmotive. Anstatt
dessen befasst er sich ausschließlich mit den musikalischen
Ausdrucksweisen Rohans: offene Harmonien, alternierende
Dur- und Moll-Modi, tiefstimmige Blechbläser und Streicher.
Die Bedrängnis um den Einen Ring hat Edoras noch nicht erreicht – zumindest noch nicht spürbar – und so verbleiben die
Rohirrim am Rande des Geschehens. „Dies wurde als Oper
geschrieben“, sagt Shore. „Kleine Mienenspiele, kurze Augenblicke und Pausen – solche intimen, dunklen und gotischen
Szenen verleihen dem Handlungsablauf die Gestalt einer Oper
aus dem neunzehnten Jahrhundert.“
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ríma Schlangenzunge begibt sich aus den dunklen Ecken
Meduselds um dem König das Sprechen abzunehmen.
Schaudernde Akkorde in F-Moll benetzen die Streicher und
türmen sich immer höher über die tiefen Blechbläser auf, während ein Trotzanfall von sich wiederholenden Waldhörnern
das Ensemble entrüstet.
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ndernorts beschreiten die Gefährten des Ringes das Land
der Pferdeherren, dicht auf den Fersen der Uruk-hai. In
demselben Maße wie die Orks ist nun das Isengard-Material
angespornter und aggressiver. Als die bösen Mächte in ihrem
Feldzug über Mittelerde immer weiter voranschreiten, nimmt
die Isengard-Musik eine parasitäre Stellung ein und windet
In der Entstehung
Die Zuhörer werden bemerken, das „Die
drei Jäger“ und „Die Verbannung Éomers“
einige identische Rhythmen enthalten.
Das Ende von „Die drei Jäger“ beinhaltet
eine Andeutung auf Éowyns Hauptthema, ‚Éowyn, Schildmaid der Rohirrim‘.
Die Kinoversion von „Die Zwei Türme“
zeigt nach dem Angriff der Uruks auf die
Westfold direkt, wie Éowyn einige Treppen hinauf hetzt, um auf den verwundeten Théodred zu treffen.
Auf der erweiterten DVD-Version des
Films geht Éowyns Treppensteigen eine
weitere Szene voraus, in der Éomer den
Körper Théodreds an einem Flussufer
entdeckt. In diesem Falle wird „Die drei
Jäger“ aus der Szene ausgeblendet, bevor
es zu Ende ist. Am Ende der Komposition
existiert zwar das ‚Éowyn‘-Thema, doch
bleibt es aufgrund des Schnittes ungehört. Da „Die drei Jäger“ in den Complete
Recordings nicht vorzeitig ausgeblendet
wird, kann man das ‚Éowyn‘-Thema bei
Minute 5:58 hören.
Auf der DVD beginnt Shores „Verbannung
Éomers“, als Éomer Théodred zurück
nach Edoras trägt. Éowyns Treppensteigen schließt sich kurz danach an, sodass
bei Minute 0:31 dasselbe ‚Éowyn‘-Thema
zu hören ist, das ursprünglich „Die drei
Jäger“ in der Kinoversion beenden sollte.
Die Complete Recordings beinhaltet die
unveränderten Fassungen von „Die drei
Jäger“ und „Die Verbannung Éomers“,
sodas die frühe Version des ‚Éowyn‘-Themas in beiden Stücken spielt.
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sich korrumpierend ihren Weg in jede Musik, auf die sie trifft. Hier zwingt sich Isengards Fünfvierteltakt auf
das ‚Gefährten‘-Thema und verunstaltet so die Melodie mit seiner ganzen mechanischen Macht. Über diesem
Angriff singt ein gemischter Chor unheilvoll Bruchstücke aus „Namárië“ um einen Abschied anzukündigen
... nur wem ist dieser bestimmt?
8 | „Night Camp“ – Nachtlager
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ie Orks verbringen die Nacht am Rande des Fangornwaldes. Merry und Pippin hören die Bäume aus
Protest über die neuen gewaltsamen Ankömmlinge stöhnen; doch schon bald ertönt eine wohlklingende
Melodie. Eine Klarinette, die an die Hobbitweise erinnert, spielt das Thema der ‚Rückforderung der Natur‘,
ein Thema, das, seitdem Gandalf der Graue auf der Spitze Orthancs zur Motte geflüstert hat, nicht mehr zu
hören war. Merry erzählt Pippin die Legende von Fangorn und den Ents. „Hier hört man einen kleinen Teil
des ‚Natur‘-Themas, welches später noch einmal auftauchen wird“, bemerkt Shore.
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ie Erzählung wird rasch von der Gier der Orks nach Fleisch unterbrochen. Als ein dürrer Mordor-Ork
behauptet, er habe seinen Hunger für Hobbitfleisch lange genug zurück gehalten, jagt eine abweichend
harmonisierte Drei-Noten-Phrase für die Blechbläser und das gestreichelte Tamtam einher und schreckt das
Orchester auf. Uglúk enthauptet den Ork und beschert seinen Kriegern eine kannibalische Leckerei. Doch
während der anschließenden Fütterungsekstase sucht ein weiterer ausgemergelter und lederiger Ork, Grishnákh, sein Verlangen nach den Hobbits zu sättigen.
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n einem rasenden Tusch der Streicher und Blechbläser erfolgt Merrys und Pippins Rettung wieder einmal
gerade noch rechtzeitig; dieses Mal durch die Reiter Rohans. Während die Orks abgeschlachtet werden,
bringt Shore seine Partitur auf Vordermann, indem er eine krampfartige Panik des hämmernden Schlagzeuges, der messerartigen Trompeten und des kläffenden Geheuls der hohen, improvisierenden Waldhörner
inszeniert.
9 | „The Plains of Rohan“ – Die Ebenen von Rohan
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egleitet von schweren Rasseln fliegen
Celli und Fagott über die Mollpassagen.
Die Reiter von Rohan traben auf die Gefährten zu. Während sie die drei Jäger umzingeln, hört man tiefe Blechbläser und hohe
Holzblasinstrumente, die in Tonpaaren ansteigen, ähnlich der Musik während des Angriffes der Rohirrim auf das Orklager. Gimli,
der keine Anstalten macht, sein zwergisches
Temperament zu zügeln, beginnt sofort damit, Éomer zu beschimpfen. Obwohl dies
nicht gerade ein vielversprechender Start
ist, so ist dies dennoch die erste Zusammenkunft zwischen den Gefährten und den
Rohirrim. Diesen Zustand nutzt Shore, um
ein neues Thema in einer noch nicht ausgereiften Form einzuführen: ‚Die Gefährten in
Rohan‘. Jene Phrase wird fortan die Anwesenheit der Gefährten im Land der Pferdeherren begleiten.
Ungenutztes Konzept
Die Musik für die Szene, in der die Reiter die Orks attackieren, wurde durch Musik, die für eine andere Szene in „Die
Zwei Türme“ geschrieben wurde, ersetzt. In den Complete
Recordings ist jedoch Shores aufrührerischer, endgültiger
Entwurf der Musik zu hören, der das Gewirr und die Brutalität der Szene wiederzugeben weis.
Allerdings beinhaltete der allererste Entwurf der Komposition eine schwungvolle Fassung des ‚Rohan‘-Themas – die
Fanfare. Es wurde jedoch entschieden, dass die volle Version der Fanfare nicht spielen sollte, bis Théoden den Thron
von Meduseld zurück gefordert hat. Somit wurde die vorliegende Szene in einem Moment der Panik, nicht der Heldentaten, umgestaltet. Die Version der Rohan-Fanfare wurde
nie aufgenommen – es ist das einzige Stück Musik aus „Die
Zwei Türme“, das es nicht bis ins Tonstudio geschafft hat.
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omer offenbart den Gefährten, dass sie in der vorherigen Nacht eine Meute Orks erschlugen und ihre
Körper auf der Ebene verbrannten. Sie sahen unter ihnen keine Halblinge, niemand wurde am Leben gelassen. Diese Worte lasten schwer auf Aragorn, Gimli und Legolas. Eine resignierte Fassung des ‚Gefährten‘Themas wird von einem Horn und einer Harfe gespielt und verleiht der Komposition eine unbeirrbare, dunkle und leidvolle Wendung.
10 | „Fangorn“ – Fangorn
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ragorn, der Waldläufer aus dem Norden, sucht den Boden um
den Scheiterhaufen der Orks nach Spuren ab – die Hobbits
waren tatsächlich hier. Aragorn macht ihre Wege durchs Gras ausfindig und die Partitur legt eifrig zu; die Akkorde springen nun zwischen den mittleren und tiefen Stimmlagen des Orchesters hin und
her. Er verfolgt ihre Spuren, die ihn an den Rand des Fangornwaldes führen. Die Musik schaudert und es ertönen zwei Dur-Akkorde,
einen Tritonus voneinander entfernt (A und Es). Ein neuer Klang
ist zu hören: Ein tiefes, grummelndes Rollen auf der Bassmarimba
stellt die Musik der Ents in einer frühen Fassung ihrer steigenden
und fallenden Bögen und der trägen Rhythmen vor. Dennoch ist
das Thema unvollendet: Es fehlen noch die charakteristischen Harmonien. Fangorn ist ein geheimnisvoller Ort, und es ist noch nicht
klar, ob dieses Land die Hobbits willkommen heißen wird.
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m Unterholz des Fangorns kauernd, werden Merry und Pippin
von Grishnákh, nun hungrig, blutüberströmt und mehr als nur
ein wenig verärgert, entdeckt. Während er auf die beiden zustürmt,
entwickelt sich die Partitur zu einer rasenden polyrhythmischen
Feuersbrunst, in der sich Mordors Skip-Beat und Isengards Fünfvierteltakt düster vereinen. Die Kombination ist recht interessant,
da es sich hier um einen Ork aus Mordor handelt; somit hat sich
der Isengarder Fünfvierteltakt durch das gesamte Volk der Orks,
die Feinde der Natur, gestreut. „Dieser Teil war kniffelig“, erinnert
sich Shore. „Es hat eine Weile gedauert, die rhythmischen Elemente und den Fluss des Stückes zu bewerkstelligen.“
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as Hobbitduo schafft es, einen Baum hinauf zu klettern. Doch
der Ork erwischt Merrys Bein, zieht ihn vom Baum und schleudert ihn in den Dreck. Noch einmal wallt die Partitur auf und verdreht den Fünfvierteltakt in ein brodelndes Durcheinander, indem
sie die typischen 3-plus-2-Schläge in 1,5-plus-1,5-plus-2 unterteilt.
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In der Entstehung
Etliche Abschnitte der Fangorn-Kompostionen wurden im endgültigen
Film gar nicht verwendet. Die ersten
45 Sekunden des Stückes waren dazu
gedacht, Aragorns Spurenlesen zu untermalen, wurden jedoch später durch
Soundeffekte ersetzt. Die ersten Schläge auf der Bassmarimba waren ursprünglich für eine Weitwinkelaufnahme der Baumreihe bestimmt, und die
zweite und dritte Wiederholung jener
Dreiklänge für Baumbarts zermalmenden Tritt auf den Ork; sie wurden jedoch mit einer anderen Musik ersetzt.
Nachdem Baumbart musikalisch gekennzeichnet wurde, wird er lediglich
von der entischen Bassmarimba, der
Log Drum und tiefen Streicherphrasen
begleitet – das Fagott wurde aus dem
Film beseitigt. „Peter hat versucht, das
Fagottsolo einzubauen, aber es waren
bereits so viele Tonspuren vorhanden,
sodass wir es nicht benutzt haben“, erinnert sich Shore.
Auf dieser CD haben alle Elemente
aus Shores Komposition an ihren ursprünglichen Platz zurückgefunden.
ie Partitur ruht sich kurz auf einem einfachen, natürlichen C aus, als der Ork sein Schwert erhebt, um es
der Länge nach in Merrys Bauch zu rammen. Auf einmal öffnen sich vor Pippin zwei Augen, und auch
der Hobbit reißt seine eigenen vor Schreck weit auf. Ein weiteres Mal benutzt Shore zwei Dur-Dreiklänge, die
einen Tritonus voneinander entfernt liegen (dieses Mal As und D). Der Fünfvierteltakt versucht, sich in der
Musik durchzusetzen, wird aber schnell von den Kesselpauken, der Basstrommel, den tiefen Streichern und
den Oktaven im Tremolo am Klavier abgeflacht. Die Fassungslosigkeit, ausgedrückt durch den Tritonus, ertönt ein weiteres Mal in gedämpften Blechbläsern, als eine große, mit Rinde ummantelte Kreatur die beiden
Hobbits hochhebt und sie ansieht.
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aum? Ich bin kein Baum! Ich bin ein Ent.“ Da Baumbart seine wahre Natur offenbart, verändert sich
auch das Klangbild: Aus der aggressiven und gefährlichen Gestalt wird ein schwankender und wohlmütiger Charakter. Dies ist die unverkennbare Musik der Ents in ihrem vollständig entwickelten Stadium.
Bassmarimba, Log Drums und Streicher gleiten entlang, während das Fagott sich in einem tiefen Knarren an
einer charmanten und schwerfälligen Melodie probiert.
11 | „The Dead Marshes“ – Die Totensümpfe
M
it einer abgeschwächten, unvollständigen Fassung des ‚Auenland‘-Themas führt Gollum Frodo und
Sam aus der Emyn Muil in die Totensümpfe. Die Totensümpfe sind ein entsetzliches und von Geistern
heimgesuchtes Land, doch Gollum weiß, dass sie einen sicheren Pfad nach Mordor bieten. Die Eröffnungsharmonien für Gollums ‚Mitleid‘-Thema (B-Dur und Fis-Dur), schwellen an und ebben wieder ab als sie ihren Weg fortsetzen. Als sie das Moor betreten, bleibt jedoch ein Schleier von hauchdünnen Tönen bestehen;
Grüppchen von improvisierenden Streichern, Kesselpauken und das metallene Gejammer eines gebogenen
Tamtams winden sich durch die bedrückende Atmosphäre.
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in schwerwiegendes Unbehagen ist es jedoch, das Frodo und Gollum miteinander verbindet. Gollum
kennt die schmerzvolle Verlockung, die von dem Ring ausgeht, und Frodo sieht in Gollum etwas, das
seine eigene Zukunft sein könnte. Teils aus Verständnis, teils aus machtloser Hingabe an seinen Schatz unternimmt Gollum Annäherungsversuche an Frodo. Ein Englischhorn verspottet die beiden indem es die Anfangstöne des ‚Geschichte des Ringes‘-Themas anspielt. Diese Melodie wird jedoch nicht zu Ende geführt,
sondern durch die ersten vier Töne des ‚Mitleid für Gollum‘-Themas aufgefangen, welche sich untermischen
um die Phrase nun künstlich zu beenden.
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usgeprägte Portamentos begleiten die Komposition in eine eher makabere Richtung. Als die toten Menschen, Elben und Orks, die die Sumpfgewässer übersäen, auf die Lebenden zurückstarren, werden durch
die lyrische Sopranistin Isabel Bayrakdarian und einige Geigen die Töne bedächtig nach oben gebogen. Frodo
wird in ihren Bann gezogen und der Schleier aus improvisierenden Streichern und Kesselpauken schwächt
ab. Frodo fällt in das trübe Gewässer, umgeben von dem Sprechgesang „The Dead Marshes“.
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ährend die Hörner mit Wucht ausbrechen holt Gollum Frodo aus dem Wasser und zieht ihn an Land.
Gollum, teilweise in Sorge um seinen Meister, gibt jenem einen Rat: „Folgt nicht den Lichtern.“ Tiefe
Streicher entfalten eine im arpeggio gespielte F-Dur-Variante des ‚Mitleid für Gollum‘-Themas – ein heroischer Moment? Es ist vorübergehendes Heldentum (falls es überhaupt Heldentum ist), denn die Streicher
verblassen schnell wieder zu einem F-Moll-Arpeggio.
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s ist Nacht und Frodo liegt wach. Er fährt mit seinem
Finger behutsam über die Außenkanten des Ringes.
Wieder einmal erklingen die ersten Töne des ‚Geschichte des Ringes‘-Themas in den Streichern und überlagern
sich in Oktaven. Phantasierend über seinen ehemaligen
Besitz des Ringes ahmt Gollum Frodos Benehmen einige
Fuß entfernt nach und zeichnet so ein trostloses Bildnis
der Zukunft des Hobbits.
In der Entstehung
Teile dieser Komposition werden im Film nicht
verwendet. Darunter fallen insbesondere Frodos Begegnung mit den Geistern im Wasser,
Gollums flinkes Rettungsmanöver und Frodos
Liebkosung des Ringes. Auf dieser CD ist die
Musik so zu hören, wie Shore zu ursprünglich
geschrieben hat.
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12 | „Wraiths On Wings“ – Geister mit Flügeln
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iolinen schwellen entlang den drei Anfangstönen des ‚Mitleid für Gollum‘-Themas an. Aber anstatt dass
sie, der Linie folgend, wieder nach unten hin abschwellen, gleiten sie in unheimlicher Weise nach oben
und erzeugen zwei seufzende, einen Halbtonschritt voneinander entfernte Töne – die ersten Noten des ‚Geschichte des Ringes‘-Themas. Frodo kommt Gollums Vergangenheit auf die Spur und nennt ihn zum ersten
Mal in der Geschichte sogar Sméagol; und in einer einzigen Passage sagt uns die Partitur alles, was wir wissen
müssen. Gollums trauriges Thema verflechtet sich nun mit dem ‚Geschichte des Ringes‘-Thema und beide zusammen bilden sie ein leidgeplagtes Klangbild. Gollums Geschichte ist im Grunde die Geschichte des Ringes.
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iese Offenbarung ist jedoch nur von kurzer Dauer. Eine raue
Abfolge natürlicher Ds in gleichmäßigem Abstand drückt die
aus mehreren Teilen bestehende ‚Weg nach Mordor‘-Phrase zurück in die Partitur und lenkt die Blickrichtungen gen Himmel. Ein
Ringgeist, nun fliegend auf seinem Reittier, dem „Fell Beast“, und
immer noch auf der Suche nach dem Einen Ring, erscheint über
Gollum und den Hobbits. Ein gemischter Chor trägt die Schwarze
Sprache und die geschlossenen Harmonien der Ringgeister zurück
in die Partitur. Mit einem schnellen Vorstoß des Themas der ‚Bedrohung durch Mordor‘ bricht das Thema der Ringgeister durch
das Klangbild – jede Melodie wird nun durch die gedämpften
Trompeten verdoppelt und erinnert somit an den bedrückenden
Ton der Rhaita.
Ungenutztes Konzept
Die Erscheinung der Ringgeister im
fertigen Film war von verschiedenen Choreinlagen begleitet und war
durch eine geringere Entwicklung im
‚Ringgeist‘-Thema gekennzeichnet.
