Zur Implementierung des UK Modern Slavery Act 2015

Transcription

Zur Implementierung des UK Modern Slavery Act 2015
Mayer, Zur Implementierung des UK Modern Slavery Act 2015
BEITRÄGE COMPLIANCE MANAGEMENT
115
CB-BEITRAG
Eric Mayer, RA
Zur Implementierung des UK Modern
Slavery Act 2015
– Compliance Management für internationale Lieferketten –
Dieser Beitrag erläutert in Grundzügen die rechtlichen Auswirkungen des neuen UK Modern Slavery Act 2015
(UKMSA) auf international tätige Unternehmen. Dabei werden insbesondere die betriebswirtschaftlichen Konsequenzen des am 29.10.2015 in Kraft getretenen und exterritorial anwendbaren neuen Gesetzes untersucht.
Für die Implementierung geeigneter Compliance-Prozesse in Fertigungsnetzwerken und Lieferketten werden
konkrete Vorschläge formuliert.
I. Einleitung
Wer heute am Pranger steht, steht sehr schnell weltweit am Pranger:
viele international tätige Unternehmen mussten in den vergangenen
Jahren diese Lehre aus negativer Presse und unvermeidlich folgenden
Reputationsschäden in vielen unterschiedlichen Korruptionsskandalen ziehen. Mehr als 1 000 Todesopfer beim Einsturz eines Textilfabrikgebäudes in Bangladesh im Jahr 2013, angeblich in Kleidungsstücke eingenähte Hilferufe verzweifelter Billiglohnarbeiter im Jahr 2014
oder höchst umstrittene Arbeitsbedingungen bei Stadionneubauten
für die Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar haben inzwischen das
öffentliche Augenmerk gerade auch für Menschenrechtsverletzungen
erheblich geschärft. Die Ausbeutung menschlicher Arbeitskräfte ist
leider auch im Jahr 2016 kein rein historisches Phänomen. So schätzt
derzeit der Global Slavery Index1 die Zahl „moderner Sklaven“ in 167
Ländern weltweit auf über 35 Mio. Menschen, die unter Zwangs- und
Kinderarbeit, Menschenhandel oder sonstigen Formen krimineller
Ausbeutung leiden.2 Rund um den Globus sollen damit ungefähr 35
Mrd. US-Dollar pro Jahr erwirtschaftet werden.3 Folglich ist es wenig
verwunderlich, wenn immer mehr Gesetzgeber hier einschreiten und
Transparenzpflichten für Unternehmen vorschreiben. Bereits im Jahr
2011 hatte der US Bundesstaat Kalifornien den California Transparency in Supply Chains Act4 verabschiedet, dessen Anwendungsbereich
sich schon nicht ausschließlich auf die kalifornischen Landes- bzw.
die eigenen Unternehmensgrenzen beschränkt.5
II. Überblick UKMSA
1. Anwendungsbereich
Der UKMSA6 ist auf natürliche Personen und Unternehmen anwendbar. Analog zum UK Bribery Act gilt dieses Gesetz auch für Unternehmen außerhalb des England, Schottland, Wales und Nordirland
umfassenden Vereinigten Königreiches, wenn diese Waren liefern
oder Dienstleistungen erbringen, einen jährlichen Gesamtumsatz von
weltweit über 36 Mio. britischen Pfund erwirtschaften7 (das sind aktuell circa 46,5 Mio. Euro8), in der Rechtsform einer Personen- oder
Kapitalgesellschaft auch außerhalb des Vereinigten Königreiches
gegründet wurden und „irgendein Geschäft in irgendeinem Teil des
Vereinigten Königreiches“ ausführen.9 Mithin ist der UKMSA auch für
eine große Zahl deutscher Unternehmen anwendbar.
