16/771 - Niedersächsischer Landtag

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16/771 - Niedersächsischer Landtag
Niedersächsischer Landtag − 16. Wahlperiode
Drucksache 16/771
Kleine Anfrage mit Antwort
Wortlaut der Kleinen Anfrage
der Abgeordneten Daniela Krause-Behrens (SPD), eingegangen am 30.10.2008
Wartezeiten bei der Vollstreckung von Jugendarrest
Der Jugendarrest soll Jugendlichen eindringlich vor Augen führen, welche Folgen die Begehung
von Straftaten haben kann. Der Jugendarrest ist somit ein erzieherisches Mittel, welches junge
Menschen vor dem Weg in die Jugendhaft bewahren soll. Sie sollen die Konsequenzen des eigenen Handelns erkennen und überdenken. Angesichts der von den Regierungsfraktionen aus CDU
und FDP wiederholt geforderten Einführung eines sogenannten Warnschussarrestes - also der
Möglichkeit, Jugendarrest parallel zur einer Verurteilung zu Jugendstrafe auf Bewährung verhängen zu können - sollte davon ausgegangen werden können, dass die Landesregierung ausreichend
Kapazitäten zur Vollstreckung von Jugendarrest vorhält. Vor diesem Hintergrund verwundert, dass
es im Bereich des Amtsgerichts Osterholz-Scharmbeck derzeit offenbar zu starken Verzögerungen
bei der Vollstreckung von Jugendarrest kommt: Zwischen der rechtskräftigen Entscheidung über
Jugendarrest und dessen Vollstreckung liegen derzeit sechs bis acht Monate, manchmal sogar
mehr. Häufig liegen daher zwischen der Straftat und dem Arrestantritt ein bis anderthalb Jahre. Viele jugendliche Straftäter erleben deshalb die jugendrichterliche Entscheidung als inkonsequent, da
das als „Strafe“ empfundene Zuchtmittel Jugendarrest der Tat nicht einmal ansatzweise auf dem
Fuße folgt.
Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:
1.
Wie lange dauert es in Niedersachsen durchschnittlich von einer jugendrichterlichen Entscheidung bis zum Vollzug (bitte für die Jahre 2000 bis 2007 und das erste Halbjahr 2008 einzeln aufschlüsseln)?
2.
Wie lange dauert es im genannten Zeitraum durchschnittlich von der begangenen Straftat bis
zur jugendrichterlichen Verurteilung im
a)
Land Niedersachsen,
b)
Amtsgerichtsbezirk Osterholz-Scharmbeck?
3.
Stellen die sechs bis acht Monate Wartezeit bis zum Arrestantritt im Bereich des Amtsgerichts
Osterholz-Scharmbeck eine Ausnahme dar? Wenn nein, in welchen Gerichtsbezirken bestehen derzeit ähnliche Wartezeiten?
4.
Wie viele Entscheidungen über Jugendarrest (aufgeschlüsselt nach den Arrestarten) wurden
im Jahr 2007 und im ersten Halbjahr 2008 im
5.
a)
Land Niedersachsen,
b)
Amtsgerichtsbezirk Osterholz-Scharmbeck
getroffen?
Wie groß ist die Arrestzellenkapazität, bezogen auf die jugendlichen Straftäter im
a)
Land Niedersachsen,
b)
Amtsgerichtsbezirk Osterholz-Scharmbeck?
6.
Wie lange mussten die jugendlichen und heranwachsenden Verurteilten jeweils in den Jahren
2000 bis 2007 und im ersten Halbjahr 2008 im Amtsgerichtsbezirk Osterholz-Scharmbeck auf
ihren Arrestantritt warten?
7.
Wie viele Verurteilte aus anderen Landkreisen wurden im Jahr 2007 und im ersten Halbjahr
2008 im Bereich des Amtsgerichts Osterholz-Scharmbeck arrestiert?
1
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8.
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Wie viele Arrestzellen gibt es in benachbarten Gerichtsbezirken? Besteht die Möglichkeit, dort
jugendliche Straftäter aus dem Bereich des Amtsgerichtsbezirks Osterholz-Scharmbeck zu
arrestieren?
