Predigt Palmsonntag 2010: Philipper 2, 5-11

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Predigt Palmsonntag 2010: Philipper 2, 5-11
sequenz aus einer unhaltbaren Situation, in die sie sich freilich selbst
Predigt Palmsonntag 2010: Philipper 2, 5-11
Liebe Gemeinde,
der Palmsonntag ist ein Tag voller Gegensätze. Er erinnert an den
Einzug Jesu in Jerusalem, der vorhin in der Schriftlesung geschildert
wurde: Jesus ist empfangen worden - beinahe wie ein König. Obwohl
er nur auf einem Esel ritt, dem Lasttier der kleinen Leute. Obwohl er
weder Kutsche noch Bedienstete bei sich hatte. Die Menschen spürten: Hier ist einer, der im Namen Gottes kommt. Der Prophet, der Davidsohn, der Messias. Deshalb der Jubel, der Teppich aus Kleidungsstücken und aus Zweigen (den Palmzweigen unseres Sonntags) und
der begeisterte Jubel.
Das ist die eine Seite. Zugleich aber ist der Palmsonntag der Anfang
der Karwoche. Der Woche, die das Leiden und Sterben Jesu zum
Gegenstand hat. Bereits wenige Tage nach jenem begeisterten Empfang wird eine fanatisierte Menge ganz andere Dinge rufen als “Hosianna!” Der Ruf heißt dann: “Kreuzige ihn, kreuzige ihn!” Das ist die
andere Seite des Palmsonntags: seine Rolle als Eingangstor in die
Leidensgeschichte Jesu.
Solche Gegensätze kennen wir. Dicht beieinander sind manchmal der
Jubel der Menge und die empörte Ablehnung. Wie waren die Medien
voll Begeisterung, als im Oktober die hannoveranische Bischöfin Margot Käßmann zur neuen EKD-Ratsvorsitzenden gewählt wurde. Eine
Boulevardzeitung titelte gar, sie sei so etwas wie die „Päpstin aller
Protestanten“ geworden.
Doch wie schnell kann sich das Blatt wenden! Vor wenigen Wochen
war es dann dieselbe Zeitung, welche die Trunkenheitsfahrt Käßmanns enthüllte. Und dann war in diesem Blatt die Rede von der
„dunklen Nacht der Bischöfin“, und ihr Rücktritt war dann nur die Kon-
gebracht hatte.
So dicht können Ruhm und Schande beieinander liegen. So nahe ist
manchmal das Scheitern dem Erfolg!
Solche Gegensätze prägen den Palmsonntag – und auch unseren
heutigen Predigttext. In ihm geht es um Gegensätze wie die zwischen
Jubel und Beschimpfung, zwischen Liebe und Hass, zwischen Leben
und Tod. Gegensätze, die ebenso wie die des Palmsonntags aufs
engste verbunden sind mit der Person Jesu. Paulus zitiert in Philipper
2, 5-11 ein Lied der Urchristen, das den Weg Jesu mit folgenden Worten besingt:
Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus
Jesus entspricht:
Er, der in göttlicher Gestalt war,
hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,
sondern entäußerte sich selbst
und nahm Knechtsgestalt an,
ward den Menschen gleich
und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
Er erniedrigte sich selbst
und ward gehorsam bis zum Tode,
ja zum Tode am Kreuz.
Darum hat ihn auch Gott erhöht
und hat ihm den Namen gegeben,
der über alle Namen ist,
dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie,
die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,
und alle Zungen bekennen sollen,
dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.
schenden Weges: eines Weges nach unten. Der Göttliche hält seine
Liebe Gemeinde,
wo ist eigentlich Gott? Wenn man einem kleinen Kind dieser Frage
stellt, wird man oft die Antwort bekommen: “Im Himmel!” Und wer wollte es dem Kind verdenken, wenn es dabei an den blauen Himmel über
uns denkt: Wahrscheinlich sind es die Auskünfte der Erwachsenen,
die jenes kindliche Bild erzeugt haben: Gott, vorgestellt vielleicht gar
als alter Mann mit Bart, der über den Wolken thront und mal freundlich, mal böse auf die Welt unter sich herabschaut.
