automobil produktion 4/99 - neue

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automobil produktion 4/99 - neue
International
Polen
Danzig
Kaufrausch in Polen
Warschau
Lodsch
Kattowitz
Krakau
Die Offensive
läuft auf Hochtouren
Die polnische Autoindustrie drängt mit Fahrzeugen, Motoren
und Komponenten auf Westmärkte: VW, Fiat oder Daewoo
sowie die Zulieferer geben kräftig Gas.
In den vergangenen Jahren sorgte
Autobauer Fiat für den Löwenanteil
der polnischen Fahrzeugexporte:
Seit dem Entstehen von Fiat Auto
Poland im Jahre 1993 wurden bereits über eine Million Autos für den
Export produziert.
Nun läuft in Polen eine Exportoffensive breiteren Stils an. Die Zahl
der Fahrzeuge, Motoren und Komponenten, die Polen Richtung Westeuropa verlassen werden, soll deutlich steigen. Die Kapazitäten vor Ort
reichen dafür allemal.
So eröffnete Opel im Herbst 1998
das Werk Gleiwitz, wo heute der alte
Astra unter dem Namen Astra ›Clas-
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Automobil-Produktion · September 1999
sic‹ für einige osteuropäische Länder
weitergebaut wird. Ab dem Jahr
2000 wird der neue, in Zusammenarbeit mit Suzuki entwickelte Microvan, dazukommen. Das Werk soll
bald bis zu 150 000 Fahrzeuge pro
Jahr herstellen.
Auch Daewoo, bisher vor allem
um den polnischen Markt bemüht,
will kräftig exportieren. Das Warschauer Werk von Daewoo-FSO Motor startete im Herbst 1998 die Exporte des Lanos nach Osteuropa,
nun gehen polnische Lanos auch in
den Westen.
Die meisten Motoren und Getriebe kommen von Daewoo in Rumä-
Nachdem 1998 in Polen bei den
Erstzulassungen mit 500 000 Einheiten alle Rekorde gebrochen
worden waren, stehen die Signale
für 1999 weiterhin deutlich auf
Wachstum.
nien. Der Lanos dürfte
übrigens das erste Modell
einer koreanischen Marke
sein, das zollfrei in den EURaum exportiert wird.
Das nächste Modell, das
exportiert werden soll, ist der
ebenfalls in Warschau gebaute
Matiz. Polen will bei der Produktion mit Rumänien, dem zweiten
europäischen Matiz-Produktionsstandort, zusammenarbeiten.
»Insgesamt 104 Matiz-Komponenten sollen in einem der Länder
für beide Werke gefertigt werden,
davon genau 76 in Polen und 28 in
Rumänien«, erklärt Zbigniew Szczepanik, Entwicklungschef von Daewoo-FSO Motor.
Ein wichtiger polnischer Beitrag
besteht in der Produktion der neuen
T4-Motoren mit 1,0 und 1,2 Litern
Hubraum, die in Warschau im Oktober 2000 mit einer Kapazität von
150 000 Einheiten pro Jahr anlaufen
sollen. Der Motor soll im Matiz sowie für das künftige Modell S-100,
den ersten Daewoo in der B-Klasse,
verbaut werden.
Polen wird die T4-Triebwerke
auch für Rumänien fertigen. Sie sollen parallel in Korea gefertigt werden. Folgende Arbeitsteilung wird
dafür vorgesehen: »Von sechs
Haupt-Baugruppen werden wir in
Polen drei für Korea produzieren,
die anderen drei werden wir aus
Korea beziehen«, erläutert Szczepanik. In die Produktion des T4-Motors
sollen in 1998 rund 63 Millionen
Mark, nächstes Jahr 163 Millionen
Mark investiert werden.
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International
Polen
Produktion des ›Lanos‹ bei Daewoo-FSO Motor in Warschau: voraussichtlich erstes Modell einer koreanischen Marke, das zollfrei in
den EU-Raum exportiert wird. Bild: Daewoo
Als erstes Daewoo-Modell, bei
dessen Entwicklung und Produktion
Daewoo-FSO Motor eine unübersehbare Rolle spielt, gilt die aus einem Lieferwagen, einem Pick-up
und einem Minivan bestehende
Baureihe F-100.
Daewoo-FSO wird
den F-100 (Produktionsstart: Ende 2000)
für Europa und Lateinamerika bauen, das
koreanische Werk wird
damit vor allem Asien
und Nordamerika beliefern.
Daewoo-FSO Motor
will im Jahre 2000 die
jährliche Produktionskapazität von 500 000
Autos erreichen. Die tatsächlichen
Produktionspläne fallen allerdings
geringer aus: 1999: 228 200, 2000:
297 200, 2001: 384 020 und 2002:
460 150 Einheiten.
