Zwei Zwerge – ein grosser Auftritt
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Zwei Zwerge – ein grosser Auftritt
DER LANDBOTE MONTAG, 17. JUNI 2013 l REGIONALKULTUR 21 Zwei Zwerge – ein grosser Auftritt WILA. Ihr Enkel Laurin sei ein «Guckekind», sagt die Künstlerin Dorette Wäckerli-Genier. Sie hat für ihn und alle Kinder, die gern gucken und hören, ein kleines Märchenbuch geschaffen. Däumling die Daumen amputiert.» Wäckerli-Genier weiss aus Erfahrung, dass Kinder ein Publikum mit scharfem Blick sind. Jedes Detail muss stimmen. Dafür häkelte sie zunächst ein Modell des Prinzen, der in ihrer Geschichte eine Mütze mit silbernen Vögeln trägt, dessen Augen wie Sterne aussehen und von dessen Schultern ein lila Mäntelchen wallt. Ein roter Pullover, ein Gürtel aus goldenen Perlen gehören zur Figur sowie ein langer roter Faden, der in der Sage den Rosengarten beschützt. Kurzerhand setzte sie die Puppe auf ein Spielzeugpferdchen aus Holz – fertig war das Modell, das sie nun von allen Seiten studieren und zeichnen konnte. Die Szenen, die im Epos zuweilen in ein rechtes Getümmel ausarten, hat sie auf wenige Elemente reduziert. «Ich will die Kinder anregen, genau hinzusehen und aus den Beobachtungen eigene Geschichten zu entwickeln», sagt sie. Die Reizüberflutung heute ersticke jegliche Kreativität. Ihr Enkel Laurin dagegen könne mit einem Stecken durch den Garten tollen – und mit dieser «Säge» in seiner Vorstellung ganze Bäume fällen. Bei der Wahl ihrer Sprache hat sie sich an die Vorlage gehalten – ein Zwerg ist ein «Zwerg» und kein Kleinwüchsiger. Die Political Correctness, die sich in der Neuformulierung von Märchen niederschlage, gehe ihr zu weit. Eine Hexe aus dem Märchen sei keine «Kräuterfrau», sondern eine Verkörperung von dunklen Kräften. Kinder erhalten wegen Märchen kein negatives Frauenbild, ist sie überzeugt. CHRISTINA PEEGE Wer das Atelier von Dorette WäckerliGenier in Wila betritt, wird von Bildern gefangen genommen: Fabelwesen, Ornamente, die einen in starken Farben die anderen ganz linear und in Schwarz-Weiss. Die einstige Kindergärtnerin, Tanztherapeutin und Autorin ist eine Künstlerin mit vielen Facetten. Jetzt hat sie zum ersten Mal ein Buch herausgegeben, eines, dessen Text sie selbst verfasst und dessen Illustrationen sie selbst gestaltet hat. «Laurin, der Zwergenkönig vom Rosengarten» lautet der Titel des schmalen Bändchens aus dem Novum-Verlag. Es ist ihrem Enkel Laurin gewidmet, der eben dreijährig geworden ist und der «fürs Leben gern Geschichten erzählt bekommt», wie Wäckerli-Genier anlässlich eines Atelierbesuches erzählt. Kinder nicht in Watte packen Begonnen hat das Buchprojekt vor knapp drei Jahren mit ihrer Neugierde, woher der Name Laurin kommt. «Ich hatte den Namen vor der Geburt meines Enkels noch nie gehört», erzählt sie. Sie beginnt zu recherchieren und stösst rasch auf das mittelalterliche Heldenepos (s. Kasten). Sie reist sogar ins Südtirol, wo heute die Sage in Orts-, Hotel- und Flurnamen noch sehr präsent ist. Sie beschliesst, für ihren kleinen Enkel die Geschichte aufzuschreiben, «so, dass ein Kind sie versteht», sagt sie. Für sie persönlich schliesst sich ein Kreis, wie sie erzählt. Hat sie doch als Primarschülerin die Nibelungensage erzählt bekommen, und das Buch mit diesen Sagen war das erste, das sie sich als Schulkind gekauft hat. «Die starken Frauenfiguren haben mich in diesen Erzählungen immer sehr fasziniert», blickt sie zurück. Dass die Sagen wegen der ihnen innewohnenden Gewalt nicht kindgerecht seien, lässt sie daher nicht gelten. «Wir packen heute Kinder viel zu sehr in Watte», sagt sie. Und ausserdem seien die Gestalten des Epos wie auch der Märchen so stilisiert, dass sich ein Kind zwar in sie hineindenken könne, dass aber diese Figuren das Kind nicht ängstigen. «Wirklich brutal ist doch der Struwwelpeter. In den Geschichten wird ganz alltäglichen Kindern Gewalt angetan, etwa dem Der König bin ich Dorette Wäckerli-Genier im Atelier in Wila. Ausgangspunkt für ihr Bilderbuch war ihr eigener Enkel Laurin. Bild: Christina Peege Laurin – verliebt und verraten Die Geschichte vom Zwergenkönig Laurin existiert als Heldenepos aus dem 13. Jahrhundert sowie als volkstümliche Sage aus dem Südtirol. Diese versucht, das rote Glühen der Berggipfel rund um die Laurinswand und die Vajolettürme zur Dämmerungszeit zu erklären. Im Epos