(An die Staatskanzlei übersandt am 04.11.2008 - II/721 - 159)
Antwort der Landesregierung
Niedersächsisches Justizministerium
- 3130 - 102. 825 -
Hannover, den 01.12.2008
Das Jugendstrafrecht bietet vielfältige Einwirkungsmöglichkeiten auf den Angeklagten. Ziel ist immer, die Jugendlichen und Heranwachsenden künftig von der Begehung neuer Straften abzuhalten.
Es kommt dabei besonders darauf an, in jedem Einzelfall die richtige Maßnahme zu wählen. Eines
der zur Verfügung stehenden Instrumente ist die Verhängung von Jugendarrest. Zu unterscheiden
sind dabei drei Arten von Jugendarrest: Dauerarrest kann mit einer Länge von bis zu vier Wochen,
Kurzarrest mit einer Dauer von höchstens vier Tagen und Freizeitarrest an höchstens zwei Wochenenden verhängt werden. Nach den Vorstellungen der Landesregierung sollte es außerdem zukünftig möglich sein, bei Jugendstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt werden, einen sogenannten
Warnschussarrest zu verhängen.
Gerade in Jugendstrafsachen ist es neben der Wahl der richtigen Sanktion von zentraler Bedeutung, dass diese zeitnah zur Tat erfolgt. Nur eine schnelle Sanktion vermag einen erzieherischen
Effekt zu erzielen. Die Landesregierung arbeitet daher stetig an dem Ziel, die Effizienz des Jugendstrafverfahrens weiter zu verbessern und die Zeitdauern zwischen Rechtskraft der Entscheidung
und Vollzug der Sanktion kontinuierlich zu verringern.
Dies gilt insbesondere auch im Rahmen der Vollstreckung von Jugendarrest. Eine zeitnahe Vollstreckung gelingt selbstverständlich nur, wenn ausreichend Kapazitäten an Arrestplätzen vorhanden sind. In Niedersachsen lässt sich kein Mangel an Ressourcen feststellen. Dauer-, Kurz- und
Freizeitarreste werden zurzeit in landesweit fünf Jugendarrestanstalten vollstreckt. Freizeitarrest
und Kurzarrest bis zu zwei Tagen Dauer werden derzeit auch in den dafür vorgesehenen Arresträumen in 35 Amtsgerichten vollzogen. Dabei verstreichen tatsächlich nur in wenigen Fällen Zeiträume von sechs Monaten oder mehr zwischen Rechtskraft der Arrest verhängenden Entscheidung
bis zum Antritt des Arrestes.
Diese vereinzelt langen Zeiträume entstehen nicht durch einen Mangel an Arresträumen. Der Beginn der Vollstreckung verzögert sich vielfach dadurch, dass geladene Arrestantinnen und Arrestanten nicht zum Arrestantritt erscheinen. In diesen Fällen sind neben einer erneuten Ladung zum
Arrestantritt oftmals auch zeitintensive Maßnahmen der Aufenthaltsermittlung und/oder Vorführungen durch die Polizei vonnöten.
Eine Arbeitsgruppe des Justizministeriums hatte in Zusammenarbeit mit den Oberlandesgerichten
und den Vollzugsleiterinnen und Vollzugsleitern die weitere Verkürzung des Zeitraumes zwischen
rechtskräftiger Entscheidung und Vollstreckung des Arrestes in den Fokus genommen. Neben der
Ermittlung und Umsetzung von Verbesserungspotenzial in den Arbeitsabläufen und organisatorischen Rahmenbedingungen vor Ort ist ein wesentliches Ergebnis dieser Arbeitsgruppe die Änderung des Vollstreckungsplans für das Land Niedersachsen im Juli dieses Jahres. So wurde den Arrest vollstreckenden Amtsgerichten eine noch flexiblere Handlungsweise ermöglicht, indem sie im
Fall entstehender Engpässe Vollstreckungsersuchen unmittelbar an benachbarte Arrest vollstreckende Amtsgerichte oder an die jeweils für die Vollstreckung von Dauerarrest zuständige Jugendarrestanstalt abgeben können.
