Schriftsteller Pavel Kohout im APA

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Schriftsteller Pavel Kohout im APA
Das Interview mit Pavel Kohout führte Edgar Schütz, APA, am 22. November 2010 im Rahmen der Preisverleihung
„Writing for CEE 2010“ in Wien
Kohout: "Öffnet sich Schere zu weit, drohen immer Revolutionen"
Schriftsteller und Ex-Dissident warnt vor zu großer Kluft zwischen Arm und Reich - Kritik an Sudetendeutschen:
"Tschechen bereinigen ihre Geschichte schneller und besser"
Als junger Mann hatte Pavel Kohout nach dem Zweiten Weltkrieg wegen des "Versagens des Kapitalismus" für den
Sozialismus in der damaligen Tschechoslowakei optiert und die Kommunisten gewählt, um diese nach einer
Läuterungsphase umso heftiger zu bekämpfen. Mit gewissen Tendenzen der jüngeren Zeit hat er dennoch ein Problem,
die Kluft zwischen Arm und Reich dürfe in einer vom Primat der Wirtschaft dominierten Welt nicht zu groß werden,
meinte der Schriftseller und ehemalige CSSR-Dissident im APA-Interview: "Öffnet sich diese Schere zu weit, drohen
immer Revolutionen."
Die Gefahr sei vor allem deshalb virulent, "weil es im Wesen des Kapitalismus liegt, dass er sich so verhält", sagte
Kohout, der am Montagabend bei der Verleihung des von der Austria Presse Agentur (APA) und der Bank Austria
vergebenen Medienpreises "Writing for CEE" an die bosnisch-italienische Journalistin Azra Nuhefendic als Festredner
auftrat. Das liege einfach in der Natur des Menschen. Allerdings sollte als Lehre immer im Gedächtnis bleiben, dass es
schon zu Beginn des 20sten-Jahrhunderts zur Korrektur des Kapitalismus "die große politische Revolution" gegeben
habe, die ihrerseits ins Verderben führte.
In der Gegenwart sei er aber an sich zufrieden, nunmehr abwechselnd in zwei EU-Staaten leben zu dürfen. Kohout ist
seit 1980 auch Österreicher, und dennoch immer Tscheche geblieben: "Da sage ich nun prima, es ist endlich alles in
Ordnung, und Tschechien ist endlich ein normales Land geworden." Dass dort mit Vaclav Klaus einer der größten EUSkeptiker das Amt des Präsidenten bekleide, dürfe aber nicht überbewertet werden. "Das Skeptischsein gehört schon
zum Tschechischsein, aber das hat nichts damit zu tun, dass die meisten Mitbürger spüren, dass das Land noch nie in
der Geschichte so gut aufgehoben war."
In der EU gebe es größere und kleinere Nationen und damit auch Konflikte, "aber das Wunder der EU besteht darin,
dass die großen Chefs irgendwie einen Weg finden, wie die kleineren Länder nicht benachteiligt werden". Dass sich
Tschechien nicht zuständig fühlt, dem in Finanzschwierigkeiten steckenden EU-Partnerland Irland zu helfen, ist für
Kohout allerdings verständlich: "Die Tschechen haben keinen Grund sich zu beteiligen, weil sie keinen Euro haben."
Die Lage in der Slowakei, die seit 2005 den Euro als Währung hat, aber dennoch nicht an der Rettungsaktion für das
verschuldete Griechenland teilnehmen wollte, sah der Schriftsteller nicht ganz so eindeutig: "Die Slowaken gehen eben
davon aus, dass sie die Krise nicht mitverschuldet haben. Wobei ich der Meinung bin, dass sie solidarisch sein sollten,
wenn sie schon den Euro eingeführt haben. Aber jede Nation hat eben ihren Charakter, insgesamt ist Europa jedoch auf
einem guten Weg." Nachsatz: "Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Tschechen wegspringen."
Zu den aktuellen Problemkreisen "Asyl" und "Integration" hat Kohout, der nach seiner Abschiebung aus der damaligen
CSSR im Jahr 1979 in Österreich eine zweite (Wahl-)heimat fand, eine differenzierte Haltung: "Österreich hat seinen
Nachbarländern mehrmals wahnsinnig geholfen. Was viele Asylländer aber vergessen haben, dass man die
Ankömmlinge echt integrieren muss. Das rächt sich jetzt. Ich habe als erste Tat im Exil die österreichische
Bundeshymne erlernt."
In dem Moment, wo Emigranten aber verzichten würden, die Regeln des Gastgeberlandes zu akzeptieren, "läuft etwas
falsch". Nun müsse man beginnen, "das mit Stress und Mühe zu reparieren". Tschechien habe da ein ähnliches
Problem wie Österreich. "Bloß haben wir das Glück, dass wir das Problem schon in der Anfangsphase erkannt haben",
sagte Kohout, diesmal in seiner Rolle als Tscheche.
Als solcher zeigte sich Kohout auch zufrieden darüber, dass in Tschechien in der jüngeren Vergangenheit jene
Verbrechen aufgearbeitet werden, die von 1945 bis 1947 bei der Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung
begangen wurden. "Die tschechische Historiographie und die Journalistik machen da eine gute Arbeit. Jeder Fall, der an
den Tag kommt, wird nachträglich gelüftet."
Ein moralisches Defizit der Tschechen gegenüber den Sudetendeutschen sieht Kohout aber nicht. Vaclav Havel habe
sich doch bereits in seiner ersten Rede als tschechoslowakischer Präsident am 1. Jänner 1990 "wortwörtlich" für die
damals begangenen Verbrechen entschuldigt. "Aber statt diese ausgestreckte Hand zu nehmen, haben die
Sudetendeutschen gleich Bedingungen gestellt. Ich glaube, das Problem liegt mehr auf der anderen Seite." Die
Tschechen, so Kohouts Meinung, würden ihre eigene Geschichte nämlich schneller und besser "bereinigen" als die
Sudetendeutschen die ihre.
Die Möglichkeit, dass der derzeitige Außenminister Karel (Karl) Schwarzenberg immer öfter als möglicher nächster
Präsident Tschechiens genannt wird, freut Kohout: "Das wäre wunderbar, aber ich weiß nicht, ob es dazu kommt. Wir
wissen immer noch nicht, ob der nächste Präsident vom Volk oder vom Parlament gewählt wird." Schwarzenberg wäre
aber nach Havel wieder ein Präsident, "den ich mögen könnte", sagte Kohout.
Diese Aussage impliziert, dass das aktuelle Staatsoberhaupt Vaclav Klaus nicht ganz sein Fall ist. "Ich halte ihn für
einen sehr gebildeten Mann, der die Teilung der Tschechoslowakei hervorragend gemeistert hat. Aber sein Ego ist
größer als das Ego des Landes, und das geht in einer Demokratie nie gut. Aber Gott sei Dank hat er noch weniger
Befugnisse als unser Bundespräsident". Womit bei Kohout, der jüngst unter dem Titel "Mein tolles Leben mit Hitler,
Stalin und Havel" seine Memoiren vorlegte, wieder der Österreicher durchschimmerte...
(S E R V I C E - Pavel Kohout: "Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel", Osburg Verlag, 564 Seiten, 27,70 Euro,
ISBN 978-3-940731-48-7)