Goldene Konfirmation

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Goldene Konfirmation
Predigt zur Goldenen Konfirmation am 06. Juli 2014 in Singen (Markus)
Ihr Lieben,
ein halbes Jahrhundert soll das nun schon her sein? Jener 15. März 1964
steht mir immer noch sehr gut vor dem inneren Auge. Der Winter brach damals nochmals herein; schon während des Gottesdienstes fielen draußen dicke Schneeflocken. Vom Klimawandel noch keine Spur. Erst im Jahr zuvor
war ja der gesamte Bodensee zugefroren gewesen. Während unserer Zeit als
Konfirmanden wurde John F. Kennedy ermordet.
Und diese Kirche war erst fünf Jahre alt. Einige von uns hatten hier schon
zuvor den Kindergottesdienst besucht. Das erinnert mich an die Aufforderung
Thomas Gottschalks während einer seiner legendären Wetten-dass-Sendungen, die Kinder doch in den Kindergottesdienst zu schicken. Es ging wohl
darum, wie man seine Kinder davor bewahren könne, zu Verbrechern zu werden. Das war ein interessanter Tipp dazu, der sich sogar wissenschaftlich untermauern lässt. Aus Untersuchungen wissen wir nämlich, dass religiöse Erziehung wie keine andere dazu beiträgt, ein Wertefundament in den Seelen
der Kinder zu etablieren.
Pfarrer Schullerus, der im Herbst 1981 mit nur 59 Jahren allzu früh verstarb, versuchte dies bei uns nach Kräften. Aber er machte einen Fehler, den
mit ihm sehr viele damalige Christen machten. Seine Predigten und seine Erziehung trieften von Moral. Durch meinen Vater, der Sonntag für Sonntag dort
oben an der Orgelbank saß, erfuhr ich so manches, was mir sonst nicht zu
Ohren gekommen wäre. Da war ein neuer Chorleiter gekommen, der gleich
nach der ersten Predigt, die er mitbekam, zu meinem Vater halb entsetzt
meinte: „Das ist ja ein Pietist.“ Das war dann Gesprächsthema an unserem
Mittagstisch drüben über dem Kindergarten. Später lernte ich dann, dass der
Pietismus durchaus auch den Protestantismus befruchtet hat.
Zwei Jahre Christenlehre waren bei uns auch noch üblich. So weit ich mich
erinnere, waren die meisten unseres Jahrgangs auch in aller Treue dabei. Die
feierliche Verabschiedung in einem Gottesdienst im Frühjahr 1966 konnte ich
dann leider nicht miterleben, da meine schwere Erkrankung bereits ausgebrochen war. Pfarrer Schullerus bemühte sich nach Kräften, uns bei Laune zu
halten. Diverse Filme, die wir damals ansahen, sind mir noch in Erinnerung.
Ein echtes Highlight jedoch waren die Rüsten in Schluchsee; da werdet ihr
mir sicher zustimmen. Nachtwanderung gleich am ersten Abend, damit wir
auch ja todmüde in die Betten fielen. Die christliche Unterweisung kam natürlich nie zu kurz. Womit wir wieder beim Thema wären. Was beinhaltet Christsein eigentlich? Nach meinem Dafürhalten wird dies nirgends so deutlich ausgedrückt wie im Gleichnis Jesu vom VERLORENEN SOHN. Wir lesen im 15. Kapitel des Lukas-Evangeliums (Lk 15,1-3.11-24):
Es nahten sich ihm aber allerlei Zöllner fing an zu darben und ging hin und hängund Sünder, um ihn zu hören. Und die te sich an einen Bürger jenes Landes; der
Pharisäer und Schriftgelehrten murrten schickte ihn auf seinen Acker, die Säue
und sprachen: Dieser nimmt die Sünder zu hüten. Und er begehrte, seinen Bauch
an und isst mit ihnen. Er sagte aber zu ih- zu füllen mit den Schoten, die die Säue
nen dies Gleichnis und sprach:
fraßen; und niemand gab sie ihm. Da
… Ein Mensch hatte zwei Söhne. Und ging er in sich und sprach: Wie viele Tader jüngere von ihnen sprach zu dem Va- gelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle
ter: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir haben, und ich verderbe hier im Hunger!
