Führung Melanchthon - schmidt
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Führung Melanchthon - schmidt
1 Philipp Melanchthon in Nürnberg Es ist immer wieder interessant und aufschlussreich zu sehen, wie die allgemeine, geschichtliche Situation das individuelle Leben eines Einzelnen prägt und wie auch umgekehrt in einigen, wenigen Ausnahmefällen das Leben eines Einzelnen auf den geschichtlichen Ablauf einwirkt. Um einen Menschen recht zu verstehen, muss man ihn im Gesamtzusammenhang sehen. Ein Einzelner ist immer wie ein Schauspieler in einem Theaterstück. Zum Theaterstück gehören der Gehalt und der Inhalt, die anderen Schauspieler mit ihren Rollen, der Ort und die Zeit und dergleichen. Um z.B. Faust zu verstehen, muss man das ganze Stück verstehen. Man stelle sich vor, man hört auf der Bühne nur den Text von Faust selbst und sonst nichts. 1 Das Umfeld Heute wird es um Melanchthon gehen. Wir wollen seiner Persönlichkeit näher kommen und erfahren, wer er war. Um ihn richtig verstehen zu können, müssen wir das Umfeld sehen, in dem er gelebt und gewirkt hat. Das sind die politische Situation, die kirchliche und religiöse Situation, die gesellschaftliche und soziale Situation und zuletzt die geistig- kulturelle Situation. Wenn wir sozusagen die Bühne aufgebaut haben, können wir uns anschließend Melanchthon als einem einzelnen Mitspieler zuwenden. 1.1 Die politische Situation In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, von ungefähr 1500 bis 1550 sind es einige markante, herausragende Persönlichkeiten, die die politische Situation bestimmen. Da ist einmal in England Heinrich VIII. Er trennte sich von Rom und begründete eine eigene, die anglikanische Kirche. Er tat das, weil ihm der Papst die Scheidung von seiner Frau Katharina von Aragon verweigert hatte und er deswegen seine Geliebte Anne Boleyn nicht heiraten konnte. Ab 1538 ließ König Heinrich die englischen Klöster auflösen und konfiszierte deren Besitztümer. Weiterhin wurden die Transsubstantiationslehre, das Verbot der Priesterehe, die Gültigkeit des Keuschheitsgelübdes und die Ohrenbeichte unter Androhung schwerster Strafen aufgehoben. Katholiken, die an der römischen Kirche festhielten wurden verfolgt, inhaftiert und hingerichtet. 2 Da ist der französische König Franz I, der sich in lang dauernden Kämpfen mit dem Kaiser Karl V aus der habsburgischen Umklammerung zu lösen versuchte. In diesen Auseinandersetzungen schloss auch der „allerchristlichste“ König eine Allianz mit dem muslimischen Sultan Suleiman dem Prächtigen nicht aus. Diese Kriege banden die Kräfte Karls V. und führten dazu, dass er in der Anfangszeit der Reformation in den Jahren zwischen 1520 und 1530 nicht in Deutschland war und die Reformation in dieser Zeit Gelegenheit hatte, sich ungehindert auszubreiten. Da ist der Kaiser Karl V, in dessen Reich die Sonne nicht unterging. Er war von der mittelalterlichen Idee beherrscht, das heilige, römische Reich deutscher Nation zu erhalten. Hierzu gehörte nach seiner Überzeugung eine einheitliche Religion als Band, das alles zusammenhält und allem einen Sinn gibt. In diesem Zusammenhang hatte er einen Zweifrontenkrieg zu führen. Einmal gegen die Reformation und zum anderen gegen den Papst und die Kurie, die sich seinem Wunsch nach einem Konzil widersetzten, einem Konzil, das vielleicht die erforderlichen Reformen hätte durchsetzen können. Und dann ist da noch der muslimische Sultan Suleiman der Prächtige, der Europa zu erobern drohte und bereits zweimal bis nach Wien vorgedrungen war. Man kann sich schwer vorstellen, wie Europa und die Welt aussehen würden, wenn ihm das gelungen wäre. Das es nicht soweit kam, ist Karl V. zu verdanken. Er benötigte hierfür allerdings die Hilfe und Unterstützung der protestantischen Fürsten, denen er als Gegenleistung in Bezug auf die Religion weit reichende Zugeständnisse machen musste. 1.2 Die kirchliche und religiöse Situation Die kirchliche Situation war desaströs. Die Päpste in Rom und die Bischöfe waren ausschließlich an Prachtentfaltung, an persönlicher, politischer Macht und an ausschweifendem Luxusleben interessiert. Wichtig war, der eigenen Familie, insbesondere den eigenen Kindern, auch den unehelichen, weltliche Machtpositionen zu sichern. Der Klerus war arm, ungebildet und demotiviert, die Klöster zum größte Teil verlottert und moralisch verkommen. 3 Der prunksüchtige Papst Julius II wollte Rom städtebaulich umgestalten. Er begann mit dem Bau der Peterskirche, lies die Sixtinische Kapelle und die Stanzen ausmalen und gab für sich ein grandioses Grabmal in Auftrag. Er beauftragte hierzu Bramante, Michelangelo und Raffael, die bekanntesten und besten Künstler der Renaissance. Diese Unternehmungen kosteten Unsummen von Geld, die unter anderem auch durch Ablasshandel aufgebracht werden mussten. Sein unbeugsamer Machtwille und sein grenzenloser Ehrgeiz trug ihm den Namen Il Terrible, der Schreckliche ein. Weil er keine Hemmungen hatte, seine Gegner gnadenlos umbringen zu lassen, nannte ihn Luther einen Blutsäufer. Nach Julius II wurde Leo X Papst. Nach seiner Wahl soll er gesagt haben: „Da Gott uns die Papstwürde verliehen hat, so lasst sie uns denn genießen.