ReguUerungsperspektiven:..War und ist die
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ReguUerungsperspektiven:..War und ist die
ReguUerungsperspektiven:.. War und ist die Finanzkrise die Folge von Hyperspekulation?" Claus Luttermann Zuletzt will es niemand gewesen sein: Hier werden Perspektiven der FInanzkrise, die eine Krise uferloser Verschuldung und mangelnder Ver antwortungskultur (WeItschulden krise) ist, geboten - für Besinnung, Bewußtseinswandel und eine bes sere Praxis. Stichwörter: Finanzkrise, Freiheit, Finanzinstru mente «(00/(05), Bilanz- und Bewertungs recht, Rechnungslegung (IFRS, U.S.•GAAP"), Verantwortungskultur, Wertemangel. jEL-Gassifikation: E 44, G 24, G 30, K 23, M 41. In the end no one is taking any re sponsibility: This paper presents per spectives on the financial crisis, which turns out to be a crisis of endless indebtedness and missing culture of taking responsibility. It's a plea for reflection, change of awareness and a better practice. •. Prolog Der Kinofilm "Wall Street - Money never sleeps" sollte im April starten. Jetzt kommt er erst im September 2010. Er ist die Fortsetzung des Films "Wall Street" mit Michael Douglas in der oscarprä mierten Rolle des Gordon Gecko: Ein Investmentbanker, wohl dem berüchtig ten "Junk Bond King" Michael Milken nachgezeichnet, der in den 1980er Jahren in den USA gerichtskundig wurde. Er scheffelte für die Investmentbank Drexel Burnham Lambert LP mit fremdfinan zierten Firmenkäufen (leveraged buy-outs) Kapitalrenditen von bis zu 100%, wurde anläBlich solcher Geschäfte wegen or ganisierter Kriminalität und Betrugs zu 10 Jahren Haft verurteilt und nach 22 Monaten entlassen; sein Nettovermögen schätzt Forbes aktuell auf 2,0 Mrd. Dollar. Milken gilt als Symbol der Gier an der Wall Street [I]. Premiere hatte der Film im Dezember 1987; zwei Monate zuvor im Oktober gab es an der Wall Street einen Börsencrash! - Welche Koinzidenz: Zwei Monate nach dem grandiosen Börsencrash von 1929 war in den Kinos der USA ebenfalls ein Film namens "Wall Street" angelaufen [2]. Die Geschichte fortgesponnen, könnten zwei Monate vor dem Kinostart von "Wall 444 Street - Money never sleeps" (also etwa im Juli 2010) die Börsen wieder brechen. Doch ist keine Euphorie wie 1929 und 1987 aufder "Main Street". Privatanleger sind kaum investiert. Immerhin scheint die seit Herbst 2007 dauernde Frustra tionsphase abzuebben. Die New York Times berichtet: "People are fed up, and they want to have a good time" [3], und das Anlegermagazin "Der Aktionär" titelt "DAX 12.000" (durch Inflation?!). Meine Damen und Herren, ich über lasse es Ihrer Einschätzung, ob es dem nächst wieder zum Börsencrash kommt. Denn das wäre Spekulation. Zumindest ein Jurist kann das mit den Mitteln seiner Erkenntniskraft nicht seriös leisten. 2. fragestellung " 'e ~ 0. Ci :g 0. Univ.-Prof. Dr. Claus Luttermann ist Inhaber des Lehrstuhls ruf Bürger liches Recht, deutsches und interna tionales Handels- und Wirtschafts recht an der Katholischen Univer sität Eichstätt-lngolstadt; e-mail: claus .luttermann @ku-eichstaett.de 2.•. Zur FInanzkrise Im Grunde stehe ich damit ebenso vor dem mir gestellten Thema: "War und ist die Finanzkrise die Folge von Hyperspe kulation?" - Es ist offenbar gefahrlieh, eine solche Frage zu beantworten. Vor allem aber ist es geflihrlich, sie zu stellen: Der Befragte kann mit einem schlichten "Ja" (oder ,,Nein") antworten und es dabei bewenden lassen. Ende der Durchsage. Um so nicht gleich die Veranstaltung zu sprengen, wage ich doch einen Anlauf: "War und ist die Finanzkrise die Folge von Hyperspekulation?" - Diese Frage setzt zwei Bezugspunkte: "Die Finanz krise" und "Hyperspekulation". rungen ruinieren und Massenarbeitslosig keit bringen, die etwa in Spanien, Irland und den USA schon sichtbar ist. Und mit dem einst gutgläubig in Finanzprodukten angelegten Kapital