20090320 200 Jahre PD Hannover

Transcription

20090320 200 Jahre PD Hannover
Rede von Herrn Minister Schünemann
anlässlich des 200-jährigen Jubiläums
der Polizeidirektion Hannover
am 20. März 2009
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(Zeitdauer: ca. 10-15 Minuten)
Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede,
die Polizeidirektion Hannover wird 200 Jahre alt. Die Feierlichkeit heute steht unter dem
Motto „Nichts ist spannender als die Geschichte…“. Dieses Ereignis gilt es umfassend
zu würdigen.
Für mich als Innenminister des Landes Niedersachsen ist es eine besondere Ehre und
zugleich Freude, an diesem Jubiläum teilnehmen zu können.
Der große römische Staatsmann und Philosoph Cicero (106 - 43 v. Chr.) brachte es auf
den Punkt: „Die Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den
Willen und lenkt ihn auf höchste Ziele“.
Anrede,
lassen Sie mich vor diesem Hintergrund einen Blick in die Vergangenheit werfen. Sieht man
auf den Anfang des 19. Jahrhunderts und die ersten Jahre der Polizeidirektion Hannover
zurück, so stellt man schnell fest: Die Rahmenbedingungen für die neue Institution waren
alles andere als einfach.
Auch in den Jahren vor der Gründung der Polizeidirektion hatte es schon Ordnungshüter in
Hannover gegeben. Hannover bestand bis 1824 aus zwei Städten: der Altstadt und der im
17. Jahrhundert gegründeten Calenberger Neustadt. In beiden Stadtteilen hatte es je einen
Polizeikommissar gegeben. Nach dem Einmarsch der Preußen 1803 war der altstädtische
Polizeikommissar für beide Stadtteile zuständig. Als er ein Jahr später starb, wurde kein
Nachfolger mehr ernannt.
Wenige Jahre später wurde das Kurfürstentum Hannover von den napoleonischen Truppen
besetzt. Es war die französische Besatzungsmacht, die nun die deutschen Städte unter
Druck setzte, ihr Polizeiwesen effektiver zu gestalten. Napoleon hatte gedroht, anderenfalls
französische Polizeidirektoren einzusetzen und französische Gendarmen einzuquartieren.
Am 13. Februar 1809 wurde die Polizeidirektion Hannover als eigenständige Behörde
eingerichtet. Der erste Polizey-Director verfügte über zehn Mitarbeiter. Es folgte ein Auf und
Ab: 1810 wurde die Ausübung der Polizeihoheit im staatlichen Auftrag dem Bürgermeister
übertragen. Ende 1813 wurde die Polizei aufgelöst und entstand bereits nach wenigen
Monaten als Polizeiinspektion wieder neu.
Anrede,
die folgenden Jahrzehnte waren gekennzeichnet durch einen fortwährenden Konflikt
zwischen dem Magistrat der Stadt und dem Monarchen. Die Stadt versuchte, so lange und
umfassend wie möglich ihren Einfluss auf die Polizei zu wahren. Aber aus der Perspektive
des Königs war jede Polizeibefugnis in der Hoheit des Monarchen begründet. Das heißt: Die
Kommunen übten sie nur kommissarisch aus. Die Polizei löste sich im Laufe der Zeit immer
mehr aus der kommunalen Einbindung heraus und entwickelte sich zu einer rein staatlichen
Institution.
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Die politische Überwachung der Bevölkerung war eine wesentliche Aufgabe der Polizei in
der Residenzstadt. Dabei wirkte die Polizeidirektion weit über die Grenzen der Stadt und des
Landes hinaus. War es am Anfang die französische Besatzungsmacht, die die politische
Polizei als Bestandteil des napoleonischen Herrschaftssystems flächendeckend einführte, so
stand nach 1848 das Interesse im Vordergrund, ein Wiederaufflammen der Revolution zu
verhindern.
Und nach der Annexion des Königreichs Hannover durch Preußen im Jahr 1866 waren es
die Anhänger der Welfen und die Sozialisten, die die Polizei überwachen sollte.
Die Polizeidirektion stand in den Jahrzehnten nach ihrer Gründung ständig in der öffentlichen
Kritik. Das hatte viele Gründe, z. B.
• die mangelnde Aufgabenwahrnehmung mit zu wenig ausreichend qualifiziertem
Personal,
• die ständig steigenden Kosten,
• die vielen zu weit gehenden Befugnisse („Polizeistaat“)
• das oft rüde Vorgehen der Beamten.
