259 Rezensionen und Neuerscheinungen Alia, Valerie, Names
Transcription
259 Rezensionen und Neuerscheinungen Alia, Valerie, Names
Rezensionen und Neuerscheinungen Alia, Valerie, Names & Nunavut. Culture and Identity in Arctic Canada. New York / Oxford: Berghahn Books 2007 (als Paperback 2009), XX + 172 S. Es ist bekannt, dass Eskimo der politi cal correctness heute ebenso wenig entspricht wie Neger oder Tschechei. Die korrekte Bezeichnung ist der Allgemeinheit hingegen nur wenig vertraut, daher nur mit Schwierigkeiten zu verwenden und wird außerdem oft falsch angewandt (vgl. XVIII f.). Richtig ist eine einzelne Person ein Inuk, zwei s ind Inuuk, die Gesamtheit sind die Inuit, deren Sprache Inuktitut heißt. Die übrigen Menschen, also auch die meisten Leser dieser Zeilen, sind Quallunaat, und Nunavut ist der Name des 1999 gegründeten selbstverwalteten Gebiets der Inuit. Dies und noch mehr lernen wir aus dem Glossar auf S. 151 f., in dem freilich die nicht unwesentlichen Ausspracheangaben fehlen. Nach einem ausführlichen Vorwort (IX–XV) beschreibt die Autorin zunächst ihren persönlichen Zugang zum Begriff Name. Als geborene Graber mit ungarisch-jüdischen Wurzeln änderte sie als Erwachsene nach einer Lebenswende ihren Familiennamen in Alia „a Hebrew and Arabic word meaning ‚going up‘ – to new places (both geographic and sacred) and new levels of consciousness – liberation“ (4). Diese privativen Ausführungen leiten über in ihre namentheoretische Einführung, die unter der Überschrift „Language, Names and Power“ ganz von ihrer Konzeption einer „politischen Onomastik“ geprägt ist. „My own work concentrates on naming rather than names – the socio-political process rather than the linguistic product. The following chapters 259 […] aim primarily at understanding the political implications of personal names and naming practices“ (8, Hervorhebung durch die Autorin). Ihre diesbezüglichen Auffassungen ordnet sie in den namentheoretischen Kontext ein, wobei sie sich auch der Frage der Namenbedeutung (10 –12) widmet. Im folgenden Kapitel 1 „The Impor tance of Names in Inuit Culture“ (17– 37 ) wird zunächst in die Eigenheiten des Personennamensystems der Inuit ein geführt. Dieses unterscheidet sich grundlegend von europäischen Gewohnheiten: Ein Name ist nicht nur ein Etikett, sondern ein Atiq , gewissermaßen eine Seele. Wird ein Inuk geboren, erhält er mit dem Namen eines Verstorbenen zugleich dessen Atiq , so dass der Tote in dem Leib des Säuglings eine neue Heimat findet und dieser seine Identität annimmt. Das biologische Geschlecht spielt dabei keine Rolle. Dadurch kommt es in der Folge zu verwickelten und merkwürdigen Fami lienverhältnissen, indem z. B. die Tochter einer Person zugleich deren Großvater sein kann, wenn sie dessen Namen trägt bzw. dessen Atiq innehat. Was hier nur angedeutet wurde, ist ein kompliziertes System, das Menschen europäischer Abstammung nur schwer zu vermitteln ist. Interessant ist hierbei aber der inter kulturelle Verweis auf Überlebende des Holocaust, die danach trachteten, die Namen möglichst aller ermordeten Familienangehörigen in Neugeborenen wiederzubeleben (6). In Bezug auf den sprachlichen und kulturellen Kontakt zu den Quallunaat ist zweierlei von besonderer Bedeutung. Zum einen – ein interessanter Fall onomastischer Interferenz – konnten in dieses System auch christliche Namen integriert werden (47 ). Zum anderen Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons-BY 3.0 Deutschland Lizenz. http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/ 260 ist es unmöglich, die Namen der Inuit in lateinischen Buchstaben eineindeutig zu transliterieren. So kann das InuktitutIntegrat des alttestamentlichen Namens Ruth graphemisch umgesetzt werden als Vrootee, Olootee, Alootah usw. (50). Man kann sich vorstellen, dass dies für staatliche Behörden, die mit dem Namen einer Person deren Identität feststellen müssen, bei gänzlich fehlenden Familiennamen im westlichen Sinne einem Alptraum gleichkommt. Dies führt zum Kernthema des Buches, wie nämlich die kanadischen Behörden versuchten, die Inuit als Bürger zu erfassen. Doch zuvor sind noch die Art und Weise des Forschens