Ein Blick auf die aktuellen wirtschaftlichen Beziehungen verdeutlicht
die hohe Relevanz dieses neuen exterritorial anwendbaren Gesetzes:
Nach Angaben des Auswärtigen Amtes10 ist für das Vereinigte Königreich Deutschland noch vor den USA der wichtigste Partner im
Warenhandel. Aus deutscher Sicht liegt Großbritannien bei traditionell mehr als doppelt so hohem Exportüberschuss an vierter Stelle.
Berücksichtigt man ebenfalls die Erbringung von Dienstleistungen,
1 Global Slavery Index 2014 (GSI), abrufbar unter http://www.globalslaveryindex.org/(Abruf: 8.3.2016). Der GSI wird von der australischen NGO Walk
Free Foundation (WFF) erstellt.
2 Vgl. Annex A des Transparency in Supply Chains etc. – A practical guide,
Guidance issued under section 54 (9) of the UK Modern Slavery Act 2015, abrufbar unter https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/
attachment_data/file/471996/Transparency_in_Supply_Chains_etc__A_
practical_guide__final_.pdf (Abruf: 8.3.2016). Vielen Definitionsansätzen
gemein ist der Einbezug der Kernbegriffe Sklaverei, (Schuld-) Knechtschaft,
Zwangsarbeit, Kinderarbeit, Zwangsehen, Prostitution und Menschenhandel.
Der Entzug von individuellen Freiheitsrechten steht im Zusammenhang mit
der wirtschaftlichen Ausbeutungs- bzw. Bereicherungsabsicht.
3 Doris/Zimmer, BB 2016,181.
4 Der Gesetzestext ist verfügbar unter http://www.state.gov/documents/
organization/164934.pdf (Abruf: 8.3.2016).
5 Determann/Mühling, CCZ 2012, 117.
6 Der Gesetzestext ist verfügbar unter http://www.legislation.gov.uk/ukpga/2015/30/contents/enacted (Abruf: 8.3.2016).
7 Mit weiteren Nachweisen Doris/Zimmer, BB 2016, 181.
8 Umrechnungskurs vom 8.3.2016.
9 Sect. 54 (12) (a) UKMSA und Sect. 7 (5) (d) UK Bribery Act 2011 mit identischem Wortlaut: „(…) carries on a business in any part of the UK.”
10 Vgl. http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Grossbritannien/Bilateral (Abruf: 8.3.2016).
Compliance-Berater | 4/2016 | 5.4.2016
116
BEITRÄGE COMPLIANCE MANAGEMENT
welche für die britische Außenwirtschaft üblicherweise eine hohe
Bedeutung haben, rückt das Vereinigte Königreich gar auf Platz drei
der wichtigsten Handelspartner Deutschlands auf, während für das
Vereinigte Königreich Deutschland nach den USA auf den zweiten
Platz kommt. Über 2 500 deutsche Unternehmen verfügen über
Niederlassungen in Großbritannien und beschäftigen rund 370 000
Mitarbeiter. Dadurch arbeitet mehr als 1 % aller Beschäftigten im Vereinigten Königreich in Niederlassungen deutscher Unternehmen. Die
deutschen Direktinvestitionen im Vereinigten Königreich summierten
sich im Jahr 2014 auf circa 121 Mrd. Euro – ein beinahe dreimal so
hoher Wert wie die Investitionen britischer Unternehmen in Deutschland. Damit ist das Vereinigte Königreich am Vorabend eines drohenden „Brexit“11 übrigens der zweitgrößte deutsche Investitionsstandort nach den USA.12
2. Verbote
Der UKMSA führt erstmalig in der britischen Rechtsgeschichte de
lege lata in Sect. 1 den Straftatbestand der Sklaverei, Leibeigenschaft und Zwangs- oder Pflichtarbeit und in Sect. 2 den Straftatbestand des Menschenhandels mit einem individuellen Strafrahmen
von bis zu zehn Jahren Inhaftierung ein.13
3. Pflichten
Unternehmen werden mit den ausführlichen Transparenzvorschriften
in Sect. 54 (1) UKMSA dazu verpflichtet, einmal im Geschäftsjahr eine
Erklärung zu Sklaverei und Menschenhandel auf der UnternehmensHomepage im Internet an „prominenter Stelle“ zu veröffentlichen.