schrumpfen zugleich die Lebenspläne vieler Menschen. - Eine dramatische Situation. Die "Finanzkrise" scheint mir der leichtere Teil, bei dem wir uns wohl schnell einigen. Sie ist praktisch das, was wir seit einiger Zeit um uns sehen und er leben. Eine katastrophale Wirtschaftswelt, wo gewaltige Kräfte groBe wie kleine U n ternehmen, Staaten und deren Papierwäh- 2.2. Über ..Hyperspekulation" Ist das "die Folge von Hyperspeku lation"? - Damit bin ich beim zweiten Bezugspunkt, der "Hyperspekulation": Was ist das überhaupt? - Spekulation (aus lateinisch speculatio) steht f1ir be trachten, von einer höheren Warte (auch im metaphysischen Sinne) aus spähen, allgemein für eine auf Mutmaßungen bauende Erwartung, eine ökonomisch kurzfristig Gewinn erstrebende Investi tion [4]. Prekär wird dies mit dem Präfix Der Beitrag ist die um Fußnoten erweiterte Fassung des Eröffnungsreferates, gehalten am 7. Mai 2010 in Stuttgart, Landesbank Baden-Württemberg, auf der 14. Jahrestagung der Arbeitsgruppe Compliance und Ethik in Finanzinstitutionen im deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik zum Generalthema: "Müs sen die Politik und die Banken Spekulation begrenzen?". Die Vortragsform wurde bei behalten. [1] Näher Luttermann, Untemehmen, Ka pital und Genußrechte 261 f, 314 ff, 429. Da ten: The World's Billionaires: #334 Michael Mil ken (www.forbes .comJlists/2009/1 Ofbillionaires 2009-richest-people_Michael-Milken_SSM6. html, Fortune: self made). \2] Am 1.12.1929, Columbia Pictures (Harry Cohn). Der Film vorn 11.12.1987 ist von 20 th Century Fox (Oliver Stone). \3] Vorn 7.4.2010. KYT unter: www.ny times.com/20 10/0411 Ofbusinessl 1Oluxury .html (9.4.2010). [4] Begrifflich Grimm, Deutsches Wör terbuch , Band 16, 1906, Spalte 2134 ff. (Stichwörter: Spekulation, Spekulativ); s noch unten in 3. ÖBA 7/10 FINANZKRISE UND HYPERSPEKULATION ABHANDLUNGEN "Hyper-": Es steht in der Physik für ein Phänomen "above the super level", also kaum vorstellbar wie in der Mathematik eine vierte oder höhere Dimension (dh eine arithmetische Operation jenseits der Potenzen). Mir gefällt, weil schlicht einleuchtend, die medizinische Bedeu tung als Hyperaktivität: "a medical no tion describing astate in which a person is abnormally and easily excitab!e or exuberant" [5]. 3. Kapitalmarktliche Schlag lichter Mir und vielleicht der weiteren Klä rung dient, daß "Spekulation" auch eine philosophische Denkweise ist: Über em pirische oder praktische Erfahrung hinaus, auf das Wesen der Dinge und ihre ersten Prinzipien gerichtet; im verwandten Sinne einer "besinnlichen Betrachtung" (con templatio). Dafür benenne ich zunächst drei Aspekte, nicht bis auf "Adam und Eva" zurück, sondern aus der jüngeren Kapitalmarktpraxis, sozusagen Schlag lichter. 3.1. HyperspekulatIon: CDOs und CDSs Zuerst benannt sei der Komplex "Collateralfzed Debt Obligations (CDOs) und Credit Default Swaps (CDSs)", die als Instrumente sogenannter "Kredit versicherung" in diesem Forum bekannt sind. Warren Buffet hat solche Kredit derivate schon vor Jahren als "Massen vernichtungswaffen" der Kapitalmärkte bezeichnet. Paul Vo!cker, Chefberater von Präsident Obama und erfolgreicher wirkender Vorgänger von Greenspan, hat diese Einschätzung in den Anhörungen im US-Kongreß bekräftigt und Regulie rung gefordert [7]: "What I want to get out of the system is taxpayer support for speculative activity"; namentlich geht es darum, risikoreichen Bankenhandel zu begrenzen, synthetische Produkte und Leerverkäufe (short selling). Faktum ist: Der Markt von "CDOs und CDSs" zeigt gigantische Volumina. Noch vor der Lehman-Pleite habe ich ihn in den USA untersucht: Im Au gust 2008 war er auf etwa 50.000 Mrd (= 50 Billionen) U.S.-Dollar beziffert; für 2009 lagen die Zahlen immer noch bei geschätzt etwa 39.000 Mrd Dollar. Selbst wenn man aufgrund des "Netting" Problems, also der Verrechnung von An sprüchen und Verpflichtungen zwischen zwei Vertragspartnern, den Betrag hal biert, bleiben nominal immer noch rund 20.000 Mrd U.S.