Die Sachlichkeit der Revolutionäre - Neue Gesellschaft Frankfurter

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Die Sachlichkeit der Revolutionäre - Neue Gesellschaft Frankfurter
Kultur und Kritik
Karoline Hille
Die Sachlichkeit der Revolutionäre
Max Beckmann und Otto Dix in der Kunsthalle Mannheim
Sie sind sich vermutlich nie begegnet, auch
ihre Kunst könnte gegensätzlicher nicht
sein und trotzdem gibt es Berührungspunkte. Nun sind die beiden großen Antipoden der Figuration des deutschen Nachexpressionismus, der 1884 geborene Bürgersohn Max Beckmann und der sieben Jahre jüngere Arbeitersohn Otto Dix
erstmals zusammen in der Mannheimer
Kunsthalle zu besichtigen.
Ausgestellt an berufenem Ort, in jenem 1909 gegründeten Museum in Mannheim, in dem Fritz Wichert gegen konservative Widerstände bis zum Ersten Weltkrieg eine hochkarätige Sammlung neuer
französischer Kunst aufgebaut hatte. Unter
seinem Nachfolger Gustav Friedrich Hartlaub avancierte die Kunsthalle in der Weimarer Republik zu einem Hort der zeitgenössischen Moderne. Ein guter Grund an
die intensive Beziehung beider Künstler
zur Kunsthalle, in der sich Werkentwicklung wie Zeitgeschichte gleichermaßen
spiegeln, zu erinnern.Auch wenn Hartlaub
die internationale Avantgarde stets mit im
Blick hatte, so galt sein Hauptinteresse doch
jenem neuen Realismus, den eine junge
Künstlergeneration nach dem verlorenen
Krieg in Deutschland entwickelte.
Dieser Realismus hatte viele Gesichter.
Waren die revolutionären Krisenjahre bis
zur Mitte des Jahrzehnts zunächst von einem linksradikalen Verismus geprägt, gewann in der Stabilisierungsphase der jungen Republik eine konservativ-klassische
Gegenständlichkeit zunehmend an Bedeutung. Die Frage nach einem »neuen deutschen Naturalismus« wurde seit Anfang
der 20er Jahre heftig diskutiert. Bereits
1922 griff Hartlaub richtungweisend in
die Debatte ein, indem er einen linken und
einen rechten Flügel innerhalb der realis-
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tischen Strömungen diagnostizierte, die er
dann 1923 unter der griffigen Bezeichnung Neue Sachlichkeit zusammenfasste
und als zeittypische Ausdrucksformen in
einer gleichnamigen Ausstellung erstmals
präsentieren wollte. Als die Schau Neue
Sachlichkeit mit dem Untertitel »Deutsche
Malerei seit dem Expressionismus« 1925
schließlich stattfand, schien sich die Weimarer Republik konsolidiert zu haben, die
revolutionären Gesellschaftsentwürfe gehörten auch in der Kunst der Vergangenheit an und der Begriff Neue Sachlichkeit
war zum Schlagwort für alle Bereiche der
Wirklichkeit geworden.
Beckmann wie Dix, von Hartlaub schon
1923 eingeladen, waren zwei Jahre später
mit fünf beziehungsweise sieben Gemälden in der Ausstellung vertreten, deren inhaltliche Gewichtung sich zugunsten des
»rechten Flügels« verschoben hatte. Ihr
entsprach bei den Veristen eine Beruhigung und Versachlichung der Malweise,
sowohl in der Wahl der Themen als auch
in der politischen Haltung.
Schon 1922, auf dem Höhepunkt des
krassen Verismus, hoffte Hartlaub auf eine Vereinigung der beiden so unversöhnlichen wie gegensätzlichen Richtungen
und benannte mit Max Beckmann den
Künstler, der dies leisten könnte. Dieser
Gedanke beruhte auf der Vorstellung von
der geistigen Erneuerung der Kunst im Sinne einer »neuen Gnosis«, die der Kunsthistoriker bereits 1917 angesichts der unvorstellbaren Kriegsgräuel entwickelt hatte.