Das verpflichtete Unternehmen hat nach Sect. 54 (4) grundsätzlich
die Wahl, eine Erklärung über die tatsächlich ergriffenen Schritte zur
Vermeidung der Verwirklichung der Straftatbestände der Sklaverei
und Menschenhandel in der gesamten Lieferkette und in allen Geschäftsbereichen abzugeben oder zu erklären, dass eben keine entsprechenden Schritte ergriffen wurden.
Im Falle einer positiven Erklärung gibt Sect. 54 (5) die Mindestinhalte
vor. Demnach müssen Unternehmen Angaben zu der Unternehmensstruktur, dem Geschäftsmodell und den entsprechenden Lieferketten, den spezifischen Unternehmensrichtlinien, den Due DiligenceProzessen, den Risiko-Analyse- und Management-Prozessen, der
Auswahl und Beachtung geeigneter Effektivitätskriterien und dem
spezifischen Training machen.
Unternehmen, welche dieser Transparenzverpflichtung nicht nachkommen – also weder eine positive noch eine negative Erklärung abgeben – drohen keine Strafen im engeren Sinne nach dem UKMSA.
Die einzige zwangsweise durchsetzbare Sanktion ist nach Sect. 54
(11) eine (zivilrechtliche) einstweilige Verfügung.
4. Ratio Legis
Der Gesetzgeber im Vereinigten Königreich verpflichtet mit dem UKMSA Unternehmen unmittelbar zur Transparenz. Darüber hinaus setzt
er mittelbar auf Unternehmen als aktive Mitstreiter im internationalen
Kampf gegen moderne Sklaverei. Innenministerin Theresa May bringt
die Motive auf den Punkt: „Unternehmen mit bedeutender Ressourcenausstattung und Kaufkraft sind in einer einzigartigen und starken
Position, weltweite Lieferketten zu beeinflussen. Es ist schlicht nicht
akzeptabel, dass Unternehmen im 21. Jahrhundert sagen, Nichts gewusst zu haben. Es ist nicht akzeptabel, dass Unternehmen dieses
Thema ignorieren, weil es schwierig oder kompliziert ist. Und es ist sicher nicht akzeptabel, dass Unternehmen den Profit über das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter und beauftragten Drittparteien stellen.“14
Compliance-Berater | 4/2016 | 5.4.2016
Mayer, Zur Implementierung des UK Modern Slavery Act 2015
Welches tatsächliche Risiko entsteht aber nun für Unternehmen, die
der Transparenzverpflichtung aus Sect. 54 UKMSA nicht entsprechen? Die Intention des Gesetzgebers zielt zunächst deutlich auf
einen potentiellen Reputationsschaden ab. Er baut dabei explizit auf
den Druck, den Verbraucher, Investoren und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aufbauen können.15 Nicht erklärende Unternehmen werden künftig besonders auffallen. Gerade Branchen, die in
erhöhtem Maße weltweit Ausbeutungsrisiken ausgesetzt sind wie der
Agrar-, Textil-, Rohstoff-, Anlagenbau- oder Elektronik-Sektor, werden
sehr aufmerksam von international agierenden NGOs und „investigativen“ Journalisten beobachtet werden. Die Aufmerksamkeit wird sich
nach aller Erfahrung im Übrigen nicht nur auf das schiere Vorhandensein der geforderten Erklärungen, sondern auch auf deren konkrete
Inhalte beziehen. Auch allzu „üppig“ oder im Gegenteil viel zu knapp
formulierte Erklärungen können Unternehmen sehr schnell in unliebsame Verteidigungshaltungen in vielen nur schwer kontrollierbaren
öffentlichen Foren zwingen.