-Dollar [8]. Man muß nicht - wie die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merket - die Rechenkünste der ehrenwerten "schwäbischen Hausfrau" bemühen, um festzustellen: Das ist in der Tat "above the super level", also hyper mäßig. Zum Vergleich: Die Ansätze für den deutschen .Bundeshaushalt für 2010 lagen bei rund 320 Mrd Euro, für den österreichischen Bundeshaushalt bei rund 78 MrdEuro. Und vor allem: Gerade der bisherige Mangel einer ClearingsteIle [9], also die Frage nach der - in der Regel unbekann ten Gegenpartei, macht diese Geschäf te unheimlich. Unheimlich effizient für gierige Spekulanten. Das sehen wir aktu ell bei Griechenland und anderen Euro- [5] Unter en.wikipedia.org/wikilHyperac tivity. [6] Unter www.federalreserve.govlboard docs/s peechesll 996/19961205.h tm (5.12.1996). [7] Unter: www.guardian.co.uklbusi ness/20 10/feb/02/paul-volcker-senate-ban king-testimony (2.22010). Zur "Volcker Rule": www.Teuters.com/article/idUSTRE 61L3UL201oo224. [81 Stand: 23.4.2009 (ACEMAXX-ANA LYTICS. http://acemaxx-analytics-dispinar. bJogspot.com/2009/04/cds-marktvolumen schrumpft -um-38 .html). [9] Luttermann, RIW 2008. 737-743. LI 01 Volumen der CDS-Kontrakte auf Grie chenland binnen Jahresfrist auf84 Mrd Dollar mehr als verdoppelt; s FAZ v 2.3.20 I 0 und FAZ v 9.5.2010, 35. [11] Report of Anton R. Va/ukas. In Te Leh 2.3. Maßlosigkeit "Exuberant"; Manche erinnern sich noch an dieses Wort von Alan Greenspan, der in einer Rede über"The Challenge of Central Banking in a Democratic Society" sagte [6]; "Clearly, sustained low inflation implies less uncertainty about the future. and lower risk premiums imply higher prices of stocks and other earning assets. We can see that in the inverse relationship exhibited by price/earnings ratios and the rate of inflation in the past. But how do we know when irrational exuberance has unduly escalated asset values, which then become subject to unexpected and prolonged contractions as they have in Japan over the past decade?" Das war im Dezember 1996. Wir können wohl feststellen, daß Herr Green span (der "Zins-Eliminator") selbst an der Beantwortung seiner Frage in der Praxis grandios gescheitert ist. Im Rückblick wirkt er mit seiner Politik des "btlligen Geldes" eben durch niedrigen Zins (sog "Greenspan-Put") als erheblicher Teil unseres heutigen Problems, also auch der sinngemäß gestellten Frage: "War und ist die Finanzkrise die Folge übermäßiger Spekulation?" ÖBA 7/10 Ländern: Jetzt werden auch souverän gedachte Staaten "sturmreif" geschossen. Die Entwicklung der Risikoprämien bei Kreditausfallversicherungen (CDSs) auf Griechenland-Anleihen seit Jahresanfang spricht Bände [10]. 3.2. Der Lehman-FAII Aus dem Dunkeln heraus, das gilt auch für mein zweites Schlaglicht, den Fall der Investmentbank Lehman Brothers Inc, de ren Konkurs (15.9.2008) die Weltfinanz krise verschärft hat. Der Gerichtsreport vom März 20 10 im New Yorker Konkurs gericht zeigt der WeIt in neun Bänden (auf 2200 Seiten) erschütternde petails [11]. Danach haben die Unternehmensführer die Verhältnisse von Aktiengesellschaft und Konzern über Jahre hin systematisch in der Rechnungslegung verschleiert (vgl § 255 öAktG, § 400 dAktG und § 33 J dHGB). Zentral stehen in dem Bericht kurz fristige Kreditgeschäfte (short-term len ding): Liquide Wertpapiere wurden veräu ßert mit der Bedingung, daß der Verkäufer (Händler) die Papiere zu einem bestimm ten Termin und Preis von dem Käufer zurück kauft (sog repo transaction, hier wohl treffender: bogus transactions). Die mit Hilfe englischer Anwälte stich tagsbezogen lancierten, sonst sinnfälligen Finanzgeschäfte (Nickname: "Repo 105") schafften 49 Milliarden U.S.