zusteht. Und er teilte Hab und Gut unter Ich will mich aufmachen und zu meinem
sie. Und nicht lange danach sammelte der Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich
jüngere Sohn alles zusammen und zog in habe gesündigt gegen den Himmel und
ein fernes Land; und dort brachte er sein vor dir. Ich bin hinfort nicht mehr wert,
Erbteil durch mit Prassen. Als er nun all dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu
das Seine verbraucht hatte, kam eine einem deiner Tagelöhner! Und er machte
große Hungersnot über jenes Land und er sich auf und kam zu seinem Vater. Als er
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aber noch weit entfernt war, sah ihn sein es ihm an und gebt ihm einen Ring an
Vater und es jammerte ihn; er lief und fiel seine Hand und Schuhe an seine Füße
ihm um den Hals und küsste ihn. Der und bringt das gemästete Kalb und
Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe schlachtet's; lasst uns essen und fröhlich
gesündigt gegen den Himmel und vor sein! Denn dieser mein Sohn war tot
dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, und ist wieder lebendig geworden; er
dass ich dein Sohn heiße. Aber der Vater war verloren und ist gefunden worden.
sprach
zu
seinen
Knechten:
Bringt Und sie fingen an, fröhlich zu sein.
schnell das beste Gewand her und zieht
Mal ehrlich, so jemanden hätte man damals wohl noch zur Kirchentür hinausgejagt. Es gibt allerdings auch heute noch genug Gemeinden, die so denken und handeln; Gott sei's geklagt. Dabei ist doch höchst aufschlussreich,
wem Jesus dieses Gleichnis erzählt: Zöllnern und Sündern. Das waren diejenigen, welche damals niemand mochte. Die Empörung ist dementsprechend
einhellig bei den Frommen: Was, der will Gottes Sohn sein und gibt sich mit
so 'nem Pack ab?!
Schon immer haben Menschen Frömmigkeit mit zur Schau getragener
Wohlanständigkeit verwechselt. Schlimm, wenn Predigten dies noch verstärken. So erlebte ich mal am Ende eines Gottesdienstes, wie zwei Frauen die
Kirche verließen und eine dabei sagte: „Heute hat er's denen aber wieder gesagt.“ Das kann's und darf's nicht sein! Jesus brachte die Botschaft von der
Liebe Gottes zu allen Menschen. Er legt keine hochmoralischen Maßstäbe an
uns an. Wir wären ja allesamt völlig chancenlos. Nein, Liebe nimmt jeden
Menschen so an, wie er ist! Wenn wir erst Bedingungen erfüllen müssten,
was für eine Art von Liebe wäre denn das?!
Aber diese Liebe verändert! Das zeigt diese wunderbare Geschichte vom
„verlorenen Sohn“. In uns allen steckt bekanntlich der Drang des Ausprobierenwollens. Ist das, was Vater mir verboten hat, wirklich so schlimm? Das
probiere ich einfach mal aus. Spätestens in der Pubertät gewinnen solche
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Gedanken erstmals die Oberhand, bei manchen schon früher, bei einigen wenigen erst später. Zu denen gehöre ich. Die genossene Erziehung spielt dabei nämlich eine nicht zu unterschätzende Rolle. Wer - wie ich - streng und
überbehütend erzogen wurde, traut sich zunächst überhaupt nichts, wird deswegen auch belächelt. Aber der Zeitpunkt spielt ja auch keine Rolle. Die Er fahrung nachher ist dieselbe. Wir merken spätestens nach einigen Bauchlandungen: Die Weisungen Gottes machen Sinn. In allen Kulturen kommen sie
deswegen auch fast unverändert vor.
Du sollst deine Eltern ehren, du sollst niemanden ermorden, du sollst keine Ehe zerstören, du sollst fremdes Eigentum respektieren, du sollst
über deine Mitmenschen nicht die Unwahrheit sagen, du sollst deinen
Mitmenschen ihren Reichtum gönnen!