Neben einem Reputationsrisiko müssen Unternehmen, die nicht den
Transparenzverpflichtungen des UKMSA entsprechen, zusätzlich mit
einem erhöhten Prozessrisiko rechnen. Ganz grundsätzlich unterliegen international tätige Unternehmen bereits exterritorial anwendbaren Gesetzen wie dem US Foreign Corrupt Practices Act (FCPA) oder
dem UK Bribery Act. Der ebenfalls grenzüberschreitend anknüpfende
UKMSA steigert die Gefahr, dass die zusätzlich zu veröffentlichenden Informationen über Unternehmensprozesse in internationalen
Rechtsstreitigkeiten aufgegriffen werden. Insbesondere in Kalifornien
ist die Tendenz zu beobachten, dass NGOs und sonstige „Pressure
Groups“ Unternehmen gezielt im Namen vermeintlicher „moderner
Sklaven“ vor Gericht bringen.16 Kalifornische Richter gelten allgemein
als entscheidungsfreudig, wenn es um die Bejahung des Gerichtsstandes (Jurisdiction) geht. Zusätzlich wurde just in diesem US Bundesstaat mit dem bereits erwähnten California Transparency in Supply
Chains Act schon vor einer halben Dekade ein vergleichbares Gesetzeswerk in Kraft gesetzt. Aktuell sind circa 20 Rechtsstreitigkeiten in
den USA, die meisten davon in Kalifornien, anhängig. Ins Visier von
eine unzureichende Informationspolitik monierenden „Activist Shareholders“, angriffsfreudigen NGOs oder versierten US-Anwälten mit
großer Sammelklagen- (Class Action) Erfahrung gerieten in der unmittelbaren Vergangenheit Unternehmen wie Nestlé, Hershey, Mars,
Procter & Gamble, Toyota, Mitsubishi oder Mitsui.17 Nestlé wird z. B.
11 Premier David Cameron hat ein Referendum für den 23.6.2016 angekündigt, vgl. European Union Referendum Bill (HC Bill 2) abrufbar unter
http://www.publications.parliament.uk/pa/bills/cbill/2015-2016/0002/
cbill_2015-20160002_en_2.htm#pb1-l1g5 (Abruf: 8.3.2016).
12 Mit weiteren Nachweisen Doris/Zimmer, BB 2016, 181.
13 Lord Mansfield verkündete am 22.6.1772 im Somerset-Fall per Richterspruch
das Ende der Sklaverei im Vereinigten Königreich. Die Institution der Sklaverei sei weder moralisch noch politisch zu rechtfertigen und auch nie per
Gesetz zugelassen worden; vgl. Somerset v Stewart (1772) 98 ER 499.
14 Home Secretary Foreword, Transparency in Supply Chains etc., (s. o. Fn. 5),
S. 2.
15 Failure to comply, Sect. 2.8, Transparency in Supply Chains etc, (s. o. Fn. 5),
S. 6.
16 Doris/Zimmer, BB 2016, 182.
17 Diese Gerichtsverfahren werden alle vor dem US District Court for the Northern District of California geführt: Robert Hodson, et al. v. Mars Inc., et al.,
case number 3:15-cv-04450; Elaine McCoy, et al. v. Nestle USA Inc., et al.,
3:15-cv-04451;
Laura Dana, et al. v. The Hershey Co., et al., 3:15-cv-04453, vgl auch: http://
www.law360.com/ articles/708241/ hershey-nestle-mars-face-false-adsuits-over-child-slaves (Abruf: 10.3.2016).
Mayer, Zur Implementierung des UK Modern Slavery Act 2015
ganz aktuell wegen des Vorwurfs des Einsatzes von Kindersklaven auf
Kakaopflanzungen in der Elfenbeinküste verklagt.18 In vielen dieser
Rechtsstreitigkeiten zeichnet sich das folgende Muster ab: diejenigen
Unternehmen, die über Maßnahmen gegen moderne Sklaverei berichten, seien sich ganz augenscheinlich auch darüber bewusst, dass
dieses Problem tatsächlich bestehe. Folglich müssten sie in Kenntnis
dessen damit auch dafür juristisch einstehen. Und je größer das angegriffene Unternehmen ist, umso mehr wird auch dessen Kontrollmöglichkeit ganzer Märkte oder Regionen bzw. ein damit korrespondierendes Kontroll- oder Präventionsversagen unterstellt. Inwieweit
derartige Argumentationen auch außerhalb der USA als gerichtsfest
zu bezeichnen sind, sei einmal dahingestellt.19 Festzuhalten bleibt,
dass das beschriebene (v. a.: US-) Prozessrisiko sicherlich keine rein
abstrakte Gefahr für international tätige Unternehmen darstellt.