“ Religiösen und theologischen Problemen stand er hilf- und interesselos gegenüber. Die geistigen Unruhen um Luther hat er mit der Bemerkung „Mönchsgezänk“ zur Seite geschoben. Im Jahre 1521 exkommunizierte er Luther mit der Bulle Decet Romanum Pontificem. Aufgrund der hohen Schulden, die Leo X. hinterließ, konnten angeblich nicht einmal die Kerzen für seine Bestattung bezahlt werden. Ein typischer Vertreter der Kirche war der Hohenzoller Albrecht. Bereits mit 23 Jahren erhielt er den Kardinalshut. 1513 wurde er Bischof von Magdeburg und Administrator des Bistums Halberstadt, 1515 sogar Erzbischof von Mainz. Abgesehen von der politischen Macht waren diese Stellen jeweils mit reichen Pfründen bedacht. Um sie zu erlangen, musste er 29.000 Gulden an die Kurie in Rom bezahlen. Um diesen Betrag aufwenden zu können, nahm er bei den Fuggern aus Augsburg einen Kredit von 72.000 Gulden auf. Da die Fugger darauf drängten, dass Albrecht seine Schulden zügig zurückzahlte, rief Albrecht in 4 Deutschland einen Ablasshandel ins Leben. Er beauftragte unter anderem den geschäftstüchtigen und marktschreierischen Tetzel mit dieser Aufgabe, der daraus ein blühendes Geschäft machte. Damit kam der Stein der Reformation ins Rollen. Man kann es nur als perfide Heuchelei empfinden, wenn sich Albrecht in seiner prachtvoll roten Robe als demütig Glaubender vor dem gekreuzigten Jesus abbilden lässt. 1.3 Die gesellschaftliche und soziale Situation Auch in gesellschaftlicher und sozialer Beziehung war die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts eine Krisen- und Übergangszeit. Die feudale Ordnung zerbröckelte langsam. An ihre Stelle trat das frühkapitalistische Wirtschaftssystem, das in den Handelshäusern der aufblühenden Städte zu Hause war. Die Fugger in Augsburg und die Tucher oder Imhoff in Nürnberg sind Beispiele. Eine Folge war der Abstieg und die Verarmung des Ritterstandes. Diese Entwicklung wurde noch verstärkt durch die neue Kriegsführung der mit Feuerwaffen versehenen Landsknechte, die die Ritter ohne Aufgabe ließ. Um ihren aufwändigen Lebensstil weiterhin aufrecht erhalten zu können, versuchten die Ritter aus den Bauern immer höhere Leistungen zu erpressen, indem sie ihnen zum Teil alte Rechte entzogen. Folge waren die schrecklichen Baueraufstände, die von den Fürsten mit Gewalt niedergeschlagen wurden, wobei in mehreren Kämpfen insgesamt über 70.000 Bauern niedergemetzelt wurden. 1.4 Die geistig-kulturelle Situation Die Renaissance brachte im Vergleich zum Mittelalter eine ganz neue Weltsicht, in deren Rahmen auch die Stellung des Menschen in einem geänderten Licht erschien. Die Welt gewann einen eigenen Wert; sie war nicht nur Durchgangsstation auf dem Weg zu einem Jenseits. Man entdeckte und erforschte ihre Schönheit und ihre Bedeutung. Auch der Mensch gewinnt an Eigenwert. Sobald es im gelingt, sich aus Irrtum und Aberglauben zu befreien, kann er sich zum wahren Ideal hinentwickeln. Sehr schön drückt das Pico della Mirandola (1463-1494) aus. Er lässt Gott zu Adam sagen: Ich schuf dich als ein Wesen, weder sterblich noch unsterblich, allein damit du dein eigener freier Bildner und Gestalter seiest. Du kannst zum Tier entarten und zum gottähnlichen Wesen dich wiedergebären. Du allein hast eine Entwicklung, ein Wachsen nach freiem Willen, du hast Keime eines allartigen Lebens in dir. Es sind die antiken Autoren, die für dieses Ziel Begleiter und Wegweiser sind. Die Vertreter der neuen Geistesrichtung des Humanismus übersetzen und studieren sie eifrig. Zurück zu den Quellen, ad fontes, zurück zu den ursprünglichen 5 Texten ist der Wahlspruch. Auf diese Weise hat jeder selbst Zugang zur unverstellten Wahrheit. 2 Philipp Melanchthon Der Lebenslauf In dem soeben beschriebenen Umfeld lebt und agiert Philipp Melanchthon. Er begegnet Kaiser Karl V und hat engen Kontakt zu den Reichsfürsten. Er ringt mit der Kurie und ihren Vertretern. Er nimmt zu den sozialen Umwälzungen, z.B. den Bauernkriegen Stellung, und er wirkt als Humanist mit am Traum einer Veredelung des Menschen durch Schulung und Bildung. Seine ganz besondere Bedeutung liegt in seinem Einsatz für die Reformation als Weg- und Kampfgefährt Luthers. Philipp Melanchthon wurde am 16. Februar 1497 im kurpfälzischen Bretten (heute Baden Württemberg) geboren. Philipp Melanchthon durchläuft zunächst die übliche Ausbildung. Seine hervorragende Begabung fällt auf und verhilft ihm zu vielseitiger Förderung, insbesondere durch den Humanisten Reuchlin, einen entfernten Verwandten. 1509 Studium in Heidelberg Trivium (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) 1511 Abschluss Baccalareus Artium (mit 14 Jahren) 1512 Studium in Tübingen Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie) 1514 Abschluss Magister Artium (mit 17 Jahren) Der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise hatte in Wittenberg eine Reformuniversität ins Leben gerufen, die einen ausgezeichneten Ruf genoss. 1518 Professur für Gräzistik in Wittenberg auf Empfehlung von Reuchlin (mit 21 Jahren) Bekanntschaft mit Luther Anhänger und Mitstreiter der Reformation Da wir uns für Melanchthon und seine Beziehung zu Nürnberg besonders interessieren, müssen an dieser Stelle drei Daten besonders hervorgehoben werden. Wir werden noch ausführlich darauf eingehen: 1525 Aufenthalt in Nürnberg: Diskussion mit Caritas Pirckheimer 1526 Aufenthalt in Nürnberg: Einweihung der Oberen Schule 1555 Aufenthalt in Nürnberg zur Klärung theologischer Streitigkeiten mit Osiander, dem Prediger in St. Lorenz. 