-Dollar aus der Lehman-Bilanz (off-balance sheet) [12]. Das kaschierte lange die prekäre Finanzlage der Bank, namentlich ihre extreme Fremdkapitalquote (teverage). Berichtet wird, daß Insider vor dieser Praxis gewarnt haben und die Abschluß prüfer (Ernst & Young LLP) Kenntnis hatten. Im genannten Kreis der sieben beteiligten Banken ist auch die Deutsche Bank AG [13]. Das ist keine neue Masche. Diese und ähnliche Praktiken jenseits von Bilanz und Bilanzwahrheit (fair presentation) wie etwa mit vielfältig geformten Zweck gesellschaften (special purpose vehicles) sind weithin verbreitet. Besondere Auf merksamkeit erregten sie um die Jahrtau sendwende mit den Bilanzskandalen von Enron, WorldCom, Tyco International usw nicht nur in den USA [14]. Das Spiel ging offenbar munter weiter. man Brothers Holdings Inc, et al. Bankruptcy Court S.D.N .Y.,Chapter 11 Case No08-13555 (03-11-2010). [12] Dazu noch Enron etc unten in 5. [13] Insb Artikel von CraiglSpector und Corkery, The Wall Street Journal, 15.3.2010. 16 fsowie 22.3.2010. 16f; weitere Hintergrün de: Hughes.Financial Times. 19.3.2010.7. [141 Luttermann, Handelsblatt v 30.1.2002. 10. Siehe noch unten 5. und 6. 445 LUTTE.RMANN 3.3. Der Goldman Sachs-fall Zum Dritten sei noch Goldman Sachs & Co genannt: Die SEC hat gegen sie und ihren Hedge Fonds-Manager Fahrice Tourre Anklage wegen Wertpapierbetrug erhoben [15]. Die Begründung betont wesentlich irreführende Aussagen bzw Unterlassungen bei synthetischen CDOs (hier: Abacus 2007-AC I). Diese sind von Goldman - bewußt mit Referenz-Port folien, gegen die dann gezielt gewettet wurde - strukturiert, von Ratingagenturen mit "tripIe A" bewertet und an Investoren verkauft worden. Damit waren der Ab sturz der Papiere und satte Gewinne der Beklagten programmiert. Die SEC zeigt interne E-Mails von Hedge Fonds-Mitarbeitern, die darauf hinweisen, daß die Ratingagenturen , die CDO-Manager und die Underwriters alle am gleichen Strang ziehen. Damit geht das Spiel auf dem eigentlich schon kaputt spekulierten Markt weiter. Ein Mitarbeiter von Goldman wird zitiert: Die Anleger (die mit echtem Geld) hätten weder über die analytischen Werkzeu ge verfiigt noch über einen institutionellen Rahmen, um zu handeln, bevor die Verluste, die man aus überall verfügbaren News hätte antizipieren können, tatsächlich realisiert worden seien. - Ist das fair? 4. Katastrophenszenarien und Bewertungsrecht Wir erleben eine Katastrophenwirt schaft. Billionen von Investitionen in Dollar, Euro, Yen und anderen sogenann ten "Wert"-Papieren (Finanzinstrumenten, Devisen) verbrennen - in den genannten und vielen weiteren Szenarien. Wir sehen in surreal anmutenden Bildern, wie die anglo-amerikanischen Gralshüter angeb lich "freier" Märkte in Großbritannien und in den USA massiv sozialisieren, wie sie bankrotte Banken und Hypotheken finanzierer (Fannie Mae, Freddie Mac) beatmen: Dead men walking. ABHANDLUNGEN banken von der Bayern LB bis zur HSH Nordbank und auch die Landesbank Baden-Württemberg (in Österreich zB Kärntner Hypo Group Alpe Adria). Des Schauspiels eigentlicher Zweck, der in den Nebelbänken mit politischem Getöse leicht verschleiert wird, ist wahr lich dramatisch. Indern Banken, ob aus dem privaten oder dem öffentlichen Sek tor, mit Steuergeldern gerettet werden, wird zugleich die Ethik von Freiheit und Verantwortung zerrissen: Sorgfaltsloses Handeln führt offenbar nicht zur Haftung. Privatautonom erwirtschaftete Verluste werden "dem Staat" aufgebürdet, also sozialisiert. Das Gerede von "systemi schen" Risiken s01l dies überspielen. Ebenso kann die Griechenland-Hilfe auch als Bankenrettung begriffen werden [16]. Doch haben Menschen gehandelt, die jeweils verantwortlichen Unternehmens führer (Vorstände, Aufsichtsräte), keine abstrakten "Systeme". Das sind Schläge ins Gesicht der Steuerzahler. Mit der Gerechtigkeit erodieren Demokratie und Freiheit [17]. Wo ist der Sinn für Ange messenheit? Moral? Vernunft? Jedenfalls