Auf dieser CD ist die Komposition so
zu hören, wie Shore sie ursprünglich
geschrieben hat.
13 | „Gandalf the White“ – Gandalf der Weisse
Z
urück im Fangorn, setzen die drei Jäger ihre Suche nach Merry und Pippin fort. Tropfen von schwarzem
Orkblut zeigen zwar an, dass sie dabei Fortschritte machen, aber die Unheimlichkeit des Waldes hat das
Trio längst in ihre Obhut genommen. Shores ‚Ent‘-Thema wird in den extremen Enden der Streicher aufgenommen – hohe schaudernde Violinen und rumorende Kontrabasse und Celli. Die Mitte des Orchesters
unterdessen, zappelt und bellt mit gedämpften Hörnern und dem Klopfen der Log Drums. „Die Bäume sprechen miteinander“, stellt Legolas fest, als ein gleichförmiger Aufbau der Musik beginnt: Ein Summen kratzt
in den Streichern, den Blasinstrumenten, den Kesselpauken und dem Tamtam. Die Strukturen steigen in
ihrer Lautstärke an und verkomplizieren sich, als der Elb fortfährt: „Der weiße Zauberer nähert sich.“
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it einem plötzlichen Aufwärtsschwung von abgestuften Blechbläsern, drehen sich Aragorn, Gimli und
Legolas um, um den Eindringling zu attackieren, aber ihre Angriffe bleiben erfolglos. Ein pulsierender
Orgelpunkt [ein lang ausgehaltener und in bestimmtem Rhythmus wiederholter gleicher Ton, zu dem sich
andere Stimmen harmonisch frei bewegen] schlägt unter dichten Moll-Harmonien, als intensives weißes
Licht das Trio einhüllt. Gefolgt von einem letzten Knäuel von improvisierenden Streichern, löst sich die Musik in klare, pure Helligkeit auf. Hohe Streicher verdichten sich in Oktaven mit weiblichen Stimmen, die wiederholend Triolenphrasen singen. In vier mit einem Bindebogen versehenen Takten führt Shore die Musik
von ‚Gandalf dem Weißen (in der Natur)‘ ein. Die Musik steigt in ungehemmter Pracht, gemäßigt nur durch
die Kürze ihres Auftretens. Dieses Thema artikuliert dieselbe einfache Richtung wie das ‚Rückforderungsthema‘. Aber der Chor trägt ein eingebettetes Geheimnis: Der Text entstammt Tolkiens „The Call“ und wurde ins
Altenglische übersetzt. Alle für Gandalf verwendeten Chortexte im „Herr der Ringe“ sehen den Zauberer als
Mittler, einen Charakter der sich zwischen den Kulturen Mittelerdes bewegt und diese beeinflusst. In Lothlórien wurde auf ihn in Sindarin- und Quenyatexten hingewiesen. In Moria begleitet das zwergische Khuzdul
seine Taten. Aber hier, im Fangorn, trifft Gandalf der Weiße auf Chortexte im Altenglischen, die auch für
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
Rohan charakterisierend sind. Der Zauberer wurde nun als Mittelsmann der Natur zurückgeschickt
und als solcher hat er ein größeres Wissen um die
Mysterien von Mittelerde. Er weiß, dass er die übrig
gebliebenen Mitglieder der Gefährten durch Rohan
führen muss.
A
ber zuerst muss Gandalf den Grund für sein
Wiedererscheinen erklären. Der Zauberer erzählt von seiner Prüfung mit dem Balrog und ihrem Aufstieg zum Gipfel des Zirakzigil. Shores Musik liefert leiseste Hinweise auf zwergische Musik:
Durchdringende Kesselpauken streichen über offene Quinten-Harmonien. Aber es ist nicht derselbe
intensive Kampf, der auf der Brücke von Khazaddûm begann. Nach zwei Tagen und Nächten sind
die Kämpfenden erschöpft. Das letzte bisschen Kraft
herbeirufend, setzt die Partitur einen finalen chorischen Hieb, der wieder Boyens Text „The Fight“
artikuliert, und Gandalf schlägt die Überreste des
Balrogs über den Rand des Berges.
G
andalf bricht auch zusammen - aber weder
bejubelt die Filmmusik, noch trauert sie über
das Ende des Kampfes. Stattdessen trudelt sie unter
tausend Nadelstichen auf Bläsern und Violinen zurück ins Leben. Nachdem die starken melodischen
Phrasen in den geballten tiefen Stimmen des Orchesters durch die weniger materiell begreiflichen
Winkel der Existenz geirrt sind, übergeben sie Gandalfs Geist wieder seinem Körper. Gandalf der Weiße wurde in die Welt zurück gebracht.
V
or der Gemeinschaft liegt nun die Straße nach
Edoras. Die Musik schnappt rhythmusbewusst
zu, doch Gimli protestiert, da er sich an den eigentlichen Grund zum Betreten des Waldes erinnert. Man
hört Teile der Hobbitmusik, die das Abschlussstück
beinhalten. Sie formieren sich wie die Gedanken
des Zwerges, bevor er sagt: „Sollen wir die armen
Hobbits etwa hier lassen…?“ Als Gimli es erneut fertig bringt, seine Gastgeber zu beleidigen, macht die
Partitur erneut einen Abstecher in Richtung EntMusik, die jedoch zu einer Ansammlung knarrender
Celli, Kontrabässen, Kesselpauken und Log Drums
reduziert wurde. Aber die spitzen Bemerkungen des
Sohns von Gloin sind gut gemeint. Er will Merry
und Pippin nicht veloren im Fangorn zurückzulassen. Gandalf ist allerdings zufrieden - die Hobbits
10
Ungenutztes Konzept
Die ursprünglich ununterbrochene musikalische Untermalung unter Legolas‘ Ausspruch „die Bäume sprechen miteinander“, bis zum Angriff auf den weißen
Zauberer, ist, so wie Gandalfs letzter Kampf mit dem
Balrog und seine mystische Odysee durch den Kosmos,
im Film durch Toneffekte ersetzt worden. „Die Filmmusik brauchte eine Pause“, erklärt Shore. „Oft wissen
wir das erst, wenn wir alle Elemente des Films montiert haben, und das machen wir oft erst sehr spät im
Pozess.“
Eine andere Entscheidung, den Schnittprozess betreffend, resultierte in einem glücklichen Unfall in der Musik zu Gandalfs Rückkehr nach Mittelerde. Zeitgleich zu
der Produktion zu „Die Zwei Türme“ unterlegte Shore
einzelne Szenen mit Musik noch während der Film geschnitten wurde, was bedeutet, dass er nicht immer
in der richtigen Reihenfolge schrieb. Er hatte gerade
eine lange Serie von anschwellenden Choral-Triolen
für Gandalfs bevorstehende Ankunft in Helms Klamm
fertiggestellt, als die Filmemacher begannen, Gandalfs
erste Erscheinung im Fangornwald zu schneiden. Die
Cutter nahmen die fertige „Helms Klamm“-Musik,
schnitten sie in den Fangornteil und fanden während
dieses Prozesses heraus, dass es exakt die Stimmung
ausdrückte, die sie suchten. Als Shore also begann,
diese Szene mit Filmmusik zu unterlegen, band er die
aufsteigenden Triolen ein und schaffte so im Prozess
ein wiederkehrendes Thema für ‚Gandalf den Weißen
(in der Natur)‘. Das Thema beschreibt die Beziehung
Gandalfs des Weißen zur Natur und jener übernatürlichen Kraft, die auch das Thema der ‚Rückforderung
der Natur‘ erschaffen hat. Nachdem Shore das Stück
fertig stellte, wurde das Thema letztendlich von der
Helms-Klamm-Szene entfernt. Und so existieren nur
auf dieser CD die Wiederholungen des ‚Gandalf der
Weiße (in der Natur)‘-Themas, die zwei der berühmtesten Momente von Gandalfs Erscheinen miteinander
verbinden.
Die im Film verwendete Abwandlung dieser Komposition enthält Schattenfells Erscheinen, obwohl in diesem Fall die Sequenz einfach umgeschrieben wurde,
mit einer leicht veränderten Ankunft Schattenfells.
Shores erster Entwurf für diese Musik ist auf dem Original Soundtrack von „Die Zwei Türme“ aus dem Jahr
2002 zu hören.
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
11
sind aus einem bestimmten Grund zu den Ents gestoßen. Seine naturbezogene Metapher („Das Kommen
von Merry und Pippin wird wie das Fallen kleiner Steine sein, das im Gebirge eine Lawine einleitet.“) geht
denselben vier hilfestellenden Akkorden (F#-Moll, G-Dur, F#-Moll, A Dur) voraus mit denen „Das Lied von
den Entfrauen“ beginnen wird. Aber hier sind sie in eine sich schwer erhebende Chorphrase gebaut, die, wie
‚Gandalf der Weiße (in der Natur)‘, auf die starken Variationen der Naturmusik deutet, die noch kommen
werden. Shore führt in dioramischer Form ein kräftiges symbolisches Vorgreifen ein – die einfache Güte der
beiden Hobbits wird die Vergeltung der Natur aufrütteln. Aber genau wie Gandalfs Worte ist der Weg zu diesem Ziel in Rätsel verschleiert.
W
ieder einmal ist die Musik jedoch einen Schritt weiter als die Handlung. Als die Akkorde den Chor aufbauen, verwendet Shore den Text „The Mearas“, welcher auf eine unmittelbarere Formwerdung der
natürlichen Welt hinweist – die bevorstehende Ankunft Gandalfs Rosses Schattenfell. Gandalf reitet nun mit
den drei Jägern, und die Gefährten haben ihre Zahl auf vier Mitglieder erhöht. Bei dieser Zahl führt Shore
ein neue Variante des Gefährten Themas ein: ‚Gandalf der Weiße (bei den Gefährten)‘. „Gandalf steht nun
in Zusammenhang mit dem Mysterium der Geschichte“, erklärt Shore die ausgedehnt majestätische Melodie, welche, wie ‚Gandaf der Weiße (in der Natur)‘, die hohen klaren Töne der Natur aufweist. „Er ist der
Charakter, der versucht, alles herauszufinden, immer ausreitet um Informationen einzuholen. Er ist ein Teil
des Unbekannten – er wurde wiedergeboren und wir wissen nicht wirklich viel über ihn.“ Die eröffnenden
ab- und wieder aufsteigenden Töne des ‚Gefährten‘-Themas abbauend, erschafft ‚Gandalf der Weiße (bei den
Gefährten)‘ die Brücke zwischen dem Willen der Natur und den Verantwortlichkeiten und Handlungen der
Gemeinschaft des Ringes.
14 | „The Dreams Of Trees“ – Das Lied von den Entfrauen
D
ie vier ‚Kleine Steine“-Akkorde (F#-Moll, G-Dur, F#-Moll, A-Dur) kehren wieder, als wir herausfinden,
dass Baumbart sich mit den Hobbits angefreundet hat und im Begriff ist, sie großzügig mit träger entischer Dichtkunst zu verwöhnen. Merry und Pippin sind in diesem Moment nicht gerade in der Stimmung für
Literatur und fallen wenig später in einen tiefen Schlaf. Die Streicher des Orchesters präsentieren die ersten
unberührten Momente der Ruhe und des Friedens in der Filmmusik, als die beiden Hobbits die kuschelige, gemütliche Stille genießen, welcher sie kürzlich erst beraubt worden waren. Eine Schlafliedfassung des
‚Auenland‘-Themas strömt zwischen opulenten Streichern und Solobläsern, als Baumbart die beiden Hobbits
auf die kühle Erde legt und ihnen eine gute Nacht wünscht. Er hat Geschäfte zu erledigen. Mit dem knarrenden ‚Ent‘-Thema unterstützt von tiefen Streichern und Kesselpauken stakst der Baumhirte in den Wald.
15 | „The Heir Of Númenor“ – Der Erbe Númenors
D
ie Augen nach Osten gewandt, beratschlagen sich Gandalf und Aragorn über die finstere Bedrohung, die bald
über sie hereinbrechen wird. Tiefe Streicher umgeben das Paar und schaffen in ihrer Unsicherheit unablässig
Felder von Moll-Harmonien. Aber aus der Ruhe ertönt ein unerwarteter Moment von Wärme, als Bratschen und
Chelli eine einvernehmliche Linie in D-Dur aufnehmen. Gandalf erinnert Aragorn, dass in all seiner Gerissenheit
Sauron immer noch nicht weiß, dass Frodo den Ring trägt. Hier präsentiert Shore ein neues Thema für den Einen
Ring – ‚Das Schicksal des Ringes‘ – ein Thema, das in „Die Zwei Türme“ nur in einer unvollkommenen Fassung
zu hören sein wird. Dieses vierte Ring-Thema ist melodisch ähnlich zu ‚Der Geschichte des Ringes‘ und das ‚Böse
des Ringes‘. Obwohl es in einem reichen Dur-Modus gegossen ist, scheut es die jeweiligen Moll- und östlich klingenden Harmonien der anderen Themen. ‚Das Schicksal des Ringes‘-Thema beginnt mit einem direkten Zitat des
‚Bösen Zeiten‘-Themas, wechselt dann aber in eine Dur-Tonart. Obwohl die neue Melodie sich auflöst bevor seine
Bedeutsamkeit aufgedeckt werden kann, scheint es, als antworte sie in einem fliehenden Moment der negativen
Seite des Ringes mit einer völligen, allumfassenden Schönheit. Die Antworten darauf werden jedoch noch nicht
artikuliert. In einer eingearbeiteten Erwähnung der drei Eröffnungstöne des ‚Auenland‘-Themas nimmt die Behaglichkeit ab und wir stoßen auf Sam und Frodo, die gerade am Schwarzen Tor ankommen.
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
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H
ier, im verderbten Herzen von Saurons Reich, erstarkt die Musik Mordors. Die Asche, benetzt mit dem
‚Die Bosheit des Ringes‘-Themas, verpestet die Luft. Erst untermalen gedämpfte Trompeten und die
Rhaita das Geschehen, dann tiefe Waldhörner, Bässe und Kontrabässe. Martialische Feldtrommeln verhärten die Musik unter einer erhöhten Fassung des Skip-Beats von Mordor - Sauron sammelt seine Armee.
D
as Tor öffnet sich, um eine Truppe von bewaffneten Ostlingen hereinzulassen - und Frodo sieht seine
Chance. Er rafft sich auf, um zum Tor zu hasten, als Violinen sich ballen und den Abschnitt zwölfteilen.
Abrupt wird Frodo von Gollum aufgehalten, heulend und bettelnd, „bring es nicht zu ihm.“ Hohe Streicher
und Oboe untermalen die Beratung mit einer flehenden Linie, die am Ende fast unmerklich in das ‚Geschichte
des Ringes‘-Thema übergeht. In einem durchdachten Schwenk deckt Shores Partitur leise Gollums selbstgerechte Motive auf, bevor dieser anbietet, die Hobbits auf einem geheimeren Pfad nach Mordor zu geleiten.
16 | „Ent-Draught“ – Entwasser
M
erry und Pippin erwachen im Fangornwald, erholt durch einen langen und längst überfälligen Schlaf.
Gut ausgeruht erlangen sie ihre schelmische Hobbit-Art zurück, und so bringt Shore auch zum ersten
Mal in „Die Zwei Türme“ wieder die Flöte zurück und präsentiert damit die frühe Version einer neuen Variation des ‚Auenland‘-Themas - die ‚Verspielte Fassung‘. Merry und Pippin mussten, mehr noch als Frodo und
Sam, darauf warten, ihr verschlagenes Verhalten während ihres Abenteuers zeigen zu können, so dass der
größte Teil der neuen ‚Auenland‘-Variation sich während ihrer Abenteuer entwickelt.
D
ie dumpfen Schläge auf Eins und Zwei in dem ‚Abschlussstück‘ der Hobbits gehen einem schwergängigen Stück der Ent-Musik voraus, als Merry die tiefen Geräusche des Waldes aufnimmt. Schon bald geraten die zwei Freunde in eine Zankerei über einen moderigen Krug Entwasser. Ein Klarinettensolo nimmt die
vollends ausgeformte ‚Verspielte Fassung‘ auf und es folgen die drei aufsteigenden Töne der Auenland-Musik
über eine Anzahl von anmutig federnden Harmonien. Dieselben eleganten, jedoch komischen Entwicklungen
erweitern das Abschlussstück und verschönern es mit der neuen ‚Begleitung zu den Hobbitmätzchen‘.
U
nterdessen geht die Unstimmigkeit der Hobbits in einen verrückten Kampf um das Waldlandgetränk
über und das ‚Hobbitmätzchen‘ verwandelt sich in ein leichtgewichtiges Aktionsmotiv, passend interpunktiert von einer hohen Streicherfassung des ‚Ent‘-Themas, das sich mit der Hobbit-Musik zu etwas Neuem vereint. Die Bäume im Fangorn sind nicht sehr erfreut über die neuen dreikäsehohen Besucher, die so
achtlos über ihre Wurzeln galoppieren. In Wirklichkeit sind es nicht die Ents selbst, die von Merry und Pippin genervt sind, denn der Fangornwald besteht aus Ents und Bäumen, und in ihrer Umgebung kann man
sie schlecht voneinander unterscheiden. Auf diese Weise benutzt Shore das ‚Ent‘-Thema allumfassend für
Bäume und Ents. Die Bäume erwachen, umgarnen die Hobbits und bugsieren sie unter den Waldboden, als
die Filmmusik das ‚Ent‘-Thema kontrapunktisch in den zwei extremen Registern des Orchesters einsetzt.
Nervös und hastig tragen tiefe Stimmen die grazile Phrase, während die höheren Stimmen sie mit halber
Geschwindigkeit nehmen. In einer gefährlichen Spannung durchmischen sich beide Stimmen, als die Musik
beschleunigt. Alles ist gut, als Baumbart zurückkommt und den Bäumen befiehlt zurück in den Schlaf zu fallen und die Hobbits in Ruhe zu lassen.
13
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
~ CD 2 ~
1 | „Edoras“ – Edoras
D
as ‚Gefährten‘-Thema verkündet die Ankunft der Gemeinschaft in
Edoras und in der Goldenen Halle von Meduseld. Sie werden von
der Hardangerfiedel begrüßt, die kratzig die Eröffnungstöne der ‚Rohan‘Fanfare hervorbringt. Die Fiedel wirft ein weitschweifendes, sanftes Licht
über die Landschaft Rohans und unterstreicht somit die Schönheit und die
Zerbrechlichkeit dieses Königreiches. Denn nicht alles in Rohan ist wohlauf. Die vierköpfige Gemeinschaft schreitet unter dem schweren Schatten
der Rohan-Harmonien voran – doch es gibt noch Hoffnung. Als sich die
Gefährten Meduseld nähern, beginnt eine ansteigende Variante des Themas ‚Der Weiße Reiter (In der Gemeinschaft)‘ – verdrießlich gekleidet in
der geknebeltsten von allen Rohanharmonien und doch präzise.