im Norden zu beschreiben, die Mentalität der Menschen dort und die pseudokolonialen Verhältnisse im Jahr 1985 (39 – 44), die eine Forschung in den Rastern angelsächsischer Wissenschaftspraxis zunächst erheblich erschwerten. Zu ersten Überlegungen, wie die Bewohner der Arktis zweifelsfrei zu identi fizieren seien, kam es 1929, es dauerte aber noch eine ganze Weile, bis es an die praktische Umsetzung gegangen wurde. Zunächst versuchte man eine Erfassung durch Fingerabdrücke, gab dies aber bald aus ethischen und vor allem praktischen Gründen wieder auf. Dann wurden an die Personen Nummern vergeben, die auf Scheiben gepresst waren, welche die „Nummernträger“ stets bei sich tragen sollten. Dies funktionierte in der Praxis aber nicht wie gewünscht (51– 57 ). Die discs wurden von den Betreffenden oft gar nicht wie vorgesehen mitgeführt (52), wodurch z. B. viele Kinder, die in Krankenhäusern behandelt werden mussten, regelrecht verloren gingen, weil niemand zuordnen konnte, woher sie kamen (62 Rezensionen und Neuerscheinungen und 107 f.). Viel gravierender ist jedoch der ethische Aspekt der Nummerierung von Menschen, der besonders dann deutlich wird, wenn Kinder damals in der Schule nicht bei ihren Namen, sondern ihren Nummern gerufen wurden (57 ). Zudem ließ der Beginn des Kalten Krieges die Arktis zur Frontzone werden, die mit militärischen und politschen Mitteln vor dem sowjetischem Feind zu sichern war. Kanada musste daher die Hoheit über seine nördlichen Territorien intensiver als bisher zur Geltung bringen. Auch die USA hatten hieran ein strategisches Interesse und beteiligten sich beispielsweise an einem Netz von Stützpunkten. Was in dieser Situation in der Arktis geschah, ist als „autocracy in disguise“ (54, nach Shelagh Grant) oder als „gentle colonialism“ (65) zu bezeichnen. In den sechziger Jahren begann man über Alternativen zu den „disc numbers“ nachzudenken, da insbesondere die Verwaltung eine eindeutige Identi fizierung über den Eigennamen wünschte. Schließlich wurde kurz vor dem feierlich begangenen 100-jährigen Jubiläum der Einrichtung der kanadischen Northwest Territories 1970 „Project Surname“ ins Leben gerufen, wodurch jeder Inuk einen Familiennamen erhalten sollte. Dabei befragte ein reisender Landsmann in den einzelnen Siedlungen die Einwohner, welchen Familiennamen sie in Zukunft tragen wollten. Der Vorgeschichte und der Durchführung dieser Aktion widmet sich Kapitel 3 „Renamed Overnight: the History of Project Sur name“ (65 – 89). Was als „replacing apartheid with as similation“ (71) in der Theorie gut gemeint war, schuf in Wirklichkeit – und hierauf liegt der zentrale Fokus des gan- Rezensionen und Neuerscheinungen zen Buches – ein sehr komplexes Konglomerat verschiedener Problemlagen und ist im Rückblick negativ zu bewerten. So kollidierten Familiennamen mit dem üblichen, oben skizzierten Namensystem der Inuit auf das Heftigste. Wie kann es sein, so fragten die Betroffenen, dass ich einen Namen meiner Eltern tragen muss, die doch noch am Leben sind? Weiterhin wurde die Aktion in größter Eile durchgeführt – viele Betroffene, insbesondere Schulkinder, waren gar nicht bei ihren Familien, und es wurde über ihren Kopf hinweg entschieden. Befragt wurden in erster Linie die Familienväter, die als Familienoberhäupter angesehen wurden – eine Quallunaat-Prämisse, die den Verhältnissen unter den Inuit in keiner Weise entspricht. An den grundsätzlichen Entscheidungen über „Project Surname“ waren ganz in kolonialer Tradition die Betroffenen selbst nur marginal beteiligt. Das Fazit lautet: „The surnaming programme resolved neither the indignities nor the administrative difficulties created by the disc numbers.