Brief eines Opas an sein noch ungeborenes Enkelkind
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Brief eines Opas an sein noch ungeborenes Enkelkind
BUND Naturschutz in Bayern e.V. Magazin Natur+Umwelt 2-2013 Oberstaufen im Dezember 1994 Brief eines Opas an sein noch ungeborenes Enkelkind „Hallo Opa, ich bin’s Dein Enkelkind! Noch weiß ich selber nicht genau, wer ich bin, aber spätestens am 6.7.1995 gebe ich mich zu erkennen! Im Moment bin ich doch schon erstaunliche 2,2 cm groß, aber das wird schon noch mehr! Bleib gesund und munter, so wie ich, Dein Mini.“ Das waren die Zeilen die ich zusammen mit ein paar Ultraschallbildern von meiner Tochter erhielt. Und ich antwortete zwei Monate später: Liebes Mini, leider komme ich erst heute dazu Dir für Deinen lieben Brief und die ersten Bilder von Dir zu danken. Ich habe mich riesig gefreut und Deine Mama, stellvertretend für Dich, in die Arme genommen und ihr einen Dankeskuß auf die Backe gedrückt. Heute habe ich Zeit und Muße Dir aus der Schrothkur zu schreiben. Noch nie in meinem Leben wurde mir bei Deinem Anblick von 22 mm so intensiv und schlagartig bewusst, was es heißt, dass aus zwei winzigen Zellen – Ei und Samen – ein Mensch wird. Wer sagt den zwei Zellen wie sie wachsen und sich teilen sollen, ja warum teilen sie sich überhaupt? Wer sagt ihnen wann sie, und wo sie Deine Arme und Beine beginnen lassen müssen? Und wann beginnen sie zu wissen, dass sie jetzt damit beginnen müssen Dein Herz an der richtigen Stelle wachsen lassen zu müssen? Wer sagt ihnen wo die Ohren, die Augen, der Mund zu sitzen haben? Es ist wie ein Wunder, wenn ich das alles bedenke. Sicher habe ich gelernt, dass das alles die Gene auf den Chromosomen bewerkstelligen und steuern. Und trotzdem, es ist wie ein Wunder. Und so wächst Du in mein Herz und meinen Verstand in einer ganz anderen Weise als es Deine Mama, meine Tochter, damals tat. Sie konnten wir damals noch nicht so sehen, wie ich Dich heute sehe. Auf sie habe ich mich nur einfach riesig gefreut, gefreut, dass wir endlich ein Kind bekamen. Und weil mich der Anblick Deiner 22 mm so anrührte, in einer so ursprünglichen Form, wie ich das noch nie erlebte, blieben natürlich auch die Gedanken nicht aus, die mich schon seit langem beschäftigen. Alles was ich bisher über die Zukunft unserer Kinder und Enkel gesagt, geschrieben und gelesen habe bekommt durch Dich einen so anderen, so realen Bezug, wird für mich jetzt bitterer Ernst. Spaziere ich hier in Oberstaufen durch die Wälder und sehe die vom Tode gezeichneten Tannen, Fichten, Buchen und Eichen, ich könnte weinen. Was haben wir mit dieser wunderbaren Erde gemacht? Wie haben wir sie aus Dummheit, Faulheit und Egoismus ausgeraubt und ausgeplündert, wie haben wir sie vergiftet und verseucht. Der Boden wird Dir keine gesunde Nahrung mehr geben, die Luft die Du zum Atmen brauchst führt zum Ersticken, das Wasser an dem Du Deinen Durst löschen willst ist vergiftet. Was für eine Erde hinterlassen wir Dir. Anstatt an Dich zu denken – ja sogar schon an Deine Kinder – haben wir gemeint alles gehöre nur uns, uns, uns und nochmals uns. Aus den unendlich schönen Schätzen dieser Erde haben wir die Kammern leerer und leerer geraubt ohne daran zu denken, dass auch Du noch etwas zum Leben brauchst. Du wirst nie Pflanzen sehen, an denen ich mich noch erfreute, vor denen ich auf dem Bauch lag um sie mir so genau wie nur möglich anzuschauen. Du wirst nie sehen können wie sie sich im Winde wiegen, wirst nie ihren Duft atmen können, kannst sie nicht berühren, wirst nie erleben können, wie aus ihrem Samenkorn keimend das neue Leben erwacht. Du wirst nie erleben wie sich ein Schmetterling auf ihnen niederläßt sich Nektar holend, Du wirst nie eine Hummel auf ihnen sitzen sehen sich mit ihrem Blütenstaub beladend. Nie, nie, nie. Was bleibt? Ich werde Dir schöne Bilder von diesen Pflanzen zeigen können, schöne bunte. Und ich werde Dir von ihnen erzählen können, von der Bienenwurz und dem Waldvögelein, von der Witwenblume und dem Schusternagel, von der Nieswurz und dem Tausendgüldenkraut. Ja das kann ich. Aber was ist das schon. Ein Nichts gegenüber der wunderbaren Zärtlichkeit der Wirklichkeit. Und mit den Pflanzen nahmen wir Dir die Tiere. Du wirst nie sehen wie beschwingt das Farbenwunder eines Admirals durch die Luft taumelt oder eines Pfauenauges, Du wirst nie das Fell eines Iltis fühlen. Ob Du je eine Eidechse beobachten werden kannst oder einen Laubfrosch sehen wirst? Es wird sich zeigen. Wir werden Dir ausgeräumte Flure hinterlassen, eintönige Flächen, begradigte Flüßchen und Flüsse. Woher sollst Du ein Gefühl für die Natur bekommen, dem einzigen wovon der Mensch lebt? Wie soll ich Dir einen glucksenden, über Stein und Holz plätschernden Bach zeigen, der sich lieblich durch ein Tal schlängelt, begrenzt von Erlen und Weiden von Sumpfdotterblumen, Blutweiderich und Sumpfvergißmeinnicht? Es gibt sie nicht mehr, und mit ihnen verschwindet der Eisvogel, die Wasseramsel, das Blaukehlchen. Und Du wirst mich später fragen: Opa wie war das alles möglich, warum hast Du nichts dagegen getan, Du hast doch gewusst was los ist. Und ich werde Dir antworten: ich habe es versucht, ich habe es mit all dem versucht zu verhindern, was ich konnte. Ich habe mich für meinen Einsatz beschimpfen lassen, mir Morddrohungen angehört, Freunde verloren, weil ich meinte sie kritisieren zu müssen wegen ihrer ungebremsten Reiselust. Ich habe geschrieben und telefoniert, habe Gutachten erstellen lassen und Zeitungsartikel geschrieben. Und doch ist geschehen, was der brutale Egoismus des im Moment lebenden Menschen Dir hinterlassen hat. Und auch Du hast diesen Egoismus geerbt, lerne so früh als möglich ihn so zu zügeln, dass Du nicht einen ähnlichen Brief an Deine Enkel schreiben musst. Dein Opa