Doch auch viele ältere Jugendliche und auch Erwachsene sind von
diesem Bild so weit nicht weg. Erscheint Gott nicht oft weit weg von
unseren Sorgen und Nöten, von dem, was uns im Alltag beschäftigt?
So weit weg wie es der Himmel von der Erde ist! Verschiedene Menschen stehen mir da vor Augen. Da ist die Schulabgängerin, die auf
50 Bewerbungen nicht eine einzige Einladung zu einem Vorstellungsgespräch bekam. Da ist die Familie, deren kleines Kind schwer an
Krebs erkrankt ist, und deren Denken und Fühlen jeden Tag aufs
Neue von Todesängsten geprägt ist. Und ich sehe in diesen Tagen
immer wieder die Verlobten der beiden Töchter der ermordeten Eislinger Familie vor mir, wie sie bei der Trauerfeier vor einem Jahr am
Grab ihrer Liebsten geweint haben. Und ich frage: Wo ist Gott für all
diejenigen, deren Leben aus den Fugen geraten ist, für all die, die einen schrecklichen Verlust erlitten haben?
Wir können die Frage fortsetzen: Ist Gott denn tatsächlich im Himmel?
Hoch über den Wolken? Weit weg von allen schrecklichen Dingen
dieser Welt? Unser Bibeltext lässt tatsächlich den Weg Gottes im
Himmel beginnen. Von göttlicher Gestalt ist da die Rede, davon, dass
Jesus Gott gleich war. Aber das ist nur der Anfang eines völlig überra-
Göttlichkeit nicht fest, klammert sich nicht an sie wie an ein Stück Privatbesitz. Vielmehr lässt er all das los, was zu ihm gehört. In der
Sprache dieses alten Liedes „entäußert er sich selbst und nimmt
Knechtsgestalt an“. Der himmlische Christus wird Mensch.
Die Evangelien schildern diesen Weg bei den Menschen. Nüchtern,
oft ganz frei vom Goldglanz späterer Bilder. Geboren als hilfloses kleines Kind in einem Stall in Betlehem, verkannt von seiner Familie, verspottet in seiner Heimatstadt Nazareth. Mal erregt er Aufmerksamkeit,
mitunter wird er sogar bejubelt - so wie in jener Szene am Palmsonntag! Aber dann geht sein Weg vollends in die Tiefe: Er wird angefeindet, im Garten Gethsemane verhaftet, verspottet und verhöhnt.
Schließlich zum Tod verurteilt und auf dem Hügel Golgatha qualvoll
hingerichtet.
Doch dies alles ist kein tragischer Unfall, keine traurige Verkettung
unglücklicher Umstände. Nein, Jesu Leiden und Sterben ist nur die
letzte Konsequenz seines Weges: des Weges von oben nach unten,
vom Himmel auf die Erde, von Gott zu uns Menschen. Und dieser
Weg hat einen letzten, tiefen Sinn: In seinem Leiden und Sterben
kommt er all jene nahe, die hier leiden und sterben müssen.
In Jesu Tod wird das abgebildet, was das letzte und tragische Geschick eines jeden von uns ist: Unsere Endlichkeit. Wir können nicht
festhalten, was wir in diesem Leben erreicht haben. Wir können unser
Leben nicht vor dem Tod bewahren. Scheitern, Zugrunde gehen - alle
schlimmen Erfahrungen unseres Lebens haben zu tun mit Jesu Tod.
