Interview zur Lebensqualität demenziell Erkrankter mit Prof. Dr

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Interview zur Lebensqualität demenziell Erkrankter mit Prof. Dr
Interview zur Lebensqualität demenziell Erkrankter mit Prof. Dr. Gutzmann, Klinik
für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Krankenhaus Hedwigshöhe,
Berlin
Das Interview führte Anke Bruns.
Welche persönlichen Erfahrungen verbinden Sie mit demenziell Erkrankten?
In meinen ersten Kontakten mit demenziell Erkrankten hat mich vor allem die Menschlichkeit der Erkrankten
beeindruckt. Ich habe Emotionen in reiner, unverstellter Form wahrgenommen, ehrlich bis zur Grenze des sozial
Akzeptierten – und manchmal darüber hinaus.
Wo liegen Ihre wissenschaftlichen Interessen?
Ich möchte zu mehr Wissen über die Krankheit kommen, um besser verstehen und helfen zu können und um
gleichzeitig ihre Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen.
Was sind die Kernthemen im Klinikalltag mit demenziell Erkrankten?
In der gerontopsychiatrischen Klinik werde ich vor allem mit Demenzerkrankten konfrontiert, die
verhaltensauffällig geworden sind. Oft ist das den Bedingungen geschuldet, unter denen sie leben müssen.
Verhaltensauffälligkeiten vermindern die Pflegeverträglichkeit des Erkrankten soweit, dass eine bestehende
häusliche Pflege zunächst nicht fortgeführt werden kann. Derartige Verhaltensweisen treten oft im
Zusammenhang von Pflegemaßnahmen auf, die als nicht wertschätzend erlebt werden und damit die
Lebensqualität des Betroffenen erheblich einschränken. Zu denken ist dabei an viele ebenso notwendige wie –
leider – oft gedankenlos vollzogene Pflegeroutinen, natürlich aber besonders auch an Fixierungen.
Wie kann die Lebensqualität von demenziell Erkrankten festgestellt werden?
Die Kommunikationsfähigkeit auf der emotionalen Ebene funktioniert bei Demenzerkrankten noch lange, sehr
viel länger jedenfalls als der kognitionsbasierte Dialog. Daher stellen für mich Begegnungen auf der emotionalen
Ebene ein wichtiges Kriterium dar. Wie lässt sich ein positiver Kontakt zwischen Erkrankten und Betreuern
aufbauen und stärken? Wo kann an gelungene Begegnungen angeknüpft werden?
Erfordert die Wahrnehmung der eigenen Lebensqualität nicht auch Reflexionsfähigkeit?
Meiner Auffassung nach ist intellektuelle Reflexionsfähigkeit für das Erleben von Lebensqualität nicht
bedeutsam. Lebensqualität wird in konkreten Situationen erlebt und teilt sich in diesen auch anderen mit. Kleine
Reaktionen können dabei viel aussagen, wie etwa ein strahlendes Lächeln oder – bescheidener – auch nur eine
leichte Hebung der Mundwinkel.
Was geschieht, wenn eine Demenz im Kontext einer geistigen Behinderung auftritt?
In diesem Fall ist oft eine dreifache Stigmatisierung des Betroffenen festzustellen: geistig behindert, alt und auch
noch dement. Bemerkenswert ist, dass sich diese Stigmatisierungen meiner Beobachtung nach auch auf den
klinischen Alltag auswirken. Profis lassen sich durch diese Stigmata manchmal stärker beeinflussen als
medizinische Laien. Beispielsweise verordnen viele Hausärzte sedierende Medikamente in viel zu hohen Dosen,
obwohl oder gerade weil sie über die Wirkung einer hochdosierten Gabe für diese Patientengruppe schlichtweg
keine Kenntnisse haben.
Leider hat die Psychiatrie viel zu spät damit begonnen, sich für Menschen mit geistiger Behinderung, schon gar
solchen, die eine Demenz entwickeln, zu interessieren, sodass unser Wissen hier noch lange nicht ausreicht.
Andere Forschungsfelder, wie beispielsweise Schizophrenie oder Depression, wurden lange als attraktiver
angesehen.
Welche Herausforderungen sehen Sie für die Zukunft?
Wichtig ist insbesondere, dass die dreifache Stigmatisierung (geistig behindert, dement, alt) im Fach adressiert
und schließlich auch erfolgreich bekämpft wird.
Podiumsfrage:
Welche
Kommunikationswege
empfehlen
Sie
für
das
Zusammenspiel
von
gerontopsychiatrischer Klinik und Pflegediensten?
In unserer Klinik haben wir schlechte Erfahrungen mit der Weitergabe von pflegerelevanten Informationen
durch die Hausärzte gemacht. Aus diesem Grund wenden wir uns, wenn möglich, direkt an die Pflegepersonen.
Dazu gehört, dass wir die, die später die ambulante Betreuung gewährleisten müssen, in die Klinik einladen, um
mit ihnen die aktuelle Situation und die weitere Entwicklung anzusprechen.
Podiumsfrage: Wie wahrscheinlich ist eine Demenzerkrankung bei Menschen mit einer geistigen
Behinderung?
Die steigende durchschnittliche Lebenserwartung geistig behinderter Menschen führt dazu, dass zunehmend
auch bei ihnen demenzielle Erkrankungen vorkommen. Diese treten bei geistig behinderten Menschen deutlich
früher auf, und ihre Häufigkeit beträgt in der Altersgruppe über 65 Jahren ein Mehrfaches der Prävalenz in der
Gesamtbevölkerung. Bei Menschen mit Down Syndrom sind Alternsprozesse und ihre Folgeerkrankungen
deutlich früher zu beobachten als in der Gesamtbevölkerung und bei Menschen mit einer geistigen Behinderung
anderer Ursache. Die Alzheimer-Krankheit tritt bei Menschen mit Down Syndrom häufig noch vor dem 40.
Lebensjahr auf.
Podiumsfrage: Raten Sie auch bei geistiger Behinderung zu einem Einsatz von Medikamenten, um das
Auftreten demenzieller Symptome zu verzögern?
Generell können diese Medikamente dazu beitragen, dass der Pflegebedarf des Betroffenen weniger steil
ansteigt. Allerdings ist zu beachten, dass die derzeit verfügbaren Medikamente nicht bei allen Patienten wirksam
sind. Aus diesem Grund sollte ihre Verordnung zunächst immer zeitbegrenzt und stets kontrolliert erfolgen. Bei
einem Erfolg, und der kann auch darin bestehen, dass die dementielle Symptomatik nicht voran schreitet, sollte
allerdings weiter verordnet werden.
Podiumsfrage: Wer sollte ältere geistig behinderte Demenzerkrankte betreuen?
Das sollten die Menschen sein, die es absehbar über längere Zeit leisten können. Allerdings ist hier eine stärkere
Unterstützung von häuslich pflegenden Menschen anzumahnen. Wozu auch gehört, dass diese Personen
angemessen beraten und stärker dazu ermutigt werden, unterstützende Angebote auch in Anspruch zu nehmen.