A
In der Entstehung:
Im Film wird das erste Erscheinen der Hardangerfiedel
zu Gunsten der Rohan-Fanfare, gespielt auf einer Trompete, aufgelöst. Auf dieser CD
sind die Trompete und die
Hardanger miteinander verbunden.
ber das Thema bricht ab und bleibt unaufgelöst. In der goldenen Halle erfährt Éowyn indes, dass ihr
Cousin, Théodred, in der Nacht gestorben ist. Schlangenzunge durchschneidet die Schatten mit eigennützigem Trost und kommt Éowyn unangenehm nah, während er sie in giftigen Worten umschleimt. „So
schön. So kühl. Wie ein blasser Morgen im Frühling, noch durchhaucht von Winterkälte.“ Als Éowyn innehält, gefangen in Grímas festem Blick, nimmt eine einzelne Oboe eine feinfühlige und gläserne Linie auf. Sie
weist ihn jedoch zurecht, und während sie sich behauptet wird sie von der ersten vollständigen Darstellung
des ‚Éowyn Schildmaid der Rohirrim ‚-Themas begleitet. Stolze Hörner tragen sie zum Plateau vor Meduseld,
gerade als das königliche Banner abreißt, welches vor den Füßen der Gefährten landen wird. Die Hardangerfiedel nimmt langsam wieder das ‚Rohan‘-Thema auf. Éowyn ist jedoch so unglücklich über das Geschehene,
dass sie sich kaum darum schert, wie die Gefährten dem Haupttor der Halle näher kommen. Ihr Leitthema
kehrt in einer trostlos anmutenden Variation auf den Hörnern und dem Englischhorn wieder.
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
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2 | „The Court of Meduseld“ – Die Hallen von Meduseld
I
n Rohans dunkelster Stunde betritt die Gemeinschaft des Ringes den angenagten Kern des Königreiches
und findet … einen Wurm. Kontrafagott, Tuba, Celli und Kontrabasse suhlen sich in einer düsteren, liederlich chromatischen Linie und geben so das Thema Gríma Schlangenzuges wieder, das von nachhallenden Schlägen auf der Basstrommel, überzogen mit Gruppierungen von hohen Streichern, eingefärbt wurde.
Schlangenzunge kriecht hinter dem Thron des Königs, der die eigentliche gebieterische Macht im Thronsaal
hat, hervor.
D
och selbst Schlangenzunges Worte kommen von jemand anderem. Als sich die Gefährten ihren Weg zu
dem gefallenen König erkämpfen, nimmt Schlangenzunges Thema durch das blasse rhythmische Schreiten eine aufschlussreichere Form an. Ansteigende Blechbläser bohren sich in einem rohanartigen, dorischen
Modus in die Partitur, während die kantigen Phrasen über fünf Schläge gestreckt werden – ein entkerntes
Element Isengards findet sich nun in Rohan wieder. Als Gandalf Théoden erreicht, vermittelt das Klangbild,
dass Schlangenzunge mit Isengard im Bündnis steht, und Saruman den Geist des Königs beherrscht. Der
Fünfvierteltakt kehrt ahnungslos zurück, als der gesamte Chor mit einem einzigen Quenya-Wort enthüllt,
dass Gandalf der Graue nun Gandalf der Weiße ist: „Mettanna“ („Zum Ende“). Die Sprache der Rohirrim
kündete Gandalf im Fangornwald an, und nun ist es die Sprache der Elben, die ihn in Rohan verlautbart. Der
Chor fährt fort mit „The King“, und Gandalf versucht, Sarumans Einfluss zu beenden. Über diesem Geschehen verkündet eine Linie der Blechbläser die auf- und absteigende Form der Partitur zwei Mal: Einmal, als
Isengards Halbton, dann als Ganztonschritt der Gefährten (und Gandalf des Weißen), wie sie einen Kampf
um Théodens Seele führen.
3 | „Théoden King“ – Théoden König
Mit Miranda Otto in “The Funeral of Théodred“
G
andalf hat gesiegt – Saruman wurde aus Théodens Geist vertrieben und Rohan ist nun befreit von seinem bösen Einfluss. Als der König wieder zur Besinnung kommt, tritt Éowyn ihm mit einem Lächeln
entgegen. Zögernde Streicherakkorde werden in das behaglich anmutende ‚Éowyn und Théoden‘-Thema eingewoben. „Ich habe immer angenommen, dass diese Szene von der Beziehung zwischen Éowyn und Théoden
handelt“, erklärt Shore. „Dieses Thema ist auf Éowyn bezogen, aber ich denke eher, dass es zwischen beiden
Charakteren steht.“
T
héoden erhebt sich, packt Herugrim, sein Schwert, und zum ersten Mal im „Herr der Ringe“ schwillt
Shores ‚Rohan Fanfare‘ rasch an und tritt so für eine unverminderte Darbietung von Stolz und Glorie in
den Vordergrund. Dies, nun, ist das bedeutende Königreich Rohan, Heimat der Pferdeherren, in dem König
Théoden wieder seine rechtmäßige Herrschaft ausübt. Eine heraldische Phrase, gespielt auf Waldhörnern,
zwei Trompeten und allen Streichern, kündigt die Rückkehr des Königs auf seinen Thron an, während die
Hardangerfiedel an das bäuerliche Ambiente des Landes erinnert. „Dies ist die erste vollständige Version
dieses Themas. Die Blechbläser bauen sich auf, aber die Hardanger bleibt im Vordergrund“, erklärt Shore.
Dennoch nimmt diese bisher klarste Darstellung des ‚Rohan‘-Themas eine bittere Wendung, als Théoden
Gríma erspäht und sich seiner verderbten Heilkunst entsinnt.
S
chlangenzunge wird aus den dunklen Ecken Meduselds vertrieben und flieht in einem Geschwür aus
Schande und Hass aus Rohan. Sein ruchloses Thema taucht fortan nie wieder in Rohan auf. Théoden,
nachdem er den Schurken bis vor die Stufen der Goldenen Halle gejagt hat, steht nun vor seinem Volk. Dieses
verbeugt sich, aber der König ist in seine Gedankenvertieft und so verweigert die ‚Rohan Fanfare‘ jeglichen
Ton preiszugeben. An ihrer statt erhebt sich eine Serie von Blechbläserakkorden, kraftvoll, aber in neugieriger Weise. „Wo ist Théodred?“ wundert er sich. „Wo ist mein Sohn?“
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
15
A
ls die Nichte des Königs der Beerdigung Théodreds beiwohnt, wird das ‚Éowyn und Théoden‘-Thema in
einem düsteren Verlauf wieder aufgegriffen. Eine schmucklose Darstellung des Themas dauert in desolater Weise an. Ihre lydischen Harmonien sind nun verhärmt und kalt. Ein feierlicher Chor singt das Lied „The
Funeral of Théodred“, auf dem Éowyn (Miranda Otto) eine Melodie, komponiert von Plan 9, singt. Die den
Chor begleitenden sauberen und klaren Töne der Trompete geleiten Théodred in die Hallen seiner Vorväter.
Jedoch, grade als die Linie auf einem dunklen Es-Moll-Dreiklang fällt, wird Théoden an seine Bestimmung
erinnert. Erschöpft von ihrer Flucht kommen die Kinder aus der Westfold an. Rohan braucht seinen König.
4 | „The King‘s Decision“ – Die Entscheidung des Königs
T
héoden möchte Saruman nicht offensiv angreifen.
Anstatt dessen beschließt er, nach Helms Klamm
zu flüchten. Háma, Hauptmann der königlichen Wache, gibt den Beschluss dem Volk von Edoras preis. Ein
Waldhorn nimmt das ‚Rohan‘-Thema auf, wobei jede
Darstellung verfrüht abgebrochen wird und es letztlich
in der ermüdenden Niederlage aufgelöst wird.
D
ie Gemeinschaft weiß allerdings, dass Théoden
in eine Falle tappt. Gandalf vertraut sich Aragorn
an: „Ich fürchte um das Überleben Rohans“, während
sich Streicher tiefen und mittleren Registers aufwärts
winden und in der auf- und absteigende Form des
‚Gefährten‘-Themas gipfeln. Der Weiße Reiter weiß,
dass er sich einmischen muss, damit die Rohirrim
überleben können.
Z
itternd entwickelt das Orchester eine dynamische, aber in Moll verfasste, ernsthaft anmutende
Darstellung des Themas vom ‚Weißen Reiter (In der
Gemeinschaft). Unterdessen reitet der Zauberer auf
Schattenfell aus, um Hilfe zu suchen.
In der Entstehung
Die Zuhörer werden ein weiteres Mal merken,
dass einige Takte aus „The King‘s Decision“ auch
in „Exodus From Edoras“ auftauchen.
Die offene Quinten auf den Streichern, die das
Ende von „The King‘s Decision“ markieren, unterlegen Éowyns Übungen im Schwertkampf,
welche, in der Kinoversion von „Die Zwei Türme“,
direkt nach Gandalfs Abschied folgten. Auf der
DVD folgt nach der Abreise Gandalfs eine Unterhaltung zwischen Aragorn und Éowyn über Brego. Daher ist das Ende von Shores Komposition
im Film nicht zu hören.
Auf dieser CD sind die Quinten einmal an ihrem
ursprünglichen Platz, am Ende von „The King‘s
Decision“, zu hören, und ein weiteres Mal an ihrem neuen Ort, ungefähr auf der Hälfte von „Exodus From Edoras“, wo Éowyns Schwertszene
schließlich ihren Platz fand.
5 | „Exodus From Edoras“ – Exodus aus Edoras
I
n den Ställen von Edoras führen Aragorn und Éowyn ihre erste richtige Unterhaltung, und obwohl der
Waldläufer des Nordens sie noch nicht vollkommen überzeugen kann, ist sie dennoch fasziniert von ihm.
Während Éowyn zu Aragorn spricht, bringen Englischhorn, Flöte und Streicher eine fast schon romantische
Melodie zu Tage.
D
iese muss allerdings den auf unnormale Weise sprudelnden Tönen Isengards weichen; eine Variation
des ‚Gefährliche Zeiten‘-Motivs erklingt auf gedämpften Blechbläsern, als ein Pferd und sein Reiter sich
dem Orthanc nähern. Mit einem tiefen Wirbel auf der Tamtam stellt sich heraus, dass der Reiter niemand
geringeres ist als Gríma, Sohn Galmods - die Schlangenzunge. Die Basis des Orchesters ergreift eine kühle
Grundstimmung; Kontrafagott, Tuba, Celli und Bass schlurfen sich wieder einmal durch Grímas lebloses
Thema. Er informiert Saruman darüber, dass sich Théoden mit der Gemeinschaft verbündet hat und beschreibt einen Mann, der einen Ring mit zwei sich umschlingenden Schlangen trägt.
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
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D
ie Partitur hält ein und streut einige natürliche tiefe Cs in die Stille - Formen, die sich ansatzweise an das
‚Ringgeist‘-Thema anlehnen und Saruman an die Macht, die von einem Sieg ausgehen würde, bewusst
macht. Saruman weis nun, dass Gandalf danach strebt, dem König von Gondor seinen Thron zurück zugeben.
Er ist jedoch kaum in Sorge. Noch ist er der Mächtigste und die Rohirrim werden schon bald seiner Macht
unterliegen.
R
ohan-typische Stilelemente stellen sich immer stärker in den Vordergrund der Partitur und veranschaulichen so die wachsende Bedrohung, unter der sich das Volk Rohans gezwungen sieht, die Stadt aufzugeben. König Théoden versichert Gamling: „Dies ist keine Niederlage.“ Jedoch impliziert die Partitur etwas
anderes. Flöte und Violine weben das ‚Gefährliche Zeiten‘-Motiv unter die musikalische Struktur.
B
evor sie die Stadt verlässt, übt sich Éowyn in ihren Kampfkünsten. Mehr als alles andere, so sagt sie,
fürchte sie, ihrer eigen Nutzlosigkeit zum Opfer zu fallen. Shores Partitur erzählt den Rest der Geschichte. Das ‚Éowyn und Théoden‘-Thema spielt in einer prachtvollen Variante erst in den tiefen Registern der
Violinen, dann auf dem Horn - sie möchte zusammen mit ihrem Onkel und seinen Männern kämpfen und
so ihren Heldenmut in der Schlacht beweisen. Aber die Schlacht muss vorerst warten. Die voll entwickelte
‚Rohan-Fanfare‘ ertönt zum zweiten Mal in diesem Werk, jedoch ohne die klaren Blechbläser, die zuvor die
Linie angegeben haben. Als der König, vom Wind zerzaust, seiner Heimatstadt einen letzten Blick zuwirft,
wird das Thema lediglich von der Hardangerfiedel auf eine zerbrechliche und raue Weise eingespielt.
W
ährend der Beratung mit Saruman stellt Gríma Vermutungen über den nächsten Schachzug der Rohirrim an. Doch Saruman schenkt ihm kaum Beachtung. Hohe Streicher wiederholen das ‚Böse Zeiten‘Motiv zum dritten Mal, jedoch wird der finale absteigende Ton um einen Halbton verändert, was die Konturen dieses Motives näher an die chromatische Musik Mordors rücken lässt. Théodens Volk agiert ganz zum
Gefallen des Zauberers. Jener bleibt jedoch scheinbar desinteressiert - bis Schlangenzunge zu einem anwidernden Knorren der Flöten, dickt gruppierten Streichern und schroffen Einsätzen auf dem Kontrafagott,
zwei Worte fallen lässt: Frauen und Kinder. Die Rohirrim sind verwundbar.
06 | „The Forests of Ithilien“ - Die Wälder Ithiliens
D
ie Soloklarinette bringt die Geschichte zu Frodo, Sam und Gollum zurück. Die Klarinette bezieht sich
natürlich auf die beiden Bewohner des Auenlandes, aber die Melodie ist alles andere als hobbit-ähnlich.
Indem die Melodie der Klarinette erst durch ein f-Moll Arpeggio ansteigt und wieder abfällt, scheint sie mit
der Eröffnung des ‚Mitleid mit Gollum‘-Themas zu spielen. „Es bindet die beiden aneinander – Frodo und
Gollum“, bekennt Shore. „Frodo könnte Gollum werden.“
B
ald ziehen sich die Hobbits für die Nacht zurück und Gollum ist
allein mit sich selbst. Bruchstücke des Themas ‚Mitleid mit Gollum‘
tauchen im Orchester auf. Violinen und Bassklarinette untersuchen die
verräterisch ansteigenden Moll-Arpeggios unter flatternden CelestaTrillern, während der unterwürfige Sméagol und der heimtückische
Gollum um ihre Vorherrschaft kämpfen – der Gewinner wird allerdings
nicht mit einem Trompetenstoß verkündet, sondern mit dem Krächzen
einer Kontrabassklarinette.
D
Ungenutztes Konzept
Im Film wurde die Sequenz
mit Gollums verzerrter Kontrabass-Klarinetten-Variation des
‚Hobbit‘-Themas nicht benutzt.
er arme Sméogol hat den bösen Gollum weggestoßen und ist sehr beschäftigt damit, seinen Herren
zu erfreuen. Die Kontrabassklarinette, unterstützt von einem Pizzicato-Bass, spielt eine unwiderruflich
versehrte Variation über dem fröhlichem Umriss des ‚Hobbit‘-Themas, wobei der höchste Ton auf die verdorbene Basis abfällt. Währenddessen hat Sméagol das Cimbalom von der ‚Bedrohung durch Gollum‘ entfernt
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
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und es zu einem unterwürfigen, zahnlosen Grinsen gemacht. Das Kontrafaggot tritt dem Mix bei und vertieft
die Klangfarbe der Komposition, kurz bevor Sam Sméagols Moment des berauschenden Triumphs unterbricht. „Es ist eine seltsame kleine Szene“, sagt Shore mit einem Lächeln, „schon fast komödiantisch.“
I
n der Emsigkeit entfernt sich Frodo, um den seltsamen Rufen aus dem Wald nachzugehen. Feldtrommeln versteifen die Komposition zusammen mit einem militaristischen Motiv, bestehend aus ansteigenden Molldreiklängen, und aus dem Wald kommt eine Gruppe Haradrim-Krieger. Doch mit dem Ertönen der
Pauken und Basstrommeln tauchen zwei elefantartige Wesen auf, die den Soldaten folgen. Dies sind Mûmakil, die Lasttiere der Haradrim, und Shores vertont sie nicht durch eine durchgehende Melodie, sondern
durch eine musikalisch bestimmte Betrachtung durch das
Orchester. Schwere Zeilen in den Tiefen der orchestralen
In der Entstehung
Palette (hier sich überdeckende Einklänge aus Celli und
Bässen) schwingt unter dem zittrigen Schleier aus aleato- Die militaristischen Molldreiklänge, die für
rischen Flöten und Klarinetten, disharmonischen Harfen- das erste Auftauchen der Haradrim bestimmt
Glissandi und der knisternden Dilruba (Streichsitar).
waren, wurden aus dem Film geschnitten
und durch die tiefe, schwankende Musik der
ie seltsamen Rufe aus dem Wald ertönen erneut und Mûmakil erstetzt, wobei einige der begleitenkündigen eine Gruppe Waldläufer aus Ithilien an, die den Instumente weggelassen wurden. Da die
den Haradrim auflauern. Wieder nimmt die Partitur ei- Musik der Mûmakil nur wenig später an der
nen militaristischen Ansatz mit einem auffällig ähnlichen ursprünglich gedachten Stelle einsetzt, führt
Motiv an. Die Haradrim tauchten mit den Tonfolgen einer der Schnitt des Films dazu, dass es zwei aufMoll-Tonleiter auf, in der Reihenfolge 1-3-5, die Waldläu- einanderfolgende Interpretationen gibt, die
fer in der Folge 1-3-2. Es ist eine seltsame Symmetrie, die der Zeile scheinbar eine größere Bedeutung
die neuen Bösewichte mit den neuen Helden verknüpft. verleihen, als es Shore vor hatte. Tatsächlich
Durch Faramirs Auftreten wird dies klar. Am Ende des sollte diese Zeile nur einmal in „Die Zwei
Gefechts steht Faramir über einem gefallenen Haradrim- Türme“ gespielt werden, obwohl sie den BeKrieger und fragt sich, wie der Mann wohl auf diesen Weg ginn einer Kompositionsweise darstellt, die,
gekommen sein mag. „Man fragt sich, wie er wohl hieß... ebenso wie die Mûmakil, mit Rache in „Die
und wo er her kam. Und ob er wirklich ein böses Herz hat- Rückkehr des Königs“ wiederkehrt.
te.“ Shores Partitur streift fragend durch Mollharmonien,
unsicher und rastlos. Faramir fährt fort: „Welche Lügen Die „Complete Recordings“ stellen „Die Wäloder Drohungen ihn zu dem langen Marsch von seiner der Ithiliens“ so dar, wie Shore sie kompoHeimat veranlasst haben. Ob er nicht lieber dort geblieben niert hat – das militaristische Motiv spielt,
wäre...“ und für zwei Akkorde wird die Musik durch tiefe sobald die Haradrim erscheinen und die tiefe
Bass- und Paukentöne mitfühlend warm, „...in Frieden“. Musik im 3/4-Takt ertönt, wenn die Mûmakil
Er wartet. „Der Krieg macht Leichen aus uns allen.“
auftauchen.