Fast die Hälfte soll exportiert werden. Dazu kommt noch ein neuer
Transporter, der ab Sommer 2000 bei
Daewoo Motor Polska in Lublin gebaut werden soll. Angepeilte Kapazität: bis zu 170 000 Einheiten pro
Jahr.
Leszek Waliszewski, Chef
von Delphi in Polen: Im
Frühjahr 2000 will der
Zulieferer ein
Forschungszentrum in
Krakau eröffnen.
Bild: Delphi
Aufgrund der planmäßig rückläufigen Importzölle für Autos aus der
EU wird sich aber die einfache Montage für den polnischen Markt bald
nicht mehr auszahlen. VW Poznan
will sich daher in Zukunft auf nur
zwei Modelle konzentrieren – den
VW Transporter und den Nachfolger
des Skoda Felicia.
Ein weiteres Standbein verschaffte sich VW Poznan mit der Errichtung einer Gießerei in einem ande-
Poznan beliefert vor allem
den polnischen Markt
Die polnischen VW-Produktionsaktivitäten standen bisher im Schatten
jener von Fiat, Daewoo und GM.
VW konzentrierte sich auf die Produktion von Kabelbäumen im Rahmen eines Joint-ventures mit Siemens in Gorzów sowie dem Montagewerk in Posen. Das wird sich ändern.
Das Montagewerk VW Poznan
baute im Vorjahr 77 238 Fahrzeuge
der Marken VW, Skoda, Seat und
Audi zusammen. Die meisten Autos
gelangen auf den polnischen Markt.
Lediglich der in Posen montierte und
lackierte Transporter T4 wird zu 90
Prozent exportiert.
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Automobil-Produktion · September 1999
ren Teil Posens. Die Kapazität beträgt
120 Tonnen täglich im DreischichtBetrieb. Laut Adam Dobielinski, Vorstand von VW Poznan, wurden bisher in Posen rund 150 Millionen
Mark investiert.
Unabhängig vom Standort Posen
errichtete VW in Polkowice das neue
Motorenwerk Volkswagen Motor
Polska. Die Fabrik, die im Frühjahr
1999 die Pilotproduktion eines 1,9Liter-Dieselmotors startete, befindet
sich, wie VW Poznan, zu 100 Prozent
im VW-Besitz.
Ebenfalls in Polkowice, unweit
des Motorenwerkes, sitzt der neue
Zulieferer Sitech. Auch bei Sitech, ei-
nem Joint-venture von Volkswagen
(51 Prozent) und den Karosseriewerken Dresden (49 Prozent), wird bereits gearbeitet.
Die Firma, die Ende 1999 rund
100 Mitarbeiter und nächstes Jahr
150 Personen beschäftigen soll, produziert Lehnen für Side-Airbags des
Seat Ibiza und VW Polo sowie Metallstrukturen für Sitze des Skoda Felicia-Nachfolgers.
Laut Sitech-Geschäftsführer Rüdiger Schmidt könnten in Zukunft
auch Metallstrukturen für andere
Fahrzeuge, die auf der neuen VWPlattform ›PQ24‹ basieren, gefertigt
werden. »Wir rechnen mit der täglichen Produktion von rund 4 000
Lehnen und 1 500 bis 2 000 Metallstrukturen«, erklärt Schmidt.
Bereits im Juni 1999 eröffnete
Isuzu sein polnisches Motorenwerk
Isuzu Motors Polska (Ispol). Das in
Tychy angesiedelte Werk, das sich zu
100 Prozent im Besitz der Isuzu Motors befindet, zählt mit einer Investition von 370 Millionen Mark als bisher größte japanische automotive
Investition in Osteuropa. Produziert
werden 1,7-Liter-Dieselmotoren für
Opel, die Zielkapazität liegt bei
300 000 Einheiten pro Jahr.
Das ebenfalls in Südpolen angesiedelte Motorenwerk WSW Andoria, an dem Daewoo die Mehrheitsanteile hält, wird im Jahre 2000 die
Fertigung eines für den neuen Daewoo-Transporter bestimmten 2,2-Liter-Turbodiesels nach Renault-Lizenz starten. Geplante Jahreskapazität: 150 000 Triebwerke. Auch Polen kann sich den Auswirkungen der
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International
Polen
Palio Weekend: Die geplante Produktionssteigerung des Modells
mußte wegen der Krise in Brasilien wieder revidiert werden.
Bild: Fiat
Produktionspläne für Polen
Daewoo: Motor ›T4‹ – 150 000 Einheiten jährlich ab 2001
einigen polnischen Zulieferern sehr
wohl
Einsparungsmöglichkeiten.
