Der große Charme der kleinen Schwester

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Der große Charme der kleinen Schwester
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Reiselust
Samstag, 24. Mai 2008
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Gestatten: ein kleiner Ausflug in die Bucht Xatt L-Ahmar
Tradition in kleinen Nischen
Die „Citadelle“ thront wohlbeleuchtet und mächtig über der kleinen Insel. Obwohl Malta, der großen Schwester, so nahe, hat sie einen völlig anderen Charakter.
Fotos: Kalmar
Der große Charme der kleinen Schwester
GOZO. Noch plätschern die Globalisierungswellen sehr leise an Gozos
Küsten. Auf Maltas kleiner Schwesterinsel lassen sich Natur und unverfälschte Gastfreundschaft in vollen
Zügen genießen – als eine Form von
selten gewordenem Luxus.
VON STEFAN KALMAR
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Dieser Mini-Fjord ist fast noch ein Geheimtipp und nennt sich Ghar il-Qamh.
ag und Nacht pendelt die Fähre
durch die Meerenge zwischen Gozo
und Malta. Der Gozitaner fährt zur
Arbeit nach Malta, aber drüben leben
würde er nie. Umgekehrt ist für Malteser
ein Ferienhaus auf Gozo heiß begehrt.
Hier ist es wie bei uns, sagen sie, als wir
Kinder waren. Der Euro rollt zwar auch
auf Gozo, aber eben nicht so schnell.
Gozo ist grün, still. Feine Events kommen ohne die Vorsilbe „Mega“ aus. Die
Ramla-Bay bietet ein Vielfaches an goldgelbem Sand wie Maltas Golden Bay, und
während dort Sushi-Tempel aus dem Boden schießen, verwöhnt Gozo mit lokalen
Spezialitäten.
Die Hauptstadt empfängt mit dem
prunkvollen Namen Victoria. Dom und
Citadelle überblicken die Insel. Üppig
grüne Täler bringen Feigen, Mispeln, Granatäpfel und Zitronen hervor, auf langgestreckten Tafelbergen „kleben“ weiße
Dörfer. So klein Gozo ist, besitzt es doch
Sehenswürdigkeiten, welche dem Rest
der Insel traumhafte Intimität bewahren.
Die Tempelanlage von Ggantija wurde
tausend Jahre vor Stonehenge und der ältesten Pyramide errichtet. Als Tribut an
ihre Ahnen präsentiert die Body Art
Dance Group dort jeden Augustvollmond
eine fantasievolle Choreografie.
Am Azure Window, dem riesigen Felstor am Meer, agieren Touristen selbst als
Statisten, indem sie es heftig beklettern.
Weniger bekannt sind die Opernhäuser,
die beide wohl bewusst an die Scala erinnern.
Die Mitglieder und Förderer der philharmonischen Gesellschaften haben sie
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ohne staatliche Unterstützung errichtet
und versuchen, einander mit international besetzten Inszenierungen zu übertreffen.
Bei einem genussvollen Abend im Aurora, man spielt die „Macht des Schicksals“, fragen wir unseren Nachbarn, ob er
sich auch den Macbeth mit dem Calleja
im Astra ansehen wird. „Das geht leider
nicht“, sagt er, „weil meine Frau hier im
Chor singt“. Auf der Veranda der Gleneagles Bar sehen wir den Eiswürfeln beim
Zergehen zu und der Fähre, von der die
Autos aus Malta rollen. Wir warten auf
das Boot, das uns über das ruppige Meer
nach dem winzigen Comino bringt.
Blumentisch dienen würde, und eine
Schneiderpuppe. Selbstbewusst trägt er
die Insignien seines Standes: das Maßband um den Hals und eine große Brille.
Außerdem besitzt er einen Zahn, der ihm
einen erstaunlich zufriedenen Ausdruck
verleiht, wenn er lächelt. So zufrieden,
dass die stille Gasse noch sonniger wird.
Aus welchem Märchen Sonja stammt,
weiß ich nicht. Die gut 80-jährige Dame
lädt uns in ihr Haus mit den Worten: „Ihr
braucht euch nicht fürchten, ich bin ganz
allein.“ Jeder lacht über die Geschichte.
Dabei ist sie zum Weinen schön, denn sie
erzählt von einem vergessenen Grundvertrauen.
Wir hören von ihrer Familie und von
ihrem Leben, das vom Geräusch der Spitzenklöppel begleitet war. Noch wird auf
Gozo echte Spitze geklöppelt. Zuletzt,
nach all den Fotos ihrer Verstorbenen,
zeigt sie uns eine Decke, an der sie viele
Jahre gearbeitet hat: „Damit ihr wisst,
wer Sonja Marcieca ist.“
Nachdem die Glocken zum Ave die
Gassen der Citadelle geleert haben, krachen die Balken bei so manchem privaten
Fest im Ta’ Rikardu. Rikardus Wein-BarRestaurant wurde in einem halben Leben
harter Arbeit zu einer Institution. Der gelernte Steinmetz hat das mittelalterliche
Gebäude selbst restauriert, und im Keller
liegen gut 50 Fässer.
