Raute unterm Hakenkreuz

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Raute unterm Hakenkreuz
Schwerpunkt
Raute
unterm Hakenkreuz
Ausstellung zur NS-Vergangenheit des HSV
E
s ist eine dieser unglaublichen
Geschichten, die auf dem Dachboden beginnen: Der heilige Gral,
gefunden am Rothenbaum. Zumindest
für die Anhänger des Hamburger Sportvereins (HSV) gilt der bisher verschollen geglaubte Silberpokal als sportliche
Reliquie. Er ist die erste Auszeichnung
in der überaus erfolgreichen Vereinsge-
schichte und heute ein wichtiger Bestandteil des vereinseigenen Museums.
Doch der Bilck in die Vergangenheit
offenbart neben glänzenden Erfolgen
auch dunkle Kapitel: Schonungslos
wird die Geschichte des Klubs in der
Zeit der nationalsozialistischen Machtergreifung dargestellt – ein moralischer
Befreiungsschlag.
„Wir sind der erste deutsche Profiverein, der seine Vergangenheit in dieser
Weise aufarbeitet,“ sagt Museumsdirektor Dirk Mansen nicht ohne Stolz. Er
selbst stöberte vor dem Umzug in die
neue Fußballarena in Archiven und
Dachkammern nach lang verborgenen
Schätzen: ein Volltreffer. „Was da zusammen kam, hat mich fast umgehau-
Volksbund-Mitarbeiterin Christina Kopplin besucht Museumsdirektor Dirk Mansen und seine Ausstellung zum Schicksal des Hamburger Sportvereins
während und nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten.
Fotos: Maurice Bonkat
Pokalvitrine: Der HSV blickt auf zahlreiche nationale und internationale Erfolge zurück.
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Die Meistermannschaft von 1928: In der Mitte steht „Tull“ Harder direkt hinter seinem Freund Asborn Halvorsen. Im Zweiten Weltkrieg werden sich ihre
Wege trennen. Der Regimegegner Halvorsen geht als Häftling ins KZ, Harder als Kommandant in ein anderes Lager.
en. So reifte die Idee, diese seltenen
Stücke auch den Fans zu zeigen,“ erinnert sich Mansen. Und heute feiert das
Museum im Herzen des neuen Stadions sein fünfjähriges Jubiläum.
schauer und schießen den HSV so an
die Spitze des deutschen Fußballs.
Dann kommen die Nazis. Der gemeinsame Weg des Duos trennt sich auf dramatische Weise.
Harder und Halvorsen
Freiwillig an die Front
Der ausgeklügelte Rundgang zwischen Ost- und Nordtribüne ist mit
über 230 000 Besuchern längst zu einer
Pilgerstätte für HSV-Fans geworden.
Auf 700 Quadratmetern sieht man in
acht Räumen funkelnde Pokale, historische Fotos, Originaltrikots und Wimpel, zahllose Textdokumente sowie viele Andenken aus der beeindruckenden
Vereinsgeschichte.
Harder tritt 1932 der NSDAP und
wenig später sogar der SS bei. 1939
meldet sich Otto Fritz Harder, der
schon im Ersten Weltkrieg zweimal mit
dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden ist, freiwillig an die Front. Aufgrund seines hohen Alters von inzwischen knapp 50 Jahren wird er jedoch
als Wachmann ins Konzentrationslager
Neuengamme eingezogen. Am Ende
des Krieges ist er Lagerführer in Hannover-Ahlem, wird verhaftet und zu
einer zehnjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Harder, das ehemalige Fußballidol mit zahllosen Titeln und wahrscheinlich mehr als 1 000 Toren, steht
nun im gesellschaftlichen Abseits.
Ein zentraler Teil der Ausstellung
befasst sich unter dem Titel „Die Raute
unter dem Hakenkreuz“ kritisch mit
der Rolle des Vereins während und
nach der Machtergreifung durch die
Nationalsozialisten. So werden beinah
unglaubliche Lebenswege aufgedeckt.
Da gibt es zum Beispiel die beiden Erfolgsspieler und Publikumslieblinge
der späten 20er Jahre, Harder und Halvorsen. Mit ihrem schnellen Direktspiel
begeistern die beiden Freunde ihre Zu-
Der Häftling und der Wärter
Der Norweger Asborn Halvorsen erleidet dagegen ein ganz anderes Schicksal. Noch 1928 hat er gemeinsam mit
seinem guten Freund Otto Harder für
den HSV den deutschen Meistertitel
errungen. Doch mit der Machtergreifung Hitlers wird der Abwehrspezialist
als Ausländer auch politisch in die
Defensive gedrängt. Der erfolgreiche
Spieler und selbstständige Schiffsmakler verlässt Deutschland fluchtartig.