Und zwar vor allem im Bereich der
Arbeitsorganisation.
Bispol, die Verbindungselemente
vor allem für Fiat Auto Poland und
Daewoo-FSO Motor fertigt, befindet
sich seit 1998 zu 94 Prozent im Besitz der schwedischen Firma Bulten.
In 1999 sollen mindestens 2,4 Millionen Mark investiert werden.
Zufrieden mit dem Engagement
in Polen zeigt sich Leszek Waliszewski, Delphi-Direktor für Polen und
Osteuropa. In Polen arbeiten gegenwärtig für Delphi in fünf Werken
rund 4 300 Mitarbeiter.
Waliszewski kann sich vorstellen,
daß noch ein bis drei Werke dazu-
Klagen über hohe Preise
polnischer Zulieferer
Janusz Wozniak, Vizepräsident und
Generaldirektor von Daewoo-FSO
Motor, beklagte sich über die hohen
Preise der polnischen Zulieferer:
»Wir analysierten, was geschehen
würde, wenn wir alle Komponenten
von polnischen Zulieferern beziehen
würden.« Das Ergebnis: eine Preissteigerung der Autos um 1 500 bis
2 000 Dollar.
»Die polnischen Zulieferer müssen Kosten reduzieren«, sagt Wozniak. Viele polnische Zulieferer widersprechen jedoch dieser Aussage. Einige verweisen auf die gegenwärtig
schwache koreanische Währung.
Doch Andrzej E. Oboza, Verkaufsleiter des Zulieferers Bispol, sieht bei
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Automobil-Produktion · September 1999
kommen könnten. Sollte dies geschehen, dann würden die neuen
Werke eher für den Export arbeiten,
während die bestehenden vor allem
polnische Autofabriken beliefern.
Nicht genug: Im Frühjahr 2000
will Delphi ein Forschungszentrum
in Krakau eröffnen. Dafür sollen 30
Millionen Dollar investiert werden.
In der ersten Hälfte 2000 will Delphi
dann seine Polen-Zentrale von Warschau nach Krakau verlegen.
Zu den Vorteilen von Polen
zählen laut Waliszewski auch die
vielen gut ausgebildeten Ingenieure.
»In Krakau mit seinen rund 750 000
Einwohnern gibt es an die 100 000
Studenten verschiedener Richtun-
Daewoo-FSO Motor: 1999 (228 200);
2000 (297 200); 2001 (384 020);
2002 (460 150); zudem 500 000
Fahrzeuge jährlich ab 2000
Isuzu Motors Polska: Ziel – 300 000
Diesel-Motoren jährlich
Motorenwerk WSW Andoria: Ziel –
150 000 Triebwerke jährlich
gen«, meint Waliszewski. »Allein in
der Region Krakau, Katowitz, Gleiwitz beenden jedes Jahr rund 6 000
Ingenieure ihr Studium.«
Zu den Nachteilen Polens zählt
Waliszewski etwa die Bürokratie. Er
würde sich Verbesserungen bei der
Steuerpolitik, der Zollabfertigung
und nicht zuletzt beim Zustand der
polnischen Straßen wünschen.
Auch Visteon engagiert sich in Polen. 1998 wurden von der Polmot
Holding zwei Zulieferer gekauft. »In
den nächsten fünf Jahren will Visteon in Polen mehr als 190 Millionen
Mark investieren«, sagt Dennis R.
Radojcich, Generaldirektor von Visteon Automotive Systems in Praszka.
Fazit der Ansiedlungs-Aktivitäten:
Die meisten großen Investitionen
der jüngsten Zeit, wie etwa Opel in
Gleiwitz, Isuzu in Tychy, VW und Sitech in Polkowice, nutzten die Steuervorteile der polnischen SonderWirtschaftszonen.
Sie alle könnten bald einen bösen
Dämpfer erhalten, denn diese Zonen
werden von der EU kritisiert. Es erscheint daher wahrscheinlich, daß
im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen die Vorteile der Zonen
zumindest abgeschwächt werden.
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Globalisierung nicht entziehen. So
stellte etwa Fiat Auto Poland die geplante Steigerung des polnischen
Anteils an den Modellen Siena und
Palio Weekend teilweise ein. Als Ursache bezeichnet Czeslaw Swistak,
Vorstand von Fiat Auto Poland, die
Krise in Brasilien.
Auf der anderen Seite kann die
Globalisierung für zusätzliches Geschäft sorgen. So wird etwa das in
Tomaszów Mazowiecki angesiedelte
Werk von Findlay Industries Polska
nach Aussagen des Verkaufsingenieurs Grzegorz Pietrzak auch die
thailändische Zafira-Produktion beliefern. An dem Standort werden
Dachhimmel für den Opel-Van gefertigt.