BEITRÄGE COMPLIANCE MANAGEMENT
117
provozieren. Bei Agrarunternehmen muss der typische Einsatz von
Saisonarbeitern in Erntezeiten als Risikotreiber identifiziert werden.
Weiterhin müssen neben den auf das Unternehmen einwirkenden
Umweltbedingungen auch konkret-spezifische vertraglich begründete Compliance-Risiken gebührend berücksichtigt werden. Immer
mehr international tätige Unternehmen postulieren in ihren jeweiligen
Verhaltens- oder Lieferantenkodizes spezifische Präventionspflichten
für ihre jeweiligen Geschäftspartner. Eine systematische Analyse des
Vertragsportfolios muss Klarheit über die ureigenen CompliancePflichten sowie diejenigen, die auf die eigenen Geschäftspartner
weiterzuleiten sind, schaffen. Schließlich fordern oftmals öffentliche
Auftraggeber in öffentlichen Ausschreibungen ebenfalls besondere
Compliance-Pflichten bezüglich Ausbeutung in der Lieferkette. Insofern müssen entsprechende internationale Projektbewerbungen und
Ausschreibungsprozesse ebenfalls im Rahmen einer umfassenden
Compliance-Risikoanalyse sorgfältig untersucht werden.
III. Implementierung des UKMSA
Der UKMSA muss jenseits der reinen Abgabe einer Erklärung in einem effektiven und effizienten Compliance-Management-System
(CMS) auf der Grundlage des international bewährten Drei-SäulenModells (Prevent-Detect-Respond) angemessen verankert werden.
Eine gezielte Implementierung der Compliance-Dimension Ausbeutung in der Lieferkette bzw. „moderne Sklaverei“ muss mit einem
risikobasierten Ansatz erfolgen und unternehmensweit alle einschlägigen Unternehmensfunktionen und Geschäftsprozesse wie insbesondere Einkauf, Beschaffung, Fertigung, Logistik – in vielen Unternehmen heute unter den Begriffen Supply Chain Management oder
Operations zusammengefasst – sowie alle betroffenen Geschäftseinheiten und Landesgesellschaften miteinbeziehen.
1. Compliance-Risikoanalyse
Die Grundlage für den gleichermaßen effektiven wie effizienten – d. h.
durchaus auch pragmatischen – Aufbau oder die Weiterentwicklung
eines unternehmensspezifischen CMS bildet die systematisch durchgeführte und periodisch zu wiederholende Compliance-Risikoanalyse.