In seiner Heimat wird er bald Nationaltrainer. Dabei versucht er, sich auch
als Sportfunktionär von den Nazis zu
distanzieren und Widerstand zu leisten. So verwehrt er 1940 bei einem Pokalendspiel dem Reichskommissar Josef
Terboven und seinem Gefolge den Zutritt zur Ehrenloge. Im August 1942
wird er schließlich von der Gestapo
verhaftet und in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert.
„In Hamburg kursiert seither das
Gerücht, dass Harder in dieser Zeit
zum Bewacher von Halvorsen wurde.
Aber das stimmt nicht. Anhand der Dokumente aus der Ausstellung können
wir nun beweisen, dass die beiden sich
niemals zeitgleich in einem Lager befanden. Harder und Halvorsen waren
Freunde – aber nicht Aufseher und
Häftling,“ stellt Mansen klar.
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HSV sowie vieler anderer Vereine. Eine
Liste mit knapp 100 bekannten Gefallenen des Zweiten Weltkriegs erhält Mansen von der Volksbund-Mitarbeiterin
Christina Kopplin. „Es wäre wirklich
schön, wenn diese Namenliste bald ein
Bestandteil dieser so wichtigen Aus-
Die Idee eines Fanfriedhofes findet immer mehr Anhänger. In Hamburg liegt die im Stil eines Sportplatzes gestaltete Gemeinschaftsgrabanlage direkt gegenüber der HSV-Arena.
Juden waren unerwünscht
Ein anderes Kapitel der HSV-Geschichte beleuchtet den Umgang mit
den jüdischen Mitgliedern. Denn das
Viertel, in dem der Klub 1888 gegründet wird, ist gutbürgerlich, mit einem
hohen Anteil jüdischer Kaufleute. Die
engagieren sich häufig in verantwortlicher Position oder als Sponsor. Sie sind
ein wichtiger Bestandteil des Vereinslebens – der zwölfte Mann.
Das ändert sich nach 1933 radikal.
Juden werden aus vielen deutschen
Vereinen ausgeschlossen. Dieser NSErlass betrifft auch den HSV. „Allerdings gibt es Menschen, die Widerstand leisten. Einige Angehörige der
HSV-Handballsparte verstecken beispielsweise einen jüdischen Mitspieler
über Monate in ihren Kellern. Andere
helfen bei der Emigration. Da bietet eine Hafenstadt wie Hamburg natürlich
viele Möglichkeiten,“ weiß der 44-jährige Museumsdirektor. Dennoch ver-
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laufen sich zahlreiche Schicksale im
Nichts. Viele Betroffene werden den
Holocaust nicht überlebt haben.
Mit der Raute ins Grab
Auch das Leben von Halvorsen und
Harder reicht nur etwa ein Jahrzehnt
über das Kriegsende hinaus. Halvorsen, inzwischen Generalsekretär des
Norwegischen Fußballverbandes, stirbt
1955 an den Spätfolgen seiner Inhaftierung. Harder stirbt 1956, nur fünf Jahre
nach seiner Entlassung aus der Haftanstalt Werl. Hätte es das 2008 eingeweihte Gräberfeld des HSV schon damals
gegeben, läge vielleicht dort, einen Steilpass von der Westtribüne entfernt, ihre
letzte Ruhestätte. Zumindest von Harder ist bekannt, dass auf seinem Sarg
die blau-weiß-schwarze Raute mit ins
Grab gesenkt wird ...
Auf den Kriegsgräberstätten des
Volksbundes liegen ebenfalls einige
Mitglieder und ehemalige Spieler des
Schwerpunkt
stellung wird. Vielleicht lassen sich so
noch weitere Schicksale klären,“ hofft
die 27-Jährige.
Mansen will sich dafür einsetzen.
Schließlich ist das Museum so etwas
wie sein Lebenswerk. Und dann erzählt
er – sozusagen ein geistiger Rückpass –
doch noch, wie der HSV wieder in den
Besitz seines allerersten Pokals gelangte: „Er wurde nach seiner Entdeckung
auf dem Dachboden in einer Auktion
versteigert. Leider hat man uns dabei
überboten. Ein paar Monate später gab
es die Überraschung. Der unbekannte
Bieter war nämlich einer unser SportAbteilungsleiter. So kam das Schmuckstück wieder ins Schatzkästchen. Aber
das ist eine andere Geschichte.“
Maurice Bonkat
Genau weiß es keiner, doch Rekordtorschütze
Harder hat wohl über 1 000 Tore geschossen.
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