1530 Augsburger Reichstag: Confessio Augustana Ein wichtiger Markstein in der Reformation insgesamt und im Leben von Philipp Melanchthon war der Augsburger Reichstag 1530. Nach 9jähriger Abwe- 6 senheit kam Kaiser Karl V erstmals wieder nach Deutschland. Er wollte mit Güte oder Gewalt die Protestanten zum alten Glauben zurückführen. Die katholische Seite war durch den Theologen Johannes Eck vertreten. Er hatte die sogenannten Irrlehren Luthers in 404 Sätzen zusammengestellt. Als Entgegnung hatte Philipp Melanchthon eine Bekenntnisschrift erstellt, die die evangelische Position beschreibt. Sie hat weltgeschichtliche Bedeutung erlangt. Philipp Melanchthon hatte sich hierbei große Zurückhaltung auferlegt. Ihm lag sehr an einer versöhnlichen Ergebnis. Er war davon überzeugt, nicht außerhalb der katholischen Kirche zu stehen. Ihm ging es um Reform der bestehenden Kirche und nicht um Kirchenspaltung und Reformation. An dieser Stelle wird ein herausragender Charakterzug von Philipp Melanchthon deutlich. Mit außerordentlicher Kompromissbereitschaft war er immer bemüht, Konflikte zu vermeiden. Mit diese versöhnlichen Haltung stand er ganz im Gegensatz zu Luther, der sehr viel energischer und kämpferischer war und der das Vorgehen von Philipp Melanchthon in Augsburg als Leisetreterei bezeichnete. Es ist ein Unglück, dass der Reichstag in Augsburg erfolglos verlief. Die Bekenntnisschrift Philipp Melanchthons wurde in Deutsch verlesen. Da Karl V kein Deutsch verstand, schlief er während der Verlesung an. Er hielt die Confessio für widerlegt und erwartete die Unterwerfung der Protestanten. Diese fühlten sich jedoch im Recht und gaben nicht nach. Damit war der Versuch, die Glaubensfrage mit Hilfe des kaiserlichen Schiedsspruchs zu lösen, gescheitert. Für Philipp Melanchthon war das der erste von vielen Misserfolgen, die noch folgen sollten. 1555 Aufenthalt in Nürnberg zur Klärung theologischer Streitigkeiten mit Osiander, dem Prediger in St. Lorenz. 1560 Tod in Wittenberg Nach kurzer, schwerer Krankheit stirbt Philipp Melanchthon mit 63 Jahren, müde, resigniert und den Tod herbeisehnend. Sterbend schrieb er auf einen Zettel: Du entkommst den Sünden, du wirst befreit von aller Mühsal und von der wütenden Streitlust der Theologen. Philipp Melanchthon liegt in der Schlosskirche in Wittenberg neben Luther begraben. 3 Philipp Melanchthon Der Humanist Melanchthon teilte mit anderen Humanisten die nachfolgenden Grundsätze: * Eine umfassende Bildung ist die Voraussetzung für ein erfülltes Leben 7 * Das vorurteilsfreie Studium der Literatur ist die Bedingung für eigenständiges Denken * Glauben hat Wissen als Grundlage * Toleranz und undogmatische Gesprächbereitschaft anderen Meinungen gegenüber werden erstrebt Das Denkmal für Philipp Melanchthon, das Daniel Burgschmiet 1826 geschaffen hat, charakterisiert in eindrucksvoller Weise diese Denkweise. Anlass war der 300. Jahrestag de Gründung der Oberen Schule im Jahre 1526 durch Philipp Melanchthon. Philipp Melanchthon wird in der typischen Pose eines Gelehrten mit Barett und Gelehrtenmantel dargestellt. Mit seiner rechten Hand stützt er sich auf einen Bücherstapel, Schriften von Aristoteles, Plato und Cicero. Darauf steht senkrecht die Lutherbibel mit dem Zitat aus 1. Korinther 13. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und hätte alle Erkenntnis und allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. 8 So aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, aber die Liebe ist das größte unter ihnen. Sehr schön wird hier zum Ausdruck gebracht, dass sich in der Vorstellung von Melanchthon der religiöse Glaube auf die Erkenntnis der Philosophie stützen muss, jedoch darüber hinausragt und das Wesentliche darstellt. Die Tafel auf dem Sockel trägt die folgende Inschrift: Dem Philipp Melanchthon dem Einrichter der freien Künste zwischen den deutschen Dem weisesten, humanistischen, beredtesten, um die fromme Erinnerung zu pflegen an den Tag vor 300 Jahren als er das Gymnasium Egidien eingeweiht hat. Dieses Denkmal ist auf amtliche Anweisung errichtet. Dank der Nürnberger Bürgerschaft 1826 4 Die Obere Schule in Nürnberg Als Humanist war Philipp Melanchthon der Überzeugung, dass der Mensch die wahre Menschlichkeit durch Studium und Bildung erreichen könne. Philipp Melanchthon hat sich damit deutlich von Luther absetzt, für den wahre Menschlichkeit nur durch die Gnade Gottes erreichbar ist. Für Luther ist es vorrangige Aufgabe der Bildung und Ausbildung, den Menschen in den Stand zu setzen, selbständig die Bibel zu lesen. Die damals übliche Ausbildung war für die Vorstellungen von Philipp Melanchthon nicht ausreichend. Sie umfasste im Wesentlichen die 7 Artes liberales, die sich in das Trivium und das Quadrivium gliedern. Sie wurden in der so genannten Artistenfakultät gelehrt. Zum Trivium gehörten: Grammatik: Lateinische Sprachlehre Rhetorik: Stillehre Dialektik bzw. Logik: Schlüsse und Beweise Zum Quadrivium gehörten: Arithmetik: Zahlentheorie (Zahlenbegriff, Zahlenarten, Zahlenverhältnisse) und z. T. auch praktisches Rechnen Geometrie: euklidische Geometrie, Geografie, Agrimensur Musik: Musiktheorie und Tonarten u. a. als Grundlage der Kirchenmusik Astronomie: Lehre von den Sphären, den Himmelskörpern und ihren Bewegungen, unter Einschluss der Astrologie und der Auswirkungen auf die sublunare Sphäre und den Menschen 9 Die Artistenfakultät war auf der mittelalterlichen Universität die Vorstufe zu den drei oberen Fakultäten Theologie, Medizin und Jura. Der Schöne Brunnen in Nürnberg zeigt sehr schön diese alten Vorstellungen. Er entstand in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts im Rahmen der Neugestaltung des Marktes. Die bildnerische Gestaltung zeigt noch die ganz und gar den weltanschaulichen Überzeugungen des Mittelalters verhaftete Einstellung, die noch weit von den Vorstellungen der Humanisten und Melanchthons entfernt ist. Im unteren Kreis finden sich die 7 Artes liberales in einer Weise, wie sie zur üblichen Ausbildung der späten Mittelalters gehörten. Jeder Disziplin wurde als Symbol ihr markantester Vertreter zugeordnet. So kann man als Vertreter der Astronomie den griechischen Wissenschaftler Ptolemäus und als Vertreter der Geometrie Euklid sehen. Nun ist es interessant und aufschlussreich zu sehen, dass sich hinter jedem der heidnischen Vertreter der Artes liberales je einer der 4 Evangelisten oder je einer der 4 Kirchenväter befinden. Sie sind es, die sozusagen die heidnische Wissenschaft überwachen und weiterführen und das, was bei ihnen nur bruchstückhaft zu sehen ist, zur Vollendung führen. So sitzt z.B. hinter Pythagoras der Evangelist Matthäus. Es sind drei große Veränderung der Schule, die Melanchthon vorschweben. Er beschreibt sie in seiner Schrift ,,Einrichtung allgemein bildender Schulen mit christlicher Unterweisung" 10 * Erweiterung des Curriculums * Schulordnung * Verbesserung der Didaktik und der Pädagogik In diesem Sinne war er während seines ganzen Lebens als Lehrer, als Lehrbuchschreiber und als Organisator des Schulwesens tätig. Diese Aktivitäten haben ihm den Ehrentitel Präceptor Germaniae, Schulmeister Deutschlands eingetragen. Dieser eingeschränkte Fächerkanon wurde von Philipp Melanchthon um die Fächer Geschichte, Moralphilosophie, Poetik, Naturwissenschaft und Geografie erweitert. Dazu kam noch die griechische Sprache. Sein Ziel war eine Bürgerschule, die im Wesentlichen Allgemeinbildung vermitteln sollte. Allerdings wurde auch immer großer Wert auf das eigenständige Studium von Gottes Wort gelegt, ohne das wahre Bildung nicht möglich schien. Da durch die Reformation die kirchlich geleiteten Schulen wegfielen, entstand zunächst ein großes Defizit. Erasmus von Rotterdam fällt 1528 in einem Brief angesichts der betrüblichen Lage ein hartes Urteil: Wo der Lutheranismus herrscht, da ist der Untergang der Wissenschaften. Es musste also ein neues Schulsystem geschaffen werden, das an die Stelle der bisherigen Kloster- und Kirchenschulen trat. Es wurde von Philipp Melanchthon beispielgebend in den Schulen in Eisenach und Nürnberg erprobt. Philipp Melanchthon schwebte ein dreigliedriges Schulsystem vor. * Grundschule: Lesen und Schreiben, Einführung in das Lateinische, Glaubensbekenntnis. * Weiterführende Schule: Als weitere Fächer Dialektik und Rhetorik. * Obere Schule: Umgangssprache Latein, Griechisch. In Bezug auf die Pädagogik verfolgte Philipp Melanchthon etwas, was man heute mit Reformpädagogik bezeichnen würde. An die Stelle des Drills und des Rohrstocks sollte die Freude am Lernen und an der Schule treten. Eigenes Fragen und eigener Wissensdrang sollten vorrangig sein. Hierzu dienten Philipp Melanchthon Erzählungen aus dem Alltagsleben, Fabeln oder Geschichten aus der Weltgeschichte, die alle den Unterricht lebendig und abwechslungsreich gestalten sollten. Allerdings musste er feststellen, dass sich Melanchthons idealistischen Vorstellungen in Bezug auf die Schule oft nicht mit der Realität deckten. So bemerkt er: 11 Gibt es einen Esel, der je in der Mühle so viel Übles zu erdulden hätte, wie der Durchschnitt der Lehrer im Unterricht an Mühe und Beschwerden aushalten muss? Die Kinder, verdorben durch häusliche Schwäche, bringen statt Liebe zum Studium grimmigen Hass, Missachtung der Lehrer und die schlimmsten Gewohnheiten mit in die Schule. Und mit einem solchen Ungeheuer soll sich der Lehrer herumplagen… Der Lehrer trägt etwas vor, da beschleicht den Weichling der Schlaf, während der Lehrer sich müde spricht. Fragst du daher am nächsten Tag nach dem, was durchgenommen wurde, so ist es zu einem Ohr rein- und zum anderen hinausgegangen. Die Arbeit beginnt von vorne… Nie nimmt der Knabe ein Buch zur Hand, es sei denn, dass der Lehrer ihn nötigt. Wir Lehrer sind von allen Sterblichen am übelsten dran, denn wir haben die härteste Arbeit, leben in kümmerlichen Verhältnissen und müssen uns noch mit Verachtung behandeln lassen, nicht nur von unseren Schülern sondern auch von ihren Eltern. Bereits im Jahre 1524 beschloss der Rat der Stadt Nürnberg die Gründung einer weiterführenden Schule. Sie sollte dem Typ der Oberen Schule, also dem dritten Abschnitt in Melanchthons Schulordnung entsprechen. Auf diese Weise sollten die Söhne der Nürnberger Patrizier