Auch die Toten von Haiti und Chile, auch die Ermordeten von Eislingen und ihre Angehörigen sind im Tod Jesu mit dabei: Alle Leidenden
und Sterbenden, alle Opfer von Unrecht und Gewalt. Alle Tiefen von
menschlichem Leid und Schuld sind in Jesu Tod hineingenommen.
Gott bleibt uns nicht fern. In der Gestalt Jesu kommt er uns nahe, ge-
kommt die große Wende: die Auferstehung am dritten Tag, die Rück-
rade dann, wenn er uns fern scheint, gerade dann, wenn wir ganz unten sind. Gottes Weg geht zu uns. Gott sucht uns durch Jesus dort
auf, wo wir sind.
kehr zu seinem himmlischen Vater.
Und das ändert etwas an unserer Situation! Wir sind nicht mehr gottverlassen, nicht mehr hilflos und hoffnungslos, und wenn es uns noch
so schlecht geht. Wir wissen: Es ist auch in unseren dunkelsten Stunden einer bei uns, der das kennt, was wir erleben und erleiden.
Mehr noch: Über das Leiden und Sterben hinaus ist auch das andere
zu nennen, das in unserem Bibeltext allerdings völlig anders klingt als
das bisher gesagte: Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den
Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu
sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und
unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus
Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.
Diese Worte hören sich fast an wie der Bericht von einer Thronbesteigung. Und genau das ist auch gemeint! Ein neuer Herrscher wird eingesetzt. Er bekommt einen Herrschernamen, wird eingesetzt in seine
Herrscherrolle. Die Untergebenen bejubeln den neuen König und feiern so seine Inthronisation.
Es ist freilich nicht jener Jubel, der damals am Palmsonntag laut wurde, als Jesus nach Jerusalem kam und eine leicht zu begeisternde
Menge ihn bejubelte. Was hier beschrieben wird, ist eine österliche
Feier. Denn der Weg nach oben, die Erhöhung Jesu kommt erst nach
seinem Tod. Erst nach Karfreitag folgt Ostern, erst durch den Tod hindurch geht es in das neue Leben, in die Herrschaft Jesu. Erst wenn
Jesus ganz bis in die letzte Tiefe des Todes hinabgestiegen ist,
Und für uns ist es wichtig zu sehen, dass Jesu Weg beides umfasst:
Tod und Leben, Niedrigkeit und Erhöhung. Die ganze Fülle menschlichen Leidens ist im Weg Jesu enthalten - aber auch die überschwängliche Freude über seine Auferstehung, die in unserem Lied beschrieben wird wie die Einsetzung eines neuen Königs. Der Gekreuzigte ist
auferstanden, ist zu Gott erhöht. Weil sein Weg nicht im Tod geendet
hat, können auch wir Hoffnung und Zuversicht gewinnen - trotz aller
Todverfallenheit dieses Lebens. Der zu uns in die Tiefe herabgekommen ist, geht uns auf dem Weg nach oben nur voraus.
Der Weg Jesu – das ist ein Weg, der vieles mit unseren Lebenswegen
zu tun hat. Paulus zitiert das alte christliche Lied nämlich mit einer
besonderen Absicht. Er sagt nämlich: Seid so unter euch gesinnt, wie
es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht. Das soll heißen: So wie Christus nicht gleichgültig im Himmel geblieben ist, sondern sich eingelassen hat auf all das, was zu einem Menschenleben
gehört, so sollen auch wir leben. Wir sollen nicht denen aus dem Weg
gehen, die Leid erfahren, die krank sind, die Schwierigkeiten in Ehe
und Familie haben. Sondern bei ihnen sein, Anteil nehmen an dem,
was sie erfahren. Nicht mit klugen Ratschlägen oder frommen Sprüchen, sondern mit ganzer Nähe und mit ganzem Herzen. Freut euch
mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden - so sagt es Paulus
an anderer Stelle. Die ganze Fülle des Lebens erfahren, erleiden, erleben. Das ist der Weg Jesu, das kann auch unser Weg sein.
Amen.

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