sehen wir, wie die Ordnung schwindet: Recht erscheint als leere Form. Gerade im Bewertungsrecht, also bei Rechnungslegung und Prüfung bis hin zu Insolvenztatbeständen (§ 19 dInsO), werden Regeln weiter aufgeweicht. Damit kommen wir zum juristischen Kerntatbe stand, der Bewertung von Unternehmen und Finanzinstrumenten als den Objekten und Instrumenten der Spekulanten und eben auch übermäßiger Spekulation. Die Rechnungslegung wird gewöhnlich mit Rechnungswesen und Buchführung als ,;technischer Zahlenkram" abgetan. Dabei schlägt hier das Herz von Unter nehmen und Wirtschaft. 5. Das Zahlenspiel Weltweit erwachen Akteure und das unfreiwillig zahlende Publikum namens Steuerzahler. Sie sehen sich am Abgrund und staunen, wie gigantische Massen von Rettungsgeldern über die Kante hinab stürzen. Hinein in bodenlose Becken mit Namen wie Hypo Real Estate Holding AG, IKB Deutsche Industriebank AG, Commerzbank AG sowie in Landes- Der Kerntatbestand ist einfach. In der Praxis geht es heutzutage wie zu früheren Zeiten - auf Kapitalmärkten um das "Geld anderer Leute" [18]. Ka pitalgeber stellen es vertraglich einern Unternehmen (juristisch gesprochen: der Kapitalgesellschaft) zur Verfügung. Die Unternehmensführer investieren das Geld. Über Verwendung und Ergebnis ist zu berichten, genauer: Rechenschaft ist zu geben durch die Rechnungslegung [15] Dazu unter www.ftd.de (16.4.2010) [16] Von ausfallgefahrdeten griechischen Staatsanleihen bei europäischen Banken (ca 162 Mrd EUR) liegen zB bei französischen Banken ca 54 Mrd EUR, bei deutschen Ban ken ca 33 Mrd EUR und bei österreichische Banken ca 4,5 Mrd EUR; Angaben nach Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (Stand: Oktober 2009: s unter www.bis.org). [17] Lutrermann. FAZ v 23.6.2008, 22. Depenheuer. Eigentumsverfassung und Fi nanzmarktkrise. [18J Wegweisend bereits Brandeis. Other Peoples's Money ... and how the Bankers use it,1913. [19) Levitt. Rede v 28.9.1998 (www. 446 (ji.nancial reporting). Das Bilanzrecht normiert die Rechenschaft, regelt, was als Vermögenswert bzw Schuldposten wie anzusetzen ist. Rechnungslegung ist ein Rechtsakt. Praktisch geht es um die Untemeh mensfinanzierung im globalen Wettbe werb. Sie dreht sich mit Finanzmustern (hybrid financial instruments, derivati ves, rating etc), die anglo-amerikanische Kapitalmarkttheorien und Finanzindu strie geformt haben, um Bewertung und Publizität des Unternehmens, um das Bilanzbild der Kapitalgesellschaft: Wer sich bilanziell besser darstellen darf, genießt durch niedrigere Kapitalkosten (Risikozinsen) einen erheblichen Vorteil im Wettbewerb. Die Praxis zeigt damit klar: Nachteile bei der Finanzierung sind im scharf kalkulierten ·Wettbewerb von Diensten und Produkten kaum aufhol bar. Die Rechnungslegung ist im Zuge dieser Entwicklung global zu einer Mar ketingshow willkürlicher Zahlenspieler entartet. Wir sehen auf Basis der Vertrags freiheit formaljuristische Kopstruktionen (ji.nancial engineering), die Präsentation frisierter Daten, die systematische Pro duktion und Ausschüttung von Schein gewinnen. Arthur Levitt thematisierte das 1998, damals noch als Chairman der U.S. Securities and Exchange Commissi on (SEC), in seiner Rede "The numbers game" [19]. Darin sprach er offen über den "Accounting Hocus-Pocus", der an Wall Street praktiSCh alle Aktiengesell schaften (corporations) kennzeichnet. Ein Stichwort sind zB die "cookie jar reser ves". Wir nennen sie "stille Rücklagen" (stille Reserven), was U.S.