D
07 | „One of the Dúnedain“ - Einer der Dúnedain
Mit „Evenstar“ gesungen von Isabel Bayrakdarian
G
imli, der einige Schwierigkeiten hat, seine bisherige Würde aufrecht zu erhalten, verliert die Kontrolle
über sein Pferd. Die Musik läuft ihm, wie sein Ross, in einer Ansammlung von sechszehntel Noten,
davon, die durch die Streicher springen. Der Auszug aus Edoras geht weiter. Die Reisenden tun, was sie können, um ihre Stimmung aufrecht zu erhalten. Théoden sieht Eowyns Lächeln während Gimli’s Malheur und
bemerkt Aragorn gegenüber, dass ihr Lächeln, über die Jahre hinweg, sehr selten geworden ist. Er bereut es,
nicht wie der Vater gehandelt zu haben, den sie gebraucht hätte. An dieser Stelle lässt Shore nicht, wie erwartet, das ‚Eowyn und Theoden‘-Thema einsetzen, sondern wählt stattdessen das Thema ‚Eowyn – Schildmaid
der Rohirrim‘, das von ihrem Dasein in Isolation handelt.
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
18
E
owyns Hauptthema (‚Eowyn, Schildmaid der Rohirrim‘) nimmt einige interessante Wendungen, als
sie mit Aragorn spricht. Theoden mag zwar nicht viel von ihrem Lächeln gesehen haben, aber Aragorn
scheint es ungeheißen aus ihr hervorzulocken. Hier stoppt Eowyns Thema und beginnt erneut, indem es
schüchtern – fast komisch – auf Aragorn reagiert, als er versucht, dankbar ihren grausigen Eintopf anzunehmen. Die Soloklarinette tritt ein und ein neues Thema scheint sich zu formen. Ein absteigendes F-Dur Arpeggio bei 1:53 gibt einen leichten Hinweis auf das ‚Eowyn-Aragorn‘-Thema, das sich noch in einem Zustand von
zaghafter Selbstverwirklichung befindet.
D
ie Oboe kommt hinzu und stellt den nächsten Schritt des sich entwickelnden Motivs ‚Die Gefährten in
Rohan‘ dar, unmittelbar gefolgt von einer vertrauten Zeile des Solo-Waldhorns, das ‚Gondor‘-Thema.
Aragorn verbindet nicht nur die Rohirrim, sondern auch das Volk Gondors mit den Gefährten. Mit den Eröffnungstönen des ‚Gondor‘-Themas – die man hier erst zum zweiten Mal im „Der Herr der Ringe“ hört – werden wir an Aragorn’s Erbe und sein königliches Geburtsrecht erinnert.
A
ber Aragorn ist noch nicht bereit, sein Geburtsrecht einzufordern. Er ist hin und hergerissen zwischen
seinen Pflichten in Mittelerde, den Ängsten vor seinen eigenen möglichen Schwächen und seiner Liebe
zu Arwen. Unter dem ‚Gondor‘-Thema beginnen Bruchtal-Arpeggios zu fließen, warm aber traurig, ohne die
strahlenden Orchestrierungen, die diese Zeilen in „Die Gefährten“ färbte. Die Sopranistin Isabel Bayrakdarian kommt hinzu und singt „Evenstar“ mit einem Frauenchor, der auf drei Arten geteilt ist. Die Zeile, die von
der Stimme in die Altflöte übergeht, kombiniert die himmlischen Gesänge der Elben mit melodischen Umrissen direkt aus dem Thema ‚Die Heldentaten Aragorns‘ – einschließlich der wichtigen ab- und wieder aufsteigenden Stilfigur. Kann Aragorn die Welt der Menschen anführen ohne seine Liebe für Arwen aufzugeben?
S
ollte er sie überhaupt lieben? ‚Das Dahinschwinden der
Elben‘-Thema („Gilrean’s Lied“) kehrt zum ersten Mal wieder, seit Aragorn das Grab seiner Mutter besuchte und erinnert
ihn daran, dass er ein Sterblicher ist, und dass selbst die besten
Umstände dazu führen werden, dass er letztendlich Arwen verlassen wird. Das Thema färbt seine Umgebung und wandert vom
Frauenchor zu den tiefen Streichern. Mit einem letzten Seufzer
der Altflöte verschmelzen das ‚Abendstern‘-Thema und ‚Das Dahinschwinden der Elben‘ und hüllen die Zukunft in Unsicherheit.
Werden Aragorn und Arwen ihre Liebe als eine akzeptieren, die
unvermeidlich dazu bestimmt ist, zu schwinden, oder werden
sie weiter einem Pfad der Unsicherheit folgen, gestützt von ihrer
fortdauernden Zuneigung?
Ungenutztes Konzept
Isabel Bayrakdarians erste Strophe
des ‚Abendstern (Arwen & Aragorn)‘Themas ist im entgültigen Film nicht
zu hören. Stattdessen tragen der Frauenchor und die Arpeggios in den Harfen die ersten Momente von Aragorns
Rückblende allein.
Ihren Gesang kann man vollständig
auf dieser CD hören.
08 | „The Wolves of Isengard“ - Die Wölfe von Isengard
M
it einem verschmolzenen Schlag des ‚Isengard‘-Themas, des Fünfvierteltaktes und des Skip-Beats von
Mordor, fällt ein Warg-reitender Ork über Háma, den Späher der Rohirrim, her. Aragorn eilt zurück
zur Karavane, um sie vor einem bevorstehenden Angriff zu warnen, während wütende Hörner in den Vordergrund drängen und die Eröffnungstöne des ‚Rohan‘-Themas sich zu einem panischen Dröhnen vermischen.
Obwohl die Hardangerfidel Éowyns Protest ausdrückt, befielt Théoden den Frauen und Kindern, sofort wegzueilen. Mit einem Tösen des ‚Isendgard‘-Themas und des Fünfvierteltaktes fordert eine ganze Gruppe Warge die Pferdeherren heraus. Darüber singt ein gemischter Chor „The Call“ in Altenglisch und baut den ersten
Zusammenstoß der beiden Truppen auf.
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
M
it den bösartigen Windungen des markerschütternden
Themas der „Grausamkeit der Orks“ wütet die Schlacht.
Obwohl die Rohirrim siegen, zeigt dieses Motiv das schärfste
und abscheulichste der Ork-Themen. Die Biester fordern ihren
Tribut. Ein reiterloser Warg bringt seinen offenen Rachen über
Gimlis Kopf, aber mit einem blechernen Stich des ‚Gefährten‘Themas kann Aragorn ihn im letzten Moment töten.
P
lötzlich stößt eine Umkehrung des Themas der ‚Grausamkeit der Orks‘ Aragorn von seinem Pferd. Die Musik dreht
sich, gefangen in einem aufwühlenden 3/4-Takt, als Sharku, der
Anführer der Warg-Reiter, Aragorn greift und ihn zur Kante eines steilen Abhanges zerrt. Trompetenphrasen wiederholen sich
ruhelos und steigen in der Tonhöhe an, als Aragorn sich dem
Felsvorsprung nähert. Mit einer dissonanten Ausklingzeit der
glühenden Blechbläser und Streicher, verschwindet Aragorn
über der Kante.
9 | „Refuge at Helm‘s Deep“ – Flucht nach Helms Klamm
A
uf der Steppe finden Legolas und Gilmi den blutenden
Sharku, wie er kränkend vor sich her kichert. Der Ork behauptet, dass Aragorn tot sei und liefert als Beweis dafür Arwens Anhänger. Das Englischhorn schreitet auf- und abwärts
gleitend voran und stellt damit die Eröffnung des ‚Gefährten‘Themas über einen C-Moll-Dreiklang in den tiefen Streichern.
Das ‚Gefährten‘-Thema, welches zuvor vorrangig harmonisierend auf das Moll-Thema wirkte, kann der Veränderung nicht
standhalten. Aragorn ist verschieden. Als Théoden das Blutbad
überblickt, fürchtet er, dass die Orks zurückkehren könnten. Er
befielt dem Trupp weiterzuziehen und die Toten zurückzulassen. Celli und Bass passieren ein weiteres Mal die Eröffnungstöne des ‚Gefährten‘-Themas und drücken damit den Pathos des
Themas um ein neues.
19
In der Entstehung
Mehrere Veränderungen beeinflussen
diese Komposition im Film. An der Stelle, als Legolas die vollständige Legion
der Wargreiter über die Kuppe eines Hügels kommen sieht, wurden einige Takte
des ‚Moria‘-Themas aus „Die Gefährten“
beigemischt und erweitern damit etwas
Shores ursprüngliche „Wölfe“- Komposition.
Nachdem die Eorlingas dorthin hinaufreiten, wo Legolas Pfeile auf die Warge
abschießt, kehrte das Thema ‚Die Wölfe
Isendgards‘ ursprünglich zu den panischen, hupenähnlichen Variationen der
Hörner zurück, bevor das ‚Isengard‘Thema über dem 5/4-Takt in einer tiefen Tonlage dargebracht wurde. Im Film
beginnt ein schwächeres ‚Isengard‘-Thema etwas früher, direkt nachdem Eowyn
mit den Frauen und Kinder flieht, was
die Partitur um einige Sekunden verlängert.
Schließlich wurde der Angriff der Reiter auf die Warge in der endgültigen
Filmfassung verdichtet, sodass Shores
Fassung von „The Call“ gekürzt und ein
Akkord der Blechbläser eingefügt wurde, um die beiden kämpfenden Seiten
früher zusammenzubringen.
A
ndernorts hat Éowyn die Frauen und Kinder nach Helms Klamm geführt. Der Beginn ihres Themas
geleitet sie mit Hoffnung an das Tor und erlaubt ihr so, in das Innere der Burg zu treten, wo sie knappe
Vorräte an Verpflegung, eine bunt gemischte Scharr an Soldaten und die ermatteten Flüchtlinge aus Rohan
findet. Das Crescendo im Orchester bricht ab und verengt sich zu einem zweifelnden, natürlichen C. „Es ist
enttäuschend“, bestätigt Shore. „Die Lage wird aus ihrem Blickwinkel betrachtet. Das war ein Teil von Peters
Herangehensweise. Er versucht immer, alles auf eine menschliche Ebene herunter zu bringen. Musikalisch
arbeite ich ja auch mit den Charakteren und ihren Emotionen.“ Die Hardangerfiedel spielt die ‚Rohan-Fanfare‘ in der selben gebrechlichen Fassung, wie zu dem Zeitpunkt, als der Exodus begann. Es scheint, als ob die
Feste wenig zur Hilfe der Rohirrim beigetragen hat.
E
in weiteres Mal tritt Isabel Bayrakdarian auf und versieht Éowyns sprachloses Gebähren mit einem Text.
Zwei Zeilen aus „The Missing“ werden melodisch auf den bevorstehenden Text zu „The Grace of the
Valar“ abgestimmt. Die übersetzten Zeilen, „… sie fühlte den Verlust / aller Sachen, die sie vermisste“, drücken Éowyns Schmerz und Hoffnungslosigkeit aus. Die aufkeimende Mystik in dieser Melodie lässt jedoch
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
20
erahnen, das die Geschichte noch nicht vorbei ist. „Isabel sang es ein Mal“, erinnert sich Shore. „Es war die
einzige Version, die wie je aufgenommen haben. Davor haben wir gerade „Evenstar“ aufgenommen und die
Sitzung hat schon Stunden gedauert. Dann, als die gehen wollte, sagte ich: ‚Vielleicht probierst du dies hier
einmal, wir werden es morgen aufnehmen.‘ Sie sang es ein Mal und wir haben es kein weiteres Mal aufnehmen müssen, weil es so klasse war.“
10 | „The Voice of Saruman“ – Die Stimme Sarumans
D
ie Zeit des totalen Krieges hat begonnen. Saruman hat eine
In der Entstehung
Legion von Uruk-hai vor dem Orthanc versammelt und brüllt
den Truppen von seinem dornigen Balkon schreckliche Befehle zu. Die erste 15 Sekunden von „Die StimIn „Die Zwei Türme“ ist Shores Komposition an dieser Stelle die me Sarumans“ wurden in der Endfaszielstrebigste. Unerbittlich versucht sie, zwei Motive zu verstärken: sung des Filmes nicht verwendet. Die
Den Fünfvierteltakt und das ‚Isengard‘-Thema. Und so passiert es, Komposition, wie Shore sie geschriedass die Themen, durch ihre Gepflogenheiten bedingt, an Energie ben hat, erscheint hier auf CD.
und Kraft, nicht jedoch an Komplexität und Raffinesse, wachsen. In
den tiefsten Reichweiten der Blechbläser angesiedelt, beschreibt die Komposition eine Kurve über ein langes
Accelerando, welches auf dem knochenzerschmetternden Knurren der schleppenden Fußtritte der Uruks auf
den dahin sausenden tiefen Streicher, Kesselpauken, Piano, Taiko und Basstrommel gebaut ist. Sie marschieren nach Helm Klamm - und in den Krieg!
11 | „Arwen‘s Fate“ – Arwens Schicksal
Mit „The Grace of the Valar“ gesungen von Sheila Chandra
A
ls Aragorn bewusstlos den Fluss hinunter treibt, summt die beruhigende des Monochords unter ihm,
die Musik der Elben heraufbeschwörend. Vier Alt-Flöten begrüssen mit milden, luftigen Tönen träumerisch die Ankunft einer Sopranstimme. Sheila Chandra singt „The Grace of the Valar“, einen Text der auf
den ersten Blick von Arwes und Aragorns Standpunkt aus zu erzählen scheint („Shadow lies between us / as
you came, so you shall leave from us“), obwohl sich das Gegenteil bald bewahrheiten wird. Es ist Aragorns
selbstlose Bitte an Arwen, dass sie Mittelerde verlassen und
In der Entstehung
die Erinnerung an seine unsterbliche Liebe mit sich nehmen
soll („For you are not bound to the circles of this world / You
are not bound to loss and to silence.“). Obwohl in elbische Als die Musik einen Sprung nach vorne
Farbnuancen getönt, gehört die Melodie zu Aragorn, denn macht, um die Solo-Altflöte zu Aragorns Ritt
ihre Konturen sind von dem ‚Heldentaten des Aragorn‘- auf Brego zu präsentieren, ist im Film der
Themas geprägt. Mit der zweiten Phrase der Gesangsmelo- zweite Einsatz von Sheila Chandras Gesang
die zieht sich Aragorn auf Bregos Rücken und wird von dem entfernt worden.
Flussufer weggetragen.
Obwohl das Flötensolo längst gespielt wurde
n Bruchtal wendet Shore währenddessen das musikali- und Arwens Unterredung mit Elrond ohne
sche Blatt. Arwen bekommt von Elrond gesagt, dass es Musikuntermalung blieb, wiederholen sich
Zeit für sie sei, an Bord des Schiffes nach Valinor zu gehen. Chandras erste Zeilen, als Arwens Vision der
Die für die Elben typischen singenden Klangfarben sind je- Zukunft beginnt. Diese Vision schließt mit eidoch nirgends zu finden. Stattdessen ertönt die Altflöten in ner aufbereiteten Version des ‚Dahinschwineinem Solo über eleganten Sreicherakkorden. Und so wird in den der Elben‘-Themas („Gilrean’s Song“).
dieser komplizierten Liebesgeschichte der Mensch für einen
Moment von einer Frauenstimme repräsentiert, während Die gesamte Originalkomposition ist hier
unverändert zu hören.
die Elben von einem Soloinstrument dargestellt werden.
I
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
21
12 | „The Story Foretold“ - Die Geschichte vorhergesagt
D
ie Solo-Altflöte wird von zwischenspielenden Streicherlinien begleitet, als Arwen, die noch immer in
Bruchtal ist, mit ihrer schwierigen Entscheidung ringt. Angetrieben von ihrem Vater, beschließt sie ihre
Liebe für Aragorn aufzugeben und Mittelerde mit dem Rest ihres Volkes zu verlassen. Die Musik pausiert
zart, dann hüllt sie das ‚Bruchtal‘-Thema in die kunstvollste Fassung, die man seit „Die Gefährten“ hören
konnte, ein. Trotz der Frauenstimmen, die „Hymn to Elbereth“ intonieren, dem Harfen-Glissandi und robuster Arpeggio-Figuren, bewegt sich das ‚Bruchtal‘-Thema langsam und sanft, fast fliehend. Nach einer einzigen, bruchstückartigen Darstellung der Linie, entwickelt sie sich in eine traurigere, mehr gradlinig ausgedrückte Fassung, die die stilistischen Tendenzen der Musik des „Abenstern“ und „Die Güte der Valar“ enger
an Bruchtal binden.
Ü
ber eine länger andauernde Kameraeinstellung taucht das Monochord auf und verdeutlicht so seine
Erscheinung in der „Bruchtal“-Musik: Elrond hat mit Galadriel telephatisch Kontakt aufgenommen.
Das östlich gefärbte ‚Lothlorien‘-Thema – die Sarangi zusammen mit dem Frauenchor singen „Footsteps
of Doom“, welches in „Die Zwei Türme“ sein Debut hat, als Galadriel in die Zukunft von Mittelerde blickt.
„Im nahenden Dunkel erstarkt der Wille des Ringes“, sagt sie zu Elrond. Violinen rieseln flink in die ‚Ein namenloses Grauen‘–Passage, subtil anschwellend, wie Saurons wachsende Macht über unentschlossene MollAkkorde. Dieselbe Passage unterlegt Galadriels Erzählung in der Eröffnungsszene von „Die Gefährten“. Die
Umstände haben sich seitdem nur wenig verbessert. Der Ring versucht immer noch zu seinem Meister zu
gelangen. Um dies zu erreichen, ist er nun in die Welt der leicht beeinflussbaren Menschen eingedrungen.
W
ird der Ring erneut den Besitzer wechseln? In seiner klassischen Englischhorngestalt in A-Moll seufzt
das „Die Geschichte des Ringes“-Thema über der Musik, während Faramir und seine Waldläufer Frodo und Sam zu ihrem versteckten Außenposten in Hennth Annûn mitnehmen.
