Nicht mehr zeitgemäß: das zweihundert Jahre alte Spül-WC

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Nicht mehr zeitgemäß: das zweihundert Jahre alte Spül-WC
Sanitärhygiene
Sanitärhygiene
Nicht mehr zeitgemäß:
das zweihundert Jahre alte Spül-WC
Bill Gates: „1,5 Millionen tote Kinder jährlich müssten aufrütteln“
„Erfinde die Toilette neu“ – fordern die
Prominentesten der Prominenten auf.
Nämlich Microsoft-Gründer Bill Gates
und seine Frau Melinda. Ihre „Bill and
Melinda Gates Foundation“ schrieb
einen internationalen Wettbewerb aus
und forderte unter anderem 22 Universitäten weltweit zur Teilnahme
auf. Am 14./15. August dieses Jahres
präsentierte die Foundation auf der
„Reinvent the Toilet Fair“ in Seattle im
nordwestlichsten US-Staat Washington die Ergebnisse. Der Hintergrund
und die Preisträger.
stoff – im Kreislauf. Was allerdings unter
anderem aufgrund der Übersättigung der
Böden und der Giftstoffe im menschlichen
Naturprodukt bis hin zu MedikamentenRückständen bekanntlich auch Nachteile
hatte. Mit dem Bau von Kläranlagen gingen jedoch die genannten drei Essenzen
weitgehend unwiederbringlich über die
Vorfluter verloren.
Hamburg mit dem wassersparenden ZweiLiter-WC „GreenGain“ von V & B und den
wasserlosen Urinalen der Keramag (mit
zentralem Urin-Sammelbehälter). Aber
wie gesagt, das „Hindernis“ bestehende Kanäle und Kläranlagen gilt für die
grundstücksentwässerte Welt, nicht für
die Armutsregionen.
Europa und die Dritte Welt
2,5 Milliarden Menschen
ausgeschlossen
Diese Schwächen gehen sowohl zu Las­
ten der Ökologie als auch zu Lasten der
Ökonomie. Denn alleine die Entsorgungskosten schlagen in vielen Gemeinden erheblich zu Buche. Ressourcen sparende
Es gilt nicht für die Entsorgungsprobleme
von rund 2,5 Mrd. Menschen, wie die
Bill- und Melinda-Gates-Stiftung addiert.
Dort müssen dezentrale Lösungen auf keine Infrastruktur Rücksicht nehmen, weil
Als Basisarbeit zur Erreichung dieses
Ziels hatten Teams am 14. und 15. August
in Seattle, dem Sitz der Gates-Stiftung,
auf der „Reinvent the Toilet Fair“ ihre
Modelle vor Vertretern aus 29 Ländern,
vor Entwicklern, Designern, Investoren,
Juristen präsentiert. Bill Gates eröffnete
mit den Worten: „Wir brauchen eine
innovative Lösung, um eines der ernsthaftesten Probleme der Menschheit zu
beseitigen. Denn kontaminiertes Trinkwasser und kontaminierte Lebensmittel,
von Fäkalien kontaminiert, führen in
der Dritten Welt jedes Jahr zum Tod
von eineinhalb Millionen Kindern. Mit
keimfreiem Trinkwasser, sauberer Sanitärtechnik und generell mehr Hygiene
Bill & Melinda Gates
Foundation
Geleitet von der festen Überzeugung,
dass jedes Leben gleichwertig ist, en-
Der Schotte Alexander Cumming, ein Uhrmacher, Mathematiker und Mechaniker,
ließ sich 1775 ein S-förmiges Rohr (Siphon) patentieren, befestigte es zwischen
der Toilettenschüssel und einer Abwasserleitung, füllte es mit Wasser und „erfand“
so das moderne Wasserklosett. Denn
sein Wasserverschluss (water closed) verschloss Gerüchen und Bakterien den Weg
zurück in den Toilettenraum. Zwar hatte
schon rund 200 Jahre früher der Engländer Sir John Harington Ähnliches getan,
aber nicht patentieren lassen. Seine Entwicklung geriet deshalb in Vergessenheit.
Doch selbst Cumming profitierte nicht
sonderlich von seiner Wiederbelebung
einer alten Idee. Erst um 1810 oder 1812,
35 Jahre später, produzierten Betriebe
Toiletten nach diesem Prinzip. Cumming
starb wenige Jahre später 1814 im Alter
von 83 Jahren.