Die maßgebliche Bedeutung einer Sanktion, die der Tat „auf dem Fuße“ folgt, hat das Justizministerium darüber hinaus veranlasst, die Organisation der Vollstreckung von Kurz- und Freizeitarresten in den Amtsgerichten insgesamt auf den Prüfstand zu stellen. In diesem Zusammenhang wird
unter anderem geprüft, die Vollstreckung von Kurz- und Freizeitarresten künftig in fünf Jugendar2
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restanstalten und ausgewählten Amtsgerichten zu vollziehen. Ziel ist es, weiterhin einheitliche
Standards zu schaffen und eine noch schnellere und nachhaltigere Vollstreckung des Jugendarrestes sicherzustellen.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:
Zu 1:
Der Kriminologische Dienst des niedersächsischen Justizvollzuges hat für das Jahr 2004 Daten der
Jugendarrestanstalten ausgewertet, um Verfahrensabläufe zu analysieren und zu optimieren. Zwischen Rechtskraft der jugendrichterlichen Entscheidung und dem Arrestantritt lagen danach in den
damals vier Jugendarrestanstalten Niedersachsens durchschnittlich 13,7 Wochen oder 3,2 Monate.
Eine landesweite Abfrage der Dauer zwischen Rechtskraft der jugendrichterlichen Entscheidung
und Vollzug bei den Arrest vollstreckenden Amtsgerichten im Juli 2007 hat einen durchschnittlichen
Wert von 3,90 Monaten und eine weitere landesweite Abfrage im Juni 2008 hat einen durchschnittlichen Wert von 3,15 Monaten ergeben.
Hierbei sind jedoch auch gewollte Verzögerungen enthalten, die durch den Aufschub der Vollstreckung wegen schulischer und beruflicher Belange der Verurteilten bedingt sind, sowie Verzögerungen, die durch Nichterscheinen zum Arrestantritt mit der Folge polizeilicher Vorführungen entstehen. In besonders eiligen Fällen, z. B. in den Fällen des vorrangigen Jugendverfahrens, ist es jedoch aufgrund besonderer Absprachen der Beteiligten in den Jugendarrestanstalten möglich, den
Arrest direkt im Anschluss an die Verhandlung zu vollstrecken.
Weitere Daten liegen nicht vor.
Zu 2:
a)
Die zu 1 genannte Auswertung des Kriminologischen Dienstes des niedersächsischen Justizvollzuges hat für das Jahr 2004 ergeben, dass von der Straftat bis zum Arrestantritt durchschnittlich 10 Monate vergingen; bei Ungehorsamsarrest gemäß § 11 Abs. 3 JGG sogar 18,4
Monate. Nach der Straftat dauerte es durchschnittlich 6,8 Monate bis ein rechtskräftiges Urteil
vorlag. Bei der Verhängung von Ungehorsamsarrest gemäß § 11 Abs. 3 JGG belief sich der
entsprechende Zeitraum auf 15,2 Monate.
Aktuellere Daten liegen nicht vor.
b)
Daten liegen nicht vor. Das Amtsgericht Osterholz-Scharmbeck hat jedoch hierzu ausgeführt,
dass der Zeitraum zwischen Straftat und Vollstreckung mit den Mitteln der Vollstreckung allenfalls teilweise beeinflusst werden könne. Die Länge des Zeitraums hänge nicht zuletzt von der
Dauer der polizeilichen Ermittlungen und des weiteren strafprozessualen Verfahrens bis hin
zur Vollstreckungsreife der Verurteilung ab. Individuelle Angaben könnten jedoch nur anhand
der jeweiligen Akten ermittelt werden.
Der Strafverfahrensstatistik lässt sich lediglich die durchschnittliche Verfahrensdauer vom Eingang des Verfahrens bis zum Abschluss in der Instanz beim Jugendrichter bzw. Jugendschöffengericht sowie die durchschnittliche Dauer des staatsanwaltschaftlichen Verfahrens von der
Einleitung bis zum Abschluss des Strafverfahrens entnehmen.
So betrug beispielsweise 2007 die durchschnittliche Verfahrensdauer im Land Niedersachsen
2,8 Monate (Jugendrichter) bzw. 3,9 Monate (Jugendschöffengericht). Beim Amtsgericht
Osterholz-Scharmbeck beliefen sich die Dauern auf 2,6 Monate (Jugendrichter) bzw. 3,3 Monate (Jugendschöffengericht). Das staatsanwaltliche Verfahren dauerte 2007 in Niedersachsen
durchschnittlich 1,3 Monate. Bei der für den Amtsgerichtsbezirk Osterholz-Scharmbeck zuständigen Staatsanwaltschaft Verden betrug die durchschnittliche Dauer ebenfalls 1,3 Monate.