Denn die frühchristliche Gnosis – »Religion der Erkenntnis« –, die er hier für die
deutsche Moderne adaptierte, war eine
dualistische, elitäre Religion, die der Welt
zutiefst ablehnend gegenüberstand. Erlösung war in ihr allein dem in die göttlichen
Kultur und Kritik
Geheimnisse Eingeweihten vorbehalten.
Eine solch starke Persönlichkeit sah Hartlaub in Beckmann, der diese Vorstellungen
im Übrigen teilte. 1918 hatte Hartlaub tief
beeindruckt bei einem Atelierbesuch in
Frankfurt Beckmanns neue, nach den traumatischen Kriegserfahrungen in Stil und
Thematik radikal gewandelten »gotischen«
Bilder gesehen. Auf sein Drängen hin erwarb Fritz Wichert für die Mannheimer
Kunsthalle – als erstes Museum in Deutschland neben dem Frankfurter Städel – mit
»Christus und die Ehebrecherin« eines
dieser Gemälde. In der Christus-Figur sah
Hartlaub einen ganz neuen Typus verkörpert, einen unendlich Wissenden, ja »gnostischen Magus«. Eine besondere Wertschätzung des Künstlers, die sich bis zum
Ende der 20er Jahre im Ankauf von fünf
Werken sowie 1928 in der ersten umfassenden Retrospektive manifestierte.
Auch Otto Dix gehörte für Hartlaub zu
den »hochbegabten und führenden jungen deutschen Malern«. Gleichwohl lehnte
er dessen harten Verismus ab. Wenn auch
für Dix – ebenso wie für Beckmann – das
Trauma des Weltkriegs der Auslöser für einen grundlegenden bildnerischen Wandel
und die stilistische Hinwendung zu den altdeutschen Meistern war, so
Fanatiker der ging er doch einen ganz anWirklichkeit deren Weg. Als Fanatiker
trifft auf der Wirklichkeit wandte er
hermetisches sich in der revolutionären
Nachkriegszeit der Realität
Welt-Theater zu.Während
Beckmann um
1921 bereits an seinem ganz persönlichen,
hermetisch-geheimnisvollen Welt-Theater arbeitete und sich als »unendlich wissenden« Clown darstellte, malte Dix das
»Mädchen vor dem Spiegel«, das ihm eine
Anklage wegen Pornografie einbrachte.
Es gibt keinen größeren Gegensatz als
zwischen diesen beiden Gemälden. Dix
gründete unter anderem die linksradikale
»Dresdner Sezession Gruppe 1919« mit
und beteiligte sich 1920 in Berlin an der
Dada-Messe. Keiner der Veristen hat so
direkt, aggressiv, hohnlachend und zynisch wie er die soziale und gesellschaftliche Wirklichkeit dargestellt und attackiert. Kein anderer wurde so heftig angefeindet.
Hartlaub stand mit seiner Ablehnung
keineswegs allein. Als die linken Künstler
1924 erstmals in der Sowjetunion vorgestellt wurden, war das Publikum schockiert.
Vor diesen Bildern würde »einem ganz unheimlich«, schrieb ein Kritiker und meinte
damit vor allem Dix. Zu dieser Zeit, in der
Dada und der harte Verismus bereits der
Vergangenheit angehörten, orientierte sich
auch Dix neu. Aus dem zeitlichen Abstand
heraus begann er die Kriegserfahrung zu
verarbeiten. 1923 war »Der Schützengraben« entstanden und im Internationalen
Antikriegsjahr 1924 erschien das gewaltige grafische Mappenwerk »Der Krieg«:
Dokument einer grauenhaften Wirklichkeit, sachlich und genau. Bis zum Ende
des Jahrzehnts avancierte der Künstler mit
seinen Bildnissen in perfekter altmeisterlicher Lasurtechnik zum berühmten Porträtisten. Dieser gewandelte Realismus
spiegelte sich 1925 auch in der Auswahl für
die Neue Sachlichkeit, darunter das Gemälde »Die Witwe«, das Hartlaub für die
Kunsthalle erwarb.