Anrede,
lassen Sie mich dies an einem Beispiel verdeutlichen:
In Hannover ebenso wie in anderen Städten des Königreiches mussten die Ordnungskräfte
bis 1848 die Raucher verfolgen. Das hatte aber mit dem Nichtraucherschutz von heute wenig
zu tun. Vielmehr war das Rauchen seinerzeit als ursprünglich rein feuerpolizeiliche
Maßnahme auf offener Straße verboten. Daraus entwickelte sich ein regelrechter Kleinkrieg,
wobei das Rauchen in der Öffentlichkeit zunehmend zum Freiheitssymbol gegen den alles
reglementierenden Polizeistaat wurde. Das wiederum zwang die Polizisten zum
permanenten Einschreiten und gab sie oftmals der Lächerlichkeit preis. Als König Ernst
August 1841 die ungenügende Einhaltung des Rauchverbotes in Hannover gerügt hatte,
verschärfte sich die Lage noch. Die Polizei selbst setzte sich schließlich für die Aufhebung
des Rauchverbotes ein – „man habe Wichtigeres zu tun“, ließ sie verkünden.
Hierzu klagte im Jahr 1850 der spätere Generalpolizeidirektor Wermuth, - ich zitiere - „dass
es augenblicklich Mode geworden zu sein scheint, fast über jede polizeiliche Handlung zu
schelten; schon früher konnte man die Erfahrung machen, dass die Polizei beschuldigt
wurde, willkürlich zu handeln und zu weit zu gehen, nur wenn ein Beschuldigter selbst die
Hilfe der Polizei in Anspruch nahm, ging sie ihm nie weit genug und es wurden dann die
unrichtigsten, ungesetzlichsten Ansinnen gestellt und die Polizei taugte wieder nichts, weil
sie solche Ansinnen ablehnte“. -Ende des Zitats- Passage evtl. raus lassen!
Anrede,
schon in den ersten hundert Jahren ihres Bestehens war die Polizeidirektion ständig von
Liegenschaftsproblemen geplagt – das ist also kein neues Problem! War 1809 das erste
Dienstzimmer noch im Alten Rathaus untergebracht, befanden sich 1814 die Diensträume in
der Leinstraße. Anschließend waren sie dann in der Burgstraße und ab 1850 in der
Brandstraße zu finden, also direkt hinter unserem heutigen Innenministerium. Kaum waren
neue Räume bezogen, erwiesen sie sich schon als unzureichend und beengend. Erst mit
dem Einzug in den imposanten Neubau des Polizeipräsidiums 1903 und mit der Einweihung
eines der modernsten Polizeigefängnisse seiner Zeit trat eine spürbare Erleichterung ein, die
aber leider nicht bis heute anhält.
Anrede,
die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war eine wechselvolle Zeit politischer Umbrüche und
Krisen. Das Ende des ersten Weltkrieges 1918 markierte gleichzeitig den Untergang der
preußisch-deutschen Monarchie. Nach und nach wurde aus der Polizei des ehemaligen
Obrigkeitsstaates die Sicherheitsbehörde eines demokratischen Rechtsstaates. Während der
Weimarer Republik war die hannoversche Polizei weiterhin ein wichtiger Bestandteil der
preußischen Polizeiverwaltung, die im Verlauf der 1920er Jahre eine durchgreifende
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Verwaltungsmodernisierung erlebte. Es waren vor allem die preußischen Innenminister Carl
Severing und Albert Grzesinski [sprich: Gresinski], die eine umfassende Polizeireform in
Gang setzten. Effektivität, Transparenz und Einheitlichkeit – das waren jetzt die
Leitprinzipien moderner Polizeipraxis.
So entstand ein professionelles Polizeischulwesen, um das Fachwissen, aber auch die
„Volksnähe“ und Demokratiefähigkeit des Polizeinachwuchses zu verbessern. Die
Kriminalpolizei spezialisierte sich und wurde technisch aufgerüstet – eine Reaktion auf
komplexe Deliktsfelder und organisierte Bandenstrukturen, die es damals schon gab. Davon
waren gerade großstädtischen Milieus wie in Hannover betroffen. Zugleich öffnete sich die
Polizei ab Mitte der 20er Jahre – ein Novum – für weibliche Kriminalbeamte. Auch in
Hannovers Kripo taten ab 1926 Frauen Dienst, wenngleich noch in bescheidenem Umfang.