13 | „Sons of the Steward“ - Die Söhne des Truchsesses
F
aramir erzählt den Hobbits, dass sein Bruder Boromir tot sei. Zerrissene Auszüge des ‚Schlimme Zeiten‘Themas übersäen die Szenerie, ausgewählte Töne entstammen vollkommen der Phrase, andere steigen
einen destabilisierenden Halbtonschritt und führen so die Linie näher an Mordors chromatische Musik heran. Mit einem mitleidsvollen Schwall von Streichern erinnert sich Faramir daran, wie er Boromirs Boot fand.
Er dreht Boromirs zerbrochenes Horn gedankenverloren in seinen Händen und für einen Moment zittert
die Musik. Celli und Bässe, zunächst in As–Moll, dann G–Moll, gehen durch die ersten fünf Noten des ‚Verführung des Ringes‘-Themas. Boromir versuchte den Ring an sich zu reißen. Wird Faramir diese Schwäche
teilen?
D
er jüngere Bruder erinnert sich an glücklichere Zeiten und ruft sich ins Gedächtnis zurück, wie Boromir die Stadt Osgilitah zurückeroberte. Ein gediegenes Trompetensolo erwacht, streckt seine starken
Glieder und es erklingt das ‚Gondor‘-Thema. Boromir ruft stolz aus: „Die Stadt Osgiliath ist zurückgefordert
worden - für Gondor!“ Becken dröhnen und eine Gemeinschaft von Blechbläsern singen das ‚Gondor‘-Thema
so stolz, wie es noch nie zuvor zu hören war. Aber bei all seiner Würde
ist es immer noch die Niedergangs-Fassung des ‚Gondor‘-Themas und
In der Enstehung
die Melodie zieht sich zum Ende des Themas hin nach unten.
Der Chor-Satz in dieser Kompoaramir und Boromir trinken Einen zusammen unter der Obdach sition, welcher in „Die Zwei Türeiner siegerischen Partitur, aber die Ruhe ist dahin, als der Vater me“ die einzige Nutzung des „The
eintritt. Denethor, der Truchsess von Gondor, hat eine neue Aufgabe Death of Boromir“ Textes aufweist,
für seinen Ältesten. Gemunkel über Elronds Rat ist ihm zu Ohren ge- erscheint nicht im Film.
F
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DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
kommen und er hat dessen Zweck erraten. Der Eine Ring ist gefunden worden. Das ‚Geschichte des Ringes‘Thema spielt, aber duckt sich augenblicklich um den Blicken zu entgehen. Zur selben Zeit enthüllt sich ein
unheimlicheres Motiv. Eine pure rhythmische Variation des ‚Mordor Skip Beat‘ sickert durch die Streicher.
Jede Darstellung ist in drei identische Töne eingeklammert, die sich weder heben noch senken.
D
ie Äußerungen werden verstärkt betont, bis sich die Linie auf der Spitze der Partitur bricht und fast in
das Zitat einer Passage aus dem „Gefährten“–Prolog entschwindet. Krieg mit Sauron hat Denethors
fragilen Geist gekrümmt. Seine Stimme ist nur ein Flüstern, aber Shores Musik baut sich so aufmerksam auf,
dass man hinter jedem Wort eine unerträgliche Last vermutet. „Bringe mir dieses mächtige Geschenk“, sagt
er zu Boromir.
T
rotz seiner Bedenken akzeptiert Boromir seinen Auftrag. Das Englischhorn und das Waldhorn treffen
sich auf einem langen Pedalton in dem finalen, gedämpften Statement des ‚Gondor‘-Themas. Streicher
beenden die Linie und akzentuieren den Ausklang – der Fall Gondors.
14 | „Rock and Pool“ – Fels und Weiher
D
ie Streicher, Flöten und Klarinetten ertönen trällernd in einer Aufruhr aus verschiedenen Tonalitäten,
bevor sie sich wieder zurückziehen und somit ein altbekanntes Element der Partitur freigeben: Das
bibbernde und zuckende Cimbalom, das nur einen Ton anspielt. „Es ist lediglich Musik der selben Art und
Weise, aber die Melodie des ‚Bedrohung durch Gollum‘-Themas wird nicht gespielt“, erklärt Shore. Sméagol
wurde von Faramirs Männern entdeckt. Während Gollum im Weiher fischt, plätschern Bratschen und Harfen durch D-Moll und Es-Moll Arpeggios und erinnern so an das ‚Mitleid‘-Thema. Durch den drohenden Tod
Sméagols in Angst versetzt, redet Frodo der Kreatur gut zu, damit sie zu ihm kommt. Violinen und Englischhorn ziehen das ‚Mitleid‘-Thema auseinander als Sméagol beschließt, seinem Meister Folge zu leisten - nur
um von Faramirs Waldläufern gefesselt zu werden.
15 | „Faramir‘s Good Council“ – Faramirs guter Rat
S
méagol wurde gefangen genommen und geschlagen - und weint nun. Eine
wohlbekannte Stimme kehrt wieder zurück: Es ist Gollum wie er über
Sméagol spottet. Die Anfangsakkorde des ‚Mitleid‘-Themas ertönen nacheinander querbeet durch das Ensemble; erst auf der Harfe, dann auf den Streichern und schließlich auf den Holzblasinstrumenten. Sie versuchen, sich zu
finden und sich wieder zu vereinen, was ihnen aber nicht gelingt. Stattdessen
prallen die Bruchstücke aufeinander und verklumpen. Als der garstige Gollum den ungezähmten Geist der zwiegespaltenen Kreatur zurück erobern will,
bilden die Bruchstücke eine Ansammlung von sehr nah aneinander liegenden
Tönen.
I
Ungenutztes Konzept
Im Film wird diese Komposition, beginnend mit
dem Eintreten des ‚Verlockungsthemas‘,
gegen
Soundeffekte ersetzt, um
einen ruhigeren Tonus zu
kreieren.
n einem Hinterzimmer des Außenpostens der Waldläufer berät sich Sam mit Frodo. Naiverweise bestärkt
er ihn dazu, den Ring zu benutzen, um zu entfliehen - nur dieses eine Mal. Aber Faramir belauscht die
Unterredung und realisiert, dass der Ring der Macht, jenes Instrument, welches Boromir Denethor nicht ausliefern konnte, für ihn nun greifbar nah ist. Letztlich zeichnet sich das ‚Verlockungsthema‘ vollends ab und
ruft Faramir mit den selben verführerischen Versprechen, die schon Boromirs Schicksal besiegelten. Flehend
singt der Knabenchor „The Seduction of the Ring“ und verspricht Faramir somit Sieg und den Frieden, den
er so leidenschaftlich begehrt.
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
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~ CD 3 ~
1 | „Aragorn‘s Return“ – Aragorns Rückkehr
A
ls schattenhafte Gestalt reitet er auf einem Pferd über die Ebenen Rohans. Als Aragorn die braune Masse,
bestehend aus mindestens 10.000 Orks, über das Land ziehen sieht, nimmt die Musik eine martialische
Gangart an. Brego dreht sich um und nimmt an Tempo auf. Als der Dúnedan nach Helms Klamm prescht,
nimmt Shore das Thema der Heldentaten Aragorns wieder auf. Dies ist die kraftvollste und am meisten
vorwärts treibende Fassung dieser Modifikation des ‚Gefährten‘-Themas in dieser Partitur - und sehr ähnlich
der Variante, die am Amon Hen zu hören war. Dennoch vernimmt man in ihr eine gewisse Unreinheit. Die
ansteigende reine Quarte, durch die Aragorn einst in Bree eingeführt wurde, eröffnet ein weiteres Mal die
aufsteigende Linie. Dieser Intervall ist es auch, der die letzten Überreste seines Missbehagens und seiner Unsicherheit trägt. Er reitet nach Helms Klamm; nicht um zu führen, sondern um das Volk Rohans zu warnen.
N
ichtsdestotrotz gönnt ihm die Komposition einen heldenwürdigen Auftritt. Eine kurze Phrase auf dem
Fagott und den Celli begleiten Aragorn die Rampe entlang - eine Phrase, die an jene erinnert, als Éomer
und seine Reiter auf den Ebenen von Rohan den Gefährten zum ersten Mal begegnen, und welche die Ereignisse somit geschickt verknüpft. Eine solide Wiederkehr des ‚Gefährten‘-Themas erklingt. Es ist die erste, seit
Gimli und Legolas nach dem Angriff der Warge um Aragorn trauerten.
2 | „War is upon us“ – Wir steh‘n im Krieg
A
ragorn bringt Théoden Kunde über die Armee der Uruk-hai und deren Ankunft vor Einbruch der Nacht.
Der König setzt einen entschlossenen Blick auf und preist die undurchdringliche Verteidigung von Helms
Klamm. Aragorn und Gimli folgen ihm zwar, bestehen jedoch darauf, diese Angelegenheit ernster zu nehmen. Über einem sich langsam bildenden boleroähnlichen Rhythmus in den tiefen Streichern, knüpft Shore
mit einer ruhig angelegten Interpretation der zweiten Hälfte des ‚Gefährten‘-Themas an. Drei Stöße auf der
Trompete werden in dieses düstere Gemisch eingeflochten. Der erste und der dritte bestehen aus der selben
ansteigenden reinen Quarte, die Aragorn seit seinem Auftauchen in Bree an seinen widerstrebenden Willen
binden. Der zweite Stoß bietet eine ansteigende Terz in Moll dar, die ersten drei Töne der Rohan-Fanfare.
Musikalisch wird die missliche Lage der Rohirrim in die Obhut der Gefährten gegeben.
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
A
uch die Ents erkennen, dass Sauron eine Gefahr ist, mit der man
rechnen muss. Das teilnahmelose Thema der Ents tritt wieder
auf den Plan. Diesmal jedoch durchdrungen von einem dramatischen
Chorsatz. Ein Entthing wurde einberufen. Die Schäfer der Bäume mögen sich zwar schwer zu etwas bewegen lassen, aber sie haben sich
immerhin entschieden, die Lage zu bedenken. Mit einem beträchtlichen Crescendo in Shores Orchester, findet ein Wäldchen von Ents
zueinander.
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In der Entstehung
Bedingt durch einige Schnitte in
der ersten Minute der Komposition ist der erste der drei Trompetenstöße im Film nicht zu hören.
3 | „Where is the horse and the rider?“ – Wo sind Reiter und Ross?
H
elms Klamm ist bereit für den Krieg. Éowyn beklagt sich bei Aragorn darüber, dass sie nicht kämpfen
darf, sondern mit den anderen Frauen und Kinder in die Glitzernden Grotten gehen soll. Eine ausgesprochen gefühlsgeladene Darstellung ihres Themas eröffnet diese Komposition. Jedoch wird nach zehn
Takten klar, dass dies ein neues ‚Éowyn‘-Thema ist. Während sie sich rechtfertigt, platzt es aus ihr heraus:
Sie liebt Aragorn. Somit ist dies das ‚Éowyn und Aragorn‘-Thema, in mancher Hinsicht ist es sogar das am
mutigsten wirkende ‚Éowyn‘-Thema. Es rundet den suchenden Anstieg ihres Hauptthemas durch ernste absteigende Konturen ab. Éowyn ist diese Art der Selbstdarstellung jedoch noch fremd. Augenblicklich schreckt
sie zurück und begibt sich resigniert an ihren Platz in den Höhlen. Die Melodie löst sich auf, um mit einer
gleichförmigen und bitteren Darstellung des ‚Rohan‘-Themas auf den Streichern ersetzt zu werden.
D
ie Gefährten begutachten die Bewaffnung Rohans: Jungen sowie alte Männer. Schwerter werden verteilt, während die tiefen Streicher einige stählerne Phrasen aus Moll-Dreiklängen einbringen. „Sie werden alle sterben!“ sagt Legolas zu Aragorn. Er erwidert: „Dann werde ich als einer von ihnen sterben!“ So
nobel diese Geisteshaltung auch sein mag, unterlegt die Komposition sie mit einer düsteren Darstellung des
‚Dunkle Zeiten‘-Motives auf Waldhörnern. Solange sich die Lage nicht ändert, hat der Elb recht. Auch Théoden bereitet sich auf die Schlacht vor. Insgeheim hat er Angst davor, welches Schicksal sich erfüllen wird.
Abermals ertönt eine Abfolge verhärteter Varianten der Moll-Dreiklänge auf tiefen Streichern; dieses Mal
jedoch eher resignativ als militärisch. Über dem Herzschlag auf den Kesselpauken, setzt der Chor von „The
Call“ ein.
D
ie Soldaten versammeln sich auf den Wällen. Aragorn aber hat seine Entschlossenheit verloren. Entmutigt sitzt er auf den Stufen und beobachtet die Truppen, bis er Hámás Sohn, Haleth, sieht, welcher bloß
ein Junge ist, der darauf wartet, sich den Männern in der Schlacht anzuschließen. Ein weiteres Trompetensignal ertönt, erpicht darauf, die Männer zu den Waffen zu rufen. Es ist jedoch nicht in der Lage, die Linie zu
vervollständigen, und so verharrt es auf den ersten zwei Tönen der Rohan-Fanfare. Aragorn unterhält sich
mit dem Jungen und tiefe Streicher setzten die Begleitmusik fort. Auch sie versuchen, die Rohan-Phrase zu
vervollständigen, jedoch sind auch sie nicht in der Lage dazu. Voller Angst schaut Haleth zu Aragorn und
hofft auf Worte der Ermutigung. Der Erbe Isildurs zeigt keinen falschen Optimismus, sagt dem Jungen jedoch, dass er niemals die Hoffnung aufgeben solle. In diesem Moment erkennt Aragorn, warum er die Menschen Rohans anführen muss. Als er sich selbst bewaffnet, ertönt das Trompetensignal ein weiteres Mal. Es
ist zwar dieses Mal immer noch unfähig, eine heroische Darstellung der
In der Entstehung
Rohan-Fanfare zu beenden, aber es ertönt belebter, schneller und gepaart
mit einer schnarrenden Paradetrommel. Die drei Gefährten sind wieder
Die Konturen tiefer Streicher
vereinigt und die auf- und wieder absteigenden Töne des ‚Gefährten‘unter dem Gespräch zwischen
Themas erklingen in wiederhallenden Streichern. Die Überlebenschancen
Aragorn und Haleth sind im
haben sich zwar nicht verbessert, aber nichtsdestotrotz ist es ehrwürdig,
Film nicht zu hören.
das Richtige zu tun.
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
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4 | „The Host of the Eldar“ – Die Heerscharr der Eldar
D
ie Hoffnung wird belohnt. Haldir von Lórien erreicht Helms Klamm mit einer Schar Elbenschützen,
um den Rohirrim beizustehen. Das ‚Lothlórien‘-Thema nimmt eine bislang ungehörte Gestalt an. Sein
schwülstiger Lauf verdichtet sich zu einem militanten Marsch. Stimmen und Blechbläser ertönen in elbischem Einklang und tragen das Thema über rhythmische Percussions und Streicher. Trotzdem bleibt der
Optimismus gezügelt, denn noch singen „ The London Voices“ das zu dem ‚Lothlórien‘-Thema gehörige und
trostlose „Footsteps of Doom“.
Ungenutztes Konzept
ls Haldir vor Théoden den Bund zwischen Elben und Menschen Es wurde entschieden, dass das
erneuert, ertönen drei Akkorde aus den hohen Streichern, die ‚Gefährten‘-Thema, während die
fast identisch sind mit jenen, die Gandalf an den Toren Durins be- Elben in makelloser Präzision ihren
gleiteten, als er den Namen Fëanors, einen der Eldar, erwähnt hat. Platz einnehmen, nicht vorkommt.
Aragorn stürzt Haldir entgegen und begrüßt ihn mit einer klaren Denn diese Melodie soll den MitDarstellung des ‚Gefährten‘-Themas auf der Trompete. Weder die gliedern der Gefährten vorbehalten
elbischen Bogenschützen, noch die die Soldaten Rohans sind tat- sein. Die letzten beiden Akkorde
sächlich Mitglieder der Gefährten. Jedoch folgen sie in ihrem Bund dieser Komposition wurden ebenseinem Geist bedingungslos. Während die Elben in makelloser Prä- falls nicht verwendet, um die Stille
zision ihren Platz einnehmen, kennzeichnet Shore das Bündnis mit vor dem Kampf einige Sekunden zu
einer weiteren beschwingten Darstellung des ‚Gefährten‘-Themas.
verlängern.
A
J
edoch kann keine dieser Huldigungen die Uruks aufhalten; ihre Fackeln und Rufe entstellen nun den
Horizont und ihre Schritte erschüttern den Erdboden. Voller Erwartung kauern tief versteckt in den Glitzernden Grotten die Frauen und Kinder. Die Partitur sinkt in eine trostlose Ruhepause, die von einer erwartungsvollen Darstellung des ‚Rohan‘-Themas auf dem Doppelrohrblatt begleitet wird. „Es ist leise und
gefühlsbetont. Dies sind Familien, und die Partitur beschreibt ihre unglückliche Lage“, sagt Shore. „Bald
schon wird es Verwüstung und Tod geben.“ Mit einer Handvoll chromatisch ansteigender Akkorde erreichen
die Uruk-hai Helms Klamm.
5 | „The Battle of the Hornburg“ – Die Schlacht um die Hornburg
D
ie Schlacht wird mit den ‚Lothlórien‘-Thema eröffnet; die Musik derjenigen, die die Burg in der ersten
Reihe verteidigen. Als die Uruks ihren Angriff beginnen, feuern die Elben ihre erste Pfeilsalve ab. Im
Krieg übernehmen ausschließlich die Blechbläser das Thema. Die dekorativen Frauenstimmen, die der elbischen Musik deren erhabene Schönheit verliehen, sind nun nirgends mehr zu finden. Der erschütternde
Angriff der Kesselpauken, zweier Taikos, des Basses und einem rollendem Tamtam setzt sich fort; und diese
Dreistigkeit geht in brachial verschachtelte Gruppierungen über, die sich, ähnlich wie die Entschlossenheit
der Krieger, zuspitzen.
A
ber die Uruks sind zahlenmäßig überlegen, und so erreichen sie, mit ihren Leitern den Boden pfählend,
schnell den Außenwall. Die Partitur wechselt zu einem kantigen und metallenen Angriff des Fünfvierteltaktes und des ‚Isengard‘-Themas. Als diese Klangmuster ihren Weg in die Schlacht gefunden haben, etablieren sie sich und verweigern jegliche Unterwerfung. Die Uruks beginnen, sich durch die elbischen Verteidigungslinien zu schlagen und gelangen langsam immer tiefer hinein. Der Fünfvierteltakt hat längst die Elben
passiert, als er auf die Rohan-Fanfare trifft. Er trampelt aber nicht auf dem Thema herum, sondern stampft
direkt hindurch. Die Partitur lässt die zwei Linien in ihrem Kontrapunkt ertönen und entstellt die ländliche
Schönheit Rohans durch die aufdringliche Brutalität der Urkus.