Jubiläum mit Nachgeschmack
Seit nun 200 Jahren entsorgt also ein Teil
der Menschheit seine Verdauungsprodukte mit Hilfe einer solchen der Gesundheit
dienenden (sanitas) hygienischen Einrichtung. Nicht von ungefähr sprach man
deshalb mit der Einführung des SprühWCs von Gesundheitstechnik statt von
Sanitärtechnik. In Bezug auf Hygiene
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gagiert sich die Bill & Melinda Gates
Foundation dafür, allen Menschen ein
gesundes und produktives Leben zu
Vornehmlich Universitäten beteiligten sich an dem Wettbewerb. Bill Gates lässt sich die
verschiedenen Ansätze erklären
oder Gesundheit erfüllt die aktuelle Sanitärtechnik nach wie vor gut ihre Aufgabe. Aber erstens profitiert von sanitas
Situation und Ziele
nur ein Teil der Menschheit. Nämlich
überwiegend die Industrienationen, die
über ausreichend Wasser verfügen, die
über eine funktionierende nachgeschaltete Abwasser-Infrastruktur verfügen
und die aufgeklärt genug sind, den Wert
der Hygienemaßnahmen zu erkennen.
Länder ohne Wasser und Infrastruktur
sind nach wie vor von diesem Fortschritt
abgeschnitten.
Zweitens kostet diese Infrastruktur erheblich, sowohl in der Neuinstallation als
auch in der Unterhaltung. Selbst wenn
überall auf der Welt ein ausgeprägtes
Hygienebewusstsein vorherrschen würde,
wäre die heutige Sanitärtechnik keine
Lösung, weil es einfach an Geld fehlte, sie
einzuführen.
Drittens verschenkt die Abwassertechnik
wertvolle Nähr- und Rohstoffe. Sie ist
nicht kreislauforientiert. Als noch Sickergruben dominierten und die Bauern
Gülle und Jauche als Dünger auf die Äcker
verteilten, blieben die Wertstoffe in Kot
und Urin – Phosphor, Kalium und Stick-
10 l 2012 Installation DKZ
ermöglichen. In Entwicklungsländern
liegt der Schwerpunkt darauf, die Gesundheit der Menschen durch Impfungen und andere lebensrettende Maßnahmen zu verbessern und ihnen die
Möglichkeit zu geben, sich aus einem
Leben in Hunger und extremer Armut
Projektleiterin Tove Larsen (Mitte) neben schweiz-österreichischem Steh-WC
zu befreien. In den Vereinigten Staaten
Systeme könnten die Kommunen spürbar
finanziell entlasten.
zu verbessern, damit alle jungen Men-
ist sie bestrebt, die Bildung wesentlich
In Richtung Kreislaufwirtschaft und Ressorcen-Ökonomie denken deshalb auch in
Europa und für Europa Siedlungswasserwirtschafler und Sanitärtechniker. Nämlich die Vertreter der NASS-Philosophie,
jene, die mit neuartigen Sanitärsystemen
für unsere Ballungsgebiete mehr oder
weniger experimentieren. Über die Experimentierphase ist man im Prinzip deshalb
noch nicht hinausgekommen, weil die
bestehende Infrastruktur die Wasserströme benötigt, sich folglich eine Wende
trotz kluger dezentraler Verfahren nur in
kleinsten Schritten realisieren lässt oder
ließe. Erstmals in die Breite, in die Bestückung der öffentlichen Toiletten, geht
gerade mal die Umweltbehörde der Stadt
nicht vorhanden. „Reinvent the Toilet“ ist
mithin eine Kampagne zur Entwicklung
von Toiletten der nächsten Generation als
hygienische und nachhaltige Haustechnik
für weltweit 2,5 Mrd. Menschen.
Installation DKZ 10 l 2012 schen die Möglichkeit haben, ihr volles
Potential zu entfalten.
Die Stiftung hat ihren Hauptsitz in Seattle im US-Bundesstaat Washington und
wird von Jeff Raikes
als CEO und William H. Gates Sen. als
Co-Chairman, unter
der Direktion von Bill
und Melinda Gates
sowie Warren Buffett,
geleitet.
www.
gatesfoundation.org
Die Initiatoren Bill und
Melinda Gates
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Sanitärhygiene
lässt sich die Mehrzahl dieser Todesfälle
vermeiden.“
Für die neue Toilette galten folgende Bedingungen:
Sanitärhygiene
of Toronto in Kanada für eine ähnliche
Entwicklung, die Fäkalien reinigt und
Rohstoffe sowie sauberes Wasser gewinnt.