“ (109). Die Identifikationsnummern, zu diskriminierend sie auch gewesen sein mögen, waren von der Bevölkerung doch weitgehend akzeptiert und als praktikabel angesehen worden. Ihre Ersetzung durch Familiennamen führte jedoch verwaltungsmäßig ins Chaos. Diese und mehr Ungereimtheiten werden in Kapitel 4 „ ‚The people who love you’: Contemporary Perspectives on Naming in Nunavut“ (91–120) ausführlich, insbesondere mit vielen Aussagen von Betroffenen und Zeitzeugen, dargestellt. Die Unzufriedenheit mit „Project Surname“ führte einerseits dazu, dass nach außen hin zwar den offiziellen Regelungen Rechnung getragen wurde, ansonsten 261 aber das traditionelle Namensystem beinahe selbstverständlich weiter gepflegt wurde, wodurch die Menschen in Wirklichkeit ganz anders hießen als in den schriftlichen Dokumenten verzeichnet war. Zum anderen war die erzwungene Annahme von Familiennamen ein starker Impuls für die kulturelle Emanzipationsbewegung, die schließlich zur Einrichtung des Nunavut Territory auf einem Teil der Northwest Territories im Jahr 1999 führte. Das letzte Kapitel (121–144) beleuchtet noch einige weitere Aspekte: die Orts namengebung im kanadischen Norden, Allgemeines zur politischen Onomastik im Spannungsfeld der Kolonisierung und eine Theorie der strukturellen Gewalt in Bezug auf Namengebung. Es wäre durchaus lohnend, hierauf genauer einzugehen, an dieser Stelle muss dies jedoch aus Platzgründen unterbleiben. Generell ist das Bedürfnis eines modernen Staates, seine Bürger eindeutig identifizieren zu können, nicht in Abrede zu stellen, wenn sich hierbei auch die grundlegende Frage stellt, weshalb der ursprüngliche Einwandererstaat Kanada überhaupt Hoheitsrechte über die Arktisbewohner beanspruchen darf. Die staatlichen Eingriffe standen unter dem Anspruch, ein perfektes Benennungs system frei von jeglichen Zweideutigkeiten, Synonymien usw. zu schaffen – ein unrealistischer Anspruch freilich, den die gewachsenen Anthroponyme europäischer Tradition wohl kaum je mals erfüllt haben. Die dazu eingeleiteten, oben geschilderten Maßnahmen erfolgten wohlgemerkt nicht in einem autoritären System, sondern in einer entwickelten und stabilen Demokratie des 20. Jahrhunderts, der die gewählten Mittel und die Art und Weise der staat- 262 lichen Identifikations- und Benennungs praxis unwürdig sind. Weder wurden die Betroffenen in die Entscheidungen bezüglich ihrer eigenen Namen adäquat einbezogen, noch machten sich die außenstehenden Quallunaat-Akteure über haupt die Mühe, das zu „verbessernde“ Nominationssystem aus sich heraus zu verstehen. Generell als minderwertig angesehen wurden ihm die europäischen Normen übergestülpt. Dass zum Beispiel ein Regierungsbeamter die Landes sprache Inuktitut beherrschte und Inuit beim Namen und nicht bei ihren Nummern ansprach, war eine Besonderheit und wurde als solche von der Presse positiv hervorgehoben (63). Die überwiegend auf Interviews aufbauende Darstellung bietet, bedingt durch die jahrzehntelange Involviertheit der Autorin in ihren Forschungsgegenstand, ein reiches Reservoir an Detail informationen und (verschiedenen) Meinungen der Befragten. Die Informationsdichte geht aber etwas zu Lasten der Übersichtlichkeit. Oft finden sich im Text unvermittelte Themensprünge (z. B. auf S. 88), und in der Fülle des dargestellten Materials sticht die wesentliche Aussage nicht immer hervor. Einen Überblick schafft jedoch die chronologische Übersicht der Ereignisse am Ende des Bandes (145 –149). Mitunter wiederholt sich die Autorin in ihren Wertungen, mit denen sie Partei für die Sache der Selbstbestimmung der Inuit ergreift, wobei ihr angesichts ignoranter Vorurteile (z. B. 63 f.) gelegentliche polemische Passagen nicht zu verübeln sind. Leider weist das Büchlein einige kleinere Nachlässigkeiten auf. Ein Kapitel (6 – 9) trägt den Titel „Language, Names and Power“, im folgenden ist ein Unterabschnitt (12–14) mit „Language, Name Rezensionen und Neuerscheinungen and Power“ überschrieben – trotz des feinen Unterschieds doch wenig originell. Ohnehin hätte man sich gewünscht, dass das Inhaltsverzeichnis nicht nur die Hauptkapitel aufführt, sondern auch deren zweistufige Untergliederung, zumal aus den Überschriften nicht immer die zugeordneten Textinhalte klar hervor gehen. Eine Abb. 2. 