JAKUTIJA - Jakutien, Sibirien von Sibirien

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JAKUTIJA - Jakutien, Sibirien von Sibirien
JAKUTIJA - Jakutien, Sibirien von Sibirien
Autor: Andreas Horvath (Photos), Monika Muskala (Text)
Erschienen: 2003 im Benteli Verlag Bern
ISBN: 3-7165-1295-8
Seitenzahl: 158, geb.
Sprache(n): Deutsch
Kurzbeschreibung: Der Fotograf und Filmemacher Andreas Horvath hat
Jakutien im vergangenen Jahrzehnt mehrmals bereist und Eindrücke
gesammelt: ein Blick nach Sibirien – hinter den Ural, hinter die ZuckerbäckerFassade des Kreml.
Sieben Zeitzonen von Moskau entfernt, im Nordosten Sibiriens, liegt ein Land
so gross wie Westeuropa. Vielen ist es bis heute verborgen geblieben, aber
die Menschen, die es kennen und darin leben, nennen es in einer Mischung
aus Stolz und Ehrfurcht "Sibirien von Sibirien". Schon möglich, dass, wer
Jakutien nicht gesehen hat, Sibirien nicht kennt, mit seinen Geschichten und
Bildern, die so märchenhaft anmuten, als entstammten sie einer längst
vergangenen Epoche.
"Vielleicht kommt Ostsibirien unserer Vorstellung vom Ende der Welt sehr
nahe. In so mancher Hinsicht scheint die Welt dort aufzuhören. Aber diese
Sicht wurzelt in einer oberflächlichen, einseitigen Vorstellung von der Welt:
und die Fotografie eignet sich hervorragend dazu, einseitige Konzeptionen
mit kleinen Ausschnitten aus der Realität zu konfrontieren." (Andreas
Horvath)
Themen- und Buchbesprechung
Die Jakuten sind Naturmenschen und abergläubisch. Dem Fremden erzählen sie gerne
unglaubliche Geschichten, so dass es ihm schwer fällt die Wahrheit zu erkennen. Die jakutische Welt
erscheint ihm oft surreal. Der vorliegende Bildband dokumentiert diese fantastische Welt mit vielen
Bildern und wenig Text. Jakutien, an der nordöstlichen Ecke des Globus gelegen, wird Mittelpunkt der
Welt, nicht Europa. Die Landschaft, in der man sich befindet, prägt das Bewusstsein. Es handelt sich um
das Bewusstsein über die Unbezwingbarkeit der Umgebung. Jakutien ist das wunderschöne und
grauenvolle Land mit dem Kälte-Nordpol der nördlichen Erdhalbkugel.
Im 17. Jahrhundert zog es die Kosaken nach Sibirien und Jakutien, in ein nur spärlich von
Eingeborenenstämmen bewohntes Land. Im 18. Jahrhundert folgten ihnen die Landvermesser und
Beamten, im 19. die Gold- und Diamentensucher, dann die politischen Häftlinge - Intellektuelle,
Schriftsteller und Revolutionäre. Im 20. Jahrhunderten wanderten Millionen von "Volksfeinden" mit
Einwegticket in den Gulag. Heute fühlen sich Adventuristen, Sekten, Esoteriker und westliche
Zivilisationsmüde von Sibirien angezogen.
Es gibt zwar auch Fernsehen in Jakutien. Angesichts der unüberwindbaren Entfernungen muss
sich der Mensch in Sibirien klein vorkommen. Es gibt auch Städte in Jakutien, sie heissen Jakutsk,
Mirnyj, Udatschnyj und sind einsame Inseln der Zivilisation in einem kaum erschlossenen Riesengelände,
wo der öffentliche Raum Kulisse bleibt. Wäre da nicht die Lena als Lebensnerv Jakutiens.
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Zum Vergleich: Das Territorium Jakutiens von 3.1 Mio. qkm Umfang entspricht etwa der Fläche
Indiens. In Jakutien leben aber nur 1.2 Mio. Menschen.
Jakutien war auch Sowjetunion. Typisch sind die hässlichen Plattenbauten, die Leninstatuen, die
Sicheln und Hämmer, die Schächte, die matschigen Holzhausdörfer, die pensionierten ExKolchosedirektoren, die ehemaligen Geheimagenten, der Krimsekt, die Industrieareale und
Militärflugzeuge, die Taiga. Jetzt ist Jakutien eine souveräne Republik im Rahmen der Russischen
Föderation mit weitgehenden Kompetenzen. Und vielen Problemen. Dort bedeutet Marktwirtschaft
Stillstand, Verlassenheit, behördliche Ignoranz, Mangel und Überlebenskampf, Korruption. Moskau liegt
acht Zeitzonen von Jakutien entfernt.
Die Jakutin Barbara Iwanowna ist in einem Dorf geboren, das heute auf keiner Karte mehr zu
finden ist. Als man in den 1960ern ein Wasserkraftwerk plante, stand ihr Dorf im Weg und wurde
überschwemmt. Sie selbst landete im Sowchos Novyj. Aus der Jägerin wurde eine staatliche Melkerin,
ihren neun Kilo schweren jakutischen Silberschmuck musste sie im überschwemmten Dorf zurücklassen,
weil er zu schwer zum Mitnehmen war.
Die Russen begannen die sibirischen Ureinwohner zu unterdrücken. Der Kommunismus sorgte
für die Entwurzelung der Ureinwohner. Heute dürfen die Jakuten ihre traditionellen Feste wieder feiern.
Als Alexandra Nikolajewna, eine andere heute betagte Jakutin, in der Stalinzeit an die Kolyma
kam, wurde sie Nachbarin des Gulag-Gefangenenlagers. Einen Lagerinsassen von dort hat sie sogar
geheiratet, einen Polen aus Kiew. Die Ureinwohner haben sich an dem stalinistischen Terror nicht
beteiligt, trotzdem leiden sie unter einem tiefen Schuldgefühl.
Die Schamanen wurden unter dem Sowjetregime verfolgt, denn ihre Entscheidungen für die
Zukunft waren gefürchtet. Das Buch erzählt die gespenstige Geschichte der Schamanin Fiokla, die nach
300 Jahren Grabruhe im Permafrostboden aussah, als wäre sie gerade erst eingeschlafen. Ihre Grabräuber
starben, noch bevor sie gefasst werden konnten.
Der Raum in Jakutien ist unbegrenzt, er beeindruckt den Menschen wie ein verwunschenes
Land. Die Einöde des Hohen Nordens, der keine umgrenzenden Konturen und keine festen
Orientierungspunkte kennt, ist ein perfekter Raum, um sich aufzulösen.
Dennoch gibt es dort auch so was wie ein Alltag mit menschlichen Existenzen. Die Gedanken
der Menschen, die in diesem Buch porträtiert werden und die den Betrachter verlegen und apathisch
anstarren, bleiben ihm verborgen. Man kann die Absicht des Buches im doppelten Sinn verstehen: als
Einladung oder als Warnung für eine Reise nach Jakutien, das Sibirien innerhalb Sibiriens.
Andreas Künzli, Oktober 2004
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