Viele internationale Anti-Korruptionsgesetze wie der US FCPA, der UK
Bribery Act bis hin zum brasilianischen Clean Companies Act (CCA)20
fordern diesen CMS-Grundbaustein bereits ein und machen ihn zur Voraussetzung für Kooperationsmöglichkeiten mit Strafverfolgungsbehörden. Auch Sect. 54 (5) (d) UKMSA benennt die Risikoeinschätzung
ausdrücklich als Sollbestandteil einer positiven Transparenzerklärung. Neben dem allseits bekannten Korruptionswahrnehmungsindex
von Transparency International21 sollte zusätzlich zur Identifikation
Länder-spezifischer Ausbeutungsrisiken auch der erwähnte Global
Slavery Index (GSI) verwendet werden. Viele Länder werden dabei
sowohl in der wahrgenommenen Korruptionsanfälligkeit als auch in
der lokalen Ausprägung von „moderner Sklaverei“ gleichermaßen
als hochriskant eingestuft werden müssen. Des weiteren müssen
industriespezifische Risiken berücksichtigt werden: wie u. a. die aktuell anhängigen Gerichtsverfahren in den USA nahelegen, weisen
international tätige Unternehmen aus dem Agrar-, Textil-, Rohstoff-,
Anlagenbau- oder Elektroniksektor besonders hohe Ausbeutungsrisiken auf. Die Reflektion des konkreten Geschäftsmodells hat dabei
eine enorme Bedeutung: oftmals werden sehr schnelle Liefer- und
Leistungstermine sowie hart kalkulierte Kostenmodelle verlangt, die
wiederum betriebswirtschaftlichen Druck auf die Leistungsfähigkeit
vieler Geschäftspartner wie Lieferanten und Leiharbeitsvermittler
ausüben und so die Wahl von ausbeuterischen Billigstlohnalternativen
2. Compliance-Regelwerk und Vertragsklauseln
Auf der Grundlage der Erkenntnisse der Compliance-Risikoanalyse
muss im nächsten Schritt ein risikobasiertes Compliance-Regelwerk
maßgeschneidert bzw. gezielt weiterentwickelt werden. Besondere
(Lieferanten-) Kodizes werden häufig zu empfehlen sein, müssen aber
auch in alle relevanten Verträge einbezogen werden und ggf. mit speziellen Präventions-, Überwachungs- (Audit)- oder (Sonder-) Kündigungsklauseln im Einzelfall oder Allgemeinen Einkaufsbedingungen
flankiert werden.
3. Compliance-Geschäftspartnerprüfungen
Als Kernbestandteil eines effektiven und effizienten CMS sind risikobasierte Geschäftspartnerprüfungsprozesse ein international akzeptierter und von den konvergierenden Anti-Korruptionsgesetzen
geforderter Standard. Auch Sect. 54 (5) (c) UKMSA spricht explizit
von Due Diligence-Prozessen als Sollbestandteil der Transparenzerklärung. Die überragende strukturelle Bedeutung wurde bereits
in dem UN Framework for Business and Human Rights 2008 und in
den UN Guiding Principles on Business and Human Rights 2011 betont: Unternehmen müssen Menschenrechte respektieren. Um die
Anerkennung dieser Verantwortung zu demonstrieren, benötigen
Unternehmen eine Menschenrechts- Due Diligence. 22 Wichtige
Kennzeichen eines robusten Geschäftspartnerprüfungsprozesses
sind zum einen dessen Durchführung vor einem Vertragsabschluss.
Die Auswahl der zu prüfenden Geschäftspartner muss wiederum
den Erkenntnissen der Compliance-Risikoanalyse folgen und kann
so Schwerpunkte in bestimmten Hochrisiko-Ländern und Hochrisiko-Geschäftspartnerkategorien ermöglichen. Der Umfang einer
18 http://www.independent.co.uk/news/world/americas/nestle-is-beingsued-for-allegedly-using-child-slaves-on-cocoa-farms-a6806646.html (Abruf:
9.3.2016).
19 Doris/Zimmer sehen nur magere Erfolgsaussichten vor englischen Gerichten,
BB 2016, 182.
20 Mayer, CB 2015, 250.
21 Corruption Perceptions Index (CPI) 2015, die aktuellste Version ist am
27.1.2015 veröffentlicht worden und verfügbar unter https://www.transparency.de/Tabellarisches-Ranking.2754.0.html (Abruf: 9.3.2016).
22 UN Guiding Principles on Business and Human Rights, 2011, Implementing
the UN „Protect, Respect and Remedy” Framework, Nr. 15, S. 21, abrufbar
unter http://www.ohchr.org/Documents/Publications/GuidingPrinciplesBusinessHR_EN.pdfhttp://www.ohchr.org/Documents/Publications/GuidingPrinciplesBusinessHR_EN.pdf (Abruf: 9.3.2011).