eine solide Grundausbildung erhalten, bevor sie auf die Universitäten in anderen Städten wechselten. Melanchthon wurde der gut dotierte Posten eines Schulleiters angeboten. Er lehnte ab. Allerdings empfahl er seinen Freund Camerarius als Schulleiter. Die Bezahlung der Lehrer war fürstlich. So erhielt z.B. Camerarius 150 Gulden im Jahr. Im Vergleich: Ganz ungefähr kann man davon ausgehen, dass der Kaufkraft entsprechend ein Gulden 7.500 Euro wert war. Das Jahresgehalt betrug demnach 112.500 Euro. Davon lässt sich wohl leben! Im Jahre 1526 konnte die Obere Schule unter Anwesenheit von Philipp Melanchthon eröffnet werden. In seiner Festrede sagte er: Die Spartaner sagen, die Mauern einer Stadt müssen aus Eisen nicht aus Stein sein. Ich aber bin der Meinung, dass eine Stadt nicht so sehr durch Waffen als vielmehr durch Klugheit, Besonnenheit und Frömmigkeit verteidigt werden sollte. Leider war der Schule kein Erfolg beschieden. Die Schülerzahl blieb gering. Das lag wohl einmal an der Tatsache, dass die Schule keinen akademischen Grad und keinen akademischen Titel vergeben konnte. Zum anderen scheinen die pragmatisch gesinnten Nürnberger Kaufleute eine humanistische Bildung als nicht unbedingt erforderlich angesehen zu haben. 12 So soll der Mathematiklehrer Schöner nur zwei Schüler gehabt haben. Erasmus von Rotterdam spottete, dass in der Oberen Schule in Nürnberg die Schüler kein Schulgeld zu bezahlen brauchten. Vielmehr müsse man sie bezahlen, damit sie kämen. Im Jahre 1575 wird die Obere Schule in Nürnberg geschlossen und aufs Land nach Altdorf verlegt. 1633 wurde die Obere Schule wegen organisatorischer und pädagogischer Mängel wieder zurück nach Nürnberg geholt. 1669 bezog die Schule einen Neubau auf dem Egidienplatz. Als die Reichsstadt Nürnberg im Jahre 1808 in das Königreich Bayern integriert wurde, wurde die Schule verstaatlicht und Georg Friedrich Hegel zum Direktor ernannt. 1911 erhielt die Schule ein neues Gebäude in der Sulzbacher Straße. 1925 besuchte das erste Mädchen die Schule. 1933 wurde die Schule in Melanchthon Gymnasium umbenannt. 5 Das Nürnberger Religionsgespräch Die freie Reichsstadt Nürnberg schließt sich relativ früh der Reformation an. Hierfür gibt es gewichtige Gründe. Der Nürnberger Rat war vorwiegend humanistisch gesinnt. Er stand damit den Anliegen der Reformation offen und unterstützend gegenüber. Dazu kam, dass viele Söhne von Patrizierfamilien in Wittenberg studiert hatten und dort mit dem Geist der Reformation vertraut worden waren. Nach ihrer Rückkehr nach Nürnberg wurden sie zu Befürwortern der Reformation. Die Humanisten trafen sich in einem Kreis von Gleichgesinnten, der so genannten Sodalitas Staupiziana. Johann von Staupitz war Generalvikar der deutschen Augustiner-Eremiten, zu denen auch Luther gehörte. Er war Professor in Wittenberg. Staupitz selbst war mehrere Male in Nürnberg, 1512, 1516 und 1517. Seine Predigen hatten ungeheuren Zulauf. Der Sodalitas Staupiziana gehörten z.B. Willibald Pirckheimer, aber auch Albrecht Dürer an. Man tagte regelmäßig im Augustinerkloster und diskutierte dort humanistische und theologische Themen, besonders die Barmherzigkeitslehre des Heiligen Augustin, die von Staupitz vertreten wurde. Auf diese Weise wurde bereits sehr früh humanistisches und reformatorisches Gedankengut in Nürnberg lebendig. Es gab im Nürnberger Rat Persönlichkeiten, die bewusst und intensiv die Reformation förderten. Hierzu gehörte z.B. der Vorderste Ratschreiber Lazarus Spengler, von dem bereits 1519 eine Schrift bekannt wurde, in der er die Lehre Luthers verteidigte. 13 Außerdem war es den Nürnbergern schon lange vor der Reformation in schwierigen Auseinandersetzungen mit dem Bischof in Bamberg und der Kurie in Rom gelungen, das Recht zur Besetzung der Pfarrstellen zu erkämpfen. Das hatte zur Folge, dass nun die Hauptkirchen St. Sebald, St. Lorenz. St. Jakob und St. Egidien mit Predigern besetzt werden konnten, die alle reformatorisch gesinnt waren. Besonders aktiv war hier der Prediger in St. Lorenz, Andreas Osiander. Im Bereich der Klöster war der Prior des Augustinerklosters Wolfgang Volprecht führend. Bereits 1523 reichte er das Abendmahl in beiderlei Gestalt. 1524 hielt er eine Messe in deutscher Sprache. Gleichzeitig gab es jedoch in einigen Kirchen und Klöstern, wie z.B. bei den Barfüßern, den Karmelitern, Dominikanern und den Klarissen noch Anhänger des alten römisch-katholischen Glaubens. Beide Seiten haben sich gegenseitig heftig beschimpft und verunglimpft. Um diese unglückliche Situation zu beenden und eine gleichartige Gottesdienstordnung in allen Nürnberger Kirchen sicherzustellen, wurden beide Parteien 1525 zu einem Religionsgespräch eingeladen. Dieses Religionsgespräch fand im Nürnberger Rathaus statt. Geladen waren alle Mitglieder des Rates, Vertreter der altgläubigen und der reformatorisch gesinnten Kirchen und Klöster und zahlreiche angesehene Bürger, sodass etwa 500 Personen anwesend waren. Vor dem Rathaus hatte sich eine große Menschenmenge versammelt, die durch die geöffneten Fenster zum Teil mithören konnte und mit Erregung den Ausgang der Verhandlungen erwartete. Die Atmosphäre war spannungsgeladen und explosiv. Beide Parteien sollten den Glauben betreffend auf 12 