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
26
6 | „The Breach of the Deeping Wall“ – Der Durchbruch des Klammwalls
M
it der Hilfe der Elben scheinen die Rohirrim die Uruks allmählich aufzuhalten. Die Armeen sind sich
einander ebenbürtig und das thematische Material bricht für einen Moment aus dem Rahmen der
Partitur. Dennoch erzeugen die schnelle Phrase auf der kleinen Trommel und ein Akkordpaar (G-Moll und
E-Moll) eine erregende Spannung, als die Uruks ein paar metallene Kugeln zu einem Abflussschacht im Außenwall von Helms Klamm tragen. Aragorn spürt, dass etwas nicht in Ordnung ist und die Streicher nehmen
den strammen Rhythmus der kleine Trommel auf. Legolas versucht, einen heranstürmenden Uruk zu erledigen. Der Berserker erreicht jedoch den Abflussschacht, entzündet mit seiner Fackel die Kugeln und sprengt
den Wall. Die Partitur spiegelt den Erfolg der Uruks wieder und wird von den beißenden Dissonanzen des
‚Grausamkeit der Orks‘-Themas zerfleischt. Die G-Moll- und E-Moll-Akkorde kehren noch unheilbringender
wieder, als die Uruks beginnen, mit einer Belagerungsramme gegen das Haupttor zu hämmern.
D
ie Gefährten, indes, erholen sich immer noch von der Explosion am Wall. Bestärkt durch die drei am
vollständigsten entwickelten Darstellungen des Themas der ‚Gefährten in Rohan‘, springt Gimli Aragorn
zur Hilfe. Die Elben ziehen ihre Schwerter und stürmen den Uruk-hai entgegen. Ein weiteres Mal ertönt eine
komplett in den Blechbläsern gespielte Darstellung des ‚Lothlórien‘-Themas und verkündet die Wucht ihres
Angriffes. Allerdings unterbricht ein in der Nähe kämpfender Elb aus dem Düsterwald die Linie und ersetzt
sie durch eine präzisere Melodie. Auf einem Schild gleitet Legolas zügig die Treppen herunter und fertigt reihenweise Uruks ab, gefolgt von einer lebhaften Darstellung des ‚Gefährten‘-Themas. Es ist ein sonderbarer
Moment von unbescholtenem Heroismus. Als das Thema schließt, kehren jedoch die straffen Rhythmen der
kleinen Trommel wieder.
7 | „The Entmoot decides“ – Das Entthing trifft eine Entscheidung
B
aumbarts Artgenossen haben eine Entscheidung getroffen. Die Ents werden nicht helfen. Merry ist niedergeschmettert, aber Pippin versucht, seine Stimmung wieder etwas anzuheben, indem er ihn an das
Auenland erinnert. Streicher begleiten Pippins Bemühen und versuchen, die Partitur mit dem ‚Auenland‘Thema auszupolstern. Aber die Linie wirkt schwerwiegend, bedrückt und tiefer als gewöhnlich. Sie bringt
nichts weiter hervor, als eine bedauerliche Erinnerung an das weitentfernte zuhause. Merry erinnert Pippin
daran, dass, wenn dieser Krieg nicht aufgehalten wird, selbst das Auenland nicht vor ihm sicher ist.
D
ie Schlacht um Helms Klamm zeigt nichts anderes. Das Blatt hat sich zu Gunsten der Urkus gewendet.
Die Komposition hält inmitten der Kriegsbrunst inne, um die unausweichliche Niederlage der Rohirrim
zu betrauern. „Dies ist die Verzweiflung gegenüber allem“, sagt Shore. Théoden ruft Aragorn zum Rückzug,
und die auf- und wieder absteigende Kontur, die Aragorns aufflammenden Heroismus mit seinem Heldenmut
vereint, stellt sich ernüchternd gegen ihn. Seine Führerschaft hat keine nachhaltige Hilfe leisten können.
8 | „Retreat“ - Rückzug
Mit „Haldir ’s Lament“ gesungen von Elizabeth Fraser
A
ragorn ruft zum Rückzug; doch das Signal kommt zu spät für Haldir. Er wird von einer Uruk-Klinge
hinterrücks erdolcht. Elizabeth Frasier, die das „Lament For Gandalf“ in „Die Gefährten“ sang, kehrt
zurück, um noch einmal einem gefallenen Helden die letzte Ehre zu erweisen. Als Fraser „Haldir’s Lament“
singt, nimmt Shores Komposition für den gleichen Zweck eine ähnliche Form an, ein „call and response“ für
Solosopran und Frauenchor, gespielt zu Auszügen von „Namárië“. Im Tode kehrt Haldirs Musik zu der ätherischen Mystik der Elben zurück.
27
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
A
ngespornt zu handeln, schwingt Aragorn wild sein Schwert um sich, mitten in die umstehenden Urukhai, die er jedoch nicht trifft. Die G-Moll/E-Moll Akkorde kehren unter den martialischen Trommelmustern wieder und die Uruks fahren umbarmherzig fort, das Tor der Hornburg zu zerstören.
M
it einer hohen, gedämpften Streicher-Fassung des ‚Böse Zeiten‘-Themas und seiner krummen chromatischen Gestalt, erreichen Aragorn und Gimli heimtückisch die Angreifer des Tores. Gimli, zu diesem
Zeitpunkt fast resigniert über seine unwürdige Existenz, schlägt Aragorn vor, ihn hinüber zum Damm, direkt
in die Uruk Meute, zu werfen... aber nur wenn Legolas nichts davon erfährt. Aragorn stimmt zu und mit der
stärksten Lesart des ‚Gefährten‘-Themas seit die drei Jäger die Ebenen von Rohan durchforsteten, springt er
dem Zwerg hinterher, um die Uruks zu attackieren.
I
n dieser Verwirrung können die Rohirrim das Tor befestigen, aber schon bald tritt eine neue Bedrohung
zutage. ‚Die Grausamkeit der Orks‘ kehrt wieder, als die Uruks Carroballistas hervorbringen, um Leitern
fest an der Mauer zu befestigen. Aragorn kämpft tapfer weiter - seine Bemühungen sind immer noch von der
ab- und wieder aufstrebenden Phrase gekennzeichnet, doch das ‚Grausamkeitsmotiv‘ fegt achtlos über den
Fünfvierteltakt hinweg. Das ‚Isengard‘-Thema ergiesst sich über das Schlachtfeld. Mit einem Einbruch von
Hörnern und Posaunen, kippt der Ausgang der Schlacht zu Vorteil für die Uruks.
N
achdem sie genügend Ablenkung verbreitet haben, werden Aragorn und Gimli von Legolas an der Mauer hochgezogen. Leidenschaftliche Streicher schwappen für einen Moment über, aber die Uruks sind
fast nicht zu stoppen. Das Haupttor ist kurz davor, zu fallen. Ohne eine Wahl zu haben, befiehlt Théoden allen
Truppen, sich zurückzuziehen. Das Waldhorn spielt einen verkündenden Ruf der Rohan-Fanfare, welches
mit den drei Anfangstönen des ‚Gefährten‘-Themas schließt. Trompeten antworten dem Ruf, ebenso mit der
Rohan Fanfare beginnend, und schließen mit einer Wendung zum ‚Lothlórien‘-Thema.
9 | „Master Peregrin‘s Plan“ – Meister Peregrins Plan
B
aumbart trägt die entmutigten Hobbits durch den Fangornwald, als Pippin eine Idee kommt. Er schlägt
vor, die Marschrichtung zu ändern, und fragt den Ent, ob er sie nach Süden in Richtung Isengard tragen
kann. Shores Komposition nimmt die vier Akkorde wieder auf (Es-Moll, A-Moll, Es-Moll, Fis-Moll), welche
melodisch den „kleinen Steinen“-Akkorden ähneln, harmonisch jedoch die Moll-Fassung des Dreiklanges
wiederholen, der zu hören war, als die Hobbits zum ersten Mal den Wald betraten. Merry und Pippin, die
„kleinen Steine“ in Hobbitform, sind im Begriff, die Lawine einzuleiten, die Baumbart genauso stark erschrecken wird, wie er die Hobbits erschreckt hat. Das Trio bewegt sich nach Süden, begleitet von einer gestreckten Melodie, die von den Eröffnungstönen des ‚Auenland‘-Themas abgeleitet wurde.
E
ine gedehnte Fassung des ‚Böse Zeiten‘-Motivs beschreibt Frodos Fortkommen. Faramir führt ihn, Sam
und Gollum in die Randgebiete des Königreiches Gondor, von wo sie in der Ferne die berennende Stadt
Osgiliath erblicken. Frodo fleht ein weiteres Mal um seine Freilassung, wird aber abgewiesen.
H
eiter plaudernd erreicht Baumbart mit Merry und Pippin Isengard.
Ein tiefer Wirbel auf dem Tamtam bringt ihn früher an die Grenzen
des Waldes als er es erwartet hatte. An einem Ort, an dem früher viele von
Baumbarts Freunden standen, ist nun nur noch ein Hain von abgeschlagenen Baumstümpfen zu sehn. Als sich Baumbarts Gemüt erzürnt, erklingen
schwermütige Streicher mit einem immer schneller wachsenden schmerzlichen Unterton. „Ein Zauberer sollte mehr Verstand haben!“ Blechbläser
erzeugen einen barschen Orgelpunkt unter den Streichern, und Baumbart
jault wutentbrannt in die Luft.
In der Entstehung
Die Musik, die zu hören
ist, als Baumbart die
zerstörten Bäume begutachtet, ist im Film nicht
zu hören.
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
28
10 | „The Last March of the Ents“ – Der letzte Marsch der Ents
Mit Ben Del Maestro
„M
eine Aufgabe diese Nacht ist Isengard“, verspricht Baumbart. „Mit Fels und Stein.“ Ein bedächtiger
Marsch beginnt. Celli und Bässe unterlegen die Downbeats [der erste Schlag eines Taktes], während
eine Feldtrommel den Rhythmus angibt. Frauenstimmen beginnen „The Ents“ zu singen und artikulieren
damit das ‚Rückforderung der Natur‘-Thema in einer Weise, in der es bisher noch nicht zu hören war. Zum
allerersten Mal in der Geschichte hat sich die Natur von ihrer sanften, wohlwollenden Art gelöst und sich
selbst auf den Pfad in den Krieg gemacht. Isengards übergreifender Industrialismus ist zu einer Gefahr für
die Natur geworden und eine unaufhaltsame, auf Vergeltung zielende Kraft versucht nun, das Gleichgewicht
wieder herzustellen. Das ‚Rückforderung der Natur‘-Thema baut sich weiter auf. Männliche Stimmen unterstützen die der Frauen und der Knabensopran, Ben Del Maestro, übernimmt die Melodie.
W
ährenddessen haben Faramirs Gefangene die Grenzen Osgiliaths erreicht. Frodo bemerkt kaum, dass
der Ring so eine Last geworden ist, dass er all seine Konzentration aufbringen muss, um verbissen
weiterzukämpfen. Sam versucht ihm mit ermutigenden Worten Trost
In der Entstehung
zu spenden, aber das Klangbild wird durch ein erdrückendes Dröhnen
von offenen Streicherharmonien, welche jeden Moment drohen, in die
Nachdem beinahe das ‚Verfüh‚Verführung des Ringes‘ zu wechseln, überflutet. Faramir befiehlt seinen
rung des Ringes‘-Thema zu höMännern, die Hobbits zu seinem Vater zu bringen. Doch zu einer scharfen
ren ist, wird die Komposition
Hobbitphrase auf der Klarinette offenbart Sam ihm, dass Boromir getötet
aus dem Film ausgeblendet,
worden ist, nachdem er versucht hat, den Ring an sich zu nehmen. Farasodass die letzten 35 Sekunden
mir ist erstarrt, bis eine Bedrohung vom Himmel seine Aufmerksamkeit
nicht zu hören sind.
von den Gefangenen ablenkt.
11 | „The Nazgûl Attack“ – Der Angriff des Nazgûl
A
ls ein Nazgûl am Himmel erscheint, entladen sich Blechbläser mit den beißenden Harmonien des ‚Ringgeister‘Themas. Die Partitur wirkt sich wie ein Schrecken auf die Gefangenen und die Geiselnehmer aus, als diese aus
dem Sichtfeld fliehen. Der Blick des Reiters auf dem geflügelten Ungeheuer gleitet über die Stadt auf Suche nach
dem Ringträger. Und obgleich Faramir ihn vor den Augen des Nazgûl verbirgt, ist Frodo unbewacht.
I
ndes haben die Uruks die Wälle von Helms Klamm überrannt und hämmern sich nun ihren Weg in das Innere
der Festung. In den Glitzernden Grotten unterhalb der Burg zucken die Frauen und Kinde Rohans bei jedem
Schlag zusammen. Die Partitur beruhigt sich von selbst in einer Rohan-artigen Stimme und bereitet sich auf das
Schlimmste vor. Gedämpfte und ermüdete Linien erklingen, unter denen die Kesselpauken und die Marschtrommeln wie eine weit entfernte Schlacht erbeben.
D
er König kann den ihnen entgegen gebrachten tollkühnen Hass nicht fassen. Aragorn schlägt vor, mit einem
letzten Sturm auszureiten, um die Uruks von den Frauen und Kindern fernzuhalten. Konturen des Schlagwerks bauen eine Energie auf, die Théodens Aufmerksamkeit wieder zurück holt. Gimli bemerkt, dass die Sonne
aufgeht, welches die Ankunft des zweitbedeutendste der Motive der Natur, Gandalf der Weiße (In der Natur),
ankündigt. Sie erinnern sich an die Worte des Zauberers: „Erwartet mein Kommen beim ersten Licht des fünften
Tages. Bei Sonnenaufgang schaut nach Osten.“
A
ls sich Théoden und Aragorn zum Ausritt bereit machen und Gimli zum Horn von Helm Hammerhand
stürmt, baut der Chor entschlossen Gandalfs Thema mit dem Text von „The Call“ auf. Die sich wiederholenden Triolen beschreiben immer höhere Bögen und bauen eine Energie auf, die sich in dem wahrscheinlich letzten
Ritt der Eorlingas auflösen wird.
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
29
12 | „Théoden rides forth“ – Théoden reitet aus
Mit Ben Del Maestro
D
ie Reiter des Königs überrumpeln die Uruks und vertreiben sie somit von dem Dammweg. Eine fulminante Darstellung der Rohan-Fanfare trägt die Eorlingas ins Feld und in die Überreste der Urukarmee.
Erwartungsvoll wirft Aragorn seinen Blick nach Osten gen Sonnenaufgang, wo sie auf einen Pferd und seinen
Reiter treffen; die herzliche Begrüßung besteht aus einem Wort: „Sceadufæx“, oder Schattenfell.
G
enau wie es er versprochen hat, kehrt Gandalf der Weiße zurück, und mit ihm sind Éomer und seine
3.000 Reiter von Rohan. Das Sonnenlicht bricht sich auf der verdunkelten Erde und versengt die Uruks.
Gandalf und die Reiter greifen an und verwüsten das hasserfüllte Heer. Ben Del Maestro und ein gemischter
Chor singen eine ansteigende Fassung von „The Mearas“, auf der glanzvolle Violinen ‚Gandalf der Weiße (In
der Gemeinschaft)‘ spielen. Das Zusammenspiel ist nun vollkommen. Gandalf, der von der Natur wieder
zum Leben erweckt wurde, hat Ihren Willen erst unter die Gefährten getragen, nun zu den Rohirrim, und
vereint diese Kräfte nunmehr gegen Sauron und seine Lakaien.
D
ie Natur hat jedoch noch einige Anliegen mit Isengard zu klären. Das Schlagwerk nimmt wieder einen kriegerischen Schritt auf und die Ents werden entfesselt. Das Orchester und der Chor schwellen
an, entwickeln vereinzelt Phrasen des Natur-Themas und steigen über
In der Entstehung
das in dieser Partitur am weitesten ausgedehnte Crescendo an. Während
die Melodieline immer weiter ansteigt und quirlige, arpeggierte Phrasen
durch begleitende Linien fließen, durchbrechen die Ents den Damm. Die Im fertigen Film wurde das AufMusik und die mächtigen Wassermassen bereinigen Isengard, löschen treten von ‚Gandalf der Weiße
seine Feuer und reißen seine niederträchtigen Anlagen nieder, mit de- (In der Natur)‘ durch eine vernen es die Umwelt verseucht hat. Blechbläser schnattern in rhythmischen änderte Fassung des RückforTuschen und verkünden, dass, trotz Ihrer sesshaften und anmutigen Er- derungsthemas der Natur erscheinung, die Natur einer solchen Gewalt fähig ist, dass selbst Saruman setzt.
sich Ihr nicht widersetzen kann.
S
aruman, hingegen, ist nur ein Finger an Saurons Hand. In Osgiliath,
indes, zieht der Dunkle Herrscher die Schnüre immer enger zusammen. Der Nazgûl durchsucht die Stadt nach Frodo, der nun benommen
durch die Ruinen wandert. Shore hält wieder offene Töne in den Streichern und droht, das ‚Verführungs-Thema‘ anzuschneiden. Frodos Wille
bleibt stark; es gibt jedoch nichts, was den Nazgûl davon abhalten kann,
seine eigenen abscheulichen Harmonien in die Partitur einzuschleppen. Mit einem dissonanten Ausbruch findet der Reiter Frodo auf einer
steinernen Treppe. Frodo nimmt den Ring in die Hand, bereit dazu, ihn
überzustreifen. Offene Streicherharmonien harren seiner Entscheidung.
Stets treu ergeben, rennt Sam Frodo zur Hilfe, und mit einer schlitternden Triole auf den Streichern purzeln die beiden die Treppe hinunter.
Obwohl beide Themen die
Verbindung Gandalfs mit der
Natur artikulieren, hat Shore
ursprünglich
erdacht,
die
Handlungen in Helms Klamm
und in Isengard präzise mit eigenständigen Themen zu skizzieren.
Auf dieser CD hört man die Musik so, wie Shore sie ursprünglich geschrieben hat; inklusive
der intakten Skizzierungen.