-Amerikaner gezielt mit "hidden reserves" übersetzen, während sie ihre deckungsgleiche eige ne Praxis sprachlich verbrämt eben als "cookie jar reserves" bezeichnen. Das klingt natürlich viel unverdächtiger. Der Griff in eine Keksdose: Wer denkt da nicht an frohe Kindertage statt an manipulierte Bilanzen? Das ist geschicktes Sprach marketing [20]. Weitere Stichworte sind ,,'big bath' restructuring charges" und "creative ac quisition accounting" [21]. Das Para debeispiel dazu gibt die General Elec tric Company (Connecticut, USA), wo hunderte von Firmenkäufen jährlich als Zeichen produktstarker "Wachstums sec.gov/news/speech/speecharchive/19981 spch220.txt). [20] Kritisch bereits Luttermann in Münch Komm Akt0 2 , Band 51!, § 264 HOB Rdnr 62-80. [21] Levitt, Rede v 28.9.1998 (www. sec.gov Inews/speech/speecharchive/19981 spch220.txt). ÖSA 7/10 FINANZKRISE UND HYPERSPEKULATION ABHANDLUNGEN strategie" den ahnungslosen Investoren vermittelt worden sind. Dabei lief die Akquisitionsmaschine wohl vor allem, um Bilanzkosmetik zu betreiben (merger magie). Dagegen mußte der Hauptkon kurrent Siemens AG, in Deutschland in der Bilanzwelt des erheblich vorsichtige ren Handelsgesetzbuches verankert, alt aussehen. Insgesamt gilt: "The pressure to ,make your numbers''', um die Prognosen der Analysten (consensus estimates) zu treffen. Sonst rauscht der Börsenkurse gnadenlos in den Keller, während Speku lanten neue Adressen wählen. Eine Scheinwelt der Gläubigkeit an Zahlen und Mythen, repräsentiert in dem Akronym U.S. "GAAP" [22]. Seit Mitte der I 990er Jahre habe ich diese Entwick 1ung auch publizistisch kritisch behandelt, besonders mit dem Buch "Bilanzrecht in den USA und internationale Konzernrech nungslegung" (1999) [23]. Noch vor den fällen von Enron & Co sind darin Mythen U.S .-amerikanischer Kapitalmarktpraxis und die sog U.S. "GAAP" als weltweite Fiktion der "investors best protection" entlarvt; auch die Ratingagenturen als Problem souveräner Staaten waren be kannt [24]. Die Kritik paßte aber nicht in die Zeit. Aus aller Welt pilgerten Manager mit ihren Kapitalgesellschaften an die Wall Street, wo sie nach diesen brüchigen Mustern sich schöner bilanzieren, mithin "günstiger" finanzieren und höhere "Bi lanzgewinne" ausweisen konnten (share holder value bzw besser: Scheinwerte). 6. Schuldenexzesse (/everaginI/J Im Grunde vollzog sich damit ein dramatischer Wandel. Eine Ökonome trie ohne Maß griff Raum. Sie durch setzt ökonomische Theorie und Praxis, getragen vom Glauben berechenbarer Zukunft. Eine modellhaft-mathematisie rende Zunft, die auch mit ,ökonomischer Analyse des Rechts' das Regime der Scheinrationalität betreibt [25]. Das ist ein Diktat der Verkürzung und Verformung, wie Vordenker frühzeitig gewarnt haben. Frank Knight [26], ein Gründer der Chicagoer Ökonomenschule, sah "evil re sults of the failure to emphasize the theo retical character of economic speculation" (22) Generally AcceptedAccounting Prin ciples. [23] Siehe zB Luttermann in PS Kropff 1997,485-506; ders, WPg 2006,778-786 und ders, NZG 2007,611-618. [24] Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte 267 f; s noch in 6. [25] Luttermann. ZRP 2010, 1-4; bereits ders, Unternehmen, Kapital und Genußrechte 465 ff. ÖSA 7/10 schon vor der ersten Weltwirtschaftskrise offenbar "in every field of practical eco nomics". Johr; von Neumann [27]. der die moderne Spieltheorie befördert hat, mahnte vor Entfremdung der Ökonomie als eine mathematische Disziplin durch Generationen hin zu einer rein ästhetisie renden Kunst: "the stream, so far from its source, will separate into a multitude of insignificant branches"; die ökonomische Disziplin "will become a disorganized mass of details and complexities". Klare, weitsichtige Einschätzungen. Doch sie und andere Warnungen blie ben in den Wind gesprochen. Zwar waren um die Jahrtausendwende die hoch spekulative Internetaktienblase geplatzt und zahlreiche BiIanzskandale weltweit aufgedeckt worden wie Enron und WorId Com (USA), Parmalat (Italien), SK Group (Südkorea), Livedoor Ltd (Japan),Satyam Computer Services Ltd (Indien) [28]. Doch die Finanzindustrie feierte die Schulden-, Verbriefungs- und Bewertungsorgien munter weiter [29]. In Deutschland poli tisch durch "Finanzmarktf6rdergesetze" unter der Bundesregierung von Gerhard Schröder befeuert, die der heutzutage gern auch von Politikern verteufelten "securitization" Tür und Tor öffneten: Internationaler Standortwettbewerb als Preisgabe der Rechtsfunktion ("race to the bottom"). 