Diese Dinge sagt uns schon die pure Vernunft. Dieser Teil des Dekalogs ist
also nichts Besonderes. Die Verknüpfung mit dem Gott Israels ist einzigartig.
Er ist derjenige, welcher das Volk aus seiner jahrhundertelangen Knechtschaft befreit hat. Er ist für uns derjenige, welcher uns aus der Knechtschaft
der Sünde befreit hat durch den Opfertod Christi und dessen Auferstehung
am 9. April 30. Das ist das entscheidende; die weiteren Weisungen sind lediglich Ausfluss der göttlichen Ordnung für uns, damit wir in Frieden und Freiheit leben können.
Jesus erzählt sein Gleichnis gerade denen, die wissen, dass sie Dreck am
Stecken haben. So wissen sie auch, dass kein Vergehen so schlimm ist, als
dass man nicht zurück zu Gott könnte. Als ich vor 20 Jahren ins Gefängnis
kam (kein Grund zur Panik: als nebenamtlicher Seelsorger), war diese Erkenntnis die Triebfeder meiner dortigen Tätigkeit seitdem. Denn je nach persönlicher Struktur neigen wir gern dazu, uns selber dermaßen schlecht zu
machen, dass wir es gar nicht mehr wagen, den Blick zu heben. Nein, denn
selbst, wenn wir „bei den Schweinen“ angekommen sind, ist es nicht zu spät.
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Der Sohn im Gleichnis Jesu erinnert sich gerade dann daran, wie gut er's
doch bei seinem Vater gehabt hat. Bei den Schweinen zu landen, das ist für
einen Juden das denkbar Schlimmste, was ihm zustoßen kann. Da mag sich
jeder ausmalen, was für ihn die schlimmste Situation wäre. Bevor wir da unten gelandet sind, meinen wir ja gerne, noch uns selbst helfen zu können wie
Baron Münchhausen. Für den Willen zur Besserung brauchen wir offenbar
die persönliche Katastrophe. Solange noch ein Funken Hoffnung besteht,
dass es schon noch zu schaffen sei, rufen wir nicht um Hilfe. Das war das
Verhängnisvolle an der Bankenrettung, dass die Verursacher nicht für den angerichteten Schaden geradestehen mussten, sondern der Steuerzahler. So
wurde und wird weiter „gewurschtelt“ und nach wie vor im eigenen raffgierigen Interesse beraten, wie heimliche Tests zeigten. So können wir sicher
sein: der nächste Banken-Crash wird kommen.
Jesus möchte uns mit seinem Gleichnis zeigen, wie wichtig es ist, mit Gott,
dem Vater, versöhnt zu sein. Wir sind buchstäblich erst dann „zuhause“. Das
bewahrt uns vor einem Crash bei Gott. Ganz wichtig: Jesus teilt uns mit, dass
wir kommen dürfen, wie wir gerade sind. Seine Liebe stellt keine Bedingungen. Als Luther das beim Studium des Römerbriefes erkannte, war es ihm,
als ob sich das Paradies geöffnet hätte. 100 Jahre vor ihm hatte dies schon
der Prager Professor Jan Hus erkannt, dessen Märtyrertodes wir heute gedenken.
Dieses Paradies wartet auch auf uns, wenn wir uns dem Angebot Jesu öffnen. Er hat uns dazu seinen Beistand versprochen. Bonhoeffer sagte: Nicht
alle unsere Wünsche erfüllt Gott, aber alle seine Verheißungen. Dass das Paradies schon hier auf Erden beginnt, hat Jesus auch deutlich gemacht. Denn
da, wo Menschen in Nächstenliebe leben, woraus Respekt und Solidarität folgen, da ist schon ein Stück Himmel. Das meint die neue festliche Kleidung im
Gleichnis. Bei unserem Konfirmations-Versprechen damals waren wir vielleicht noch überfordert; aber die Möglichkeit der Erneuerung besteht stets.
Möge unser heutiger Festtag uns darin bestärken! Amen.
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