13 | „The Tales that really matter“ – Die Geschichten, die wirklich wichtig sind
D
er Nazgûl wurde abgewehrt, die Uruks von Helms Klamm vertrieben und Isengard wurde von den Ents
bezwungen. Es scheint, als würde Mittelerde seinen Helden eine vorübergehende Ruhepause von ihren
Sorgen gönnen, wären da nicht die gebrochenen Herzen zweier Hobbits. Frodo und Sam liegen erschöpft am
Fuß der Steintreppe. „Ich kann das nicht, Sam“, die Worte fallen voller Bedeutung. Wieder ist es Samwise
Gamgee, der Frodo über den Abgrund der Verzweiflung tragen muss. Shores geteilte Holzbläser und Strei-
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
30
cher bauen eine sanfte Atmosphäre auf, die Flöte weicht der Klarinette, als die Akkorde aus der andächtigen
Hymnenfassung des ‚Auenland‘-Themas darunter an Form gewinnen. Sam sagt zu seinem Freund, „Sogar die
Dunkelheit muss weichen. Ein neuer Tag wird kommen“, und die ausgedehnte Einfachheit der ‚Erkenntnis
eines Hobbits‘ tritt zum ersten Mal hervor, seit die Hobbits zu den Emyn Muil aufgebrochen sind. „Fran hielt
es für wichtig, dies mit dem Flussufer aus den Gefährten zu verbinden“, erinnert sich Shore. Faramir hat das
Gespräch der Hobbits mitgehört und versteht schließlich Frodos Aufgabe. Die Musik bietet kurzzeitig eine
mitfühlende Oase, als die Klarinette die Hymnenfassung des ‚Auenland‘-Themas aufnimmt, das nun, vollständig entwickelt, über den gleichmäßigen und getragenen Akkorden, und Frodo, Sam und Gollum werden
freigelassen.
H
ier beginnt eine Reihe von Auflösungen, jede Gruppe von Helden formt ihren eigenen Erzählstrang.
Mit einem Zwitschern trillernder Streicher und Bläser drängen Gandalf, Aragorn, Théoden und Éomer
die letzten übrig gebliebenen Uruk-hai in den Wald, wo knirschende Blechbläser sich auf sie stürzen und die
Huorns die Biester ein für allemal erledigen. Ein würdevolles ‚Gefährten‘-Thema und eine Reihe humorvoll
schleppender Akkorde repräsentiert perfekt die Beziehung zwischen Legolas und Gimli, die im Wettstreit
ihre jeweiligen Endstände von Ork-Leichen vergleichen. Und sogar nachdem sie erlebt haben, wie die Natur
zum Leben erwacht und ihre unbändige Flut über Isengard entfesselt hat, sind Merry und Pippin zu ihren alten Gewohnheiten zurückgekehrt und suchen nach einem guten Happen
Ungenutztes Konzept
zu Essen... und vielleicht einer Pfeife voll Alter Toby. Beides wird in Sarumans Vorratskammer entdeckt und mit beschwingten Auszügen aus der
verspielten Fassung des ‚Auenland‘-Themas und demThema der ‚Hobbit- „Ich habe diese Komposition eiMätzchen‘ - und den zarten Klängen der Flöte – könnten die Hobbits nige Male überarbeitet“, erklärt
nicht besser in ihrem Element sein. Sogar Baumbarts Motiv windet sich Howard Shore. „Ich durchlaufe
aufwärts wie ein seltsames Lächeln, als sein Interesse durch Gelächter eine ganze Menge Überarbeitungen bei einigen dieser Stüund Rauchwolken aus dem Vorratsraum geweckt wird.
cke. Es dauert eine Weile, bis es
aramir schickt Frodo und Sam durch ein altes Kanalisationsrohr, das sich natürlich anfühlt.“
F
sie aus Osgiliath und zurück in die Wälder führen wird. Aber er warnt
sie vor den Gefahren von Cirith Ungol und droht Gollum mit dem Tod,
sollte er den Hobbits Schaden zufügen. Könnte Gollum sie in eine Falle
führen? Die Oboe taucht auf und zeigt zunächst vier Töne, die wir bald aus
„Gollum‘s Song“ erkennen werden, dann leitet sie direkt in das ‚Mitleid‘Thema über. Die Streicher führen es fort und kombinieren das ‚Mitleid‘Thema mit Bruchstücken aus „Gollum‘s Song“, während Sam mit Gollum
spricht und ihn daran erinnert, dass Frodo nur das Beste für ihn im Sinn
hat. Gollum gibt vor, zu verstehen, aber die Unregelmäßigkeit der Musik
lässt verschiedene Schlüsse zu.
N
achdem Gandalf der Weiße seine Aufgabe in Helms Klamm erfüllt
hat, wendet er seine Gedanken gen Mordor im Osten. Er erinnert
alle daran, dass dieser Sieg sie nur einen Schritt näher an die größere
Bedrohung durch Sauron gebracht hat. Das ‚Gefährten‘-Thema taucht
ein letztes Mal mit einer ernsthaften Stimmung in den tiefen Tonlagen
des Orchesters auf. Aber versteckt in den Tiefen des Orchesters, ganz tief
unten in seinem Tonumfang, tritt eine Soloklarinette dem ‚Gefährten‘Thema bei. Gandalf stellt fest, „Unsere Hoffnung ruht jetzt bei zwei kleinen Hobbits, irgendwo in der Wildnis.“
Der erste Entwurf von „Die Geschichten, die wirklich wichtig
sind“ enthielt viel mehr direkte,
weniger zögernde Fassungen des
Auenland-Materials - die Flöte
eingeschlossen - ebenso wie einige der ‚Gefährten‘-Fassungen
im ersten Drittel. Allerdings
wurde letztendlich entschieden,
dass das ‚Gefährten‘-Thema
sich schon als speziell zum Erzählstrang von Aragorn, Gimli,
Legolas und Gandalf gehörig
etabliert hatte, sodass dieses
Thema etwas zurückgenommen
wurde, als die Komposition umgeschrieben wurde, um ihm eine
weichere, beschaulichere Form
zu geben.
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
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D
ie Klarinette steigt wieder zu einem D an – die gängigste Tonart der Hobbits – zurück zur nachdenklichen Fassung des ‚Auenland‘-Themas und der einzig wahren Skizze des Hobbit-Themas. Wieder hat
Sam Frodo die Kraft gegeben, weiter zu machen, und Frodo nimmt sich einen Moment, um seinen Freund zu
würdigen. Die Stimme wird in den Streichern fortgesetzt, die mit derselben Hymnenfassung weitermachen,
die sich am Ende von „Die Gefährten“ zu „In Dreams“ entwickelte . Aber das dritte Mitglied der Gruppe empfindet keine solch warmen Gefühle für seine Begleiter. Gollum schleicht allein durchs Unterholz, begleitet
von einer hohen, dissonanten Geigenstimme und einem tiefen Ächzen des Kontrabasses und Bässen der
‚Bedrohung durch Gollum‘. „Darin ist ein bisschen aus dem ‚Gollum‘-Thema und ein bisschen von Sméagol
zu finden,“ erklärt Shore. Sméagol ist nicht mehr frei von Gollum, und obwohl das ‚Mitleid‘-Thema flehend
an den Streichern zieht, erinnert ihn ein noch älteres Thema an seine wahre Treuepflicht. Noch einmal windet sich das ‚Mitleid‘-Thema sklavisch zum Thema ‚Die Geschichte des Ringes‘, und Gollums wahrer Herr
ergreift Besitz. Gollum beschließt, dass die Hobbits sterben müssen – und dass der Ring wieder sein Eigen
werden muss. „Wir könnten sie es tun lassen...“
14 | „Long Ways to go yet“ – Langer Weg noch zu gehn
feat. „Gollum‘s Song“ gesungen von Emiliana Torrini
G
ollum führt Frodo und Sam weiter und das Orchester nimmt eine Reihe ungewisser Moll-Harmonien
auf, wodurch es die stilistischen Neigung des ‚Mitleid mit Gollum‘-Themas in tiefschwarze, neue Richtungen hinunterzieht. „Die Komposition erscheint robust, aber sie ist immer ein kleines bisschen unsicher.
Es ist ein suchendes Stück“, beschreibt es Shore. Wie am Ende von „Die Gefährten“, beginnt ein Knabenchor
eine wortlose Melodie zu summen. Das Bild hält bei den entfernten Feuern des Schicksalsberges inne. Shore
beobachtet aufmerksam: „Wir werden bald da sein.“
D
ie Knaben verstummen und übergeben die Melodie Emiliana Torrini, die „Gollums‘s Song“ singt, der
einen wichtigen Wendepunkt für die Figur darstellt. Er unterstreicht den Zeitpunkt, zu dem Sméagol
beginnt, Gollums Sichtweise zu übernehmen. Sobald Sméagol seine unterwürfige Art aufgibt, wird dieses
Thema völlig verschwinden, wodurch Frodo und Sam der ‚Bedrohung durch Gollum‘ ganz und gar ausgeliefert sind.
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
32
~ Anhänge ~
~
S Ä N G E R
~
Die “London Oratory School Schola”
(Hörbeispiel: CD 2 | Titel 15 | 1:31)
D
ie „London Oratory School Schola“ wurde 1996 als erstklassiger Knabenchor an der renommierten Londoner Oratary School gegründet. Die Schüler singen in der wöchentlichen Messe der Schule und wirkten in vielen Filmsoundtracks mit. Darunter sind Danny Elfmans „Sleepy Hollow“, John Williams „Harry
Potter“-Filme und natürlich Howard Shores „Der Herr Der Ringe“. Obwohl sie im gesamten Soundtrack immer wieder zu hören sind, werden sie oft nur mit dem Thema der Verlockung durch den Ring in Verbindung
gebracht.
Die “London Voices”
(Hörbeispiel: CD 1 | Titel 1 | 2:32)
D
ie Sänger der „London Voices“ werden für jeden Auftrag von Hand ausgewählt. Der Chor ist keine feste
Verbindung, so dass die Sänger sich speziell für Projekte ihres Gebiets bewerben können. Unter der Leitung von Terry Edwards haben die „London Voices“ überall auf dem Globus Konzerte gegeben. Neben dem
Standardrepertoire mit Werken von Bach, Händel, Mozart, Stravinsky singen sie auch neuere Werke von
John Adams, Luciano Berio und Sir Michael Tippet.
T
erry Edwards: „Ich erinnere mich lebhaft an die Aufnahmesitzungen, da ich sämtliche Chorsätze für den
zweiten und dritten Film dirigiert habe. Howard war immer damit beschäftigt, Passagen neu zu komponieren oder abends in seinem Hotel zu ändern. Wir haben häufig Material aufgenommen und es ihm in der
ersten Stunde einer jeden Sitzung vorgespielt. Mit sicherem Gespür hörte er eventuelle Unvollkommenheiten
heraus und schlug minimale Veränderungen an unserer Vortragsweise oder seiner Komposition vor, die auf
magische Weise den Gesamteindruck veränderten, sodass sie noch besser zu den Bildern auf der Leinwand
passte. Ich war tief beeindruckt von seiner Fähigkeit, die Gedanken, die ihm bei der Komposition durch den
Kopf gegangen waren, auf unsere Darbietungsweise zu übertragen. Er war immer hundertprozentig bei der
Sache, wenn wir ihn brauchten, obwohl er zu dieser Zeit sicherlich viel Stress hatte und in Arbeit versank.“
ELIZABETH FRASER
(Hörbeispiel: CD 3 | Titel 8 | 0:03)
F
raser ist als führende Sängerin und Lyrikerin der einflussreichen „Cocteau Twins“ weltbekannt. In „Die
Gefährten“ und „Die Zwei Türme“ wird ihre Stimme mit den mystischen Klängen von Lothlórien in Verbindung gebracht. In „Die Zwei Türme“ hört man sie in „Haldir’s Lament“.
ISABEL BAYRAKDARIAN
(Hörbeispiel: CD 1 | Titel 11 | 01:54)
“I
sabel ist lyrische Sopranistin. Ein Freund hat mir eine Demo-CD von Isabell gegeben und ich habe sie
daraufhin als eine der ersten zum Vorsingen eingeladen“, erinnert sich Howard Shore. „Mir war klar,
dass Isabell die ideale Besetzung sein würde, wenn ich etwas für Sopran schreiben sollte. Sie hat eine wunderschöne Stimme, die ich mir perfekt für „Evenstar“ vorstellen konnte.“
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DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
SHEILA CHANDRA
(Hörbeispiel: CD 2 | Titel 11 | 00:10)
C
handra stammt aus einer Familie südindischer Immigranten, die heute im südlichen Teil Londons lebt.
Shore stieß zufällig auf eine Indipop-Aufnahme, auf der Chandra zu hören war, und war von ihrer außergewöhnlichen Stimme sofort hingerissen. „Ich habe sofort gedacht: Was für eine tolle Stimme! Sie ist
irgendwo bei Mezzosopran anzusiedeln.“ Sheila Chandra singt „The Grace of the Valar” und wird dabei von
vier Altflöten, einer Dilruba und einem Monochord begleitet. Das Stück untermalt die Szene, in der Aragorn
bewusstlos den Fluss hinunter treibt.
BEN DEL MAESTRO
(Hörbeispiel: CD 3 | Titel 10 | 0:48)
B
en Del Maestro ist ein Mitglied der London Oratory School Schola und singt sämtliche KnabensopranSoli in „Die Zwei Türme“.
EMILIANA TORRINI
(Hörbeispiel: CD 3 | Titel 14 | 1:14)
E
miliana Torrini, aufgewachsen in Island, erhielt eine klassische Opernausbildung bevor sie sich entschied, Liedtexte zu schreiben und vorzutragen. Ihre einmalige Vortragsweise traf genau die Klangfarbe
von „Gollum’s Song“.
SINGENDE SCHAUSPIELER
Miranda Otto
~
I N S T R U M E N T A L
M U S I K E R
~
Das Londoner Philharmoniker Orchester
H
oward Shores Zusammenarbeit mit dem Londoner Philharmoniker Orchester fand bereits 1986 mit
dem Film „Die Fliege“ seinen Anfang. Heute ist diese Zusammenarbeit zu einer persönlichen Verbindung herangewachsen - sowohl für den Komponisten als auch für das Orchester. „Ich liebe sie, weil sie nicht
nur ein Konzert-Orchester sind, sondern vielmehr ein Opern-Orchester. Sie haben ca. 30 Jahre jeden Sommer ‚Glyndebourne‘ gespielt. Ich versuche immer eine passende Begleitmusik für Filme zu kreieren, und das
versteht man dort sehr gut. Das ist die perfekte Kombination für Filmmusik. Und deshalb stand es für mich
außer Frage, dass sie für den ‚Herr der Ringe‘ engagiert werden. Das LPO hat fantastische Musiker. Ich kenne
Sue Bohling, die das Englischhorn spielt und weiß, wie hervorragend sie ein bestimmtes Stück spielen konnte. Ich kenne Paul Beniston, den ersten Trompetenspieler, ersten Flötenspieler und die erste Geige. Ich habe
in den vergangenen Jahren unserer Zusammenarbeit ihre wunderschönen Klänge förmlich aufgesogen.“ Sue
Bohling gibt das Kompliment gerne zurück: „Der erste Film, den ich zusammen mit Shore gemacht habe war
‚The Yards‘ und ich erinnere mich daran als wäre es gestern gewesen. Es gab viel zu tun und der Film hatte
die schönste Titelmelodie... für das Englischhorn! Es ist atemberaubend, eine Komposition zu spielen, wenn
der Komponist weiß, wie er für das Instrument schreiben muss. Er hat ein natürliches Gespür dafür, was das
Englischhorn am besten kann. Er schreibt in solch einer lyrischen Qualität und im richtigen Verhältnis zum
Intrument, um es singen zu lassen.“
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
34
D
er erste Cellist, Bob Truman, geht bei seinem Lob mehr ins Detail: „Es stecken eine Menge Gedanken darin.
Seine gesamte Musik ist sehr gut geschrieben. Er hat ein natürliches Gespür für die Instrumente und, aus
den Augen eines Cellisten, schreibt er wirklich sehr, sehr gut. Als ob die Instrumente singen. Er versteht was von
Harmonien und solchen Sachen. Er benutzt Toncluster, in denen wir alle unterschiedliche Rhythmen spielen und
es klingt nachher faszinierend. Es ist sehr interessant, zu beobachten wie er seltsame Gruppensequenzen schreibt
und sie nachher alle eine Melodie ergeben, die sich herrlich ergänzen.“ Der Konzertmeister Pieter Schoeman fährt
fort: „Howard schreibt die komplexesten Spielanweisungen. Er erschafft Tongebilde, die alle mit der selben Note
beginnen und sich dann spalten, dann erweitern und sich schließlich in einen Akkord zusammenballen, den man
höchstens mit einer Kettensäge durchtrennen könnte. Der Konzertmeister muss diese Art von Spielanleitungen
so organisieren, dass eine gleiche Anzahl von Violinen auf jeder Note spielt, wenn sich der Akkord erweitert. Letztendlich habe ich eine Methode erarbeitet, auf die wir immer wieder zurückgreifen, seitdem wir es so oft brauchten.
Noch heute nennen wir diese Technik liebevoll die ‚Howard Divisi‘ (Howard-Spielanleitung).“
O
bwohl das LPO primär ein Orchester für Konzerthallen ist, haben sie trotzdem in einer Reihe von Filmsoundtracks mitgewirkt. Dennoch wird Stewart McIlwham, erste Piccoloflöte, die Beteiligung des LPO
an dieser monumentalen Produktion immer im Gedächtnis behalten. „Der Soundtrack für ‚Der Herr der Ringe‘ ist wahrscheinlich der umfangreichste, den das LPO jemals einspielen wird. In blanken Zahlen gemessen
hatten wir mit den drei Filmen und der zusätzlichen DVD-Musik fast 200 dreistündige Sitzungen. Nachdem
wir mit John Williams an „Star Wars: The Phantom Menace“ gearbeitet haben, war es interessant, beide
Herangehensweisen zu vergleichen. Mit Williams war die gesamte Musik in einem kurzen Zeitraum fertig
geschrieben, orchestriert und bereit, aufgenommen zu werden. Bei den meisten Sitzungen zu „Der Herr der
Ringe“ war der Regisseur Peter Jackson auch anwesend. Williams und Howard unterscheiden sich also gewaltig voneinander. Wir spielten ein vier- bis fünf-minütiges Stück ein und hörten es uns dann zusammen
mit dem Film an. Manchmal nutzen wir die gesamte Sitzung, um fast unmerkliche Veränderungen vorzunehmen. Howard veränderte die Orchestrierung, fügte hier ein anderes Instrument hinzu oder entfernte dort
den gesamten Violinenabschnitt.