Grundfragen Antwort geben. Hierzu gehörten z.B. die Priesterehe, die Eucharistie und die Rechtfertigungslehre. Für die Protestanten sprach der Prediger von St. Lorenz Osiander, für die Altgläubigen der Franziskaner Michael Fries aus dem Barfüßerkloster. Der mehr oder weniger vorhersehbare Ausgang führte dazu, dass Nürnberg eine evangelische Stadt wurde. Es ergaben sich damit unter anderem die folgenden Konsequenzen: Klöster wurden geschlossen oder freiwillig an die Stadt übergeben. Prozessionen und Messen wurden abgeschafft. Die Anzahl der Feiertage wurde eingeschränkt. Der Übergang war nicht reibungslos und konfliktfrei. Altgläubige Prediger, wie z.B. Andreas Stoß, der Sohn des Bildhauers Veit Stoß, mussten die Stadt verlassen. Von besonderer Bedeutung waren die Beschlüsse für das Klarissenkloster unter Leitung der Äbtissin Caritas Pirckheimer. So weigerten sich z.B. die Klarissen, ihr Kloster freiwillig zu verlassen. Es kam zu Tumulten. 14 6 Philipp Melanchthon und Caritas Pirckheimer Caritas Pirckheimer hieß vor ihrem Eintritt in das Klarissenkloster Barbara. Sie wurde 1467 als Tochter von Johannes Pirckheimer und seiner Ehefrau Barbara, geb. Löffelholz geboren. Sie entstammt damit zwei der vornehmsten Nürnberger Patrizierfamilien. Zur Ausbildung kam sie in die Klosterschule der Klarissen. Dies war kein ungewöhnlicher Schritt, da die 4 Nürnberger Lateinschulen nur Jungen aufnahmen. Sehr früh schon zeigte sich ihre außerordentliche Begabung. Mit 16 Jahren wurde sie als Novizin in das Klarissenkloster aufgenommen. Sie erhielt den Namen Caritas. Im Kloster übernahm sie eine Reihe von Aufgaben. So unterrichtete sie z.B. die Klosterschülerinnen, war für die Bibliothek verantwortlich und war Novizenmeisterin. Im Jahre 1503 wurde sie zur Äbtissin gewählt. Die Aufgabe der Äbtissin umfasst einerseits die Sorge um das geistlichen Leben im Konvent und andererseits auch die um das leibliche Wohl der Mitschwestern. Zu Caritas' Zeiten waren es fünfzig bis sechzig Nonnen. Caritas legte großen Wert auf eine geistig-religiöse Ausbildung der Nonnen. Alle Schwestern erhielten Lateinunterricht. Sie sollten die Sprache, in der sie beteten, verstehen und darüber hinaus die Fähigkeit besitzen, Bibelstellen in Latein und Deutsch zu studieren. Nach Meinung der Äbtissin kann nur mit Hilfe einer guten Bildung eine tiefgehende Frömmigkeit entstehen. Durch eine umfassende, humanistisch geprägte Bildung sollte den Schwestern eine Auseinandersetzung mit ihrem Glauben ermöglicht werden. Das Kloster geriet während der Reformation in eine schwere Krise. Nach den Nürnberger Religionsgesprächen wurde im März verfügt, dass den Franziskanern, die Beichtväter und Prediger für die Nonnen waren, verboten wurde, ihr Amt weiterhin auszuüben. Die Nonnen mussten außerdem auf die Messe, das Bußsakrament und das Sterbesakrament verzichten. Caritas Pirckheimer schreibt darüber: Es wäre uns lieber und nützlicher, Ihr schicket einen Henker in unser Kloster, der uns allen die Köpfe abschlüge, als dass Ihr uns einen vollen, trunkenen, unkeuschen Pfaffen zuschickt. Man nötigt keinen Dienstboten, noch einen Bettler, dass er beichten muss, wo seine Herrschaft will. Wir wären ärmer als arm, sollten wir denen beichten, die selber keinen Glauben an die Beichte haben, sollten wir das hochwürdige Sakrament von denen empfangen, die so abscheulichen 15 Missbrauch damit treiben, dass es eine Schande ist davon zu hören, sollten wir denen gehorsam sein, die weder dem Papst, dem Bischof, dem Kaiser, noch der ganzen heiligen, christlichen Kirche gehorsam sind. Sollten sie auch den schönen göttlichen Dienst abschaffen und nach ihren Köpfen ändern, so wollte ich lieber tot als lebendig sein. In der Pfingstwoche des Jahres 1525 erging erneut ein Beschluss des Rates an die Nürnberger Klöster, der folgende fünf Forderungen beinhaltete: * Alle Mitschwestern sollten durch die Äbtissin von ihren Ordensgelübden entbunden werden. * Keine Nonne sollte gegen ihren eigenen oder den Willen ihrer Eltern gezwungen werden, im Kloster zu bleiben. Das Kloster wurde darüber hinaus dazu verpflichtet, heiratswilligen Schwestern ihre Mitgift auszuzahlen. * Statt des Habits sollte bürgerliche Kleidung getragen werden. * Der Rat sollte eine Aufstellung über alle Einkünfte, Besitztümer und sonstiger Wertgegenstände des Konvents erhalten. * Schließlich sollten die bisherigen, mit schwarzem Stoff abgedeckten Redefenster am Klausurgitter entfernt werden, damit der Besucher sicher sein konnte, dass das Gespräch von keiner anderen Person belauscht würde. Die Situation eskalierte am Tag vor Fronleichnam 1525, als drei Nonnen gewaltsam von ihren Müttern aus dem Konvent verschleppt wurden, nachdem die Töchter in vorangegangenen Versuchen nicht zu einem freiwilligen Verlassen des Klaraklosters zu bewegen gewesen waren. Nur eine der Schwestern, Anna Schwarz, verließ den Konvent freiwillig. Sie sympathisierte mit den reformatorischen Gedanken. Es existiert eine Quittung, auf der sie am 10. März 1528 bescheinigte, dass sie ihre Mitgift zurückerhalten hatte. Bis zum Aussterben des Konvents blieb sie die einzige Nonne, die diesen Schritt tat. Auf den Straßen vor dem Kloster spielten sich tumultartige Szenen ab. Der aufgebrachte oder