Compliance-Berater | 4/2016 | 5.4.2016
118
BEITRÄGE COMPLIANCE MANAGEMENT
Hochrisiko-Geschäftspartnerprüfung wird signifikant von einer Prüfung weniger risikobehafteter Geschäftspartner abweichen.
Man denke hierbei z. B. an ein internationales Anlagenbauunternehmen, das in Südafrika ein neues Infrastrukturprojekt mit einem staatlichen Endkunden abwickeln möchte und im Rahmen der Black Economic Empowerment (BEE) Grundsätze auf die Zusammenarbeit mit
sog. lokalen Labour Brokers angewiesen ist, die als Geschäftspartner
nicht nur für die Auswahl einer Vielzahl von Leiharbeitern zuständig
sind, sondern über längere Projektlaufzeiten auch operative Aufgaben wie die einer Lohnbuchhaltung mitübernehmen.
In vielen Unternehmen mit effektiven und effizienten CMS ist es inzwischen Standard, den zu prüfenden (Hochrisiko-) Geschäftspartner
selbst in die Beantwortung des Fragenkatalogs aktiv miteinzubinden.
Moderne IT-Tool-Lösungen können hier die Prozessgeschwindigkeit
mit Upload-Funktionalitäten für externe Drittparteien signifikant abkürzen. Schließlich müssen die Unternehmensvertreter, die einen
Hochrisiko-Geschäftspartner freigeben, über eine ausreichende hierarchische Legitimation verfügen.23 Die konkrete Risiko-Ausprägung eines jeweiligen Geschäftspartners wird auch die Häufigkeit wiederholter Geschäftspartnerprüfungen zur erforderlichen Kontrolle während
einer Geschäftspartnerbeziehung bestimmen. Ebenso muss der gestufte Einsatz von besonderen Compliance-Klauseln in den jeweiligen
Geschäftspartner-Vereinbarungen in risikobasierter Weise erfolgen.
Besonders erfolgsversprechend sind integrierte Geschäftspartnerprüfungsprozesse in enger Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Compliance- und Einkaufs- oder Supply Chain ManagementFunktionen. Neben der grundsätzlich gebotenen Geschäftsnähe aller
Compliance-Prozesse kann gerade bzgl. der Identifikation und Vermeidung externer Ausbeutungsrisiken auf das Know How erfahrener
Einkäufer wie z. B. Core- oder Strategic Buyers zurückgegriffen werden, die idealerweise vor Ort nahe am jeweiligen Geschäftspartnerkandidaten tätig sind und die Compliance-Risikodimension „moderne
Sklaverei“ bereits systematisch in ihren Lieferantenauswahl- und Audit-Prozessen eingepflegt haben. Besondere Präventionswirkung wird
die Aufnahme des Kriteriums UKMSA-Compliance in Qualifikationskataloge für künftige Lieferanten neben den üblichen Eigenschaften
wie Leistungsfähigkeit, Liefertreue, Qualität und Preis entfalten.
4. Compliance-Training
Einmal mehr müssen die Ergebnisse der Compliance-Risikoanalyse
für die Konzeption maßgeschneiderter Compliance-Trainings auch
im Bereich möglicher Ausbeutung in Lieferketten verwendet werden.
Bereits vorhandene eLearning-Programme sollten inhaltlich sinnvoll
ergänzt werden. Besonders exponierte Unternehmensfunktionen wie
gerade der Einkauf oder die Projektabwicklung sollten persönlich geschult werden. Und schließlich sollte daran gedacht werden, auch
Geschäftspartner – insbesondere in Hochrisiko-Kategorien und -Ländern – mit zu schulen.