Die dem Lebenswerk von Max Beckmann und Otto Dix gewidmete Ausstellung in dem nach dreijähriger Sanierung
im Oktober 2013 wiedereröffneten Jugendstil-Altbau der Mannheimer Kunsthalle
unternimmt mit etwa 300 Gemälden und
Grafiken in 15 Themenräumen eine Reise
durch die Welt beider Künstler. In direkter
Konfrontation werden die Gegensätze in
Malstil und Bildsprache, Porträtauffassung und Weltanschauung, der Dixsche
Verismus wie die »überzeitliche« Mythologie Beckmanns ebenso deutlich wie die
gemeinsame Faszination durch das großstädtische Leben, die Nähe im Frühwerk,
in der Bewältigung der Kriegserfahrung
in eindrücklichen Grafikzyklen oder im
Rückzug in die Landschaft in den Jahren
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Kultur und Kritik
der Verfemung nach 1933. Am Ende der
Ausstellung wie auch am Lebensende der
beiden großen Menschenbildner stehen
sich der verspottete »Schmerzensmann«
von Dix und Beckmanns »Christus in der
Vorhölle« seltsam fremd und nah zugleich
gegenüber.
Die Geschichte der Moderne ist untrennbar verbunden mit ihrer Verfemung,
»Verwertung« und Vernichtung während
der Nazidiktatur, ein Raubzug, zu dem auch
die Abpressung von jüdischem Kunstbesitz gehörte. Angesichts der in Amerika
konzipierten Rekonstruktion der Münchner Hetzausstelung »Entartete Kunst«, deren Übernahme 1992 nach Berlin sich ausschließlich privatem Engagement verdankte, schrieb ich an dieser Stelle vom
ignoranten Umgang mit der eigenen Geschichte. Seitdem sind 20 Jahre vergangen
und abgesehen von unverbindlichen Appellen hat sich, wie die Causa Gurlitt belegt, nicht viel geändert. Noch immer gibt
es jene unheilige Allianz von Händlern,
Sammlern und Museen, die die Restitution der nach 1945 munter weiter gehandelten »Raubkunst« erfolgreich hintertreibt. Aber die Diskussion ist eröffnet.
1928 zeigte Hartlaub in der glanzvollen Beckmann-Ausstellung neben dem Gemälde »Christus und die Ehebrecherin«
auch dessen ebenfalls 1917 gemaltes Pendant »Kreuzabnahme« aus dem Städel.
1937 standen die beschlagnahmten Gemälde nebeneinander in der Münchner
Nazi-Hetzausstellung am Pranger. 1992
hingen die großartigen Bilder als Leihgaben amerikanischer Museen in Berlin
wieder zusammen. Zumindest die »Kreuzabnahme« ist nun in der Mannheimer
Kunsthalle ausgestellt: eine Bildergeschichte, die in ihrer Bedeutung weit über sich
hinausweist.
Dix/Beckmann: Mythos Welt. In der
Kunsthalle Mannheim bis 23.3.2014, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München
11.4-10.8.2014; Der Katalog in den Ausstellungen kostet 25 €.
Karoline Hille
lebt als freie Publizistin und Journalistin in Ludwigshafen am Rhein. Sie promovierte 1993 über die Geschichte der
Mannheimer Kunsthalle.
Dirk Klose
Zwischen Puddingpulver und Hakenkreuz
Die Firma Rudolf-August Oetker unter dem Nationalsozialismus
Firmengeschichte war in der Geschichtswissenschaft lange nicht besonders angesehen. Die zahllosen Festschriften zu Jubiläen von Unternehmen galten in der Regel
als bestellte Lobeshymnen, für die sich seriöse Historiker meist nur schamhaft (mit
Blick auf gutes Honorar) hergaben. Die unermüdlichen Bemühungen etwa des Göttinger Historikers Wilhelm Treue um zu-
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verlässige Darstellungen blieben zunächst
ohne rechten Widerhall.
Das änderte sich Ende der 60er Jahre,
da mit der damals aufkommenden Kapitalismuskritik führende Persönlichkeiten
der westdeutschen Wirtschaft und ihre
Unternehmen in den Blick gerieten, die
schon in der NS-Zeit tätig gewesen waren.
Solche Kontinuität lenkte das allgemeine

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