auf aufgehetzte Pöbel störte den Gottesdienst, verwüstete den Friedhof und warf mit Steinen Fensterscheiben ein. In dieser Situation wandte sich Caritas Pirckheimer an ihren Bruder Willibald Pirckheimer und dieser an Melanchthon. Als Melanchthon im November 1525 in Nürnberg war, kam ein Gespräch zwischen Melanchthon und Caritas Pirckheimer zustande. Dieses Gespräch muss sehr erfolgreich verlaufen sein. Sowohl Caritas Pirckheimer wie auch Melanchthon äußerten sich sehr positiv. Caritas Pirckheimer schrieb über das Gespräch: Als er hörte, dass wir unsere Hoffnung auf die Gnade Gottes und nicht auf die eigenen Werke setzten, sagte er, wir könnten ebenso wohl im Kloster selig werden wie in der Welt, wenn wir nur nicht allein auf unsere Gelübde vertrauten. Er schied in guter Freundschaft von uns. 16 Melanchthon seinerseits machte dem Rat der Stadt Nürnberg wegen seines rigorosen Vorgehens Vorhaltungen. Er wandte sich gegen die Amtsenthebung der Franziskaner und gegen die gewaltsame Entführung der Nonnen durch ihre Eltern. Auf Grund seiner deutlichen Worte änderte der Rat sein Verhalten. Der Fortbestand des Klosters wurde zugesichert. Einschränkende, insbesondere gewaltsame Maßnahmen unterblieben. Die Nonnen durften unbehelligt ihr bisheriges Leben fortsetzen. Allerdings durften keine Novizinnen mehr aufgenommen werden. Damit war das Kloster zum Aussterben verurteilt. 1591 erfolgte nach dem Tod der letzten Nonne die Auflösung. Das Verhalten von Caritas Pirckheimer und ihrer Nonnen zeigt, dass nicht in allen Klöstern in gleicher Weise unzumutbare Zustände herrschten. Allerdings stellte das Klarissenkloster in Nürnberg wohl eine Ausnahme dar. Verantwortlich hierfür war sicherlich die hochgebildete und gleichzeitig menschlich überzeugende Äbtissin Caritas Pirckheimer. Einen Eindruck von der Art und Weise, wie Caritas Pirckheimer ihr Kloster leitete, mag man erhalten, wenn man sieht, wie Caritas Pirckheimer im Jahre 1529 den 50. Jahrestag ihres Klostereintritts feierte. Es muss sehr lebensfroh zugegangen sein. Caritas Pirckheimer schlug das Hackbrett und die Nonnen tanzten. Ihr Bruder Willibald Pirckheimer ließ zu diesem Anlass ein Fass Wein und Silbergeschirr ins Kloster bringen. 7 Willibald Pirckheimer Die Familie Pirckheimer war eine in Nürnberg einflussreiche Patrizierfamilie mit eigenen Handelsniederlassungen in Venedig und Lübeck. Die bekanntesten Vertreter dieser Familie sind Willibald Pirckheimer und seine Schwester Caritas. Willibald Pirckheimer hatte in Pavia und Padua die Artes liberales und anschließend Jura studiert. Er war für die Stadt Nürnberg als juristischer Berater, Gesandter und Feldhauptmann tätig. Neben dieser Tätigkeit war er Prosaschriftsteller, sowie Übersetzer und Bearbeiter der Werke klassischer Autoren und der Schriften von Kirchenvätern. Er war entweder persönlich oder über Briefkontakte mit zahlreichen bedeutenden Humanisten seiner Zeit verbunden, z.B. mit Erasmus von Rotterdam und Thomas Morus in England. Sein Interesse für 17 Kunst führte zur Freundschaft mit Albrecht Dürer. Willibald Pirckheimer war auch mit Melanchthon bekannt. So schickte Melanchthon ihm z.B. im Jahre 1517 einen Brief mit einem griechisches Gedicht. Es folgt ein langer Briefwechsel in lateinischer Sprache. Die Bekanntschaft mit Melanchthon führte dazu, dass sich Willibald Pirckheimer auf Bitten seiner Schwerster dafür einsetzte, dass Melanchthon nach Nürnberg kam und im Streit um die Auflösung des Klarissenklosters vermittelnd wirken konnte. Willibald Pirckheimer ist so ähnlich wie Erasmus von Rotterdam ein gutes Beispiel, das zeigt, dass sich viele Humanisten, die anfangs der Reformation wohlgesonnen gegenüberstanden, sich später von ihr abwandten, als deutlich wurde, welch verheerende Folgen die Auflösung der bestehenden Ordnung hatte. 8 Das Religionsgespräch mit Osiander Der Sebalder Pfarrhof in Nürnberg ist ein Ort, der einen direkten Bezug zu Melanchthon hat. Hier in diesem Hof fanden im Jahre 1555 drei Religionsgespräche mit dem Prediger von St. Lorenz Osiander statt. Anwesend waren drei Ratsmitglieder und alle Nürnberger Prediger und Pfarrer. Die katholische Kirche wirft Luther vor, von vornherein eine Kirchenspaltung angestrebt und damit eine schrittweise Reform unmöglich gemacht zu haben. Statt zu einer Reform hätte sein Verhalten zur Reformation und damit zu einer alles Bestehende umstürzenden Revolution geführt. Nun ist eine Reform allemal besser als eine Revolution. Eine Revolution bedeutet immer Chaos, bevor sich eine neue Ordnung etablieren kann. Das war so nach der Revolution in Frankreich und Russland, und das war auch so nach der Reformation in Deutschland. Es scheint nur so zu sein, dass es Situationen gibt, in denen eine Reform nicht mehr möglich ist und nur eine Revolution die Verhältnisse ändern kann. Das könnte auch bei der Reformation der Fall gewesen sein. Man kann sich schwerlich vorstellen, dass die römisch-katholische Kirche des 16. Jahrhunderts in der Lage gewesen wäre, von sich aus und ohne gewaltsamen Anstoß von außen die erforderlichen und dringend nötigen Reformen in Angriff zu nehmen. Die Reformation hat in der Tat eine Auflösung der bestehenden Ordnung bedeutet und das sowohl auf weltlichem wie auch auf