7. Paradigmenwechsel Das Spiel wird weiterhin fortgesetzt. Inzwischen sehen wir zB ähnliche Spe kulationsmuster wie bei CDSs unter dem Namen "Re-remics" [30]: Damit werden toxische Kreditpapiere aufgespalten und neu zusammengesetzt. Zugleich wird für die Bilanzierung unter dem Etikett "IFRS" (International Financial Reporting Standards) eine brüchige Basis geboten. Die IFRS entmaterialisieren Vermögen und Bewertung nach dem anglo-ameri kanischen Vorbild der in den USA privat von Wirtschaftprüfern und Rechnungsle gern geprägten U.S. "GAAP" [31]. Das beginnt beim bilanziellen Kern begri ff: Als asset (Vermögenswert) gilt eine vom Unternehmen (entity) kontrollierte Ressource, aus der künftiger wirtschaft licher Nutzen erwartet wird ("future [26] Risk, Uncertainty and Profit, 1921. 11 f. [27] Zit nach DorelChakravartylGoodwin. John von Neumann and Modem Economics XIV. [28] "Satyam" steht in Sanskrit rur "die Wahrheit sagen" welche Ironie. [29] Morris, The Trillion Dollar Melt down. [30] Resecuritization of existing Residen economic benefits are expected to flow") [32]. Diese Definition prägt die Rechnungs legung (finaneial reporting) gewaltig. Sie bietet eine Bewertung des Vermögens, die - statt auf Substanz (Tatsachen, zB han deisrechtlich auf Anschaffungs- und Her stellungskosten § 255 Abs I und 2 dHGB) - schlicht auf Prognosen baut. Dieser Paradigmenwechsel setzt die natürlich ungewisse Zukunft, gemeInhin also die Schätzung des Rechnungslegers selbst als Entscheidungshorizont. Grenzenlose Bewertungswillkür: Dieser Ansatz, be zeichnend propagiert als "dynamisches Konzept", ist ein Gebräu aus Hoffnungs werten. Geboten wird Dichtung statt Wahrheit. Das zeigt uns die Fillanzkata strophe längst. Milliardenfach müssen auf dieser Basis als Vermögenswerte (ru'sets) angesetzte Bilanzposten abgeschrieben werden als toxie assets. 8. Minderheitsvoten: .,Standardsetzung"? Ein Blick noch auf die sogenannte ,,standardsetzung" für die Rechnungs legung. Besonders zu beachten ist die Praxis der Minderheitsvotl';:n (dissenting opiniotis) bei den privaten, selbsternann ten Standardisierern wie dem Internatio nal Accounting Standards Board (IASB, Londcn). Bei zahlreichen "Standards" votieren ein oder mehrere der vierzehn IASB-Mitglieder [33] beim Beschluß eines IFRS gegen die Mehrheit; zB bei lAS 32 (Finanzinstrumente, 2008) 2:11, bei IFRS 3 (Unternehmenszusammen schlüsse, 2008) und lAS 36 (Wertminde rung von Vermögenswerten, 2004) 3:11, bei lAS 27 (Konzernabschluß, 2008) 5:9 und bei IFRS 4 (Versicherungsverträge, 2004) sogar 6:8. Selbst die Basisregeln für die Darstellung des Abschlusses (lAS I, 2007) fanden nur eine Mehrheit von 10:4 im Board. Die Minderheitsvoten werden offiziell mit dem sogenannten "Standard" ver öffentlicht. Sie sind verkappte Wahlrech te, sozusagen eine eingebaute Versiche rung. Damit kann der Rechnungsleger (Vorstand, Geschäftsführer) in Streitfra gen im Einzelfall gegenteilig zur Mehr heitsmeinung bilanzieren. Im Streitfall tial mortgage backed securities. [31] Siehe oben 5. und insgesamt Lutter mann, Bilanzrecht in den USA und interna tionale Konzernrechnungslegung. besonders 66 ff. [32] IASB Framework 49(a). GroßfeIdl Luttermann, Bilanzrecht4 • Rdnr 893 ff. [33] Reformbedingt spätestens ab 1.7.2012 sechzehn Mitglieder gemäß IASC Foundation Constitution. 447 LUTIE.RMANN kann er sich dann vor Gericht auf die mit dem "IAS/IFRS-Standard" einhergehende Minderheitsmeinung stützen (sog "autho ritative support") [34]. Welcher Richter mag darüber hinweg gehen? Vor allem aber steHt sich in diesem Spiel die Frage: Wo ist hier überhaupt der "Standard"? - Geboten wird Regulierungszauber für ahnungsloses Publikum und gierige Fi nanzjongleure. 