Besondere Anerkennung und ein Preisgeld in Höhe von 40 000 US-Dollar
– Sie sollte ohne Kanalisation und
Fremd­
energie und mit minimalen
Wassermengen auskommen,
– in Stoffkreisläufe eingebaut sein und
– nicht mehr als fünf Cent pro Tag und
Person kosten.
Professor
Michael Hoffman
erklärt den mit
dem ersten Preis
prämierten selbständig photochemisch desinfizierenden Entwurf
des California
Institute of Technology (CIT)
Die Preisträger
Den 1. Preis (100 000 Dollar) überreichte Bill Gates dem California Institute of
Technology für den Prototyp eines Solar
gekoppelten WCs, das in der Lage ist, Wasserstoff und Elektrizität zu gewinnen. Die
Loughborough University, Großbritannien, gewann den mit 60 000 US-Dollar
dotierten zweiten Preis für eine Toilette, die Biokohle, Mineralien und sauberes Wasser produziert. Der dritte Preis
(40 000 US-Dollar) ging an die University
Die „Diversions“-Trenntoilette
des globalen Entwicklungsprogramms
„Für eine bessere Welt“ der Stiftung will
in dreierlei Hinsicht effektiv sein: erstens lebens- und gesundheitserhaltend,
zweitens Rückgewinnung wertvoller
Roh- und Wertstoffe nebst Schärfung
einer Grundhaltung zum sparsamen
Umgang mit Ressourcen. Und drittens seien auch wirtschaftliche Vorteile damit verknüpft. Bill Gates: „Man
denke nur an die Einsparungen im Gesundheitsbereich durch mehr Hygiene“.
sign einer Trenntoilette in Form eines
Steh-WCs. Die EAWAG befasst sich
schon seit einigen Jahren mit der Trennung von Urin und Fäkalien direkt im
WC. Solch eine Lösung erlaube auf effizienteste Weise die Rückgewinnung
Mit Sonnenlicht zu TerraPreta
(810 000 Dollar) untersucht derzeit die
Möglichkeit, direkt an der Toilette Wasser
aus dem Abwasser zurückzugewinnen.
Die verbliebenen Feststoffe könnten als
Brennmaterial oder als Dünger verwendet werden und das aufbereitete Wasser
könnte als Grauwasser oder zur Bewässerung eingesetzt werden.
Mit 1,3 Mio. Dollar unterstützt die Stiftung das Research Triangle Institut für
die Entwicklung eines Toilettensystems,
das das Abwasser desinfiziert und die
Feststoffe über einen neuartigen Biomasse-Stromerzeuger in Energie verwandelt.
Die Universität of Colorado Boulder befasst sich mit einer Solar-Toilette: Das
konzentrierte Sonnenlicht desinfiziert die
flüssigen und festen Abwasserprodukte
und überführt sie in eine Biokohle, die
chemischen Dünger ersetzen oder aber als
Holzkohleersatz für die TerraPreta-Produktion (Schwarze-Erde-Naturdünger)
verwendet werden könnte.
erhielten die Partner EAWAG (Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung,
Abwasserreinigung und Gewässerschutz,
Schweiz) und EOOS, Wien, für das De-
wertvoller Rohstoffe aus Urin und Fäkalien und eine einfache Wiedergewinnung
von Wasser (Siehe Kasten „Diversions“Toilette).
„Die Wasser-, Abwasser- und HygieneIni­tiative“ WSH (Water Sanitation Hygiene) als ein wesentlicher Schwerpunkt
Über den Wettbewerb hinaus hat deshalb
die Gates-Stiftung weitere 3,4 Mio. Dollar
zur Entwicklung einer angepassten Sanitärtechnik, vornehmlich für die Dritte
Welt, gewährt. Gefördert werden die Cranfield University in Großbritannien, ferner
Eram Scientific Solutions in Indien, das
Research Triangle Institute in den Vereinigten Staaten und die Universität von
Colorado Boulder, ebenfalls in den Vereinigten Staaten. Die Cranfield Universität
ohne Frischwasserzufuhr der Komfort für
aus der Membran-Ultrafiltration zusammen,
Unterhalb der Membranschichten, die nur re-
Ziel und ein sehr ambitiöser Zeitplan. Wir
vor allem, weil wir auch sauberes Händewaschwasser zur Verfügung stellen“,
Laudatio eines royalen Teilnehmers: Prinz
Willem-Alexander aus den Niederlanden (Bilder: Gates Foundation)
Bernd Genath
die Körperhygiene und zur Reinigung der
die Viren und Bakterien abfängt, sowie einer
lativ schwach belastet werden und sich über
arbeiten aber hart daran, weil wir glauben,
Ein Nachteil, den verschiedene Trocken-
Toilette zur Verfügung. Die Aufbereitung des
Nachreinigung zur Beseitigung schwer ab-
Bakterienkolonien selbst reinigen – die Bak-
dass das ein gangbarer Weg ist, um in die
sagt Projektleiterin Tove Larsen von der
toiletten mit Urinseparierung haben, ist,
fäkalinfizierten Kreislaufwassers setzt sich
baubarer Stoffe. Dazu dient eine Elektrolyse
terien bauen die Kontaminationen ab, die
Slums eine vernünftige Hygiene zu bringen,
EAWAG im Gespräch mit DKZ.