8, auf die S. 59 verwiesen wird, gibt es nicht, und man fragt sich, wie in einer 1991 erschienenen Pub likation auf ein im Jahr 1992 geführtes Interview verwiesen werden kann (so S. 57 ). Und wie lautet nun der Untertitel? „Culture and Identity in the Inuit Homeland“ steht auf dem Umschlag, „Culture and Identity in Arctic Canada“ auf der Titelseite. Die Literaturkenntnis der Autorin beschränkt sich auf englischsprachige Titel, wodurch sie einiges übersieht, was wir inzwischen genauer wissen (vgl. z. B. S. 114 zur jüdischen Familiennamen gebung in Deutschland). Und wenn sie fordert „One has to ask, listen and learn to say a name as its owner wishes“ (70), so mag dies aus der Perspektive einer kulturell und anthroponymisch bevormundeten Bevölkerungsgruppe berechtigt sein, ist aber eine recht einseitige Sicht auf ein schwieriges Problem. Es ist eben nicht in allen Kommunikationssituationen zu verlangen oder überhaupt möglich, dass sich der Nutzer eines Namens erst bei dessen Inhaber nach der Aussprache erkundigt. Unter Umständen kann z. B. einem Reisenden bei schwierig auszusprechenden, langen und ungewöhnlichen Namen eine geographische Orientierung in mündlichen Gesprächssituationen verunmöglicht werden. Man mag grundsätzlich monieren, dass das Ergebnis einer Forschungsarbeit Rezensionen und Neuerscheinungen von über 20 Jahren nun ein Büchlein von kaum 200 Seiten ist, die noch dazu zu einem gewissen Teil von persönlichen Reflexionen über die Biographie der Autorin und ihre Arbeit im Norden gefüllt sind. Jedoch müssen gewichtige Bücher nicht unbedingt mehrere Kilogramm wiegen. Es ist das Verdienst der Autorin, uns eine onomastische Sphäre aus der historischen Schattenseite der Neuen Welt dargeboten zu haben. Es bei geringer Mühe zu lesen (ein Vorteil der Kürze ! ), hilft, im Hinblick auf die Bedeutung von Namen in den politischen Ausei nandersetzungen des 20. Jahrhunderts über eine eurozentristische Perspektive hinauszukommen. Vergleichbare onomastische Homogenisierungsbestrebungen oder andere staatliche Eingriffe in die Benennungen von Menschen dürften weltweit häufig zu beobachten sein – auf manche, durch die Forschung erschlossene Fälle verweist die Autorin gelegentlich (z. B. 83, 97 und 143). Hier steht das Phänomen Eigenname mitten in der aktuellen Menschenrechtsproblematik, und für eine Betrachtung dieses Aspekts in globaler Perspektive hat Valerie Alia mit ihrem Buch einen wichtigen und beeindruckenden Beitrag geleistet. Christian Zschieschang, Leipzig Ashley, Leonard R. N., Art Attack: Names in Satire. o. O.: 1stBooks 2002, xx + 174 + 2 S.; Ders., Cornish Names. O. O.: 1stBooks 2002, xiv + 94 + 1 S.; Ders., Names in Literature. O. O.: 1stBooks 2003, xvi + 326 + 2 S.; Ders., Names in Popular Culture. O. O.: 1stBooks 2003, xx + 565 + 3 S.; Ders., Names of Places: Essays in Toponymy. O. O.: 1stBooks 2003, xvi + 260 + 2 S. 263 Zu den großen Enthusiasten unter den Namenforschern gehört zweifellos Leonard R. N. Ashley, der den Lesern unter anderem durch seinen Beitrag „Literary Onomastics in the United States: Its History and Its Future“ (Namenkundliche Informationen 42 [1982] 8–26) bekannt sein dürfte. Seine Aufsätze und Bücher vermitteln stets deutlich die ihm eigene Begeisterung. Das gilt auch für die vorliegenden Titel, die abgesehen von Cornish Names vor allem bereits veröffentlichte Aufsätze, teilweise beträchtlich überarbeitet, in jeweils handlichen Bänden versammeln. Cornish Names stellt hingegen eine Originalarbeit dar. Die Bandbreite der in den Bänden behandelten Themen erstreckt sich von Orts- zu Personennamen einschließlich solchen in Literatur und Folklore. Auch Deonyme, Pflanzenbezeichnungen und Bezeichnungen für Geld(einheiten) werden behandelt. Als ein erfreulicher Schwerpunkt fällt die literarische Onomastik auf. Wohltuende Programmatik ist über sämtliche Bände verstreut. Ein jeweils ohne weiteres erweiterungsfähiges Register erleichtert die Erschließung der über Inhaltsverzeichnisse zugänglichen Bände. Die Inhaltsverzeichnisse weisen unnötige Fehler auf, die auf eine unzureichende Sorgfalt seitens des Verlags schließen lassen, die auch in einer Reihe von unnötigen Druckfehlern zum Ausdruck kommt. Wenn die anregenden Bände sowohl Namenforschern als auch all denen, die erst noch Namenforscher werden wollen, zur Belehrung und Unterhaltung durchaus zu empfehlen sind, dann nicht ohne den Hinweis, dass ein Teil der Unterhaltung auf unzureichendem (sprach-)wissenschaftlichem Tiefgang und Selbsthervorhebung des Autors