9. freiheitsverfassung Vieles wäre noch zu vertiefen, gerade für die weitere Diskussion: Die Macht der Ratingagenturen etwa angesichts von "Basel II" und Altersvorsorge (zB "Riester-Rente"), die Schuldenorgien mit Leben "aufPump" bei Privaten und Staa ten (Kreditkartenmentalität), die man gelnde Transparenz bei Finanzprodukten (Stichwort: Risikopaß) [35] sowie die massive Digitalisierung der gesamten Geschäftswelt, des Rechnungswesens und der Unternehmenspublizität (IFRSI XBRL-Taxonomien) [36]. Zu dem Generalthema und meiner Ausgangsfrage gilt: Das Beben der Wirt schaftswelt ist Menschenwerk, kein Na turereignis. Die Katastrophe zeigt den Wertemangel und zugleich den Sinn ge rechter Balance staatlicher Gemeinschaft. Nebulös wird von Marktversagen geredet wie vom Mythos der ,unsichtbaren Hand'. Das lenkt von Verantwortlichen ab. Die Märkte bauen aufMaB und faire Akteure. Das ist spätestens seit Adam Smith be kannt, der mit "The Wealth of Nations" auf Marktliberalität verkürzt wird. In seinem zweiten Hauptwerk "The Theory of Moral Sentiments" fordert der Moral philosoph Smith humanistische Kern tugenden wie Anstand und Mäßigung [37]. Das gilt zeitlos. Die Vertragsfreiheit, auf der Finanz instrumente und damit auch Spekulation bauen, sie kann regelgerecht genutzt oder wie seit Jahren etwa mit den Kettenver briefungen mißbraucht werden. Gleiches gilt für die mißratene Bewertungspraxis (rating, shareholder value etc) bis hin zur marktwirtschaftlichen Kernpflicht der Rechenschaft und Abschlußprüfung [38]. Festzuhalten ist: Wo Spielern man mag sie "Hyperspekulanten" nennen Ethos mangelt und kein Schiedsrichter pfeift, [34] Grds Luttermann (FN 31), 80-82. GroßfeldlLuttermann, Bilanzrecht4 Rdnr 285 ff. 1130. [35] Luttermann,ZIP2001, 1904f. Dazu Art 19 Abs 3 Richtlinie 2004/39/EG, ABI EG v 30.4.2004 L 145, I; umgesetzt in § 3 lAbs 3 dWpHG idF FRUG (2007). [36] XBRLsteht für "eXtensible Business Reporting Language"; dazu: C. LuttermannlK. 448 ABHANDLUNGEN ist Chaos. Schließlich will kein Mensch wertloses Finanzpapier (toxic assets). Der Markt versiegt. Das zeigt, daß er im Grunde funktioniert. 10. Verantwortungskultur Klare Lösungskonzepte mangeln. Neue Staatsschulden bannen Risiko, ver zerren mit staatl ichen TransferJeistungen an Pleitiers den Wettbewerb. Warum nicht "Good Banks" gründen mit Aktien für die ohnehin zahlenden Bürgerinnen und Bürger, statt diesen nur den Finanz müll aufzubürden? Kann Privatwirtschaft existieren, wo Bankrott eliminiert und Hasardeure statt Verantwortungskultur gefördert werden? - Im Ergebn is erodiert die Freiheit, unser aller Freiheit [39]. Friedrich Schiller, dessen Denkmal nur einen Steinwurf von hier steht, schrieb: "Auch die Freiheit braucht ihren Herrn." [40] Literaturverzeichnis Brandeis, Other Peoples's Money ... and how the Bankers use it, New York 1913. CraiglSpectorlCorkery, The Wall StreetJournal, 15.3.201O,S 16f. Depenheuer, Eigentumsverfassung und Finanzmarktkrise, 2009. DorelChakravartylGoodwin, John von Neumann and Modern Economics, 1989. Grimm, J. I Grimm, W., Deutsches Wörterbuch, Band 16, 1906. GroßfeldlLuttermann, Bilanzrecht: Die Rechnungslegung in Jahresabschluß und Konzernabschluß nach Handelsrecht und Steuerrecht, Europarecht und IAS/IFRS, 4. Aufl 2005. Hughes, Accounting: Fooled again, Financial Times, 19.3.201O,S 7. Knight, Risk, Uncertainty and Profit, 1921. Levitt, Rede v 28.9.1998 (www.sec.gov/ news/speech/speecharchive/1998/spch220. txt). Luttermann, Zum Rechtsgebiet der internationalen Konzernrechnungslegung, FS Kropff 1997,485-506. Luttermann, RIW 2007,434-440. [37J 1759 (6th rev Ed 1790). [38] Luttermann. ZVgIRWiss 103 (2004) 18-30; ders. AG 2010,341 ff. [39] Luttermann, FAZ v 23.6.2008. 22; ders. 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