Schließlich erhielten die Sicherheitsbehörden mit dem Preußischen
Polizeiverwaltungsgesetz von 1931 eine ausgesprochen innovative Rechtsgrundlage; dieses
Gesetz ist in vielem der Vorläufer unseres heutigen SOG. So gesehen wäre es verzerrt, die
Weimarer Republik nur als Hort politischer Krawalle und Blockade darzustellen. Gerade im
Polizeiwesen gab es wegweisende Impulse für die Modernisierung von Recht, Organisation
und Praxis, die zum Teil bis in die heutige Zeit wirken.
Anrede,
die hannoversche Polizei wurde in jenen Jahren nicht nur moderner, sie wuchs auch
erheblich. Hatte die Schutzpolizei in Hannover am Kriegsende 1918 gerade mal 588 Mann,
waren es zwei Jahre später knapp 1400 Schutzpolizisten. Das war vor allem den
bürgerkriegsähnlichen Unruhen geschuldet, die die Weimarer Republik in den Anfangsjahren
erschütterten.
Auch die hannoversche Kriminalpolizei machte einen erheblichen „Personalsprung“: Sie
verdoppelte binnen eines Jahres von 1923 auf 1924 ihren Bestand von 95 auf fast 180
Beamte. Das hatte einen ganz konkreten Grund: 1924 war das Jahr, in dem eine
spektakuläre Mordserie in Hannover aufgedeckt wurde, die Kriminalgeschichte machte und
die Bevölkerung tief verunsicherte. Vielen von Ihnen ist die schaurige Geschichte des
Serienmörders Fritz Haarmann aus Hannover bekannt. Haarmann hat in den Jahren 19181924 schätzungsweise 24 Jungen ermordet.
Der Prozess erregte sehr starkes Aufsehen in der Öffentlichkeit – auch aufgrund der Rolle
der Polizei, die Fritz Haarmann zeitweilig als Spitzel engagiert hatte. So verarbeitete der
Hannoveraner Philosophieprofessor Theodor Lessing, der Prozessbeobachter war, den
spektakulären Fall in seinem viel diskutierten Werk „Haarmann – Die Geschichte eines
Werwolfs“. Lessing ist dabei auch auf die besondere Rolle der Polizei im Fall Haarmann
eingegangen.
Anrede,
so sehr die Weimarer Republik um ein starkes demokratisches Polizeiwesen bemüht war:
die Wirtschaftskrise zu Beginn der 1930er Jahre führte zu einem Erstarken extremistischer
Gruppen, dem die Staatsmacht nicht mehr gewachsen war. In Hannover und Umgebung
ereigneten sich in jenen Jahren zahllose Straßenkämpfe zwischen Polizei und militanten
Republikfeinden. Die rechtsextreme NSDAP wurde gerade im norddeutschen Raum schon
vor der „Machtergreifung“ im Jahr 1933 zu einem bedrohlichen Einflussfaktor.
Während der NS-Herrschaft ging die Polizeihoheit der Länder an das Reich über. Schritt für
Schritt wurde die Polizei zu einem Terrorinstrument der Diktatur umfunktioniert. Das hatte
auch hier in der hannoverschen Polizeiverwaltung ganz gravierende Auswirkungen.
Demokratisch gesinnte Polizeibeamte mussten um Degradierung und Entlassung fürchten,
während radikale Kader an führende Stellen rückten.
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Mit Entstehung der berüchtigten Gestapo wurde die ehemalige Politische Abteilung des
Hannoverschen Polizeipräsidiums im Mai 1933 in eine Stapo-Stelle umgewandelt. Sie war
damit der verlängerte Arm der Berliner Zentrale, um im norddeutschen Raum systematisch
die Gegner der Diktatur zu verfolgen. Aber auch andere Polizeikräfte aus Hannover waren,
wie wir heute wissen, tief in das Terrorsystem und Unrecht jener Jahre verstrickt. Es dauerte
seine Zeit, bis nach dem Ende von Krieg und Diktatur dieser dunkle Teil unserer
Polizeigeschichte in das öffentliche Bewusstsein rückte. Lange genug spielte er eine
untergeordnete Rolle oder wurde verdrängt.
Ich kann daher an dieser Stelle nur auf die vor drei Jahren erschienene Studie „Die
Polizeidirektion Hannover“ von Dirk Riesener verweisen. Sie ist in enger Zusammenarbeit
mit der ZPD entstanden und liefert ein profundes Bild norddeutscher Polizeigeschichte. Es ist
lobenswert, dass dabei auch die schmerzvollen Ereignisse der ersten Hälfte des letzten
Jahrhunderts gründlich aufgearbeitet wurden. Und es zeigt: Eine offene und moderne
Behörde wie die Polizeidirektion Hannover hat nichts zu verbergen. Sie stellt sich umfassend
ihrer Gesamtgeschichte, den Licht- wie den Schattenseiten. Das ist kein Zeichen von
Schwäche, wie manche meinen, sondern – im Gegenteil – von Souveränität.