Filter müssen mithin nicht rückgespült
dass weder für die Reinigung der Toilette
mit solarbetriebenen Elektroden. Sie
noch für die Hygiene der Benutzerinnen
gewinnt aus den Salzen des Wassers
werden –, sammelt sich bakterieller
Wer trägt die Kosten solcher sanitären
und Benutzer Wasser zur Verfügung steht.
geringe Mengen Chlor zur Desinfektion.
Schlamm an. Der muss im Turnus
Einrichtungen? Tove Larsen: „Die In-
Gerade das Händewaschen zählt jedoch
Die EAWAG hat das Verfahren im La-
von vielleicht zweimal in der Woche
stallation muss sich selbst tragen. Die
zu den absolut grundlegenden Voraus-
bor entwickelt und getestet. Es kommt
mit dem Urin und den Feststoffen
Hochschule St. Gallen hat für uns den
Business Case durchgerechnet. Dem-
setzungen im Kampf gegen Infektions-
ohne Stromanschluss aus: Die Pumpe,
abtransportiert werden. Die Stand-
krankheiten. Das interdisziplinäre Team
die das Wasser in den über der Toilette
zeit der Membranen geben EOOS/
nach müsste der Dienstleister mit fünf
von Verfahrensingenieuren, Designern
angebrachten Speicher befördert, wird
EAWAG mit bis zehn Jahren an.
Cent pro Person und Tag sowie dem
von EOOS (Wien) und Fachleuten für
mit einem Fußpedal betrieben.
Verkauf der Wert- oder Nährstoffe als
Siedlungshygiene in Entwicklungsländern
Die Makerere-Universität in Kampala/
Dünger oder an einen Biogasanlagen-
unter Leitung der EAWAG entwickelte eine
Uganda (Credo: „We build for the
betrieb bei einer zweimaligen Abfuhr
future”) berät die Entwickler in der
pro Woche zurecht kommen. Natürlich
Schweiz und in Österreich. Sie wird
bedarf es zum Start einer Kapitalhilfe.
die fertigen Produkte in Slums ein-
Wenn ein Unternehmer aber einige
Lösung, die nicht nur Urin und Fäkalien
getrennt abführt, sondern vor Ort das
Brauch- und Reinigungswasser über eine
Membran-Ultrafiltration recycelt und quasi
auf Trinkwasserqualität aufbereitet.
Die Wasserverluste von etwa 1 l pro Tag –
bei einer Installation für zwei Familien
mit zusammen zehn Personen – können
so auch durch Regen- oder Flusswasser
ausgeglichen werden. Damit steht selbst
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Die „Diversion“-Toilette – ein modernes
Steh-Klo, das ohne Strom-, Wasser- und
Abwasseranschluss überall funktioniert,
im Slum von Kampala oder in einem
Ferienhaus in der Wildnis. Im Sockel die
Sammelbehälter für Kot und Urin und
der Geruchsverschluss. An der Wand
das Handwaschbecken und Wasser für
Analreinigung sowie die Reinigung der
Schüssel. Oben die Anzeige mit dem
Stand des aufbereiteten Wassers. Das
einmal eingefüllte Wasser wird im Kreislauf geführt. Es müssen lediglich Verluste
ausgeglichen werden
10 l 2012 Installation DKZ
setzen und über 15 Monate eine be-
tausend Menschen mit dieser Technik
gleitende Untersuchung vornehmen.
ausstattet, kommt er auf seine Kosten.“
Die Felderfahrungen sollen dann in
ein Serienprodukt einfließen. Das
könnte vor Ort letztlich aus einfachen Kunststoffbehältern für einen
regionalen Dienstleister hergestellt
werden. „Das ist ein sehr ambitiöses
Installation DKZ 10 l 2012 Bill Gates lässt sich von Projektleiterin Tove Larsen (Eawag) und EOOSDesigner Harald Gründl die DiversionToilette erläutern
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