W
ir sind Teil einer der größten Filmprojekte der Geschichte. Manchmal frage ich mich, ob die Leute von
Watford [wo die Filmmusik zu großen Teilen aufgenommen wurde] jemals wussten, was am Ende ihrer Hauptstraße passierte, oder ob sie es geglaubt hätten, hätte man ihnen davon erzählt. Manchmal war es
während dieser langen Tage gar nicht so einfach, dies zu erkennen. Aber zwischen Peter Jackson und Howard
Shore haben wir ein Meisterwerk geschaffen. Das ist das Genie dieser beiden Männer.“
D
er erste Trompetenspieler Paul Beniston erklärt: „Der Soundtrack von ‚Der Herr Der Ringe‘ hat jedes andere Filmmusik-Projekt, an dem ich gearbeitet habe oder von dem ich je gehört habe, winzig erscheinen
lassen. Und ich bin schon seit 10 Jahren im LPO.“ Bohling lässt das orchestrale Gefühl gegenüber Komponist
und Projekt Revue passieren: „Er ist schon ein Meister seines Faches, oder nicht? So etwas hat es bisher noch
nicht gegeben und wird es auch nicht mehr geben. Der Soundtrack erschien wie eine lange Reise oder eine einzige lange Phrase. Howards Schreibweise ist sehr klar. Wir wissen was er will und was er erreichen möchte. Und
er weiß was wir können.“
DERMOT CREHAN
Dilruba, Hardanger Fiddle, Sarangi
EDWARD CERVENKA
Cimbalom
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
35
SYLVIA HALLETT
Sarangi
S
ylvia Hallett beherrscht mehrere Instrumente, komponiert und improvisiert und ist immer mal wieder
auf internationalen Festivals zu hören. Sie war lange in der Theaterbranche engagiert und ist mit RSC
und der Young Vic Company auf Welttournee gegangen. Sarangi spielt sie seit acht Jahren. Unter der Anleitung von Nicolas Magriel befasst sie sich intensiv mit indischer Musik. „Ich nahm gleichzeitig mit dem
Orchester auf, saß allerdings ein Stückchen entfernt. Für „Die Zwei Türme“ spielten wir das Stück einmal
alle zusammen durch, wobei ich hauptsächlich mit Pausenzählen beschäftigt war, bevor ich mit meinem Solo
drankam. Dann begannen wir auf Howards Geheiß zu Probezwecken wieder von vorne. Als ich endlich nach
all dem Pausenzählen zu meinem Solo ansetzen wollte, unterbrach Howard den Spielfluss und bat uns, noch
mal ab dem vierten Takt zu spielen, weil die Crescendos dort nicht gestimmt hatten. Das ist glaube ich fünf
oder sechs Mal passiert. Inzwischen bin ich beim Pausenzählen einsame Spitze!“
JAN HENDRICKSE
Rhaita
GREG KNOWLES
Cimbalom
„I
ch bin 1978 von Preston nach London gezogen und habe dort bis 1985 gelebt, um bei „The Fires of
London“ mitzuspielen, einer zeitgenössischen Kammermusikgruppe, die von Sir Peter Maxwell Davies
geleitet wird. Erste Kontakte mit der Londoner Studioszene knüpfte ich als Perkussionist und Komponist für
Filmmusik (Spy Game, Red Violin). Ich nahm mit so unterschiedlichen Künstlern wie Nigel Kennedy und
Primal Scream auf.“
SONIA SLANY
Monochord
MIKE TAYLOR
Flöte
A
ls Mitglied der World-Music-Combo Incantation hat Mike Taylor bei verschiedenen Filmmusikproduktionen wie „The Mission“ (Ennio Morricone), „Willow“ (James Horner) und „Gangs of New York“
(Howard Shore) mitgewirkt. Taylor erinnert sich amüsiert daran, wie sich Shore nach seiner schier endlosen
Suche nach der perfekten Stimme für Mittelerde während einer Aufnahme plötzlich zu ihm umdrehte und
ihn fragte: „Mike, glaubst du, dass Hobbits Flöte spielen?“ „Was meinst du, Howard?“, fragte ich zurück, und
er erwiderte: „Ich glaube schon, also: Spiel einfach die Melodie und bring mich zum Weinen!“ In den Liner
Notes von „The Two Towers – The Complete Recordings“ wird fälschlicherweise Dermot Crehan als Interpret
der Flötendarbietung von Mike Taylor aufgeführt.
ROBERT WHITE
Bodhrán
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
~
I N S T R U M E N T E
36
~
GOLLUM
CIMBALOM
(Hörbeispiel: CD 1 | Titel 3 | 2:12 [Anfang des Themas ‚Bedrohung durch Gollum‘])
S
o wie Gollum einst ein Hobbit war, so ist das Cimbalom aus dem gewöhnlichen Hackbrett hervorgegangen. Das Cimbalon wurde im neunzehnten Jahrhundert entwickelt. Es ist die ungarische Weiterentwicklung des Hackbretts, verfügt über knapp den doppelten Tonumfang und ist chromatisch gestimmt. Wie beim
Hackbrett werden die Saiten des Cimbaloms mit kleinen Klöppeln angeschlagen. So entsteht ein fühlbarer,
bewegter Klang, der sehr gut zu dem Thema der Bedrohung durch Gollum passt.
HOBBINGEN
BODHRÁN
(Hörbeispiel: CD 1 | Titel 6 | 0:12 [Überleitung zum ‚Gefährten‘-Thema, gespielt in einer zwergischen Weise])
D
ie Bodhrán (irische Rahmentrommel) ist ein Vertreter aus der uralten Familie der Rahmentrommeln, die aus
einer über ein Gehäuse gezogene Tierhaut besteht. Man nimmt an, dass die Bodhrán-Trommeln ihren Ursprung entweder in Irland haben, oder aus dem Römischen Reich bzw. über arabische Handelswege dorthin gelangten. Ihr Name wurde dem gälischen Wort für ‚gedonnert‘ abgeleitet. Da die Hobbits in „The Two Towers“ auf der
Suche nach dem Ring in ganz Mittelerde verstreut sind, wird die Bodhrán nicht mehr ausschließlich zur Vertonung
des Auenlandes oder der Hobbits genutzt, sondern taucht auch in anderen Zusammenhängen auf. In der Filmmusik
von „Der Herr der Ringe“ fungiert sie künftig als kosmopolitisches Element, das ganz Mittelerde zugehörig ist.
FLÖTE
(Hörbeispiel: CD 1 | Titel 16 | 0:00 [Eröffnungssolo])
D
ie irische Flöte (auch bekannt unter: Blechflöte, Flageolett, kleine Schnabelflöte, Stáin oder Feadog) ist
das wahrscheinlich älteste Instrument in der keltischen Musik. Ursprünglich aus Knochen geschnitzt,
werden die heutigen Flöten aus Holz oder Metall gefertigt.
DIE ELBEN
MONOCHORD
(Hörbeispiel: CD 2 | Titel 11 | 0:00 [Dröhnen unter den Alt-Flöten])
D
ie Geschichte des Monochords ist genauso mysteriös wie die seines Gebrauchs. Das Instrument selbst
besteht aus einem Holzkasten, über welchem eine einzige Seite gespannt ist, die von Stiften gehalten wird.
Ein verstellbarer Steg erlaubt dem Monochord die Tonhöhe zu verändern während der Spieler die Saite biegt
oder zupft. Monochords wurden benutzt als wissenschaftliche Instrumente (Phytagoras benutzte seine harmonischen Vibrationen um Teilungsverhältnisse zu studieren), für die Astronomie (Ptolemäus), Philosophie (Keplers „Sphärenharmonie“), Musiktheorie (Guido von Arrezos „Guidonische Hand“) und für die heilende Wirkung
seiner Vibrationen. In Mittelerde wird unser mystisches Monochord für die Elben von Lothlórien benutzt, wo
es für eine tiefe, summende Melancholie sorgt, über welche die Melodie hinweg fließt. Das Monochord, welches
für diese Aufnahme benutzt wurde, war mit 50 über den Steg gespannten Saiten versehen.
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
37
SARANGI
(Hörbeispiel: CD 2 | Titel 12 | 1:13 [Verdoppelt die Melodie des Frauenchors])
D
ie Sarangi ist ein gebogenes Streichinstrument, und in der klassischen Indischen Musik sehr gebräuchlich. Sie ist konstruiert aus einem einfachen Holzblock, welcher in Pergament eingehüllt wird und normalerweise mit drei oder vier Darmsaiten bespannt ist, unter denen 35 – 40 nachhallende Saiten entlanglaufen.
ROHAN
A
ls Vorbild für die Gesellschaft von Rohan dienten J.R.R. Tolkien die nordeuropäischen Landstriche, in
denen die skandinavischen Völker beheimatet sind. Der Kultur dieser Völker (sowohl in Mittelerde als
auch in Wirklichkeit) liegen einfache Ideale zugrunde: das Miteinander von Mensch und Land, das Miteinander von Mensch und Tier, Stolz, Macht, Eigenständigkeit. Zur Vermittlung dieser Werte griff Shore bei der
Vertonung von Rohan auf Blechblasinstrumente zurück, die den gleichen vollen, schweren Klang erzeugen,
der auch bei der anderen Musik für die Welt der Menschen zum Einsatz kommt, allerdings wird er bei der
Musik für Rohan mit einigen Soloeinlagen kombiniert, um die ländliche Kultiviertheit zur Geltung zu bringen.
HARDANGERFIDEL
(Hörbeispiel: CD 2 | Titel 1 | 0:08 [Anstatt der Trompere in der Rohan-Fanfare])
D
ie meisten der seltenen Instrumente, die in „Der Herr der Ringe“ auftauchen, kannte der Komponist
bereits zuvor, aber von der Hardangerfidel hatte auch Shore noch nie etwas gehört, bevor er sich intensiv mit nordischer Musik befasste, um sich auf die Komposition der Musik für Rohan vorzubereiten. „Die
Auseinandersetzung mit nordeuropäischen Klängen und der nordischen bzw. der Wikingerkultur war Teil
meiner Recherchearbeiten für ‚Die Zwei Türme‘.“ Die Hardangerfidel gilt gemeinhin als das norwegische
Nationalinstrument und soll Mitte des siebzehnten Jahrhunderts erfunden worden sein. Ihr Klang ist kräftig
und empathisch und zugleich ruhig und zurückhaltend. In der norwegischen Kultur diente das Instrument
dazu, Geschichte und Sagen zu erzählen, und auch in der Musik von Rohan erfüllt es in erster Linie diesen
Zweck. „Die Fidel ist ein angenehmer Gegensatz zu den Blockflöten und den Flöten, die bei der lautlichen
Darstellung der anderen Völker zum Einsatz kommen.“ Die Kultur von Rohan mutet stolz, aber zugleich
sorgenvoll an: Es ist eine ehemals große Zivilisation, die von einem unfähigen König und endlosen Angriffen
zermürbt wird. Die Hardangerfidel untermalt hier die Zerbrechlichkeit dieser Kultur.
MÛMAKIL
DILRUBA
(Hörbeispiel: CD 2 | Titel 6| 3:57 [hohe Basspfeifentöne zur Unterstützung der Geigenharmonien])
B
ei Shores Filmmusik scheint die Dilruba das einzig passende Instrument zu sein, um lautlich zu untermalen, wie Frodo, Sam und Gollum in „Die Zwei Türme“ die bösen Männer auf ihren Oliphanten in
Richtung Mordor ziehen sehen. Es handelt sich dabei um eine Art Sarangi, die aus 6 bzw. 7 Spielsaiten und
11 bis 13 Resonanzsaiten besteht und deren Resonanzkörper am Ende des Stegs mit Fell bespannt ist. Sitars
werden traditionell mit einem Metallklöppel angeschlagen, aber zur Erzeugung einer gebundenen Tonfolge
ist es bei Shores Filmmusik angezeigt, das Instrument mit dem Bogen anzustreichen.
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
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DIE ORKS
AMBOSS
(Hörbeispiel: CD 1 | Titel 6 | 2:58 [hebt den Fünfvierteltakt hervor])
D
er Amboss, eine einfache Konstruktion aus einem dicken Block aus gehämmertem Metall und einem
Metallhammer, ist ein farbenfrohes Mitglied in der Familie der Schlaginstrumente, das langsam seinen
Weg in die Welt der Orchester Musik gefunden hat. Ursprünglich vom Arbeitsplatz des Schmieds kommend,
benutzten Komponisten den Amboss in Opernwerken wie Verdi’s „Il Trovatore“ und Wagners „Ring des Nibelungen“, welcher 18 gestimmte Ambosse benötigt. Edgard Varèse benutzte den Amboss in „Ionisation“ um
eine harte, industrialisierte Palette von Tönen zu erzeugen.
GLOCKENPLATTEN
(Hörbeispiel: CD 1 | Titel 6 | 2:58 [hebt den Fünfvierteltakt hervor])
G
lockenbleche sind den Ambossen ähnlich, allerdings sind sie aus dünneren Metallplatten konstruiert
und normalerweise aufgehängt, wenn sie gespielt werden.
TAIKO TROMMEL
(Hörbeispiel: CD 1 | Titel 5 | 1:18 [hebt den Fünfvierteltakt hervor])
D
iese antiken Trommeln, welche in der japanischen Musik seit über ein Jahrtausend hinweg benutzt
werden, bestehen aus vier Grundgrößen. Der volle, grollende Ton der Trommel wurde assoziiert mit der
Kraft der Götter der traditionellen japanischen Kultur. Die Trommel wurde auf dem Schlachtfeld benutzt,
um Angst in die Herzen der Feinde zu streuen. Sie dient hier demselben Zweck in der Musik der Orks, wo ihr
hämmernder, unverzeihlicher Ton deren brutale Gewalt repräsentiert.
KETTEN UND KLAVIERDRÄHTE
(Hörbeispiel: CD 1| Titel 6| 2:58 [spielt den Fünfvierteltakt])
D
ie Musik des Komponisten Henry Cowell (1897–1965) brachte der allgemeinen Öffentlichkeit gewagte,
neue Ideen auf dem Feld des Klavierspielens. In Arbeiten wie „Die Äolsharfe und die Todesfee“ instruierte Cowell den Pianisten in das Klavier zu fassen und die Saiten direkt im Klavier zu schlagen. Shores OrkMusik folgt dieser Tradition, denn er fordert seine Pianisten dazu auf, die Drähte im Innern des Klaviers mit
Metallketten heftig zu schlagen.
MORDOR
RHAITA
(Hörbeispiel: CD1 | Titel 6 | 2:34 [anstatt der gedämpften Trompeten in ‚Die Bosheit des Rings‘ (Mordor/
Sauron) Melodie])
A
ls langjähriger Fan von Ornette Coleman, entdeckte Shore die Rhaita in dem Titel „Dancing In Your
Hand“ des 1973er Albums des innovativen Saxofonisten . Die Rhaita, eine Arabische Oboe, repräsentiert
die Kultur Mordors in „Der Herr der Ringe“. Es ist besonders mit dem ‚Die Bösheit des Rings‘-Thema verbunden, dass von einem gebogenen Kriegshorn gespielt wird.
DIE MUSIK AUS DEN HERR DER RINGE FILMEN
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ENTS
LOG-DRUMS
(Hörbeispiel: CD 1 | Titel 10 | 3:27 [anstatt der Bassmarimbaphone im Ent-Thema])
L
og Drums sind auch unter den Bezeichnungen Schlitz- oder Zungentrommeln bekannt und gehören zu
den ältesten und am weitesten verbreiteten Musikinstrumenten der Welt. Das Instrument wird aus einem einzelnen Block aus Massivholz hergestellt, der innen ausgehöhlt wird, um eine Resonanzkammer zu
schaffen. Über dieser Kammer befindet sich eine dünne Holzzunge, die der Instrumentalist anschlägt. Log
Drums wurden früher in waldreichen Gegenden überall auf der Welt als Kommunikationsmittel verwendet.
Sie dienten dazu, über weite Entfernungen Tonnachrichten zu senden. Die dunklen, schlingernden Töne der
Log Drums werden zusammen mit anderen Holzinstrumenten eingesetzt, um lautlich darzustellen, wie die
Ents bedächtig durch die Wälder von Fangorn patrouillieren.
BASSMARIMBAPHON
(Hörbeispiel: CD 1 | Titel 10 | 1:31 [Leises Spielen einer frühen Version des Ent-Themas])
B
eim Marimbaphon handelt es sich um ein hölzernes Tasteninstrument. Es erinnert an ein Xylophon, ist
allerdings größer. Marimbaphone kommen aus Afrika und verbreiteten sich rasch nach Süd- und Mittelamerika. In der Musik der süd- und mittelamerikanischen Völker kommt ihm eine besondere Bedeutung
zu. Der Tonumfang eines Bassmarimbaphons liegt deutlich unter dem eines gewöhnlichen Marimbaphons.
Mit ihm lassen sich Töne weit unterhalb des Bassschlüssels erzeugen. Sein Tonumfang ist in etwa mit dem
des modernen Kontrabass zu vergleichen. Bassmarimbaphone erzeugen einen tiefen, vollen Klang, der nach
Ansicht von Shore perfekt zu den mysteriösen Ents passt. [Weitere Einzelheiten unter www.bellperc.com]
DANKSAGUNG
PLAN 9 [Janet Roddick, David Donaldson, Stephen Roche und David Long]
P
lan 9 arbeite erstmals bei der Produktion von Forgotten Silver (1995) mit Peter Jackson zusammen. In
den „Herr der Ringe“-Filmen waren sie insbesondere für die diegetische Musik zuständig, das heißt, solche Musik, die auch von den Protagonisten des Films gehört wird, etwa Eowyns Gesang auf der Beerdigung
von Théodred.
40
DIE MUSIK AUS DER HERR DER RINGE FILMEN
~ CREDITS ~
DEUTSCHE ÜBERSETZER
KORREKTURLESER/INNEN
Mira Sommer (LuthiensTochter)
Florian Bunz (Fleuz)
Lena Matthe (Elbereth88)
Svenja Crombach (Knuffel)
Marc Trappendreher (Yetzi)
Andy Machals (Eorl87)
Sabsi (GinosGirl)
Matthias F. (Baragund)
Andy Machals (Eorl87)
PUBLIKATIONSVERARBEITUNG
Initiator des Projekts und Website von Andy Machals (Eorl87)
Layout, Grafiken, Illustrationen und Satz von Florian Bunz (Fleuz) & Andy Machals (Eorl87)
LINKS
Offizielle Soundtrackseite: lordoftherings-soundtrack.com
Deutsche Projektseite: www.annotated-scores.de.vu
Blog von Doug Adams: themusicofthelordoftheringsfilms.blogspot.com
„Herr Der Ringe“-Filmforum: forum.herr-der-ringe-film.de
EIN BESONDERER DANK GILT DOUG ADAMS, DER DIE ERLAUBNIS GAB, SEINE WERKE ZU ÜBERSETZEN.
SPECIAL THANKS BELONG TO DOUG ADAMS, WHO ALLOWED US TO TRANSLATE HIS WORKS.
Die originalen „Annotated Scores“ können unter lordoftherings-soundtrack.com heruntergeladen werden.
UNERLAUBTE VERVIELFÄLTIGUNG UND KOMMERZIELLE NUTZUNG SIND NICHT GESTATTET.
~ Original Text Copyright © 2006 by Doug Adams ~