lädt der König an der Etsch Adelige ein, um seine Tochter zu vermählen. Nur Zwergenkönig Laurin wird nicht geladen. Der wohnt der Brautschau unter einer Tarnkappe bei, die ihn unsichtbar macht. Hals über Kopf verliebt, schnappt er die Königstochter den Fürsten vor der Nase weg und entführt sie in seinen Rosengarten – wird dort aber von den Adeligen umstellt: Dietrich von Bern kann den Zwerg überlisten, obwohl sich dieser unter seiner Tarnkappe verbirgt. Die sich bewegenden Rosen verraten den im Kampf umherspringenden Laurin. Als er abgeführt wird, verflucht er den Rosengarten. Man solle ihn nie mehr sehen, weder bei Tag noch bei Nacht. Doch hatte er die Dämmerung vergessen – so sieht man den Garten abends und morgens hoch oben in der Felswand «blühen». Dorette Wäckerli-Geniers Laurin, der in einem Palast voller Edelsteine wohnt, seinen Rosengarten pflegt und über eine Schar fleissiger Zwerge gebietet, verliert seine Königin an einen bösen Ritter. Der Zwerg zieht sich mit seinem Volk traurig in den Berg zurück und wird nicht mehr gesehen. Das Kind wird ermutigt, den Zwerg und den Garten zu suchen – Ausgangspunkt kann ein Rosenbeet im eigenen Garten sein. (cp) Laurin der Dreikäsehoch hat sich die Geschichte über den Zwergenkönig mit Freude, aber auch viel kritischer Aufmerksamkeit vorlesen lassen. Er hat in der Szene, in der die Zwerge Edelsteine aus dem Berg holen, sofort erkannt, dass einer schmollt und sich einer vor der Arbeit drückt. Er gucke sich auch die Kunstwerke sehr genau an, die in Grossmutters Atelier hängen. Sieht er eins davon anlässlich eines Besuchs bei Freunden von Wäckerli-Genier, erkennt er die Handschrift seiner Grossmutter sofort. Ein «Guckekind» sei Laurin, schmunzelt die Künstlerin. Laurin spielt auch gern mit der Puppe mit den Sternenaugen, die dem Laurin aus dem Buch Modell gestanden hat. Seiner kleinen Schwester hat er jüngst die Erlaubnis erteilt: «Du darfst mir jetzt König Laurin sagen.» Laurin, der Zwergenkönig vom Rosengarten. Bilderbuch für Kinder Dorette Wäckerli-Genier. Novum-Verlag 2013, 36 S., ca. 22 Fr. Auch als Hörbuch erhältlich. Gelungene Premiere Brigitte Meier am Hackbrett, Simone Anderwert mit Geige, Ruth Fanderl am Cello und Elisabeth Hasler am Bass weihten den neuen Musikpavillon ein. Er besteht aus Holz und kann innerhalb von zwei Stunden auf- und wieder abgebaut werden. Bild: Heinz Diener ANDELFINGEN. Appenzeller Witze gibt es bekanntlich in zwei Variationen. Genau. Und die zweite Variante ist diejenige, die sich Appenzellerinnen erzählen und in denen insbesondere die Zunft der Zürcher Schulmediziner oder die Thurgauer ihr Fett wegkriegen. Gestern hat im Andelfinger Schlosshof die Appezeller Fraue striichmusig aufgespielt – das heisst, mit musikalischem Charme und eben saftigen Witzen einmal rund um die Schweiz und die Welt geführt. Ruth Fanderl am Cello, Elisabeth Hasler am Bass, Brigitte Meier am Hackbrett und Simone Anderwert, Geige, spielten «Lüpfiges» aus der Appenzeller Volksmusik wie Polkas, aber auch melancholische Zäuerli. Oder sie sangen zur Weise «S trommt em Baabeli». Populäre Weisen aus aller Welt ergänzten das musikalische Programm, sogar Mani Matters «Hemmige» wurden geboten. Das Besondere: Die Frauencombo weihte mit ihrem Konzert den mobilen Pavillon ein, der auf die Anregung des Musikers und Präsidenten des Konzertvereins Andelfingen, Roland Fink, ent- wickelt worden war (s. «Landbote» vom Freitag). Gespannt war man denn auch auf die Akustik, die der Pavillon bieten würde. Und tatsächlich war diese ganz ausgezeichnet, die feinen Klänge des Hackbretts drangen ebenso durch wie diejenigen des Basses. «Eine wunderbare Akustik», sagte Fink nach dem Konzert zufrieden und die Geigerin Anderwert pflichtete ihm bei. Die graue Farbe lasse ausserdem die Farben der Trachten gut zur Geltung kommen. Die Appenzeller Ausserrhodner Festtags-, Sonntags- und Werktagstrachten sind ein «Markenzeichen» der Band. Das Publikum büschelte sich – schon etwas «rüebig» von der Sommerhitze – in den Schatten der Bäume im Hof, war aber von der Vorstellung begeistert. Und weil die Appezeller Frauestriichmusig noch immer eine Ausnahmeerscheinung in der männerdominierten Streichmusikszene ist, gabs auch mal einen Männerwitz zu hören. Und um dessen Pointe zu verstehen, brauchten nicht mal die männlichen Zuhörer besonders gutes Musikgehör. (cp)