5. Compliance-Kommunikation
Die unternehmensinterne Compliance-Kommunikation sollte bewusst
spezifische Themeninhalte zu Ausbeutungsrisiken thematisieren. Extern sollten Unternehmen mit besonders effektiven und effizienten
CMS daran denken, eine proaktive Kommunikation mit NGOs wie
Amnesty International, Anti-Slavery International oder Transparency
International, internationalen Organisationen wie der International
Labour Organisation (ILO) oder dem UN Global Compact, multilateralen Entwicklungsbanken (MEB) wie der Weltbank oder African Development Bank und ausgesuchten Industrieinitiativen wie Stronger
Compliance-Berater | 4/2016 | 5.4.2016
Mayer, Zur Implementierung des UK Modern Slavery Act 2015
Together24 zu pflegen. Die Compliance-Maßnahmen eines Integritätspakts bspw. für besondere Projekte oder der Collaborative Action in
Multi-Stakeholder Koalitionen können zusätzlich in Betracht kommen,
um die von Sect. 54 UKMSA geforderte Transparenzverpflichtung
wirkungsvoll abzurunden.
IV. Zusammenfassung und Ausblick
Der UKMSA wird im Zweifel ähnlich wie ein UK Bribery Act auch auf
viele deutsche Unternehmen anwendbar sein. Nicht nur Konzerne
sind gut beraten, dieses neue Gesetz nicht als vermeintlichen „Papiertiger“ auf die leichte Schulter zu nehmen. Dagegen sprechen alleine schon die bekannten aktuellen Gerichtsverfahren in den USA
und die Fortschreibung der bereits aus dem California Transparency
in Supply Chains Act bekannten Unternehmenspflichten. Es dürfte
aber sicherlich nicht damit getan sein, dem Buchstaben des Gesetzes folgend eine positive Erklärung nach der Maßgabe von Sect. 54
UKMSA abzugeben. De facto werden Unternehmen keine echte Wahl
zwischen „Comply“ oder „Explain“ haben. Alleine der zu erwartende
Öffentlichkeitsdruck wird dazu führen, dass positive Erklärungen über
Maßnahmen zur Bekämpfung „moderner Sklaverei“ abgegeben werden müssen. Damit haben die erklärenden Unternehmen allerdings
eine Selbstbindung zu antizipieren: ein reines „Weitermelden macht
frei“ wird nicht unbeträchtliche Prozessrisiken mit sich bringen. Nur
effektiv und effizient implementierte CMS können hier entsprechende Sicherheit bieten. Der risikobasierte Ansatz macht etwaige Zusatzaufwände allerdings in pragmatischer Weise auch beherrschbar.
Darüber hinaus sollten Unternehmen in einer sorgfältigen KostenNutzen-Abwägung auch nicht unterschätzen, dass eine wohlfeil
kommunizierte Corporate Social Responsibility-Strategie erst durch
robuste Compliance-Prozesse glaubwürdig umgesetzt werden kann.
Und schließlich sorgt der international anhaltende gesetzgeberische
Drang nach mehr Transparenz in der Lieferkette im weltweiten Kampf
gegen Ausbeutung und Zwangsarbeit auch für einen signifikanten innerbetrieblichen Begleitnutzen: je gründlicher Geschäftspartner geprüft und kontrolliert werden, desto höher fällt die Transparenz auch
in dieser Beziehung aus und umso mehr wird die Zusammenarbeit
auch betriebswirtschaftlich von nachhaltigem Erfolg gekrönt sein.
AUTOR
Eric Mayer, RA, ist Partner bei Pohlmann &
Company in München. Er berät internationale Unternehmen bei Konzeption, Aufbau und
Betrieb von Compliance-Management-Systemen. Den Schwerpunkt seiner Beratung
bildet die Implementierung von geschäftsbezogenen, risikobasierten Compliance-Prozessen, -Kontrollen und -Tools. Dabei ist er
spezialisiert auf Geschäftspartnerprüfungen
und M&A-Compliance-Due Diligences.
23 Mayer, CB 2015, 200.
24 www.stronger2gether.org (Abruf: 9.3.2016); diese kollaborative Initiative ist
explizit auf S. 39 des Transparency in Supply Chains etc. Guides genannt (s. o.
Fn. 5).

Documents pareils