Anrede,
ich will es bei diesem historischen Abriss belassen. Es wird deutlich, dass wie kaum eine
andere Institution die Polizei die Höhen und Tiefen staatlicher Entwicklung spiegelt. Kurz –
die PD Hannover hat sich vom Büttel des Königs zum bürgernahen Dienstleister der
Demokratie gewandelt. Dessen ungeachtet, gibt es Grundsätze für eine funktionierende
Polizeiorganisation, die für die Akteure im 19. Jahrhundert wie auch heute Bestand haben.
Seien es die Welfen oder die Preußen, alle mussten schon bald akzeptieren:
• Eine effektive Polizeiorganisation muss so untergebracht sein, dass ihr die
Aufgabenerfüllung erleichtert und nicht erschwert wird.
• Sie muss ständig den Anschluss an den technischen Fortschritt halten.
• Und sie muss ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter qualifizieren, angemessen
besolden und versorgen.
Anrede,
heutzutage bedeutet Sicherheitspolitik im Kern, die Rahmenbedingungen zu schaffen, in
denen ein Leben in Freiheit und Sicherheit möglich ist. Dieses ist in Niedersachsen mit einer
durchgreifenden Organisationsreform der Polizei in den vergangenen Jahren gelungen.
Diese Umorganisation hat sich bewährt. Die Strukturen sind schlanker und leistungsfähiger
geworden. Das gilt insbesondere für die Kriminalitätsbekämpfung. Wir können flexibler auf
entstehende Brennpunkte reagieren und sind dichter an den Bürgerinnen und Bürgern.
Die Aufklärungsquote, wesentliches Indiz für die Leistungsfähigkeit der Polizei, weist für die
letzten Jahre landesweit und auch für die Polizeidirektion Hannover einen Trend auf, der
stetig nach oben zeigt. Diese überaus positive Entwicklung ist auch auf die
hochprofessionelle und engagierte Arbeit der Polizeibeschäftigten zurückzuführen.
Anrede,
die Kriminalität entwickelt sich infolge immer kürzerer technischer Innovationszyklen
zunehmend dynamisch. Daher ist es auch zukünftig unser Ziel, mit hochqualifiziertem
Personal und innovativer Kriminaltechnik derartigen Entwicklungen wirksam zu begegnen.
Die kontinuierliche Weiterentwicklung der technischen Standards ist dabei ein wesentlicher
Baustein für eine weiterhin erfolgreiche Polizeiarbeit. Wir werden daher allein 15 Mio. Euro
zusätzlich in die Erneuerung des Fahrzeugparks sowie in die Informationstechnologie und
die Kriminaltechnik der Polizei investieren.
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Das heißt, es können landesweit 1000 Polizeifahrzeuge erneuert werden. Die
Polizeidirektion Hannover wird ferner zu den bereits vorhandenen fünf Live-Scan-Geräten,
mit denen die digitale erkennungsdienstliche Behandlung unterstützt wird, weitere drei im
laufenden Jahr erhalten. Die Ausstattung mit drei zusätzlichen digitalen Radargeräten ist für
das Jahr 2010 vorgesehen.
Personell werden wir die Polizeidirektion Hannover in den nächsten drei Jahren um etwa
neunzig Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte stärken. Zudem wird auch
das Personal dieser Behörde von den zusätzlichen Beförderungsmöglichkeiten profitieren,
die in Folge des Stellenhebungsprogrammes in 2009 ermöglicht werden.
Anrede,
die Polizeidirektion Hannover hat sich über die Jahrzehnte zu einer jungen, modernen und
bürgerorientierten Behörde entwickelt, mit fachkundigen und motivierten Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern. Ihnen gilt hier mein besonderer Dank. Denn genau sie sind es, die sich
tagtäglich für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger einsetzen!
Lassen Sie uns nun dieses Jubiläum an diesem außergewöhnlichen, aber auch
interessanten Ort – dem im Jahre 1903 errichteten Polizeigewahrsam – feiern und würdigen.
Freuen wir uns auf eine unterhaltsame Zeitreise durch die
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Polizeigeschichte!