Zu 3:
Die zu 1 genannte landesweite Auswertung der Zeiten zwischen rechtskräftiger Entscheidung und
Arrestvollzug aus Juni dieses Jahres hat eine durchschnittliche Dauer von 3,15 Monaten ergeben.
Das Amtsgericht Osterholz-Scharmbeck wies dabei mit einer durchschnittlichen Dauer von sieben
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Monaten den längsten Verfahrenszeitraum auf. Nur geringfügig darunter liegende Wartezeiten von
ca. sechs Monaten wurden bei den Amtsgerichten Braunschweig und Nordenham festgestellt.
Für den Zeitraum von September bis November 2008 meldete das Amtsgericht Osterholz-Scharmbeck eine durchschnittliche Dauer von 3,96 Monaten.
Zu 4:
a)
Die Strafverfolgungsstatistik weist für das Jahr 2007 insgesamt 3 463 Arreste (2001 gegen Jugendliche und 1 462 gegen Heranwachsende) aus; davon 1 632 Dauerarreste (874 gegen Jugendliche und 758 gegen Heranwachsende), 233 Kurzarreste (132 gegen Jugendliche und
101 gegen Heranwachsende) und 1 598 Freizeitarreste (995 gegen Jugendliche und 603 gegen Heranwachsende).
Aktuellere Daten liegen nicht vor.
b)
Die Daten der Strafverfolgungsstatistik werden lediglich auf der Ebene der Bezirke der Staatsanwaltschaften erhoben. Eine Auswertung auf der Ebene der Amtsgerichtsbezirke ist nicht
möglich.
Zu 5:
a)
In Niedersachsen stehen für die Vollstreckung von Jugendarresten 111 Plätze in fünf Jugendarrestanstalten zur Verfügung. Kurz- und Freizeitarreste werden darüber hinaus in insgesamt
126 Arresträumen in 35 Amtsgerichten vollstreckt.
b)
Das Amtsgericht Osterholz-Scharmbeck verfügt über zwei Arresträume.
Zu 6:
Auswertungen aus Mai und Juli 2007 sowie April und Juni 2008 haben jeweils eine durchschnittliche Wartezeit von sieben Monaten ergeben.
Weiter zurückliegende Daten liegen nicht vor.
Zu 7:
Das Amtsgericht Osterholz-Scharmbeck teilte mit, dass im 1. Halbjahr 2008 insgesamt acht Vollstreckungen aufgrund von Verurteilungen aus anderen Landkreisen sowie dem Land Bremen erfolgt seien und diese Zahl im laufenden Jahr auf voraussichtlich zwölf Vollstreckungen ansteigen
wird. Darüber hinaus seien für 2008 insgesamt zehn Fälle aus Ordnungswidrigkeitenverfahren zu
berücksichtigen.
Zu 8:
Im Oberlandesgerichtsbezirk Celle stehen in den nächstgelegenen Arrest vollstreckenden Amtsgerichten Rotenburg/Wümme, Tostedt, Langen und Verden jeweils zwei Arresträume zur Verfügung.
Im Oberlandesgerichtsbezirk Oldenburg stehen in den nächstgelegenen Arrest vollstreckenden
Amtsgerichten Nordenham zwei und in Westerstede vier Arresträume zur Verfügung.
Um den Arrest vollstreckenden Amtsgerichten bei entstehenden Engpässen eine möglichst flexible
Handlungsweise zu ermöglichen, wurde der Vollstreckungsplan für das Land Niedersachsen im Juli
dieses Jahres dahingehend geändert, dass Vollstreckungsersuchen an benachbarte Arrest vollstreckende Amtsgerichte oder an die jeweils für die Vollstreckung von Dauerarrest zuständige Jugendarrestanstalt abgegeben werden können. Die tatsächliche Möglichkeit der Abgabe richtet sich
jeweils nach der Auslastung der einzelnen Gerichte bzw. Jugendarrestanstalten.
Bernhard Busemann
4
(Ausgegeben am 17.12.2008)
)