geistlichem Gebiet. Der römisch-katholischen Kirche ist es im Laufe der Jahrhunderte immer wieder gelungen, abweichende Lehrmeinungen zu integrieren. Das geschah zum Teil durch geschickte und verständnisvolle Menschenführung, zum Teil mit Gewalt. Inquisition und Scheiterhaufen waren die ultima ratio. Diese einheitliche Lehrmeinung wurde durch die Reformation zerstört. An ihre Stelle trat eine Vielzahl gegensätzlicher und sich um Teil erbittert bekämpfender Religionsformen. Die wichtigsten waren die Lutheraner, die Anhänger Zwinglis und die 18 Anhänger Calvins. Dazu kam eine ganze Reihe extremer, schwärmerischer Gruppen wie z.B. die Wiedertäufer oder die so genannten Böhmischen Brüder. Aber selbst innerhalb der Lutheraner gab es Streitigkeiten und Kontroversen. Sie wurden besonders deutlich nach dem Tod Luthers im Jahre 1546, als die Autorität und die Überzeugungskraft Luthers wegfielen. Ein derartiger Streit war auch die Auseinandersetzung zwischen Osiander und Melanchthon, der im Jahre 1555 hier im Sebalder Pfarrhof stattfand. Es ging um die Rechtfertigungslehre. Für uns Heutige sind diese theologischen Auseinandersetzungen kaum noch nachvollziehbar. Wir haben heutzutage ganz andere Probleme. Damals war die Rechtfertigung des Menschen vor Gott ein ganz zentrales Thema, das die Gemüter heftig bewegte. Ist der Mensch von Natur aus mit der Erbsünde behaftet und kann nur durch Gottes Gnade gerettet werden? Oder kann der Mensch durch eigenes Bemühen, z.B. durch gute Werke an seiner Erlösung mitwirken? Die Position Melanchthons war klar: Als Anhänger Luthers vertrat er die Meinung, dass der Mensch nichts, aber auch gar nichts zu seiner Rettung beitragen kann. Er ist ausschließlich auf die Gnade Gottes angewiesen. Osiander vertrat im Gegensatz dazu die Meinung, dass sich der Mensch im Glauben durch die Gnade Gottes verändert, ein anderer wird und dadurch zu guten Werken befähigt wird. Melanchthon konnte sich durchsetzen. Seine Meinung wurde innerhalb der lutherischen Kirche verbindlich. 9 Melanchthon und Luther Die nachfolgende Darstellung von Lukas Cranach zeigt Melanchthon und Luther gemeinsam auf einem Bild. Die beiden Figuren lassen die langwährende und doch schwierige Freundschaft zwischen diesen beiden bedeutenden Männern deutlich werden. Es ist verwunderlich, wenn nicht sogar unbegreiflich, wie zwei Männer, die doch so grundverschieden in ihrer Persönlichkeit und ihrem Charakter waren, so lange und so gut zusammenarbeiten konnten. Beide verdanken sich gegenseitig sehr viel. 19 Allein vom äußeren Erscheinungsbild hätten die beiden nicht verschiedener sein können. Luther war von eher kräftiger, fast massiger Gestalt. Melanchthon eher klein, zartgliedrig, zierlich und fast schmächtig. Er war nur anderthalb Meter groß! Außerdem hatte er einen kleinen Sprachfehler. Hier Luther, der Geniale, der Rabiate, Lebensfrohe, der manchmal zu Grobe und Polternde, der keinem theologischen Streit aus dem Weg geht; dort Melanchthon, der überaus Gebildete, der Abwägende, sehr Ernste, der, wenn es unter Wahrung der gemeinsamen theologischen Hauptsache irgend geht, einen Kompromiss sucht und den offenen Konflikt vermeiden möchte. Hier die bildreiche Sprache Luthers voller Kraft, dort die gemessene, exakte, wissenschaftliche Sprache Melanchthons. Luther charakterisiert dieses Verhältnis mit eigenen Worten so: Ich muss die Klötze und Stämme ausrotten, Dornen und Hecken weghauen, die Pfützen ausfüllen, und bin der grobe Waldrechter, der die Bahn brechen und zurichten muss. Aber Magister Philipps fähret säuberlich und stille daher, bauet und pflanzet, säet und begeußt mit Lust, nachdem Gott ihm hat gegeben seine Gaben reichlich. Melanchthon sieht sein Verhältnis zu Luther so: Ich ertrug auch vordem eine fast entehrende Knechtschaft, da Luther oft 20 mehr seinem Temperament folgte, in welchem eine nicht geringe philoneikia lag, als auf sein Ansehen und auf das Gemeinwohl achtete. Immer wenn Melanchthon etwas Heikles, gar Verfängliches ausdrücken wollte, wechselte er ins Griechische. Philoneikia steht für Streitsucht. 10 Was bleibt? Philipp Melanchthon ist 1560, also vor 450 Jahren gestorben. Was bedeutet er für uns heute? Warum ist es sinnvoll, sich mit ihm zu beschäftigen? Was bleibt? Melanchthon lebte in einer unruhigen, konfliktreichen Zeit. Er zeichnete sich aus durch tolerantes und offenes Denken, das sich bemühte, auch den Standpunkt der Andersdenkenden zu verstehen und zu berücksichtigen. Man hat ihn einen Ireniker, einen Friedensstifter genannt. In unserer Zeit, die auf der einen Seite auf dem Weg zur Ökumene ist, auf der anderen Seite gegen Fundamentalismus und religiösen Terror zu kämpfen hat, kann er Vorbild sein. Er war als Humanist überzeugt, dass Bildung die Voraussetzung für ein sinnvolles und erfülltes Leben ist. Das eigenständige Denken, das nicht vorgefertigten Meinungen nachläuft, war ihm wichtig. In unserer Zeit, die immer stärker Wert auf eine brauchbare Ausbildung legt und für Bildung immer weniger Verständnis aufbringt, kann er dazu beitragen, die Gewichte wieder zurechtzurücken. Vielleicht kann man sein Lebenswerk einem Satz von ihm zusammenfassen: Nati sumus ad mutuam sermonis communicationem ( Wir sind zum Gespräch miteinander geboren)