„Baugrundstücke hätten mehr eingebracht“, sagt er trocken, „aber ich wollte
eben einen Weingarten. Das Restaurant
hat sich dann von selbst ergeben.“ Die
traditionell einfachen Gerichte kommen
frisch auf den Tisch. „Wir haben nicht
mal eine Mikrowelle. Ich serviere, was
mir selber schmeckt, womit ich aufgewachsen bin. Zum Beispiel Kaninchen
Beim tapferen Schneiderlein
Die „Blue Lagoon“ mit ihrem Südseetürkis und der Südseetemperatur ist d a s
„Must Swim“ des Archipels. Dementsprechend räkelt sich dort alles mit LifestyleAnspruch, und Vintage-Boote schaukeln
lässig über ihren Schatten. Am Abend haben wir dann bei Armand in Qbajjar frische Langusten in Champagnersauce
schnabuliert – mit Blick aufs Meer versteht sich.
„Was gibt es Neues, was tut sich?“ Jonny Bellusa weiß es. Seine Bar liegt schließlich in der Mitte der Insel, am Hauptplatz
Victorias. Zwei Ecken weiter lerne ich das
tapfere Schneiderlein kennen. Das offene
Tor ist so schmal wie sein Geschäft, so
schmal, dass er der Breite nach kaum liegen könnte. Der Mann flickt aufmerksam
ein Zwei-Euro-T-Shirt. Er besitzt eine alte
Singer-Nähmaschine, die woanders als
Der beneidenswerte Herr darf in der „Blue Lagoon“ mehrere Ausblicke genießen.
Speisen bei einem Wein-Festival
oder Gbenjjet, ein Gericht mit verschiedenen Sorten Ziegenkäse, Kapern und
sonnengetrockneten Paradeisern, das
man fein zum Wein naschen kann.“ Als
mein Teller kommt, denke ich, das wäre
die Platte für unsere kleine Gesellschaft
und will ihn in die Mitte stellen.
Gozos Weine gehören zu den besten
der Welt. Warum ist das nicht bekannt?
Einfach deshalb, weil die schlauen Gozitaner alles selber trinken. Das Weinfest in
Nadur legt davon beredtes Zeugnis ab.
Die Riesenterrasse platzt vor Vergnügen,
man schmaust und trinkt, genießt die
Aussicht über das Nadur-Tal und das
Meer auf die glitzernden Städte Maltas,
und Gozos blutjunge Dancing-Stars zeigen, was sie draufhaben.
Zauberhafte Buchten
Vor allem aber steckt die Insel voll abgeschiedener Plätze, die im Sonnenlicht
fast ertrinken. Nach dem steilen Abstieg
in die zauberhafte San-Blas-Bucht ist die
Welt zu Ende. Von hier führt durch die
Mistra Rocks eine der abenteuerlichsten
Wanderungen.
In dem Klettergarten aus haushohen
Felsblöcken und alten Trockenmauern
liegen versteckte Zitronen-, Wein- und Paradeiser-Gärten mit unglaublich süßen
Früchten. Aus dem Labyrinth wieder heraus zu gelangen, kann Stunden in Anspruch nehmen. Ebenso ungewöhnlich
wirken die tief eingeschnittenen Fjorde,
die manchmal mit urigen Kneipen bestückt sind, und Küstenstriche aus vulkanischem, fast weißem Tuff.
Es gibt auch flache Liegeplätze im
Schatten unter überhängenden Felsen
und vor sauber ausgewaschenen Höhlungen. In einem dieser Gebiete unterhalb Zebbug entdecken wir die alten,
weiträumig angelegten Salzpfannen. Der
sonnenverbrannte Bill füllt soeben einige Säcke in seinen Lieferwagen, und wir
kaufen „direkt von der Welle“. Das Salz
schmeckt mild und aromatisch und ist
so sauber wie das Meer, aus dem es
kommt.
Inselschönheiten
Abendstimmung in der Xlendi Bay
I N F O R M AT I O N E N
Urlaub auf Gozo
FREMDENVERKEHRSAMT MALTA: Tel. 01 / 585
37 70, E-Mail: [email protected], Internet:
www.urlaubmalta.com, AIR MALTA: April–Oktober 5 Mal wöchentlich Wien–Malta, telefonische
Reservierung: 00800 66 222 111 oder unter
www.airmalta.com, Bus und Fähre nach Gozo:
www.gozochannel.com, UNTERKUNFT: E-Mail: [email protected],
www.gozofarmhouses.com,

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